Bunty

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Was jetzt?

»Let’s call it a day, my friend!« flüstert er und reibt sich die Augen.

Ich helfe ihm auf die Beine, denn der Mann muss ja irgendwie ins Bett. Warum er einen Fuß in Gips hat, habe ich bis jetzt nicht erfahren können. Es ist elf Uhr. Die antike Elektrosonne muss auf Buntys Anweisung ins Schlafgemach, dessen Temperatur ebenso niedrig ist wie im Living Room, und hier werde ich mit der gewaltigsten Bettstatt konfrontiert, die ich je gesehen habe. Ein Monstrum wie aus einer Persiflage auf eine Richard-Wagner-Oper, recht kurz zwar, aber mit einem riesengroßen Kopfteil, mit Ornamenten und Figuren und allegorischem Dekor der kitschigsten Art. Es sind Scharniere zu sehen, die erkennen lassen, dass die doppelschläfrige Konstruktion sogar zusammenklappbar ist. Ein Wunderwerk der Möbelbaukunst des späten neunzehnten Jahrhunderts.

»Oh, vielen Dank, du bist zu gütig …« aber ausziehen könne er sich schon allein, sagt Bunty, doch ich habe den Eindruck, er will sich unausgekleidet zu Bett begeben. Und da ich ja wohl ebenfalls müde sei, so möge ich mich doch in den ersten Stock begeben, in das Zimmer mit der gelben Tür, das sei das seines Sohnes Ambrose, der sich seit einem halben Jahr in Frankreich aufhalte, um dort die Kunst des Weinbaus zu studieren, Chardonnay and things like that, oh how wonderful, und ein Badezimmer gebe es oben ebenfalls. »Aber du kannst auch gern noch ein wenig hier unten bleiben und etwas lesen, nur ist leider der elektrische Strom bei uns so teuer, you know, und nun gute Nacht, mein Junge, see you tomorrow morning!«

Ambrose hat sein Knabenzimmer so verlassen, als habe es sich um eine spontane Flucht gehandelt, ohne Zeit zum Kofferpacken. Die mir anempfohlene Bettstatt entdecke ich im Schein einer 15-Watt-Glühbirne hinter Bergen von Klamotten, die jemand – vielleicht war’s gar nicht Ambrose, sondern sein Bruder Humphrey? – aus mehreren Kleiderschränken auf den Boden geworfen hat, dazwischen liegen ausgestopfte Vogelbälge, Teile einer Campingausrüstung, Bergstiefel, eine Ingwerwurzel, Bücher und ein Experimentierkasten für den »Kleinen Chemiker von 10 bis 14 Jahren«, der nicht weniger stinkt als das seit vermutlich mehreren Wochen ungemachte Bett.

Bevor ich mich hinlege, unternehme ich den Versuch, mir die Zähne zu putzen, denn es gibt immerhin ein Waschbecken in diesem Zimmer. Aus einem Röhrchen darüber, das aus der Brokat-Tapete ragt, tröpfelt sogar Wasser, wenn man mit dem Schraubenschlüssel, der im Becken vor sich hin rostet, eine Überwurfmutter aufdreht, die das Rohr verschließt. Ob der Schraubenschlüssel aus einem Rolls-Royce-Werkzeugkasten stammt, könnte ich morgen bei Tageslicht prüfen. Ich bezweifle es – würde er sonst rosten können?

Beim Einnschlafen beschäftigt mich die von Psychologen so gern gestellte Frage, in meiner Situation auf Bunty angewendet: Würden Sie von diesem Herrn einen Gebrauchtwagen kaufen?

Für mich ist diese Frage ohne Belang. Denn durchschnittlich zwei Mal pro Woche, so erfahre ich am kommenden Tag, verkaufen Bunty, Hazel, Bernard oder Eddie ein Auto aus dem Scott-Moncrieff’schen Bestand an jemanden, der die Psychofrage durch seine Unterschrift bei gleichzeitiger Transaktion von Barem oder eines Schecks ganz klar mit »Ja« beantwortet.

Ganz Großbritannien ist voller Merkwürdigkeiten. Bunty ist eine von ihnen.

