Hans Fallada – Gesammelte Werke

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»Ach, so ein klei­ner Nichts­tu­er, ein Renn­wet­ter, der ist nicht wich­tig, um den ma­chen Sie sich das Herz nicht schwer!«

»Je­der ist wich­tig. Sein Blut wird von mir ge­for­dert wer­den.«

»Se­hen Sie, Herr Quan­gel«, sag­te der Kom­missar zu dem düs­ter ne­ben ihm ste­hen­den Man­ne. »Nun ha­ben Sie es doch ge­stan­den, Ihr Ver­bre­chen, und ha­ben es nicht ein­mal ge­merkt!«

»Mein Ver­bre­chen? Ich habe kein Ver­bre­chen be­gan­gen, we­nigs­tens nicht das, was Sie mei­nen. Mein Ver­bre­chen ist es, dass ich mich für zu schlau hielt, dass ich es al­lein ma­chen woll­te, und ich weiß doch, ei­ner ist nichts. Nein, ich habe nichts ge­tan, wes­we­gen ich mich schä­men muss, aber wie ich es ge­tan habe, das war falsch. Da­für ver­die­ne ich die Stra­fe, und dar­um st­er­be ich ger­ne …«

»Nun, so schlimm wird’s ja nicht gleich wer­den«, be­merk­te der Kom­missar tröst­lich.

Quan­gel hör­te nicht auf ihn. Vor sich hin sag­te er: »Ich hab nie rich­tig was von den Men­schen ge­hal­ten, sonst hät­te ich es wis­sen müs­sen.«

Esche­rich frag­te: »Wis­sen Sie denn, Quan­gel, wie viel Brie­fe und Kar­ten Sie ei­gent­lich ge­schrie­ben ha­ben?«

»276 Kar­ten, 9 Brie­fe.«

»… so­dass gan­ze 18 Stück nicht ab­ge­lie­fert wor­den sind.«

»18 Stück, das ist mei­ne Ar­beit von über zwei Jah­ren, das ist all mei­ne Hoff­nung. 18 Stück mit dem Le­ben be­zahlt, aber im­mer doch 18 Stück!«

»Glau­ben Sie nur nicht, Quan­gel«, sag­te der Kom­missar, »dass die­se 18 Stück im­mer wei­ter­ge­ge­ben sind. Nein, die sind von Leu­ten ge­fun­den, die selbst so viel Dreck am Ste­cken hat­ten, dass sie die Kar­ten nicht ab­zu­ge­ben wag­ten. Auch die­se 18 sind ohne jede Wir­kung ge­blie­ben, wir ha­ben nie et­was aus dem Pub­li­kum von ih­rer Wir­kung ge­hört …«

»So­dass ich nichts er­reicht habe?«

»So­dass Sie nichts er­reicht ha­ben, we­nigs­tens nichts von dem, was Sie woll­ten! Sei­en Sie doch froh dar­über, Quan­gel, das wird Ih­nen be­stimmt als straf­mil­dernd an­ge­rech­net wer­den! Vi­el­leicht kom­men Sie mit fünf­zehn oder zwan­zig Jah­ren Zucht­haus weg!«

Quan­gel schau­der­te. »Nein«, sag­te er. »Nein!«

»Was ha­ben Sie sich denn ei­gent­lich auch ge­dacht, Quan­gel? Sie, ein ein­fa­cher Ar­bei­ter, ha­ben ge­gen den Füh­rer kämp­fen wol­len, hin­ter dem die Par­tei, die Wehr­macht, die SS, die SA ste­hen? Ge­gen den Füh­rer, der schon die hal­be Welt be­siegt hat und in ein, zwei Jah­ren un­sern letz­ten Feind be­siegt ha­ben wird? Das ist doch lä­cher­lich! Das muss­ten Sie sich doch von vorn­her­ein sa­gen, dass das schief ge­hen muss­te! Das ist, wie wenn eine Mücke ge­gen einen Ele­fan­ten kämp­fen will. Das ver­ste­he ich nicht, Sie, ein ver­nünf­ti­ger Mann!«

»Nein, das wer­den Sie nie ver­ste­hen. Es ist egal, ob nur ei­ner kämpft oder zehn­tau­send; wenn der eine merkt, er muss kämp­fen, so kämpft er, ob er Mit­kämp­fer hat oder nicht. Ich habe kämp­fen müs­sen, und ich wür­de es im­mer wie­der tun. Nur an­ders, ganz an­ders.«

Er wen­de­te sei­nen wie­der ru­hi­gen Blick zum Kom­missar: »Üb­ri­gens, mei­ne Frau hat nichts mit die­sen Din­gen zu schaf­fen. Sie müs­sen sie wie­der frei­las­sen!«

»Jetzt lü­gen Sie, Quan­gel! Ihre Frau hat die Kar­ten dik­tiert, sie hat es selbst ge­stan­den.«

»Jetzt lü­gen Sie! Sehe ich aus wie ein Mann, der sich von sei­ner Frau dik­tie­ren lässt? Wo­mög­lich sa­gen Sie noch, sie hat sich die gan­ze Sa­che aus­ge­dacht. Aber ich bin es ge­we­sen, ich al­lein. Ich bin dar­auf ge­kom­men, ich habe die Kar­ten ge­schrie­ben, ich habe sie aus­ge­tra­gen, ich will mei­ne Stra­fe! Sie nicht! Mei­ne Frau nicht!«

»Sie hat ge­stan­den …«

»Sie hat nichts ge­stan­den! Ich will sol­che Lü­gen nicht mehr hö­ren! Sie sol­len mir mei­ne Frau nicht schlecht­ma­chen!«

Ei­nen Au­gen­blick stan­den sich die bei­den ge­gen­über, der Mann mit dem schar­fen Vo­gel­kopf und dem har­ten Blick und der farb­lo­se, graue Kom­missar mit dem sem­mel­blon­den Bart und den hel­len Au­gen.

