Im Schlaraffenland

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Er ließ den Blick über die Menge der Damen gleiten, ohne Frau Türkheimer zu finden. Dann trat er auf die Galerie hinaus und zog heimlich, ganz heimlich seine silberne Uhr. Es war kurz nach drei.

Langsam stieg er ins Vestibül hinab. Er brauchte jetzt nicht um seine Haltung zu sorgen, wie damals, vor fünf Stunden, als er diese Stufen emporstieg. Seine Sinne waren frei, er prüfte in den wandhohen, geschliffenen Spiegeln seine Miene und stellte fest, daß es diejenige eines Triumphators sei. Er vermochte jetzt den Duft und die Augenweide der hohen Heliotropsträucher, der Orchideen und der purpurnen Kaktusarten zu genießen, die an dem Geländer, aus durchbrochenem Schmiedeeisen entlang von Stufe zu Stufe sich türmten und die breite Treppe in einen hängenden Garten verwandelten. Auf dem Stiegenabsatz standen Ruhebänke, die in gepunztem Leder das Wappen des Hauses trugen: einen Türken, der den Säbel schwang. Andreas nahm hier einen Augenblick Platz und sah zwei Damen, die den Ball verließen, vorüberhuschen. Er verfolgte das Blitzen ihrer Brillanten und die gleißenden Reflexe des durch das Blättergeflecht fallenden Lichtes auf dem Atlas ihrer Kostüme, und er sprach leise vor sich hin: »Ich habe euch!« Er wußte übrigens nicht genau, was er sich bei diesem großen Worte dachte.

Im Weitergehen gab er sich vernünftigeren Erwägungen hin. In so einem Berliner Hause ließ sich an einem einzigen Abend eine Menge erleben. Er entfernte sich anders, als er gekommen war, um viele Erfahrungen und Kenntnisse bereichert, die er doch nicht allzu teuer bezahlt hatte. Er war mit Lizzi Laffé in einer unpassenden Situation zusammengerannt, und er hatte Asta Türkheimer auf die Schleppe getreten. Merkwürdig, sie kamen ihm wie zwei Feindinnen vor. Er hatte ferner im Gespräch mit den jungen Leuten hier und da ein peinliches Schweigen hervorgebracht, und er hatte vor den jungen Mädchen Furcht gehabt. Dies war der negative Teil seiner Erfolge. Der positive bestand darin, daß er von Frau Türkheimer gnädig behandelt worden war, so gnädig, daß es vielen zu denken gegeben hatte und daß man nicht wissen konnte, was daraus werden würde.

›Ich habe wohl Glück gehabt‹, sagte sich Andreas, ›aber wenn ich nicht auch Vorsicht und Überlegung besäße, und wenn ich nicht wüßte, was ich will, hätte ich dann wohl das da in der Tasche?‹

Und er tastete nach dem Tausendmarkschein.

Drunten in der Garderobe sprangen mehrere verschlafene Lakaien auf. Andreas konnte sich irren, aber er meinte zu bemerken, daß sie ihn diesmal mit einem gewissen Respekt behandelten. Vielleicht besaßen sie Übung darin, den Gewinner zu erkennen?

Nachlässig überreichte er dem, der ihm seinen Kragenmantel aus Loden umlegte, eine Doppelkrone, indem er heimlich bedauerte, kein Fünfmarkstück zu besitzen.

Als er unter dem Portal stand, rief ihm jemand nach:

»Sie! Sehr geehrter Herr, hörensemal!«

Kaflisch, vom »Nachtkurier«, kam im Laufschritt, lächelnd und winkend herbei. Er schob seinen Arm unter den des jungen Mannes.

»Gehen Sie schon nach Hause?« rief er. »Ich auch, das trifft sich ja reizend. Köstliche Sommernacht, was? Höchstens zwanzig Grad. Nehmen wir 'nen Wagen?«

In der ganzen Hildebrandtstraße erglänzte der Schnee von den Lichtern der Wagen, die in einer Doppelreihe von einem Gitter zum andern standen. Es waren meistens herrschaftliche Fuhrwerke. Als sie ganz hinten eine freie Droschke erster Klasse gefunden hatten, fragte Kaflisch:

»Wo wohnen Sie denn?«

Andreas rief seine bescheidene Adresse, die ihm jetzt mit seiner sozialen Stellung in schreiendem Widerspruch zu stehen schien, voll Ingrimm dem Kutscher zu. Der Journalist bat sich eine Zigarette von Andreas aus. Während er sie anbrannte, erkundigte er sich:

»Nun, wie gefallen Ihnen Türkheimers?«

»Ein recht nettes Haus«, meinte Andreas.

