Braunes Eck

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From the series: Leon Walters ermittelt #3
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Hans-Jürgen Setzer

Braunes Eck

Mittelrhein-Krimi

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Braunes Eck

Hans-Jürgen Setzer

Prolog

Der neue Leon

Schrecksekunde

Auf geht’s!

Im Mühlental

Chefsekretariat Koblenzer Tageskurier

Lützel – Sportgelände des Sportvereins rot-weiß

Villa Haberkorn – Koblenz-Oberwerth

Presseabteilung – Polizeipräsidium Koblenz

In Leons Schloss am Rhein

Morgens in der Koblenzer Redaktion

Uff der scheel Seit

Neues vom Förster?

Beim Mexikaner

Wer ist der Scharfschütze?

Vanessa ergreift Eigeninitiative

Ein Wiedersehen mit Marlene

Und was jetzt?

Was hat das alles mit Afghanistan zu tun?

Auf der Yacht im Hafen

Derweil in der Schweizer Bank

Was läuft in Koblenz und auf dem Weg dorthin?

Ein neuer Kontakt im Generalkonsulat der USA

Villa Haberkorn in Koblenz-Oberwerth

Soldatenglück

Oh du schöner Westerwald

In der Zwischenzeit im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz

Auswertungstreffen im Koblenzer Polizeipräsidium

Generalkonsulat der USA Frankfurt

Von Ramstein nach Afghanistan

Operation Warlord

Der nächste Warlord wartet schon

Zugriff!

Doch alles kam ganz anders

Endlich wieder nach Hause

Beginn der Verhöre in Koblenz

Ein Verhörraum weiter, direkt um die Ecke

„Wo ist der Wackeldackel?“

Warum müssen eigentlich immer die Kinder leiden?

Andere Rheinseite – gleiches Problem

Des Rätsels Lösung

Oh, wie ist es am Rhein so schön (braun)

Marlenes schwere Entscheidung

Operation Rechtes Ufer

Schwimmunterricht als vertrauensbildende Maßnahme

In der Zwischenzeit bei den ewig Gestrigen

Nachlese

Ein heikler Auftrag

Planung der Butterfahrt mit Fahrer Leon Walters

Hektik bei den Einsatzkräften

Koblenzer Tageskurier

Der erste Artikel einer Serie

Marlene lässt die Katze aus dem Sack, oder doch nur ein Kätzchen?

Vanessa lässt sich nicht länger vertrösten

Ohne Moos nix los

Armageddon in Koblenz

Epilog

Danksagung

Impressum neobooks

Braunes Eck

Mittelrhein - Krimi

Hans-Jürgen Setzer

Impressum

Texte: © Copyright by Hans-Jürgen Setzer

Umschlag: © Copyright by Hans-Jürgen Setzer

Verlag: Hans-Jürgen Setzer

Kirchweg 13

56244 Maxsain

hjsetzer@t-online.de

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Prolog

Sporthallen sind von Natur aus Orte, an denen Freude und Leid sehr nahe beieinander liegen. Während der eine gewinnt, verliert der andere bereits. Solange beide Varianten in ausgeglichenem Maße vorkommen, lässt sich ein Verlust für Sportler und Zuschauer sicher verkraften. Jedoch sind gelegentlich bereits die kleinsten Verluste gekoppelt mit Wut und Ärger. Kein Sportler, sei er auch noch so gut, wird lebenslang immer nur vom Glück verwöhnt werden können. Sollte Sport nicht eine spielerische Freizeitbeschäftigung sein? Wie gelingt es überhaupt in einem Spiel solches Leid und derart extreme Gefühle von Unglück hervorzurufen? Warum entsteht solche Wut, solcher Hass, nur weil der eine gewinnt, der andere nicht und der Verlierer sich oft ungerechterweise auf der falschen Seite gelandet sieht? Sei es ein vermeintlich falsch entscheidender Schiedsrichter, einfach Schicksal, schlechte Form oder was auch immer gewesen. Diese Eigenart Dinge nicht zu akzeptieren scheint zutiefst menschlich.

