Blitzschlag – Spuren der Zukunft

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Blitzschlag – Spuren der Zukunft
Font:Smaller АаLarger Aa

Inhalt

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2020 novum Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-903271-95-1

ISBN e-book: 978-3-903271-96-8

Lektorat: Tobias Kei

Umschlagfotos: Peter Hermes Furian, Sergey Khakimullin,

Kati1313 | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung
1 Einschläge
2 Rätsel allerorten

3 Spuren der Vergangenheit
Teuflisches Projekt
Unheimliches hatte sich schon lange Zeit vor dem tödlichen Blitzschlag zusammengebraut. Die Eskalation des Schreckens hatte eine Vorgeschichte. Früh am Morgen im Büro angekommen, hörte Aldo als Erstes die Nachricht „komm sofort in den abhörsicheren Besprechungsraum“. Offensichtlich war sein Boss noch früher als er eingetroffen und hatte eine neue Idee ausgebrütet. Als eng vertrauter Angestellter der Klinik arbeitete er „nebenberuflich“ in einer höchst geheimen Unternehmung. Daher fühlte sich Aldo als Komplize und nannte seinen Vorgesetzten schlichtweg ‚Boss’, all dessen honorige Titel ignorierend.
„Aldo“, begann der Boss vielsagend, „ich habe ein neuartiges Projekt, höchst interessant für unsere Gruppe. Den ersten Teil führt schon mein bester Externer aus, der wegen einer Gehirn-Optimierung bei uns war und seitdem sagenhaft leistungsfähig ist. Er eignet sich auch wegen seiner internationalen Verbindungen, die wir benötigen. Eine tolle Chance für uns. Du bist für die Strategien zuständig, deine Helfer sorgen für die Detailschritte. Schau dir die Unterlagen an.“
Nach kaum einer halben Stunde stürmte Aldo zu seinem Boss: „Phantastisch, dieses Spezialverfahren brauchen wir als Ergänzung zu den Nanos. Damit decken wir alles ab und kommen mit BrainHacking schneller voran.“
Er warf sich in den Sessel und schnaufte erregt: „Bombastisch, eine große Nummer. Obwohl riskant und aufwändig, neue Entwicklungen, Testreihen, Personal, Aufwand für Geheimhaltung und mehr unvermeidliche Spezialeinsätze.“
„Kein Problem“, entgegnete der Boss selbstsicher, „unser Gönner wird zahlen. Das Thema gewinnt an Bedeutung, weltweit. Er ist heiß auf unsere Ergebnisse. Je schneller wir vorankommen, desto besser für ihn, und natürlich auch für uns.“
„Geht klar“, freute sich Aldo, „ich werde die Überwachung dieser Kornbrüder intensivieren und suche Insider-Kontakte zu allen beteiligten Spielern; ich hab’ schon Ideen.“
Das Projekt nahm Fahrt auf. Bald kam eine Neuigkeit; der Boss klingelte Aldo an:
„Unsere Spionageagentur hat sich gemeldet: Die Weizenfans besorgen sich Anbauflächen in Auslandsgebieten. Das ist mir ein Schritt zu viel, die dürfen nicht zu stark werden, bevor wir alles Nötige abgesaugt haben. Wir könnten mit einem kleinen Zusatzplan eingreifen, den unser Kontaktmann ausführt – das wäre nämlich ebenfalls genau sein Ding. Und du hältst die verdeckte Verbindung und überwachst den Ablauf, klar?“
„Sicher, Boss“, ereiferte sich Aldo, „wird gemacht.“
Der Boss legte die Stirn in Falten und dachte laut nach: „Wir müssen testen, wie viel Druck nötig ist. Unser Mann soll sanft beginnen und, falls nötig, den Knüppel aus dem Sack holen. Wir haben unsere Ziele noch nicht erreicht, es muss besser laufen.“
In Wahrheit konnte die Wirkung der früheren Attacke im Ausland nur rein technisch als gelungen gelten. Dennoch klopfte sich Aldo genüsslich auf die Schenkel und prahlte:
„Was für ein Erfolg! Denen haben wir’s gezeigt. Deren Projekte werden gehörig verzögert. Gut dass unsere Kontaktleute vor Ort einiges Kleingeld locker gemacht haben.“
„Schon gut, Aldo“, erwiderte der Boss einschränkend, „der Erfolg wird nicht von langer Dauer sein, die lernen dazu. Außerdem amortisieren sich die erbeuteten Ausrüstungen noch nicht und an der Heimatfront fehlen die benötigten Forschungsdaten.“
„Stimmt“, gab Aldo zu, „wir müssen mehr tun, vielleicht den Wadi-Stamm für unsere Sache überzeugen? Die könnten dafür Beutematerial am Schwarzmarkt verkaufen. Ansonsten warten wir mit der nächsten Abholaktion, bis die Lager wieder voll sind?“
„Wäre zu überlegen“, erwiderte der Boss, „sofern die Sicherheitsmänner, die sie jetzt angeheuert haben, nicht zu zahlreich und zu stark bewaffnet sind. Auf keinen Fall dürfen wir bei der Sache zu viele Leute ins Paradies schicken. Sonst werden die Behörden wachgerüttelt und unsere Partner bekommen Ärger. Lass uns neues einfädeln.“
„Na, da bin ich mächtig gespannt.“
„Es gibt eine Maklergruppe, die weltweit Anbauflächen und Agrarfirmen handelt. Da ist nämlich unser Kontaktmann tätig, der gerade in Kiralistan gezeigt hat, was er kann. Ich ließ ihn Kaufangebote lancieren, zuerst auf sanfte Weise. Das hat nicht funktioniert. Daher der erste Schuss in Kiralistan, um einem Sinneswandel auf die Sprünge zu helfen. Als Nächstes wäre wieder die Übernahme-Taktik dran, aber diesmal ein wenig kräftiger.“
„Verstehe, das ist etwa so wie Zuckerbrot und Peitsche.“
„So ähnlich. Wir können den Preis erheblich steigern, jeder ist käuflich.“
„Richtig“, erwiderte Aldo, „kostet uns selbst nichts. Und wenn’s wieder nicht klappt?“
„Hm“, knurrte der Boss, „dann machen wir auf spezielle Art und Weise eindringlich klar, dass es ansonsten rundum massive Konsequenzen geben würde. Realistischerweise sollten sie das verstehen und nicht mehr ablehnen.“
„Würde ein Übernahme-Coup nicht unnötig Aufsehen erregen?“
„Nicht unbedingt, die würden unter anderer Leitung weiterarbeiten. Uns geht es vordringlich um Zugriff auf deren internes Wissen, das uns noch fehlt.“
„Und wenn diese Angebote nichts fruchten?“
„Dann lassen wir der Firma erklären, dass kritische Enthüllungen öffentlich auftauchen könnten, mit Folgen bis zum Konkurs. Das sollte zünden, weitere Ablehnung wäre äußerst riskant für sie. Erwähne aber keinesfalls, dass wir gewisse Dokumente besorgen und ein wenig frisiert für kluge Verwendung bereithalten, klar?“
„Interessant“, grinste Aldo zu den Einfällen seines Chefs, „lass mehr hören.“
„Es ist mir geglückt, einen kleinen Mittelsmann zu überzeugen, ein wenig für mich zu tun, natürlich nicht nur als Freundschaftsdienst. Er ist harmlos und soll mir ein paar Datenblätter besorgen, die er bei seiner Freundin kopieren kann. Das ist alles, er kennt weder mich noch unsere Absichten, wir haben das Zeug bald in der Hand.“
Geheimnisvoll fügte der Boss gedämpft hinzu:
„Ich hab noch einen Dreh in petto, legal, aber kompliziert. Unser Makler wird ‚unabhängig‘ mit dem weltgrößten Agrarproduzenten sprechen, damit dieser – ganz im eigenen Interesse – seine Kontakte zur Zulassungsbehörde clever nutzt. So würde unser Weizenzüchter in Engpässe geraten und wir könnten die Beute leichter reinholen. Ich müsste notfalls mit unserem Financier einen doppelten Whisky trinken.“
Aldo schaute fast überzeugt drein: „Okay, einer der Knüller wird schon passen.“
„Wir gehen in die Schlussphase, möglichst ohne Rauch aufsteigen zu lassen. Doch notfalls, wenn nichts fruchtet, müssen Führungspersonen dran glauben. Ich hab eine einmalig clevere Idee im Visier, einen tollen Blitzschlag – im wahrsten Sinne des Wortes –, und dafür kenn’ ich einen äußerst fähigen Typen, der mir verpflichtet ist. Du würdest staunen. So was hat die Welt bisher noch nie gesehen … “
Plantax-Gruppe
Peter stöhnte. Diese dauernden Anfeindungen in Kiralistan. Beispiel Drohnendiebstahl: Hatten die Gegner trotz Geheimhaltung herausgefunden, dass die von MetMod, den Wettermachern, entwickelten Drohnen die Luftfeuchte regulieren konnten? Niemand anders vermochte Pflanzen luftbasiert mit Wasser zu versorgen. Hoffentlich war noch nicht durchgesickert, dass die Züchtung von AllCorn erhöhte Aufnahmebereitschaft von Luftfeuchte wie bei Wüstengewächsen gewährleistete. Dann gestern dieser Anruf. Ein Firmenmakler wollte im Auftrag eines Interessenten die ganze GenTra aufkaufen.