»Nicht wahr? Man ißt, spielt und mopst sich nicht mehr als unbedingt nötig. Ungeniert, mit freiem Eingang vom Flur, das ist die Hauptsache. Das übrige kann uns doch gleich sein.«

›Wieso‹?' wollte Andreas fragen, doch besann er sich. Es fiel ihm wieder ein, was er über sein Verhältnis zu Adelheid mit sich ausgemacht hatte. Frau Türkheimer war nicht auf eine Liebesinsel zu entführen. Sie würde aus der Umgebung des Tiergartens schwerlich herauszuheben sein, man mußte durchaus das Terrain kennen. Andreas machte sogar schon auf eine Stellung im Hause Anspruch, die ihm gewisse Pflichten und Rechte auferlegte. Dabei wußte er aber noch kaum, was das für ein Haus war.

»Türkheimer muß schauderhaft viel Geld haben«, bemerkte er. Kaflisch hüllte sich in Rauchwolken.

»Na, es geht«, sagte er. »Was er der Regierung von Puerto Vergogna nicht abgegeben hat, das hat er selbst behalten.«

»Puerto Vergogna?« fragte Andreas.

»Die liebe Unschuld! Soll ich Ihnen was zu Gefallen tun? Ich will Türkheimer bei nächster Gelegenheit erzählen, Sie hätten sein Geschäft mit Puerto Vergogna nicht gekannt. Das wird ihm unendlich wohltun, denn so einem ist er noch nicht begegnet.«

»Natürlich«, log Andreas, »habe ich davon gehört. Aber die Einzelheiten habe ich nicht ganz begriffen.«

»Ist auch nicht so leicht, wie Sie glauben. Mancher begreift's nie. Türkheimer ist eben ein großer Mann, das ist alles. Stellen Sie sich mal vor, daß Türkheimer mit dem Präsidenten oder Diktator der Republik Puerto Vergogna, der übrigens ein ausgebrochener Sträfling sein soll, dahin übereinkommt, das schöne warme Ländchen mit Eisenbahnen zu beglücken. Der Präsident macht Türkheimer zu seinem Generalkonsul und erteilt ihm die Konzession, Lose auszugeben. Diese wurden an der Berliner Börse nicht zur Quotierung zugelassen. (Türkheimer hatte damals noch keinen Hochstetten zum Schwiegersohn. Merkwürdig, wie weit wir es im Schutz der Dummen gebracht haben!) Aber in Wien ließ die Regierung mit sich reden. Na, Deutschland war doch der Hauptabnehmer der Stradas ferradas de Puerto Vergogna. Das deutsche Publikum hat nun mal 'ne rührende Vorliebe für wohlklingende Wertpapiere. Die ersten Prämien und Treffer sollen von der tropischen Republik sogar ausbezahlt worden sein. Aber als der Präsident von dem Ertrag der Emission, der auf siebzig Millionen geschätzt wurde, keinen Pfennig zu sehen bekam, merkte er, daß Türkheimer auch erfahrenen Sträflingen über sei, und sagte die Partie ab. Er fand die Eisenbahnen zum sittlichen und wirtschaftlichen Fortschritt seines Landes nicht mehr nötig, Puerto Vergogna stellte sich überdies als gänzlich pleite heraus, wofür Türkheimer doch offenbar nichts konnte, und das Deutsche Reich macht seitdem Vorstellungen bei der Republik. Es soll nächstens wieder mal ein Kreuzer hingeschickt werden, der deutschen Gläubiger wegen, und um der Welt zu zeigen, wie weit Deutschlands starker Arm reicht. Verstehnsemich, sehr geehrter Herr?«

»Also siebzig Millionen«, sagte Andreas nachdenklich.

»Nicht wahr?« rief Kaflisch begeistert. »Was für'n großer Mann! Ich sagte es ja immer, für uns moderne Literaten geht nichts über das Genie der Tat. Napoleon, Bismarck, Türkheimer!«

Er bat um eine zweite Zigarette und verfiel in Schweigen. Andreas' Gedanken blieben, ein wenig müde, bei Kaflischs letztem Wort stehen. Der Mann entdeckte also gelegentlich auch etwas wie ein literarisches Ideal in sich. Nun ja, das hatten die von der Tafelrunde im »Café Hurra« auch besessen, bevor sie sich irgendeinem Jekuser verdungen hatten, und gelegentlich des Nachts um drei, wenn sie gratis zu trinken erhalten hatten, kam es wieder zum Vorschein. Andreas ruhte nach allen Aufregungen des Abends wohlgefällig in der Überlegenheit des freien Dichters über den schreibenden Tagelöhner aus.

