Vier Pfoten und drei Koffer

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Einer muss den Hund nehmen

Kaum dass wir angekommen sind und eine Nacht geschlafen haben, geht es schon wieder weiter. Ich greife nach Tüten, Taschen, Rucksack, habe zuvor Futternapf und Wasserschale wieder verstaut, um unser Hab und Gut wieder hinunter zum Auto zu schleppen. Hoover schaut mir direkt ins Gesicht, und seine Pupillen scheinen sich zu zwei großen Fragezeichen zu verformen. Was kann bloß unser Ziel sein? Haben wir überhaupt eines? Wofür all die Winterschlafstunden auf der Rückbank, die Bifis, die Kauknochen und die vielen Kurz-Stopps an den Kassenautomaten der Maut-Autobahn? Er ist irritiert. Und er ist aufgeregt, wedelt, dreht sich im Kreis, fürchtet, schon wieder vergessen werden zu können – zumal ich gar keine Hand mehr frei habe, um auch noch die knallrote Leine zu greifen, die er bei all seinen Drehungen hinter sich her rotieren lässt.

Ich sage »Aber einer muss den Hund nehmen« und leite so unseren neuesten gemeinsamen Spaß ein. Hoover ist sofort voll konzentriert, schaut mich wieder fragend an, ob nun auch der nächste Satz folgt, der zu diesem Spielchen gehört. Und da ist er auch schon: »Nimmst Du den Hund?«, frage ich und sofort fasst er mit den Zähnen in die Schlaufe der Leine und führt sich selber. Sind Zuschauer dabei, ernten wir damit immer einen kleinen Lacherfolg. Noch kurzweiliger ist es geworden, seit Hoover die Nummer erweitert hat und die Leine unaufgefordert noch mal kurz fallen lässt, um sie in erstaunlicher Geschwindigkeit in drei exakt gleich lange Elemente zusammenzulegen, die er dann wiederum mit dem Maul greift. Nichts hängt jetzt mehr durch, nichts schleift über den abgewetzten Teppichboden. Er hat sich selber an der kurzen Leine. Manchmal nimmt er auf dasselbe Kommando hin die Leinen anderer Hunde ins Maul und zerrt die Artgenossen sehr resolut durch Feld und Flur. Es scheint, als ob es sich sehr förderlich auf sein Selbstbewusstsein auswirkt, ihm derlei Verantwortung zu übertragen. Und sei es für einen Moment.

Jetzt brauche ich nur noch einmal kurz zu horchen, ob auf dem Hotelflur gerade freie Bahn ist, sage »Aber schön hier bleiben« und öffne die Zimmertür. So diszipliniert wie niemals, wenn ich die Leine halte, trabt er nun neben mir her, sichtbar stolz, dass er sich um diesen großen schwarzen Hund kümmern darf, um diesen Flat Coated aus dem Norden auf großer Fahrt. Um sich selbst.

Erst knapp diesseits der Tür zu Lobby und Rezeption sortiere ich im Gehen das Gepäck um, hangele dann mit der frei gewordenen Hand nach seiner Leine, sage »Und jetzt nehme ich aber wieder den Hund«, bekomme die Strippe bereitwillig ausgehändigt und checke aus.

Ehe wir weiterfahren, steht nur noch ein kurzer Spaziergang unter Pinien durch den kleinen Park nebenan auf der Tagesordnung, damit aller Ballast aus Hundeblase und Hundegedärm vor der Weiterfahrt noch eben der Natur überantwortet werden kann.

Der Blechmann hinterm Rasthof

Der Hinweis »Da sind ja Leute!« oder auch die Variation »Guck mal, da kommen Leute!« gehört zu Hoovers umfänglichem passiven Wortschatz. Ist eine Tür oder eine Scheibe zwischen jenen Menschen und ihm, bellt er, durchaus wachsam und tieftönig. Trennt jene Fremden und ihn baulich nichts und klingt meine Bemerkung eher erfreut als besorgt, dann begrüßt er sie und gemeindet sie geradezu herzlich in unsere kleine Familie ein. Nicht jeder Betroffene ist darüber glücklich und meistens versuche ich zu verhindern, dass Hoover sein volles Leute-Eingemeindungsprogramm spontan entfaltet.

Es besteht daraus, begeistert und oft mit Anlauf oder mit eindrucksvollem Abtritt an den Personen hochzuspringen, um sie gleich zur Begrüßung seiner dauerhaften Zuneigung zu versichern und als Beweis dafür im Gesicht anzuschlabbern, bei wiederholtem Wiedersehen, positiven Erinnerungen oder ganz besonderer Liebe auch feinmotorisch sehr geschickt am nächst erreichbaren Ohr zu knabbern.

