Was einem so auffällt

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Was einem so auffällt
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Autor: Hanns van Kann

Zeichnungen und Skizzen: Hanns van Kann

Layout und Design: Günter Bäro

Impressum Copyright: © 2015 Hanns van Kann Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de ISBN 978-3-7375-5999-7

Vorwort

Wie oft haben Sie das schon erlebt, verehrte Leser: Sie sind unterwegs, gehen spazieren, sind zum Einkaufen in einem Geschäft, besuchen ein Restaurant, plaudern mit Freunden und Bekannten, da werden Sie auf eine Besonderheit aufmerksam, da ist etwas, das nicht alltäglich ist, unglaublich manchmal, komisch, absurd – etwas eben, was einem auffällt. Sie nehmen Anteil, schütteln vielleicht den Kopf, lachen oder Sie machen sich Gedanken, ehe Sie weitergehen und das soeben Beobachtete bald vergessen.

Nicht so der Autor dieses Buches. Er erlebt das Gleiche, doch dann packt es ihn, er greift zum Stift und bringt zu Papier, was er da gesehen oder gehört, eben erlebt hat. Damit begann er vor 20 Jahren, damals, auf der Plaza Mayor in Palma auf Mallorca. Diese schöne Insel ist oft sein Reiseziel, und von dort hat er die meisten seiner Geschichten – so nennt er seine kurzweiligen Erzählungen – mitgebracht. Andere in dieser Auswahl spielen in seiner hessischen Heimat und andernorts. Es sind aber nicht nur Geschichten, die er aufgeschrieben und festgehalten hat, es sind die vielen kleinen Skizzen auf irgendwelchen losen Blättern, auf denen er seine Beobachtungen festgehalten hat.

Dieses Buch beginnt mit einer Erzählung über einen Stuhl. Das Treiben um den Stuhl, mit dem Stuhl und auf ihm während eines Konzerts war für den Beobachter so grotesk, daß es ihn reizte, ihm eine Geschichte zu widmen, seine erste, die erste auch in diesem Buch. Andere folgten, manches Erlebte liegt schon lang zurück und mag nicht mehr aktuell sein.

Bei den Zeichnungen und Skizzen beginnt alles an der Kathedrale von La Ciutat, wie Palma von den Mallorquinern genannt wird. Sonne und Farben stimulieren und lassen immer wieder Altes in neuem Licht erscheinen.

Vieles hat sich verändert, zum Guten, aber auch zum Schlechten. So hat es „Im Lauf der Zeit“ in Deutschland und in Spanien einen Politikerwechsel gegeben, die Stühle im „Domino im Patio“ wackeln nicht mehr, sie wurden von einer einsichtigen Stadtverwaltung ausgewechselt, mallorquinische Autofahrer benutzen auch „In der Waschstraße“ die Hupe nicht mehr so häufig, um sich bemerkbar zu machen – mancher Wechsel also in den vergangenen Jahrzehnten, aber ihren Erinnerungswert haben die Erzählungen und Zeichnungen nicht verloren. Sie werden den einen oder anderen Leser sicher an eigene, ähnliche Beobachtungen erinnern. Mag er beim Lesen an dem Vergnügen teilhaben, das der Verfasser hatte, als er seine aufschrieb und skizzierte.

Günter Bäro im April 2015

Inhalt

Vorwort

Inhalt

Der Stuhl

Nur ein flexibler Schlauch.

Handy

Pinökelchen

Tranquilo

Marseillaise

Biotin-Malemide

Der Bäckerladen

Domino im Patio

...weil es mit Geräusch verbunden oder wir waren freundlich miteinander

Dienst der Kunden

Die Waschstraße

Teppichhandel

Ein Gespritzter bitte

Eine mallorquinische Fahrstunde

Irgendwo in Afrika

Vor der Einsaugöffnung

Machen wir uns einen Tee

Vergessen

Die Plage

Kataloge oder auch „Was macht Ihr denn so den ganzen Tag?“

Bring doch ein Glas Gurken mit!

