Hans Fallada – Gesammelte Werke

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7

Wie­der stürm­te es, wie­der schnei­te es, wie­der war es in der Nacht kurz nach elf.

Batz­ke und Ku­falt ka­men Arm in Arm den Jung­fern­stieg ent­lang­ge­schlen­dert, blie­ben vor dem und je­nem La­den ste­hen, mus­ter­ten ge­müt­lich die Schau­fens­ter und hiel­ten schließ­lich auch vor dem Ju­we­lier­ge­schäft, in des­sen Fens­ter am Abend zu­vor das jun­ge Paar den Aqua­ma­rin­ring be­wun­dert hat­te.

Ku­falt hat­te aber kei­nen Sinn für Aqua­ma­ri­ne. Er hat­te Sinn für Prei­se.

»Das Ta­blett mei­ne ich«, sag­te er.

Es war ein ziem­lich großes, blau­sam­te­nes Ta­blett, das in der Mit­te des Schau­kas­tens dicht hin­ter der Schei­be stand. Auf ihm war ein Glit­zern, Fun­keln und Strah­len von vie­len Bril­lant­rin­gen.

Batz­ke pfiff durch die Zäh­ne. »Na ja«, mein­te er, »das sind ganz hüb­sche Stein­chen.«

»Es wird Zeit«, sag­te Ku­falt. »Komm.« Er ging mit Batz­ke bis zum Ree­sen­damm, mach­te kehrt, und nun gin­gen sie ein Stück­chen auf der an­de­ren Sei­te des Jung­fern­stie­ges. Dann blie­ben die bei­den, an das Ge­län­der zur Bin­nen­als­ter ge­lehnt, etwa schräg ge­gen­über dem La­den ste­hen.

»Elf Uhr drei­ßig«, sag­te Ku­falt. »Jetzt kom­men sie gleich.«

Er un­ter­brach sich und sag­te has­tig: »Sieh, das ist der Wäch­ter.«

Ein di­cker Mann in Zi­vil, mit ei­nem hän­gen­den Schnauz­bart, tauch­te aus den Als­terar­ka­den auf, ging mit prü­fen­dem Blick auf die Schau­fens­ter an dem Ge­schäft vor­über, mach­te kehrt, pas­sier­te wie­der den La­den und ver­schwand von Neu­em in den Ar­ka­den.

»Lässt den La­den nicht aus den Au­gen«, sag­te Ku­falt.

»Nicht sehr kräf­tig«, ta­xier­te Batz­ke. »Ich den­ke, ein Tief­schlag, und er schnappt Luft.«

»Nee, nee«, sag­te Ku­falt eif­rig, »du wirst schon se­hen, es kommt noch viel bes­ser.«

Der Jung­fern­stieg hat­te sich be­lebt. Aus den Ki­nos, aus den Thea­tern ka­men die Gäs­te in Abend­män­teln, ei­lig oder lang­sam, bum­mel­ten noch ein paar Schrit­te, sa­hen auch in die Lä­den und ver­schwan­den rasch im Als­ter­pa­vil­lon oder in der Rich­tung auf Ho­tel Es­pla­na­de oder die Vier Jah­res­zei­ten.

Das Wet­ter war eben schlecht. Al­les ver­lief sich rasch, wie ges­tern, und nach zehn Mi­nu­ten lag der Jung­fern­stieg kaum be­lebt da.

»Nun wirst du se­hen«, sag­te Ku­falt.

Er hat­te die Uhr ge­zo­gen, sag­te: »Elf Uhr zwei­und­vier­zig. Da kommt er!«

Aus den Ko­lon­na­den kam der di­cke Wäch­ter, sah die Stra­ße auf und ab, hol­te lang­sam aus der Ta­sche ein Schlüs­sel­bund, schloss die La­den­tür auf und ver­schwand im La­den. Er schloss die La­den­tür von in­nen ab.

Ku­falt stand noch im­mer mit der Uhr in der Hand im fast Dunklen.

»Jetzt ist er im La­den«, sag­te er. »Elf Uhr vierund­vier­zig – elf Uhr fünf­und­vier­zig – war­te, wir ha­ben noch Zeit, elf Uhr sechs­und­vier­zig – zehn Se­kun­den, zwan­zig Se­kun­den, drei­ßig Se­kun­den – jetzt gleich – vier­zig Se­kun­den – zum Don­ner­wet­ter – fünf­zig Se­kun­den – da! Jetzt ge­hen die Git­ter run­ter. Komm, Batz­ke!«

Er nahm Batz­ke un­ter den Arm und ging mit ihm rasch in der Rich­tung auf sei­ne Woh­nung zu.