Peter klingelte nach seiner Chef-Assistentin Conny. Es gab Wichtiges zu regeln.
Sie wirbelte fröhlich blickend in das Büro. Ihre dunklen Haare hingen halb über die Schultern und verdeckten den Kragen ihrer cremefarbenen Bluse, der knielange rote Rock betonte die schlanke Figur und flatterte bei ihrem schwungvollen Gang. Achtundzwanzig, mit einem Informatiker verheiratet, kinderlos, sprühte sie vor Ideen. Vor zwei Jahren war sie gleich nach dem Biologie-Studium mit Schwerpunkt Gentechnik zur GenTra gekommen. Nachdem sie in verschiedenen Abteilungen auffallend erfolgreich gearbeitet hatte, stieg sie zu Peters persönlicher Assistentin auf. Sie schwang sich in den Sessel am kleinen Besprechungstisch und schaute Peter erwartungsvoll an.
„Das Kaufangebot habe ich rundweg abgelehnt“, begann Peter, „ich fürchte, das hängt mit den Angriffen auf Kira-1 zusammen. Ich sollte Edo anweisen, unsere Sicherheitsvorkehrungen massiv zu verstärken.“
„Ist wahrscheinlich nötig“, pflichtete Conny bei. „Mehr noch: Wäre es jetzt an der Zeit, die diskutierte ständige Expertenrunde einzurichten, die sich mit der Optimierung von AllCorn beschäftigen soll – und neuerdings mit dem Schutz der GenTra?“
„Trifft ins Schwarze, das habe ich mit Michel schon vorgesehen. Wegen der gefährlichen Attacken wird so eine Kerntruppe umso wichtiger. Die interne Projektgruppe könnte Plantax heißen. Überlege, wer dabei sein sollte. Es dürfen nicht zu wenige sein, denn wir müssen alle Fachgebiete vertreten, die in der GenTra nicht ausreichend besetzt sind. Aber auch nicht zu viele, damit es leichter fällt, unsere Entwicklungen noch für eine Weile streng vertraulich zu halten.“
„Okay, mach’ ich. Unsere fünf eigenen Führungsleute dürften klar sein. Dazu Vertreter der engsten und bewährten Partnerfirmen, auf deren Know-how wir angewiesen sind. Ich denke an Nutrica, MetMod und HighBrain.“
„Einverstanden. Sprich mit Edo und stelle ein Memo zusammen.“
Conny war am nächsten Tag mit dem Entwurf fertig und projizierte dem Team die Liste mit den ausgewählten Teilnehmern auf den Wandschirm:
Plantax-Arbeitsgruppe


GenTraPflanzen-EntwicklungLeitung:Forschung:IT und Sicherheit:Recht:PeterJackConnyEdoFabrizio
NutricaAnbau und VertriebLeitung:IT und Sicherheit:MichelMax
HighBrainInformations-TechnologieSoftware:Matti
MetModWetter-ModifizierungEntwicklung:Andreas

„Aus unserer Schwesterfirma nehmen wir Michel und Max. HighBrain ist unverzichtbar, weil sie für alle unsere Robots die IT entwickeln, Matti hat die besten Kenntnisse. Letztlich sind die Wetterleute sehr wichtig, daher Andreas.“
4 Entführung

5 Turbulenzen
Gedenken
In der GenTra war die Hölle los. Der Tod des Chefs hatte sich schneller herumgesprochen, als eine Nachricht an die Mitarbeiter geschickt werden konnte. Gestern bereits war über den tragischen Unfall in allen Medien berichtet worden. Peters Geschick berührte die Angestellten so stark, dass sie Conny bedrängten, mehr darüber zu erfahren. Sie beriet sich mit Jack und entschieden, eine Mitarbeiterversammlung einzuberufen. Besonderes Anliegen war es, alle Angestellten zu beruhigen und jeder Abteilung zu vermitteln, wie weiterzuarbeiten war. Die einzige führungslos gewordene Gruppe war die von Peter, sie ließ sich vorerst durch Conny und Jack leiten. Wichtig war auch die Ankündigung, dass Laura die Nachfolge von Peter antreten und sich bald vorstellen würde. Ihre Entführung sollte nicht publik werden. Angesichts der bekannten Umstände würde von vornherein jeder Verständnis zeigen, dass sie sich heute nicht selbst präsentierte.
Das neueste AllCorn Desaster mit der Produktqualität war den Mitarbeitern noch nicht bekannt. Gerade an dieser Front würde es zu Projektänderungen kommen, wenn sich die problematischen Nebenwirkungen bewahrheiteten. Doch das war derzeit ungewiss und somit sollte das Thema unerwähnt bleiben.
Schnell hatte sich der große Versammlungssaal gefüllt, niemand wollte dieses bewegende Treffen versäumen. Conny hatte eiligst mehrere Bodenvasen mit großen weißen Lilien auf das Podium stellen lassen, um dem traurigen Anlass symbolisch Ausdruck zu verleihen. Edo hatte das Überwachungssystem persönlich kontrolliert. Nur Angestellte waren zugelassen, es durfte kein Fremder zugegen sein.
Jack übernahm die Leitung. Er fand die passenden Eingangsworte, beschrieb den Unfall, beruhigte die Angestellten, versprach kontinuierliche Weiterarbeit und wandte sich dann dem Wirken Peters zu.
„Ihr wisst, dass Peter diese Firma mit vielen Ideen, Geschick und Ausdauer führte. Wir alle arbeiten für wichtige Ziele und wollen auf diese gemeinsam zugehen. Jetzt ist der Moment, euch über den vergangenen und geplanten Weg Peters zu informieren. Viele unter euch haben es selbst miterlebt, aber die anderen sollen auch erfahren, wie sich die Firma und ihr Highlight entwickelt haben.
