Bomben, Bickbeeren, Besatzung

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Bomben, Bickbeeren, Besatzung
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Bomben, Bickbeeren, Besatzung
Eine Kindheit im Schatten der Nazis und des Krieges

von Helga Borchelt

Inhalt:

Geburt mit Komplikationen

Eine neue Wohnung

Unbeschwerte Kindheit

Beginn der Schulzeit

Kriegsausbruch

Im Lager

Bombenangriff

Genesung

Flucht

Kriegsende und Besatzung

Nachwort

Anhang

Impressum

Kapitel 1 - Geburt mit Komplikationen

Meine Geburt am 13.8.1931 in Osnabrück war leider mit Komplikationen verbunden.

Der behandelnde Frauenarzt hatte meine Mutter in die Klinik eingewiesen. Dort wurde die werdende Mama zu Bett gelegt, die Geburt sollte am nächsten Morgen eingeleitet werden. Doch als es am Abend plötzlich zu starken Blutungen kam, musste alles sehr schnell gehen. Meine Mutter wurde in den Kreißsaal gebracht und kurz darauf kam ich per Kaiserschnitt zur Welt, ein kleines Mädchen von nur 3 1/2 Pfund.

Leider musste Mutti noch lange in der Klinik bleiben, bis sie wieder ganz gesund war. Darum kam ich in die Obhut meiner Tante Christine.

In den Küchen hatte man damals noch keine Elektroherde, sondern große "Kochmaschinen", die mit Holz oder Kohle befeuert wurden, sie waren Heizung und Herd zugleich. Da ich sehr klein und schwach war, legte Tante Christine mich in einen kleinen, gepolsterten Karton und schob mich in den vorgewärmten Backofen, dessen Tür natürlich offen blieb. So päppelte mich die Tante auf, während man in der Klinik bemüht war, die Mutti wieder auf die Beine zu bringen. Wochen später waren wir beide endlich daheim. Dort hatten mein achtjähriger Bruder Hans-Gerd und meine vierjährige Schwester Hannelore schon sehnsüchtig auf uns gewartet.

Getauft wurde ich auf den Namen Helga Christa. Der Name war sehr modern und manche Verwandten empörten sich darüber.

Eine große Sorge für meine Eltern war, dass ich so klein bleiben könnte. Ängstliche Verwandte äußerten immer wieder Sätze wie: "Helga wird nicht groß!" "Helga ist ein Liliput!" Zum Glück bestätigten sich diese Befürchtungen eines Kleinwuchses nicht! Ich wurde zwar nicht besonders groß, erreichte aber mit 1,54 mtr. immerhin eine "normale" Größe.

Außerdem hatte ich braune Augen und dunkle Haare und sah so ganz anders aus als meine Geschwister. Sie waren alle blond. Auch mein Charakter unterschied sich schon früh von dem meiner Geschwister, die alle viel vom Wesen unseres Papas geerbt hatten.

Mutti (geboren 1901) war als jüngstes Kind von vier Mädchen in einem sehr guten Hause aufgewachsen. Meine Oma mütterlicherseits war Damenschneiderin mit eigenem Atelier und mehreren Angestellten gewesen. Ihre vier Töchter hatte sie immer auf das Feinste herausgeputzt mit schicken Kleidern und passenden Hüten. Und sie war Linkshänderin*, was ich von ihr vererbt bekam.

Mit uns Kindern hatte Mutti viel Arbeit und Mühe auf sich genommen. Sie kochte das Essen, putzte die Wohnung und wusch die Wäsche, sie nähte und strickte für uns alles selbst und hatte sogar noch Zeit, mit uns zu spielen. Die Spiele, Lieder und Gebete brachte sie uns mit Spaß und viel Liebe bei.

*Linkshänder zu sein, war damals noch ein Makel und wurde den Kindern "abtrainiert". Im Kapitel 4 gehe ich noch näher darauf ein

Papa war Kellner von Beruf und musste natürlich auch am Wochenende arbeiten, daher war er selten zu Hause. Er stammte aus Nordhorn, einer Stadt an der holländischen Grenze. Von fünf Kindern war Papa das älteste gewesen, gerne wäre er Förster geworden, aber es kam anders.

Im Oktober 1934 kam meine Schwester Ingrid zur Welt. Ingrid ist immer kränklich gewesen und wurde daher von Mutti oft in Schutz genommen. Hannelore dagegen hatte ein etwas steifes Wesen und war von je her sehr verschlossen, mit ihr habe ich mich zwar oft gezankt, jedoch auch immer schnell wieder vertragen. Hans-Gerd war ein treuer Bruder, der immer eine Überraschung für seine kleinen Geschwister bereit hatte. Uns alle verband Geschwisterliebe, und je älter wir wurden, desto weniger stritten wir uns.

