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ISBN: 978-3-482-78681-5 |
Vorwort zur 2. Auflage
Die Neuauflage führt das bewährte Konzept des Buches mit einem neben den typischen Konzepten und Instrumenten des Projektmanagements gleichgewichtigen Fokus auf die sozialen und interkulturellen Dimensionen und Besonderheiten im Projektmanagement. Denn die Praxis zeigt auch weiter als wichtigsten Grund für Probleme in internationalen Projekten die unterschiedlichen kulturellen Problemlösungsmethoden und interkulturellen Missverständnisse. Um den Gesamtumfang des Buches beizubehalten wurde mit inhaltlich vertretbaren Kürzungen Raum geschaffen für notwendige Aktualisierungen wie z. B. die neue interkulturelle Vergleichsstudie GLOBE, Projektverhandlungen und -verträge und dem immer stärker wirkenden CSR-Ansätzen der Unternehmensführung auch auf das Projektmanagement. Ebenso für neue Entwicklungen wie das Projektmanagement in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit von NGOs, Besonderheiten in Großprojekten oder bei kleinen Projekten, neue Entwicklungen wie Agiles Projektmanagement und Scrum- oder Kanban-Methoden sowie interkulturelles Konflikt- und Claim-Management.
Die englischsprachigen Passagen sind im Wechsel von Queens Englisch über American English oder Indian English usw. so aufgenommen wie sich die englische Sprache in ihrer Vielfalt als offizielle Amtssprache in über weit über fünfzig Ländern der Welt zeigt … und im Vorgriff auf den einen oder anderen Fehler, den mir nachzuweisen so mancher vermag, möchte ich mich schon hier mit einem Gedicht von Goethe entschuldigen:
Geständnis
Bonn, im September 2015 Harald Meier
Vorwort zur 1. Auflage
All people are the same. It’s only the habits that are so different.
Confucius
Unternehmen entwickeln sich immer mehr hin zu projektorientierten Organisationen. Die Innovations- und Organisationsdynamik fordert immer mehr zeitlich befristete Projekte und damit eine projektorientierte Unternehmensführung und auch die Globalisierung und internationale Zusammenarbeit beginnt meist in Form von Projekten. Damit arbeiten immer mehr Mitarbeiter in Projekten oder als Projektleiter, und dies in zunehmendem Maße auch international. Hierzu benötigen die Fach- und Führungskräfte insb. Erfahrungen in der interkulturellen Kommunikation, Zusammenarbeit und Teamentwicklung. Denn die meisten Probleme in interkulturellen Projekten entstehen nicht durch falsche Zielsetzungen oder Managementtechniken, sondern aufgrund interkultureller Missverständnisse durch unterschiedliches Problemlösungsverhalten, z. B. zwischen Kaufleuten und Ingenieuren oder zwischen verschiedenen Nationalitäten und Kulturen. Tom DeMarco, international anerkannter Spezialist für IT-Projekte, bringt es in „Peopleware – Pro ductive Projects and Teams” auf den Punkt: The major problems of our work are not so much technological as sociological in nature.
Der inhaltliche Schwerpunkt in diesem Buch liegt entgegen der klassischen Literatur zum Projektmanagement nicht allein auf den Techniken, sondern gleichgewichtig auch auf den sozialen und insbesondere interkulturellen Gesichtspunkten der Projektarbeit. Das vorliegende Buch will damit auch die bisher nur sehr geringe Verhaltensorientierung und Internationalisierung im Projektmanagement unterstützen. Es richtet sich gleichermaßen an Studierende betriebswirtschaftlicher, technischer und naturwissenschaftlicher Fachbereiche sowie Praktiker, die sich auf Projekte und interkulturelle Zusammenarbeit vorbereiten.
