Der Klang der Stille

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Intendant Peter Ruzicka war mir leider keine Hilfe, also sagte ich ab. Da alles noch dazu über die Medien ausgetragen wurde, waren die Salzburger natürlich besonders verärgert, dass sich ein so junger Dirigent mit ihnen anlegte, und danach blieben die Türen für mich geschlossen. Markus Hinterhäuser war dann nach seiner Ernennung sehr interessiert, mich wieder nach Salzburg zurückzuholen, aber das ließ sich wiederum wegen meines Engagements in Bayreuth nicht vereinbaren.

DANIEL BARENBOIM:

»Als Philippe Jordan zum »vordirigieren« kam, um mein Assistent zu werden, war er erst dreiundzwanzig Jahre alt. Er dirigierte die Ouvertüre zu Hänsel und Gretel, die sehr schwer ist. Er machte das extrem gut. Er war sehr, sehr bescheiden, fast scheu …

Ich wollte, dass er die Premiere von Christoph Kolumbus dirigiert, er lernte einen Sommer lang die nicht einfache Partitur mit Bühnenmusik und Chor und bei der ersten Probe im September schloss er als Erstes die Partitur und probte auswendig. Er hatte das Orchester innerhalb von fünf Minuten in der Hand … Jetzt ist er seit vielen Jahren Musikdirektor der Pariser Oper und Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Ich bin sehr glücklich und sehr stolz auf Philippe Jordan.«

Statement aus der Dokumentation »Philippe Jordan – Zum Dirigieren geboren« (Telmondis / Arthaus Musik / RM Creative 2016)

In der Zeit, als ich in Ulm Erster Kapellmeister war, Premieren leitete und auch schon in Häusern wie Brüssel oder Graz gastierte, kam das Angebot von Daniel Barenboim, sein Assistent in Berlin zu werden. Man weiß, dass die Assistenten von Barenboim nicht nur Kaffee holen, sondern voll in den musikalischen Betrieb eingebunden sind und auch dirigieren. Eva Wagner, die mich aus der Zeit des Rings am Châtelet kannte und der ich in der Anfangszeit viel zu verdanken habe, hatte mich ihm empfohlen. Es gab ein kurzes Gespräch, das so typisch für Barenboim war. Er sagte nicht, was er brauchte, sondern fragte mich, was ich suchte. Dann wollte er mich einmal mit dem Orchester arbeiten sehen und zwei Wochen später, als er die Neunte Beethoven für das Silvesterkonzert probte, stellte er mich der Staatskapelle vor und sagte, dass mir die Musiker fünfzehn Minuten geben sollten. Ich wollte die Ouvertüre und den Hexenritt aus Hänsel und Gretel machen. Der Orchesterdirektor hatte es aber vergessen. Da das Werk lange nicht an der Staatsoper gespielt worden war, mussten die Noten von der Deutschen Oper Berlin geholt werden und das Orchester musste fast dreißig Minuten warten. Mir war das schrecklich unangenehm und die Stimmung schien schlecht. Ich hatte ja damals noch nicht so viel dirigiert und spürte plötzlich die ungewohnte Reaktion der Berliner Staatskapelle auf meinen Schlag. Ich fühlte mich nicht wohl, weil dieses Orchester, wie alle großen deutschen Orchester, hinter dem Schlag spielte, während ich in Ulm gewohnt war, dass auf den Schlag gespielt wird. Das war neu für mich und damit konnte ich damals noch nicht umgehen. Es war sicher kein gutes Vordirigat. Aber Daniel Barenboim strahlte, weil er, wie mir ein Geiger später erzählte, bei mir einen starken Gestaltungswillen sah, was ihm imponierte. Danach sagte er mir, dass er mich gerne ab der Spielzeit 1998/99 für vier Jahre engagieren wolle, und ich sollte gleich im Herbst die Premiere von Christoph Kolumbus von Darius Milhaud nach einem Libretto von Paul Claudel übernehmen, was niemand dirigieren wollte, weil die Musik ein typisches Produkt der Zwanzigerjahre mit vielen Chören und zum Teil überbordender Musik ist. Ich erkannte das sofort als eine große Chance, denn bei einer Neuproduktion lernt man das ganze Haus kennen: das Solistenensemble, das Orchester, die Technik, den Chor. Regie führte der berühmte englische Filmregisseur Peter Greenaway, was für mich nicht immer ganz einfach war, und die Musiker verstanden zunächst meine große Begeisterung für das Stück nicht. Erst im zweiten Jahr, bei der Wiederaufnahme, fand ich den richtigen Weg, den Funken überspringen zu lassen. Ich konnte dann auch schon besser mit dem Orchester umgehen, weil ich Barenboim viel bei seiner Orchesterarbeit beobachten konnte. Ich hatte mit der Zeit gelernt, ein Gespür dafür zu entwickeln, was man wann verlangen kann und wo man insistieren muss. Zu Beginn war ich einfach nur beeindruckt von der Qualität des Orchesters.

