Irrtum

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Irrtum

1  Irrtum

Irrtum

Nur wenig Licht gelangt von den weit herabgebrannten Kerzen des Tannenbaumes, der zwischen den dicht verhangenen Fenstern vom Boden zur Decke ragt, in die Ecke des großen altmodischen Gemaches, die das Kanapee einnimmt. Sein geblümtes, geripptes Damastpolster lehnt sich würdig gegen die dunkle Holztäfelung der Wand, wie es seit drei Menschenaltern getan hat, und die beiden Alten sitzen darauf, er und sie aufrecht nebeneinander, jedes in seiner Ecke, weder allzu nah dem andern, noch auffällig von ihm zurückgezogen – gerade so wie sie die vielen, vielen Jahre nebeneinander gelebt haben. Nichts ist zu vernehmen als der metallene Puls der goldenen Stutzuhr, an die sich die Porzellanschäferinnen mit ihren verblaßten Farben lehnen, drüben auf der Konsole des weitgeschweiften Eckschrankes; lange Zeit nichts, bis plötzlich der alte Mann den schräg auf gestützten Arm ganz auf die Lehne des Kanapees zurücksinken läßt; da knittert und raschelt das Papier in seiner Hand, daß es wie ein Zusammenschrecken klingt.

Doch zeigt die Haltung der beiden Menschen nicht mehr Unruhe als die Bewegung, mit der die alte Frau den Brief, der noch spät an diesem Weihnachtsabend für sie angekommen war, ihrem Manne zugereicht hat. Das ist geschehen, als sie sich, müde von der Bescherung und nachdem das Kind, ihre Enkelin, sich entfernt hatte, in ihren Ruhewinkel zurückzogen. Da hat der Alte seine Brille hervorgeholt und unter dem Licht der steifen weißen Lampe, die auf dem Seitentischchen steht, bedächtig die verschnörkelten Schriftzüge entziffert, die von einem Manne kommen, der seit fünfzig Jahren der Anwendung deutscher Zeichen nur wenig gewohnt gewesen und seine altmodische Schreibweise nicht verlernt hat.

Dann hat der Leser den grünen Schirm vor die Lampenkuppel gezogen, und in dem Halbdunkel, das ihren alten Augen und Seelen so wohltut, sitzen sie nun. und mit ihren langsamen vorsichtigen Greisengedanken denken sie an den Inhalt des Briefes und an das Schicksal ihres Lebens, das er berührt und wieder aufregt.

———

Cincinnati. USA, am 11. Dezember 188..

Meine liebwerte Freundin!

Befürchten Sie nichts von den Worten, welche folgen sollen, denn es wird nichts von dem heißen Atem der Leidenschaft, mit dem ich einst Ihre Seele zu entfachen mich vermessen, in ihnen sein. Sie werden still sein, und ich wünsche nur, daß sie nicht schon ein wenig hohl klingen möchten in dem Schatten, der vom Grabe her allgemach über uns wächst. Doch widerstehe ich nicht dem Bedürfnisse, Ihnen noch einmal von jenen Zeiten zu reden, die zugleich meine Seligkeit und meine Verdammnis enthalten. Warum ich es so plötzlich tun muß nach einer so langen Entfernung von Ihnen, nachdem ich nichts mehr zu kennen schien als meine Familie und meine Geschäfte? Vielleicht weil das Weihnachtsfest wieder einmal nahe ist, das fünfzigste seit jenem bedeutsamen, da wir uns zuletzt gegenüberstanden, nachdem vorher der andere so schrecklich zwischen uns getreten war. Vielleicht auch, weil ich im letzten Jahre durch das Hinscheiden meiner treuen Frau, durch den Wegzug meiner Kinder wieder einsam geworden bin und keine Gesellschaft mehr die Schleier zerreißen mag, in die mich die Erinnerung immer dichter einspinnt. Genug, ich habe mir heute abend an das Kaminfeuer, daran ich meine Füße wärme, ein Tischchen gerückt, auf dem ich niederschreiben will, wovon auch das Herz noch einmal warm werden mag.

Und zuerst das Geständnis, das zwischen uns unnötig und das mir doch von der Seele will: daß ich allein an allem schuld, was Sie und ich selbst erlitten; daß ich Ihre Güte verkannt und mit Undank gelohnt und den edeln Schmerz, den Ihnen mein Zustand bereitete, auch noch durch meine Handlungen ungerecht vermehrt habe. Denn Sie waren gütig und mitleidig, und das Mitleid herrschte in Ihnen in einem Maße vor, wie ich es in keinem anderen Geschöpfe je wiedererkannt habe. Sie fürchteten sich nicht vor meinen brennenden Augen, als ich mich Ihnen das erste Mal näherte, ich, der ich schon bei Ihrer Hochzeit von fern meine Flüche in den Segen hineingeschleudert hatte, der in der Kirche ausgesprochen ward. Freundlich plauderten Sie mit mir und schonten, mit der Sorgfalt einer Mutter, meine Empfindsamkeit, die in der Luft jener Zeit gedieh. Ich fühlte mich als Dulder Ihnen nah, glaubte unter dem gleichen Joch zu leiden wie Sie, deren Herr und Gebieter auch mein Vorgesetzter und Herr war. Seine Strenge gegen den Niederen und Armen und die Nichtachtung, die er dem gleichwohl nur wenig Jüngeren bewies, vergüteten Sie. So ward seine Überhebung zur Gefahr für mich, denn er sandte mich häufig genug an Abenden, wenn er Sie allein ließ, aus dem Kontor zu Ihnen hinauf, um Ihnen aufzuwarten. Wenn Sie dann dem Verwaisten von seiner einst angesehenen Familie sprachen, so träumte ich mich unter Ihrem trauten Lächeln als Page, der das Garn, das er Ihren schlanken Fingern hielt, auch wohl noch um sie beide, um ihn und die Prinzessin, zu winden hoffte, fest und unauftrennbar.

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