Stop – Loss

Fremdländisches

Junske

Die Wanduhr

Der Lauf der Zeit

Kleingeld zum Frühstück

Vom Winde verweht

Momentaufnahme

Eine Quallenwarnflagge

Der Briefträger oder Neuenhain – Mallorca und zurück

„All-inclusive“

Siesta

Fehlinvestitionen

Die Praxis bleibt mittwochs geschlossen.

Wirtschaftsaufschwung

„Bauen macht Freude“

Bonbons

Süße, wohlbekannte Düfte….

Wegmarken oder „Heimatkunde“

Über den Autor

„Es ist eigentlich völlig belanglos, über was ich hier berichte...“,


Der Stuhl

Sommer auf Mallorca. Konzert der Banda Municipal auf der Plaza Mayor an einem Donnerstagabend um 18 Uhr. Immer eine angenehme Bereicherung des Palmeser Kulturprogramms. Wer früh genug kommt, hat das Glück, einen Platz im Schatten zu ergattern. Neben uns einige Stühle frei, solche, von denen zu erwarten ist, daß sie in den nächsten 20 Minuten der Sonne ausgesetzt sind.

Es kommt eine fünfköpfige Familie, die den Stuhl neben uns, vielleicht wegen meiner dort deponierten Jacke, respektiert und die folgenden besetzt. Die Fünf werden unruhig. Auf den Rechtsaußen trifft der erste Sonnenstrahl. Während der „Fiedler auf dem Dach“ fiedelt, Plätze verschieben, alle einen aufrücken. Statt meiner Jacke auf dem Stuhl, sitzt dort nun die Mutter mit dem Kleinen auf dem Schoß.

2 Minuten später. So klein ist der Kleine nicht, daß er nicht die Eisreklame mit den, zugegeben, verlockenden Angeboten entdeckt hätte. Mutter mit Kind steht auf. Eis holen. Stuhl frei. Jacke drauf.

3 Minuten später, ein Herr fragt, ob der Stuhl frei sei. „Nein“, die Mutter kauft Eis. 1 Minute später, wieder einer, der sich auf den Stuhl setzen will. „Nein“, die Mutter kauft Eis.

Nach einer weiteren Minute fragt ein gutaussehender älterer Herr sehr höflich, ob der Stuhl wohl ....... Ja, zum Donnerwetter, soll er ihn doch haben, warum kümmert sich nicht die Familie um den Stuhl ihrer Mutter – was hab ich mit denen zu schaffen, bin ich deren Hüter? Er sitzt, aber höchstens nur eine Minute. Es kommt eine Dame, der mein gutaussehender älterer Nachbar, ganz der galante Spanier (das merkt man gleich), den Stuhl überläßt. Die aber steht nach weiteren 1 bis 2 Minuten auf, wegen der Sonne - nehme ich an.

Ein neuer Herr drückt mir meine Jacke in die Hand, die kurzfristig wieder ihren Platz eingenommen hatte. Sagt drohend, das sei ein Stuhl für jedermann, nicht für Jacken. Und reservieren gelte nicht. Sicher kein galanter Spanier. Setzt sich. Steht auf. Wegen der Sonne - nehme ich an. Stuhl wieder frei, zur „West Side Story“, fünf Minuten. Eine Dame kommt. Braun gebrannt. Sicher Urlauberin. Sie trägt ein gepunktetes Kleid mit tiefem Dekolleté. Die Banda spielt den „Rosa Panther“ von Maciani. Noch sitzt sie. Wegen der Sonne – nehme ich an.

Nur ein flexibler Schlauch.

Sie kennen doch einen Whirlpool? Oder haben schon von der Annehmlichkeit gehört, sich in einer Badewanne von tausend Luftbläschen, die aus feinen Düsen im Wannenboden emporsteigen, massieren und verwöhnen zu lassen? Zugegeben, das klingt nach Luxus. Wir haben ihn uns geleistet. Wie sagt der Volksmund so treffend: Man gönnt sich ja sonst nichts. Vor 10 Jahren etwa montierte uns ein Badspezialist solch eine Anlage ein. Ein kräftig arbeitender Motor saugt genügend Luft an und bläst sie zur Wonne und zum Wohle des in der Wanne Liegenden durch einen flexiblen Schlauch in die Düsen. Und das nicht nur zu unserem Wohle. Auch unsere Hausmitbewohner erleben jedes Mal unser harmloses Badevergnügen und freuen sich ob des Lärms, den dieses technische Gerät je nach gewünschtem Blaseffekt verursacht. Jetzt aber war der Schlauch defekt. Brüchig, rissig. Die Luft gelangte überallhin, nur nicht mehr in die Düsen. Aus mit dem Badespaß. Irritationen bei denen unter uns.