Dann senk­te Esche­rich den Blick und sag­te: »Ich rufe jetzt je­mand her­ein, wir wer­den ein klei­nes Pro­to­koll auf­neh­men. Ich hof­fe, Sie blei­ben bei Ih­rer Aus­sa­ge?«

»Ich blei­be da­bei.«

»Und Sie sind sich klar dar­über, was Sie er­war­tet? Hohe Zucht­haus­stra­fe, viel­leicht der Tod?«

»Ja­wohl, ich weiß, was ich ge­tan habe. Und ich hof­fe, auch Sie wis­sen, was Sie tun, Herr Kom­missar?«

»Was tue ich denn?«

»Sie ar­bei­ten für einen Mör­der, und Sie lie­fern dem Mör­der stets neue Beu­te. Sie tun’s für Geld, viel­leicht glau­ben Sie nicht mal an den Mann. Nein, Sie glau­ben be­stimmt nicht an ihn. Bloß für Geld …«

Wie­der stan­den sie sich schwei­gend ge­gen­über, und wie­der senk­te der Kom­missar nach ei­ner Wei­le über­wun­den den Blick.

»Ich gehe dann«, sag­te er fast ver­le­gen, »und hole einen Schrei­ber.«

Er ging.

51. Kommissar Escherich

Um Mit­ter­nacht sitzt Kom­missar Esche­rich noch oder viel­mehr schon wie­der in sei­nem Dienst­zim­mer. Er hockt da ganz in sich zu­sam­men­ge­sun­ken, aber so viel Al­ko­hol er auch ge­trun­ken hat, die schreck­li­che Sze­ne, die er hat mit­ma­chen müs­sen, hat er nicht ver­ges­sen.

Dies­mal hat sein ho­her Vor­ge­setz­ter, der schwar­ze Scheiß­bock Prall, kein Kriegs­ver­dienst­kreuz für sei­nen so er­folg­rei­chen, so tüch­ti­gen, so lie­ben Kom­missar ge­habt, aber eine Ein­la­dung zu ei­ner klei­nen Sie­ges­fei­er hat­te er doch. Da hat­ten sie zu­sam­men­ge­ses­sen, sie hat­ten vie­len schar­fen Ar­ma­gnac aus gar nicht klei­nen Glä­sern ge­trun­ken, sie hat­ten über den er­wi­sch­ten Kla­bau­ter­mann ge­prahlt, und un­ter all­ge­mei­nem Bei­fall hat­te Kom­missar Esche­rich das Pro­to­koll mit dem Ge­ständ­nis Quan­gels vor­le­sen müs­sen …

Müh­sa­me, sorg­fäl­ti­ge kri­mi­na­lis­ti­sche Ar­beit vor die Schwei­ne ge­wor­fen!

Aber dann, als sie alle so rich­tig fett an­ge­sof­fen wa­ren, hat­ten sie sich einen Ex­tras­paß ge­macht. Mit Fla­schen und Glä­sern aus­ge­rüs­tet, wa­ren sie in Quan­gels Zel­le hin­ab­ge­stie­gen, auch der Kom­missar hat­te mit­kom­men müs­sen. Sie woll­ten sich die­sen selt­sa­men Vo­gel doch ein­mal an­se­hen, die­sen Hirn­ver­brann­ten, der die Frech­heit ge­habt hat­te, ge­gen den ge­lieb­ten Füh­rer zu kämp­fen!

Sie hat­ten Quan­gel ge­fun­den un­ter sei­ner De­cke auf der Prit­sche, fest schla­fend. Ein selt­sa­mes Ge­sicht, hat­te Esche­rich ge­dacht, dem auch der Schlaf kei­ne Ent­span­nung schenk­te, das im­mer gleich ver­schlos­sen und sor­gen­voll aus­sah im Wa­chen und im Schlaf. Aber im­mer­hin hat­te der Mann fest ge­schla­fen …

Na­tür­lich hat­ten die ihn nicht schla­fen las­sen. Sie hat­ten ihn mit Püf­fen ge­weckt, sie hat­ten ihn von sei­ner Prit­sche hoch­ge­jagt. Er hat­te da vor die­sen Leu­ten in ih­ren Uni­for­men in Schwarz und Sil­ber in ei­nem viel zu kur­z­en Hemd ge­stan­den, ei­nem Hemd, das nicht ein­mal ganz sei­ne Blö­ße be­deck­te, eine lä­cher­li­che Fi­gur – wenn man den Kopf nicht an­sah!

Und dann wa­ren sie auf den Ge­dan­ken ge­kom­men, den al­ten Kla­bau­ter­mann zu tau­fen, sie hat­ten ihm eine Fla­sche Schnaps über den Kopf ge­gos­sen. Der Ober­grup­pen­füh­rer Prall hat­te eine klei­ne, nied­lich be­sof­fe­ne Rede über die­sen Kla­bau­ter­mann ge­hal­ten, über dies Schwein, das bald ge­met­zelt wür­de, und am Schluss die­ser Rede hat­te er sein Schnaps­glas auf Quan­gels Kopf zer­schla­gen.

