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Heinz Ruch

Noleens große Reise - Teil 2

Abenteuer Australien

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Inhaltsverzeichnis

Titel

30. Oktober ‒ 17. November Sydney-Lakes Entrance

18. ‒ 26. November Melbourne

26. November ‒ 10. Dezember Melbourne-Alice Springs

Mittwoch 4.12. San Francisco

Yurala Australien 8 Uhr 24

12. Dezember England ‒ London

21. Januar Frankfurt

29. Januar London ‒ bei Lisa Summer

Hotel Park Suites, Zimmer 106

Bei Lisa Summer

Hotel Park Suites, Zimmer 106

Hotel Park Suites, Rezeption

Bei Lisa Summer

Hotel Park Suites

Impressum neobooks

30. Oktober ‒ 17. November Sydney-Lakes Entrance

»Bist du dir bewusst, dass dies nun ein Abschied von unseren Freunden ist, vielleicht für immer?«, sagte Noleen über die Koffer gebeugt und den Reißverschluss zuziehend.

»Es macht mir gewiss einige Probleme. Ich habe mich an das Leben auf dem Schiff gewöhnt und werde viel vermissen. Es war ein schönes Erlebnis«, sagte Oliver. »Jetzt, wo es unser letztes Frühstück werden wird, ist mir ganz mulmig zu Mute.«

»Mir geht es gleich. Ich könnte weinen. Es war eine herrliche Zeit«, antwortete Noleen.

»Wir müssen uns sputen. Die andern werden sicher schon längst im Restaurant sein und sich wundern, wo wir bleiben.« Oliver nahm sie bei der Hand und zog sie aus der Kabine.

Es gab ein Hallo als sie in das Restaurant traten. Alle Köpfe drehten sich ihnen zu und Rufe des Willkommens wurden laut. Kaum dass sie sich gesetzt hatten, trat Kapitän Wilson in das Restaurant Orion: es war viertel vor acht. Augenblicklich kehrte Stille ein. Alle Gäste schauten verwundert auf ihn. Dies war noch nie geschehen, nicht um diese Zeit. Er steuerte den Tisch von Noleen und Oliver an.

»Ich will mich noch definitiv von euch verabschieden. Gestern war Jubel Trubel Heiterkeit und ihr seid plötzlich nicht mehr anwesend gewesen ‒ ich bin wegen eines Streites zweier Passagiere in die Andromeda-Lounge gerufen worden. Zum Glück treffe ich euch hier. Habe hier meine Karte, die ich euch gerne gebe – für weitere Kontakte. Es würde mich freuen, von dir Noleen zu hören. Und du Oliver bist jederzeit als Bordpolizist willkommen ‒ er lachte ‒ Bei allem Ernst, ich wünsche euch Beiden einen schönen Aufenthalt in Australien. Das wollte ich noch nachholen. Auf Wiedersehen. Und nicht vergessen, den Bericht möchte ich gerne lesen.«

»Ich werde dir ein Exemplar zustellen. Arthur, es hat mich gefreut, als Gast auf deinem Schiff gewesen zu sein. Danke für die Glückwünsche. Ich wünsche dir eine gute Weiterfahrt und danke für alles«, sagte Noleen.

»Wer weiß, dein Angebot könnte ich, falls alle Stricke reißen und ich erneut auf Flucht muss, irgendeinmal annehmen und als Bordpolizist eine ruhige Kugel schieben. Spaß bei Seite: Es war eine schöne Zeit auf deinem Schiff. Ich werde mich erinnern, überall wo ich bin, wird diese Zeit mir in Erinnerung bleiben. Ich wünsche dir alles Gute«, sagte Oliver.

»Ihr werdet von Roger zur Ladeluke geführt. Er wird sich demnächst bei euch auf der Kabine melden. Tschüss.«

»Oh«, sagte Anders, als Wilson gegangen war, »verabschiedet vom Kapitän persönlich. Das kommt nicht jedem zu Gute. Und noch per du.«

»Das ist eine große Anerkennung. Schade, dass wir euch verlieren«, meinte Hanne, ihre Stimme klang traurig. »Das war unser letztes Beisammensein. Dürfen wir euch in London besuchen?«

»Ihr seid jederzeit herzlich willkommen ‒ jedoch, erst müssen wir sesshaft werden. Und das kann dauern«, sagte Noleen. »Wir sollten auf die Kabine gehen. Wenn Roger kommt, müssen wir bereit sein«, wandte sie sich an Oliver.

