Hans Fallada – Gesammelte Werke

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»Was soll ich mit dem fei­nen Krims­krams?!«, ze­tert die Wir­tin. »Sie­ben Haut- und Na­gel­sche­ren al­lein! Das kann ich nicht brau­chen. Ich will mein Geld ha­ben! Und die­se ge­mei­nen Schlaf­an­zü­ge!« Aber ih­rer Stim­me ist an­zu­hö­ren, dass dies nur ein Rück­zugs­ge­fecht ist, ihre Gier ist er­wacht.

»Ich habe um hun­dert Mark her­um da­für be­zahlt«, sage ich. »Und drau­ßen ste­hen auch noch zwei Fla­schen Schwarz­wäl­der und eine Fla­sche Korn – die sol­len Sie auch noch ha­ben. Sind Sie nun zu­frie­den?«

Sie ze­tert noch ein we­nig, aber dann gibt sie sich zu­frie­den.

»Aber die Fla­sche Par­füm möch­te ich Ihrem Mäd­chen als Trink­geld schen­ken«, sage ich und neh­me sie.

»Mei­net­hal­ben«, sagt die Wir­tin. »Mit sol­chem Nut­ten­zeug mag ich mich nicht ein­stin­ken.« Und sie pro­biert, ob die Hose des bun­ten Py­ja­mas auch lang ge­nug für sie ist.

»Eli­nor!«, rufe ich durch das Lo­kal, denn ich kann we­gen der Ket­te nicht fort von dem Wacht­meis­ter. »Hier habe ich noch eine Fla­sche echt fran­zö­si­sches Par­füm für dich … Komm, Mäd­chen!«

»Ach, las­sen Sie mich zu­frie­den!«, ruft sie mür­risch zu­rück. »Ich habe jetzt wirk­lich ge­nug von Ih­nen. Brin­gen Sie den Kerl doch weg, Wacht­meis­ter, ich möch­te ins Bett!«

Die bru­ta­le Rück­sichts­lo­sig­keit, mit der sie mich im Stich ließ, so­bald sie ih­ren Zweck er­reicht hat­te, raub­te mir fast den Atem. Dann rief ich: »Ver­lässt du dich nicht ein biss­chen sehr auf mei­ne An­stän­dig­keit, Eli­nor?« scharf durchs gan­ze Lo­kal.

»Brin­gen Sie den be­sof­fe­nen Trot­tel weg, Wacht­meis­ter!«, schrie sie jetzt. »Ich will nicht mehr von ihm an­ge­quatscht wer­den. Er war mir im­mer ek­lig, hof­fent­lich be­hal­tet ihr ihn ewig im Kitt­chen!«

Ich be­griff, in ei­nem Au­gen­blick be­griff ich. Jetzt war ihr mein Geld si­cher, ich hat­te selbst sei­nen Be­sitz ge­leug­net. Und sie trug es be­stimmt nicht mehr bei sich, sie hat­te es schon ir­gend­wo hin­ter der The­ke ver­steckt. Nun ließ sie die Mas­ke fal­len – ich war ein ekel­haf­ter Trot­tel. Wahr­haf­tig, ich war es wirk­lich. Wie gut, dass ich noch eine Fla­sche Schnaps zum Trost in der Ta­sche hat­te! Aber wie, wenn mich nun auch der Schnaps ver­ließ?

»Also kom­men Sie end­lich!«, sag­te der Wacht­meis­ter und zog am Kett­chen.

Ich folg­te ihm wort­los. Der Gen­darm setz­te sich auf sein Rad und ra­del­te, für einen Rad­ler lang­sam, für einen Fuß­gän­ger reich­lich schnell, los. Ich trab­te ne­ben­her. Im Ge­fäng­nis des großen Nach­bar­dor­fes, in dem­sel­ben Ort, an dem ich mit der Bahn am Abend vor­her ein­ge­trof­fen war, lie­fer­te er mich ein.

25

Ich habe mein Bett un­ter das klei­ne Fens­ter ge­rückt und mich dann an den ei­ser­nen Git­ter­stä­ben hoch­ge­zo­gen. Ich sehe in ein fried­lich be­sonn­tes Land mit Wie­sen, Äckern, wei­den­dem Vieh und Wald­strei­fen am Ho­ri­zont. Di­rekt un­ter mir liegt ein mit Lat­ten ein­ge­frie­de­ter Ge­mü­se­gar­ten, ein al­ter Mann geht einen Weg ent­lang und pflückt Grü­nes für Zie­gen und Kar­ni­ckel in einen Sack. Er kann ge­hen, wo­hin er will – und ich, ich bin jetzt ge­fan­gen! Ges­tern ge­hör­te mir das noch al­les, ich konn­te aus mei­nem Le­ben ma­chen, was ich woll­te, heu­te hal­ten an­de­re mein Le­ben in ih­rer Hand, und ich muss war­ten, wie sie über mich be­schlie­ßen.