Das war ein Si­gnal für die an­de­ren ge­we­sen, alle hat­ten sie ihre Schnaps­glä­ser auf dem Kopf des al­ten Man­nes zer­schla­gen. Ar­ma­gnac und Blut wa­ren über sein Ge­sicht ge­lau­fen. Aber wäh­rend al­les dies ge­sch­ah, war es Esche­rich ge­we­sen, als sähe zwi­schen den Bä­chen aus Blut und Schnaps Quan­gel ihn un­ver­wandt an, und er mein­te gra­de­zu, ihn spre­chen zu hö­ren: Das ist also die ge­rech­te Sa­che, für die du mor­dest! Das sind dei­ne Hen­kers­ge­sel­len! So seid ihr. Du weißt sehr wohl, was du tust. Ich aber wer­de für die Ver­bre­chen, die ich nicht be­gan­gen habe, ster­ben, und du wirst le­ben – so ge­recht ist dei­ne Sa­che!

Dann hat­ten sie ent­deckt, dass Esche­richs Glas noch heil war. Sie hat­ten es ihm be­foh­len, es auch auf dem Kopf Quan­gels zu zer­schla­gen. Ja, Prall hat­te es ihm zwei Mal sehr scharf be­feh­len müs­sen – »Du weißt doch, Esche­rich, wie ich mit dir Schlit­ten fah­re, wenn du nicht pa­rierst?« –, und dann hat­te also Esche­rich sein Glas auf Quan­gels Kopf zer­schla­gen. Vier­mal hat­te er mit sei­ner zit­tern­den Hand zu­schla­gen müs­sen, ehe das Glas zer­brach, und die gan­ze Zeit über hat­te er den schar­fen, höh­ni­schen Blick Quan­gels auf sich ge­fühlt, der schwei­gend sei­ne Ent­wür­di­gung mit­er­leb­te. Die­se lä­cher­li­che Fi­gur in zu kur­z­em Hemd, sie war stär­ker, wür­de­vol­ler ge­we­sen als all sei­ne Quä­ler. Und bei je­dem Schlag, den Kom­missar Esche­rich ver­zwei­felt und ver­ängs­tigt ge­führt hat­te, war es ihm ge­we­sen, als schla­ge er ge­gen den Be­stand sei­nes ei­ge­nen Ichs, als rüh­re ihm eine Axt an die Wur­zeln des Le­bens­baums.

Dann war Otto Quan­gel plötz­lich zu­sam­men­ge­bro­chen, und so hat­ten sie ihn da auf dem nack­ten Zel­len­bo­den lie­gen­ge­las­sen, be­wusst­los und blu­tend. Sie hat­ten auch der Wa­che ver­bo­ten, sich um das Schwein zu küm­mern, und wa­ren wie­der hin­auf­ge­gan­gen zum Wei­ter­sau­fen, zum Wei­ter­fei­ern, als hät­ten sie wer weiß was für einen hel­di­schen Sieg er­run­gen.

Und nun sitzt Kom­missar Esche­rich wie­der in sei­nem Dienst­zim­mer am Schreib­tisch. Ihm ge­gen­über an der Wand hängt noch im­mer die Kar­te mit den ro­ten Fähn­chen. Sein Kör­per ist völ­lig in sich zu­sam­men­ge­sun­ken, aber er denkt noch klar.

 

Ja, die Kar­te ist er­le­digt. Mor­gen kann sie ab­ge­nom­men wer­den. Und über­mor­gen wer­de ich eine neue Kar­te auf­hän­gen und nach ei­nem neu­en Kla­bau­ter­mann ja­gen. Und wie­der eine. Und noch eine. Was hat das al­les für einen Sinn? Bin ich dazu auf die­ser Welt? Es muss ja wohl so sein, aber wenn es so ist, ver­ste­he ich nichts von die­ser Welt, dann liegt in nichts Ver­stand. Dann ist es wirk­lich ganz gleich, was ich tue …

Sein Blut wird von mir ge­for­dert wer­den … Wie er das sag­te! Und sein Blut von mir! Nein, auch Enno Klu­ges Blut habe ich auf mir, die­ser er­bärm­li­che Schwäch­ling, den ich ge­op­fert habe, um die­sen Mann ei­ner be­sof­fe­nen Hor­de aus­zu­lie­fern. Der wird nicht wim­mern wie der klei­ne Kerl auf dem Boots­steg, der wird an­stän­dig ster­ben …

Und ich? Wie steht es mit mir? Ein neu­er Fall, und der tüch­ti­ge Esche­rich hat nicht so viel Er­folg, wie der Herr Ober­grup­pen­füh­rer Prall er­war­tet, und ich wan­de­re noch ein­mal in den Kel­ler. Schließ­lich kommt der Tag, an dem ich hin­un­ter­ge­schickt wer­de, um nicht wie­der her­auf­ge­holt zu wer­den. Lebe ich dazu, um dies zu er­war­ten? Nein, der Quan­gel hat recht, wenn er den Hit­ler einen Mör­der nennt und mich den Lie­fe­ran­ten ei­nes Mör­ders. Es ist mir im­mer gleich ge­we­sen, wer am Ru­der saß, warum die­ser Krieg ge­führt wur­de, wenn ich nur mei­nem ge­wohn­ten Ge­schäft nach­ge­hen konn­te, dem Men­schen­fang. Dann, wenn ich sie erst hat­te, war mir gleich­gül­tig, was aus ih­nen wur­de …