Hat jedoch wie heute, an diesem Ort ein junges Leben sein Ende gefunden, so muss eindeutig festgestellt werden, dass Gefühle eines oder mehrerer Menschen fehlgeleitet worden sind. Selbstmord oder ein Verbrechen, diese Frage stellt sich.

Der neue Leon

Leon stand vor dem Spiegel und betrachtete die neue Version von sich selbst. Seit einigen Wochen experimentierte er mit seinem Bart herum. Bisher war er immer glattrasiert durchs Leben gelaufen. Versuche im Urlaub, sich einen Bart wachsen zu lassen scheiterten regelmäßig nach wenigen Tagen, genau dann, wenn die Haare anfingen kratzig zu werden. „Unvorstellbar, wie das manche Männer aushalten können“, dachte er immer häufiger.

Seit der Trennung von Sophie entwickelte sich ein ganz starkes Bedürfnis, etwas an seinem Äußeren zu verändern. Frauen machten das in Krisenzeiten für gewöhnlich auch. Sie gingen zum Friseur, wechselten Frisur und Haarfarbe, besuchten mehrfach in der Woche das Fitnessstudio, um mit harter Arbeit die Traumfigur zurückzuerobern. Dafür kasteiten sie sich dann obendrein mit Nulldiäten. Endlich passten neue Kleider wieder in den Größen, die nicht mehr förderlich auf eine Depression wirkten. Eine perfekte Ablenkung vom eigentlichen Problem und zudem ein Versuch, den eigenen Marktwert zu verbessern. Wunderbar, die Haare abzuschneiden, wenn der Ex lange Haare so sehr liebte oder wieder schlank oder etwas pummeliger zu sein, wenn der Ex die Pölsterchen liebte oder kritisch beäugte. Dem Alten damit im Nachhinein noch eins auswischen – ja!

 

Auch Leon spürte das Bedürfnis nach einem neuen Körper- und Lebensgefühl, und sei es nur um den Eindruck von sich zu verbessern, wenn er an einem Spiegel vorbeikam. Begonnen hatte er sein Experiment mit einem Vollbart. Die Rückmeldungen seiner Umgebung kamen prompt: „Oh, Sie sehen ja völlig verändert aus! Haben wir uns so lange nicht gesehen? Ein Bart steht Ihnen aber wirklich gut! Er macht Sie irgendwie männlicher.“ Leon fühlte sich dennoch nicht wirklich wohl in dieser kratzigen Haut und er mochte es auch nicht besonders im Mittelpunkt zu stehen und von allen Seiten ganz genau betrachtet zu werden. Ein eigens dafür beschafftes Bartöl half auch nicht wirklich lange gegen diese Borstigkeit. Immer wieder griff er prüfend zu seinen Barthaaren. In der aktuellsten Version versuchte er es mit einem Bart rund um den Mund, ohne die Backenpartien wachsen zu lassen. Die gepflegte Bartversion schien offenbar bei vielen gut anzukommen und bestätigte ihn somit grundsätzlich in seiner Idee.

Jedes Mal, wenn er vor dem Spiegel stand, musste er über und mit sich selbst lachen. „Schon besser. Ist es das vielleicht schon? Es wirkt ein wenig verschmitzt. Mal sehen. Auf geht es Leon, das schönste Leben wartet auf dich! Du musst nur lernen, es zu sehen und es zuzulassen.“

Schrecksekunde

Die Pausenglocke klingelte schrill in der Schulsporthalle des Stadtteils Koblenz-Lützel und ließ erkennen, dass zu anderen Tageszeiten Schulkinder hier in Bewegung und zum Schwitzen gebracht werden sollten. Die Schüler waren zu dieser Zeit bereits lange bei ihren Familien.

Milena Hofmann stellte ihr Fahrrad vorsichtshalber in den Fahrradständer vor dem Gebäude und schloss es mit einem extra stabilen Fahrradschloss fest. Schließlich konnte man nie wissen, jedenfalls nicht in Lützel. Die Kriminalitätsrate schien in diesem Stadtteil, gefühlt jedenfalls, deutlich höher, als anderswo in Koblenz. Im Freundes- und Verwandtenkreis erzählten einige von Beulen am Auto, ohne die Bereitschaft eines Verursachers, am Ende auch für die Reparatur aufzukommen, von gestohlenen Fahrrädern, Körperverletzung auf offener Straße und so weiter. Gut, Lützel hatte sich die letzten Jahre ein wenig gemausert, seit zunehmend mehr Studenten dorthin zogen, weil es sich dort günstiger wohnen ließ als im restlichen Koblenz. Die heile Welt war dennoch eher woanders zu suchen, in Oberwerth vielleicht, jedenfalls oberflächlich betrachtet.