Ich las­se mich auf mein Bett fal­len. Mir ist sehr schlecht, mein Kopf schmerzt – die Wir­kung der paar Schlu­cke eben ist schon wie­der ver­gan­gen. Ich habe Durst – aber wann wer­de ich die­sen Durst wie­der stil­len kön­nen? ›Heu­te schon‹, sage ich mir be­ru­hi­gend, ›be­stimmt heu­te schon! Heu­te noch las­sen sie dich wie­der frei. Sie ha­ben dir bloß einen Schreck ein­ja­gen wol­len, so­was macht man, man steckt Be­trun­ke­ne für eine Nacht in eine Zel­le, da­mit sie ih­ren Rausch aus­schla­fen und sich er­nüch­tern, dann lässt man sie wie­der frei. So ma­chen sie’s nun auch mit dir.‹

Ich will nicht mit ih­nen grol­len, schließ­lich han­deln sie ganz rich­tig. Ich habe mich wirk­lich zu sehr ge­hen­las­sen in dem Land­g­ast­hof, die­ser Denk­zet­tel, die­ser Schreck­schuss ist mir ganz gut. Aber gleich wird der Schlüs­sel im Schloss klir­ren, der net­te Wacht­meis­ter aus der Nacht kommt her­ein und fragt la­chend: »Na, gut ge­schla­fen, Herr Som­mer? Dann ma­chen Sie, dass Sie hier weg­kom­men – und sün­di­gen Sie hin­fort nicht mehr!«

Und ich gehe in die Frei­heit, in je­nen fri­schen, grü­nen, son­ni­gen Mor­gen hin­aus, an dem ein al­ter Mann an al­len Stra­ßen­rän­dern, wo er nur mag, Grün­fut­ter in einen Sack sam­melt. Ich bin wie­der frei. Wäre es wirk­lich ein erns­ter Fall ge­we­sen, hät­te mir dann der Wacht­meis­ter den Schnaps mit in die Zel­le ge­ge­ben?

So be­ru­hi­ge ich mich, und wenn sich ein Ge­dan­ke an jene nächt­li­che Sze­ne mit Mag­da bei mir ein­schlei­chen will, so wei­se ich ihn ener­gisch zu­rück. Mag­da ist mei­ne Frau, trotz al­ler Dif­fe­ren­zen in letz­ter Zeit, wir ha­ben so lan­ge zu­sam­men­ge­hal­ten, sie wird mir ver­zei­hen, sie hat mir schon ver­zie­hen. Sie ver­steht, dass ich krank war. Aber die­ser Schreck­schuss hier hat mich er­nüch­tert, nie wie­der wer­de ich trin­ken, kei­nen Trop­fen mehr.

Ich sprin­ge auf und gehe in der Zel­le hin und her. Nein, ich will jetzt ehr­lich sein, ich will mir nicht wie­der et­was vor­lü­gen: Ich kann, wenn ich nach­her ent­las­sen wer­de, nicht gleich auf einen Schlag mit Trin­ken auf­hö­ren; schon jetzt quält mich der Durst schänd­lich. Es ist wie ein rei­ßen­des Ver­lan­gen in mei­nem Kör­per, eine Gier, die einen tö­ten zu wol­len scheint, wenn sie nicht be­frie­digt wird. Mei­ne Glie­der zit­tern, ein Schweiß­aus­bruch folgt auf den an­de­ren, der Ma­gen ist in Aufruhr.

Plötz­lich fällt mir ein, dass ich bei mei­nem Auf­bruch aus dem Land­g­ast­hof wohl eine gan­ze Fla­sche Kirsch be­zahlt habe, dass sie aber, nur zur Hälf­te leer ge­trun­ken, auf dem Tisch ste­hen blieb. Ich hät­te den Wacht­meis­ter bit­ten sol­len, sie noch leer trin­ken zu dür­fen. Er hät­te es mir er­laubt, dann hät­te ich mehr Al­ko­hol im Lei­be ge­habt, dann hät­te ich jetzt nicht die­se schreck­li­chen Be­schwer­den!

Also, ich will von jetzt an ehr­lich sein: Ich kann dem Al­ko­hol nicht so­fort ganz ab­schwö­ren, aber ich wer­de von nun an sehr mä­ßig trin­ken, viel­leicht nur eine hal­be Fla­sche pro Tag oder gar nur ein Drit­tel. Mit ei­nem Drit­tel wür­de ich schon aus­kom­men. Jetzt wür­de mich schon ein ein­zi­ger klei­ner Schnaps glück­lich ma­chen, ein win­zi­ges Stäng­chen, kaum ein Mund­voll Schnaps, in die­sem Zu­stand, in dem ich jetzt bin.

Wenn ich jetzt gleich ent­las­sen wer­de, wer­de ich mir hier im Ort so ein Stäng­chen leis­ten, ein ein­zi­ges nur, und dann wer­de ich zu Fuß nach Hau­se ge­hen und nichts mehr trin­ken. Ich habe kein Geld mehr bei mir, aber ich habe mei­nen bläu­li­chen Früh­jahrs­man­tel an, den wer­de ich dem Wirt zum Pfand dalas­sen. Er wird mir dar­auf eine Fla­sche Korn ge­ben, viel­leicht so­gar zwei, dann bin ich wie­der für drei, vier Tage aus­ge­rüs­tet. Für drei Tage je­den­falls be­stimmt! Und in drei Ta­gen habe ich Mag­da rum, ich wer­de sehr lie­be­voll und freund­lich mit ihr sein, dann be­kom­me ich wie­der Geld von ihr …

