Das gestohlene Dokument

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1  Das gestohlene Dokument

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Sehr geehrter Herr Redakteur!

Das plötzliche und für uns schmerzliche Hinscheiden des Herrn Geheimrat Glumkow, vortragenden Rats im Ministerium des Innern, gibt noch immer Anlaß zu den verschiedensten Kommentaren. Wir verstehen sehr wohl, daß das gewissermaßen auffällige Betragen, das unser Verwandter kurz vor seinem Tode an den Tag legte, einen Verdacht in weitere Kreise dringen ließ, der ihn mit jenem, damals die öffentliche Meinung in hohem Grade beunruhigenden Vorfall in dem Ministerium, dem er als Beamter angehörte, in Verbindung brachte. Inzwischen ist, wie Sie wissen, der Täter ermittelt worden, und zwar in einer ganz anderen Person, als der jenes Agenten, als dessen Mitschuldigen sich unser Verwandter in seiner unglückseligen Verwirrung betrachtete. Aber »Semper aliquid haeret«.

Um das Andenken eines in jeder Beziehung untadeligen Beamten von gegenstandslosem Verdachte zu reinigen, halten wir, seine Familie, es nunmehr für angemessen, den Tatbestand jener Angelegenheit, soweit er den Verstorbenen angeht, in seinen eigenen täglichen Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zu übergeben. Wir stellen Ihnen dabei anheim, die etwa kompromittierenden Personalien, die darin zur Sprache gelangen, nach Gutdünken unkenntlich zu machen.

Für die Familie des Geheimen Rats Glumkow

in vollkommener Hochachtung ergebenst

Dr. Albert Glumkow

Gymnasial-Professor

Donnerstag, 2.

Diesmal muß ich es als eine wirkliche Zurücksetzung auffassen. Obwohl ich an der Ausarbeitung der neuen Umsturzvorlage den Hauptanteil habe, ist die Vertretung des Ministers im Reichstage nicht mir, sondern dem Geheimrat v. Ehwald übertragen worden. Mit dem Gesetz wird zwar auch diesmal nicht viel zu machen sein, so gut wir die öffentliche Meinung fortdauernd bearbeiten mögen. Die Roten haben zuviel heimliche Bundesgenossen im Reichstage. Alles was »sozial« angekränkelt ist, fühlt sich durch unsere Vorlage betroffen. Also im Grunde ein undankbares Geschäft sie zu vertreten. Aber es bringt einen doch in Sicht. Man empfiehlt sich, je unwahrscheinlicher ein Erfolg ist, desto mehr durch Überzeugungstreue. Auf alle Fälle ist es ein Affront, nach dem es eigentlich nur noch den Abschied gibt. Der ist aber unmöglich aus den bewußten Gründen – ich möchte das Gesicht meiner 1. Frau bei der Nachricht sehen –, oder aber dem Ehwald ist ein Stein hinzuwerfen. Er ist eine Null, nur dekorativ und sich Sr. Exzellenz empfehlend. Man muß die Amendements abwarten, die der nächste Ministerrat bringen wird. Ehwald, den ich unter irgendeinem Vorwand im Stich lassen kann, wird zu ihrer Abfassung unfähig sein.

Sonnabend, 4.

Wieder ein Dokumentendiebstahl im Ministerium. Es ist unerhört. Ich sehe noch den unglücklichen Kanzleidirektor Brummer vor mir, wie er unter dem Blick des Ministers zusammenknickte. Ich erkannte unsere gutmütige Exzellenz gar nicht wieder. Aber es ist wahr, daß der Spaß aufhört, wenn die geheimsten Falten unserer Aktenmappen nicht mehr vor den Helfershelfern der Roten sicher sind. Wir könnten schließlich unsere Kanzleien gleich mit den Büros des »Vorwärts« vereinigen, das würde das Budget nicht unwesentlich entlasten. Hätte ich nur nicht der ganzen Szene zwischen Sr. Exzellenz und Brummer beiwohnen müssen! Es war kein Abgang tunlich. Zwanzig Beamte standen herum, wie zu einer fürchterlichen Musterung. Ich bin noch ganz überwältigt. Dem Mann sind die stillen Freuden des a.-D.-Standes sicher. Und wäre es nicht vorsichtiger, ich möchte sagen staatsmännischer, ihm gleich nachzufolgen, anstatt einen ähnlichen Anlaß abzuwarten – der alle Tage eintreten kann? Aber der Ministerrat steht noch bevor; er kann Ehwald teuer zu stehen kommen. Wir werden ja sehen.

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