»Keine Angst. Er hat gesagt um viertel nach. Um halb neun ist der Wagen bereit. Hanne, auf ein Wiedersehen und euch alles Gute«, sagte Oliver, gab ihr Küsschen links, Küsschen rechts und verabschiedete sich von Anders. Noleen verabschiedete sich herzlich. Hanne wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

Sie winkten den anderen Freunden zu; von ihnen hatten sie sich am Abend zuvor verabschiedet. Für Noleen und Oliver endete die Kreuzfahrt und es begann ein neues Abenteuer.

Der Kastenwagen fuhr vor das Westin Sydney und parkte vor dem Eingang. Es war vor neun Uhr. Die Frau in Uniform, die vor dem Eingang stand, schritt zum Fahrer.

»Sie können hier nicht halten. Bitte, fahren Sie weiter. Der Liefereingang ist auf der Seite«, sagte sie.

»Einen Moment. Ich fahre gleich weiter. Muss eine spezielle Fracht entladen«, antwortete der Fahrer und lachte. Die Frau protestierte.

Er ging nach hinten und öffnete die Hecktür.

»Lady und Gentleman, wir sind beim Hotel.«

Er reichte Noleen, die sich von ihrem unbequemen Sitz auf dem Koffer erhob, die Hand. Oliver nahm ihre zwei Koffer und stellte sie, nachdem Noleen ausgestiegen war, nach vorn und ebenso seinen. Der Fahrer hievte sie auf die Straße. Oliver stieg aus und reckte sich.

»Zum Glück war es nicht weit«, sagte er und überreichte dem Fahrer ein Trinkgeld. »Vielen Dank für das Fahren.«

»Okay und guten Aufenthalt«, sagte dieser und zur Hotelangestellten: »Sie sehen, ich bin weg.«

Ihr war bei der Entladung der Fracht vor Staunen der Mund offen geblieben. Auf diese Art war noch niemand im Westin abgestiegen.

Noleen und Oliver standen auf der Straße und bestaunten das Hotel, das in seinem viktorianischen Baustil vor der modernen Architektur des im angebauten Hochhauses in einem akzeptablen Kontrast stand.

»Nadine hat uns in einen komfortablen Palast einquartiert. Die hat es gut gemeint mit uns«, sagte Noleen.

»Das ist ein prunkvolles Gebäude ‒ aus der alten Zeit noch. Schau dir diesen Kontrast zur Neuzeit. Es gefällt mir. Neu und alt – passt. Zukunft und Vergangenheit ergänzen sich gut«, fand Oliver.

»Es ist gut, dass sie das Alte stehen ließen. Es wäre schade, hätte man es abgerissen«, stimmte sie ihm zu.

Die Hotelangestellte stand nervös neben den Beiden und fragte: »Sie wollen ins Hotel?«

»Wir haben gebucht auf Scott.«

»Gut, einchecken geht erst ab 15 Uhr. Tut mir leid.«

»Oh, das wussten wir nicht. Was jetzt?«

Noleen war konsterniert.

»Können wir unsere Koffer einstellen?«, fragte Oliver.

»Das können Sie. Kommen Sie ‒ ich helfe Ihnen.«

Die Frau ergriff die beiden Koffer von Noleen.

»Warten Sie, ich nehme den einen«, sagte Noleen.

»Es geht. Folgen Sie mir«, sagte die Frau und schritt zum Eingang.

Sie wurden freundlich an der Rezeption begrüßt. Es sei kein Problem. Die Koffer wurden nach hinten gestellt. Sie fertigten die Formalitäten ab und Oliver erkundigte sich nach einer Bank, er wollte sein Geld, das er für die abgebrochene Reise erhalten hatte, los werden, es auf seinem Konto sicherstellen.

»Ich empfehle Ihnen die ANZ Bank. Die ist in Australien überall anzutreffen«, sagte die Frau.

»Was heißt ANZ?«, fragte er.

»Austraila-New Zealand Bank. Es ist eine gute Bank und sie finden die nächste gleich um die Ecke an der George Street, Nummer 388. Es ist nicht weit.« Sie schilderte den Weg.

»Ich habe noch eine andere Frage: Können Sie uns eine gute Autovermietung empfehlen?>«

Die Rezeptionistin sagte: »Eine gute? Moment ... , da kenne ich Rentalcars ‒ warten Sie ...« sie schaute in einem Verzeichnis nach. »... an der College Street. Das ist nicht weit von hier.«

Sie nahm einen Stadtplan, faltete ihn auseinander. »Hier, sehen Sie. Hier sind wir und hier ist die College Street.«

»Danke für Ihre Bemühungen. Ich habe es gecheckt. Wir werden nach 15 Uhr kommen. Ich wünsche einen schönen Tag«, sagte Oliver.