Aber jetzt ist es mir nicht gleich­gül­tig. Ich bin des­sen so über­drüs­sig, es ekelt mich an, die­sen Bur­schen neue Beu­te zu lie­fern; seit ich die­sen Quan­gel fing, ekelt es mich an. Wie er da­stand und mich an­sah. Blut und Schnaps lie­fen über sein Ge­sicht, er aber sah mich an! Das hast du ge­tan, sag­te sein Blick, du hast mich ver­ra­ten! Ach, wäre es noch mög­lich, ich wür­de zehn Enno Klu­ges op­fern, die­sen einen Quan­gel zu ret­ten, ich wür­de die­ses gan­ze Haus op­fern, ihn frei zu ma­chen! Wäre es noch mög­lich, ich wür­de fort­ge­hen von hier, ich wür­de et­was be­gin­nen wie Otto Quan­gel, et­was bes­ser Aus­ge­dach­tes, aber ich möch­te kämp­fen.

Doch es ist un­mög­lich, sie las­sen mich nicht, sie nen­nen so et­was Fah­nen­flucht. Sie wür­den mich ho­len und wie­der in den Bun­ker wer­fen. Und mein Fleisch schreit, wenn es ge­quält wird, ja, ich bin fei­ge. Ich bin fei­ge wie Enno Klu­ge, ich bin nicht mu­tig wie Otto Quan­gel. Wenn mich der Ober­grup­pen­füh­rer Prall an­schreit, so zit­te­re ich und tue zit­ternd, was er mir be­fiehlt. Ich zer­schla­ge mein Schnaps­glas auf dem Kopf des ein­zi­gen an­stän­di­gen Man­nes, aber je­der Schlag ist eine Hand­voll Erde auf mei­nen Sarg.

Lang­sam stand Kom­missar Esche­rich auf. Ein hilflo­ses Lä­cheln lag auf sei­nem Ge­sicht. Er ging zur Wand, er lausch­te. Es war jetzt, in der Stun­de nach Mit­ter­nacht, still in dem großen Hau­se an der Prinz-Al­brecht-Stra­ße. Nur der Schritt der Wa­che auf dem Kor­ri­dor, auf und ab, auf und ab …

Auch du weißt nicht, warum du so auf und ab rennst, dach­te Esche­rich. Ei­nes Ta­ges wirst du be­grei­fen, dass du dein Le­ben ver­tan hast …

Er griff nach der Kar­te, er riss sie von der Wand. Vie­le Fähn­chen fie­len, mit ih­ren Steck­na­deln klap­pernd, zu Bo­den. Esche­rich zer­knüll­te die Kar­te und warf sie dazu.

»Aus!«, sag­te er. »Zu Ende! Zu Ende der Fall Kla­bau­ter­mann!«

Er ging lang­sam zu­rück zu sei­nem Schreib­tisch, zog eine Lade auf und nick­te.

»Hier ste­he ich, wahr­schein­lich der ein­zi­ge Mann, den Otto Quan­gel durch sei­ne Kar­ten be­kehrt hat. Aber ich bin dir nichts nut­ze, Otto Quan­gel, ich kann dein Werk nicht fort­set­zen. Ich bin zu fei­ge dazu. Dein ein­zi­ger An­hän­ger, Otto Quan­gel!«

Er zog rasch die Pis­to­le her­vor und schoss.

Die­ses Mal hat­te er nicht ge­zit­tert.

Der her­bei­stür­zen­de Pos­ten fand nur einen fast kopf­lo­sen Leich­nam hin­ter dem Schreib­tisch. Die Wän­de wa­ren mit Blut und Hirn be­spritzt, an ei­ner Lam­pe hing, zer­fetzt und schmie­rig, der sem­mel­blon­de Schnurr­bart des Kom­missars Esche­rich.

Der Ober­grup­pen­füh­rer Prall tob­te. »Fah­nen­flucht! Alle Zi­vi­lis­ten sind Schwei­ne! Al­les, was nicht Uni­form trägt, ge­hört in den Bun­ker, hin­ter Sta­chel­draht! Aber war­te, den Nach­fol­ger von die­sem Schwein, dem Esche­rich, den zwie­be­le ich von An­fang an so, dass er kei­nen ein­zi­gen Ge­dan­ken im Kop­fe hat, nur Angst! Ich bin im­mer zu gut­mü­tig ge­we­sen, das ist mein Haupt­feh­ler! Holt die­ses Schwein, den Quan­gel, rauf! Er soll sich die Saue­rei hier an­se­hen, er kann sie weg­ma­chen!«

So ver­schaff­te der ein­zi­ge von Otto Quan­gel Be­kehr­te dem al­ten Werk­meis­ter noch ein paar schwe­re Nacht­stun­den.

VIERTER TEIL – Das Ende

52. Anna Quangel im Verhör

Es war vier­zehn Tage nach der Ver­haf­tung bei ei­nem der ers­ten Ver­hö­re von Anna Quan­gel, die wie­der ge­sund ge­wor­den war, als sich Anna ent­schlüp­fen ließ, dass ihr Sohn Otto ein­mal mit ei­ner ge­wis­sen Tru­del Bau­mann ver­lobt ge­we­sen war. Zu je­ner Zeit hat­te Anna es noch nicht er­fasst, dass jede Na­mens­nen­nung ge­fähr­lich war, ge­fähr­lich für den Ge­nann­ten. Denn mit ei­ner pe­dan­ti­schen Ge­nau­ig­keit wur­de der Be­kann­ten- und Freun­des­kreis je­des Ver­haf­te­ten nach­ge­prüft, je­der Spur wur­de nach­ge­gan­gen, da­mit »die Ei­ter­beu­le auch ganz aus­ge­brannt« wer­de.