Vorlieben im Detail, ob eher links oder rechts, habe ich dabei bisher nicht beobachten können. Und zugeben muss ich leider, dass selbst im Freundeskreis nicht jeder glücklich oder auch nur ausreichend standfest ist, wenn einem ein 33 Kilo schwerer Retriever in einem Anflug entfesselter Herzlichkeit in die kaum jemals rechtzeitig ausgebreiteten Arme springt. Mit anderen Worten: Es geht alles sehr schnell und fällt meist sehr intensiv aus.

Entsprechend vorsichtig bin ich mit der »Leute!«-Bemerkung geworden und entsprechend hellseherisch versuche ich zu erahnen, wer womöglich gleich um irgendeine Ecke biegen könnte, und ob es nicht doch sinnvoller sein würde, Hoover deshalb kurz zu halten oder gar zusätzlich zur Leine in der linken die rechte Hand mäßigend auf seinen Rücken zu legen oder vor die Brust zu halten und langgezogen, möglichst sonor und irgendwie meditativ »Waaarte« zu sagen. Wir sind da inzwischen ganz gut eingespielt und die meisten Begegnungen laufen im Wesentlichen so ab, wie ich mir das vorstelle.

Falls doch mal etwas schief geht und jemand entsetzt schaut, nachdem Hoover unverhofft an ihm hochgesprungen ist und einen Hundskuss ins Gesicht gedrückt hat, versuche ich die Situation so einzufangen, indem ich mich an Hoover wende und sage: »Na, das ist ja ein Ding, diese Leute hast Du ja auf Anhieb superlieb, das müssen ganz besondere Leute sein!« Zugleich gewinne ich damit seine Aufmerksamkeit und ausreichend Sekunden, um ihn wieder unter Kontrolle zu bringen. Bei den Betroffenen wandelt sich der Gesichtsausdruck meist schnell von blankem Entsetzen zu gewissem Stolz, derart auserwählt zu sein und offenbar eine sehr positive Ausstrahlung auf Hunde zu haben. Jedenfalls auf diesen. Und ein Lächeln stellt sich dann auch recht bald ein. Die Alternative ist, die Leute direkt anzusprechen und die alten Hundebesitzer-Lügen »Der tut nix« und »Das hat er noch nie gemacht« ein wenig abgewandelt zum Einsatz kommen zu lassen: »Der mag Dich auf Anhieb total, hat Dich sofort lieb sogar! Das macht er nur ganz, ganz selten! Wow!« Meistens kommen wir damit durch.

Bei einem Blechdenkmal im Hotelpark aber, denke ich kurz, kann nicht viel schiefgehen. Und so früh am Montagmorgen nicht weit von der französisch-spanischen Grenze mit allerlei Pyrenäengipfeln am Horizont kann auch noch keiner im Garten unterwegs sein, der sich an Schwung und Lebensfreude eines extrovertierten jungen Hundes stört. So weit die kurze, knappe Reflexion. Und so rutscht mir der Hinweis »Guck mal, da sind ja Leute« heraus, als ich ein in irgendwelches Metall gegossenes hageres Männlein mit angedeuteter Latzhose und Helm sehe, das dort erstarrt auf einem Sockel in den Rasen eingelassen ist.

Ich habe nicht geahnt, was das bei Hoover entfesselt. Schneller als ich reagieren kann, bringt er dem schmächtigen Metall-Herren seine Zuneigung entgegen, röppelt die lange Laufleine ab und steht nach einem Fünf-Meter-Spurt aufrecht an der erschreckend realistisch geratenen Skulptur, um ihr ein, zwei herzliche Begrüßungsschlabberer ins kühle Gesicht zu kleben.

Die Silhouette muss er selbst ohne jede Gestik, ohne Mimik und ohne Körperwärme erkannt haben. Und weil er durch Menschen noch nie etwas Übles erlebt hat und wir uns ja im Großen gesehen sowieso alle dieselbe Welt zur selben Zeit teilen und das im Kleinen auch für das Rasenstück neben dem Hotel im Rousillon hier in der südfranzösischen Provinz gilt, fällt jene Begegnung sehr herzlich aus. Wenn auch gänzlich einseitig.