GenTra, genauer GenTransTec Corporation, entstand aus Peters Mission, eine Antwort auf die wachsende Ernährungskrise zu geben. Er sah die wichtigste Ursache ganz klar: ein falsches Verständnis von Wirtschaftswachstum, das nicht grenzenlos sein konnte. Die Folge: Ausbeutung der Ressourcen, Zerstörung natürlicher Gleichgewichte, Verschwinden von Millionen von Arten, Überbevölkerung, Verringerung bewohnbarer und bewirtschaftbarer Gebiete, Klimawandel … ihr habt das tausendfach gehört. Trotz hoffnungsvoller neuer Wege sind die Probleme nicht überwunden. Daher lautete Peters Beitrag: Verbesserung der Ernährungsgrundlagen, nachhaltig, weltweit, jetzt.
Es bedurfte einigen Mutes. Die globalisierte Weltwirtschaft bewirkte, dass wenige große Agrar- und Chemiekonzerne den Weltmarkt in allen Bereichen der Ernährung aufteilten und kontrollierten. Kleinen Firmen verbleibt kaum eine Chance, die Zukunft innovativ mit zu gestalten, weil in den noch verfügbaren Nischen der Aufwand immer höher und mögliche Verkaufsgewinne immer niedriger wurden.
Warum wagte Peter es dennoch? Er hatte die einzigartige Vision, man könne die Natur selbst zu gewünschten Evolutionssprüngen anregen, um stabile Pflanzen zu ‚erschaffen‘, perfekt an die jeweils vorhandene Umgebung angepasst. Ja, eine verrückte Idee.
Peter stellte sich das so vor: Wenn Pflanze und Umgebung als einheitliches Gesamtsystem gesehen werden, könnte die DNA des Organismus bei der Vermehrung zusätzlich durch Umgebungsfaktoren beeinflusst werden. Peter nannte das translokale Evolution. Er gab dieser Idee eine Chance, weil man solche passgenaue und schnelle Entwicklungssprünge höchst überraschend schon bei Tieren beobachtet hatte. Das bestärkte Peters Ansicht, dass Evolution nicht wie nach Darwins Lehre nur reinem Zufall folgte, sondern auch weiterreichende Wechselwirkungen dahinterstecken mussten – eine neue Dimension, deren Nutzung einen wertvollen Durchbruch bedeuten würde.
Theorien hin oder her, der Beweis war anzutreten. Dafür bedurfte es eines potenten Partners. Glücklicherweise fand Peter ideale Möglichkeiten für Kooperation in der NutricaTec Group, die Grundnahrungsmittel erzeugt. Dort hatte sein langjähriger Freund und Studienkollege Michel Miller gerade ein Projekt zu ‚Aqua-Nahrung‘ abgebrochen, weil die geernteten Algen und andere Meerespflanzen zu viel Mikroplastik enthielten, die sich nicht auf wirtschaftliche Weise herausfiltern ließ. Da kam Peter mit seiner Idee zur richtigen Zeit. So wurden wir Partner und begannen auszuprobieren, ob sich Saatgut mit Peters revolutionärer Methode tatsächlich herstellen ließ.
Nach vielen Fehlschlägen zeigte sich der erhoffte Erfolg. Wir tauften unser erstes Produkt ‚AllCorn‘, ein Weizen nach Plan, mit unvorstellbaren Vorteilen: Anbau auf unwirtlichen Böden, ohne Chemie, keine künstliche Bewässerung, zwei Ernten im Jahr. Er gedeiht jetzt auf vielen großen Versuchsfeldern und rechtfertigt unser ehrgeiziges Ziel: Anbau in großem Stil für die Belieferung des Weltmarkts. Nachhaltig, bei angepasstem Düngen und Fruchtwechsel mit verwandten Sorten. Peters Traum sollte endgültig zur Realität werden.
Wir werden daran gemeinsam weiterarbeiten, künftig unter Führung von Laura Freudberg, doch stets an Peter denken, dem wir all das verdanken. Er würde sich über eure Loyalität freuen. Vielen Dank euch allen, für eure hervorragende Mitarbeit.“
Frenetischer Beifall ließ den Saal vibrieren.
Die Liste des Post-Doc
Früh am Morgen waren Olaf und ein Beamter in einem Sicherheitsfahrzeug pünktlich bei Laura erschienen, um sie in die Firma zu fahren. Dort prüften sie zuerst, wie die Sicherheit Lauras in den öffentlichen Bereichen innerhalb der GenTra zu gewährleisten war und verifizierten: Ausgebildete Personenschützer standen zur Verfügung. Olaf war zufrieden und verabschiedete sich.
Nach Ende der Betriebsversammlung traf sich Edo mit Laura. Sie mussten unbedingt über die Funde auf dem Chip sprechen und einen Plan für die Sichtung des Materials entwerfen. Sie fragte, ob eine KI-basierte automatische Auswertung möglich wäre. Leider schied das aus, weil ihnen keine geeigneten Schlüsselworte bekannt waren. Eines war aus den Titelzeilen klar: Es ging nicht nur um Weizen und Agrarthemen. Aber worum noch? Bei dem vermeintlichen Post-Doc handelte es sich tatsächlich um einen erfahrenen Spezialisten, der für staatliche Auftraggeber an geheimen Aktionen arbeitete. Das erwies der Schriftwechsel, der ohne Vorkenntnisse leider nur bruchstückhaft zu verstehen war. Immerhin, häufig auftauchende Stichworte lauteten Projekt-1, Projekt-2, Informationsübertragung, Gehirnleistung, und BrainHacking.
Der Hauptteil der Dokumente bestand aus einer Sammlung wissenschaftlicher Literatur, jedoch nicht nur öffentlich zugängliche Publikationen, sondern überwiegend nicht publizierte Laborarbeiten aus aller Welt. Die Themen streuten breit und umfassten Getreideproduktion, Gehirnforschung im weitesten Sinne, Massenpsychologie, Neuromedizin, Implantationsverfahren, Biotechnik und Evolution. Interessanterweise fand sich ein Blatt mit dem Titel „Zielführende Highlights der Forschung“, ärgerlicherweise ohne Inhalt. Da die Fußzeile die Bezeichnung „Version 3“ aufwies, musste es den Text gegeben haben. Doch nirgends fand sich das vollständige Dokument. Zu dumm, denn ohne konkrete Hinweise auf relevante Stellen in den unzähligen Literaturfiles auf dem Chip war es aussichtslos, das Entscheidende zu finden.
Edo schien zu resignieren: „Mir fällt nichts mehr ein, was uns weiterbringen könnte.“
„Lass uns noch die letzten ‚Notizen‘ ansehen“, antwortete Laura, „bevor wir aufgeben.“
Sie arbeiteten sich weiter durch die Dateien. Doch sie fand ausschließlich schwer verständliche Inhalte, es fehlten die Hintergrund-Informationen. Beim letzten Blatt hielt Laura inne: „Du, das erscheint mir höchst interessant. Was könnte das bedeuten?“
Die Seite war kurz. Nach der Überschrift „Wichtige Personen – Einzelrecherchen“ folgten nur drei Namen: „Kasimir, Racco, Tabuntao“. Sonst nichts. Vornamen, wie sie in aller Welt zu finden waren. Doch dann erinnerte sich Laura an die Mail, in der von der „Partnerorganisation K“ die Rede war. Könnte ‚K’ für Kasimir stehen?
„Das werde ich nachprüfen“, sagte Laura, „am besten mit Enrico.“
Drei Minuten später versprach Enrico, seine Dienstkontakte zu bemühen.