Kaflisch wischte die Scheiben ab; der Wagen bog in die Linienstraße ein.

»Ich muß wieder umkehren«, bemerkte er, »ich wohne Albrechtstraße.«

»Fabelhaft«, so begann er wieder, »was für'n Glück Sie heute abend gehabt haben! Sie haben wohl 'nen hübschen Batzen eingesackt, und ich bin doch nett zu Ihnen gewesen, daß ich Ihnen das Spiellokal gezeigt habe. Bitte, gern geschehen. Unter Kollegen tut man sich so was zuliebe, ohne Prozente zu verlangen. A propos, können Sie mir bis zum Ersten hundert Mark pumpen? Wenn Sie wüßten, wie schäbig der Jekuser zahlt. Es ist nicht zu sagen, daß ich seit sechs Jahren, daß ich mir bei ihm die Nägel kurz schreibe, immer bloß zehn Pfennig für die kleine Zeile bekomme. Und die weißen halben Zeilen zieht er ab!«

Andreas griff in die Tasche, bevor Kaflisch zu Ende war. Er reichte den Schein seinem Nachbar, der einen Augenblick verstreichen ließ, bevor er sich bedankte. Vielleicht hatte er nur zwanzig Mark erwartet.

Der Wagen hielt, und Andreas verabschiedete sich. Als er den Schlag hinter sich geschlossen hatte, ließ Kaflisch das Fenster herunter und rief ihm nach:

»Sie! Einen Moment! Mein kleines Geld langt nicht, Sie bezahlen wohl den Kutscher!«

VII.
Eine Marotte

Der Gedanke, mit dem Andreas gegen Mittag erwachte, galt dem Schneider Behrendt in der Mohrenstraße. Sollte er hingehen? In diesem Falle nahm er ein Geschenk von einer Dame an, mit dem erschwerenden Umstande, daß er diese Dame als seine zukünftige Geliebte ansah. Besonders schlimm war es, daß alle Adelheids Trick mit dem Schneider zu kennen schienen. Brauchte die Geschichte denn aber wahr zu sein? Er war fast berechtigt, nicht daran zu glauben. Und wenn er den Betrag seiner Rechnung bezahlte, war er keineswegs verpflichtet, sich darum zu bekümmern, ob sein Schneider von anderer Seite, etwa von Frau Generalkonsul Türkheimer, noch mehr Geld erhielt. Übrigens ließ sich gar nicht darüber streiten, es handelte sich um einen notwendigen Schritt auf seiner Laufbahn. Wer den Zweck wollte, mußte die Mittel wollen.

 

Erst als diese Betrachtungen erledigt waren, zog er den gestrigen Gewinn aus der Tasche seiner Frackhose. Er glättete die Banknoten auf dem Tische und ließ die Goldstücke klingeln. Aber er packte bald alles wieder zusammen und schob es nachlässig in den Rock. Denn er sagte sich, daß der Besitz dieses Geldes etwas durchaus Natürliches, ihm schon längst Zukommendes sei, über das er sich nicht aufregen dürfe. Das Leben, für das er geboren war, fing jetzt erst an.

Wie er ausgehen wollte, brachte ihm ein Lakai Frau Türkheimers Karte. Sie war an Herrn Behrendt, Mohrenstraße, adressiert. ›Schon?‹ dachte Andreas. ›Flotter könnte es gar nicht gehen!‹ Er stieg pfeifend die vier Treppen hinab, winkte einer Droschke erster Klasse und verließ sie Unter den Linden. An der Ecke der Friedrichstraße kaufte er für sieben Mark eine Krawatte, die er sofort anlegte, ein Paar gelbe Handschuhe, einen Hut und ein Batisttaschentuch. Diese vorläufigen Erwerbungen machten ihm Mut, bei Aimé zu frühstücken. Er bestellte Austern und eine Flasche Chablis, zur Erinnerung an das Büfett bei Türkheimers.

Mit einer Zigarre schlenderte er sodann in die Dorotheenstraße. Köpf empfing ihn neugierig.

»Nun? Sind Sie zufrieden?«

»Es geht«, versetzte Andreas mit stolzer Bescheidenheit. »Ich habe zweitausend Mark gewonnen, und nächstens hoffe ich Ihnen aus eigener Anschauung sagen zu können, was für Hemden Frau Türkheimer trägt.«

»Sie gehen aber forsch vor«, bemerkte Köpf mit seinem zweideutigen Zwinkern.

»Wollen Sie Beweise?« fragte Andreas. Er war pikiert und griff schon nach der Brusttasche. Schließlich hielt er die an den Schneider gerichtete Visitenkarte doch für ein nicht hinreichend schmeichelhaftes Dokument und ließ sie stecken.