Ich rufe so etwas wie »Hey« und »Halt« und »Hierher, zurück«, um die Lage möglichst ebenso schnell wieder unter Kontrolle zu bekommen, wie sie einen Moment vorher eskaliert ist. Hoover unterdessen lässt seinerseits von dem nicht sonderlich empathischen Herrn ab, bei dem es sich laut gestanzter Blechplakette am keine zehn Zentimeter hohen Sockel um das Ehrenmal für die am Bau der Autobahn beteiligten Arbeiter handeln soll. Ich muss lachen. Nicht über das seltsame Denkmal, das von der Größe her eher wie ein Mahnmal gegen Kinderarbeit wirkt, sondern über meine Arglosigkeit. Über mein Tier. Über die Situation an sich. Und ich bin froh, dass gerade niemand zu sehen ist. Und uns hoffentlich umgekehrt auch niemand gesehen hat. Und ganz besonders darüber, dass sich das Männlein als standfest erwiesen hat, offenbar gut auf seinem Sockel festgedübelt ist.

Wir fahren besser weiter. Noch gut 650 Kilometer sind es bis zum herbeigesehnten Ferienhaus im unmittelbaren Hinterland der Costa Blanca. Mit Hund auf der Rückbank, fürs Erste wieder lang ausgestreckt und im Winterschlafmodus, den er in der Sekunde nach Betreten des Fahrzeugs angeknipst hat.

Terrain markieren – endlich angekommen

Wahrscheinlich strahle ich kurz vorm Ziel plötzlich diese Mischung aus Vorfreude und gewisser Anspannung aus, irgendwelche erweckenden Schwingungen. Jedenfalls sitzt Hoover ungefähr anderthalb Kilometer vorm Ziel plötzlich aufrecht auf der Rückbank und scannt in größter Aufmerksamkeit mit Blicken die gesamte Umgebung. Seine Nasenflügel vibrieren, als würde er filtern und analysieren, was da durchs inzwischen halb offene Fahrerfenster hereinströmt, und irgendein inneres Labor würde binnen Sekunden den Rosmarin-Anteil und das Orangenblüten-Duftvolumen ans Hirn durchgeben und zu dieser Erkenntnis verdichten: Es riecht hier gänzlich anders als zuhause.

Und es sieht auch ganz anders aus: in die eine Richtung Orangenplantagen ohne ein Hügelchen dazwischen bis zum drei Kilometer Luftlinie entfernten Mittelmeer, in die andere Richtung bis zu 800 Meter hohe Berge mit Pinien, mit Kiefern, in den tieferen Lagen mit Mandelbäumchen.

Auch die Temperatur ist im Hinterland der Costa Blanca gut 36 Stunden nach dem Aufbruch im steif gefrorenen Norddeutschland mit angenehmen 22 Grad und Sonnenschein ganz anders. Ein kleiner Sommer mitten im Winter.

 

Dass die Temperatur hier unter den Gefrierpunkt rutscht, kommt im Grunde nicht vor. Dass sie im Januar und Februar auf über 30 Grad steigt, auch nicht. Aber dazwischen ist alles drin. Es gibt Tage, da wird es kaum wärmer als acht Grad, und es ist nebelig. Und es gibt welche, da ist es 25 Grad warm. Die schöne Begrüßung jedenfalls ist eine nette Geste der Natur.

Irgendwo hier am Berg zwei Straßen und drei Haarnadelkurven weiter klebt das Ferienhaus am Hang, viel tiefer als die ein paar entscheidende Grad kühleren Gipfel, aber hoch über den Orangenbäumchen. Und mit bestem Blick aufs Mittelmeer, das sich als dunkelblaues Band den Horizont unter dem hellblauen Himmel entlangspannt.

Als endlich die Handbremse angezogen und der Motor ausgestellt ist, endlich die hintere Autotür aufgeht und schließlich auch noch das Haltegeschirr vom Hund gepellt und aus der Befestigung des Sicherheitsgurtes losgeklickt ist, gibt es für Hoover kein Halten mehr: Im Zickzack rast er die schmale Sackgasse am Hang entlang, 50 Meter runter, 100 Meter bergauf bis zur nächsten Kurve und dem übernächsten Nachbarhaus, hebt mal an einem Stück Granit, mal an einem Rosmarinstrauch das Bein, gleitet mit der Nase nur Millimeter über dem Boden entlang, um alle Gerüche der neuen Umgebung auf einmal aufzusaugen – und herauszufinden, ob hier wohl auch Hunde sein mögen.

