Bauern, Bonzen und Bomben

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Bauern, Bonzen und Bomben
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LUNATA

Bauern, Bonzen und Bomben

Bauern, Bonzen und Bomben

© 1931 Hans Fallada

Umschlagbild: Landesarchiv Berlin

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Vorwort

Vorspiel

Erstes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Zweites Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Drittes Buch

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Nachspiel

Vorwort

Dieses Buch ist ein Roman, also ein Werk der Phantasie. Wohl hat der Verfasser Ereignisse, die sich in einer bestimmten Gegend Deutschlands abspielten, benutzt, aber er hat sie, wie es der Gang der Handlung zu fordern schien, willkürlich verändert. Wie man aus den Steinen eines abgebrochenen Hauses ein neues bauen kann, das dem alten in nichts gleicht, außer dem Material, so ist beim Bau dieses Werkes verfahren.

Die Gestalten des Romans sind keine Fotografien, sie sind Versuche, Menschengesichter unter Verzicht auf billige Ähnlichkeit sichtbar zu machen.

Bei der Wiedergabe der Atmosphäre, des Parteihaders, des Kampfes aller gegen alle ist höchste Naturtreue erstrebt. Meine kleine Stadt steht für tausend andere und für jede große auch.

H. F.

Vorspiel
Ein kleiner Zirkus namens Monte

1

Ein junger Mann stürmt den Burstah entlang. Während des Laufens schießt er wütende, schiefe Blicke nach den Schaufenstern der Läden, die in dieser Hauptstraße von Altholm dicht an dicht liegen.

Der junge Mann, um die 25, verheiratet und nicht häßlich, trägt einen alten schwarzen Rockpaletot, blankgescheuert, einen breitkrempigen schwarzen Filz und schwarz umränderte Brille. Sein Gesicht dazu – und er scheint ein Leichenbitter, würdig jeder »Pietät« und »Ruhe sanft«.

Wenn schon der Burstah der Broadway von Altholm ist, lang ist er nicht. Nach drei Minuten ist der junge Mann am letzten Haus, direkt am Bahnhofsplatz. Er spuckt kräftig aus und verschwindet nach dieser neuen Äußerung seiner Stinkwut im Hause der Pommerschen Chronik für Altholm und Umgebung, Heimatblatt für alle Stände.

Hinter der Barre der Expedition hockt eine gelangweilte Tippeuse, die das Manuskript eines Zeitungsromans wegstecken will. Sie bremst diese Bewegung ab, als sie sieht, es ist nur der Annoncenwerber Tredup.

Er schmeißt einen Papierfetzen auf den Tisch: »Da! Das ist alles. Geben Sie's in die Setzerei. – Sind die andern drinnen?«

»Wo sollen die denn sonst sein?« fragt die Schöne dagegen. »Wird das berechnet?«

»Natürlich wird das nicht berechnet. Haben Sie schon mal gesehen, daß ein Affe uns Anzeigen bezahlt hat?! Neun Mark kostet sie. War der Chef schon unten?«

»Der Chef erfindet schon wieder seit fünf.«

»Gott soll schützen! Und die Chefin? Duhn?«

»Weiß nicht. Denke. Fritz hat ihr um acht eine Pulle Cognac holen müssen.«

»Dann ist ja alles in schönster Ordnung. – O Gott, was mich dieser Stall ankotzt! – Sind die drinnen?«

»Das haben Sie schon mal gefragt.«

»Haben Sie sich nicht, Klara, Klärchen, Klarissa. Ich hab Sie heute nacht um halb eins aus der Grotte kommen sehen.«

»Wenn ich von meinem Gehalt leben sollte ...«

»Weiß ich, weiß ich. Ob der Chef Geld hat?«

»Ausgeschlossen.«

»Und der Wenk, hat der was in der Kasse?«

»Ostseekino hat gestern Abend bezahlt.«

»Also hole ich mir Vorschuss. Drinnen ist er doch?«

»Ich glaube, Sie haben ...«

»Das schon einmal gefragt. Mehr als eine Walze, bitte, meine Holde. Vergessen Sie nicht das Inserat.«

»Gott. Und wenn schon.«

2

Tredup zieht die Schiebetür zum Redaktionszimmer mit einem Ruck auf, geht durch und drückt sie sachte wieder zu. Der lange Geschäftsführer Wenk hockt in einem Sessel und pult an den Nägeln. Redakteur Stuff schmiert irgendeinen Mist.