»Im Ernst, Sie können mir glauben, daß ich Glück gehabt habe. Von meinem Verdienst will ich Ihnen nicht reden.«

»Tun Sie es nur!« bat Köpf.

»Es ist übrigens nicht schwer, in solch einem Hause Erfolg zu haben, bei dem angenehmen freien Ton, der dort herrscht. Man kommt wildfremd hin und verkehrt doch gleich wie mit alten Bekannten. Die Weiber sehen sich sehnsüchtig um und warten bloß, wer sich von ihnen glücklich machen lassen will. Dann bekommt man auch noch Geld, ohne zu wissen, woher. Ja, woher stammt überhaupt all das Geld, das in dem Hause unter den Möbeln umherrollt?«

»Rollt es wirklich?« fragte der andere belustigt.

»Nun, mir kommt es vor, als brauchte ich mich bloß danach zu bücken. Die Leute dort tun sicher den ganzen Tag gar nichts. Was die Geschäfte machen nennen, weiß ich nicht, aber es nimmt gewiß nicht viel Zeit in Anspruch. Die einen haben schauderhaft viel Geld, die anderen gar nichts. Aber was macht das? Gutes Essen, feine Weine, Weiber, Witze, Kunst und Vergnügen, es ist alles da. Man langt eben zu, wie im Schlaraffenland.«

»Bravo! Das ist doch mal ehrliche Begeisterung«, versetzte Köpf. Andreas stutzte, er fürchtete zu weit gegangen zu sein, und sagte: »Wenn unsereiner hinkommt, so legt er natürlich einen literarischen Maßstab an. Wir wissen diese feine Gesellschaft zu beurteilen.«

»Oh!« machte Köpf mit gespitzten Lippen. »Sie nehmen sich ganz gut aus, so wie Sie sind, mein Lieber. Machen Sie nur nicht aus Ehrgeiz den grämlichen Beurteiler! Wie ich Ihnen schon sagte, Sie haben so was Glückliches an sich, das gefällt.«

Andreas dachte an Klempners Definition des Pulcinello mit seiner glücklichen Naivität. »Sie haben was davon«, hatte Klempner gesagt, und Köpf schien dasselbe zu meinen. Warum auch nicht? Er begann wieder:

»Was mir wirklich imponiert, ist die Vorurteilslosigkeit der Weiber. Kaum ist man vorgestellt, so behandeln sie einen so, als ob sie Arm in Arm mit einem nach Hause gehen wollten. Es ist eigentlich zu wenig Ruhm dabei.«

Köpf wiegte bedenklich das Haupt.

»Stellen Sie sich das lieber nicht zu einfach vor. Ich habe zwar nur bescheidene Erfahrungen, aber die Damen bei Türkheimers sind doch wohl keine Marquisen aus dem vorigen Jahrhundert. Sie geben sich nicht leichten Herzens einem jungen Abbé hin, sie folgen niemals einer Laune, die zu nichts verpflichtet. Man muß ihnen mit Gründen kommen.«

»Wieso?«

»Vergessen Sie nicht das Moralische! Bei Türkheimers steckt man, so viel Zynismus der gute Ton auch vorschreibt, im Grunde doch voll moralischer Bedenken. Es sind schließlich nur Bürgersfrauen.«

»Das habe ich auch schon bemerkt«, sagte Andreas, der an Frau Mohr und ihren Fanatismus für gute Sitte dachte.

Köpf nickte und sah seinen jungen Freund von unten blinzelnd an. Er nahm ehrlichen Anteil an Andreas' Schicksal, es hatte für ihn den Reiz eines interessanten Experimentes, den Jüngling auf seiner schlüpfrigen Bahn zu leiten und mit Verhaltungsmaßregeln zu versehen. Was würde dabei herauskommen? Wie würde dieser unschuldige Streber und Genießer, dieser unbewußte Spekulant, wie sein skeptischer Freund ihn nannte, sich in dem fetten Boden entwickeln, wohin er nun verpflanzt war? Hierauf war Köpf ungemein neugierig. Er wiederholte langsam und nachdenklich:

»Man muß Ihnen mit Gründen kommen. Das heißt, Sie haben die Frau, mit deren Liebe Sie zum Zweck Ihres Fortkommens rechnen, davon zu überzeugen, daß ein Verhältnis mit Ihnen ein besonders gutes Werk oder etwas Neues und Interessantes, auch etwas Schmeichelhaftes wäre. Sie muß sich zu Ihnen herablassen oder von Ihnen emporgezogen werden, am besten beides abwechselnd. Sie machen einen doppelten Eindruck, wenn Sie sich voll Hingebung und Demut zeigen und dabei eine heimliche Überlegenheit ahnen lassen.«

»Das meine ich auch«, sagte Andreas, dem es indes schwer fiel, sich Frau Türkheimer überlegen zu fühlen.