Obwohl ich mehrere Male bei den Scott-Moncrieffs zu Gast war, bin ich Ambrose, von dem so oft die Rede war, nie begegnet. Erst im Jahre 2012 sah ich ihn von Angesicht zu Angesicht – im Internet. Er gab ein Interview über seinen beruflichen Werdegang und womit man als Gemälderestaurator zu tun hat. Er sah seinem Vater sehr ähnlich, auch sprach er (fast) wie Bunty. Ich musste unwillkürlich lächeln und daran denken, dass ich mal in seinem ungemachten Bett geschlafen und an seinem Waschbecken versucht habe, mir die Zähne zu putzen.

Etliche in den Tiefschlaf versetzte Luxusautowracks vor der Gartenpforte, ein wasserloser Goldfischteich und ein paar im Nebel der englischen Midlands dezent abtauchende Wellblechschuppen: Ein Ambiente, welches sich dem fremden Gast, der das versteckt gelegene Rock Cottage in einer Novembernacht aufsucht, doppelt so makaber darbietet wie am Tage.

Auf ein zweites Leben durfte dieser Rolls-Royce Silver Ghost hoffen, nachdem er sein erstes als herrschaftliche Limousine oder als Bestattungsfahrzeug mit seiner Zwangspensionierung ausgehaucht hatte.

Hatte eines der Objekte, die Bunty erwarb, schon seit langer Zeit auf einem Schrottplatz oder in einer zugewachsenen Remise gestanden, bekam er es für wenig Geld. Um 1960 war England noch voller solcher Automobil-Trouvailles.

Im Schlafzimmer der Scott-Moncrieffs befand sich dieses Prachtmöbel von einem Bett, dessen Kopf- und Fußteil sich an Scharnieren herunterklappen ließen. Es war ein sogenanntes »lit bateau«, gebaut von den Sawla Frères. Auch das übrige Mobiliar im Haus bestand überwiegend aus englischen Antiquitäten; eine andere Einrichtung wäre auch gar nicht denkbar gewesen.

Warum nicht ein Rolls-Royce …?

Ein halbes Jahr später war ich drauf und dran, ebenfalls einen Rolls von Bunty zu erwerben. Ich hätte ihn für nur 250 Pfund haben können. Ein Freundschaftspreis! Ein Schnäppchen!

Was hatte mich davon abgehalten, diesen 20 hp Baujahr 1929 zu erwerben? Nun, das Pfund war damals an die 11 Mark 20 wert, und 2800 Mark plus Zoll und Überführung in einen weiteren Oldtimer zu investieren, konnte ich mir schlichtweg – noch – nicht erlauben. Ich besaß bereits drei alte Autos, und die verschlangen, weil es an ihnen so viel zu reparieren gab, furchtbar viel Geld, die Hälfte vieler Monatsgehälter.

Als Abonnent der in London erscheinenden Zeitschrift »Motor Sport« konnte ich Buntys dort veröffentlichte Inserate studieren und im Vergleich mit seinen Konkurrenten erkennen, dass seine Preise nicht überzogen waren. Ich befand mich auf dem Verteiler seiner monatlichen »stock list« und erhielt auf Anfrage von Bunty oder Hazel oder Humphrey jede Menge Polaroid-Fotos. Ernsthaft interessiert war ich an einem Rolls eigentlich nicht, aber die Faszination, die von den Autos ausging, war groß.

Einmal im Leben einen Rolls-Royce besitzen … diesen Wunsch konnte man sich auch als Normalverdiener durchaus erfüllen (man kann es auch heute noch, wenn man es richtig macht). Bunty hatte auf die richtige Karte gesetzt, als er vor allem auf amerikanische Kundschaft baute. Von drei Fahrzeugen verkaufte Bunty zwei an Kunden aus Übersee. Sie waren gut beraten, selbst nach England zu kommen, um sich in einer der Remisen auf Rock Cottage oder später im Show Room der Macclesfield Road den Rolls ihrer Träume auszuwählen und ihn auch gleich mitzunehmen. Ließen sie sich unbesehen, nur auf Beschreibungen und ein paar Bilder aus der Sofortbildkamera hin, den Wagen ihrer Wahl per Container schicken, konnte es durchaus passieren, dass es herbe Enttäuschungen gab. Da es üblich war, per Akkreditiv im Vorhinein zu bezahlen, Bunty also über das Geld in dem Moment verfügte, an welchem die Reederei die Fracht in Liverpool übernommen hatte, trug er als Verkäufer das geringere Risiko.