»Das wünsche ich Ihnen.«

»Hast du den Pass für das Hinterlegen des Geldes? Du wirst ihn zeigen müssen«, sagte Noleen.

»Keine Angst, ich habe beide eingepackt. Muss mich versichern, den Richtigen vorzulegen.«

»Welchen?«

»Natürlich Kohlmann. Es geht nicht anders, mein Konto lautet auf meinen Namen.«

Sie schlenderten durch die Straße und gelangten in die George Street und fanden die Bank auf Anhieb. Sie gingen hinein. Zwei Frauen wurden gerade bedient. Der dritte Schalter war frei. Oliver ging hin und erklärte, dass er das Geld, Euro seien es, auf sein Konto auf der Deutschen Bank deponieren möchte. Er zeigte seine Karte und unaufgefordert den Pass. Der Mann, Miller stand auf dem Kärtchen, schaute sich alles eingehend an und erklärte, er müsse wissen, woher das Geld stamme, wegen Schwarzgeld. Die Vorschriften seien streng. Oliver erklärte ihm, dass er die Reise auf der Aldebaran abgebrochen habe und für den Rest der Reise das Geld zurückerstattet erhalten habe. Leider alles in Euro. Er möchte nicht mit diesem vielen Geld in Australien herumreisen, zumal er es nicht benutzen könne. Er legte die Abrechnung von Frau Boese mit dem offiziellen Briefkopf der Aldebaran vor. Miller erledigte den Auftrag, nahm das Geld entgegen und gab Oliver eine Quittung. Er checkte die Richtigkeit und bedankte sich. Das Geld sei in zirka vier Arbeitstagen auf dem Konto.

Sie verließen die Bank und Oliver meinte, dass es ihm ohne dieses Geld wohler sei. Er erklärte, dass sie das Auto mieten und alle Reisevorbereitungen treffen sollten ‒ die Stadt würden sie nachher erkunden. Noleen stimmte ihm zu. Er habe im Moment von Städten genug; es sei eine Überreizung. All die Orte, die sie besichtigt hätten, habe seine Lust gedämpft. Das werde sie in ihrem Bericht anmerken, erklärte Noleen und Oliver fuhr fort: Auf der ganzen Reise brechen viele Eindrücke auf einen herein, dass man es kaum verarbeiten könne. Dieser Herr Ito in Tokio habe recht. Alles habe nicht im Hirn Platz. Sie hätten in mehr als neunzig Tagen siebzehn Städte besichtigt. Diese Erfahrung habe bestätigt, dass dies zu viel sei. Jedenfalls würde er eine solche Reise nicht mehr unternehmen.

»Willst du hier in Australien keine Städte besichtigen?«, fragte Noleen.

»Das habe ich nicht gesagt. Ich würde gerne die Natur erleben. Ich freue mich auf das Outback und das Campieren. Doch, wir werden Städte besichtigen.«

Noleen sagte, sie lebe gerne in London, das mit mehr als acht Millionen Menschen groß sei und knapp hinter Tokio rangiere. Als Stadtmensch, spiele die Größe keine Rolle. Oliver fand Frankfurt sei gerade richtig. Die Größe von 700'000 sei für ihn noch überschaubar.

»London wäre dir als Wohnort nicht vorstellbar?«, fragte sie.

»Mit dir zusammen wird die Stadt auf zwei Personen zusammenschmelzen. Ich kann überall leben wo du bist.«

»Schau, hier ist die College Street. Wie du die gefunden hast?«, staunte sie.

»Das war in meiner Tätigkeit als Polizist Alltag. Ein Blick auf die Karte und ich wusste wo. Das war in einem anderen Leben. Das Einprägen von Einzelheiten ist mir geblieben. Ich kann mich gut orientieren; habe scheinbar ein eidentisches Gedächtnis.«

»Was ist das?«

»Fälschlicherweise sagt man in der Umgangssprache fotografisches Gedächtnis. Das gibt es angeblich nicht. Man sehe kein Foto in Gedanken. Die Gelehrten streiten sich. Spielt mir keine Rolle. Ich kann es mir einfach gut merken.«

»Ich habe in dieser Beziehung Schwierigkeiten. Übrigens da vorne, schau, da ist die Autovermietung Rentalcars.«

»Sehen wir, was für einen fahrbaren Untersatz wir kriegen«, mutmaßte Oliver.