Der Ver­neh­men­de, der Kom­missar Laub, der Nach­fol­ger Esche­richs, ein kur­z­er, ge­drun­ge­ner Mann, der es lieb­te, sei­ne kno­chi­gen Fin­ger wie eine Peit­sche dem Ver­nom­me­nen ins Ge­sicht zu schla­gen, war nach sei­ner Ge­wohn­heit erst über die­se Mit­tei­lung, ohne von ihr No­tiz zu neh­men, weg­ge­gan­gen. Er frag­te Anna Quan­gel lan­ge und töd­lich er­mü­dend über die Freun­de und Ar­beit­ge­ber des Soh­nes aus, frag­te Din­ge, die sie nicht wis­sen konn­te, aber wis­sen soll­te, frag­te und frag­te, und da­zwi­schen peitsch­te er ihr rasch ein­mal die Fin­ger ins Ge­sicht.

Kom­missar Laub war ein Meis­ter in der Kunst sol­cher Ver­neh­mun­gen, ohne Ab­lö­sung hielt er es zehn Stun­den aus, so muss­te es die Ver­nom­me­ne auch aus­hal­ten. Anna Quan­gel schwank­te auf ih­rem Sche­mel vor Mü­dig­keit. Die kaum über­stan­de­ne Krank­heit, die Angst um das Schick­sal Ot­tos, von dem sie nichts wie­der ge­hört hat­te, die Schmach, wie ein un­auf­merk­sa­mes Schul­kind ge­schla­gen zu wer­den, all dies mach­te sie zer­streut, un­auf­merk­sam, und wie­der schlug Kom­missar Laub zu.

Anna Quan­gel ächz­te lei­se und be­deck­te ihr Ge­sicht mit den Hän­den.

»Neh­men Sie die Hän­de run­ter!«, rief der Kom­missar. »Se­hen Sie mich an! Na, wird’s bald?«

Sie tat es, sie sah ihn an mit ei­nem Blick, in dem Angst war. Aber nicht vor ihm, son­dern Angst, sie kön­ne schwach wer­den.

»Wann ha­ben Sie die­se so­ge­nann­te Braut Ihres Soh­nes zum letz­ten Male ge­se­hen?«

»Das ist sehr lan­ge her. Ich weiß doch nicht. Schon seit wir die Kar­ten schrei­ben. Über zwei Jah­re … Oh, schla­gen Sie nicht schon wie­der! Den­ken Sie an Ihre ei­ge­ne Mut­ter! Sie möch­ten auch nicht, dass Ihre Mut­ter ge­schla­gen wird.«

Zwei, drei Schlä­ge tra­fen sie kurz nach­ein­an­der.

»Mei­ne Mut­ter ist kein hoch­ver­rä­te­risches Aas wie Sie! Nen­nen Sie noch ein­mal mei­ne Mut­ter, und ich wer­de Ih­nen zei­gen, wie ich schla­gen kann! Wo hat dies Mäd­chen ge­wohnt?«

»Ich weiß doch nicht! Mein Mann hat mir mal ge­sagt, sie hat seit­dem ge­hei­ra­tet! Sie wird si­cher weg­ge­zo­gen sein.«

»So, Ihr Mann hat sie also ge­se­hen? Wann war das?«

»Ich weiß nicht mehr! Da schrie­ben wir schon die Kar­ten.«

»Und sie hat mit­ge­macht, was? Hat da­bei ge­hol­fen?«

»Nein! Nein!«, rief Frau Quan­gel. Mit Schre­cken sah sie, was sie an­ge­rich­tet hat­te. »Mein Mann«, sag­te sie ei­lig, »hat die Tru­del bloß auf der Stra­ße ge­trof­fen. Da hat sie ihm er­zählt, dass sie ge­hei­ra­tet hat und nicht mehr in die Fa­brik geht.«

»Na – und wei­ter? In wel­che Fa­brik ist sie denn ge­gan­gen?«

Frau Quan­gel nann­te die Adres­se der Uni­form­fa­brik.

»Und wei­ter?«

»Das ist al­les. Das ist wirk­lich al­les, was ich weiß. Be­stimmt, Herr Kom­missar!«

»Fin­den Sie das nicht ein biss­chen ko­misch, dass die Braut vom Sohn nicht ein­mal mehr zu den Schwie­ger­el­tern kommt, nicht mal nach dem Tode des Bräu­ti­gams?«

»Aber mein Mann war doch so! Wir ha­ben schon nie Ver­kehr ge­habt, und seit wir die Kar­ten schrie­ben, hat er über­haupt al­les ab­ge­bro­chen.«

»Da lü­gen Sie schon wie­der! Mit den Heff­kes ha­ben Sie erst beim Kar­ten­schrei­ben den Ver­kehr an­ge­fan­gen!«