Bonn, im Mai 2004 Harald Meier
1. Grundlagen des Internationalen Managements
1.1 Dynamische Bedingungen der Unternehmensführung
1.1.1 Grundlagen und Prozess der Unternehmensführung
Unternehmensführung wird meist mit dem (international bekannteren) Begriff Management gleichgesetzt und bezeichnet das Entscheiden und Gestalten von Unternehmensstrukturen und -systemen zur erfolgreichen Umsetzung unternehmenspolitischer Ziele. Dabei kann zwischen Management als Institution und als Funktion unterschieden werden:
| institutionell: Das Management, das zuständig für die Festlegung verbindlicher Unternehmensziele für das gesamte Unternehmen ist (z. B. Vorstand, Geschäftsführung, Leitende Angestellte) oder wesentlicher Teilbereiche (z. B. Bereichsleitung, Projektleitung), |
| funktional: Managen als Tätigkeit (z. B. planen, entscheiden, kontrollieren, verantworten, Mitarbeiter motivieren und fördern . . .). |
Unternehmenspolitik
Der Begriff Politik hat eine breite gesellschaftliche Bedeutung: Vom bewussten Durchsetzen eines Willens (politics) bis zum geschickten Agieren und Reagieren auf Herausforderungen (policy making). Im Unternehmen bewegt sich die Unternehmenspolitik damit in den Dimensionen von der willentlichen Gestaltung der Unternehmensziele bis zur Anpassung an in- und externe Rahmenbedingungen bzw. Einflüsse. Unternehmenspolitik beinhaltet somit eine umfassende langfristige Zielplanung für das Unternehmen und die Art und Weise, wie in Situationen relevanter Einflüsse hierauf reagiert wird. Unternehmenspolitik ist damit eine der Unternehmensplanung vorgelagerte zielbestimmende Dimension, die dann in der nachgelagerten Planung in Teilpläne gegliedert wird (z. B. funktional nach Abteilungen in Entwicklungs-, Produktions-, Finanz-, Absatz-, Personalplanung oder als Projektziele) und sich dann z. B. in abteilungsspezifisch operationalen Handlungen ausdrückt.
Dabei unterliegt die Unternehmenspolitik vielfachen und sich permanent wandelnden Einflüssen. Sie entstehen sachlich z. B. aus der Unternehmenstätigkeit bzw. -kultur und der Unternehmensentwicklung (z. B. Unternehmenshistorie, Standort, Kommunikationskultur mit der Belegschaft oder dem Betriebsrat, Innovationsfähigkeit, Mitarbeiterqualifikation und aus der Unternehmensumwelt, wie z. B. Märkte (Rohstoff-, Kapital-, Arbeitsmarkt . . .), Systeme (Rechts-, Steuersystem . . .) und gesellschaftliche Trends, wie z. B. die Entwicklungen der Technologie, der ethischen Werte oder der Demographie (s. a. Kap. 1.1.2).
Beispiel Relevante Entwicklungen zur Unternehmensführung (Bosch-Gruppe):1)
Umweltentwicklungen
| Überraschend schnelle Erholung der Weltwirtschaft: Zuwachs der weltweiten Wirtschaftsleistung um 4 %. |
| Grundsätzlich positive Aussichten trotz vorhandener Risiken. |
| Schwellenländer in Asien und Südamerika dienten als Wachstumstreiber; in den USA blieb der Zuwachs hinter den Erwartungen zurück. |
| Erholung des Kfz-Marktes, insb. bei Kleinfahrzeugen. |
| Verzögerte Verbesserung der Lage der spätzyklischen Investitionsgüterindustrie. |
| Sich abzeichnender Klimawandel und Verknappung fossiler Energieressourcen. |
| Demographischer Wandel hin zu einer immer älteren Gesellschaft. |
| Wachsende Bedeutung von Dienstleistungen, Software und kundenspezifischen Gesamtlösungen. |
| Sparmaßnahmen zur Haushaltssanierung in europäischen Ländern. |
Unternehmensentwicklungen
| Kräftige Erholung der Bosch-Gruppe, Umsatz übertraf das Vorkrisenniveau von 2007. |
| Besonders starkes Wachstum in den Unternehmensbereichen Kfz-Technik und Industrietechnik. |
| Weiterer Ausbau der Präsenz in den Schwellenländern Asiens. |
| Starker Anstieg des Umsatzes der Bosch-Gruppe in der Region Asien-Pazifik sowie in Südamerika. |
| Umfangreiche Sparmaßnahmen und Halten der Kernbelegschaft. |
| Ausbau der Präsenz auch in Südamerika, Mittel- und Osteuropa, aber auch Afrika/ Naher Osten. |
| Fokussierte Diversifizierung verbunden mit einer hohen Innovationskraft. |
| Ausbau der Geschäftsfelder Regenerative Energien und Telemedizin. |
| Bündelung der Internetexpertise in der Bosch Software Innovations GmbH. |
Ausprägungen der Unternehmenspolitik
Die traditionelle Unternehmensführung konzentriert sich auf das Innenleben der Unternehmen, z. B. auf die optimale Kombination der Produktionsfaktoren zur Gewinnmaximierung. Entsprechend wurden auch die konstitutiven Bedingungen (wie z. B. Unternehmensstandort, Rechtsform) optimierend und ohne ihre gesellschaftliche Relevanz betrachtet. In den letzten Jahren wird i. R. der Diskussion einer gesellschaftsrelevanten Unternehmensführung deshalb immer mehr zwischen den Polaritäten der klassischen vornehmlich Eigenkapitalgeber-orientierten Shareholder Value- und einer breiteren gesellschaftlich orientierten Stakeholder-Unternehmenspolitik differenziert. Während der Shareholder Value-Ansatz als Stabilisierungspolitik hauptsächlich die Shareholder-Interessen als Eigenkapitalgeber in den Vordergrund stellt und sich auf die Bestands- und Überlebenssicherung des Unternehmens konzentriert, ist der Stakeholder-Ansatz als Entwicklungspolitik auf die dynamischen Interessen aller Beteiligten des Unternehmens als sog. Stakeholder (Kunden und Lieferanten, Eigen- und Fremdkapitalgeber, Mitarbeiter, verbundene Unternehmen, gesellschaftliches Umfeld . . .) gerichtet und zielt eher auf die nachhaltige und langfristige Unternehmensentwicklung.