Tredup feuert seine Mappe in ein Schrankfach, hängt Hut und Mantel beim Ofen auf und setzt sich an seinen Schreibtisch. Er zieht gleichgültig, als fühle er nicht die fragenden Blicke, einen Kartothekkasten hervor und beginnt Karten zu sortieren. Wenk hält mit Nägelschneiden inne, betrachtet sorgend die Klinge im Licht der Sonne, wischt sie an seinem Bürolüsterjackett ab, klappt das Messer zu und sieht Tredup an. Stuff schreibt weiter.

Es erfolgt nichts. Wenk nimmt ein Bein von der Sessellehne und fragt wohlwollend: »Na, Tredup?«

»Bitte, Herr Tredup!«

»Na, Herr Tredup?«

»Du kannst mir mal mit deinem Na!«

Wenk wendet sich an Stuff. »Er hat nichts, Stuff, sage ich dir. Nichts hat er.«

Stuff glupscht unter seinem Klemmer auf Tredup, zieht seinen graumelierten Walrossbart durch die Zähne und bestätigt: »Natürlich hat er nichts.«

Tredup springt wütend auf. Der Kartothekkasten fliegt mit einem Knall auf die Erde. »Was heißt natürlich? Ich verbitte mir natürlich! In dreißig Geschäften bin ich gewesen! Kann ich die Leute notzüchtigen? Soll ich ihnen die Inserate aus der Nase ziehen? Wenn sie nicht wollen, wollen sie nicht. Ich bettle schon ... Und so ein Schreibknecht sagt natürlich. Lächerlich!«

»Reg dich bloß nicht künstlich auf, Tredup. Was hat denn das für einen Sinn?«

»Natürlich rege ich mich auf über dein Natürlich. Geh du doch selber einmal los, Annoncensammeln. Diese Affen! Diese Krämer! Diese drehstierige Bande! Ich inseriere vorläufig nicht. Ich habe keine Meinung für Ihr Blatt. Besteht die Chronik überhaupt noch? Ich dachte, sie wäre längst eingegangen. Kommen Sie morgen wieder. – Es ist zum Kotzen!«

Wenk murmelt aus seinem Sessel: »Ich traf heute früh den Maschinenmeister von den Nachrichten. Die kommen heute mit fünf Seiten Anzeigen raus.«

Stuff spuckt verächtlich: »Das Mistblatt. Kunststück. Wenn man 15 000 Auflage hat.«

»Die haben ebensogut 15 000, wie wir 7000 haben wollen.«

»Bitte, wir haben eine notarielle Bescheinigung über 7000.«

»Du mußt die Stelle mal radieren, wo das Datum steht. Die ist schon ganz schwarz vom Zuhalten mit deinem Daumen, all die drei Jahre, seit die Zahl mal richtig war.«

»Ich spucke auf die notarielle Bescheinigung. Aber den Nachrichten wischt ich für mein Leben gern was aus.«

»Geht nicht. Der Chef will es nicht haben.«

»Natürlich, weil sich der Chef von den Fritzen Geld pumpt, müssen wir uns anstinken lassen.«

Wenk setzt den Bohrer neu an: »Also gar nichts hast du, Tredup?«

»Eine achtel Seite von Braun. Für neun Mark.«

Stuff stöhnt. »Neun Mark? Tiefer geht es nicht mehr.«

»Und sonst nichts?«

»Die Ausverkaufsanzeige vom verkrachten Uhrenschlosser hätt ich kriegen können, aber wir sollen Ware dafür abnehmen.«

»Bloß das nicht. Was mach ich mit Weckern? Ich steh doch nicht auf, wenn die Dinger klingeln.«

»Und der Zirkus Monte?«

Tredup bleibt im Auf- und Abrennen stehen. »Ich hab dir doch gesagt, es ist nichts, Wenk. Nun laß gefälligst auch das Meckern sein.«