Von Barenboim lernte ich auch, wie man Sänger stimuliert, mit welcher Begründung man Künstler holt, wie man an Klangfarben arbeitet, wie man mit Sängern und Sängerinnen am Text arbeiten muss. Ich lernte, mit dem Orchester Bogenstriche, Fingersätze, Rhythmusfragen und Intonation zu besprechen – Dinge, von denen man als junger Dirigent fälschlicherweise glaubt, sie seien selbstverständlich. Daniel und ich hatten wunderbare Gespräche. Ich konnte ihn alles fragen. Immer ging es vor allem um Gestaltung, und erst am Schluss kam vielleicht auch die Frage: »Wie schlage ich das?« Es gab nie die Gefahr, ihn zu kopieren – im Gegenteil! –, ich konnte auch stets meine eigenen Tempi wählen, wenn ich ihm ein Werk nachdirigierte. Ich erinnere mich noch gut an einen Figaro in meinem ersten Jahr, bei dem ich sehr genau beobachten konnte, wie er an Rhythmus, Tempo und an der Farbigkeit der Rezitative arbeitete. Über Mozartinterpretation kann man ja immer diskutieren, aber Daniel Barenboim kommt natürlich vom Klavier und weiß aus dieser Perspektive genau, was er mit Mozart will. Einmal ließ er mich in einer Bühnenorchesterprobe eine halbe Stunde dirigieren, worauf ich gar nicht vorbereitet war. Aber so eine Situation muss man dann meistern und bei der Orchesterhauptprobe sagte er plötzlich, ich solle von Anfang an alles dirigieren. Zunächst wollte ich nicht, aber er entgegnete nur, wenn er krank wäre, müsse ich ja auch einspringen. Natürlich kannte ich das Werk gut, weil ich die szenischen Proben dirigiert hatte, aber dann das ganze Werk zu dirigieren, den Sängern die nötigen Einsätze zu geben, die richtigen Tempi zu wählen, alles richtig zu schlagen, ist doch noch etwas ganz anderes. Das Feedback nach der Probe war sehr positiv, was mich natürlich freute, zumal ich auf diesen Einsatz gar nicht wirklich vorbereitet gewesen war. Im Nachhinein war das insofern auch interessant, als ich zuvor bei Hänsel und Gretel im Ulm alles »richtig« machen wollte, jedes Detail kannte und das Ergebnis trotzdem nicht gut wurde. Dann macht man etwas ein bisschen improvisiert und es läuft viel besser. Trotzdem wollte und will ich immer perfekt vorbereitet sein, obwohl mir mein Vater schon in Ulm sagte, ich müsse lernen, ein Stück auch einmal »al fresco« zu machen. Das verstand ich damals nicht, mache auch heute noch nichts »al fresco«, aber ich denke, man sollte sich eine gewisse Spontaneität in der Arbeit erhalten, wach bleiben, um zu sehen, was angeboten wird und wie damit umzugehen ist. Wenn man keine Distanz zu sich selbst hat und nur das hört, was in einem selbst ist, hört man nicht, was draußen ist. Oder anders ausgedrückt: Innerlich muss man hören, was man hören will, und gleichzeitig das was wirklich da ist. Um diesen Unterschied gilt es sich dann Gedanken zu machen. Man darf auch keinen Tunnelblick auf ein bestimmtes Stück bekommen, sondern muss damit umgehen können, wenn man in der Früh mit einem Sänger ein ganz anderes Stück repetiert als das, was davor geprobt wurde, am Abend Butterfly dirigiert, am nächsten Tag an einer Wiederaufnahme arbeitet, dann eine Orchesterprobe von Barenboim besucht und am Abend dann Barbier von Sevilla leitet. Das ist Theateralltag, das ist wirkliches Musikerleben. Als junger, unerfahrener Dirigent ist man auf jedes Detail fixiert und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Heute weiß ich, dass man bei jedem Stück, egal ob Oper oder Konzert, zunächst von der großen Form, vom Überblick ausgehen muss. Dann ist man auch in der Probe offener und schneller. Ein Sechzehntellauf, der am Anfang einer Probe nicht gelingt, oder hin und wieder ein »Verspieler« ist unwichtig. Aber ob das Tempo geschärft ist oder der Rhythmus nicht stimmt, ob ein Übergang nicht funktioniert, das ist wesentlich. Für mich war dann Wagner der Schlüssel zu dieser Erkenntnis. Als ich in Zürich den Ring dirigierte und mich ein ganzes Jahr damit beschäftigte, lernte ich, großflächig über ganze Akte zu denken – bei Wagner eine unabdingbare Notwendigkeit. Man lernt mit der Zeit auch Vertrauen ins Orchester zu haben und die Musik nicht zu zerstückeln. Man lernt das vor allem mit Wagner, der ja nicht nur Komponist, sondern einer der ersten großen Dirigenten im heutigen Sinne war.