Merkmale des Shareholder Value-Ansatzes:
| Ziel ist in erster Linie die Bestands- und Überlebenssicherung des Unternehmens. |
| Interessen der Eigenkapitalgeber (Shareholder) stehen im Vordergrund, z. B. kurzfristige Unternehmenswertsteigerung bzw. Gewinnmaximierung/-abschöpfung. |
| Entsprechend sollen bestehende Erfolgspotenziale des Unternehmens gehalten, abgeschöpft oder ausgebaut werden. |
| Erfordert als begünstigende Situationsfaktoren z. B. relativ stabile Märkte bzw. Umwelt, überschaubare Erfolgsfaktoren sowie eine starke Macht der Eigenkapitalgeber im Unternehmen. |
| Entsprechend auch als stabibilitätsorientierte, konservative Unternehmenspolitik bezeichnet. |
Merkmale der Stakeholder-Politik:
| Ziel ist in erster Linie die nachhaltige und langfristige Unternehmensentwicklung. |
| Interessen der Stakeholder (Kunden, Mitarbeiter, verbundene Unternehmen, gesellschaftspolitisches Interesse) werden gemeinsam bzw. mit wechselnden Prioritäten in den Vordergrund als Unternehmenszweck gestellt. |
| Unternehmenspolitik zielt damit besonders auf die Suche und Entwicklung von neuen unternehmerischen Erfolgspotenzialen für die unterschiedlichen und sich wandelnden Interessen. |
| Fördernde Situationsfaktoren sind dynamische komplexe Märkte und Umwelten (bzgl. Nachfrage, Werte, Technik, Politik). |
| Entsprechend wird der Ansatz auch als entwicklungsorientierte oder progressive Unternehmenspolitik bezeichnet. |
Die traditionell eindimensionale Betrachtung unternehmerischer Zielsetzungen i. R. der Rentabilität des Eigenkapitals der Shareholder wird heute immer mehr (nicht nur gesellschaftspolitisch) in Frage gestellt. In den meisten Unternehmen (insb. in Deutschland) dominiert ohnehin der Fremdkapitalanteil die Unternehmensfinanzierung. Auch gibt es in den meisten Unternehmen eine Trennung zwischen Eigentum und Verfügungsgewalt (Anteilseigner und Management). Dazu existieren viele rechtsstaatliche Ansprüche gesellschaftlich relevanter Einzel- oder Gruppeninteressen (z. B. Mitarbeiterinteressen durch Mitbestimmung, Interessenverbände und Behörden) und gesellschaftlich anerkannte moralische Ansprüche (z. B. Corporate Social Responsibility, Nachhaltigkeit, Unternehmensethik). Und letztlich lässt sich der Wert eines Unternehmens und sein Nutzen sowohl für die Eigentümer als auch die Gesellschaft nicht quantifizieren, weil deren Interessenvielfalt zum einen sehr heterogen ist und zum anderen permanent sich wandelnden Motiven unterliegt. Allein die Eigentümerstruktur von Konzernen, aber auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen, ist oft so heterogen, dass sich keine eindeutige dauerhafte stabile Zielsetzung definieren lässt.