Das »beste Auto der Welt« steckte – wie jedes andere Motorfahrzeug auch – voller Macken und Tücken, wenn es in die Jahre kam und nicht zeitlebens sorgfältig gewartet worden war. Geoffrey und Eddie taten ihr bestes, um die ihnen anvertrauten Autos so tipptopp wie möglich herzurichten. Nur die wirklich heruntergekommenen Exemplare beließen sie im eigenen Saft. Zur Ehrenrettung der Firma Scott-Moncrieff beeile ich mich anzufügen, dass sie auch immer wieder exzellente Ersthand-Exemplare im Angebot hatte, chauffeuer-gepflegt, makellos und fit für den nächsten Concours d’Elegance.

»Zuerst schaue ich immer in die Ritzen der Polster,« verriet mir Bunty einen seiner Tipps zum günstigen Autokauf. Nach Münzen, die da hineingerutscht sind, nahm ich an. »Nein, nach Konfetti … Von gewissen Mengen an gehe ich davon aus, dass der Wagen häufig zu Hochzeitsfahrten ausgeliehen und von Leuten benutzt wurde, die ihn anschließend nicht gründlich reinigten. Das lässt in meinen Augen Schlüsse auf Nachlässigkeit zu.«

Wer einen Rolls-Royce bei Bunty erwarb, wollte meist ein anderes Auto in Zahlung geben. Bunty ließ sich darauf aber nur ein, wenn es sich um eine Besonderheit handelte. Ein Auto, das für sich oder Averil zu behalten lohnte oder für das er einen Liebhaber in petto hatte. Auf diese Art und Weise ergaben sich Ringtausch-Transaktionen, die Rock Cottage gelegentlich zu einem Museum mit in rascher Folge von wechselnden Exponaten machten. Ich war vielleicht zehn Mal dort, und bei jedem Besuch warteten automobile Überraschungen auf mich.

Bunty legte mir diesen hübschen, zweisitzigen Rolls-Royce 20 hp von 1929 sehr ans Herz. Für 250 Pfund hätte ich ihn haben können. Ein Schnäppchen, denn im Vergleich zu vielen anderen seiner Autos dieser Preisklasse war der Wagen gut beieinander. Ich widerstand dennoch. Nicht zuletzt, um unsere Freundschaft nicht durch das Risiko eines Geschäfts zu belasten.

 

Bunty mit Putzzeug? Nur für den Fotografen! Er pflegte es Hilfswilligen zu überlassen, sich um das Erscheinungsbild seiner Fahrzeuge zu kümmern. Und die übertrieben derlei Tätigkeiten auch nicht gerade: »Wir sind ehrliche Leute … unsere Autos müssen erkennen lassen, dass sie alles andere als neu sind, sonst sähe es aus, als machten wir den Kunden etwas vor!

Tapfer und des Schwimmens kundig

Buntys Lebensgeschichte beginnt natürlich zu einem Zeitpunkt, an welchem es ihn noch gar nicht gab: an einem schönen, warmen Frühlingsnachmittag des Jahres 1906.

Auf dem Cholmont Walk an der Themse geht eine wohlproportionierte, nicht gerade blutjunge Dame spazieren; sie heißt Grace mit Vornamen und Eustace mit Familiennamen. An jedem Nachmittag, sofern das Wetter es erlaubt, macht sie diesen Spaziergang. Nicht allein; ihr Begleiter ist männlichen Geschlechts und sehr viel kleiner als Grace. Es ist ein braungefleckter Terrier.

Ein ziemlich dämlicher Terrier muss es gewesen sein, denn normalerweise fallen Hunde nicht einfach ins Wasser. Und sollte Grace ihn etwa in den Strom gestoßen haben, mit der Spitze ihres Schuhs, wäre er genauso dämlich gewesen, dies nicht geschickt pariert zu haben. Warum aber hätte sie so etwas Gemeines tun sollen?

Wir wollen Grace nichts Arges unterstellen, denn Niedertracht war keine ihrer Eigenschaften. Aber es würde gut in den Ablauf der Geschichte passen, hätte die attraktive Lady im besten – um nicht zu sagen: allerbesten – heiratsfähigen Alter dem Hundchen mal eben ein wenig bei einer Mutprobe nachgeholfen, zum Beispiel, um canines Schwimmverhalten zu studieren. Dann wäre der Terrier nur ein Mittel zum wissenschaftlichen Zweck gewesen, und falls dem so gewesen sein sollte, war dieser Zweck zugleich eine Prüfung ganz anderer und doch derselben Art: Miss Eustace hatte möglicherweise nichts anderes im Sinn, als die Spontaneität, das Reaktionsvermögen und vielleicht zugleich auch die Schwimmkünste eines Retters zu ermitteln, der auf ihren Hilferuf sofort herbei eilte, als ob er darauf gewartet hätte, sich seines Jacketts entledigte und in die schon damals recht trüben Fluten der Themse sprang – um den pudelnassen Terrier an Land zu bringen.