Die Aufbaujahre

Mit 27 Jahren wurde ich Chefdirigent der Oper Graz. Mein Engagement begann mit der Saison 2001/02 und so verließ ich Berlin bereits ein Jahr früher als geplant. Barenboim legte mir natürlich nichts in den Weg, den Vertrag bereits früher zu beenden, aber kann es bis heute nicht ganz lassen, mich daran zu erinnern, dass ich im Grunde »ein Jahr zu früh gegangen« bin. Für mich war aber die Entscheidung für die Position in Graz ein ganz wesentlicher Schritt in meiner Entwicklung. Die Bedingungen waren ausgezeichnet, um zu lernen, wie man Verantwortung übernimmt, wie man ein Orchester formt, wie Planung funktioniert und vieles mehr. Graz war für mich damals deshalb so ideal, weil das Haus nicht zu groß und nicht zu klein ist, ein Orchester von 95 Musikern hat, ein eigenes Ensemble, einen wunderschönen Saal und ein Publikum, das seine Oper liebt. An einem Haus dieser Größe kann man bereits formen und gestalten, aber auch noch Fehler machen – um daraus wiederum zu lernen. Ich denke, es war immer meine Art, ehrlich zu sein, aber mitunter verschreckt und verletzt man einen Menschen, wenn man ihm – vor allem im falschen Moment und nicht mit den geeigneten Worten – reinen Wein einschenkt. Für mich stellte sich immer die Frage: Wie kann man jemandem sagen, was er noch besser machen könnte, ohne dass sich dieser Mensch auf eine verletzende Weise kritisiert fühlt? Heute denke ich, oft ist es besser, zunächst einmal das Positive zu sagen, als das Negative direkt anzugehen. Diese Vorgänge in der künstlerischen Arbeit funktionieren wie in einer Beziehung und sind ein langer und schwieriger Prozess.