»Hast du ka­piert«, sag­te er eif­rig. »Die las­sen das Ge­schäft mit so ’ner Bom­ben­aus­la­ge na­tür­lich Tag und Nacht be­wa­chen. Aber an eins ha­ben sie nicht ge­dacht. An die zwei­ein­halb Mi­nu­ten, die der Wäch­ter im La­den ist, um die Git­ter her­un­ter­zu­las­sen. Die Zeit kann er nicht auf die Aus­la­ge auf­pas­sen. In zwei­ein­halb Mi­nu­ten kann man schon eine Schei­be ein­schla­gen, das Ta­blett neh­men und ab­hau­en. Stimmt es nicht, ist das nicht eine glän­zen­de An­non­ce?«

»Na ja«, sag­te Batz­ke nach­denk­lich. »Und wo ste­hen die nächs­ten Schu­pos?«

»Weiß ich al­les«, prahl­te Ku­falt. »Ei­ner am Als­ter­pa­vil­lon und ei­ner am Ein­gang zur Berg­stra­ße. Das ist aber ein Ver­kehrs­po­li­zist.«

»Na schön«, sag­te Batz­ke. »Man kann ja mal über die Sa­che re­den.«

»Wie­so re­den«, em­pör­te sich Ku­falt. »Was ist da noch zu re­den? Es sind min­des­tens für hun­dertzwan­zig­tau­send Mark Rin­ge auf dem Ta­blett.«

»Da denk man vor­läu­fig lie­ber nicht dran«, sag­te Batz­ke. »Vor­läu­fig lie­gen sie noch im Schau­fens­ter. Und es wird eine Mas­se Ar­beit kos­ten, eh wir sie da raus­ha­ben.«

8

Batz­ke und Ku­falt sa­ßen die­se Nacht lan­ge in der Fuhl­ent­wie­te bei­sam­men.

Wie­der war Batz­ke der große Mann, und Ku­falt muss­te ein­se­hen, dass er nichts ver­stand. Er hat­te sich ein­ge­bil­det, er hät­te eine ganz große Ent­de­ckung ge­macht. Die­se zwei­ein­halb Mi­nu­ten schie­nen ihm ein glän­zen­der Tipp zu sein. Nun saß Batz­ke da und lach­te ihn ein­fach aus.

»Ja, du denkst dir das so. Ein­fach los­lau­fen, mit ei­nem Back­stein die Schei­be ein­schla­gen, das Ta­blett neh­men, rum um die Ecke und weg! Als wenn das al­les so ein­fach wäre.«

»Was ist denn dar­an noch schwie­rig?« frag­te Ku­falt är­ger­lich. »Na­tür­lich müs­sen wir or­dent­lich lau­fen, aber für hun­dertzwan­zig­tau­send Mark kann man das auch.«

»Sag mal, Ku­falt«, mein­te Batz­ke ge­dan­ken­voll, »du sitzt ja hier so im Fett, das kommt wohl von ei­ner ein­ge­schla­ge­nen Schau­fens­ter­schei­be?«

»Nee, das nun gra­de nich«, wehr­te Ku­falt ab.

»So. Es müss­te ein ziem­lich großes Loch wer­den«, sag­te Batz­ke ge­dan­ken­voll, »da­mit man das Ta­blett glatt und schnell durch­kriegt. Und die­se ol­len Schei­ben – ich weiß nicht, viel­leicht kriegt man nur ein klei­nes Loch mit ei­nem Back­stein rein – nur so groß wie der Back­stein – und man müss­te mit der Hand durch­lan­gen und krieg­te höchs­tens zwan­zig, drei­ßig Rin­ge zu fas­sen, nee, das müss­te zu­erst ein­mal aus­pro­biert wer­den.«

»Wie­so aus­pro­bie­ren«, frag­te Ku­falt. »Willst du erst pro­be­wei­se die Fens­ter­schei­be ein­hau­en?«

»Dus­sel«, sag­te Batz­ke. »Es gibt doch ge­nug Neu­bau­ten in den Vo­r­or­ten, wo die Lä­den noch leer­ste­hen. Zwei, drei Näch­te los­ge­hen und sich mal ’n biss­chen üben, dass der Kram auch klappt.«