Post auf Sonderwegen
Der gläserne Aufzug brachte Laura zum kleinen Besprechungsraum in Peters Büroräumen in der obersten Etage, wo sich kurz darauf auch Jack, Conny und Edo einfanden. Es war ein freundlich heller Raum, ausgestattet mit den neuesten technischen Raffinessen, elektronisch abgeschirmt, so dass auch ausgeklügeltste Lauschangriffe keine Chance hätten. Daher mussten die persönlichen Teldexer auch nicht in eine extra Abschirmbox eingeschlossen werden.
Sie nahmen um den breiten Tisch herum Platz und Connys Büroassistentin servierte die VIP-Versorgung mit Getränken und Häppchen, obwohl sie auch auf die Bedienung durch Roboter hätten zurückgreifen können.
Edo gab einen Überblick betreffs Vorsichtsmaßnahmen, inklusive der Teldexer, die funkgesteuert in Echtzeit aktualisiert wurden. Es folgte eine Diskussion über die anonyme Sendung, deren Umstände und Hintergründe Rätselraten auslösten.
Laura fragte: „Warum wollte der Absender anonym bleiben? Und warum hat er einen falschen Namen als Absender verwendet, wohl wissend, dass solche Post entweder zurückkommt oder im Abfall landet. Warum nimmt er dieses Risiko in Kauf, wenn er die Sendung als sehr wichtig einstuft?“ Sie versuchte, selbst eine Antwort zu geben: „Der Mann ist vorsichtig und hat Angst. Er möchte unentdeckt bleiben, um sich nicht mit höchstwahrscheinlich gefährlichen und hochgerüsteten Verbrechern anzulegen. Daher kann er sich der GenTra nicht direkt offenbaren, das wäre zu riskant.“
„Klingt plausibel“, gab Edo zu, „zumal es nicht mehr einfach ist, handfeste Post anonym zu senden. Da hat er sich offenbar überlegt, dass ein Päckchen mit verfälschter Adresse zwar nicht direkt an den eigentlich gewünschten Empfänger gelangt, aber doch näher angesehen werden könnte, zumal wenn der Absender mit bekannten Firmennamen große Ähnlichkeit hat, wie das hier der Fall ist.“
Laura erkundigte sich ungeduldig: „Was war nun in der Sendung wirklich enthalten, ich habe bisher nur ein paar Gerüchte gehört.“
Jack gab Auskunft: „Ein dicker Analyse-Bericht. Peter hatte mich und Conny nach dem Lesen gerufen und wir haben jedes Blatt gemeinsam überflogen. Irritierend war, dass man nicht erkennen konnte, wer den Bericht verfasst hatte. Die meisten Seiten waren Zahlenkolonnen, aber am Ende kamen Bewertungen zu Testserien, in welchen Unverträglichkeiten bei ausgewählten und zufälligen Probanden festgestellt wurden. Da gab’s anscheinend harte Fälle, einige Personen mussten in die Notaufnahme. Wir dachten erst, das kann nichts mit uns zu tun haben, denn solche Produkte gibt es bei uns doch gar nicht, und selbst wenn, dann würden sie unser Haus niemals verlassen.“
Conny warf kopfschüttelnd ein: „Zu dumm, wir haben die Zahlen analysiert und festgestellt, dass es sich um Versuche mit AllCorn handelt. Allerdings sind diese Blätter nicht die Art von Dokument, die wir aus dem Prüflabor von Nutrica erhalten; es sieht wohl eher wie ein Anhang zu einem internen Nutrica Bericht aus, den wir nicht kennen. Nutrica hat uns wunschgemäß stets nur die zusammengefassten Ergebnisse mit Bewertungen zugestellt, ohne das dahinterliegende umfangreiche Zahlenmaterial.“
„Das ist so gewollt“, ergänzte Jack, „wozu haben wir die Aufgabenteilung mit Nutrica? Selbstverständlich müssen wir uns stets auf den Partner verlassen können.“
Laura fragte: „Und, können wir uns auf sie verlassen? Sind die berichteten Nebenwirkungen echt oder gefälscht? Haben wir ein AllCorn-Problem, ja oder nein?“
Jack sagte: „Genau das klären wir mit der Auswertung der Originaldaten von Nutrica. Dann sehen wir ohne Zweifel, ob es Probleme gibt. Das dauert leider noch.“
„Ich vertraue Michel“, bekundete Conny, „er hätte allenfalls kleinere Überschreitungen von Grenzwerten toleriert und ansonsten Alarm geschlagen. Zuvor hätte schon Petra die Glocken geläutet, weil sie in der Analyseabteilung von Nutrica verantwortlich ist und am Beginn der Prüfkette steht.“
„Es ist kompliziert“, schaltete sich Edo ein, „einerseits, wenn die Analyse der echten Daten intern zum Ergebnis ‚gut‘, jedoch in der anonymen Version zu ‚schlecht‘ führt, dann manipuliert jemand. Andererseits, wenn unsere Ergebnisse in Wahrheit schlecht sind, aber intern als ‚gut‘ erscheinen, kann die ‚Bereinigung‘ nur im Bereich von Petra passieren – aber wer hätte daran Interesse? Also: Gute Daten in ‚schlecht‘ zu verfälschen wäre etwas für Gegner, die uns schaden wollen. Da kommen Externe ins Spiel.“
Laura hakte ein: „Gibt es in der Produktanalyse ein Leck? Kriminelle könnten die Daten entweder im Stil von Hackern abgreifen oder von einem internen Verräter erhalten, manipulieren und eigene Bewertungen erfinden. Jedenfalls verfügen sie über Originaldaten und Berichtsblätter mit der Struktur, die wir intern verwenden.“
„Zu viel der Spekulation“, beklagte Jack, „selbst Peter wollte nicht ausschließen, dass Michel in den Schlamassel involviert sein könnte. Obwohl er selbst, wie auch wir alle, dies für abwegig halten. Daher wollte er unsere Ergebnisse der Analyse-Prüfung abwarten, bevor er Michel und die anderen Leiter der Nutrica angeht. Wir dürfen uns nicht mit falschen Anschuldigungen blamieren und das Klima unnötig vergiften. Auf jeden Fall werden wir Petra im Auge behalten.“
Conny sorgte sich: „Die Hintermänner könnten gefährlich werden, wenn Spezialkommandos dahinterstecken. Da bliebe kein anderer Weg als Polizei und Staatsanwaltschaft einzuschalten.“ Sie schaute Laura an und meinte: „Es ist gut, dass du zusammen mit Enrico Nachforschungen planst. Das ergibt Möglichkeiten, die uns in der GenTra nicht offen stehen. Hoffentlich schnappt ihr bald einen der Übeltäter.“
„Hast du schon Handschellen“, scherzte Edo, „und eine Laserkanone?“
„Lach nicht, ich muss immerhin einige Trainingskurse absolvieren.“
„Eines verstehe ich nicht“, kam Conny zum Thema zurück: „Warum übergibt der Anonyme die getürkten Protokolle kunstvoll uns, anstatt sich damit gleich an die Presse zu wenden?“
„Ich könnte mir vorstellen“, sagte Laura, „dass uns die Analyse gar nicht von den wahren Kriminellen zugestellt wurde, sondern von einer anderen Person, die mit den Kriminellen in Kontakt steht, deren böse Absichten kennt, uns aber entweder wegen weiterer Information erpressen oder vielleicht nur ‚freundlich‘ warnen möchte.“
Jack stieß lauthals hervor: „Verflixt, ein ganz neuer Aspekt, aber warum sind die Dokumente kurz darauf bei uns gestohlen worden? Das war nicht die gleiche Person, die die Papiere eingeschleust hat.“
„Richtig. Aber“, fragte Laura nachdenklich, „wie konnte die Box leer sein? Entweder hatte Peter die Papiere im Büro wieder herausgenommen, oder sie waren gestohlen worden, nachdem Peter die Box abgegeben hat und bevor ich sie geöffnet hatte.“
„Letzteres“, gab Edo grimmig von sich, „denn sonst müssten die Akten in Peters Büro liegen, da sind sie aber nicht. Der Diebstahl muss sich hier im Hause ereignet haben. Auf dem Heimweg trug Peter die Mappe selbst, und gleich nach den Unfall waren Constanze, die Sanitäter, die Polizei und wir am Unfallort, da sehe ich keine Chance, eine illegale Öffnung zu bewerkstelligen, ohne dass es jemand bemerkt hätte.“
Laura warf ein gewichtiges Argument ein: „Der Dieb muss ausgezeichnet und höchst aktuell informiert gewesen sein. Nur wenige wussten von der Sache. Für mich ist das eine erste heiße Spur: Entweder war es ein Insider, oder es gibt ein gewaltiges Leck.“
Edo meinte: „Jemand hackt unsere Kommunikation, entweder selbständig oder mit Hilfe eines Insiders. Ich habe schon die Sichtung aller Infokanäle, Ü-Kameras und Türen veranlasst. Wir müssen auch nachsehen, ob eine verdächtige Person auf den Videos auftaucht. Das dauert bis morgen, denn ich kann dafür nur das zuverlässigste Personal heranziehen.“
„Fassen wir zusammen“, leitete Jack das Ende der Besprechung ein: „Bei GenTra und Nutrica sind sowohl Datenlecks als auch untreue Mitarbeiter zu vermuten. Zudem tanzen verschiedene externe Kriminelle auf unserem Rücken herum. Shit hoch drei.“
Laura besänftigte: „Wir haben mehrere plausible Spuren, da dürfte es doch nicht so schwer sein, die Täter dingfest zu machen. Lasst uns einen Aktionsplan aufstellen.“
Laura schlug lächelnd vor, sie könne noch mal versuchen, zu Michel zu fahren, um sich als Nachfolgerin ihres Vaters vorzustellen und die Firmen-Kooperation zu besprechen. Im günstigen Fall würde sie die ungeklärten Produkt-Nebenwirkungen aufs Tapet bringen; andernfalls müssten sich Jack und Edo dieser Aufgabe widmen.