»Aber den Monte haben wir doch jedes Jahr gehabt! Bist du überhaupt dagewesen, Tredup?«

»Ich will dir was sagen, Wenk. Ich will dir in aller Ruhe und Freundschaft mal was sagen, Wenk. Wenn du noch einmal so was sagst von ›überhaupt dagewesen‹, dann klebe ich dir eine ...«

»Aber wir haben ihn doch jedes Jahr gehabt, Tredup!«

»So, haben wir –? Und ich will dir was sagen, dann werden wir ihn dieses Jahr eben mal nicht haben. Und du kannst es mir sagen und der Chef kann es mir sagen und Stuff kann mir's sagen: ich gehe nicht wieder in diesen Scheißzirkus vorfragen.«

 

»Was war denn?«

»Was war? Mist war. Frechheit war. Zigeunerfrechheit, semitisches, widerliches Gehabe war. Vorgestern war die Voranzeige in den Nachrichten. Ich töffele hin, ganz auf den Jugendspielplatz. Der Zirkus war überhaupt noch nicht da.«

»Dann hat der Manager in den Nachrichten die Anzeige aufgegeben.«

»Und bei uns ist er vorbeigelaufen. Eben. Gestern früh wieder hin. Die sind beim Aufbau. Wo ist der Manager? Über Land. Plakate in die Kuhdörfer kleben. Als ob die Bauern jetzt in Stimmung wären! Soll um eins wiederkommen. Um eins ißt der Manager. Gut, ich warte eine Stunde. Der Manager, so ein verfluchter gelber Zigeuner, will mit seinem Chef reden. Ich soll um sechs wiederkommen. Ich bin um sechs da. Hat den Chef noch nicht sprechen können, soll heute früh wiederkommen.«

»Alle Achtung, immer nach dem Jugendspielplatz raus!«

»Das denke ich auch. Heute früh lerne ich den großkotzigen Chef kennen, diesen Herrn über anderthalb Affen, eine spatkranke Kracke und ein vermottetes Kamel. Hut in der Hand, Diener bis auf die Erde.

Und dieses Mistvieh, dieses Stinktier sagt, es lohnt sich ihm nicht, in der Chronik zu inserieren! Kein Mensch lese unser Käseblättchen!«

»Was hast du ihm gesagt?«

»Am liebsten hätt ich ihm ein paar lackiert. Nun, ich dachte an meine Familie und habe Leine gezogen. Schließlich will meine Frau am Ersten auch ihr Wirtschaftsgeld haben.«

Stuff nimmt den Klemmer ab und fragt: »Hat er Käseblättchen gesagt? Hat er wirklich Käseblättchen gesagt?«

»So wahr ich hier stehe, Stuff!«

Und Wenk hetzt: »Das sollte ihm nicht so hingehen. Das wäre doch etwas für dich, Stuff. Du solltest ihn anmisten, nach Noten.«

»Tät ich. Tät ich. Aber der Chef will es doch nicht ...«

»Das wäre mal eine schöne Gelegenheit, den Inserenten Angst zu machen. Kriegt einer was auf den Deckel, inserieren die andern wieder ein Weilchen aus Angst.«

»Aber der Chef ...«

»Ach was, der Chef! Wir gehen alle drei zu ihm hin und sagen, daß was geschehen muß.«

»Anmisten tät ich ihn brennend gerne«, murmelt Stuff.

»Halt!« schreit Tredup. »Ich weiß was. Du verlangst, daß du die Roten anmisten darfst, dann erlaubt er dir wenigstens den Monte.«

»Nicht übel«, nickt Stuff. »Ich weiß da grade eine Geschichte mit dem Polizeimeister ...«

»Na also, gehen wir ins Labor ...«

»Jetzt gleich?«

»Na, natürlich gleich. Du mußt doch die Eröffnungsvorstellung von gestern Abend runterreißen.«

»Also gehen wir zum Chef.«

3

In der Setzerei gab es einen Aufenthalt. Die beiden Linotypes waren verlassen und die Maschinensetzer standen mit den Akzidenzsetzern und dem Metteur am Fenster. Sie starrten auf den Hof. Es war still im Raum, ein ungewohntes Atemanhalten.