»Na, weißt du«, sag­te Ku­falt, »da ist doch ein ziem­li­ches Ri­si­ko bei. Ich möch­te nicht we­gen ’ner Schei­be von ei­nem lee­ren La­den ge­kitscht wer­den.«

»Ohne Ri­si­ko hun­dertzwan­zig­tau­send Mark gibt es nicht«, sag­te Batz­ke. »Aber nun mal wei­ter. Wo­her weißt du denn ei­gent­lich, dass man das Ta­blett so ein­fach raus­neh­men kann? Vi­el­leicht ist das von un­ten an­ge­schlos­sen?«

Ku­falt schwieg un­zu­frie­den. Er hat­te ge­dacht, mor­gen gin­ge es los. Und nun er­fand Batz­ke Schwie­rig­kei­ten über Schwie­rig­kei­ten.

»Und dann wei­ter«, sag­te Batz­ke. »Ohne Auto ist das nicht zu ma­chen. Wie stellst du dir das über­haupt vor, mit ei­nem Ta­blett, das gut einen hal­b­en Qua­drat­me­ter groß ist, durch die Stra­ßen lau­fen, nachts um halb zwölf, wo doch noch Men­schen ge­nug un­ter­wegs sind? Wenn die Bul­len hin­ter dir her sind und knal­len, dann pflückst du wo­mög­lich in al­ler See­len­ru­he im Lau­fen die Bril­lant­rin­ge vom Ta­blett und steckst sie in die Ta­sche? So un­ge­fähr hat­test du dir das vor­ge­stellt, nicht wahr?«

»Ach, wenn du nur Schwie­rig­kei­ten siehst«, sag­te Ku­falt im­mer un­zu­frie­de­ner.

»Na, Mensch«, sag­te Batz­ke, »willst du die Rin­ge ha­ben, oder willst du sie nicht ha­ben? Wie du dir das denkst, so macht es ein Ama­teur, aber kein al­ter Ga­no­ve. Es kann ja auch mal bei Ama­teu­ren klap­pen, aber wahr­schein­lich ist es nicht.

Nein, ein Auto müs­sen wir ha­ben, und das muss den­sel­ben Nach­mit­tag erst ge­klaut wer­den, da­mit die auf der Po­li­zei noch nicht die Num­mer ken­nen. Kannst du we­nigs­tens Auto fah­ren?«

»Nein«, sag­te Ku­falt und kam sich im­mer klei­ner vor mit sei­ner schö­nen An­non­ce.

»Und dann kommt das Schwie­rigs­te«, sag­te Batz­ke. »Wie denkst du dir den Ver­kauf von der Sore?«

»Na, ich den­ke«, sag­te Ku­falt är­ger­lich, »es gibt Schwär­zer für so was.«

»Gibt es«, be­stä­tig­te Batz­ke. »Aber wenn du dich dar­um erst küm­mern willst, wenn du die Rin­ge hast, dann gibt er dir höchs­tens tau­send Mark für den gan­zen Kitsch, weil er dich in der Hand hat. Und au­ßer­dem gibt er dir gar nichts, weil min­des­tens zehn­tau­send Mark Be­loh­nung aus­ge­setzt wer­den und er nicht so leicht wie­der sol­che Chan­ce hat, sich bei der Po­li­zei be­liebt zu ma­chen.«

»Also las­sen wir die Sa­che«, sag­te Ku­falt wü­tend. »Ich sehe schon, du willst nicht.«

»Wie­so will ich nicht?« pro­tes­tier­te Batz­ke er­staunt. »Die zwei­ein­halb Mi­nu­ten sind eine fei­ne Sa­che, die kann man nicht so lau­fen las­sen. So eine An­non­ce kriegt man nicht alle Jah­re. Nein, kei­nen Ko­gnak mehr. Ich gehe jetzt ein biss­chen spa­zie­ren und über­le­ge mir die Sa­che. Mor­gen früh um zehn bin ich wie­der bei dir.«

9

Es wur­de zehn, es wur­de elf, es wur­de zwölf, kein Batz­ke kam.

Ku­falt schraub­te den Ofen zu und schraub­te ihn wie­der auf, er goss sich einen Ko­gnak ein und schüt­te­te ihn wie­der in die Fla­sche zu­rück (Ich muss einen kla­ren Kopf be­hal­ten) – kein Batz­ke kam.