»Die schöne Frau, an die wir denken, steigt zu dem armen Dichter hinab, sie bringt ein verborgenes Talent durch das Licht und die Wärme ihrer Liebe zur Blüte.«

»Tut sie auch!« rief Andreas lachend. Er war doch unangenehm berührt von Kopfs Ausdrucksweise. Dieser fuhr fort:

»Nach dieser Seite ist das Verhältnis klar. Ihre Überlegenheit können Sie mit Leichtigkeit darin finden, daß Sie Rheinländer sind.«

»Wirklich?« fragte Andreas überrascht.

»Bedenken Sie nur Ihre ältere Kultur! Jeder seßhafte Bauer bei Ihnen zu Hause ist ein Aristokrat gegen die Landstreicher aus dem wilden Osten, die hier in Palästen wohnen.«

Andreas schlug sich auf die Knie vor Vergnügen. Er sprang auf, drehte sich zweimal um sich selbst und begann mit langen Schritten hin und her zu wandern.

»Selbstverständlich!« rief er. »Daran hätte ich doch denken müssen. Türkheimers sind natürlich auch aus Posen oder Galizien eingewandert. Was die Leute unter ihrer allgemeinen Wurstigkeit verbergen, das sind bloß ihre Dummheit und ihre schlechten Manieren. Von Kaflisch will ich nicht reden, Sie kennen ihn wohl? Dann ist da einer, der immer mit solchen Beinen herumgeht. Er heißt Süß.«

Und Andreas watschelte mit einwärts gestellten Füßen quer durch das Zimmer.

»Die Weiber sind eigentlich lächerlich, besonders so eine fette Matrone wie Adelheid. Es scheint bei den Leuten so zu sein, wie bei den Wüstenstämmen. Die Schönste kann nur auf einem Kamel weiterbefördert werden, nach ihr kommt eine, die sich auf zwei Sklavinnen stützt.«

Triumphierend sah er Köpf an, der mit sich selbst wettete, Andreas habe diese Wissenschaft erst in der vergangenen Nacht erworben. Der junge Mann lachte ausgelassen, er hatte einen Einfall.

»Der Allerkomischste ist aber Türkheimer selbst. Er muß eine Hautkrankheit haben. Passen Sie mal auf!«

Und Andreas begann durch fingierte Koteletten zu streichen und sich am Kinn zu scheuern. Er setzte sich einen Klemmer, den er vom Tisch nahm, vorn auf die Nase und ging mit kleinen, unsicheren Schritten, den Bauch vorgeschoben, auf Köpf zu.

»Mein Name ist Ausspuckseles«, sagte er mit Türkheimers schleppender, leicht näselnder Stimme, »Generalkonsul Ausspuckseles, und hier ist meine Frau, geborene Rinnsteiner.«

Er stand atemlos, rot im Gesicht, und hielt sich die Seiten. Köpf kicherte leise, er blinzelte so verräterisch, daß Andreas bei näherer Betrachtung nicht gewußt hätte, ob der andere über seinen Scherz oder über ihn selbst lachte. Der junge Mann ging schon zur Tür, kehrte aber eilig zurück.

»Ach, ehe ich's vergesse! Hier in der Wohnung ist doch ein Zimmer frei. Bitte, belegen Sie es für mich, ich ziehe nächsten Ersten ein. Dies ist wenigstens eine Gegend, wo eine Dame sich nicht gleich kompromittiert. Wenn sie schon arme Dichter glücklich machen wollen, darf man ihnen doch nicht zumuten, es in der Linienstraße zu tun.«

»Sehr richtig!« bestätigte Köpf. »Solche weise Voraussicht ehrt Sie. Sie scheinen wirklich die Mittel zu besitzen ....«

»Mit denen man was wird! Das sagt mir jeder!« rief Andreas, schnalzte mit den Fingern und verließ, sehr zufrieden mit sich, das Haus. Er hatte sich gehütet, Köpf etwas von Ratibohr zu erzählen und von Türkheimers Neigung, seine Frau mit einem harmlosen jungen Mann glücklich werden zu lassen. Auch die Geschichte mit dem Schneider hatte er für sich behalten. Doch war er mittlerweile in der richtigen Stimmung, um sich in die Mohrenstraße zu begeben.