Auch wenn der Hund das Bad ganz freiwillig oder vielleicht doch nur aus reinem Versehen genommen haben sollte, hätte sich der junge, adrette Ägyptologe Phillip Scott-Moncrieff nur allzu gerne ins Wasser begeben, um Grace endlich einen Gefallen erweisen zu können, in einem Moment, auf den er schon lange gewartet hatte – schon einige Male war er ihr hier begegnet, hatte ihr schöne Augen gemacht, aber nicht den Mut gefunden, das Wort an sie zu richten … Diese einmalige Gelegenheit, eine Beziehung einleiten zu können, obendrein in der Rolle eines Helden, durfte er sich jetzt einfach nicht entgehen lassen.

Fortan hatten die beiden einen guten Grund, das eine oder andere Themsestündchen gemeinsam zu absolvieren: Sie passten zu zweit auf den Terrier auf, um zu verhindern, dass er jemals wieder versehentlich ins Wasser stürzte. Was jetzt ja auch sinnlos gewesen wäre.

Natürlich stellte Phillip seiner verehrten Grace schon bald einen Heiratsantrag (das soll sie angeblich sehr überrascht haben), was aber sowohl von der einen als auch von der anderen Familie mit einiger Zurückhaltung aufgenommen wurde. Graces Eltern hatten es aufgegeben, sich um einen Heiratskandidaten für sie zu bemühen, und Phillips Eltern hatten sich für ihren Sohn eine etwas jüngere Partie gewünscht. Denn Grace war knapp zwanzig Jahre älter als ihr Anbeter.

Gleichwohl wollte sich Miss Eustace den Antrag des jungen, dynamischen Rettungsschwimmers und Hundefreundes gut überlegen, und wie es damals in feinen Kreisen Englands üblich war, buchte sie zu diesem Behufe erst einmal eine Reise nach Indien.

Als sie nach drei Monaten nach Richmond zurückkehrte, gab sie dem ungeduldig Wartenden nach weiteren sechs Wochen Bedenkzeit das Jawort. Dass sie zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war, verriet sie niemandem. Für ein Neinwort wäre es also ohnehin zu spät gewesen. Das glückliche Paar ließ sich im Londoner Vorort Egham, wo die Scott-Moncrieffs wohnten, trauen, und am 1. Juli des Jahres 1907 brachte Grace Scott-Moncrieff einen gesunden Sohn zur Welt: David William Hardy.

Dass sich diese drei schönen Namen schon bald auf das Kürzel »Bunty« reduzierten, schrieb man Phillips Bruder Bill zu. Angeblich soll er es gewesen sein, der den Knaben von Anfang an so und nicht anders zu nennen pflegte, und bald nannte ihn jeder so. Bunty vermochte sich nicht zu erinnern, in der Familie jemals anders gerufen worden zu sein. Sein Leben lang behielt er diesen Namen bei, denn er gefiel ihm selbst sehr gut.

Bunty, nicht Bounty. Auch wenn es ein berühmtes Schiff dieses Namens gegeben hat, auf dem es bekanntlich in der Südsee eine wilde (und später mit Charles Laughton grandios verfilmte) Meuterei gegeben hat. Die Assoziation liegt nahe, denn Bunty hatte Seemannsblut in seinen Adern. Sein Großvater war nämlich kein Geringerer als jener Schiffsbaumeister Scott aus Glasgow, der als Partner von Hercules Linton 1869 in Dumbarton den Shanghai-Teeclipper »Cutty Sark« auf Kiel gelegt hatte (als Museumsschiff erlitt es 2007 am Kai von Greenwich einen schweren Feuerschaden). Dass dieser Name später zu einer bekannten Whiskymarke avancieren würde, konnte im 19. Jahrhundert noch niemand ahnen, aber Bunty war dies natürlich schon recht. Wenngleich er kein großer Whiskyfreund war; Brandy, einen guten Port und französische Rotweine mochte er lieber.