Eine Empfangsdame begrüßte sie freundlich und wies sie an Frau Chambers, die für sie zuständig sei. Es war eine kompetente Frau.

»Vorerst muss ich Sie fragen, ob Sie einen gültigen Führerausweis haben?«, sagte sie.

»Ohje. Ich habe hier den Ausweis aus Deutschland. Leider habe ich den internationalen Ausweis im Koffer im Hotel vergessen«, antwortete Oliver, den Ausweis aus seinem Portemonnaie klaubend.

»Sie benötigen eine englische Übersetzung. Leider kann ich Ihnen kein Auto vermieten. Das ist Vorschrift«, beharrte Frau Chambers.

»Ich habe den internatio...«

»Nehmen Sie das Auto auf meinen Namen. Ich habe den englischen Ausweis«, unterbrach Noleen und kramte ihren Ausweis aus der Handtasche.

»Damit ist es okay. Ich glaube Ihnen, Herr Kohlmann und trage Sie als Co-Fahrer ein. Die Verantwortung tragen Sie. Lassen Sie sich nicht erwischen.«

»Oh, Sie können mir glauben. Ich habe den Ausweis.«

»Gut, dies wäre geklärt. Wie lange wollen Sie mieten?«

»Wir denken bis anfangs Januar. Kann man am Schluss definitiv abrechnen? Wir werden hier in Sydney das Fahrzeug zurückgeben«, sagte Noleen.

»Kein Problem. Wir nehmen als Datum 4. Januar. Sind Sie länger unterwegs, wird das bei Abschluss verrechnet. Ist das in Ordnung?«, fragte Frau Chambers. »Okay, es geht noch darum«, fuhr sie fort, als die Beiden nickten, »was Sie im Sinn haben. Wollen Sie einen Campervan?«

»Nein, nein, wir möchten ein normales Auto mit gutem Kofferraum für unser Gepäck«, sagte Oliver.

»Sie wollen ins Outback, denke ich. Dann benötigen Sie unbedingt einen 4x4. Ich habe ein Modell, das ich Ihnen empfehlen kann, den Mitsubishi ASX. Kommen Sie, ich zeige ihn.«

Oliver fand das Auto gut geeignet und Noleen stimmte zu.

»Sind Sie Raucher?«

Beide verneinten.

»Das ist gut, das erlauben wir bei Mietwagen nicht. Im Übrigen sollten Sie unbedingt angegurtet fahren, die Bussen sind hoch ‒ 200 Dollar. An die Tempolimiten sollten Sie sich halten, die Kontrollen sind häufig und es kommt bei geringen Übertretungen teuer zu stehen.«

Sie gingen zum Vertragsabschluss. Die Miete belief sich für 70 Tage auf 2'800 Dollar ‒ alles inbegriffen.

»Wie ist es mit den Versicherungen?«, erkundigte er sich.

»In unserem Preis ist alles inklusive. Sie sind versichert ‒ bei Unfall, Verletzung Dritter und gegen Diebstahl ‒ nicht Ihre Habseligkeiten. Die müssen Sie separat versichern. Hier haben Sie alle Unterlagen. Ich lege sie in diese Mappe. Das wäre es. Hier müssen Sie noch unterzeichnen; besser Beide. Jetzt müssen wir das mit der Bezahlung regeln.«

Die Miete des Wagens war perfekt. Sie waren im Besitz eines fahrbaren Untersatzes, um damit ein riesiges Land auszukundschaften. Oliver wäre am liebsten sofort los gefahren. Sie bräuchten noch Zeit für die Vorbereitungen, und die wolle er gründlich machen, sagte er.

»Ist mir für den Moment genug. Fahren wir ins Hotel«, meinte sie.

»Nicht bevor ich eine gute Karte von Australien gekauft habe. Und wir müssen überlegen, was wir für das Outdoor-Leben alles brauchen. Zudem sind wir noch viel zu früh für das Hotel. Nützen wir die Zeit.«

Sie brauchten lange, um einen Parkplatz in der Mitte der Stadt zu finden, wo sie mehrere Stunden den Wagen stehen lassen konnten ‒ und teuer würde es kommen. Das Suchen nach einem Geschäft für Camping-Ausrüstung nahm viel Zeit in Anspruch. Es klappte. Sie waren im Besitz eines Zeltes, zwei Schlafsäcken und Kocher mit Zubehör, sowie Taschenlampen und sonstiges, was zum Campieren gebraucht werden konnte. Outdoor-Kleider für schlechtes Wetter besorgten sie sich. Und eines vergaß Oliver nicht: einen Wasser- und einen Benzinkanister. Das sei unentbehrlich im Outback, meinte er. Er fand eine gute Karte Australiens und gute Reiseführer für bestimmte Gebiete. Sie waren ausgerüstet für die Reise; jetzt könne nichts mehr schief gehen ‒ glaubten sie.