 

Trotz aller Bemühungen gibt es allerdings auch Situationen, die es erforderlich machen, dass ein Sänger oder eine Sängerin ausgetauscht wird. Beispielsweise wenn sich die Stimme oder der Künstler anders entwickelt hat, als man drei Jahre vorher, als der Vertrag abgeschlossen wurde, angenommen hat, und daher die Rolle nicht mehr optimal singen kann. Ein anderes, gar nicht so seltenes Beispiel ist, wenn eine Sängerin ein Kind bekommen und die Stimme sich dadurch verändert hat, oder eine Karriere dem Ende entgegengeht. Letztlich ist es eine Entscheidung des Intendanten, denn Verträge müssen gegebenenfalls ausbezahlt werden, aber wenn die Situation sehr schwierig ist, wird der Dirigent dazugeholt. Natürlich geht es nicht zuletzt auch ums Geld. Jeder Mensch hat Fixkosten zu begleichen, vielleicht müssen Wohnungsraten abbezahlt werden, hinzu kommt, dass manche Sänger ihre eigene Leistung vielleicht nicht mehr objektiv sehen und demzufolge nicht merken, dass mit ihrem Auftritt niemandem gedient ist – nicht der Produktion, nicht dem zahlenden Publikum und vor allem nicht dem Sänger oder der Sängerin selbst. In Paris war ich einmal in der Situation, dass ich mich – gegen große Widerstände – durchsetzen musste, dass eine Sängerin ausgetauscht wird. Anders wäre es nicht möglich gewesen, eine für alle Seiten zufriedenstellende Walküre zu machen. Solche Entscheidungen gehören zu den unangenehmsten Momenten in unserem Beruf. Aber je länger man diesen ausübt, desto mehr muss man für Qualität kämpfen und umso weniger Kompromisse darf man eingehen. Ich bin an sich ein gutmütiger Mensch und muss in solchen Situationen lange mit mir hadern, aber letztlich habe ich für meine Standards vor dem Publikum geradezustehen. Man muss sich ein paar Mal die Finger verbrennen, um zu erkennen, dass Kompromisse manchmal nicht möglich sind, denn man hat nicht nur einen Ruf zu verlieren, sondern die Gesamtqualität einer Vorstellung kann durch einen einzigen »Störfaktor« empfindlich hinuntergezogen werden. Mein eigenes Musizieren wird schlechter und das des ganzen Orchesters. Auch die Kollegen auf der Bühne können nicht ihr Bestes geben. Intendantin in Graz war damals Karen Stone, eine echte Ensemblemutter, die viel Theatergeist im Haus versprühte. Sie machte eine spezielle Art von Theater: publikumsfreundlich, aber trotzdem immer mit Niveau. Ihr Vorgänger, Gerhard Brunner, der elf Jahre Intendant gewesen war, hatte sehr interessante Produktionen gemacht, aber Publikum verloren.

Der Beginn unserer Zusammenarbeit war wirklich ein Zauber, Karen Stone war enorm motiviert, führte ein junges, begabtes, harmonisches Ensemble zusammen, es herrschte Aufbruchsstimmung. Ich begann im Spätsommer 2001 in dem wunderschönen Haus mit Eugen Onegin mit der damals ganz jungen Tamar Iveri und dem ebenso jungen Mariusz Kwiecień. Das Orchester war nach der langen cheflosen Zeit hungrig auf Arbeit und ließ sich liebevoll auf den jungen Dirigenten ein. Nie werde ich vergessen, wie ich bei der Premiere nach der Pause herauskam und der Saal jubelte. Das kannte ich in dieser Form noch nicht. Zunächst war es eine sehr schöne Zeit: Fledermaus, Don Carlo, Ariadne auf Naxos und viel englisches Repertoire wie Brittens Turn of the Screw und Peter Grimes. Ich dirigierte meinen ersten Parsifal mit Michaela Schuster, die dabei ihre erste Kundry sang, Stephen Gould mit seinem ersten Parsifal, und Peter Rose gab zum ersten Mal Gurnemanz. Diese Sänger findet man jetzt in diesen Rollen an allen großen Bühnen der Welt, aber damals in Graz fingen wir alle gemeinsam an. Nun trifft man sich überall wieder, und ich freue mich jedes Mal, wenn sich unsere Wege kreuzen. Die Erfahrung des gemeinsamen Beginns verbindet.