Ei­nen Au­gen­blick schlie­ße ich die Au­gen: Ich habe eben an die fünf­tau­send Mark ge­dacht, die ich ges­tern um die­se Zeit von der Bank ab­hob. Es muss ein schwe­rer Schlag für das Ge­schäft ge­we­sen sein, es wird viel­leicht doch nicht ganz ein­fach sein, Mag­da zu ver­söh­nen … Aber, be­ru­hi­ge ich mich rasch, ich wer­de eine Hy­po­thek auf un­se­re Vil­la ein­tra­gen las­sen, sie ist bis­her schul­den­frei; fünf­tau­send Mark be­kom­me ich auf die Vil­la be­stimmt. Dann ist Mag­da ver­söhnt. Und na­tür­lich wer­de ich Po­la­kow­ski nicht un­ge­straft sei­nen Raub ge­nie­ßen las­sen. Ich wer­de heu­te noch zu ihm hin­ge­hen, mei­ne Sa­chen und das Sil­ber und mei­ne Gold­sa­chen muss er min­des­tens wie­der her­aus­rücken, dann will ich ihm zwei­tau­send Mark von dem Geld las­sen. Und geht er dar­auf nicht ein, wer­de ich ihn an­zei­gen, dann wan­dert der gute, sanf­te, heuch­le­ri­sche Po­la­kow­ski statt mei­ner ins Ge­fäng­nis.

So ge­hen mei­ne Ge­dan­ken, im Gan­zen sind sie – trotz ge­le­gent­li­cher be­klom­me­ner Er­wä­gun­gen – op­ti­mis­tisch. Ich wer­de schon durch­kom­men, schließ­lich bin ich ein an­ge­se­he­ner Bür­ger; man wird sich hü­ten, mich hart an­zu­fas­sen!

Da­zwi­schen star­re ich halb ge­dan­ken­los die In­schrif­ten in der Zel­le an. Man­che sind mit Blei­stift an die Wän­de ge­schrie­ben, an­de­re mit ei­nem Na­gel in den Kalk ge­kratzt. Meist steht oben­an ein Name, und dar­un­ter dann zwei Da­ten, das der Ein­lie­fe­rung und das der Ent­las­sung. Es be­ru­higt mich sehr, dass all die­se Da­ten so dicht bei­ein­an­der­lie­gen, der Mann, der nach den In­schrif­ten am längs­ten hier in der Zel­le ge­ses­sen hat, war zehn Tage hier. Auch ein Be­weis wie­der, dass man nichts Schlim­mes mit mir vor­hat. Zehn Tage – nun, für mich kom­men auch zehn Tage nicht in­fra­ge, ich hiel­te sie nie aus bei mei­nem wil­den Al­ko­hol­hun­ger! Aber ich, ich wer­de ja auch in ein paar Mi­nu­ten ent­las­sen!

Und dann, wie ist es mit dem Früh­stück? Auch Ge­fan­ge­ne müs­sen ein Früh­stück be­kom­men, ver­mut­lich Was­ser und tro­cken Brot, aber im­mer­hin ein Früh­stück. Es ist jetzt min­des­tens halb zehn Uhr, nach dem Son­nen­stand zu ur­tei­len, und mir hat man noch kein Früh­stück ge­bracht! Das ist na­tür­lich wie­der ein Zei­chen, dass man es nicht schlimm mit mir meint. Man will mich so schnell ent­las­sen, dass man nicht ein­mal ein Früh­stück an mich wen­det. Der Wacht­meis­ter spart es, ich kann mir ja drau­ßen eins kau­fen! Das ist so klar wie der Tag.

 

Für den Au­gen­blick völ­lig be­ru­higt, wer­fe ich mich wie­der auf den Stroh­sack und ver­su­che zu schla­fen. Ich den­ke an Eli­nor, ich ver­su­che an die Süße des Au­gen­blicks zu den­ken, als sie mir den Schnaps aus ih­rem Mun­de zu trin­ken gab, aber selt­sam, jetzt scheint mir das nicht mehr süß. Nein, ich will nicht mehr an den Land­g­ast­hof den­ken, es war zu wi­der­lich dort, und wie fein sie mich aus­ge­beu­telt hat, die­se klei­ne Hure, wie den al­ler­letz­ten dum­men Jun­gen! Aber zu ihr wer­de ich nicht ge­hen wie zu Po­la­kow­ski, soll sie mit ih­rem Raub glück­lich wer­den oder ver­re­cken, ich will nie wie­der et­was von ihr se­hen! Ich lebe von nun an nur für Mag­da. Es ist nur gut, dass ich mit die­sen Leu­ten im Gast­hof so völ­lig durch bin; ich habe al­les be­zahlt, sie kön­nen mir gar nichts mehr wol­len, ich wer­de sie nie wie­der­se­hen. Ich woll­te nur, ich wüss­te über Mag­das Stel­lung zu mir schon so gut Be­scheid …

So ge­hen mei­ne Ge­dan­ken. Da­zwi­schen schla­fe ich ein biss­chen, dru­se­le so halb ein und bin auch plötz­lich ganz fort, wie in ei­ner tie­fen Ohn­macht. Und da bin ich wie­der wach, füh­le von Neu­em die Qual in mei­nem Leib, stöh­ne: »Mein Gott! Mein Gott! Das hal­te ich nicht aus – kom­me ich denn noch nicht fort?« Ich ren­ne hin und her, rüt­te­le auch ein­mal an den Ei­sen­stan­gen, leh­ne mich ge­gen die Tür, in der wahn­sin­ni­gen Hoff­nung, dass sie viel­leicht of­fen­ge­blie­ben ist, und den­ke an Mag­da … Ehr­lich ge­sagt: Ich habe Angst vor Mag­da … Sie kann so ver­flucht ener­gisch sein … Aber ich bin ihr Mann, wir ha­ben uns ge­liebt, sie wird mir ver­zei­hen, sie muss es … So dreht sich die ewig glei­che Ge­dan­ken­müh­le …