Von der Mutter die Autoleidenschaft

Bunty sprach stets in Ehrfurcht von seinem Vater. Aber es war die Mutter, der seine besondere Zuneigung galt, und diese erwiderte sie mit der gleichen Innigkeit. Bunty war ihr spätes, sehnlich gewünschtes und einziges Kind. Der Knabe hing so sehr an ihr, dass er vor Sehnsucht oft in die Kissen weinte, als er im Wellington-Internat in Copthorne von ihr getrennt war. Voller Ungeduld erwartete er die Wochenenden, wenn sie ihn besuchen kam, und erst recht die Ferien; die verbrachten Mutter und Sohn an der Küste. Mrs. Scott-Moncrieff holte ihren Jungen vom Internat stets mit einem älteren, kettengetriebenen Vierzylinder-Mors ab, ein französisches Automobil, das sie bei der Mors-Repräsentanz in London erworben hatte, jener Firma, die vor Jahren von einem gewissen Charles Stewart Rolls – dem späteren Partner eines Mr. Henry Royce – gegründet worden war. Bunty wurde von allen Mitschülern beneidet, wenn seine Mutter so schneidig mit einem großen Wagen vorfuhr, und die Tatsache, dass sie überhaupt den Mut besaß, als Frau ein solches Ungetüm zu lenken, mag für Buntys spätere Autoleidenschaft mit ausschlaggebend gewesen sein. Immer wieder kam dieser Mors, Baujahr 1908, in Buntys Erzählungen vor.

Das Fabrikat Mors war in England damals ebenso bekannt wie in Frankreich. Die Ende 1907 eingeführten neuen Vierzylinder mit Kardan- statt bisher Kettenantrieb waren übrigens auf Anregung eines damals in der Autobranche noch unbekannten Ingenieurs entstanden, den die Pariser Firma zu ihrem Geschäftsführer bestellt hatte. Er hieß André Citroën.

In Wellington war Bunty mit Sicherheit der erste und einzige Schüler, der ein Auto besaß, wenn es auch niemand wissen durfte – zumindest die Lehrer nicht. Aber selbst seine geliebte Mutter hatte Bunty nicht eingeweiht. Sie wunderte sich nur über die ständigen Geldsorgen ihres Sohnes, von dem sie fest überzeugt war, dass er weder spielte noch wettete noch trank. Dass er das Geld brauchte, um einen Motorwagen zu finanzieren, darauf kam sie nicht. Angeblich war es der teure Tennisunterricht, der hohe Beträge verschlang; in Wahrheit bezahlte Bunty das noch sehr viel teurere Benzin für seinen Wagen. Den ersten seines Lebens, und er hatte ihn selbst gebaut.

Bunty wurde später ein paarmal gefragt, warum er keine Bühnenkarriere eingeschlagen habe. Sein großartiges Schauspieltalent, seine Art, Aufmerksamkeit zu erregen und die Mitwelt dazu zu bringen, sich für ihn zu begeistern, seine Begabung für theatralische Effekte wäre gut honoriert worden. Seines Vaters Schwester hingegen glaubte in Bunty eher einen künftigen Literaten entdeckt zu haben. Tante May war selbst Schriftstellerin. Doch Bunty liebte mehr das gesprochene als das geschriebene Wort, auch wenn er später einige Bücher und zahlreiche Zeitschriftenartikel verfasste.

Lauselümmel Bunty im Alter von 14 Jahren. Nach feiner englischer Art hat man ihn mit Schlips und Krawattennadel dekoriert. Auf stilvolle Garderobe – oder was er dafür hielt – legte Bunty auch später großen Wert.

Zu seiner Mutter Grace, geborene Eustace, hatte Bunty ein inniges Verhältnis. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die damals in England einen Führerschein besaßen und obendrein ein PS-starkes Automobil. Die Eskapaden und das Cambridge-Studium ihres Sohnes finanzierte sie, soweit es ihre

Da flogen schon mal Tintenfässer …

Bunty hatte Vorbilder, denen er als Jüngling nacheiferte. Zum Beispiel seinem Onkel Horace, dessen makaberer Humor in der Familie gefürchtet war. Vor allem aber hatte Bunty ernsthaftes Interesse an allem Technischen. So baute er sich auch sein erstes Auto nach eigenen Entwürfen selbst – es war jenes, mit dem er ohne Wissen seiner Eltern oder Lehrer in und um Wellington herumkutschierte. Es verfügte nur über drei Räder und musste mangels Anlasser angeschoben werden, wollte man es zum Laufen bringen. Bunty gab sich alle Mühe, Bau und Besitz seines Threewheelers geheim zu halten, und vorsorglich befand sich seine Bastelbude auch am anderen Ende der Stadt. Ganz sicher hätte man Bunty der Schule verwiesen, wäre die Sache aufgeflogen. Natürlich hatte Bunty auch keine Fahrerlaubnis; nicht einmal seine Lehrer besaßen einen Führerschein. Wie etwa Mrs. Scott-Moncrieff.