In dieser Zeit musste ich viel Repertoire lernen, auch für das Konzertpodium im Grazer Stephaniensaal, denn wir verstärkten auch die Konzerttätigkeit des Orchesters. Meine erste Eroica, Fünfte und Neunte Beethoven, die ersten Mahlersymphonien, das Lied von der Erde und vieles andere mehr haben wir damals erarbeitet. Als Operndirigent hatte ich ja schon einige Erfahrung, aber die Konzerte waren für mich eine neue Herausforderung. Es gab vieles zu entdecken und enorm viel zu lernen. Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass ich damals einfach noch nicht »über« den Werken stand. Ich hatte sie gerade so gelernt, dass ich mit den Musikern arbeiten konnte, aber natürlich fällt man zum Beispiel bei seiner ersten Neunten Beethoven in jede nur mögliche Falle. Man weiß noch nicht, wie bestimmte Übergänge gestaltet werden müssen, oder dass die ersten Geigen an einer ganz bestimmten Stelle auf das erste Horn hören müssen oder Ähnliches. Ich bin sehr froh und dankbar, dass ich diese wichtigen Werke damals in Graz erarbeiten und diese Erfahrungen sammeln konnte.

Ich empfand damals das Grazer Publikum als unglaublich herzlich. Die Menschen kamen mit großer Begeisterung nicht nur in die Oper, sondern vor allem auch in die Konzerte, sodass diese Abende sehr schnell fast schon Kultstatus bekamen. Aber nie werde ich die Worte eines Ersten Klarinettisten vergessen, der, als er in Pension ging, sich bei mir für die Arbeit mit dem Orchester bedankte, abschließend jedoch anmerkte, dass es ihm aber etwas auf die Nerven gegangen sei, dass die Menschen sagten: »Gemma Jordan schauen.« Die Menschen sollten doch in erster Linie wegen der Musik kommen … Er hatte natürlich völlig recht, aber es soll auch nichts Schlimmeres geschehen, als dass ein Publikum neugierig auf junge Künstler ist.

Es waren also sehr produktive und ereignisreiche Jahre, doch dann kam völlig überraschend der Abgang von Karen Stone, was für uns alle ein Schock war. Grund dafür war die Ausgliederung der Oper in eine sogenannte Holding. Davor war Karen Stone Generalintendantin für alle Sparten. Nach der Ausgliederung sollte sie nur noch für den Bereich Oper verantwortlich sein, obwohl ihr Vertrag anders lautete. Es gab Streitigkeiten mit der Politik, sie bekam keinerlei Unterstützung und von einem Tag auf den anderen hieß es dann, dass sie das Haus für die Oper in Dallas verlässt. Plötzlich war ihre schützende Hand für mich weg. Es stand dann auch zur Debatte, ob ich nicht Intendant und Musikdirektor in einer Person sein könnte, aber diese Option war nie ein Thema für mich. Dann wurden diverse mögliche Kandidaten diskutiert und ich brachte den Namen von Roland Geyer ins Spiel, der sehr interessiert war und ein fertiges Konzept präsentierte. Ich selbst hatte einen Dreijahresvertrag, wollte ursprünglich auch länger bleiben, stellte aber Forderungen. Vor allem: mehr Geld für das Orchester, damit bessere Leute zu den Probespielen kämen, wenn die Stellen besser bezahlt würden. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster, pokerte auch vielleicht ein bisschen hoch, aber letztlich wäre ich zunächst noch gerne in Graz geblieben. Allerdings musste ich bald erkennen, dass keinerlei ernsthafte Zusagen seitens der Politik kamen, und wollte mich nicht mit leeren Versprechungen abfinden. Auch wollte ich meine weitere Zeit nicht hauptsächlich mit Kämpfen verbringen und so verlängerte ich schließlich meinen Vertrag nicht. Viele dachten, ich sei im Streit gegangen. Tatsache aber war: Ich habe nur einfach nicht mehr verlängert. Da ich nicht blieb und auch Roland Geyer keine wirkliche Unterstützung bekam, sagte auch er ab. Wir wollten ja ein Team bilden. In der Folge übernahm er dann als Intendant das Theater an der Wien, welches unter seiner Leitung nach langer Zeit wieder ausschließlich ein – höchst erfolgreiches – Opernhaus wurde.