26

Ich habe wie­der ein­mal ge­schla­fen. Das Klir­ren des Schlüs­sels hat mich ge­weckt. Ich sprin­ge von mei­nem La­ger und sehe er­war­tungs­voll den vier Her­ren ent­ge­gen, die in mei­ne Zel­le ein­tre­ten. Zwei­en gön­ne ich nur einen kur­z­en Blick: Sie tra­gen die Uni­form der Po­li­zei. Der eine ist der Wacht­meis­ter aus der Nacht, der mich hier­her ge­bracht hat, der an­de­re ist ein Po­li­zei­be­am­ter, den ich aus mei­ner Va­ter­stadt gut ken­ne. Man­ches Mal habe ich bei ei­nem Gla­se Bier einen Skat mit ihm ge­spielt, ein gu­ter, or­dent­li­cher Mensch, na­tür­lich nicht aus mei­ner Ge­sell­schafts­klas­se, aber ich war nie stolz. Von den bei­den an­de­ren Her­ren in Zi­vil ken­ne ich den einen nicht, es ist ein jun­ger Herr mit scharf ge­schnit­te­nem Ge­sicht und et­was star­ren­den, stren­gen Au­gen. Sei­ne Un­ter­lip­pe wölbt sich stark vor. Der an­de­re Zi­vi­list ist mir aber umso bes­ser be­kannt, es ist un­ser gu­ter al­ter Haus­arzt, der Dr. Mans­feld.

Im Au­gen­blick, da ich ihn er­ken­ne, schießt es mir blitz­schnell durch den Kopf, dass ich also doch nicht ent­las­sen wer­de. Er wird mich in eine Trin­ker­heil­stät­te brin­gen. Aber auch das ist nicht schlimm, im Ge­gen­teil, das ist viel­leicht noch viel bes­ser. In ei­nem sol­chen Haus wer­den mir mei­ne jet­zi­gen Qua­len ab­ge­nom­men, si­cher ha­ben sie dort Mit­tel da­ge­gen, und dann er­spa­ren sie mir die so­for­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit Mag­da. Über einen in sol­chem Haus un­ter­ge­brach­ten Kran­ken wird Mag­da viel mil­der den­ken …

All das habe ich in Se­kun­den­schnel­le über­legt und bin da­bei auf den Arzt zu­ge­eilt. Ich schüt­te­le ihm die Hand, ich sage er­regt: »Ich dan­ke Ih­nen, dass Sie ge­kom­men sind, Herr Dr. Mans­feld. Se­hen Sie«, ich la­che ein we­nig ver­le­gen, »wie man mich hier un­ter­ge­bracht hat!« Und ich wer­fe einen Blick auf die schmut­zi­ge Zel­le.

Dr. Mans­feld drückt mei­ne Hand kräf­tig. Ich mer­ke, auch er ist er­regt, sein Ge­sicht zit­tert. »Ja, mein lie­ber Herr Som­mer«, sagt er, und sei­ne Stim­me zit­tert. »Ich habe es nicht ge­wollt, dass es so mit Ih­nen en­den muss …«

»En­den?«, sage ich und ver­su­che, mei­ner Stim­me einen leich­ten Klang zu ge­ben. »En­den, Herr Dr. Mans­feld? Ich den­ke, dies ist ein neu­er An­fang! Sie brin­gen mich in eine Heil­stät­te und ma­chen mich wie­der ge­sund!«

»Das woll­te ich vor vier­zehn Ta­gen, mein lie­ber Herr Som­mer«, sagt Dr. Mans­feld kopf­schüt­telnd. »Aber Sie ha­ben es ja lei­der un­mög­lich ge­macht. Jetzt hat der Herr Staats­an­walt das Wort.«

Und da­mit sieht er zu dem jün­ge­ren Herrn mit den star­ren­den Au­gen hin­über, der jetzt sei­ne vor­ste­hen­de Un­ter­lip­pe noch wei­ter vor­schiebt, mich streng an­schaut und erst zö­gernd sagt: »Ja, ja, na­tür­lich.« Dann rasch: »Ich muss Sie we­gen Mord­ver­suchs an Ih­rer Frau ver­haf­ten, Herr Som­mer. Sie sind ver­haf­tet!«

Ich ste­he wie vom Don­ner ge­rührt, ich kann im ers­ten Au­gen­blick kein Wort über die Lip­pen brin­gen. ›Dies kann kein Ernst sein‹, den­ke ich fie­ber­haft. ›Sie wol­len dich nur schre­cken. Mord­ver­such an Mag­da …?‹ End­lich kann ich spre­chen, ich sage mit zit­tern­der Stim­me: »Mord­ver­such an mei­ner Frau, das ist doch lä­cher­lich! Ich habe Mag­da doch nie er­mor­den wol­len!«

Der Herr Staats­an­walt sieht mich ver­nich­tend an und stößt scharf her­vor: »Wir wer­den Ih­nen schon bei­brin­gen, wie lä­cher­lich das ist, Som­mer!« Und: »Kom­men Sie, Herr Dok­tor!« Noch ein­mal zu dem städ­ti­schen Wacht­meis­ter: »Sie wis­sen also Be­scheid, Wacht­meis­ter. Füh­ren Sie den Mann ab!«

»Herr Dr. Mans­feld!«, rufe ich auf­ge­regt, maß­los ver­zwei­felt hin­ter den Fort­ge­hen­den drein. »Herr Dr. Mans­feld, Sie wis­sen doch, wie sehr ich Mag­da ge­liebt …«

Die Tür schlägt hin­ter den bei­den Zi­vi­lis­ten zu, ich bin mit den bei­den Uni­for­mier­ten al­lein. Fas­sungs­los hocke ich mich auf mei­nen Stroh­sack und ver­ber­ge das Ge­sicht in den Hän­den.