Vor 16 Uhr trafen sie im Hotel ein. Das Einchecken verlief schnell und unkompliziert. Sie wurden darauf hingewiesen, dass es ein Nichtraucherhotel sei, was sie begrüßten.

»Keine stinkende Zimmer«, sagte Noleen.

Das WLAN sei ausgestiegen, es funktioniere nicht und tue ihnen leid. Noleen bedauerte es, sie hatte gehofft, mit Lisa Summer endlich zu skypen.

Sie hatten ein Zimmer im 13. Stock. Es war groß und hell ‒ das Bad war enorm groß. Hier hatte man nicht an Platz gespart. Der Blick aus dem Fenster auf den Turm der alten Post, deren Gebäude den vorderen Teil bildete und der Ausblick auf die Stadt war grandios; die vielen Dächer der niedrigeren Häuser, die sich neben den höheren einschachtelten, lösten bei Noleen Gedanken wach. Was wohl unter diesen Dächern geschehe?

»Hier ließe sich länger leben«, sagte Oliver.

»Hast du dich für die Stadt entschieden?«

»Ach wo, nein nicht. Bis zum 2. November halte ich es aus.«

»Wenn es geht, besuchen wir eine Veranstaltung im Opera House. Nicht?«, fragte sie.

»Warum nicht. Das ist eine gute Idee. Wo können wir erfahren, was geboten wird?«, fragte Oliver.

»Ich habe unten in der Rezeption einen Aushang gesehen. Zurzeit werde der Barbier von Sevilla aufgeführt. Das wäre gut, findest du nicht?«

»Das ist eine Oper?«, fragte Oliver.

»Ja, von Rossini.«

»Opern sind nicht gerade mein Ding.«

»Oh, schade. Ich liebe Opern. Wir haben eine Unstimmigkeit.«

»Ich komme gerne mit dir. Es kann sein, dass sie mir gefällt. Ich weiß nicht, habe noch keine gesehen.«

»Und du sagst, du hättest die nicht gern. Du bist mir einer. Ich versuche zwei Karten zu besorgen«, sagte Noleen und verließ das Zimmer.

Oliver suchte die Australienkarte hervor, breitete sie auf dem Tisch aus und begann mit dem Studium der Reiseroute.

Nebenbei studierte er die Unterlagen des Hotels. Das Westin Sydney befinde sich in bester Lage. Von hier aus erreiche man zu Fuß die wichtigsten Attraktionen der Stadt, wie das Opernhaus, die Sydney Harbour Bridge und vieles mehr. Die Art Gallery von New South Wales sei der Inbegriff von Kultiviertheit und Eleganz. Sie befinde sich neben Royal Botanical Gardens und sei vom Hotel in knapp fünfzehn Minuten zu Fuß zu erreichen. Dort werde eine atemberaubende Sammlung australischer, europäischer, moderner Kunst, sowie Kunst der Aborigines ausgestellt. Oliver stellte fest, dass die U-Bahnstation Wynyard einen Häuserblock vom Hotel entfernt sei, und dass man die gesamte Stadt schnell erreichen könne – einschließlich der berühmten Bondi Beach, wo man den Surfern zuschauen könne,

während man am Boulevard entlang spaziere, hieß es in der Hotelbroschüre.

Noleen hatte zwei Karten besorgt und sie waren am Abend im Opera House gewesen. Oliver sagte nach der Rückkehr, dass ihm die Oper gut gefallen habe. Um Opernhäuser habe er einen weiten Bogen gemacht. Er könne sich weitere Besuche vorstellen. Man werde älter – und reifer, hatte Noleen eingeworfen.

In den nächsten zwei Tagen verbrachten sie die meiste Zeit in der Stadt, besuchten Museen, Galerien und die Art Gallery, wo sie von der Kunst der Aborigines begeistert waren, und in Parks verweilten sie. Sie machten am Tag vor der Abreise einen Ausflug in die Blue Mountains und besichtigten die Three Sisters ‒ angeblich ein Muss, wenn man in Sydney sei.