Milena hatte vor einigen Wochen mit Tobi Schluss gemacht. Sie waren fast die gesamte Oberstufe über ein Paar gewesen. Es fiel ihr heute ganz und gar nicht leicht hierher zu kommen. Die letzten Wochen grenzten schon fast an Stalking. Ständig war Tobi immer wieder genau dort aufgetaucht, wo Milena unterwegs gewesen war. Er beobachtete sie nur aus der Ferne, sprach nicht mit ihr, verhielt sich wie ein Schatten. Geklärt wurde auf diese Weise natürlich nichts zwischen ihnen, ganz im Gegenteil. Langsam wurde ihr dieses Verhalten unheimlich, wenn er beispielsweise abends zu Fuß, mit dem Rad oder auch seinem Cabrio ganz langsam an Milenas Wohnhaus vorbeikam und einfach nur schaute. Vermutlich wollte er nur nachsehen, ob es einen anderen Mann in ihrem Leben gab, vielleicht auch ob sie zu Hause war und was sie gerade machte. Das Telefon hatte häufiger geklingelt, ohne Anzeige einer Rufnummer und am anderen Ende der Leitung war kein erkennbares Lebenszeichen zu hören, höchstens ein leises Atemgeräusch war hin und wieder zu erahnen.

Sie hatte sich daraufhin ein Herz gefasst und wollte ihn entweder bei einem kleinen Spaziergang oder einem Getränk zur Rede stellen. Sie wusste, dass er vermutlich heute zum Training gehen würde, denn das war ihm in all den gemeinsamen Jahren immer sehr wichtig gewesen. Körper und Aussehen hatten absoluten Vorrang gehabt.

Das Training war offensichtlich früher beendet worden oder eventuell sogar ganz ausgefallen, denn es standen weder Fahrräder noch sonstige Fahrzeuge vor der Halle geparkt. Nur ein einzelnes Fahrrad wartete einsam in seinem Ständer, bis es Gesellschaft bekommen hatte von Milenas bestem Gefährt(en). Milena erkannte das Rad sofort. Es gehörte Tobi.

„Mal sehen, das sieht gar nicht so gut aus. Es ist keine Menschenseele zu sehen. Wenigstens einige Menschen in der Nähe wären mir heute schon lieber gewesen, falls ich auf Tobi treffen sollte. Glück gehabt, die Tür ist jedenfalls nicht verschlossen“, dachte Milena und ging durch den Flur zur Umkleide. Vorsichtig klopfte sie an. Sie hatten schon in vielen Lebenslagen Zeit miteinander verbracht. Dennoch fand sie es unpassend, Tobi womöglich mehr oder weniger unbekleidet anzutreffen. Es brannte noch Licht, doch weder aus den Duschräumen noch aus der Umkleide selbst hörte man irgendein Geräusch. „Hallo?“, versuchte sie es erneut. Der Ruf schallte durch die hohen leeren Räume. Keine Antwort.

Milena ging zur großen Sporthalle, obwohl es ihr unwahrscheinlich vorkam, dass Tobi noch alleine dort sein sollte. Vielleicht wollte er noch ein paar Bälle werfen. Das machte er manchmal, am liebsten ganz alleine, wenn ihn niemand dabei beobachten und kritisieren konnte. Kritik mochte er nämlich generell nicht besonders. Er konnte dann sehr schnell beleidigt sein und noch viel häufiger selbst beleidigend werden.

Die große Hallentür war nur schwer zu öffnen, besonders für so ein Leichtgewicht wie Milena. Sie musste sich daher mit dem ganzen Körper dagegen werfen. „Hallo? Ist hier jemand? Tobi?“, hörte sie sich erneut rufen.