27

Nach­dem ich eine Wei­le be­we­gungs­los so da­ge­s­es­sen hat­te und im­mer wie­der die ge­gen mich er­ho­be­ne An­kla­ge »Mord­ver­such an der ei­ge­nen Frau« qual­voll hin und her ge­wälzt hat­te, leg­te der Wacht­meis­ter aus mei­ner Va­ter­stadt, Herr Schul­ze, sei­ne Hand auf mei­ne Schul­ter und sag­te, mil­de mah­nend: »Wir müs­sen jetzt ge­hen, Som­mer!«

»Som­mer«, wie mich das an­rühr­te, die­ses ein­fa­che »Som­mer« ohne »Herr«; so von ei­nem ganz ein­fa­chen Mann mit ei­nem Jah­res­ein­kom­men von kaum mehr als zwei­tau­send­vier­hun­dert Mark an­ge­re­det zu wer­den, das mach­te mir die Ver­än­de­rung mei­ner Le­ben­sum­stän­de aufs Deut­lichs­te be­greif­lich. Seit ich aus der Leh­re ent­las­sen wor­den war, hat­te mich noch kein Mensch ohne »Herr« an­ge­re­det, und nun … Ich nahm die Hän­de vom Ge­sicht und frag­te, mit Trä­nen in den Au­gen: »Wo­hin brin­gen Sie mich, Herr Schul­ze?«

Ich be­ton­te das »Herr«, aber er ach­te­te nicht dar­auf, solch ein­fa­cher Mann hat­te für so fei­ne Schat­tie­run­gen wohl kein Ge­fühl. »Nur zum Amts­ge­richt, Som­mer«, sag­te er. »Nur zum Amts­ge­richt.« Und er fuhr fort: »Se­hen Sie, Som­mer, Sie sind doch ein ge­bil­de­ter Mann, Sie wer­den mir doch kei­ne Schwie­rig­kei­ten ma­chen? Ich müss­te Sie wohl ei­gent­lich an die Ket­te neh­men, aber wenn Sie mir ver­spre­chen, kei­ne Schwie­rig­kei­ten zu ma­chen …«

»Ich ver­spre­che es Ih­nen, Herr Schul­ze«, sag­te ich eif­rig und jetzt fast fröh­lich. »Ich ver­spre­che es Ih­nen auf Ehre und Ge­wis­sen.«

»Schön«, ant­wor­te­te er. »Ich will mich auf Sie ver­las­sen. Zie­hen Sie Ihren Man­tel an, da liegt noch Ihr Hut, sonst ha­ben Sie nichts? Also kom­men Sie!«

Er ging mit mir aus der Zel­le, wir stie­gen eine Trep­pe hin­un­ter und stan­den auf der Dorf­stra­ße. Ich war erst ein paar Stun­den in dem halb­dunklen Ge­fäng­nis ge­we­sen, und doch über­wäl­tig­ten mich schon Wei­te und Hel­le rings­um. Mein Herz klopf­te schnel­ler bei die­sem Gruß der Frei­heit.

›Wenn du jetz­t‹, dach­te ich schnell, ›über den Zaun dort sprin­gen und durch den bu­schi­gen Gar­ten lau­fen wür­dest, über die Wie­sen in den Wald hin­ein – ob Schul­ze sich wohl sehr viel Mühe ge­ben wür­de, dich wie­der ein­zu­fan­gen? Ob er gar hin­ter dir her­schie­ßen wür­de wie hin­ter ei­nem rich­ti­gen Ver­bre­cher? Ach nein‹, dach­te ich mit ei­nem schwa­chen Lä­cheln, ›das wür­de er nie tun. Wir ha­ben doch öf­ter Skat mit­ein­an­der ge­spielt, und er weiß, wer ich bin und was ich vor­stel­le. Aber ich will ihm ja gar nicht weg­lau­fen‹, dach­te ich schnell. ›Ich habe ihm ver­spro­chen, kei­ne Schwie­rig­kei­ten zu ma­chen, und ich bin ein Mann von Wort. Aber et­was an­de­res will ich von ihm …‹ Als Schul­ze vor­hin da­von ge­spro­chen hat­te, dass er mich zum Amts­ge­richt brin­gen müss­te, war die­se Mög­lich­keit hoff­nungs­voll vor mir auf­ge­taucht. »Herr Schul­ze«, sag­te ich sehr höf­lich, »ich habe eine Bit­te an Sie …«

»Nun, was ist denn noch, Som­mer?«, frag­te er. »Gehe ich zu schnell? Wir kön­nen ru­hig auch lang­sa­mer ge­hen, der Zug fährt erst in zwan­zig Mi­nu­ten.«