Der Angestellte, dem Andreas Frau Adelheids Karte übergab, holte sogleich Herrn Behrendt herbei. Der Inhaber des Ateliers für feine Herrenbekleidung sah aus wie ein Botschafter. Er führte den jungen Mann in einen mit vornehmem Geschmack möblierten Salon, nötigte ihn, auf einem seidenen Puff Platz zu nehmen und bat Andreas, ihm zu sagen, womit er sich ihm gefällig erweisen könne. Andreas glaubte schon, er werde hinzusetzen: »Unter Ehrenmännern verpflichtet man einander gern.«

Der Neuling fürchtete sich eine Blöße zu geben, wenn es an die Wahl der Stoffe und an die Äußerung seiner Wünsche in betreff des Schnittes ging. Doch war nicht die Rede davon, Herr Behrendt unterbrach ihn nach den ersten Worten:

»Ich verstehe, mein Herr, es handelt sich um eine vollständige Ausstattung, die dem Geschmack der allervornehmsten Häuser adäquat sein und zugleich Ihre individuelle Eigenart berücksichtigen muß. Ich meine, es darf nichts nach der Seite des rein modischen Schicks übertrieben, dagegen soll ein diskreter künstlerischer Schwung hinzugefügt werden.«

Andreas bewunderte höchlich den Scharfblick des Mannes. Herr Behrendt setzte hinzu:

»Gestatten Sie mir, Ihr Genre näher zu studieren.«

»Wie?« fragte Andreas.

Aber Herr Behrendt war schon in sein Studium vertieft. Er kniff ein Auge zu und umschritt in weitem Kreise den seidenen Puff.

»Machen Sie mir das Vergnügen, bis zu jenem Spiegel zu gehen!« bat er sodann.

Als Andreas zurückkehrte, äußerte Herr Behrendt:

»Ich bin befriedigt, mein Herr.«

Er schellte, worauf der Zuschneider mit seinen Maßen erschien. Sogleich empfahl sich Herr Behrendt mit einer Verbeugung, da das profane Geschäft des Anmessens seine Gegenwart nicht erforderte.

Andreas verließ das Atelier mit dem erhöhten Gefühl der eigenen Würde. Er hatte noch mehr Geschäfte, und er bestellte zwei Dutzend feiner Hemden, nach Maß anzufertigen, außerdem eine Menge anderer Leibwäsche. Auch hielt er die Anschaffung einiger koketter Nachthemden für sehr wichtig, mit Stickerei am Kragen und mit seidenen Schnüren. Dann begab er sich in ein Fußbekleidungsatelier, und er drang überall auf Eile.

Am Freitag, dem ihm von Frau Türkheimer bezeichneten Empfangstage, hatte er die Genugtuung, seine neuen Herrlichkeiten vor sich auf dem Sofa ausgebreitet zu sehen. Herrn Behrendts vollständige Ausstattung bedeckte alle übrigen Möbel des Zimmers, die, so alt sie waren, solche Pracht sicher noch nie gesehen hatten. Die aus dem Atelier der Mohrenstraße hervorgegangenen Werke erwiesen sich für den lernbegierigen Neuling als eine illustrierte Anleitung zum feinen Auftreten, so sorgfältig waren sie auf sämtliche Lagen des gesellschaftlichen Lebens abgestimmt. Jedem Anzuge war ein Schild mit einer Inschrift angeheftet: »Visitenkostüm« oder »Soireekostüm« (petit comité), »Promenadenkostüm«, »smoking-dress« (Herrengesellschaft) und manche andere Erläuterung, die Andreas vor Irrtümern bewahrte. Er dankte dem großen Schneider diese Vorsicht wie einen zartfühlenden Freundschaftsdienst. Er sah sich nun im Besitz von zwei Gehröcken ungleicher Länge, zwei Fräcken, einem Frackjackett, drei Schwalbenschwänzen von verschiedenen nuanciertem Grau, drei kurzen Sakkojacketts, einem Abendmantel und zwei Paletots. Es waren fünf zartgemusterte Extrabeinkleider vorhanden, und der Schnitt der Westen legte von einer künstlerisch geschulten Phantasie Zeugnis ab.

 

Andreas wählte den Gesellschaftsrock aus, den Herr Behrendt mit der Empfehlung »five o' clock« versehen hatte. Als er nach Beendigung seiner Toilette vor den Spiegel trat, begrüßte ihn dasjenige Bild, das er seit einem Jahre als traumhaftes Ideal im Kopfe trug. Der schwarze Tuchrock reichte bis über das Knie. Sein leicht aufgeschlagenes Atlasfutter legte sich harmonisch auf die lichtbraune, diskret geblümte Weste. Die perlgraue Hose fiel in weichem Fluß über die Lackschuhe. Andreas probierte mehrmals, sich in der Weise hinzusetzen, daß die Hose unauffällig hinaufgezogen ward und die schwarzseidenen Strümpfe sehen ließ. Als ihm dies zu seiner Zufriedenheit gelungen war, erfreute er sich an dem milchigen Schimmer des plissierten Hemdes. Er zog die Handschuhe an, indes er nachlässig verschiedene Stellungen übte.