Wenn Papa mal an einem Sonntag frei hatte, war das für uns ein besonderer Freudentag. Mutti und Papa machten uns fein und dann ging es hinaus ins Grüne. Wir freuten uns an der schönen Natur und erst abends kehrte die ganze Familie erschöpft und hungrig zurück.

Manchmal gingen wir auch in die Stadt und kehrten zum Essen in ein Lokal ein, wo Papa den Wirt gut kannte. Dann sagte er zu uns „Kinder, esst das Fleisch, alles andere ist nicht so wichtig.“ Das war für uns ganz toll, zumal wir in einem separaten Raum saßen.

Kapitel 2 - Eine neue Wohnung

Bevor ich nun mein weiteres Leben im Schatten des 2. Weltkrieges schildere, will ich kurz meinen Geburtsort Osnabrück beschreiben.

Früher führte eine Fernhandelsstraße an einer Furt über die Hase, dort trieben auch die Bauern ihre Ochsen über den Fluss. Später wurde an dieser Stelle eine Brücke errichtet. So soll der Name aus den niederdeutschen Wörtern "Ossen" (Ochse) und "Brügge" (Brücke) entstanden sein.

780 wurde die Stadt von Karl dem Großen als Bischofssitz gegründet. 1575 wurde Osnabrück von der Pest heimgesucht und etwa 75 Prozent der Bevölkerung fielen dieser Krankheit zum Opfer. 1648 wurde dann in den Rathäusern der Stadt Osnabrück und Münster der Westfälische Friede geschlossen, an den noch heute alljährlich am 25. Oktober das sogenannte Steckenpferd-Reiten erinnert. Nach vielen Katastrophen wie Hungersnöten, Feuersbrünsten und Kriegen wuchs mit der Industrialisierung die Einwohnerzahl bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts auf mehr als 50.000, heute sind es über 160.000. Von den alten Stadtbefestigungen säumen heute den Stadtring noch 7 Türme, zwei Mauern und eine Wallanlage.

Der Dom, viele Kirchen und Fachwerkhäuser mit wunderbaren Giebeln zieren die Stadt und geben ihr eine besondere Note.

Ringsherum ist Osnabrück von Wäldern und Bergen (den Ausläufern des Wiehengebirges und Teutoburger Waldes) umgeben.

1935 zogen unsere Eltern in den Stadtteil Schinkel. Dort hatte Hitler damals Häuser für kinderreiche Familien bauen lassen. Wir wohnten mit vier anderen Familien in einem Haus. Hinter unserem Hause besaßen wir einen großen Garten mit einer Gartenlaube. Die hatte Papa sofort gebaut, nachdem er das Grundstück gepachtet hatte.

Unsere Wohnung bestand aus einer Wohnküche, zwei Schlafzimmern und einem Bad sowie einer Speisekammer. Im Bad gab es aber nur eine Toilette, später hat mein Bruder Hans-Gerd, der Installateur und Klempner lernte, das Bad mit einer Dusche und einer großen Wanne aus Blech versehen, darauf waren unsere Eltern sehr stolz.

Während des Umzug zur Thomasburgstraße sollten Hannelore und Hans-Gerd auf Ingrid und mich aufpassen. Aber in einem unbeobachteten Moment machte ich mich selbständig. Eilig trugen mich meine Füße vom Elternhause fort, immer weiter und weiter. Erst war ich neugierig, doch als ich die Häuser nicht mehr kannte wurde mir langsam bange. Ich wusste nicht mehr, wo ich war und wie ich wieder nach Hause kommen sollte. Ich wurde immer erschöpfter und rief ängstlich nach der Mutti, bis ich zu weinen begann. Erst nach drei Stunden fanden mich meine Eltern weinend auf den Armen eines netten Herren und waren froh, ihren "Reißaus" wieder zu haben. Als ich einige Jahre später noch einmal verschwunden war, fanden mich meine Eltern in einem Gartenhäuschen wieder, in das ich vor Angst hineingelaufen war.

Mit uns im Haus an der Thomasburgstraße wohnte ein Sattler mit seiner Familie. Er hatte seine Werkstatt in dem langen Flur, der zur Toilette führte, dort sahen wir ihm oft bei der Arbeit zu. Er reparierte auch Schuhe, fertigte Gürtel an und Taschen.