»Se­hen Sie, Herr Schul­ze«, fing ich an. »Ich habe so furcht­ba­re Zahn­schmer­zen, und da drü­ben sehe ich ge­ra­de einen Gast­hof. Darf ich nicht schnell ein­mal hin­ein­ge­hen und einen Ko­gnak oder Rum trin­ken? Das hilft mir so­fort ge­gen die Zahn­schmer­zen. Sie kön­nen«, fuhr ich schnell fort, »ru­hig ne­ben mir an der The­ke ste­hen, wenn Sie Angst ha­ben, ich lau­fe Ih­nen fort. Ich lau­fe Ih­nen be­stimmt nicht fort, es ist nur we­gen mei­ner gräss­li­chen Zahn­schmer­zen.«

»Das schla­gen Sie sich nur ru­hig aus dem Kopf!«, sag­te der Wacht­meis­ter be­stimmt. »Da müss­te ich ja wohl mei­nen Rock aus­zie­hen, wenn be­kannt wür­de, ich habe mit ei­nem Ge­fan­ge­nen Schnaps an der The­ke ge­trun­ken. Daraus wird nichts, Som­mer.«

»Aber es kennt mich hier doch kein Mensch, Herr Schul­ze«, rief ich bit­tend. »Es kommt be­stimmt nie her­aus!«

»Da!«, rief der Wacht­meis­ter und leg­te grü­ßend die Hand an den Tscha­ko. Das Auto des Arz­tes, in dem ne­ben Dr. Mans­feld der Staats­an­walt saß, war an uns vor­über­ge­fah­ren. »Wenn die bei­den uns hät­ten in den Gast­hof rein­ge­hen se­hen, ich wäre schon ›drin‹ ge­we­sen! Also, kom­men Sie jetzt wei­ter, Som­mer.«

»Herr Schul­ze«, sag­te ich fle­hend und ging kei­nen Schritt von die­sem Platz am Gast­hof, mei­ner letz­ten Chan­ce. »Nun ist aber wirk­lich kein Ein­zi­ger mehr hier, der mich kennt. Tun Sie mir doch den Ge­fal­len! Nur ein ein­zi­ger Schnaps! Ich will mei­ner Frau auch sa­gen, sie soll Ih­nen hun­dert Mark …«

»Nun wird es mir aber doch zu bunt!«, schrie der Wacht­meis­ter und war rot vor Zorn. »Sind Sie denn ganz ver­rückt ge­wor­den, Som­mer? Das ist ja eine Be­am­ten­be­ste­chung, die Sie da ver­sucht ha­ben! Das müss­te ich ja ei­gent­lich auf der Stel­le an­zei­gen! So­fort kom­men Sie jetzt mit, oder ich neh­me Sie an die Ket­te!«

Völ­lig ver­schüch­tert, gänz­lich nie­der­ge­schmet­tert, der letz­ten Hoff­nung be­raubt, folg­te ich dem auf­ge­brach­ten Herrn Schul­ze. Eine Wei­le gin­gen wir schwei­gend ne­ben­ein­an­der­her, er är­ger­lich vor sich hin mur­melnd, ich mit ge­senk­tem Kopf und schlep­pen­den Glie­dern.

Dann sag­te der Wacht­meis­ter ru­hi­ger: »Ich ver­ste­he Sie nicht, Som­mer. Sie wa­ren sonst doch ein ganz or­dent­li­cher, so­li­der Mann, und nun ma­chen Sie sol­che Zi­cken! Ha­ben Sie denn noch im­mer nicht ge­nug von der ol­len Sau­fe­rei? Hat Sie die nicht schon weit ge­nug ins Un­glück ge­stürzt? Je­den­falls will ich Ihre Lage nicht noch schlim­mer ma­chen, als sie schon ist. Ich habe nichts ge­hört. Aber nun sei­en Sie auch ein Kerl, Som­mer, und rei­ßen Sie sich zu­sam­men. In ein paar Ta­gen sind Sie aus dem Kel­ler raus und ha­ben wie­der einen kla­ren Kopf, und dass Sie den ge­wal­tig brau­chen wer­den, das müss­ten Sie nach den Wor­ten des Herrn Staats­an­wal­tes doch ei­gent­lich wis­sen!«

Ich hör­te mir das al­les schwei­gend und ohne zu ant­wor­ten an. Es de­mü­tig­te und kränk­te mich tief, dass ein so ein­fa­cher Mann wie der Wacht­meis­ter Schul­ze es sich her­aus­neh­men durf­te, so mit mir zu re­den. Frei­lich wuss­te ich da­mals noch nicht, dass ich erst am An­fang ei­nes lan­gen Lei­dens­we­ges stand und dass noch ganz an­de­re und sehr viel tiefer ste­hen­de Men­schen noch viel, viel deut­li­cher mit mir re­den wür­den.