»Ja, das ist wahr! Das hat­te ich ver­ges­sen. Aber Otto war es auch gar nicht recht, er hat’s nur er­laubt, weil es mein Bru­der war. Und wie hat er im­mer auf die Ver­wandt­schaft ge­schimpft!« Sie sah den Kom­missar trau­rig an. Sie sag­te schüch­tern: »Darf ich jetzt auch was fra­gen, Herr Kom­missar?«

Kom­missar Laub knurr­te: »Fra­gen Sie nur! Wer viel fragt, kriegt viel Ant­wort.«

»Stimmt es …« Sie un­ter­brach sich. »Ich glau­be, ich habe mei­ne Schwä­ge­rin ges­tern Mor­gen un­ten auf dem Flur ge­se­hen … Stimmt es, dass Heff­kes auch ver­haf­tet sind?«

»Das lü­gen Sie wie­der!« Ein schar­fer Schlag. Und noch ei­ner. »Die Frau Heff­ke, die ist ganz wo­an­ders. Die kön­nen Sie gar nicht ge­se­hen ha­ben. Das hat Ih­nen eine ver­pfif­fen. Wer hat Ih­nen das ver­pfif­fen?«

Aber Frau Quan­gel schüt­tel­te den Kopf. »Nein, kei­ner hat’s. Ich hab die Schwä­ge­rin von Wei­tem ge­se­hen. Ich war nicht mal si­cher, dass sie’s war.« Sie seufz­te. »Nun sit­zen die Heff­kes also auch und ha­ben gar nichts ge­tan und von nichts ge­wusst. Die ar­men Men­schen!«

»Die ar­men Men­schen!«, höhn­te der Kom­missar Laub. »Von nischt nischt ge­wusst! Das sagt ihr alle! Aber ihr seid alle Ver­bre­cher, und so wahr ich der Kom­missar Laub bin, ich lei­re euch die Ge­där­me aus dem Leib, bis ihr die Wahr­heit sagt! Wer liegt bei Ih­nen mit auf der Zel­le?«

»Ich weiß nicht, wie die Frau heißt. Ich sage ein­fach Ber­ta zu ihr.«

»Wie lan­ge liegt die Ber­ta bei Ih­nen auf der Zel­le?«

»Seit ges­tern Abend.«

»Also die hat’s Ih­nen ver­pfif­fen, das mit den Heff­kes. Ge­ste­hen Sie es nur ein, Frau Quan­gel, sonst hole ich die Ber­ta rauf und schla­ge sie in Ihrem Bei­sein so lan­ge, bis sie ge­steht.«

Frau Anna Quan­gel schüt­tel­te wie­der den Kopf. »Ob ich nun ja oder nein sage, Herr Kom­missar«, sag­te sie, »Sie ho­len die Ber­ta doch rauf und schla­gen sie. Ich kann nur sa­gen, ich habe die Frau Heff­ke un­ten auf dem Flur ge­se­hen …«

Kom­missar Laub dreh­te sich rasch um und ließ der Frau Anna Quan­gel einen knal­len­den Furz ins Ge­sicht fah­ren. Dann dreh­te er sich wie­der um und sah ihr höh­nisch grin­send ins Ge­sicht. »Das rie­chen Sie man auf«, sagt er, »von der Sor­te habe ich noch mehr, wenn sie zu schlau sind!« Und plötz­lich schrei­end: »Mist seid ihr! Mist seid ihr alle! Scheiß­dreck seid ihr alle! Und ich ruhe nicht eher, bis ihr als Mist un­ter der Erde liegt! Alle müsst ihr hin wer­den! Alle! Or­don­nanz, brin­gen Sie die Ber­ta Kupp­ke her­auf!«

Eine Stun­de ver­brach­te er da­mit, die bei­den Frau­en zu ängs­ti­gen und zu schla­gen, trotz­dem Frau Ber­ta Kupp­ke so­fort zu­gab, der Frau Quan­gel von Frau Heff­ke er­zählt zu ha­ben. Sie hat­te bis­her mit Frau Heff­ke auf ei­ner Zel­le ge­le­gen. Aber das ge­nüg­te dem Kom­missar Laub nicht. Er woll­te ge­nau je­des Wort wis­sen, was zwi­schen den bei­den ge­spro­chen war, und sie hat­ten ein­an­der doch nur ihr Leid ge­klagt, wie es Frau­en ger­ne tun. Er aber wit­ter­te über­all Ver­schwö­rung und Hoch­ver­rat und ließ nicht ab mit Schla­gen und Fra­gen.

Schließ­lich war die heu­len­de Kupp­ke in den Kel­ler ab­ge­scho­ben wor­den und Anna Quan­gel wie­der das al­lei­ni­ge Op­fer des Kom­missars Laub. Sie war jetzt so müde, dass sie sei­ne Stim­me nur noch wie aus wei­ter Fer­ne hör­te, sei­ne Ge­stalt ver­schwamm vor ih­ren Bli­cken, und die Schlä­ge schmerz­ten sie nicht mehr.