„Oh mein Gott! Nein! Tobi!“ Sie rannte so schnell sie konnte ans andere Ende der großen Halle. Ein durchtrainierter männlicher Körper in kurzer Sportkleidung hing am Metallring des Basketballkorbs und baumelte langsam wie ein Uhrpendel hin und her und wippte dabei leicht rauf und runter. Für dieses Gewicht schien der Basketballkorb nicht gebaut zu sein. Sie schaute nach oben. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen, blaurot verfärbt und völlig entstellt. Seine Zunge stand etwas hervor. „Schrecklich, was mache ich denn jetzt nur?“ Ihr war klar, dass sie Tobi nicht mehr helfen konnte. Er war ohne Zweifel schon eine Weile tot. Augenblicklich schoss ein Schwall ihres Mageninhaltes ungebremst aus ihr heraus und klatschte auf den blanken, harten Hallenboden. Sie fiel auf ihre Knie, hielt sich augenblicklich die Hände vor das Gesicht und weinte. Sie weinte und weinte und weinte … die Zeit verrann, ohne dass Milena hätte sagen können, wie lange sie so auf dem Boden verharrt hatte.

Eine ältere männliche Stimme hallte von hinten durch den Halleneingang: „Hallo? Ist hier jemand? Wer verdammt noch mal hat hier wieder überall das Licht brennen lassen und alle Türen stehen sperrangelweit offen? Verdammte Schlamperei. Wenn man nicht alles wirklich selber macht. Da könnte ja jeder…“, fluchte er ohne Unterbrechung, während er die Turnhallentür öffnete. „Oh mein Gott, was ist denn hier los?“, fragte er und rannte auf den toten Körper zu.

Milena zuckte zusammen und konnte vor lauter Tränen und zerlaufenem Makeup kaum etwas sehen.

„Ich hole eine Leiter“, rief er und lief schon wieder zum Eingang, um nur wenig später mit einer größeren Stehleiter zurückzukommen. „Wie zum Teufel, ist der da oben überhaupt rangekommen, ohne Stuhl und Leiter?“, fragte der ältere Herr. Es handelte sich vermutlich um den Hausmeister, jedenfalls seinem grauen Kittel nach zu urteilen. „Mädchen, was war denn hier nur los?“, fügte er an. „Jetzt rede doch endlich!“

„Ich weiß es doch auch nicht. Ich habe ihn gerade eben so hier gefunden“, sagte sie und weinte erneut.

Der Hausmeister erkannte, dass es keinen Sinn machen würde, die Leiche alleine abzuhängen, zumal die Polizei das auch bestimmt nicht gut finden würde. Tot war er allemal, vermutlich sogar schon etwas länger. Soviel war ihm bereits klar. Von der jungen Frau bekam er jetzt sowieso gerade keine sinnvolle Information. „Komm, du musst jetzt erst mal raus an die Luft. Wir rufen jetzt die Polizei.“ Er legte den Arm um Milena und führte sie nach draußen. Dieses zarte Geschöpf konnte auf gar keinen Fall die Täterin sein, von ihr ging also mit Sicherheit derzeit auch keine Gefahr für ihn aus, so mutmaßte er jedenfalls.

Auf geht’s!

Leon Walters saß in der Redaktion des Koblenzer Tageskuriers und machte ein Gesicht, als würde am heutigen Tag noch die Welt untergehen oder als wäre es gerade eben passiert, und er musste völlig hilflos dabei zuschauen. Die Sache mit Sophie ging ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf. Es fühlte sich doch über Monate hinweg so gut an – so richtig. Und dann...

„Walters, was machst du denn heute wieder für ein Gesicht?“, fragte die neue Kollegin aus der Sportredaktion, die ihrem nervigen Vorgänger diesbezüglich in nichts nachstand. „Ist heute schon irgendetwas Schlimmes passiert? Kann ich dir irgendwie helfen? Einen starken Kaffee vielleicht? Ein gemeinsames Frühstück und du kannst dich dabei mal so richtig aussprechen? Ich bin eine gute Zuhörerin“, kam Angebot für Angebot wie aus der Pistole geschossen.

Leon zuckte förmlich zusammen und wurde gnadenlos in das wirkliche Leben zurück gerissen.