Lauras Teldexer summte, Enrico strahlte sie an: „Stell dir vor, Alfredo hat unterschrieben. Du bist im Team! Herzlichen Glückwunsch!“
Es hagelte Gratulationen von allen Seiten. Laura atmete tief durch.
Der Nachlass
Mit neuen Plänen im Kopf kam Laura nach Hause. Sie fand Constanze in guter Verfassung, Melinda und Robert hatten sich aufopfernd um sie bemüht. Schon im Foyer umarmten sie sich innig.
Robert war lange damit beschäftigt gewesen, im Garten Laub und kleine Äste einzusammeln, die im Sturm von den Bäumen gefallen waren. Die Arbeit hatte ihn von der traurigen Tatsache abgelenkt, seinen einzigen Sohn verloren zu haben.
Melinda war damit befasst, Papierkram und Organisatorisches zu sortieren. Es gab viel zu regeln. Der Bekanntenkreis, der zu benachrichtigen war, erwies sich als größer als zuvor gedacht. Dann ging es um die Nachlassregelung; sie hatten eigentlich geplant, diese erst nach angemessener Trauerzeit anzugehen, aber die Verantwortung für die GenTra ließ ihnen keinen Spielraum. Die Firma durfte nicht zu lange ohne neue Geschäftsführung sein und Laura sollte zügig übernehmen. Fabrizio hatte sie bereits am Vortag über die wichtigsten rechtlichen Punkte informiert und danach alle nötigen Unterlagen vorbereitend zusammengestellt. Falls sie in entsprechender Verfassung wäre, würde am morgigen Vormittag der Notartermin anberaumt werden.
Laura schaute ihre Mutter an: „Bevor ich morgen mit Peters Nachfolge konfrontiert werde, sollte ich wissen, was Vater dazu in seinem Testament festgelegt hat, ich … “
Constanze unterbrach sie: „Ja, du solltest Gewissheit haben. Lass uns nachschauen, es dürfte im Bürotresor liegen. Gehen wir rüber.“
Alle zusammen betraten Peters Arbeitszimmer und sahen auf dem Schreibtisch und in Regalen einige Unterlagen, Mappen, Ordner und Speichermedien, in drei Rubriken sortiert: Behörden, private Vorgänge, sowie geschäftliche Akten- und Datenträgersammlungen. In einer Box „Aktuelles“ fanden sich Unterlagen zu den Planungen, die bei GenTra im Gange waren. Es gab aber keine Ordner zur Vorgeschichte der Firmengründung und Peters wissenschaftlichen Studien und Erfindungen.
„Wie ordentlich“, staunte Melinda, „ich bin auf den Tresor gespannt.“
Constanze holte den langen und mit vielen Kerben versehenen Schlüssel aus ihrem Schlafzimmer, steckte ihn in das Schloss des Wandtresors, hielt nach einigen Umdrehungen inne, wandte sich einem unspektakulär erscheinenden Bild zu, das neben dem Tresor an der Wand hing, schob hinter dem unteren Rand des kräftigen Rahmens eine von vorne nicht sichtbare Abdeckung zur Seite und drückte mit einem Finger auf die freigelegte Fläche; danach drehte sie den Schlüssel weiter und der Tresor öffnete sich. Sie erklärte sachkundig: „Peter liebte es, massive mechanische Schlösser mit elektronischen Sicherungen zu kombinieren. Der Finger-Scan am Bilderrahmen ist eine DNA-Analyse, die zwar keine echte DNA-Sequenzen oder gar Gen-Defekte liefert, aber personell einzigartige charakteristische Merkmale abtastet und prüft, ob sie auf Peter, mich oder euch Kinder passen.“
Robert nickte: „Eine beeindruckende physikalische Sensortechnik. Sie analysiert Zellkerne blitzschnell mit Mischfrequenzen kurzwelliger Laserstrahlen und hochauflösender Fluoreszenzmikroskopie. Der benutzte Mini-Superrechner läuft mit Software von HighBrain. Peter war gut informiert und hat das System vor kurzem bei sich privat eingebaut.“
Im Tresor lagen Mappen mit Urkunden wie Zeugnissen, Versicherungspolicen, Grundbuchauszügen, Verträgen, Münzen, Schmuck und persönlichen Erinnerungsstücken, Kontoauszügen, Depotaufstellungen und Zahlungsverpflichtungen, ferner Hinweise für den Todesfall, wie Benachrichtigungen von Organisationen oder Personen und Kündigungen von Beiträgen und Mitgliedschaften. Zur allgemeinen Verwunderung fand sich trotz dieser perfekten Ordnung kein Testament.
„Könnte es bei einem Notar liegen?“, fragte Laura.
„Nein, glaub ich nicht“, entgegnete Constanze, „Peter hat immer wieder Änderungen überlegt; da es ein gemeinschaftliches Testament ist, habe ich öfter unterschrieben, zuletzt vor etwa vier Wochen. Es gab keinen wesentlichen Änderungsgrund.“
„Kennst du den Inhalt?“, fragte Melinda behutsam.