 

Ich habe zum Glück noch die Rechnung unseres Badspezialisten von damals. Wähle die angegebene Frankfurter Nummer. “Kein Anschluß unter dieser Nummer.“ Wer kennt sie nicht, diese tonlose Stimme. Die Telekom-Auskunft “von Mensch zu Mensch“, die Hilfe und Beratung und sonst noch allerlei verspricht, kann ihr Versprechen nicht einlösen.

Die Rechnung nennt im Kleingedruckten auch die Telefonnummer der Zentrale in Düsseldorf. „Guten Tag. Was kann ich für sie tun?“ „Bitte die Nummer Ihrer Frankfurter Niederlassung.“ Stille. Dann: „Einen Moment bitte.“ Drei Minuten unterhält mich flotte Filmmusik aus den 50erJahren. Endlich: “Wir haben keine Niederlassung in Frankfurt.“ „Aber Sie haben einen Geschäftsführer!“ „Ja, um was geht es bitte?“ „Dann setzen Sie sich mit unserer Niederlassung in Königstein in Verbindung.“

„Guten Tag, Was kann ich für Sie tun?“ fragt mich diesmal eine freundliche Dame, die, wie sich nach weiterem langen Gespräch herausstellt, ganz in unserer Nähe wohnt. Sie zeigt volles Verständnis für mein Anliegen, notiert brav unsere Telefonnummer und mein Begehr und kündigt einen Rückruf von Frau Dr. Müller-Lauenberger, der Chefin, an. Donnerwetter, sage ich zu mir voller Hochachtung. Ein beachtliches Mittelstandsunternehmen unter akademischer Leitung. Toll!

Ich warte einen Tag, zwei ... schließlich versuche ich es noch einmal (um das schon hier gleich zu sagen, es sollte nicht das letzte Mal sein) “Guten Tag, was kann ich für Sie ... usw usw“ „Frau Dr. wollte mich doch schon vor einer Woche zurückrufen...“, „Das tut mir aber leid, hat sie sich denn nicht gemeldet (nein, rückgerufen hat sie gesagt)? Sie ist in dieser Sekunde aus dem Haus, Moment, vielleicht erreiche ich sie noch.“ Sie war schon weg, auf dem Weg zu neuen Kunden. Alte können es nach meiner bisherigen Erfahrung sicher nicht gewesen sein - die gibt es nicht mehr.

Ich warte einen Tag, zwei ... fünf Tage. Ich versuch es wieder mit meiner freundlichen Nachbarin, mit der aus dem Dorf nebenan. Wir plaudern über dies und das, über den Stand der Obsternte, das letzte Feuerwehrfest, zwischendurch, immer das Ziel im Auge, frage ich auch nach einem kompetenten Monteur. „Hat Frau Dr. denn noch nicht angerufen?“ „Nein, hat sie nicht, die Frau Dr.“ „Verstehe ich nicht, ist doch sonst die Pünktlichkeit in Person, die Frau Dr. Ich lege aber noch einmal einen Zettel hin.“

Dieser Zettel hat seine Wirkung getan. Ich spreche mit Frau Dr. Müller, die mir erklärt, daß sie über keinen Monteur verfüge, der Whirlpools reparieren könne, daß im Übrigen die Herstellerfirma verkauft worden sei und es Ersatzteile nicht mehr gäbe, daß ich die Düsen gefälligst selbst herausschrauben und durchblasen soll, daß für den Motor, sollte er nicht funktionieren, ein örtlicher Elektriker der richtige sei. „Nein, Frau Dr. Müller-Lauenberger, nein, nicht die Düsen sind es, nicht der Motor, der Schlauch ist defekt.“ Ehe ich das letzte Wort gesprochen hatte, war Frau Dr. bereits auf dem Weg zu einem neuen Kunden, vermutlich zu einem, der einen Whirlpool eingebaut haben wollte.