In einer Tasche seines neuen Paletots fand er Herrn Behrendts Rechnung. Sie belief sich für elf Kostüme nebst vielen Extrastücken auf rund vierhundert Mark, was für den kompletten Anzug kaum dreißig Mark ausmachte, beträchtlich weniger, als der Gumplacher Schneider für seine Leistungen beanspruchte. Im Fortgehen warf Andreas einen verächtlichen Blick seinen abgelegten Kleidungsstücken zu, die als elendes Häuflein in einem Winkel trauerten. Es war eigentlich sein alter Mensch, der dort in sich zusammengesunken lag. Er mußte laut ausrufen:

»Zu denken, daß ich je so ausgesehen habe!«

Der Rock saß gut unter den Achseln, die Hose bequem im Schritt, und das Bewußtsein, daß ihm niemand einen Fehler oder eine Ärmlichkeit vorwerfen könne, machte den Gang des glücklichen Jünglings elastisch. Da ein klarer Frost herrschte, begab er sich zu Fuß in die Mohrenstraße, wo er mit überlegener Miene seine Schuld beglich. Dann fuhr er zu Türkheimers.

Diesmal schritt er in ruhigem Selbstvertrauen auf die Tür zu, die ihm der Diener öffnete. Es gab, wie er meinte, in diesem Hause, unter diesen Menschen kaum noch Überraschungen für ihn. So beraubte es ihn beinahe seiner Fassung, als er einen ganz fremden Raum betrat. Die Wände des Zimmers waren mit gelbem Satin ausgeschlagen. Bizarr verteilt hingen daran nur wenige kleine Gemälde, die einen kostbaren Eindruck machten, vielleicht wegen der breiten, schwarzen, mit Perlmutter eingelegten Rahmen. Schwarze Lackmöbel mit winzigen goldenen Figuren und von zierlichen exzentrischen Formen, standen zu zweien oder dreien launisch weit voneinander entfernt. Zwischen ihnen dehnte sich die grünliche Fläche des gewirkten Teppichs, durch die sich weiße Wasserrosen schlangen.

Es war einen Augenblick still geworden, als Andreas eintrat. Er fühlte die Lorgnons auf sich gerichtet. Nur Fräulein Asta, die mit ihrem Verlobten sich in einer Fensternische aufhielt, fuhr fort, laut zu sprechen. Die Hausfrau begrüßte den jungen Mann sehr gütig, sie schien seine allzu neue Kleidung nicht zu beachten. Sie führte ihn zu den Damen Mohr und Pimbusch, die mit Herrn Liebling plauderten, worauf sie zu Herrn Pimbusch zurückkehrte. Dieser erkundigte sich, ohne seine Stimme zu mäßigen, nach der Herkunft des Fremdlings. Nachdem Frau Türkheimer ihn bedeutet hatte, Herr Zumsee sei Schriftsteller, erklärte er:

»Ich begreife nicht, wie'n Mensch jetzt noch Bücher schreiben kann« – ohne eine Begründung seines Ausspruches für nötig zu halten.

Frau Mohr sah Andreas mit reizender Vertraulichkeit an. ›Ich bin vom ersten Augenblick an Ihre Freundin gewesen,‹ schien sie zu sagen. Sie bemerkte:

»Ich habe gehört, daß Sie neulich viel Glück im Spiel gehabt haben?«

»Hüten Sie sich, daß Ihnen das bei uns nicht schadet«, sagte Frau Pimbusch mit ihrer hohen, gebrochenen Stimme und mit einer Betonung, daß es Andreas fast unheimlich ward. Ihr grünlicher Blick schoß glitzernd auf ihn zu.

Herr Liebling protestierte gegen den Aberglauben, und die sittliche Würde, mit der er es tat, stand ihm gut. Andreas verglich Lieblings Gehrock mit seinem eigenen und bewunderte im stillen die feinsinnige Unterscheidungsgabe, die Herr Behrendt an den Tag gelegt hatte. Lieblings Eigenart erforderte einfache Korrektheit, ein Hervortreten des Moralischen sogar im Schnitt der Weste. Sein eigener Anzug trug dagegen ein nicht näher zu bestimmendes künstlerisches Gepräge, das mit dem Charakter seines Kopfes übereinstimmte. Andreas trug das Haar ein wenig länger im Nacken als üblich. Der Schnitt seines Rockes, leicht ausgebuchtet, erinnerte wohl an 1830, aber wie Herr Behrendt vorausgesagt hatte, war nichts nach der Seite des rein modischen Schicks übertrieben. Dies war jedoch dasjenige, was das Äußere des Herrn Pimbusch bemerkenswert machte.