„Ich denke schon“, antwortete Constanze, „wir haben Privates stets gemeinsam beschlossen. Was jedoch GenTra angeht, kenne ich nur Bruchstücke.“
„Vater verschloss alle für GenTra entscheidenden Dokumente im Firmentresor“, überbrückte Laura die Stille, „falls ich dort nichts finde, bleibt Fabrizio. Da er von Anfang an die Rechtsangelegenheiten der GenTra regelte, könnte Peter auch seine privaten Nachfolgeregelungen mit ihm besprochen haben.“
„Mag sein. Aber trotz allem“, gab Constanze zu bedenken, „es fehlen eine Menge Unterlagen, die Peter gewöhnlich hier aufbewahrte. Ich denke an Berge älterer Akten, auch an Dokumente wegen der Landkäufe für GenTra, in die Laura punktuell eingebunden war. Wo ist all das geblieben? Peter wollte Hintergrund-Vereinbarungen nicht in der GenTra belassen, soweit diese dort nicht benötigt wurden. Weißt du da mehr, Laura?“
„Kaum“, versicherte Laura, „ich erinnere mich zwar ungefähr, um was es damals ging und warum diese Landkäufe nicht ausschließlich in der GenTra abgewickelt werden sollten. Aber Peter wollte mich keinem Risiko aussetzen und setzte mich nur als ‚Strohmann‘ ein. Ich musste nicht einmal persönlich finanzieren. Fabrizio versicherte mir, dass es sich dabei um übliche und legale Konstruktionen handelte, um wahre Eigentümer nicht öffentlich zu machen. Die Konkurrenz hätte nämlich daraus schließen können, was GenTra vorhatte; dann wäre unser Wettbewerbsvorteil schnell dahin gewesen. Fabrizio weiß das alles, er hat es mit Peter ausgeheckt, von Fachjuristen kontrollieren lassen, und zuletzt die Aktionen mit den Finanzbehörden abgeklärt.“
„Na ja, dann haben wir noch Möglichkeiten“, seufzte Constanze. „Wenn ich mir das durch den Kopf gehen lasse, könnte ich mir auch vorstellen, dass Peter seine ihm wichtigsten Unterlagen separat versteckt hat, vielleicht hier im Haus. Er hätte mir bestimmt noch einen Hinweis gegeben, wenn er nicht so plötzlich … “ Sie schluchzte, aber raffte sich schnell wieder auf und fuhr fort: „Er hat sicher nicht mit seinem Tod gerechnet, aber ich habe das Gefühl, dass er vor kurzem anfing, Vorkehrungen zu treffen. Ich werde morgen nach Hinweisen suchen, vielleicht hat er mir einen Anhaltspunkt hinterlassen.“
Robert hatte ruhig zugehört; nun äußerte er einen konstruktiven Vorschlag: „Ich kenne Peter und glaube auch an ein Versteck. Es gibt physikalische Methoden zum Aufspüren von Hohlräumen. Morgen probieren wir das aus.“
Es war spät geworden. Würde der nächste Tag eine aufregende Schatzsuche und hoffentlich neue Antworten bringen?
Der Videobeweis
Früh am Morgen verkündete Edo bei der Teamleiter-Besprechung: „Heute erwarte ich die ersten Ergebnisse zu den Videoaufzeichnungen, ich bin äußerst gespannt, ob wir dem Rätsel von Peters leerer Aktenbox näher auf die Spur kommen.“
Zwei Stunden später sandte er eine Eilmeldung an das Team: „Ihr müsst sofort zu mir kommen, es gibt Neues, die Kameras, hochinteressant.“
Das ließen sich Conny und Jack nicht zweimal sagen und eilten hinunter zu Edos Büro. Laura und Fabrizio waren noch mit dem Notar beschäftigt. Edo hatte die Durchsicht der Videobilder gerade beendet. Die Analysen der Melder aller Türöffner, die von den Eingängen bis zur Poststelle Hinweise geben konnten, waren zwar erst für den Nachmittag angekündigt, aber Edo beschwichtigte: „Vorerst reicht aus, was wir schon haben. Seht her und urteilt selbst.“
Edo startete sogleich den Teil des Bildlaufs, der den Täter zeigte. Man erkannte die Poststelle und den Tresen, hinter dem der Diensthabende geschäftig hin und her eilte, in dieser Schicht war es Jonas Schmitt, um Poststücke zu inspizieren und einzusortieren. Dann erschien ein Mann, in unauffälligem Grau gekleidet, mit dick umrahmter Brille, den Kopf mit einer großen dunklen Schildmütze bedeckt, so dass man Stirnpartie und Haarfarbe nicht erkennen konnte. Er zeigte Jonas einen Ausweis, den dieser unter einen Scanner hielt. Dann nahm Jonas eine intern verwendete Sicherheitsbox, die er an einer bestimmten Stelle scannte. Er nickte und übergab sie dem Besucher, der daraufhin mit seiner Beute ruhigen Schrittes wegging.
Conny fragte erschrocken: „Weißt du, ob es Peters Box war? Konnte der Mann, den wir sahen, als Mitarbeiter oder Besucher erkannt werden?“
„Die Gesichtserkennung kann ihn keinem unserer Mitarbeiter zuordnen. Er muss als Lieferant, Handwerker oder Besucher ins Haus gekommen sein, das ist noch zu klären. Was die Identität der Box angeht, das werdet ihr gleich verstehen, wenn ihr euch das Video anschaut, das fünf Minuten später aufgezeichnet wurde.“
Alle schauten erwartungsvoll auf den Bildschirm: Er zeigte einige Mitarbeiter, die Post abholten und brachten, und dann den Mann, wie er zurückkam, die Box wieder an Jonas übergab, die Ausweiskarte vorgezeigte, Jonas nach dem Einscannen die Box erneut in die Ablage einsortierte, und der Unbekannte gemütlich von dannen zog.