Es war für Leon nicht zu übersehen gewesen: die neue Kollegin suchte schon seit einigen Tagen engeren Anschluss. Einfach war es für sie bestimmt nicht. Paffrath, der Verlagschef, hatte sie kurzfristig eingestellt und als Berufsneuling einfach ins kalte Wasser geworfen. Ihr Vorgänger, ein alter erfahrener Hase war zudem noch beliebt gewesen bei den Kollegen und im Zusammenhang mit Leons letztem Fall auf tragische Weise ums Leben gekommen. Im Moment schaute jeder, ob die Neue wirklich in die Fußstapfen passen würde. Offensichtlich fühlte sie sich im Tageskurier abgeschottet und brauchte Verbündete – das war überlebenswichtig in diesem Job und besonders beim Koblenzer Tageskurier. Journalismus lebte letztendlich von Kontakten, Erfahrung, einem Quäntchen Glück und natürlich etwas Geschick neben dem handwerklichen Können. Leon war seit einigen Tagen zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen und hatte sie daher immer wieder abblitzen lassen.

„Du, das ist wirklich lieb von dir. Danke für das tolle Angebot. Vielleicht komme ich später noch darauf zurück. Ich brauche im Moment erst einmal etwas Zeit zum Nachdenken – und zwar ganz für mich alleine. Den starken Kaffee nehme ich trotzdem gerne“, antwortete Leon mit einem traurigen Unterton, der langsam überging in eine etwas gebesserte Stimmung. Immerhin schien er seiner Umwelt nicht egal zu sein und das zu spüren tat einfach gut.

„Wird prompt erledigt, Kollege“, antwortete die braungebrannte höchstens 25-jährige Sportreporterin. „Sorry, das war wirklich nicht böse gemeint. Ich möchte dir nicht zu sehr auf die Pelle rücken“, fügte sie im Gehen noch an.

„Sie passt sehr gut in diese Rolle“, dachte Leon und musterte seine Kollegin von hinten, während sie zur Kaffeeküche lief. „Meistens trägt sie Sportkleidung, hat einen gut durchtrainierten Körper, die blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden als wollte sie jeden Moment losjoggen und würde ich sie unter der Dusche besuchen, so wäre mit Sicherheit ein Sixpack und kein Gramm Fett zuviel unter der engen Oberbekleidung aufzufinden“, dachte er. „Und erst dieser perfekte Po...“, Leon schüttelte mit dem Kopf. Dabei glitten seine Gedanken wieder zu Sophie, seiner Ex. Vanessa, seine neue Kollegin erinnerte ihn in Vielem an Sophie. Der Po und der Pferdeschwanz von hinten, ein Gedankensprung und schlagartig war die Laune wieder im Keller.

„Jetzt reiß dich mal zusammen, die arme Kollegin kann ja nichts dafür und braucht im Moment wirklich selbst jede Unterstützung, die sie kriegen kann“, dachte Leon.

„So, voilà, ein Kaffee für den Herrn“, sang Vanessa und brachte eine große Tasse des dampfenden Getränks, arrangiert mit einem kleinen Keks, Milch und Zucker auf der Untertasse. „Kann ich sonst noch etwas Gutes für dich tun?“

„Danke, Liebste. Du, hör mal Vanessa, ich habe mir das Ganze doch noch einmal anders überlegt. Lass uns bei dem herrlichen Wetter irgendwohin zu einem schönen Frühstück in die Stadt fahren, falls du die freie Zeit überhaupt aufbringen kannst. Ich kann mich hier drinnen gerade sowieso nicht gut konzentrieren. Also, offiziell fahren wir natürlich zu dringend notwendigen Recherchen oder zu einem unaufschiebbaren wichtigen Arbeitsessen, falls der Alte fragt. Es ist besser, wenn der nicht immer alles mitkriegt. Das wirst du noch merken. Wenn der alte Haifisch genau die Fische als Futter bekommt, die er gerne mag, sind alle glücklich und zufrieden. Wehe, wenn er hungrig ist oder verdorbenen Fisch bekommt. Wir sollten gemeinsam besprechen, wie wir uns hier wechselseitig das Leben ein wenig leichter machen können“, erklärte er.