»Was ist also vor­ge­fal­len, dass die so­ge­nann­te Braut Ihres Soh­nes nicht mehr zu Ih­nen ge­kom­men ist?«

»Nichts ist vor­ge­fal­len. Mein Mann moch­te kei­ne Be­su­che.«

 

»Sie ha­ben doch ge­stan­den, dass er mit dem Be­such der Heff­kes ein­ver­stan­den war.«

»Die Heff­kes wa­ren eine Aus­nah­me, weil der Ul­rich mein Bru­der ist.«

»Und warum ist die Tru­del nicht mehr ins Haus ge­kom­men?«

»Weil mein Mann es nicht woll­te.«

»Wann hat­te er es ihr denn ge­sagt?«

»Ich weiß doch nicht! Herr Kom­missar, ich kann nicht mehr. Las­sen Sie mir eine hal­be Stun­de Ruhe. Eine Vier­tel­stun­de!«

»Erst wenn du’s ge­sagt hast. Wann hat Ihr Mann dem Mäd­chen das Haus ver­bo­ten?«

»Wie mein Sohn ge­fal­len war.«

»Na also! Und wo ist das ge­sche­hen?«

»Bei uns in der Woh­nung.«

»Und was hat­te er als Grund ge­sagt?«

»Weil er kei­nen Ver­kehr mehr will. Herr Kom­missar, ich kann wirk­lich nicht mehr. Nur zehn Mi­nu­ten!«

»Na schön. In zehn Mi­nu­ten wer­den wir eine Pau­se ma­chen. Was hat denn Ihr Mann als Grund ge­sagt, dass die Tru­del nicht mehr kom­men soll?«

»Weil er kei­nen Ver­kehr mehr ha­ben woll­te. Da hat­ten wir das mit den Post­kar­ten doch schon vor.«

»Da hat er ihr also als Grund ge­sagt, dass er das mit den Post­kar­ten vor­hat?«

»Nein, dar­über hat er nie mit ei­nem Men­schen ge­spro­chen.«

»Was hat er ihr denn als Grund ge­sagt?«

»Dass er kei­nen Ver­kehr mehr will. Oh, Herr Kom­missar!«

»Wenn Sie mir den wirk­li­chen Grund sa­gen, ma­che ich für heu­te so­fort Schluss!«

»Aber das ist der wirk­li­che Grund!«

»Nein, das ist er nicht! Ich sehe doch, dass Sie lü­gen. Wenn Sie mir nicht die Wahr­heit sa­gen, so ver­neh­me ich Sie noch zehn Stun­den. Was hat er also ge­sagt? Wie­der­ho­len Sie mir die Wor­te, die er zu der Tru­del Bau­mann ge­sagt hat.«

»Die weiß ich nicht mehr. Er war so wü­tend.«

»Wa­rum war er denn so wü­tend?«

»Weil ich die Tru­del Bau­mann bei mir habe schla­fen las­sen.«

»Aber er hat’s ihr doch erst hin­ter­her ver­bo­ten, oder hat er sie gleich weg­ge­schickt?«

»Nein, erst am Mor­gen.«

»Und am Mor­gen hat er es ihr ver­bo­ten?«

»Ja.«

»Wa­rum war er denn so wü­tend?«

Frau Anna Quan­gel gab sich einen Stoß. »Ich will es Ih­nen sa­gen, Herr Kom­missar. Ich tue kei­nem einen Scha­den mehr da­mit. Ich habe auch die alte Jü­din, die Ro­sen­thal, die sich nach­her aus ei­nem Fens­ter tot­ge­sprun­gen hat, in der Nacht heim­lich bei mir ver­steckt ge­habt. Dar­über war er so wü­tend, und da hat er die Tru­del gleich mit raus­ge­schmis­sen.«

»Wa­rum hat sich denn die Ro­sen­thal bei Ih­nen ver­steckt?«

»Weil sie Angst ge­habt hat so al­lein in ih­rer Woh­nung. Die hat über uns ge­wohnt. Der ha­ben sie den Mann weg­ge­holt. Da hat sie Angst ge­habt. Herr Kom­missar, Sie ha­ben mir ver­spro­chen …«

»Gleich. Gleich sind wir so weit. Also die Tru­del hat ge­wusst, dass Sie eine Jü­din bei sich ver­steckt hat­ten?«

»Aber das war doch nicht ver­bo­ten.«

»Na­tür­lich war das ver­bo­ten! Ein an­stän­di­ger Ari­er nimmt kei­ne Ju­densau auf, und ein an­stän­di­ges Mäd­chen geht hin und mel­det so was der Po­li­zei. Was hat denn die Tru­del dazu ge­sagt, dass die Jüd­sche in eu­rer Woh­nung war?«

»Herr Kom­missar, jetzt sage ich nichts mehr aus. Je­des Wort ver­dre­hen Sie mir. Die Tru­del hat nichts ver­bro­chen, sie hat von nichts was ge­wusst!«

»Aber dass eine Jü­din bei euch ge­schla­fen hat, das hat sie doch ge­wusst!«

»Das war nichts Schlech­tes!«

»Da den­ken wir an­ders dar­über. Mor­gen wer­de ich mir mal die Tru­del vor­knöp­fen.«

»Oh, lie­ber Gott, was habe ich da wie­der an­ge­rich­tet!«, wein­te Frau Quan­gel los. »Nun habe ich auch die Tru­del ins Un­glück ge­stürzt. Herr Kom­missar, der Tru­del dür­fen Sie nichts tun, die ist jetzt in an­de­ren Um­stän­den!«

»Ach nee, das wis­sen Sie plötz­lich doch, wo Sie die Tru­del an­geb­lich zwei Jah­re nicht ge­se­hen ha­ben! Wo­her wis­sen Sie denn das?«

»Aber das habe ich Ih­nen doch ge­sagt, Herr Kom­missar, dass mein Mann sie noch mal auf der Stra­ße ge­trof­fen hat.«