Andreas, der Lieblings Diatribe gegen den Aberglauben ein zerstreutes Gehör schenkte, betrachtete aufmerksam Pimbuschs vor Altertümlichkeit übermoderne Tracht und die Art, wie er sie zur Geltung brachte. Pimbusch vollführte keine noch so unbedeutende Bewegung, die ihm nicht durch ein Gesetz der Mode vorgeschrieben war. Wie er die Rockschöße aufhob, um sich zu setzen, wie er seinen Hut auf die Etagere stellte, den Kopf wandte, seinen Schnurrbart drehte und die Zigarette zwischen die Finger nahm, so mußte es im Jahre 1894 jeder machen, der auf guten Ton Anspruch erhob, und so würde es zwei Jahre später niemand mehr tun. Die Gemessenheit, mit der er die Riten der Eleganz beobachtete, gab ihm etwas Sakramentalisches, wie wenigstens Kaflisch behauptete, nach dessen Ansicht übrigens ein Mystiker in Pimbusch steckte. Denn er hätte sich als verloren angesehen, wenn sein Zylinder nicht sieben Glanzreflexe und die Tuberose in seinem Knopfloch nicht dreizehn Blätter besessen hätte.

Pimbusch trat als ein vollendeter Bewohner jenes Schlaraffenlandes auf, wie Andreas es sich vorstellte. Doch stand er, wie dem jungen Manne nicht unbekannt war, tätig mitten im öffentlichen Leben. Er war der Sohn und Nachfolger jenes großen Pimbusch, der dem durch ihn eingeführten Spezialkartoffelfusel seinen, vom Berliner Volke verehrten Namen gegeben hatte. Heute ging das Geschäft von selbst, der Sohn hatte sich nicht um den Betrieb zu bemühen. Doch arbeitete er auch dann noch, wenn er seine Nägel betrachtete oder den neuesten Börsenwitz wiederholte. Sooft nachts die Destillationen ihren Schein auf die Straßen hinauswarfen, war Pimbusch an der Arbeit. Der träge Zug der Proletarier quoll durch die weit offenen Tore der Kneipen aus und ein. Sechs Gläser des Spezialfusels genügten, um den Stumpfesten in das Reich seiner Ideale zu versetzen. Die Seligsten träumten in den Rinnsteinen. Ein giftiger Duft zog durch die Stadt, die in einem Meer von Schnaps zu ertrinken trachtete. Dann war Pimbusch, der in einem Salon das Problem der neuesten Kragenhöhe erörterte, an der Arbeit.

Begreiflicherweise verachtete Pimbusch das Volk, das seinen Schnaps trank. Aber auch von Geschäften sprach er nur mit fremder Miene, wie jemand, der nicht dazu gehört. Kaflisch nannte ihn den Schnapsfeudalen und begriff ihn unter der größeren Familie der Feudaljobber. Denn es war Pimbuschs zehrender Ehrgeiz, als letzter einer an Überfeinerung zugrunde gehenden Gesellschaft zu gelten. Den Baron Hochstetten hatte er sich, seit er ihm bei Türkheimers begegnete, zum Vorbild genommen zwecks Einübung einer feudalen Physiognomie. Seine Anstrengungen wurden erleichtert durch einen flachen Schädel, über den dreißig erfreuliche Jahre verheerend dahingegangen waren, durch die glasige Blässe seiner Augen und durch eine Haut, fahl und durchlöchert wie Pergament. Nur seine mächtigen Kiefer, die beim Sprechen gefräßig auf- und zuklappten und eine Art großer spitzer Raubfischzähne sehen ließen, erzählten noch von den starken Erwerbsinstinkten seiner Väter. Aber indem er sie kraftlos auf die Brust herabhängen ließ, wußte er auch sie seinen Absichten dienstbar zu machen. Und obwohl er von der Herkunft seines Großvaters durchaus nichts wußte, kam dieser Sproß des kräftigen Bürgertums dem Ideal des vollkommenen Kretinismus mindestens ebenso nahe wie der Freiherr von Hochstetten, dessen Vorfahr mit dem Burggrafen von Nürnberg in Brandenburg eingezogen war.

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