Dem Eigenbau-Dreirad, von dem nur einige wenige zur Verschwiegenheit verpflichtete Mitschüler wussten, folgte ein anderes, ebenso kleines und primitives Fahrzeug. Das war jedoch kein Bastelobjekt mehr, sondern eine Voiturette, ein Monocar. Leider nur ein Einsitzer, was Bunty bewog, diesen schon bald wieder gegen einen anderen Flitzer einzutauschen, einen Sizaire-Naudin, den er drei Jahre lang besaß. Und diesen Zweisitzer schließlich führte er eines Tages der Mutter vor. Nur der Internatsleitung natürlich nicht. Er hätte die Anstalt sofort verlassen müssen, ganz klar, und das wollte er seiner geliebten Frau Mama nicht antun. Also schwieg auch sie …

»Bunty war ein eigenwilliger Bursche,« erinnerte sich Toby Howard, einer seiner ehemaligen Mitschüler. »Wir bewunderten ihn, schon weil er uns so gefährlich schien. Ich gehörte zu denen, die er in seinem Sizaire gelegentlich mitnahm. Sein Fahrstil war riskant, er fuhr immer viel zu schnell. Und wenn sein Temperament mit ihm durchging, musste man sich in Acht nehmen, selbst die Lehrer. Da flog schon mal gelegentlich ein Tintenfass durch das Klassenzimmer …«

1924, knapp siebzehnjährig, verließ Bunty samt Sizaire-Naudin aus eigenen Stücken Wellington. Mit vielen seiner Mitschüler hielt er lebenslang Verbindung, verkaufte ihnen Autos und schrieb ihnen Postkartengrüße aus den entferntesten Ecken der Welt. Den einen oder anderen brauchte er auch zum Anpumpen.

Mit vielen anderen jungen Männern seines Standes teilte sich Bunty in den zwanziger Jahren das Schicksal, über einen guten Namen, sogar über ein einigermaßen gutes Ansehen zu verfügen, aber nur über sehr geringe Barmittel. Sicher, da gab es Beziehungen nach allen Richtungen, Bunty verspürte aber keine Neigungen, diese für den Start zu einer beruflichen Karriere zu nutzen. Wozu auch – die Familie war ein wenig vermögend, und wenn man nicht zu unbescheiden lebte, hatte man sein Auskommen. Auch Buntys Vater, obwohl als Wissenschaftler ausgebildet, ging keinem Broterwerb im herkömmlichen Sinne nach.

Doch wie sein Vater über einen akademischen Grad zu verfügen, und sei es nur der eines Baccalaureus, schien Bunty schon aus gesellschaftlichen Erwägungen nützlicher als sich dem Müßiggang ohne einen solchen hinzugeben. Er begab sich deshalb nach Cambridge und schrieb sich im Trinity College ein. Wie er das geschafft hatte, war für alle, die das strenge Auswahl-Zeremoniell kennen, ein Rätsel.

 

»Ich konnte die Herren des Komitees überzeugen, dass meine ganze Leidenschaft der Ergründung mechanischer Phänomene gehört,« steht in einem der frühen Tagebücher Buntys. »Es waren allesamt Naturwissenschaftler konservativer Prägung. Aber sie stehen dem Automobil nicht ablehnend gegenüber, und dass ich ein solches zu bedienen verstehe, schien sie zu beeindrucken. Ich wurde der Belegung jener Studiengänge für geeignet und würdig erkannt, die dem Gesamtbegriff ›Engineering‹ zuzuordnen sind. Ich bin darüber sehr glücklich.«

Nach einem selbst zusammengebauten Dreirad war dieser Einsitzer das zweite Motorfahrzeug, das Bunty besaß – und dessen Anschaffung er selbst vor seiner Mutter geheim hielt, aus Furcht, es könnte sich im Trinity College herumsprechen und zu seinem Rausschmiss führen. Das Monocar hatte den Nachteil, dass sich keine zweite (vor allem weibliche) Person mitnehmen ließ.