Wenk fragte: »Ist jetzt Frühstück? Was gibt es?«

Ein wenig zögernd tat sich der Haufe am Fenster auseinander. Der Metteur, ehrliche Kümmernis im faltigen Gesicht, sagte: Jetzt liegt sie draußen.«

Die drei gingen durch die Gasse Pausierender vor die Scheibe, taten einen Blick, auch ihnen verschlug es die Rede.

Es ist nur ein kleiner Hof, rings von Häusern umstanden, mit Fliesen belegt, einem spärlichen Grünfleck in der Mitte. Um sein schütteres Gras läuft ein Gitter, eines jener niedrigen gußeisernen Gitter, die nichts schützen. Fußfallen im Dunkel.

Aber jetzt war heller Tag und sie war doch darüber gefallen. Sie lag dort auf dem Gras, wie sie hingestürzt, die schwarzen halblangen Röcke hatten sich verschoben, man sah unordentlich angezogene Strümpfe, schwarz gestrickt, weiße Wäsche.

»Sie wird über den Hof hinten zum Krüger gegangen sein, sich neuen Schnaps holen.«

»Der Fritz hat ihr um acht schon eine Pulle gebracht.«

»Sie ist ohne Besinnung.«

»Nein, sie weiß schon, sie will so liegen vor all den Fenstern.«

»Es ist, seit sich der Junge totgetrunken hat.«

Plötzlich sprechen alle auf einmal. Alle stehen sie und starren auf den schwarzen hingestürzten Schatten.

Stuff schiebt die Schultern vor, drückt den Klemmer fest. »Das geht nicht. Komm, Tredup, wir holen sie.«

Wenk blickt den Fortgehenden nach. Er fragt besorgt: »Ob das richtig ist? Der Chef sieht das auch vom Labor.«

Der alte Metteur sagt giftig: »Seien Sie man sicher, Herr Wenk, wenn der seine Frau so sieht, dann sieht er sie nicht.«

Wenk geht den beiden nach. Er bemerkt auf dem Hof an allen Fenstern zurückfahrend Köpfe, die bei ihrer Neugierde nicht erwischt werden wollen.

»Morgen ist es durch die ganze Stadt. Die Frau hat so viel Geld und sielt sich im Dreck. Ich sollte ihr Geld haben ...«

»So ist das Leben«, denkt der Annoncenjäger. »Na ja, der übliche Salat ... Nicht der Sohn, der sich totsoff, hat ihr den Rest gegeben, aber daß es alle Leute wissen, daß er so umkam ... So 'ne kleine Stadt. – Kommen Sie, gnädige Frau. Setzen Sie sich auf.«

Es ist ein verwüstetes Gesicht, blutleer, graugelb, mit hängenden Falten, das verdrossen zur Sonne blinzelt. »Macht das Licht aus«, murrt sie. »Stuff, mach es aus. Noch ist Nacht.«

»Kommen Sie man, Frau Schabbelt. Wir trinken auf der Redaktion einen Grog, und ich erzähle Ihnen Witze.«

»O du Schwein«, sagt die Betrunkene, »glauben Sie, es ist mir um Witze?« Und plötzlich lebhaft: »Ja, erzähle Witze. Er hört sie immer gern. Ich darf an seinem Bett sitzen, er ist mir nicht mehr bös.«

Und plötzlich, im Aufstehen, im Gehen zwischen den beiden (Wenk folgt, schlenkert die Cognacflasche verächtlich zwischen den Fingern), plötzlich scheint sie in die Ferne zu horchen: »Keine Witze mehr, Herr Stuff. Ich weiß schon, Herbert ist tot. Aber auf Ihrem Sofa will ich liegen, wenn das Telefon geht und der Radiobericht kommt und die Zeitung läuft durch die Maschine. Es ist dann wie richtiges Leben.«

In der Setzerei ist ein hastiger, verlegener Arbeitsanfang. Niemand blickt hoch.

»Vergeßt den Cognac nicht!« ruft plötzlich die Frau.