»Weißt du, was ich gelesen habe?« fragte Oliver, der am Tisch sitzend seine Unterlagen studierte, am Abend. »Aborigines leben seit mehr als 14'000 Jahren in den Blue Mountains. Zu jener Zeit war es kälter als heutzutage; im Winter waren die Blue Mountains schneebedeckt. In Höhlen und Felsüberhängen, die guten Schutz boten, findet man Knochen und Steinwerkzeuge als Beweis ihrer Besiedlung. Das ist enorm ‒ und sie würden, wenn nicht die Weißen sie stören würden, ihre Lebensweise heute noch pflegen.«

»Der Verlauf der Aboriginesgeschichte ist tragisch. Zum Glück laufen angeblich heute Bestrebungen, ihnen ein angemessenes Leben in ihrer Kultur zu ermöglichen. Die Europäer haben auf dieser Welt viel zerstört. Überall ‒ in Amerika, Afrika und hier in Australien. In Asien hatten sie eigenartigerweise scheinbar wenig Einfluss. Diese Völker waren trotzallem resistenter und leben heute noch meist in ihren gegebenen alten Kulturen ‒ die natürlich von den Errungenschaften von Wirtschaft und Technik beeinflusst werden.

Früher waren alle, die Siedler und Missionare, die in die neue Welt zogen, überzeugt, dass sie einer höher stehenden Zivilisation angehören, die das gottgegebene Recht hatten, mit den angeblich unterentwickelten Wilden fremder Gebiete nach Belieben verfahren zu dürfen ‒ abschlachten konnten sie sie. Überall wurden den Völkern die Lebensweisen Europas ohne Skrupel aufgezwungen. Viele Schäden an Fauna und Flora wurde angerichtet, wie hier in Australien. Die Einführung von Kaninchen, Katzen, Hunden, Füchsen, Pferden, Kamelen, Schafen und anderen fremden Tierarten und Pflanzen, veränderte viel, zum Nachteil des Kontinenten. Krankheiten wurden eingeschleppt.

Es hat lange gedauert bis die Aborigines halbwegs akzeptiert wurden. Das Kapitel ist noch nicht abgeschlossen. Wird andauern, weil die Weißen Vorurteile haben. Argwohn verhindert ein Näherrücken der Kulturen.

Wir sind ins Philosophieren geraten«, schloss Noleen.

»Das ist nicht schlecht, finde ich. Und mit dir ist es doppelt spannend. Morgen fahren wir los«, sagte Oliver.

»Du magst nicht warten bis du in Canberra bist.«

»Ich muss eine neue Identität haben. Ich will hier in Australien keine Spur legen. Die Mafia ist zu allem fähig. Und reise ich in England als Kohlmann oder Daum ein, könnten sie mich rasch ausfindig machen. Dem will ich vorsorgen.«

»Ist es nicht eine übertriebene Angst? Oliver, wollen wir den letzten Abend hier im Westin genießen? Gehen wir noch an die Bar?«, schlug Noleen vor.

Es wurde ein schöner sinnlicher Abend ‒ und spät schliefen sie eng aneinander geschmiegt ein.

Der Tag brach an, die Reise würde beginnen. Sie erwachten um sieben, machten sich fertig, packten ihre Utensilien, frühstückten und checkten um halb neun aus. Dann fuhren sie mit Noleen am Steuer auf direktem Weg Richtung Süden aus der Stadt. Und siehe da: Das Navi funktionierte nicht.

»Sollen wir zurück?«, fragte sie.

»Nein«, fand Oliver, griff zur Karte und lotste Noleen durch die Straßen. Sie erreichten den South Western Motorway und dieser führte zur Abzweigung auf den Hume Motorway, der sich Richtung Canberra schlängelte. Ungefähr dreihundert Kilometer lagen vor ihnen. Anfangs waren beide still, konzentrierten sich auf die Straßen, auf denen reger Verkehr herrschte und betrachteten die an ihnen vorbei gleitende Landschaft. Tiefliegende graue bis dunkle Wolken drohten Regen an. Je südlicher sie kamen, lockerten sich diese auf und als sie auf der Höhe von Mittagong waren, einer Kleinstadt, keine 10´000 Einwohner, hellte sich der Himmel auf.

»Wollen wir hier einen Halt einlegen?«, fragte Noleen.

»Ich denke noch nicht. Ich habe hier auf dem Routenplaner einen Eintrag, dass bei Marulan eine Raststätte direkt am Highway liege. Es sind noch 50 Kilometer und ist in der Hälfte der Wegstrecke nach Canberra. Hast du Hunger?«

»Oh, hungrig ist übertrieben, Lust hätte ich ‒ speziell wegen einer Tasse Tee würde ich eine Pause nicht verachten.«

»Ich ziehe Kaffee vor. Ich bin halt noch kein Engländer.«

»Zu spät, jetzt sind wir an der Ausfahrt vorbei. Dumm gelaufen.«

Schweigend fuhren sie weiter.