Empört schicke ich ein Fax an die in Düsseldorf, mit so strengen Worten wie „ Service“ und „Kundendienst“ und „Freund- und Pünktlichkeit“. Meine Trompetenstöße haben gewirkt. Die faxen zurück und nennen mir die Anschrift einer Firma in Bochum, die den Whirlpool Hersteller aufgekauft haben soll. „Guten Tag, was kann ich für...usw. usw..?“ „Da sind Sie aber ganz falsch. Diese Firma gibt es nicht mehr. Wir haben sie übernommen und die Whirlpool-Abteilung verkauft. Rufen Sie wegen des Schlauchs doch die Firma.......ich lege auf und telefoniere wieder mit Düsseldorf.

„Ach, die in Bochum gibt es nicht mehr? Das kann doch nicht sein. Entschuldigen Sie. Aber so sind die Zeiten heute. Sie wissen ja, Globalisierung, Euro, Teilzeit. Auf nichts ist mehr Verlaß. Ich melde mich wieder,“ sagt er und legt auf. Hoffentlich, denke ich. Er tut’s, tatsächlich und nennt mir einen freundlichen Herrn, der angeblich in der Lage sein soll, einen passenden Schlauch zu schicken. Per Nachnahme. Er ist noch nicht eingetroffen. Es sind ja auch erst acht Tage vergangen seit dem letzten Auflegen. Ich weiß nicht, ob er noch kommt.

Wenn man verzweifelt ist und Hilfe dringend braucht, dann hat man das Bedürfnis, sich anderen anzuvertrauen. Man redet über seinen Kummer und tauscht Erfahrungen mit Nachbarn und Freunden. “Ruf doch mal unseren Sanitärklempner hier im Ort an, der kann vielleicht helfen.“ „Der, ausgerechnet der soll das können, was Frau Dr. Müller-Lauenberger und ihr gesamtes Fachteam bis hin ins ferne Nordrhein-Westfalen nicht vermag? Aber warum nicht, versuchen kann man es ja mal.“ Wir kennen doch unseren Sanitärspezialisten! Da muß schon ein Rohrbruch gemeldet werden, um ihn schnell aus seinem in unser Haus zu kriegen. Diesmal aber ging’s flotter. Nach mehrmaligen Umschaltungen mit dezenter Wartemusik und mehrmaligen Erklärungen unseres Schlauchproblems nahm sich der Chef energisch der Sache an. Vielleicht reizte ihn diese technische Schlauchmontage. Er entsandte Herrn Meier, ja, schlicht Meier, zur Ortsbesichtigung. “Oh“, sagte der, „das ist ein Problem, nicht einfach. Oder warten Sie mal, ich hab’s, schneiden wir doch einfach das schadhafte Schlauchstück heraus und fügen die beiden Enden zusammen. Lang genug ist der Schlauch ja.“

Ist Ihnen so etwas auch schon einmal passiert? Haben Sie solche Erfahrungen auch schon gemacht? Man fährt weit ins Land, in die nächste Stadt vielleicht, um etwas zu erstehen, was es mit Sicherheit im engen Umkreis nicht geben kann. Es gibt’s eben nicht, Punktum. Und fährt und fährt weite Strecken, versucht es hier und da - und dann, dann bleibt man in unserer Nebenstraße vor einem kleinen Schaufenster stehen und der Blick fällt genau auf das lang Gesuchte. Denken Sie doch nur an Ihre letzte Operation, so Sie eine solche hinter sich haben sollten - was Gott verhüte. In welchem Krankenhaus sind Sie gelandet? In dem etwa, das Sie von Ihrer Wohnung aus sehen und gut erreichen können? Nein, beileibe nicht - weit weg sind Sie gefahren, weil Ihnen das Naheliegende doch zu simpel erschien.