Prozess der Unternehmensführung
Abb. 1 stellt den Prozess der Unternehmensführung dar, im äußeren Kreis die Managementaufgaben und im inneren Kreis die Managementinstrumente, mit denen die Aufgaben entwickelt und gesteuert werden:
| Ausgehend von der der Unternehmenspolitik (1.) wo grundlegende unternehmenspolitische Orientierungen festgelegt sind (z. B. Gewinnorientierung im privatwirtschaftlichen Unternehmen) und mit Instrumenten wie z. B. Unternehmensleitlinien nach innen und außen dargestellt werden, |
| sind Unternehmen laufend mit in- und externen Entwicklungen konfrontiert (2.), auf die sie reagieren müssen. Hierbei helfen als Instrumente der Unternehmensführung z. B. die Kreativitäts- und Problemlösungsmethoden. |
| Entsprechend ergeben sich Ansätze für Unternehmensstrategien (3.), mit denen das Unternehmen auf die Entwicklungen reagieren will, um seine Unternehmenspolitik erfolgreich umzusetzen. Strategische Planungstechniken helfen Strategische Geschäftsfelder (z. B. neue Produkte oder Märkte) oder bereichsübergreifende Strategien (z. B. Qualitätsmanagement) zu definieren. |
| Im nächsten Schritt werden die Strategien (je nach Unternehmensorganisation) auf die Unternehmensbereiche, z. B. Abteilungsebenen operationalisiert zu einer operativen Planung für diese Bereiche (4.). Planungs- und Steuerungsinstrumentarium ist das Controlling. |
| Die Strukturierung des Unternehmens bzw. der Bereiche und Abteilungen, z. B. durch Organisationspläne und Führungsstile, hilft die Ziele der Bereiche zu kommunizieren und in der Zusammenarbeit umzusetzen (5.). |
| Durch die konstitutionellen Bedingungen (6.) und deren Steuerung wird sichergestellt, dass das Unternehmen in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (z. B. Standort, Mitbestimmungsgesetze) handeln kann. |
ABB. 1: Unternehmensführungsprozess
Abb. 1 stellt eine abstrahierte (z. B. ausgehend von der Unternehmensgründung) idealtypische Strukturierung dar. In der Praxis laufen diese Prozesse und Rahmenbedingungen parallel als permanenter und integrierter Prozess mit unterschiedlichen Schwerpunkten je nach Unternehmens- und Branchensituation.
1.1.2 Umfeldszenario für Unternehmen
Typische Umfeldszenarien, die aktuell i. R. der Unternehmensführung diskutiert bzw. beachtet werden, sind z. B. die demographischen Veränderungen der Gesellschaften insb. in den westlichen Industrieländern, der gesellschaftliche Wertewandel, technologische Entwicklungen oder die Globalisierung.
| Demographische Entwicklung, z. B. Abnahme der Gesamtbevölkerung durch enorme Geburtenrückgänge, starke Strukturverschiebungen, z. B. mehr Ältere durch Geburtenrückgänge und gleichzeitig steigende Lebenserwartung, mehr Fremdkulturen durch Migration und internationalisierte Wirtschaftsbeziehungen. |
| Wertewandel, z. B. Kapitalakkumulation in Privathaushalten durch immer mehr Konsumvermögen in Single- und Dinks-Haushalten (double income no kids oder DCCs: dual career couples), steigendes und permanent wandelndes Umwelt- und Qualitätsbewusstsein, die Forderung nach Flexibilisierung der Lebensgestaltung (z. B. durch flexible Einkaufs- und Arbeitszeiten), Medialisierung der Gesellschaft (z. B. von Face-to-face über Screen-to-face hin zu Screen-to-screen Kommunikation). |
| Digitalisierung und weitere technologische Entwicklungen, z. B. die Möglichkeiten der Kommunikation oder Prozesssteuerung durch ICT, Multimedialisierung und Digitalisierung von Kommunikation, Dienstleistung und Produktion (z. B. Telearbeit, Industrie 4.0) sowie der hierdurch auch generell steigende Anteil von Dienstleistungsfunktionen. |
| Internationalisierung, immer mehr Freihandelsabkommen wie z. B. der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit in der EU, die Angleichung internationaler Normen, z. B. durch kulturbedingte Kundenwünsche oder globale Vermarktungsstrategien, sowie mehr internationale Konkurrenz auch auf heimischen Märkten. |