Ich erkundige mich sicherheitshalber bei ihm: »Und sind hier auch Hunde?« Das letzte Wort kennt er. Er dreht sich dann einmal um die eigene Achse und schaut in alle Richtungen, ob er irgendwo einen Artgenossen entdeckt. Zu sehen ist gerade keiner, und nur aus der Ferne bellt der Wachhund des Orangenbauers irgendetwas auf Spanisch aus der Plantage ganz unten im Tal. Die Berge der Umgebung spielen mit dem Geräusch fangen, pritschen es noch ein paar Mal hin und her. Hoover horcht. Er springt an mir hoch. Und versucht am Ohr zu knabbern. Was das diesmal wahrscheinlich heißen soll? Vermutlich so viel wie »Hurra, endlich da« und außerdem »Ist das schön hier! Wir zwei in den Ferien! Das alles werden wir gemeinsam erkunden! Und ganz viele Hunde kennen lernen!« Aber als Erstes schließen wir das schwarze Gitter-Rolltor zur Einfahrt auf, inspizieren das weiß gestrichene Ferienhaus am Hang und räumen bald danach das vollgepackte Auto aus.


Hund am Abgrund

Zuhause wohnen wir zu ebener Erde. Insofern ist Hoover nach kurzer Analyse der hiesigen Wohnsituation mit zwei Schlafzimmern, Abstellkammer, Bad, Küche und großem Wohn- und Essbereich lediglich irritiert darüber, dass er von der Veranda aus zwar den perfekten Überblick über Straße, Einfahrt, Auto und Umgebung hat, aber eben nicht schnurstracks in die Pampa sprinten kann. Er schaut mich verwundert an und nimmt die Treppe offenbar nicht als Ausgang wahr, die auf die eine Etage tiefer am Hang liegende Terrasse mit Pool führt, obwohl er bei Freunden durchaus Treppen steigt. Für ihn ist diese Veranda ein Balkon. Und auch auf meine Freigabe »Na, dann lauf, is’ gut« und den Fingerzeig Richtung Treppe reagiert er nicht.

Ich muss vorgehen. Und selbst dann wartet er noch, bis ich heil unten angekommen bin, ehe er vorsichtig eine Pfote vor die andere setzt und erst auf dem letzten Drittel der Stiege plötzlich beschleunigt. Gleich danach springt er wieder begeistert an mir hoch, als müsse er den kleinen Triumph, es sich getraut und dann auch noch geschafft zu haben, sogleich feiern.

Wie zur Bestätigung rennt er dieselbe Treppe, die eben noch ein Problem war, gleich noch dreimal hintereinander rauf und runter, um sich anschließend ganz auf die Terrasse zu konzentrieren und jeden Winkel abzuschnaufen. Bis er sich anderthalb Meter weit auf die vielleicht vierzig Zentimeter breite und aus so etwas wie schweren, breiten Gehwegplatten gebaute Balustrade des nierenförmigen Schwimmbads verirrt hat. Das an sich ist kein Problem, denn sie ist nicht nur begehbar, sondern durchaus auch als Weg gemeint, auf dem man den kleinen Pool umrunden kann. Ein schwarzes Gitter, das um die Hälfte höher als der Hund ist, sichert den Rand zum Abgrund hin ab. Und da hier einiges an Hang auszugleichen war, geht es vom Rand der Balustrade mehr als zwölf Hundshöhen in die Tiefe – etwa acht Meter –, ehe da unten wieder Macchia-Bewuchs mit Rosmarin, Disteln und einem kleinen Olivenbäumchen folgt.

Dieses Szenario scheint ihm plötzlich gewahr zu werden. So freudig er auf jene Balustrade gesprungen und losgelaufen ist, so unvermittelt bremst er, als er jetzt die mögliche Fallhöhe erkennt. Und nun steht er völlig versteift da und rührt sich nicht mehr. Kann nicht vor, nicht zurück. Er zittert. Aus eigenem Entschluss schafft er es in keine Richtung mehr. Kein Rufen hilft, zu keinem Rangieren kann er sich durchringen. Erst blickt er noch zur Seite durchs Geländer hindurch Richtung Abgrund, bald nur noch senkrecht auf die Platten. Ich muss aus der anderen Richtung um das große Planschbecken herum angelaufen kommen, ihm gut zureden und mit viel Kraft erst das eine Vorderpfötchen vom Boden lösen und zehn Zentimeter weiter hinten wieder abstellen, dann das andere, und ihn so Stück für Stück zurück manövrieren, bis er endlich nicht mehr zittert und sich den letzten halben Meter bis zu Terrasse selber zurückzieht.