Der Whirlpool funktioniert wieder. Mit Hilfe unseres Sanitärklempners, hier nebenan, nur zwei Häuser weiter.


Handy

Herr N., Sie werden ihn nicht kennen, lehnt es ab, sich ein Handy anzuschaffen. Er brauche solch ein neumodisches Ding nicht, sagt er. Bisher habe er es problemlos geschafft, ohne ein Handy durch die Welt zu kommen, immerhin mit achtzig. Und dabei solle es auch bleiben, meint Herr N. Ihn umzustimmen, gerade ihn mit seinen immerhin achtzig von den Vorzügen dieser technischen Errungenschaft zu überzeugen, gelingt uns nicht. Herr N. will ganz einfach nicht und damit basta.

Herr D., auch ihn werden Sie nicht kennen, wohnt in einer Urbanisation. Stellen Sie sich eine Anhäufung von Häusern vor, die ein sich so nennender Erschließer oder Immobilienmakler auf ein großes kahles Gelände gesetzt hat. Er gestaltet einen Swimmingpool, pflanzt Palmen, Olivenbäume und Oleander, spricht von traumhaftem Fernblick und verkauft die Eigenheime dann für viel Geld als Finkas. Zur Sicherheit der Eigentümer ist eine solche Urbanisation dann von einer Mauer oder einem festen Zaun umgeben. Ein Tor, meist steht es offen, gestattet den Zugang.

Als ich Herrn D. besuche, ist es verschlossen. Ich suche auf dem Klingeltableau mit 36 Knöpfen nach dem Namen unseres Freundes. Den finde ich nicht, nur Nummern. Von eins bis sechsunddreißig, denn es ist eine gehobene Wohnanlage, deren Bewohner anonym bleiben wollen, aus Sicherheit, sagen sie. Nur, welche der Nummern ist nun die richtige?

Ich versuche es mit einer Klingel. Ohne Erfolg. Versuche es mit dem zweiten Knopf, dem dritten, vierten - über die Sprechanlage meldet sich keiner. Bei meinem 10. Versuch sagt mir eine liebe Kinderstimme, die Mammi habe verboten, die Tür für fremde Männer aufzumachen. Es geschieht auch nichts, trotz meines inständigen Bittens. Das gehorsame Kind hat lediglich vergessen, den Hörer aufzulegen - also sind alle weiteren Klingelversuche vergebens.

„Aber wozu gibt es ein Handy?“ sage ich so vor mich hin. „Welch großartige Erfindung doch für solche Notfälle.“ Problemlos kann sie mir wenigstens das Tor öffnen ..., vorausgesetzt, die Telefonnummer unseres Freundes D. ist gespeichert. Sie ist es nicht (inzwischen wohl). Ich suche im Speicher unsere häusliche Telefonnummer unter unserem Namen und drücke den Knopf mit dem grünen Symbol. Mit klarer, mir wohlvertrauten Stimme meldet sich unverhofft die Schwiegermutter unseres Sohnes, die in der Frankfurter Wohnung gerade nach dem Rechten sieht. Ich muß wohl auf den falschen Knopf gedrückt haben. Aber sie freut sich über den unerwarteten Anruf und will nun sofort wissen, wie es denn so geht, wie ich mich fühle, wie so das Wetter hier ist - in Frankfurt sei es lausig kalt und von Mallorca habe man ja auch Schreckliches gehört usw. Höflich beende ich das Gespräch und wähle erneut, diesmal richtig. Meine liebe Frau ist dran. „Frage jetzt nichts. Ruf einfach den D. an und bitte ihn, mir das vermaledeite Tor zu öffnen.“ Nach einigen Minuten des Wartens wird mir tatsächlich aufgetan. Fröhlich kommt mir unser Freund D. entgegen. Er habe sich schon solche Sorgen gemacht, wo ich nur bleibe! Wie freut man sich über solche Anteilnahme und wie haben wir uns über das Wiedersehen gefreut.