Edo nahm die Frage Connys auf und erläuterte: „Es war Peters Box. Erstens gab es im gesamten Zeitraum an diesem späten Nachmittag keine weitere Einlagerung oder Abholung einer Sicherheitsbox. Und zweitens haben die elektronischen Registrierungen bei Jonas eindeutig Peter als verantwortlichen Nutzer ausgewiesen.“
„Hm“, nuschelte Jack grübelnd vor sich hin, „welche Ausweiskarte hatte denn der Mann, was muss man vorzeigen, um eine Sicherheitsbox mitnehmen zu können?“
„Das ist immer das Gleiche“, gab Edo zurück, „die Karte identifiziert die interne Nummer der Box und die ID desjenigen, der etwas abgibt oder abholt – das geht nur für Angestellte der GenTra, kein Externer darf mit Sicherheitsboxen herumlaufen. Bevor ihr weiterfragt: Ja, es war die Personalnummer eines Mitarbeiters im Außendienst, den Jonas nicht persönlich kennt und der nicht oft im Hause ist. Die Videos zeigen jedoch eine andere Person. Ich lasse gerade feststellen, ob die Karte gestohlen oder gefälscht wurde. Mein Assistent Mario kümmert sich darum.“
Conny folgerte: „Irgendwo in der GenTra muss es ein Leck geben, um an eine solche Ausweiskarte heranzukommen und diese mit der Box-Nummer zu vernetzen. Das sieht sehr nach einem internen Verräter aus.“
„Ja, leider hast du recht“, fuhr Edo fort. „Es ist noch schlimmer: Das Hauptproblem ist doch, wie der Mann die Box öffnen konnte, um die Unterlagen zu stehlen. Ihr wisst, dass wir eine Reihe von Sicherungen eingebaut haben, die hier ausgetrickst wurden. Da waren eindeutig Profis mit internem Wissen am Werk.“
Jack wollte nun wissen: „Edo, wann zeichnet die Box Videos auf, haben wir vielleicht noch bessere Bilder des Diebes?“
„Das Video schaltet sich nur ein, wenn man Öffnen oder Verschließen nicht korrekt ausführt, falsche Fingerabdrücke oder ungültige Codes benutzt. Das war nicht der Fall, der Mann kannte die Codes und hatte die nötigen Fingerabdrücke. Die Box befindet sich noch in der Detailüberprüfung; allerdings erhoffe ich mir davon nicht sehr viel.“
Conny meinte: „Wir müssen diese Entdeckung sofort an Enrico weitergeben. Laura sollte gleich nach ihrem Notartermin herkommen und das Video ansehen. Jetzt haben wir zum ersten Mal einen konkreten Personen-Verdacht auf eine Straftat, bisher war alles eher Spekulation.“
„Richtig“, stimmte Edo zu, „und mehr: Es gibt einen Grund für weitere Ermittlungen in der Angelegenheit Freudberg. Wir werden aller Voraussicht nach nicht umhinkommen, unser ursprüngliches Problem, die ominösen Nebenwirkungen zumindest in abgespeckter Form an die Behörden weiterzugeben, damit sie das in die polizeilichen Ermittlungen einbeziehen können.“
Edo räusperte sich: „Ich muss euch bei dieser Gelegenheit noch etwas berichten“, fuhr er betreten fort, „unsere Reinigungsroboter spionieren uns aus!“
„Wie bitte?“, Conny schaute ungläubig zu ihm, „was sagst du da? Die Reinigungsroboter? Soll das ein Witz sein?“
„Leider nein, ihr hört richtig, kein Witz. Wir haben das gerade bei der Inspektion der Datenströme herausgefunden. Es hilft uns nicht bei Peters Fall, aber wir müssen auch hier handeln. Ihr werdet es nicht für möglich halten: Die Reinigungsroboter, neueste Modelle auf dem Markt, verwenden Spähsoftware! An den langen Armen zum Fensterputzen befinden sich Kameras. Aber diese kümmern sich nicht nur um den Schmutz, sondern schauen auf jeden Schreibtisch, alle herumliegenden Schriftstücke und senden die Bilder an eine externe Adresse.“
„Das ist ja unerhört, so eine Frechheit“, riefen alle durcheinander. Conny fragte ungläubig: „Was sagt der Hersteller dazu?“
Edo antwortete: „Wir haben gleich den Lieferanten befragt, aber der weiß von nichts; offenbar ein neuartiger Hackerangriff. Wir müssen noch klären, seit wann das schon so geht, es kann noch nicht lange sein. Auf jeden Fall konnten wir dieses Datenleck sofort schließen.“
Conny schlug nach kurzem Nachdenken vor: „Wir sollten Putzroboter nur noch in nicht sicherheitsrelevanten Bereichen und an besonders schwierigen Stellen einsetzen. Ansonsten wären gut kontrollierte Reinigungskräfte vorzuziehen, die ihren Teldexer und andere Elektronik vorher abgeben und nur mit Putzgeräten arbeiten, die wir selbst zur Verfügung stellen. Natürlich bleibt jeder Bereich wie bisher videoüberwacht. Das wäre die einfachste Lösung, unsere Sicherheit zu gewährleisten.“
Lauras Notartermin endete, sie war nun auch offiziell die Chefin von GenTra. Eigentlich war das ein Anlass zum Feiern – doch angesichts der Umstände war gerade niemandem danach zumute.
Laura schaute das Video zusammen mit Fabrizio an, der anschließend bei Enrico eine ausführliche schriftliche Anzeige ankündigte und um erweiterte Ermittlungen bat. Nach Inspektion des Videos holte sich Enrico Rückendeckung bei Alfredo. Die Schließung der Akte Freudberg war vom Tisch, Alfredo sicherte seine volle Unterstützung zu.
Peters Akten
Robert hatte nachgedacht, wo sein Sohn die brisanten Dokumente versteckt haben könnte. Vorsorglich wie Peter war, musste er etwas geplant haben, wie Constanze oder die Töchter an die wichtigen Unterlagen herankommen könnten. Doch wo gab es Hinweise? Neben den beiden Tresoren in Büro und Schlafzimmer wusste niemand von einem dritten gesicherten Aufbewahrungsort.
Robert ging in Peters Werkraum und suchte den Metalldetektor zum Aufspüren von Elektroleitungen: Er fand ihn bei den Elektrogeräten. Sofort begann er, die Wände in allen Räumen abzusuchen. Vergebliche Mühe, es gab nicht das geringste Anzeichen, auch nicht auf den Fußböden. Zuletzt fiel ihm noch der Abstellraum ein, der früher als Garage diente. Darin fanden sich allerlei Garten- und Freizeitgeräte, aber auch hier wurde er nicht fündig.
„Melinda“, wandte er sich an seine Enkelin, die im Wohnzimmer noch mit der Vorbereitung der Beerdigung beschäftigt war, „hast du eine Idee, wo wir suchen könnten? Möglicherweise hat Peter einen Hinweis hinterlegt, der auf den ersten Blick nicht als solcher erkennbar ist.“
„Wenn wir im Haus nichts finden, sehe ich kaum eine Chance“, gab Melinda enttäuscht zurück. „Fragen wir Mutter.“
Just in diesem Moment kam Constanze zur Tür herein; sie hatte den letzten Teil der Unterhaltung gehört: „Zu dumm, dass mir Peter nichts gesagt hat. Er hatte früher mal eine Notiz in meine Schmuck-Schatulle gelegt. Schauen wir nach, auch in diejenigen, in denen ich ältere Ringe, Ketten, Manschettenknöpfe und Ähnliches aufbewahre, was ich nicht regelmäßig benutze.“
Sie ging mit Melinda zum Tresor im Schlafzimmer und nahm sämtliche Kästchen, die Schmuck, kleinere Wertsachen und persönliche Andenken enthielten, heraus. Die Suche nach Notizen oder Aufklebern an Schmuckzertifikaten begann, obwohl keiner wusste, wonach man genau Ausschau halten sollte.
„Lass uns noch mal alles durchsehen, was mit eigenen Beschriftungen, Worten oder Notizen zu tun hat“, schlug Robert vor. Doch ohne Erfolg. Schon wollten sie aufgeben, da fiel Constanze auf, dass in ihrer Schatulle mit dem laufend benutzten Schmuck ein Zettel lag, der eigentlich im Andenken-Kästchen sein sollte. Der Zettel schien aus einem Malbuch ihres Enkels Felix zu stammen, war voller bunter Kringel und enthielt nur das Wort „Secrets 45“ in ungelenken Buchstaben gekritzelt.
„Damit könnte das Detektiv-Buch von Felix gemeint sein“, schoss es plötzlich aus Melindas Mund, „ich erinnere mich. Mutter, kennst du das?“
„Nein, kommt mir momentan nicht bekannt vor, ist zu lange her.“
„Darin werden Verstecke beschrieben, die sich ein Junge zulegen kann, Felix war damals wild begeistert, im ganzen Haus solche geheimen Orte zu suchen und auch unsere Wertsachen zu verstecken. Das Buch müsste noch hier sein, wahrscheinlich in meinem alten Kinderzimmer.“
Constanze nickte: „Wir haben alles Mögliche aufbewahrt, auch eure Jugendbücher, Spielsachen, Bilder; alles, was noch gut erhalten und dir zum Mitnehmen zu viel war. Immer wenn Felix zu Besuch war, konnte er eine Menge lesen und bemalen und war eine Weile beschäftigt. Schauen wir mal nach!“
Es dauerte keine Minute, bis das alte Buch in einem Regal mit Jugendliteratur gefunden war, das zu „Secrets“ passen könnte: „100 Geheimverstecke für junge Detektive“. Etwas zerfleddert, aber noch gut lesbar. Da ging es um Marmeladengläser, alte Socken, hinter Kommoden geklebte Umschläge, Kästchen mit doppeltem Boden … wo sollte man da suchen? Was nun?