Schließ­lich trank er doch einen Ko­gnak, er trank auch noch einen zwei­ten und einen drit­ten, er war wü­tend.

Hat mich an­ge­schis­sen, der Kerl, mit mei­nen vier­hun­dert Mark über den Harz und ver­setzt mich! Ich kann es doch nicht al­lein ma­chen. Oder doch?

Er kam sich sehr stark vor, einen Au­gen­blick lang. Er wür­de es al­lein ma­chen. Batz­ke wür­de se­hen, mit all sei­nen lä­cher­li­chen Schwie­rig­kei­ten, mit dem Ge­re­de von Ama­teu­ren, was er, Ku­falt, leis­te­te.

 

Die Rin­ge er­glänz­ten in ei­nem sanf­ten ver­füh­re­ri­schen Schein, er sah sich un­ter­wegs mit ih­nen, dun­kel und et­was ver­schwom­men tauch­ten ab­sei­ti­ge Lo­ka­le auf, in de­nen er mit Heh­lern flüs­tern wür­de. Die Po­li­zei war auf sei­nen Fer­sen. Er sprang durch ein Fens­ter und ent­rann ihr in die Nacht hin­aus …

Is ja al­les Quatsch, dach­te er. Ich wer­de es nie tun. Vi­el­leicht hät­te ich es auch mit Batz­ke nicht tun kön­nen. Ich bin viel zu – un­ge­eig­net dazu, aber …

Plötz­lich hat­te er die Idee, nein, er wuss­te ganz klar, dass Batz­ke sei­nen Tipp aus­füh­ren wür­de, dass er aus­ge­schal­tet sein soll­te, dass Batz­ke mit den hun­dertzwan­zig­tau­send Mark los­ge­hen wür­de, und er blieb al­lein zu­rück, ohne Geld, ohne Tipp, ohne Aus­sich­ten auf ein Le­ben, das sich we­nigs­tens loh­nen wür­de, bei der Frau Pas­to­rin Flee­ge, wie lan­ge noch … Er trank noch mehr Ko­gnak, er warf sich auf sein Bett, er däm­mer­te ein.

Es war ihm im Halb­schlaf, als käme Batz­ke in sein Zim­mer. Er stand ein­fach plötz­lich mit­ten­drin, er sah sich nicht um, mit sei­nem bö­sen, fins­te­ren Ge­sicht setz­te er sich, wie der Herr die­ses Zim­mers, in einen Ses­sel, griff nach der Fla­sche und trank, nahm die Zi­gar­ren­kis­te, eine Zi­gar­re dar­aus, sah sie är­ger­lich an und zer­brach sie, ent­zün­de­te eine Zi­ga­ret­te.

Ku­falt woll­te auf­ste­hen von sei­nem Bett, er woll­te sich das ver­bit­ten. Eine na­men­lo­se Wut und Er­bit­te­rung er­füll­ten ihn, aber er konn­te die Mü­dig­keit nicht ab­schüt­teln …

»Ich träu­me ja nur«, sag­te er, sich be­ru­hi­gend.

Batz­ke war auf­ge­stan­den. Er war im Zim­mer hin und her ge­gan­gen. Dann schob er den grü­nen Bett­schirm, hin­ter dem her­vor ihn Ku­falt be­ob­ach­tet hat­te, bei­sei­te und stell­te sich schwei­gend vor Ku­falts Bett. Er sah hin­un­ter auf den Schlä­fer.

Lang­sam schlug Ku­falt die Au­gen ganz auf. Batz­ke sah ihn un­ver­wandt an.

»Bist du doch noch ge­kom­men« frag­te Ku­falt schwer­fäl­lig.

»Bist du etwa be­sof­fen?« frag­te Batz­ke. »So et­was gibt es nicht, hin­ter­her kannst du dich be­sau­fen.«

»Ich den­ke«, sag­te Ku­falt und setz­te sich auf die Bett­kan­te, »es ist noch nicht so­weit.«

»Höre ein­mal zu«, sag­te Batz­ke. »Ich habe mir die Sa­che über­legt. Das Ding lässt sich ma­chen. Aber ich möch­te es ohne dich ma­chen. Du taugst nicht zu so was.«

»Wie­so ohne mich?« sag­te Ku­falt. »Ich habe dir die An­non­ce ge­bracht, und ich will mei­nen Teil dar­an ha­ben. Du hast selbst ge­sagt, so eine An­non­ce kriegt man nicht je­des Jahr.«

»Wer re­det von der An­non­ce, du Flach­kopf«, sag­te Batz­ke böse. »Da­von re­den wir spä­ter. Ich rede von der Aus­füh­rung.«

»Und was ist mit der Aus­füh­rung« sag­te Ku­falt.