Als sie in die Gegend von Marulan gelangten, meinte Oliver nach einer langen Schweigephase: »Es ist gewaltig, diese Weiten, die Australien hat. Ich habe jetzt das Gefühl von Verlorensein in dieser Einöde. Ich finde mich winzig.«

»Einöde meinst du? Hier hat es massenhaft Bäume ‒ Natur pur; zwischendurch noch Häuser. Wenn man Einsamkeit sucht, dann dürfte es hier der Ort sein. Auf die Dauer nicht mein Ding. Ich bin gespannt auf das Weitere«, sagte Noleen.

»Australien ist flächenmäßig gewaltig. Ich lese da: Rund dreiundzwanzigeinhalb Millionen Einwohner und auf einen Quadratkilometer trifft es drei Einwohner ‒ da fühlst du dich allein im weiten Outback, zumal der größte Teil in den Städten lebt; zweiundneunzig Prozent sollen es sein. Das übrige weite Land ist sozusagen menschenleer. Wenn du dir das vorstellst: acht Prozent leben da draußen.«

»Das sind immerhin noch zwei Millionen.«

»Im Grunde genommen noch eine ansehnliche Anzahl ... Halt, da musst du links raus. Da vorne ist Hungry Jack's. Siehst du die Reklame. Da hat es zudem gleich noch eine Tankstelle.«

»Hungry Jack's, was soll das sein? Willst du auftanken?«, fragte Noleen.

»Nein, den Benzinkanister auffüllen möchte ich hier. Dann wäre dies mal getan. Schau, da vorne kannst du parkieren.«

Noleen parkte neben einem kleinen Laster. Der Fahrer war gerade daran auszusteigen und konnte, weil sie nahe war, seine Tür nicht richtig öffnen, und weil er zudem beleibt war, hatte er zu wenig Platz, um aussteigen zu können.

»Oh, entschuldigen Sie!«, rief sie durch das offene Fenster. »Ich stelle den Wagen zur Seite.«

Sie fuhr rückwärts und schuf damit Distanz.

»Ich bin halt zu dick«, scherzte der Mann.

Er stellte sich hinter seinen Wagen und wartete.

»Sie sind auf dem Weg nach Canberra, oder wollen Sie weiter nach Melbourne?«, fragte er an Noleen gerichtet.

»Wir fahren nach Canberra. Und Sie?«, fragte sie.

»Ich fahre den ganzen Weg runter nach Melbourne.«

»Dann haben Sie noch einen weiten Weg vor«, sagte sie.

»Um sieben am Abend werde ich dort sein. Finden Sie Canberra als lohnendes Urlaubsziel?«, wollte er wissen. »Es gibt weit schönere Orte, zum Beispiel an den Küsten.«

»Die Stadt ist laut Reiseführer ein beliebtes Touristenziel«, erwiderte sie.

»Ach, verstehe einer die Touristen. Sie kommen aus England, nicht wahr?«

»Mein Freund aus Deutschland.«

»Deutschland, von da habe ich einen Freund, mit dem ich surfe. Nicht im Internet, nein, in den Wellen an der Bondi-Beach.«

»Sie leben in Sydney?«

»Jetzt muss ich in das verdammte Melbourne runter. Habe einen Transport hin und zurück. Kommen Sie, wir gehen da mal rein.«

Oliver war der erste, der ins Lokal trat; ihm folgte Noleen und der Australier hinter ihr. Hinter dem Tresen stand ein großer, hagerer Mann, die graue Frisur wirr. Sein Blick verhieß nicht gute Laune. Noleen achtete sich ihm nicht, sondern studierte auf den Plakaten, was es zu konsumieren gab.

Der Australier ging zum Tresen und bestellte einen Meat Pie und eine Coke. Ohne ein Wort ging der Angestellte in den rückwärtigen Raum, holte den Pie, kam hervor und legte ihn in die Mikrowelle. In der Zwischenzeit hatte sich Oliver ebenfalls für einen Meat Pie entschieden. Der Mann überreichte dem Australier, der gleich noch bezahlte, das Gewünschte.

»Ich möchte das Gleiche, keine Coke, sondern ein Mineral«, sagte Oliver.

»Hätten Sie nicht gleich mit bestellen können? Warten und dann das Gleiche«, fauchte der Mann.