| Weitere Szenarien wie z. B. Klimawandel, Fundamentalisierung und eine wieder ansteigende Gesellschaftliche Soziale Ungleichheit (auch in westlichen Industrieländern) haben zunehmend Einfluss auf die Weltwirtschaft und Unternehmen; sie sind aber noch auf Branchen, gesellschaftliche Schichten oder Regionen beschränkt. |
Beispiel: Demographie in Europa
Während die Weltbevölkerung kontinuierlich rasant wächst (jährlich zurzeit um ca. 78 Mio. p. a. auf 7,3 Mrd. Menschen in 2015, die UN prognostizieren insgesamt ein Anwachsen auf rd. 9,3 Mrd. bevor eine Stabilisierung einsetzt), nimmt die Bevölkerung der Industriestaaten kontinuierlich ab. Die Bevölkerungspyramiden der westeuropäischen Länder geraten aus dem Gleichgewicht: Die Geburtenzahlen der jeweils einheimischen Bevölkerungen sind dramatisch zurückgegangen und das Durchschnittsalter und die Lebenserwartung haben in den westlichen Ländern beträchtlich zugenommen. Diese Überalterung der Bevölkerung wird lediglich durch Zuwanderungen von Migranten in ihrer Schnelligkeit etwas gebremst. Die Bevölkerungspyramiden der meisten EU-Staaten oder Industrieländer weltweit befinden sich damit zurzeit auf dem Weg von der ursprünglichen Pyramidenform vor rd. 100 Jahren über die Tannenbaum- hin zur Pilzform (Abb. 2). So ist z. B. in Deutschland der Anteil der Generation 60+ von 17,4 % (1960) auf 23,6 % (2000) gestiegen und wird mit 37,3 % (2040) prognostiziert. Im gleichen Zeitraum ist der Anteil der unter 20-jährigen von 28,4 % (1960) gefallen auf 21,1 % (2000) und wird auf 16,1 % (2040) prognostiziert.
Die Geburtenrückgänge sind in allen westlichen Industriegesellschaften auf ein komplexes Ursachengefüge zurückzuführen, u. a. bedingt durch:2)
| den Funktions- und Strukturwandel der Familie bei gleichzeitiger Zunahme der sozialen staatlichen Fürsorge (z. B. fehlende soziale und ökonomische Bedeutung der Kinder), Emanzipation der Frauen bei gleichzeitig durchschnittlich bedeutender Höherqualifizierungen und Zunahme von Vollerwerbstätigkeit, Ausbreitung individualistischer Lebensstile mit gestiegenen materiellen Aufwand, emotionale und engere Paarbeziehungen, die gleichzeitig zu schnelleren Trennungen führen und Kinder als störend empfinden, zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz von Kinderlosigkeit als Normalfamilie und aufgeklärte Familienplanung durch tabulose Empfängnisverhütung und liberalem Abtreibungsrecht, |
| die höhere Lebenserwartung durch den medizinischen Fortschritt, mehr Gesundheitsvorsorge, Hygiene und Unfallverhütung sowie die allgemeine Wohlstandssteigerung mit geringeren kürzeren Arbeitszeiten und Arbeitsbelastungen. |
Bevölkerungsstrukturen im internationalen Vergleich
Die demographischen Entwicklungen sind nicht nur ein nationales, sondern auch ein internationales Problem. Dies spüren insb. auch die international tätigen Unternehmen, da die Entwicklungen der Bevölkerungsstrukturen jeweils innerhalb der Industrie-, Schwellen- oder Entwicklungsländer ähnlich verlaufen (Abb. 2).
ABB. 2: International Demographic Structures3)
Konsequenzen der Überalterung der Bevölkerung sind u. a.:
| Am Arbeitsmarkt gibt es langfristig in allen Bereichen Probleme Nachwuchskräfte zu finden, besonders vor dem Hintergrund einer im Durchschnitt älter werdenden Bevölkerung, die mehr Ansprüche auf Dienstleistungen im Pflege-, Sozial- und Gesundheitsbereich stellen wird. |
| Die höheren Ansprüche an Dienstleistungen und Alterspensionen werden besonders in Ländern ohne öffentliche Rententräger erhebliche finanzielle Belastungen für den relativ geringer werdenden Anteil der Berufsbevölkerung bringen sowie stärkere individuelle und private Eigenverantwortung. |
| Die Spannungen am Arbeitsmarkt werden die Attraktivität z. B. von Deutschland und den Niederlanden sowie anderen westlichen Industrieländern als Einwanderungsland vergrößern. Die Debatte über die Frage, ob Immigration die negativen Folgen der Überalterung der Bevölkerung und Arbeitsmarktprobleme entschärfen kann, bleibt weiter eine sehr kontroverse gesellschaftliche Diskussion. |