Was für einen Schreck muss er bekommen haben. Und wie erleichtert er nun wirkt. Und was für einen Sicherheitsabstand der eigentlich so wasserbegeisterte Hoover nun vom Pool und der Balustrade hält! Fehlt nur noch, er signalisiert mir, dass er den Urlaub von nun an doof finde und jetzt nachhause fahren wolle. Ich beschließe, ihm die Gefahrlosigkeit jener Brüstung zu demonstrieren, und setze mich im Schneidersitz mit dem Rücken zum Geländer und damit zum Abgrund oberhalb der tiefsten Stelle hin. Er schaut geschockt – aus sicherem Abstand. Und überlegt wohl, wie er mich retten könnte, wenn er denn müsste. Ich stehe wieder auf, schlendere zweimal auf der Brüstung um den Pool und jogge ein drittes Mal denselben Weg entlang. Das reicht, um es ihn völlig unaufgefordert doch noch mal ausprobieren zu lassen.

Hoover schleicht sich an, traut sich nun wieder auf die Platten der Poolumrandung, setzt einen Schritt vor den anderen, erst ganz vorsichtig, dann in normalem Tempo. Und bald immer schneller. Seine Rute, die anfangs ängstlich herunterhing, ist nun wieder auf Normalposition. Der Knoten scheint geplatzt, sein Experiment geglückt: Man kommt hier tatsächlich aus eigener Kraft und ohne zusätzliche Sicherung entlang, ohne dass etwas geschieht!

Und er wäre nicht Hoover, würde er nicht gleich wieder vor Begeisterung überschäumen. Und vor Temperament. Deshalb nimmt er die Runde jetzt im Galopp, danach sofort die zweite. Und dann das: Er rutscht in Schräglage in der Kurve aus vollem Lauf aus und platscht mit viel Krach und reichlich Spritzern in den Pool. Ich muss lachen, und gleichzeitig bin ich erschreckt. Denn die Brüstung ist von der Wasserseite aus für einen schwimmenden Hund zu hoch, als dass er sich dort aus eigener Kraft wieder mit den Vorderpfoten heraushebeln könnte. Jetzt laufe ich zu der Stelle, von der aus drei gemauerte Treppenstufen ins Becken hineinführen, knie mich dort hin, rufe ihn. Er kommt mit einer Schleppe aus reichlich Spritzwasser angeschwommen, steigt über die Stufen als einzig möglichen Ausgang wieder aus dem Wasser, um sich gleich darauf unmittelbar neben mir so gewaltig zu schütteln, als könnte er das eigene Fell mehrfach und ganz schnell hinter einander um den eigenen Leib rotieren lassen.

Die Sache hat Wirkung. Er ist fast aus dem Stand wieder trocken. Und ich bin klatschnass. Macht nichts. Bei 22 Grad an einem Frühsommertag im Januar ist das nicht schlimm. Hoover unterdessen findet das alles nun sichtbar lustig, hat die Oberfläche der langen schwarzen Schnauze in Falten gelegt, als würde er grinsen.

Er wird die ganze Reise über nie mehr geordnet in den Pool steigen. Hineinfallen wird er auch nicht. Aber drumherum laufen noch sehr oft, mit größter Selbstverständlichkeit, ohne jede Sorge. Und er wird da sitzen und schauen, wo ich an diesem ersten Aufenthaltstag für einen kurzen Moment im Schneidersitz saß. Als ob genau diese Stelle energetisch ganz besonders aufgeladen sein muss. Und manchmal werde ich das Polster der Gartenliege hinter mir her auf die Brüstung zerren, weil dort am Nachmittag noch länger Sonnenlicht ist als auf der eigentlichen Terrasse, und das Polster alsbald mit einem schwarzen Flat Coated Retriever teilen, dem dieser Platz ebenfalls richtig gut gefällt.

Die erste Nacht in der Fremde

Hoover glaubt offenbar, im Urlaub seien Regeln durch proaktives Tun neu verhandelbar. Als ich am ersten Abend einigermaßen müde in T-Shirt und Boxershorts aus dem Bad ins Ferienhaus-Schlafzimmer schlurfe, sehe ich im matten Schein der Nachttischlampe dies: Da liegt ein großer schwarzer Retriever quer im Bett und vereinnahmt etwas mehr als die untere Hälfte. Ganz kurz hebt er den Kopf ein paar Zentimeter, schaut flüchtig auf und sein schläfriger Blick scheint so etwas wie »Ach, Du bist’s bloß. Komm endlich. Ich schlaf schon« zu sagen. Gleichzeitig kommt mir dieser Augenausdruck, die ganze Inszenierung irgendwie einstudiert vor. Als wüsste er genau, dass da gerade etwas aus dem Ruder läuft und es dennoch nur ein wenig Schauspielkunst und guter Choreografie bedarf, um damit durchzukommen. Schließlich sind irgendwie ja Ferien.