»Das ist mit der Aus­füh­rung, dass ich dich nicht da­bei ha­ben will. Wenn ich die Sa­che an­fas­se, wird es eine ganz große Ge­schich­te. Alle Zei­tun­gen wer­den da­von schrei­ben. Ich wer­de ’ne große Num­mer wer­den. Und ich den­ke nicht dar­an, mir die Sa­che von dir ver­mas­seln zu las­sen.«

»Aber ich ver­mas­se­le dir nichts, Batz­ke«, sag­te Ku­falt bit­tend.

»Du ver­mas­selst mir al­les«, sag­te Batz­ke. »Ich kenn dich doch aus dem Kitt­chen. Im­mer hin­ten­rum, im­mer mit dem Di­rek­tor zu­sam­men­ho­cken, schmu­sen – das kannst du. Ich will nicht sa­gen«, setz­te er mil­der hin­zu, »ir­gend ’ne hüb­sche Ur­kun­den­fäl­schung oder ’ne Hoch­sta­pe­lei bei Wei­bern oder hier bei dei­ner ol­len Wir­tin, wo man kei­nen Mut zu braucht und kei­ne Geis­tes­ge­gen­wart, dar­in bist du viel­leicht tüch­tig. Si­cher bist du jetzt auch so zu Geld ge­kom­men …«

Ku­falt schwieg be­schämt. Er wag­te nicht zu sa­gen, dass auch dies Kom­pli­ment noch über­trie­ben war, er konn­te nicht ge­ste­hen, auf wel­che ehr­li­che Wei­se er zu sei­nem Geld ge­kom­men war.

»… aber«, fuhr Batz­ke un­er­bitt­lich fort, »von die­ser Sa­che musst du die Fin­ger las­sen. Ich geb zu, du hast ’nen fei­nen Tipp ge­pfif­fen. Ich will dir was sa­gen: Ich geb dir für dei­ne An­non­ce die vier­hun­dert Mark wie­der, trotz­dem ich gra­de jetzt für die Sa­che Geld brau­che.«

»Aus­ge­schlos­sen«, sag­te Ku­falt.

»Ich will nicht so sein«, sag­te Batz­ke, und sei­ne Stim­me nahm einen ganz rüh­ren­den Klang an. »Schließ­lich ha­ben wir ja im Kitt­chen lan­ge ge­nug zu­sam­men­ge­ses­sen. Klappt die Sa­che, sollst du noch mal vier­hun­dert Mark von mir krie­gen.«

»Du bist ja ver­rückt«, sag­te Ku­falt wü­tend. »Hun­dertzwan­zig­tau­send Mark und acht­hun­dert Mark für mich, der ich dir die An­non­ce ge­bracht habe! Das meinst du doch nicht im Ernst!«

»Wer ist ver­rückt?« frag­te Batz­ke, nun auch auf­ge­bracht. »Wer quatscht hier von hun­dertzwan­zig­tau­send Mark? Glaubst du im Ernst, ir­gend­ein Schwär­zer zahlt uns den La­den­ver­kaufs­preis?!«

»Aber doch min­des­tens die Hälf­te«, sag­te Ku­falt ein­dring­lich.

»Ich glau­be, du hast von gar nichts ’ne Ah­nung«, sag­te Batz­ke ver­ächt­lich. »Ich habe heu­te Mor­gen schon rum­ge­horcht. Bril­lan­ten sind sehr schwer zu ver­kau­fen, und noch dazu solch ein Pos­ten auf ein­mal. Man wird sie ins Aus­land brin­gen müs­sen. Nach Ams­ter­dam oder Lon­don. Die Fas­sun­gen sind über­haupt nichts wert. Wenn wir fünf­tau­send Mark im Gan­zen krie­gen, wird das viel sein, und ich brau­che min­des­tens vier Mann zur Hil­fe.«

»Und mich brauchst du nicht?«

»Wozu dich? Willst du die Schei­be ein­schla­gen? Willst du das Ta­blett raus­lan­gen? Willst du in den La­den ge­hen und er­rei­chen, dass dir das gan­ze Ta­blett mit den Rin­gen vor­ge­legt wird, ohne dass sie gleich auf den Ge­dan­ken kom­men, der Käse stinkt? Willst du im Hun­dert-Ki­lo­me­ter-Tem­po ab­hau­en? Was willst du nun ei­gent­lich?«