Ich merkte auch sehr bald, dass es letztlich richtig war, in Graz die Notbremse zu ziehen. Intendant wurde schließlich Jörg Koßdorff, der technische Direktor des Hauses. Was in Graz immer am besten funktioniert hatte – noch weit besser als meine Arbeit mit dem Orchester –, war die Technik. Alle Regisseure kamen gerne nach Graz, eben weil die Technik dort so gut arbeitete. Ich mochte Koßdorff, sagte ihm aber ganz offen, dass ich mit ihm nicht diese Chemie spürte, die mich mit Karen Stone verbunden hatte.

Parallel zu dieser am Ende eher unerfreulichen Entwicklung in Graz kamen aber viele interessante Anfragen für mich. Darunter die Wiener Symphoniker, das RSO Wien, die Salzburger Festspiele, die Wiener Staatsoper. Am Ende meiner Grazer Zeit dirigierte ich 2004 in Berlin auch eine Neuproduktion von Hans Werner Henzes Elegie für junge Liebende an der Staatsoper. Zuvor hatte ich dort bereits andere Premieren geleitet, aber da die Elegie ein Werk aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, erregte sie in der Presse viel Aufmerksamkeit. Ich hatte mir das Stück vom neuen Intendanten, Peter Mussbach, gewünscht, der in einer Stadt mit drei Opernhäusern ohnehin lieber neue Werke aufführte, als ständig das herkömmliche Repertoire wieder und wieder zu reproduzieren. Christian Pade, ein damals vielversprechender junger Regisseur, inszenierte. Im Vorfeld gab es Diskussionen über etwaige Kürzungen, ehe sich Henze persönlich einschaltete, der sein Werk natürlich möglichst vollständig sehen wollte. Seinen Wunsch nahm ich mir zu Herzen. Zwei Tage vor der Premiere hatte ich einen Fahrradunfall und musste aufgrund eines riesigen Hämatoms unter Vollnarkose operiert werden. Am Tag der Premiere wurde ich mittags mit zwei Krücken aus dem Krankenhaus entlassen. Zeitgenössische Opern dirigiere ich normalerweise ohnehin sitzend, insofern war das nicht so ein Problem. Die wirkliche Herausforderung erwartete mich dann allerdings beim Schlussapplaus. Ich konnte zwar ein paar Schritte ohne Krücken gehen und mich verbeugen, aber dann kam der schwierigste Moment: Ich musste Hans Werner Henze für den Applaus auf die Bühne bitten. Da er schon Mitte achtzig war, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit und das hatte ich natürlich nicht einkalkuliert. Während er ganz langsam auf die Bühne kam, dachte ich die ganze Zeit: Hoffentlich halte ich noch das Gleichgewicht. Aber Henze zeigte sich angeblich sehr zufrieden mit unserer Arbeit und war auch bei der ganzen Probenarbeit äußerst generös und zurückhaltend. Für mich war es eine wunderbare Erfahrung, den Komponisten bei der Produktion seines Werkes dabeizuhaben.