Wir wa­ren auf dem Bahn­hof an­ge­kom­men, und Wacht­meis­ter Schul­ze kauf­te hier zwei Fahr­kar­ten drit­ter Klas­se für uns. »So«, sag­te er dann und trat mit mir auf den Bahn­steig un­ter die dort war­ten­den Leu­te hin­aus. »Und nun las­sen Sie den Kopf nicht hän­gen, Som­mer, son­dern un­ter­hal­ten Sie sich ru­hig mit mir, dann merkt kei­ner was, son­dern je­der denkt, wir sind gute Be­kann­te und ha­ben uns ganz zu­fäl­lig ge­trof­fen. Wir sind ja wohl auch schon da­heim nach dem Skat mit­ein­an­der die Brei­te Stra­ße ein Stück lang ge­mein­sam ge­gan­gen, und Sie und kei­ner ist auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, dass wir et­was an­de­res als Be­kann­te wä­ren …«

 

Da­mit hat­te er recht. Und da ich nun den Schreck über den ab­ge­schla­ge­nen Schnaps ei­ni­ger­ma­ßen über­wun­den hat­te, kam wirk­lich eine ganz ver­nünf­ti­ge Un­ter­hal­tung zu­stan­de, erst über die eben ein­set­zen­de Heu­ern­te, dann über die all­ge­mei­nen Ern­te­aus­sich­ten. Schul­ze und ich, wir wa­ren bei­de der An­sicht, dass es im All­ge­mei­nen nicht schlecht aus­sä­he, jetzt aber müs­se Re­gen kom­men, das Früh­jahr sei zu tro­cken ge­we­sen, und be­son­ders die Som­me­rung,1 aber auch die Hack­früch­te brauch­ten nö­tigst Feuch­tig­keit.

Die kur­ze Bahn­fahrt ver­ging mir so schnell ge­nug, und von den im Ab­teil Mit­rei­sen­den ist wohl kei­ner auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, dass hier ein des Mord­ver­su­ches Ver­däch­ti­ger ab­ge­führt wur­de. (Manch­mal woll­te ich mir als so schwe­rer Ver­bre­cher wahr­haft glo­ri­os ver­rucht vor­kom­men.) Als wir dann aber auf dem hei­mat­li­chen Bahn­hof an­ka­men und uns durch vie­le War­ten­de hin­durch­zwäng­ten, in die Bahn­hofs­hal­le ka­men, und auf den Platz vor dem Bahn­hof, da wur­de mir wie­der ganz bäng­lich zu­mu­te. Denn je­den Au­gen­blick konn­te ich jetzt ei­nem nächs­ten Be­kann­ten, ja mei­nen ei­ge­nen An­ge­stell­ten, ja mei­ner ei­ge­nen Frau be­geg­nen.

Ich zog den Wacht­meis­ter am Är­mel und bat ihn: »Herr Schul­ze, kön­nen wir nicht ein biss­chen hin­ten­rum und durch die An­la­gen ge­hen? Ich ken­ne hier so vie­le Men­schen, und es wäre mir wirk­lich pein­lich …«

Herr Schul­ze nick­te mit dem Kopf. »Mir soll es recht sein. Es ist ja schließ­lich egal, ob Sie eine Vier­tel­stun­de frü­her oder spä­ter im Amts­ge­richt an­kom­men. Aber jetzt möch­te ich mich erst ein biss­chen leich­ter ma­chen …«

Und da­mit ging Herr Schul­ze mit mir schräg über den Bahn­hofs­platz auf je­nes Ge­bäu­de zu, das ich, von der an­de­ren Rich­tung kom­mend, gute vier­und­zwan­zig Stun­den zu­vor mit Po­la­kow­ski auf­ge­sucht hat­te. Es war ein selt­sa­mes Ge­fühl, wie­der in die­sem Raum mit sei­nen sechs Be­cken zu ste­hen, das Was­ser rau­schen zu hö­ren und den schmut­zig-nas­sen Stein­bo­den an­zu­se­hen. Hier hat­te ich mich im Kampf mit Po­la­kow­ski ge­wälzt – so kur­ze Zeit war es erst her, und doch schi­en es schon ganz un­glaub­haft. Wie ein wil­der Traum, der, so­lan­ge man ihn träum­te, völ­lig über­zeug­te, und der schon di­rekt nach dem Er­wa­chen lä­cher­lich gro­tesk an­mu­te­te. Aber ich hat­te hier mit Po­la­kow­ski ge­kämpft, es war kein Traum ge­we­sen, und die­sem ab­ge­feim­ten Schur­ken ge­gen­über ban­den mich we­der Rück­sicht noch Wort.

Als wir dar­um wie­der aus der An­stalt hin­austra­ten und schön sach­te um die Stadt her­um un­ter Ver­mei­dung al­ler be­leb­te­ren Stra­ßen wei­ter­gin­gen, fass­te ich mir ein Herz und er­zähl­te dem Wacht­meis­ter Schul­ze schön der Rei­he nach al­les, was ich mit Po­la­kow­ski er­lebt hat­te, von mei­nem ers­ten Auftau­chen nach mei­ner Flucht aus dem Arz­t­au­to in der von Wra­sen2 er­füll­ten Wasch­kü­che an bis zu mei­nem Kampf um Kof­fer und Geld in der Toi­let­te. Der Wacht­meis­ter Schul­ze hat­te in sei­nem Be­ruf wohl man­ches von mensch­li­chen Lei­den­schaf­ten und Ver­ir­run­gen er­lebt, um noch viel über so et­was zu er­stau­nen, bei mei­ner Er­zäh­lung blieb er aber doch ei­ni­ge Male fast er­regt ste­hen, sag­te mehr­fach leb­haft: »Don­ner­wet­ter, es ist nicht zu glau­ben.« – »Was Sie nicht sa­gen! Ist das wirk­lich wahr, Som­mer?«, pfiff auch durch die Zäh­ne.