»Ich will un­ter al­len Um­stän­den mit­ma­chen«, sag­te Ku­falt er­bit­tert. »Red nicht, Batz­ke, ich kenn dich doch, du willst mich ver­set­zen, an dei­ne fünf­tau­send Mark glau­be ich nie im Le­ben, fünf­zig­tau­send hät­test du sa­gen sol­len.«

»Ach was«, sag­te Batz­ke ver­ächt­lich, »mit Dum­men ist eben nichts zu ma­chen.«

Er wand­te sich zum Ge­hen.

»Las­se ich die Sa­che also sau­sen.« Er stand un­ter der Tür. »Es gibt bes­se­re Tipps, das kannst du mir glau­ben.«

»Schön«, sag­te Ku­falt, »aber das schwö­re ich dir, ich ste­he je­den Abend am La­den, und wenn du das Ding drehst, haue ich dich in die Pfan­ne.«

Batz­ke dreh­te sich rasch um. Er sah Ku­falt er­bit­tert an und ging rasch mit er­ho­be­ner Faust auf ihn zu.

»Ja, schlag nur«, schrie der wü­tend, »schlag mich zu­sam­men. Des­we­gen kannst du das Ding doch nicht dre­hen. Oder du musst mich gleich ganz tot­schla­gen.«

»Also, Wil­li«, sag­te Batz­ke plötz­lich, »wir ma­chen das Ding zu­sam­men. Du gehst heu­te Nach­mit­tag los und be­sorgst dir erst ein­mal einen hart­ge­brann­ten Zie­gel­stein. Und dann kannst du noch einen Pflas­ter­stein be­schaf­fen. Über­leg dir schon, wie du die Din­ger am bes­ten un­auf­fäl­lig ver­packst, dass du sie doch im­mer griff­be­reit hast. Heu­te Abend um elf tref­fen wir uns an der Hoch­bahn­hal­te­stel­le Lat­ten­kamp. Da in der Ge­gend müs­sen net­te neue Sied­lun­gen sein. Da kannst du tüch­tig üben.«

Es war nicht so, dass Ku­falt von die­sem Auf­trag ent­zückt war. Ihm hat­te es vor­ge­schwebt, dass er der Mann sein wür­de, der durch das Loch ins Schau­fens­ter lang­te und das Ta­blett mit den Rin­gen er­grei­fen wür­de. Aber er war müde jetzt, ab­ge­kämpft von sei­nem Streit mit Batz­ke, froh, dass er we­nigs­tens dies er­reicht hat­te.

Hat mich rein­le­gen wol­len, dach­te er. Hat kein Schwein ge­habt. Fünf­tau­send Mark. Lä­cher­lich! Zehn­tau­send müs­sen min­des­tens al­lein auf mei­nen An­teil fal­len. Wo kriegt man nur Pflas­ter­stei­ne her? Man kann doch nicht so ein­fach Pflas­ter­stei­ne von der Stra­ße mit­neh­men! Und hart­ge­brann­te Zie­gel­stei­ne – gibt es denn auch wei­che? Wie soll ich die Din­ger denn un­ter­brin­gen? Das wird doch eine Last …

»Also dann um elf, auf Wie­der­se­hen, Ku­falt«, sag­te Batz­ke, der ihn die gan­ze Zeit prü­fend an­ge­se­hen hat­te, und grins­te über sein gan­zes Ge­sicht.

10

In der Bau­ma­te­ria­li­en­hand­lung Tie­de­mann sitzt Herr Prie­batsch vor dem großen Ver­kaufs­jour­nal und macht eif­rig Bu­chun­gen. Von Zeit zu Zeit hebt er den Blick und sieht auf den großen Sta­pel­platz hin­aus, wo Zehn­tau­sen­de von Mau­er­stei­nen, Tau­sen­de von Dach­zie­geln, Hun­der­te von Ku­bik­me­tern Bau­sand, end­lo­se Sta­pel von Bau­holz, Schup­pen vol­ler Ze­ment auf Käu­fer war­ten.