»Wann war denn das?«

»Das wird ein paar Wo­chen her sein. Herr Kom­missar, Sie ha­ben mir eine klei­ne Pau­se ver­spro­chen. Nur eine klei­ne Pau­se, bit­te. Ich kann wirk­lich nicht mehr.«

»Nur noch einen Au­gen­blick! Gleich sind wir so weit. Wer hat denn an­ge­fan­gen zu spre­chen, die Tru­del oder Ihr Mann, wo sie doch bei­de mit­ein­an­der ver­kracht wa­ren?«

»Sie wa­ren doch nicht ver­kracht, Herr Kom­missar.«

»Wo ihr dein Mann das Haus ver­bo­ten hat!«

»Das hat die Tru­del ihm doch nicht übel­ge­nom­men, die kennt doch mei­nen Mann!«

»Wo ha­ben sie sich denn ge­trof­fen?«

»Ich glau­be, in der Klei­nen Alex­an­der­stra­ße.«

»Was hat denn dein Mann in der Klei­nen Alex­an­der­stra­ße ge­macht? Sie ha­ben doch ge­sagt, er ist im­mer nur zur Fa­brik und zu­rück­ge­gan­gen.«

»Das ist auch so.«

»Und was hat er in der Klei­nen Alex­an­der­stra­ße zu tun? Wohl ’ne Post­kar­te weg­brin­gen, was, Frau Quan­gel?«

»Nein, nein!«, rief sie angst­voll und er­bleich­te plötz­lich.

»Die Post­kar­ten habe ich im­mer ver­teilt! Im­mer ich al­lein, er nie!«

»Wa­rum sind Sie denn eben so blass ge­wor­den, Frau Quan­gel?«

»Ich bin doch nicht blass ge­wor­den. Doch, ich bin. Weil mir näm­lich schlecht ist. Sie woll­ten doch eine Pau­se ma­chen, Herr Kom­missar!«

»Gleich, so­bald wir das klar ha­ben. Also, Ihr Mann hat eine Post­kar­te weg­ge­bracht und hat da­bei die Tru­del Bau­mann ge­trof­fen? Was hat die denn zu den Kar­ten ge­sagt?«

»Aber sie hat doch gar nichts da­von ge­wusst!«

»Hat Ihr Mann denn, als er die Tru­del sah, die Kar­te noch in der Ta­sche ge­habt, oder hat­te er sie schon ab­ge­legt?«

»Die hat­te er schon ab­ge­legt.«

»Se­hen Sie, Frau Quan­gel, jetzt kom­men wir der Sa­che schon nä­her. Nun sa­gen Sie mir nur noch, was die Tru­del Bau­mann zu der Kar­te ge­sagt hat, und wir ma­chen für heu­te Schluss.«

»Aber sie kann doch nichts ge­sagt ha­ben, er hat­te die Kar­te doch schon vor­her ab­ge­legt.«

»Über­le­gen Sie sich das man noch mal! Ich sehe Ih­nen doch an, dass Sie lü­gen. Wenn Sie da­bei blei­ben, wer­den Sie mor­gen früh noch hier sit­zen. Wa­rum wol­len Sie sich denn un­nö­tig so quä­len? Ich sage es ja mor­gen doch der Tru­del Bau­mann auf den Kopf zu, dass sie von den Post­kar­ten ge­wusst hat, und die wird’s auch gleich zu­ge­ben. Wa­rum wol­len Sie sich also Schwie­rig­kei­ten ma­chen, Frau Quan­gel? Sie wer­den auch froh sein, wenn Sie auf Ihre Prit­sche krie­chen dür­fen. Also, wie steht’s, Frau Quan­gel? Was hat die Tru­del Bau­mann zu den Post­kar­ten ge­sagt?«

»Nein! Nein! Nein!«, schrie Frau Quan­gel, ver­zwei­felt auf­sprin­gend. »Ich sage kein Wort mehr! Ich ver­ra­te nie­man­den! Sie kön­nen sa­gen, was Sie wol­len, Sie kön­nen mich tot­schla­gen: ich rede nichts mehr!«

»Set­zen Sie sich nur ru­hig wie­der hin«, sag­te der Kom­missar Laub und ver­setz­te der Verzwei­fel­ten ein paar Schlä­ge. »Wann Sie auf­ste­hen dür­fen, be­stim­me ich. Und wann das Ver­hör zu Ende ist, das be­stim­me ich auch. Jetzt wol­len wir erst mal die Sa­che mit der Tru­del Bau­mann zu Ende be­quat­schen. Nach­dem Sie mir eben ge­stan­den ha­ben, dass sie Hoch­ver­rat be­gan­gen hat …«

»Das habe ich nicht ge­stan­den!«, rief die ge­quäl­te, ver­zwei­fel­te Frau.

»Sie ha­ben ge­sagt, Sie wol­len die Tru­del nicht ver­ra­ten«, sag­te der Kom­missar gleich­mü­tig. »Und nun lass ich nicht eher nach, bis Sie mir ge­sagt ha­ben, was es da zu ver­ra­ten gibt.«

»Nie sage ich das, nie!«

»Na also! Se­hen Sie, Frau Quan­gel, Sie sind dumm. Sie müs­sen sich doch selbst sa­gen, dass ich das, was ich wis­sen will, mor­gen in fünf Mi­nu­ten der Tru­del Bau­mann glatt und be­quem aus der Nase zie­he. So ’ne schwan­ge­re Frau, die hält doch solch Ver­hör nicht lan­ge aus. Wenn ich der ein paar run­ter­haue …«