Aber warum erzählt er uns das nur? werden Sie fragen. Was interessiert es uns, wie der in ein Haus kommt. Sie werden es bald erfahren. Dazu müssen wir wieder zurück zu unserem Herrn N., na, Sie wissen es noch: Das ist doch der, den ich Ihnen eingangs bereits vorstellte. Wie wäre der wohl ins Haus gekommen? Wie hätte der das geschafft, ohne Handy? Wäre er über die Mauer geklettert? Nein, Herr N, ist nicht mehr so sportlich, zumal in seinem Alter. Hätte er gewartet, bis jemand das Tor von innen öffnet? Auch nein, denn alle Bewohner gehen tagsüber außerhalb ihrem Broterwerb nach, wie mir unser Freund D. zur Erklärung sagte. Oder hätte er gar um Hilfe gerufen, wie neulich, bei einem Waldspaziergang, der sich unbeabsichtigt bis in die Dunkelheit hinzog? Er stolperte auf einem abschüssigen, steinigen Weg und verstauchte sich den Fuß. Keiner hörte seine verzweifelten Hilferufe. Mit Mühen konnte er sich zurück in sein Haus schleppen.

Herr N., heute geht es ihm zum Glück wieder gut, zieht gerade in Erwägung, sich doch solch ein neumodisches Ding anzuschaffen.


Pinökelchen

Sagen Sie mal ehrlich. Das ist Ihnen doch auch schon passiert. Sie gehen gedankenverloren, oder auch gedankenvoll durch Ihre Wohnung und finden auf dem Teppich oder in einer Ecke ein von jedem Staubsauger mißachtetes winziges Schräubchen oder eine kleine Lochscheibe, ein Stück gebogenen Drahtes. Es kann auch eine klitzekleines, irrwitzig gekrümmtes Teilchen aus Plastik, aus Metall oder Holz sein, kurzum ein Gegenständchen undefinierbarer Herkunft. Meine liebe Frau nennt so etwas ein Pinökelchen. Sie hat es von ihrer Mutter. Und ich habe diesen ungemein treffenden Ausdruck nur zu gern von beiden übernommen.

So steht man nun da und dreht und wendet dieses Pinökelchen hin und her und fragt sich, wo es wohl fehlen, wozu es wohl bestimmt sein mag. Wo in der Wohnung ist der Gegenstand, zu dessen Funktionstüchtigkeit das Pinökelchen gehört? Eines ist sicher: Wäre es nicht wichtig, hätte man es nicht erfunden. Sie schauen sich um und um – und legen es schließlich mit einem unguten Gefühl fort, oder besser beiseite. Nachdem wir nicht mehr rauchen, bietet sich für uns als Aufbewahrungsort ein großer, dekorativer, von Künstlerhand geschaffener Aschenbecher an. Sie nehmen dazu vielleicht die Silberschale, auf die man früher die Visitenkarten ablegte.

 

Eines Tages, irgendwann, stellen Sie fest, da wackelt etwas. Nehmen wir z.B. die Kaffeemaschine. Der Mechanismus, der den Kaffeefilter unter den Wasserbehälter schwenkt, funktioniert nicht so wie er sollte. Ein winziger Plastikring fehlt. Ist weg, nicht mehr da. „Ich habe es doch gesagt, daß da etwas nicht in Ordnung ist. Könnte das die Ringhälfte von neulich sein?“ Im Aschenbecher ist nur eine Hälfte. Aber sie nutzt nichts, wenn es die andere Hälfte nicht mehr gibt. Und wo ist die? „Du mußt es doch noch wissen, überleg doch mal ...., du hast doch....“ - na Sie kennen ja derartige häusliche Diskussionen. „Nein, ich weiß es nicht und ich habe auch nicht und überhaupt .....“ Und unsere gute Encarna, die Fleischgewordene, für Putzarbeiten zuständig, die weiß es natürlich auch nicht. Ärgerlich.