Robert dachte angestrengt nach: „Wir sind doch nicht im Kindergarten, das erscheint mir alles sehr abstrus.“ Schließlich schlug er gewitzt vor: „Schau’ doch mal auf Seite 45 nach, was steht denn dort?“
Melinda blätterte zu Seite 45 und stutzte: „Oh, das könnte interessant sein, hört mal her.“ Alle horchten auf und schauten die Seite an. Ein Meisterdetektiv erklärte dort seinen jungen Schülern ein besonders pfiffiges Versteck in allen Details:
„Gehe in die Garage und suche an einer Seitenwand eine kleine runde Lüftungsklappe. Nimm sie heraus und taste in der Öffnung nach einer seitlichen Vertiefung: Stecke eine 10-Volt Kompakt-Batterie hinein und berühre die daneben angebrachte Sensorfläche mit einem Finger, sehr fest und 5 Sekunden lang.“
„Na so was“, polterte Robert los, der sich nach dieser Überraschung als Erster gefasst hatte, „das passt auf unseren Abstellraum. Wir schauen nach, so albern es klingt.“
Constanze und Melinda blickten ungläubig, sie konnten sich nicht vorstellen, dass Peter derart Kindisches ersann, aber sei’s drum. Melinda schaute sich die Seite 45 nochmals näher an und entdeckte etwas Merkwürdiges. Die Seite passte nicht zu den sonstigen Blättern im Buch – sie war extra hineingeklebt worden, offensichtlich anstelle der Original-Seite 45, aber man sah es nur, wenn man den inneren Seitenrand genau inspizierte.
Robert hatte sofort eine Bestätigung parat: „Als das Buch herauskam, gab es noch keine 10-Volt Batterien. Peter hat die Seite erst kürzlich gedruckt und ausgetauscht. Klar, das ist unser gesuchter Hinweis.“
Die frühere Garage war direkt am Haus angebaut und durch eine schwere Eisentüre zu betreten. Nachdem es immer weniger private Fahrzeuge gab, wurden in vielen Villen die Garagen als Lagerraum für E-Roller, Fahrräder, Kartons und Kinderspielzeug verwendet. Zwar gab es zur Erhaltung von Individualität noch immer eigene Fahrkabinen und Transporter, bei deren Ausstattung der Phantasie kaum Grenzen gesetzt waren, vor allem im Unterhaltungs- und Komfortbereich. Aber selbst dann waren Garagen nur noch selten gefragt, da die Wagen mit Solar-Karosserien im Freien Sonnenenergie einfingen. Es gab kein Problem mit Baumharz oder Vogeldreck, die Karosserien waren schmutzabweisend und selbstreinigend. Sogar Hagelschlag war kein Hindernis, denn die Karosserien bestanden aus elastischem und recycelbarem Kunststoffmaterial, das jede kurze Verformung zurückbildete und die integrierte Flexi-Solarschicht nicht beschädigte.
Neugierig eilten alle drei los. Es gab an der hinteren Garagenwand tatsächlich einen weißen Deckel, der sich leicht herausnehmen ließ und eine 9 cm breite Öffnung freigab. Robert inspizierte das Loch: Darin befand sich exakt, wie im Buch beschrieben, eine seitliche Öffnung, die eine handelsübliche 10-Volt Kompakt-Batterie aufnehmen konnte.
Constanze hatte eine solche so ungläubig wie erwartungsvoll mitgebracht und Robert setzte sie sofort ein. Nichts geschah. Nun war der beschriebene Finger-Scan dran. Robert fand den Sensor, der mit einer Kappe gegen Verschmutzung geschützt war und sich zur Seite schieben ließ. Er drückte die eigentliche Sensorfläche. Ohne Erfolg. Gab es hier den gleichen Mechanismus wie am Bild im Wohnzimmer neben dem Tresor?
„Klar“, korrigierte sich Robert, „das läuft personenspezifisch. Wer könnte zugelassen sein? Zuallererst Constanze. Komm’ doch mal her und drücke den Sensor.“
Alle waren gespannt, was passieren würde – und tatsächlich, es knackte kaum vernehmlich an der rechten Seitenwand des Raums und ein etwa 1 cm breiter Schlitz öffnete sich; vorher war keine Vertiefung zu sehen gewesen. Beide Innenwände der Garage waren auf halber Länge etwa 14 cm dicker als die andere Hälfte. Man konnte denken, dass dies aus statischen Gründen nötig war. In der Mitte der stabilen Betonwand hatte sich eine Abdeckung an der schmalen Seite der Mauerverstärkung aufgetan und ein fast 2 m hohes Regal von knapp 3 m Länge und 8 cm Breite ließ sich dort herausziehen – voller Datenträger und Akten!
Nach ein paar Sekunden Sprachlosigkeit erschallte lautes Durcheinander von Staunen bis Spekulationen über den Sinn dieser ungewöhnlichen Aktenverwahrung.
Plötzlich rief Constanze: „Ich glaube, ich weiß etwas. Als ich vor vier Wochen für drei Tage verreist war, muss Peter das Versteck eingebaut haben. Nach der Rückkehr habe ich leichten Farbgeruch bemerkt, mir aber nichts Besonderes dabei gedacht.“
Das klang plausibel. Aber seltsam, warum hatte Peter Constanze nichts erzählt?
Robert inspizierte den Öffnungs-Mechanismus und dozierte zufrieden: „Das Schieberegal enthält einen mechanischen Riegel, der durch den Druck beim Schließen vorgespannt wird. Zum Öffnen gibt ein elektronisches Schloss die Verriegelung frei. Die Batterie aktiviert den DNA-Scanner, der einen leistungsstarken Prozessor für Datenanalyse und Vergleich mit eingespeicherten DNA-Zieldaten enthält. Sehr clever.“
„Und warum hast du das Regal in der Wand mit deinem Suchgerät nicht vorher entdecken können?“, fragte Melinda etwas unsicher.
„Das wird mir jetzt klar“, erklärte Robert, „der Hohlraum ist schmal und das Regal besteht aus Kunststoff, ohne jedes Metall. Vielleicht hätte ein besserer Detektor geholfen. Lass uns lieber mal schauen, was die Akten enthalten. Einiges muss wichtig sein.“
Es gab eine zeitliche Einordnung, links prangten ältere Jahreszahlen auf den Festplatten und Aktendeckeln, rechts die neueren. Am Ende stand eine rote Mappe. Melinda schlug sie auf. Es waren Peters letzte Notizen. Sie bemühte sich, ihr Zittern zu verbergen, als sie die sichtlich hastig aufgeschriebenen Sätze vorlas:


12. Mai:X taucht nach Monaten wieder auf, erneuert Kaufangebot, bietet mehr Geld;
19. Mai:X droht bei Ablehnung mit schweren Konsequenzen, ohne diese zu nennen;
26. Mai:X kündigt schädliche Enthüllungen an;
27. Mai:fand Protokolle zu (angeblich!) fatalen Nebenwirkungen von AllCorn; woher?
29. Mai:habe keine Erklärung; steckt Michel dahinter? Kann nicht sein;
30. Mai:Zusammenhang mit Attacken in Kiralistan? Wahrscheinlich ja;GenTra vermutlich vielseitig bedroht, verstärke Sicherheits-Vorkehrungen;persönliche Gefahr? Personenschutz? Übertrieben;
31. Mai:werde Michel und Nutrica aushorchen; versuche Hintermänner zu finden;
04. Juni:X meldete sich, droht mit massiven Aktionen, lehne Angebot ab;nötig: Plantax-Treffen; Überprüfung von MetMod, HighBrain, Weizentester.

You have finished the free preview. Would you like to read more?