Auf dem Sofa bekommt sie noch ein Glas voll, und schon schläft sie mit offenem Munde, schlaffem Kiefer, besinnungslos.

»Wer bleibt bei ihr?« fragt Stuff. »Einer muß bleiben.«

»Wollt ihr jetzt noch zum Chef?«

»Wer so fragt, bleibt. Komm, Tredup.«

Sie gehen. Wenk sieht ihnen nach. Sieht auf die schlafende Frau, horcht nach der Expedition, faßt die Cognacflasche und gießt sich kräftig einen hinter die Binde.

4

Das Laboratorium ist kein modernes Labor aus Glas, mit Sauberkeit, Helle und Luft, es ist der Spelunkenwinkel eines tüterigen Erfinders, der in einem Wust von Geräten, Ideen, Schutt und Schmutz ertrinkt.

An einem Tisch mit säurezerfressenem Linoleum sitzt eine Art Gnom mit weißem Strubbelbart, ein fettes, kugeliges Geschöpf, eine Art rotlackierter Zwerg. Er hat die sehr gewölbten, hellblauen schwachen Augen gegen die Eintretenden gehoben. »Bin nicht zu sprechen. Macht euern Mist alleine.«

Stuff sagt: »Grade anmisten möcht ich jemand, Herr Schabbelt. – Wenn Sie erlauben.«

Der Zwerg hebt eine Zinkplatte gegen das Licht, prüft sie sorgenvoll: »Die Autotypie kommt nicht.«

»Vielleicht ist der Raster zu fein, Herr Schabbelt?«

»Was verstehen Sie davon? Hinaus habe ich gesagt! Was stinkt der Tredup hier herum? Raus! – Sieh da, zu fein. Dumm bist du nicht, Stuff. Das mag angehen. – Wen willst du anmisten?«

»Die Roten.«

»Nein. Fünfundfünfzig Prozent unserer Leser sind Arbeiter und kleine Beamte. Die Roten? Nie! Wenn wir auch rechts sind.«

»Es ist eine sehr gute Geschichte, Herr Schabbelt.«

»Erzähle sie, Stuff. Sieh, wo du Platz findest. Aber der Tredup muß raus. Er stinkt nach Akquisition.«

»Ich möchte schon gerne was andres tun«, murrt Tredup.

»Quatsch! Du tust es gern. Raus mit dir!«

»Wir brauchen ihn noch. Nachher zu der Geschichte.«

»Also stellen Sie sich dort ins Dunkel. Erzähle los, Stuff.«

»Sie kennen Kallene, den Polizeimeister? Natürlich. Nach der Revolution war er rot. SPD oder USPD, jedenfalls wurde er belohnt. Der dümmste aller Polizeidiener wurde Polizeimeister.«

»Weiß ich.«

»Und als er's war, trat er aus der Partei aus, gab das Parteibuch zurück, wurde streng deutschnational, wie er vorher gewesen.«

»Und –?«

»Na, der macht abends auf dem Rathaus Aufsicht über die Reinmachefrauen. Wenn die Büros leer sind, Herr Schabbelt!«

»Und –?«

»Da sind so ein paar junge Weiber dabei, einfach Klasse. Man kann es sich ja denken, wenn sie so rutschen über den Boden, man bekommt da Einblicke ...«

»Du kannst es dir jedenfalls denken, Stuff.«

»Na, natürlich, nicht nur der Kallene kommt bei so was auf andere Ideen.«

»Mach's kurz, Stuff. Wer hat ihn erwischt?«

»Der rote Bürgermeister!« schreit Stuff. »Der dicke Gareis. Auf seinem Schreibtisch haben sie's gemacht.«

»Und –?«

»Na, Herr Schabbelt! So eine Frage! Jetzt hat der Kallene wieder das Parteibuch.«

»Es ließe sich etwas daraus machen«, meint Schabbelt. »Aber nicht für uns. Etwa für die KPD. Tredup kann es weiterquatschen.«

»Herr Schabbelt!«

»Ich kann Ihnen nicht helfen, Stuff. Sehen Sie, wie Sie sonst Ihre Spalten vollkriegen mit Lokalem.«