Dabei gilt grundsätzlich die Regel, wonach der Hund durchaus mit ins Bett darf, weil er so schön kuschelig ist, einen sehr ruhigen Schlaf hat, deshalb über Stunden kaum jemals die Position ändert. Und weil wir ein Rudel sind. Seit der Zwischenübernachtung in Frankreich haben sich die Regeln offiziell nicht geändert. Alles, was dort war, war eine Ausnahme: Er darf niemals alleine ins einzige Bett, niemals vor mir. Es bleibt mein Bett. Und er darf auf Signal am Fußende zusteigen, wenn ich drin bin und es mir gemütlich gemacht habe.

Ich bin sicher: Er weiß es noch immer ganz genau. Er probiert es einfach aus. Und mir bleibt nichts anderes, als darauf zu pochen, hier der Hausherr zu sein. Also: aufstehen, raus da, runter muss er. Los jetzt. Runter! Er schaut. Er zögert. Er grunzt. Er verlagert sich, rutscht ein Stück. Ich warte, sage nur noch mit strengstmöglichem Tonfall: »Jetzt!« und zeige erst auf den hochflorigen gelb-roten Läufer neben dem Bett und dann auf das mitgereiste Hundekissen in der Ecke. Er stöhnt noch mal so etwas wie in genervtes »Oh, Mann!«, rückt erst noch ein Stück zur Seite, wartet ab. Und steigt schließlich aus.

Ich kuschele mich in mein Bett und unter meine Bettdecke. Er steht derweil daneben, schaut genau und macht keine Anstalten, eigenmächtig wieder zuzusteigen – bis ich »Is’ gut, jetzt komm« sage und er sich wohlig-warm neben mein rechtes Bein wirft. Ab und zu müssen wir die Hierarchie neu ausfechten. Es klappt recht gut. Und ich bin froh, dass er wieder da ist, denn Winternächte in einem spanischen Ferienhaus ohne richtige Heizung können nicht nur sehr kühl sein, sie sind es auch. Und kaum etwas hilft besser gegen kalte Nächte als ein gut durchbluteter Retriever in unmittelbarer Nähe.

Dreimal wache ich diese erste Nacht davon auf, dass mein Hund kurz »Wuff« im Bett sagt, als wollte er mich möglichst diskret darüber informieren, dass irgendetwas anders als üblich ist. Beim ersten Mal höre ich draußen immer wieder ein Käuzchen rufen und sage zu Hoover »Alles gut, ganz fein«, was ihn stets sogar aus höchstem Alarm in die Normalität zurückholt. Wenn ich Neues so eingeordnet habe, gehört es für ihn fortan zum Alltag. So war es als Welpe bei seinem ersten Gewitter, später beim ersten Spielmannszug, der zuhause am Haus vorbeizog. So war es im Etappenhotel bei den Korridorgeräuschen. Beim zweiten Fall in dieser Nacht sind es dicke, schwere Regentropfen eines kurzen Schauers, die ihn alarmieren, als sie vernehmlich und dann doch in irgendwie meditativem Rhythmus auf die Dachziegel über uns trommeln.

Ein weiteres Mal wache ich auf, weil mein Hund hellwach im Bett sitzt und so tieftönig und bedrohlich knurrt, dass die Matratze in derselben Frequenz mitzuschwingen scheint. Diesmal gehe zum Fenster und schaue nach dem Rechten. Der Bewegungsmelder muss ausgelöst haben, denn die Veranda gleich neben dem Schlafzimmerfenster ist in Flutlicht getaucht – und mitten auf den Fliesen sitzt eine weiß-braune klatschnasse Katze, die ähnlich irritiert schaut wie wir. Ich schalte den Strahler aus, sage »Alles gut« zu Hoover und wir gehen wieder schlafen, bis irgendwann so gegen Viertel nach acht der neuen Morgen »Hallo« sagt und die ebenfalls wiedererweckte Sonne durchs Schlafzimmerfenster aufs Fußende strahlt. Der Regen der Nacht hat sich offenbar längst davon gemacht.

 
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