 

Ein Lächeln kam auf Vanessas Gesicht. „Prima Idee, Leon. Du kannst mir bei der Gelegenheit gerne erklären, welche Fische von Haien, speziell natürlich unserem Lieblingshai am allerliebsten gefressen werden und seinem Blutdruck zuträglich sind. Wann wollen wir los?“ Sie tänzelte dabei wie ein junges Mädchen, das sich auf eine tolle Überraschung freut.

„Ich trinke diesen leckeren Kaffee, serviert von einer bezaubernden jungen Dame erst noch aus, dann können wir“, antwortete er und nippte an der Tasse. Er packte ein paar Sachen vom Schreibtisch zusammen, steckte sie in seine Ledertasche, trank nebenher seinen Kaffee in großen Zügen leer, steckte sich den Keks in den Mund und blies damit zum Aufbruch. „So, jetzt nur nicht dem Alten in die Arme laufen“, dachte er mit einem verschmitzten Gesichtsausdruck.

„Wer fährt?“, fragte Vanessa schnippisch, den Wagenschlüssel schon in der rechten Hand parat. „Glaubst du, du kannst eine Frau am Steuer verkraften?“

„Das hängt ganz von deinem Fahrstil ab. Vergiss nicht, ich für meinen Teil habe jedenfalls heute noch nicht richtig gefrühstückt“, frotzelte Leon.

Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in die Tiefgarage bestiegen eines der zahlreichen, nahezu identischen Fahrzeuge der Verlagsflotte. „Koblenzer Tageskurier – Wir bringen es – morgens und auf den Punkt“, war auf allen Wagen auf der Außenseite zu lesen. Mit quietschenden Reifen und unruhigem Gasgeben fuhr Vanessa die steile Ausfahrt hoch, um Leon ein wenig zu beeindrucken.

„Na, na, wir sind auf der Arbeit, nicht auf der Flucht“, stieß Leon etwas überrascht aber witzig gemeint hervor und hielt sich demonstrativ mit beiden Händen am Griff über der Tür fest als wäre er Teilnehmer einer Rallye.

„Wohin fahren wir eigentlich?“, fragte sie ohne weiter auf den Fahrstil einzugehen.

„Wie wäre es mit dem Mühlental? Da gibt es heute in einem kleinen aber feinen Lokal leckeren Brunch vom Buffet, wir wären außerdem ungestört, denn dorthin verirrt sich sicher so leicht kein Tageskurierler“, antwortete er. In der Stadt oder im Weindorf kommen wir vielleicht sonst noch in Erklärungsnot.

„Klingt gut, Gerede brauchen wir im Moment sicher beide nicht. Ich bin schon froh, wenn ich erst einmal die Füße auf die Erde bekomme und ein paar gute Artikel in den Sportteil“, sagte sie mit einem kleinen Seufzer in der Stimme.

„Das wird schon. Gib dir und den anderen etwas Zeit. Der Tod deines Vorgängers steckt allen noch ziemlich in den Knochen. Weißt du, dass es eigentlich mich erwischen sollte? Hätte er nicht, wie schon so oft, von den für mich bestimmten Pralinen genascht, könnte er jetzt weiter die Leute nerven, nur mich vielleicht nicht mehr“, frotzelte er.

„Ach, das krieg ich sicher auch hin“, flirtete sie mit einem Augenzwinkern und einem schrägen Blick. „Im Vernaschen und Nerven bin ich ziemlich gut. Sorry, das klingt jetzt bestimmt pietätlos. Es tut mir natürlich sehr leid für den Kollegen.“

„Hey, Vorsicht, du legst ja ein Tempo vor, da schießt das Blut wie eine Achterbahn von oben nach unten und umgekehrt“, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. „Da vorne rechts ab und dann immer geradeaus. Wir sind gleich da, falls uns nicht ein entgegenkommender Lkw erwischt.“

„Die Geschichte mit meinem toten Vorgänger habe ich natürlich schon erzählt bekommen. Auf deine Version freue ich mich aber ganz besonders“, fügte Vanessa noch an, um nicht desinteressiert zu wirken.