»Aber wenn wir nie stänkern dürfen! Das Blatt wird so doof. Man nennt uns schon Käseblättchen.«

»Wer?«

»Ist es nicht wahr, Tredup?«

Tredup enttritt dem Schatten, ganz gallig: »Schmierblättchen. Stinkmakulatur. Hakenkreuzruh. Scheißhausklappe. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit.«

Stuff hebt seine Stimme: »Tante vom Kuhdorf. Der Langeweiler über alle Wände. Der Treppenfurz. Die Gakelei. Der Blinddarm. Der Maulwurf. Lies und schlaf.«

Tredup wieder: »Ich beeide es, Herr Schabbelt. Heute morgen erst hat mir ein Inserent gesagt ...«

Der Chef ist zu seinen Zinkplatten zurückgekehrt. »Wen wollt ihr also anstänkern?«

Beide: »Den Zirkus Monte.«

Und Schabbelt: »Meinetwegen. Daß die Nicht-Inserenten wieder einmal Angst kriegen. Und zur Belohnung wegen des zu feinen Rasters.«

»Schönen Dank, Herr Schabbelt.«

»Schon gut. Aber diese Woche laßt ihr mich nun gefälligst in Frieden. Ich habe keine Zeit.«

»Wir kommen schon nicht so. Guten Morgen.«

5

Stuff sitzt am Schreibtisch und sieht auf die immer noch schlafende Frau. Ihr Gesicht hat sich etwas gerötet, ihre eisgrauen Haarzotteln liegen um den Kopf, hängen in ihr Gesicht. Er denkt: »Die Cognacflasche ist beinahe leer. Als ich den Wenk rausschickte, stank er nach Schnaps. Jetzt säuft er sogar der besoffenen Chefin den Schnaps weg. Ich werde es ihm stecken.«

Wieder nach der Frau hin: »Ich werde ihr einen Kaffee machen lassen, einen heißen Mokka, daß sie ihn trinkt, wenn sie aufwacht. Ich werde nach der Grete klingeln.«

Er sieht auf den Klingelknopf neben der Tür, dann auf das weiße Papier vor sich auf dem Pult. »Schließlich, was hilft ihr ein Mokka? Gar nichts.«

Er dreht an den Knöpfen des Radios. Eine Stimme ertönt: »Achtung! Achtung! Achtung! Hier ist der sozialdemokratische Pressedienst! Achtung!«

»Äh, scheiß! Werde ich meinen Riemen schreiben.«

Er setzt an, denkt nach und schreibt dieses:

»Ein kleiner Zirkus namens Monte hat auf dem Jugendspielplatz sein Domizil aufgeschlagen und gab gestern Abend seine Eröffnungsvorstellung. Die Leistungen sind in keinem Punkte überragend und kommen sie nirgends über ein Mittelmaß hinaus. Nach den Darbietungen, die unsere Vaterstadt vor noch nicht langer Zeit im Zirkus Kreno und im Zirkus Stern bewundern durfte, sind die Nummern des Monte-Programms klägliches Surrogat, das allenfalls für Kindervorstellungen ausreicht.«

Er überliest noch einmal das Geschriebene. »Das wird es tun, denke ich.«

Er klingelt. Der Lehrling Fritz kommt. »Das soll gleich gesetzt werden. Und sag dem Metteur, er soll es als lokale Spitze bringen. Ich geh jetzt erst auf die Kriminalpolizei und dann aufs Schöffengericht. Wenn noch was ist, rufe ich an. Gut. – Halt, sage der Grete, sie soll der Frau Schabbelt einen Mokka machen.«

Der Junge geht ab. Stuff sieht auf die schlafende Frau, dann nach der Cognacbuddel. Er hebt die Buddel und trinkt den Rest aus. Er schüttelt sich.

 

»Heute Abend werde ich mich besaufen. Heute Abend werde ich Amok laufen«, denkt er. »Mich betäuben, weg sein, vergessen. Das schweinischste Handwerk auf der Welt: Lokalredakteur sein in der Provinz.«

Er sieht betrübt durch seine Klemmgläser und schiebt ab, zur Kripo und zu den Schöffen.