Zum Glück gibt es in der noch schönsten Stadt am Mittelmeer eine Firma, die sich auf das Reparieren von Kaffeemaschinen spezialisiert hat. Wir finden sie, nur keinen Parkplatz. Fahren zweimal um den Block, halten im Schatten eines Müllcontainers, stellen, wie hier in solchen Fällen üblich, die Warnblinkanlage an und gehen die paar hundert Meter zu Fuß. Bringen unser Begehr vor. Gut, daß wir wenigstens die spanische, wenn schon nicht die mallorquinische Sprache rudimentär beherrschen. Unerläßlich bei solchen Unternehmungen. Ein bebilderter Katalog wird uns vorgelegt. Wir sind zutiefst beeindruckt von der Vielzahl an Einzelteilen und Gegenständchen, aus denen solch eine Kaffeemaschine besteht und hoffen, den richtigen Ring gefunden zu haben. Wer ihn aber in seinem Kaffeemaschinenersatzteillagerregal nicht findet ist der Ladeninhaber. Er will ihn bestellen und uns anrufen. Das tut er auch, zuverlässig wie Mallorquiner sind. Nach vierzehn Tagen.

Wir wiederholen unsern Anlauf, parken an dem uns vertrauten Müllcontainer, stellen die Warnblinkanlage an, laufen die paar hundert Meter und wagen es kaum zu glauben: Es ist der richtige Ring. Für sage und schreibe nur 75 centimos. Wir freuen uns. Nicht nur über den niedrigen Preis. Nein, wir freuen uns, daß es uns in der 350.000 Einwohner zählenden noch schönsten Stadt am Mittelmeer gelungen ist, den richtigen Kaffeemaschinenring, den mit einem Durchmesser von 18 mm, zu finden. Und der Kaffee schmeckt wieder.

Übrigens: Die andere Ringhälfte haben wir gefunden. Rein zufällig. Sie lag in dem Döschen, in dem andere Pinökelchen, die bei handwerklichen Arbeiten so anfallen, aufbewahrt und gehütet werden.

Oder nehmen wir die Sockelschublade in der Küche. Warum zum Teufel, sagen wir uns, läßt die sich nicht wie sonst reibungslos herausziehen? Ist doch ganz klar: Weil sich eine Mutter gelöst hat! Eine, die die Radschraube hält. Und wo ist diese Mutter? Die im Aschenbecher ist es nicht. Sie ist nicht die richtige. Die im Döschen auch nicht. Und wieder können wir von Glück sagen, daß es die Ferreteria gibt, diesen Laden, in dem man alles kaufen kann: Vom schlichten Nagel und komplizierten Haustürschloß, vom Rostlöser und Wäscheklammern stückweise bis zur Haushaltsleiter, eben alles. Auch die passende Mutter. Kostet ja nicht viel. Ist auch nur ein kleiner Fußweg von 15 Minuten, einfache Strecke.

Übrigens: Die verloren geglaubte Mutter haben wir gefunden. In der Schublade, in einer dunklen Ecke. Jetzt liegt sie mit anderen Pinökelchen im Aschenbecher.

Oder denken wir an den schönen Kugelschreiber, der zu dem Notizblock am Telefon gehört. Er steckt in einer silberfarbenen Metallhülse, die mit einer winzigen Schraube an der Blockunterlage befestigt ist. Diese winzige Schraube, eben das Pinökelchen, ist weg, nicht mehr da. Ohne sie hat die Hülse ihren Halt und damit ihren Zweck verloren. Schade, aber man muß sich auch mal von etwas trennen können. Wir tun das schweren Herzens, nicht ohne dabei an die lieben Freunde zu denken, die uns dieses praktische Set eines Tages schenkten.

Übrigens: 14 Tage später haben wir das Hülsenpinökelchen gefunden. Vergraben im Flor des Teppichfußbodens. Wir haben beschlossen, uns nicht von ihm zu trennen. Man weiß ja nicht, vielleicht läßt es sich in anderen Notfällen verwenden. Es liegt nun auch im Aschenbecher, zusammen mit einer Metallscheibe, Durchmesser 1cm, einem Plastikröhrchen, weiß, 15mm lang und einem Innendurchmesser von 2mm, einem Ansteckknopf mit Patentverschluß, einem Gummiband, einem Hemdenknopf, einer aus einem Weißblech herausgestanzten Zahl 2000, wohl noch ein Überbleibsel vom Jahrtausendwechsel und einer Mutter - na ja, Sie können es sich denken, die von der Sockelschublade.