Oliver zog die Augenbrauen hoch, die Mundwinkel nach unten und schaute den Lasterfahrer an. Dieser zuckte die Schultern und lächelte.

»Da ist einer mies gelaunt«, sagte er.

Als der Angestellte den Pie Oliver überreichte und einkassieren wollte, sagte dieser, dass er dasjenige dieser Dame begleichen werde.

»Was wünschen Sie?«, fragte der Mann unwirsch.

Oliver schüttelte den Kopf.

»Ich möchte ein Sandwich ‒ sie zeigte auf die Dreiecksandwiches in der Auslage ‒ und dann noch einen Tee. Haben Sie Earl-Grey-Tea?«

»Wünsche haben die Leute. Natürlich haben wir Earl-Grey-Tea. Was meinen Sie wo wir sind?« Er sagte es in einem geharnischten Ton.

»Freundlicher wäre nicht schlecht«, sagte Noleen.

Der Mann warf ihr einen Blick zu, schnaubte und ließ das heiße Wasser in eine Tasse, knallte diese auf den Tresen und gleich verfuhr er mit dem Sandwich. Ihr kam es vor, als ob er das Fressen einem Tier zuwerfen würde. Oliver seufzte tief und bezahlte. Sie wandten sich den Tischen zu. Fünf Personen befanden sich im Raum, der kalt und dürftig wirkte. Der Lasterfahrer saß an einem Vierertisch.

»Ist's erlaubt?«, fragte Oliver.

»Natürlich, setzen Sie sich. Der Kerl da an der Theke ist unmöglich. Den würde ich feuern. Ist nicht gerade ein Werbeträger. Übrigens ich bin Bob, Bob Kensley. Ich habe zwei Laster ‒ einen Großen und den Kleinen draußen. In der Regel habe ich Aufträge rund um Sydney. Jetzt einen nach Melbourne und einen zurück. War ein Glücksfall. Die Geschäfte laufen nicht schlecht. Wenn man nicht zu groß ist, hat man wenig Unkosten. Einige Zeit hatte ich einen Angestellten, das zahlte sich nicht aus. Dafür ist man zu klein.

Sie wollen jetzt Australien bereisen? Ich rate Ihnen: Halten Sie sich an die Tempolimiten. Es kann schnell teuer werden ‒ und angeschnallt sollten sie sein. Die Cops sind scharf und machen dauernd Kontrollen ...«

Der Mann war ein Dauerredner. Noleen wurde er lästig, als er über Frauen am Steuer herfuhr.

»Sie glauben«, unterbrach sie ihn, »Frauen würden schlechter autofahren als Männer?«

»Lady, das ist eine Tatsache ...«

»Dann sind Sie der Ansicht, ich könne nicht gut fahren, nicht wahr?«

Bob wurde verlegen.

»Es gibt Ausnahmen, Sie müssen zugeben, dass Männer den Frauen überlegen sind ...«

»Das finde ich jetzt unverschämt und ich frage mich, ob Sie das Abbild des australischen Mannes sind. Da ist mal dieser unfreundliche Typ an der Theke und jetzt Sie. Ach ich mag nicht mehr weiter diskutieren.« Noleen war in Fahrt gekommen und aufgeregt trank sie die Tasse leer. »Komm Oliver, wir gehen. Ach, du hast den Pie noch nicht fertig gegessen, entschuldige. Ich rege mich auf, wenn Männer abschätzig über uns Frauen reden.«

Bob sah sie komisch an, schien nicht beeindruckt zu sein. Er verzehrte genüsslich seinen Pie.

»Übrigens, Sie haben Ihren Wagen zu nah an meinen geparkt. Ich konnte nicht aussteigen ...«

»Okay Noleen, ich kann im Gehen essen und trinken. Gehen wir. Bob Kensley, Sie müssen dringend ihr Frauenbild überdenken. Ich hoffe, Sie sind eine rare Spezies in Australiens Männerwelt. Frauen sind den Männern überlegen ‒ und dumme Männer von denen gibt es, wie Sie gerade gezeigt haben, halt überall.«

Sie wandten sich ab und verließen das Lokal. Bob saß steif auf seinem Stuhl und starrte ihnen nach.

»Hat mich dieser Typ jetzt aufgeregt!«, sagte Noleen draußen.

»Ich staune ‒ auf diese Art habe ich dich noch nicht erlebt. Der Mann ist was von blöd. Es war gut, dass du ihm entgegen hieltest, anderseits wird es bei ihm nichts nützen. Solche Männer hat es überall und die sind nicht belehrbar.«