Er stellt fest, dass die Ge­span­ne von Mau­rer­meis­ter Ga­de­busch noch im­mer auf­la­den, dass der Kut­scher von Zim­mer­mann Lan­ge gleich am Fens­ter des Ver­kaufs­bü­ros hal­ten wird, sieht dann ge­wohn­heits­mä­ßig in den Hin­ter­grund sei­nes Bü­ros und sagt eben­so ge­wohn­heits­mä­ßig zum Lehr­ling: »Sie sol­len Rech­nun­gen aus­schrei­ben und nicht träu­men, Herr Prei­sach.«

Die Tür zum Ver­kaufs­bü­ro tut sich auf, aber es ist noch nicht der Kut­scher von Lan­ge, son­dern ein jun­ger, gut an­ge­zo­ge­ner, et­was blas­ser Mann, der ein­tritt, ein Hand­köf­fer­chen in der Hand.

»Ent­schul­di­gen Sie«, sagt der jun­ge Mann et­was ver­wirrt.

»Bit­te, bit­te«, sagt Herr Prie­batsch. »Was steht zu Diens­ten?«

»Ich woll­te fra­gen«, sagt der jun­ge Mann, »ob Sie hart­ge­brann­te Mau­er­stei­ne ha­ben.«

»Aber ge­wiss doch«, sagt Herr Prie­batsch. »Se­hen Sie doch nur zum Fens­ter hin­aus. Das Tau­send vierund­fünf­zig Mark.«

»Und ha­ben Sie auch Pflas­ter­stei­ne?« fragt der jun­ge Mann.

»Ba­salt? Gra­nit? Ge­gos­se­ne? Schla­cken­stei­ne? Vier­e­ckig? Rund?« fragt Herr Prie­batsch da­ge­gen.

»Ja, ich weiß nicht ge­nau«, sagt der jun­ge Mann zö­gernd. »Vi­el­leicht Ba­salt, vier­e­ckig, oder nein, doch bes­ser rund.«

»Wie viel soll­ten es denn sein? Wir müss­ten da erst die Prei­se ein­ho­len«, er­klärt Herr Prie­batsch.

»Ach, vor­läu­fig nicht so viel«, sagt der jun­ge Mann ver­wirrt und sieht Herrn Prie­batsch an.

»Also wie viel?« fragt der.

»Ja«, sagt der jun­ge Mann zö­gernd und sieht Herrn Prie­batsch ver­wirrt höf­lich an.

»Die Mau­er­stei­ne könn­ten so­fort ge­lie­fert wer­den«, hilft der Pro­ku­rist. »We­gen der Pflas­ter­stei­ne brau­chen wir min­des­tens eine Wo­che Lie­fer­frist.«

»Ich müss­te aber einen so­fort ha­ben«, sagt der jun­ge Mann.

Herr Prie­batsch traut sei­nen Ohren nicht. »Ei­nen?« fragt er ge­dehnt, und er wie­der­holt noch ein­mal un­gläu­big: »Ei­nen?«

Es ist so still im Büro, dass so­gar der Lehr­ling Prei­sach aus sei­nen Träu­me­rei­en er­wacht und den Kun­den an­sieht.

Der fasst sich.

»Als Mus­ter«, sagt er has­tig. Und plötz­lich sehr be­redt: »Wis­sen Sie, das ist näm­lich so, mein Va­ter will sich ein Haus bau­en, und da möch­te er erst Mus­ter von den Stei­nen ha­ben.«

»Von den Mau­er­stei­nen?« fragt Herr Prie­batsch sehr ge­dehnt.

»Auch von den Pflas­ter­stei­nen«, sagt der jun­ge Mann.

Herr Prie­batsch hat plötz­lich eine Idee, und in­fol­ge die­ser Idee wird er zu­erst sehr rot.

»Herr«, fängt er ganz sach­te an.

»Wir wol­len näm­lich auch einen Hof pflas­tern«, sagt der jun­ge Mann ei­lig.

»Herr«, schreit Herr Prie­batsch, »wenn Sie mich hier auf mei­nem ei­ge­nen Büro durch den Ka­kao zie­hen wol­len …«

»Aber ich ver­si­che­re Ih­nen, Mus­ter«, sagt der jun­ge Mann hilf­los.

Herr Prie­batsch fängt an zu schrei­en.

»Ma­chen Sie, dass Sie aus mei­nem Büro kom­men! Ent­we­der sind Sie ein Idi­ot oder …«

Der jun­ge Mann ist schon aus dem Büro ent­flo­hen.