Unsere Flurnachbarn waren Langemeyers und in dieser Familie fand ich meine beste Freundin Waltraud. Sie war im selben Alter wie ich und wir wurden unzertrennlich. Wir nannten sie Waltraud Nr. 1, denn zu unserem Kleeblatt gehörte noch ein Mädchen namens Waltraud, die wir folglich Waltraud 2 nannten. Wir alle besuchten später gemeinsam den gleichen Kindergarten.

Im Keller des Mehrfamilienhaus gab es eine Waschküche*, die reihum benutzt werden durfte. Wenn unsere Waschwoche war, stand Mutti den ganzen Tag dort. In einem großen Waschkessel kochte sie die Weißwäsche. Dabei musste Mutti die Wäsche im Bottich die ganze Zeit umrühren. Es entstand auch viel Wasserdampf und die Luft in der Waschküche war feucht und stickig. Nach 1-2 Stunden holte sie die Wäsche mit einem Schlegel oder Bleuel (langer Holzlöffel) heraus und spülte sie mehrere Male im kalten klaren Wasser. Wir Mädchen wuschen in kleinen Wannen stundenlang Socken und Strümpfe.

*Das Aufheizen des Kessels mit dem Waschwasser dauerte sehr lange und so brauchte man den ganzen Tag für die Wäsche. Die Bezeichnung Waschküche kommt wohl daher, dass der wichtigste Teil dort ein gemauerter Ofen mit eingemauerter Wanne war. Im Ofen wurde mit Holz oder Kohle ein Feuer gemacht, dass den Waschkessel erhitzte. Außerdem benötigte man mehrere Zinkwannen zum Ausspülen der mit Soda oder Schmierseife gekochten Wäsche. Im Boden der Waschküche befand sich ein Wasserablauf.

 

Damit uns die Zeit nicht zu lang wurde, sangen wir zusammen mit Mutti Volkslieder. Bei gutem Wetter kam die Wäsche draußen auf der sogenannten Bleiche auf die Leine, bei schlechtem wurde sie auf dem Dachboden aufgehängt.

Gruselig war für uns der Keller und schickte Mutti uns einmal dort hinunter, sangen wir laut, bis sich der Riegel der Kellertür wieder hinter uns ins Schloss schob. Wir lugten immer angstvoll in jede Ecke hinein. Wenn alles still blieb, huschten wir schnell vorbei. Mutti hat aber nie von der Angst erfahren, die wir im Keller verspürten.

Manchmal nahm mich mein großer Bruder mit in den Keller, dann hatte ich keine Angst dort. Mutti hatte Mäuse gesehen und die wollten wir fangen, wie er sagte. Mit einem Stock versuchte ich, ein Mäuschen zu erhaschen, aber die kleinen Nager waren viel zu schnell.

Auf dem Dachboden dagegen tummelten wir uns gerne, denn er war hell und es gab viele wunderbare Verstecke. Einmal, als mein Bruder etwas recht Böses angerichtet hatte, versteckte er sich auf dem Boden, und unser Papa suchte ihn bis tief in die Nacht hinein. Er hatte ihm längst verziehen, aber Hans-Gerd kam nicht aus seinem Versteck, und wir Kleinen verfolgten ängstlich jeden Schritt, den unser Papa auf dem Dachboden tat. Wir hatten immer sehr viel Respekt vor unserem Vater und auch ein bisschen Angst. Vater brauchte nur auf seine am Küchenschrank hängende Lederpeitsche zeigen, da waren wir sofort die allerliebsten Kinder.

Alle paar Wochen kam ein Wagen von "Doktor Oetker", die damals schon Pudding und Nährmittel herstellten, in unsere Straße. Dann wurde, wohl aus Werbezwecken, kostenlos Pudding verteilt. Wir Kinder drängelten uns um den Wagen. Jedes Kind bekam einen kleine Pappschüssel mit Vanillepudding, das war eine tolle Sache – der Pudding schmeckte wundervoll, und wer wollte bekam auch einen Nachschlag.

Wenn Mutti in die Stadt musste, um Besorgungen zu machen, hatte Hans-Gerd auf seine kleinen Geschwister aufzupassen. Einmal wollte ich ihm nicht gehorchen. Kurzer Hand nahm er mich und hängte mich mit meinem Kleidchen an einen Garderobenhaken, es machte „ratsch“ und ich landete auf dem Fußboden. Weh getan habe ich mir dabei nicht, aber das Kleidchen war natürlich zerrissen. Schnell zog er es mir aus und legte es im Kleiderschrank in die hinterste Ecke. Als Mutti später das kaputte Kleid entdeckte habe ich ihn nicht verraten.

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