Als ich dann ge­en­det hat­te und auf einen Em­pö­rungs­aus­bruch über den Schur­ken Po­la­kow­ski war­te­te, schwieg der Wacht­meis­ter Schul­ze eine gan­ze Wei­le, und dann mein­te er be­däch­tig, mich groß an­se­hend: »Ich ken­ne Sie ja ei­gent­lich bloß vom Skat her, das heißt, ich ken­ne Sie gar nicht, aber ich habe Sie im­mer doch für einen ver­nünf­ti­gen und über­leg­ten Ge­schäfts­mann ge­hal­ten. Dass Sie – ent­schul­di­gen Sie, aber es ist die Wahr­heit – ein so bo­den­lo­ses Rind­vieh sind, Som­mer, das habe ich mir frei­lich nicht ein­mal im Traum ein­ge­bil­det. Sie mö­gen es dre­hen und wen­den, wie Sie wol­len, es ist nicht nur der Suff ge­we­sen, mit dem Suff al­lein kön­nen Sie so viel Doof­heit nicht ent­schul­di­gen. Vom ers­ten Tage an ha­ben Sie se­hen müs­sen, was für ein Gau­ner der Kerl war, ha­ben’s auch ge­se­hen und sind doch nicht fort­ge­gan­gen, wo man Sie in je­dem klei­nen Gast­hof so viel hät­te sau­fen las­sen, wie Sie nur woll­ten. Nein, es ist Ih­nen ganz recht ge­sche­hen, dass der Kerl Sie aus­ge­nom­men hat. Sie ha­ben’s nicht bes­ser ver­dient, und ich woll­te nur, er hät­te Ih­nen auch noch die letz­ten tau­send Mark ab­ge­nom­men, da hät­ten Sie den Un­fug in dem Gast­hof nicht auch noch an­stel­len kön­nen …«

Der Wacht­meis­ter hol­te Atem und sah mich stra­fend an, ich aber war über die­se ganz un­er­war­te­te Wir­kung mei­nes Be­rich­tes aufs Äu­ßers­te em­pört und sag­te böse: »Da­rum habe ich Ih­nen wirk­lich nicht die gan­ze Ge­schich­te er­zählt, da­mit Sie mir hier eine Moral­pau­ke hal­ten, Wacht­meis­ter Schul­ze …«

»Herr Wacht­meis­ter Schul­ze, bit­te, Som­mer!« ver­bes­ser­te Schul­ze streng.

»Son­dern ich dach­te«, fuhr ich wü­tend fort, »dass Sie sich so­fort Mühe ge­ben wür­den, die­sen Lum­pen von Po­la­kow­ski zu fan­gen …«

»So ist es rich­tig«, lach­te der Wacht­meis­ter spöt­tisch. »Erst ste­cken Sie in Ih­rer Dumm­heit und Be­sof­fen­heit ei­nem Ver­bre­cher Ihr Hab und Gut di­rekt in die Hand, und dann schrei­en Sie nach der Po­li­zei und ver­lan­gen, dass wir noch ach und weh schrei­en und Hals über Kopf hin­ter Ihren sie­ben Zwetsch­gen drein­lau­fen sol­len! Ich kann’s Ih­nen nur noch ein­mal sa­gen: Sie ha­ben es nicht bes­ser ver­dient, und wenn Ihre arme Frau nicht wäre, die ja al­lein die Last Ih­rer Dumm­hei­ten tra­gen muss, ich ris­se mir wirk­lich kein Bein um die Sa­che aus. Um Ih­rer Frau wil­len, Som­mer, wohl­ge­merkt, um Ih­rer Frau wil­len wer­de ich aber, so­bald ich Sie erst nach Num­mer Si­cher ge­bracht habe, dem Leut­nant gleich Be­richt ma­chen, und es ist ja mög­lich, dass die­ser Vo­gel noch nicht über alle Ber­ge ist – so bald er­war­tet er uns viel­leicht noch nicht.

Nun aber kom­men Sie ein biss­chen schnell, ich möch­te Sie jetzt ger­ne bald ab­ge­lie­fert ha­ben, sonst ma­chen Sie noch eine fri­sche Dumm­heit. Von Ih­nen kann man ja ein­fach al­les er­war­ten. Du lie­ber Him­mel! Nie in mei­nem Le­ben wer­de ich wie­der auf eine sol­che Fassa­de rein­fal­len, wun­der habe ich ge­dacht, was Sie für ein tüch­ti­ger Kerl sind, aber wahr­schein­lich hat al­les die Frau ge­macht. Wie soll die Ih­nen je den Mist, den Sie da an­ge­rich­tet ha­ben, ver­zei­hen!«

Da­mit gin­gen wir los und re­de­ten auch kein ein­zi­ges Wort mehr bis zum Amts­ge­richt; Schul­ze war wohl schon in­ner­lich mit dem Be­richt an den Leut­nant be­schäf­tigt, ich aber war wirk­lich tief ge­kränkt über all die Un­ge­rech­tig­kei­ten, die mir die­ser sub­al­ter­ne Be­am­te ganz frech ins Ge­sicht ge­sagt hat­te. Wenn der Mann nicht ein­sah, dass ich ein­fach krank ge­we­sen war, als hilflo­ser Kran­ker ei­nem Schur­ken aus­ge­lie­fert, so war ihm nicht zu hel­fen, dann war er der Dum­me. Ich je­den­falls war es be­stimmt nicht. Ich war nur krank ge­we­sen, war es noch im­mer …