Guy de Maupassant – Gesammelte Werke

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VI.

Bei dem wei­ßen Tor, wel­ches zwi­schen den Stän­dern aus Back­stein hing, wur­den sie von der Fa­mi­lie und der Die­ner­schaft emp­fan­gen. Der Post­wa­gen hielt an und es er­folg­ten lan­ge herz­li­che Umar­mun­gen. Müt­ter­chen wein­te, und auch Jo­han­na wisch­te sich ei­ni­ge Trä­nen; der Papa ging auf­ge­regt hin und her.

Dann er­folg­te im Sa­lon vor dem Ka­min­feu­er die Auf­zäh­lung der Rei­se­er­leb­nis­se, wäh­rend draus­sen das Ge­päck ab­ge­la­den wur­de. Unauf­hör­lich flos­sen die Wor­te von Jo­han­nas Lip­pen und al­les wur­de er­zählt, die gan­ze Rei­se, in ei­ner hal­b­en Stun­de. Ei­ni­ge Klei­nig­kei­ten viel­leicht wur­den über­gan­gen.

Dann ging die jun­ge Frau dar­an, ihre Pa­ke­te und Pa­ket­chen aus­zu­kra­men, wo­bei Ro­sa­lie voll tiefer Be­we­gung mit­half. Als dies zu Ende war, als das Lei­nen­zeug, die Klei­der und alle mög­li­chen Toi­let­te­ge­gen­stän­de an ih­rem Plat­ze la­gen, ver­liess die Kam­mer­jung­fer ihre Her­rin, und Jo­han­na, al­lein ge­las­sen, setz­te sich nie­der.

Sie frag­te sich, was sie jetzt ma­chen soll­te, in­dem sie sich eben­so nach geis­ti­ger wie nach kör­per­li­cher Be­schäf­ti­gung um­schau­te. In den Sa­lon zu ih­rer schla­fen­den Mut­ter zu­rück­zu­keh­ren, dazu hat­te sie kei­ne Lust; sie hät­te lie­ber einen Spa­zier­gang ge­macht. Aber draus­sen schi­en es so öde zu sein, dass sie schon beim Be­trach­ten der Um­ge­bung vom Fens­ter aus eine Zent­ner­last von Me­lan­cho­lie auf sich her­ab­sin­ken fühl­te.

Da kam ihr denn so recht zum Be­wusst­sein, dass es für sie nichts mehr, auch nie­mals mehr zu tun gab. Ihre gan­ze Ju­gend­zeit über im Klos­ter hat­te sie sich mit der Zu­kunft be­schäf­tigt und Plä­ne ge­schmie­det. Un­ter die­ser fort­ge­setz­ten Träu­me­rei war ihr da­mals die Zeit ver­gan­gen, ohne dass sie es merk­te. Dann kaum den en­gen Schran­ken des Klos­ters ent­wach­sen, in dem ihre Ju­gendträu­me ent­sprun­gen wa­ren, fühl­te sie schon gar bald Herz und Sinn durch die Re­gun­gen der Lie­be in An­spruch ge­nom­men. Den er­hoff­ten Mann se­hen, ihn lie­ben, in kur­z­er Zeit hei­ra­ten, wie es bei sol­chen schnel­len Ent­sch­lies­sun­gen üb­lich, in sei­nen Ar­men ru­hen, ohne erst recht zur Be­sin­nung zu kom­men, das al­les hat­te sich wie im Flu­ge voll­zo­gen.

Aber nun trat statt der sanf­ten Ge­wohn­heit der ers­ten Tage die raue Wirk­lich­keit des all­täg­li­chen Le­bens in ihre Rech­te ein, wel­che al­len un­de­fi­nier­ba­ren Hoff­nun­gen, je­ner an­ge­neh­men auf­re­gen­den Er­war­tung des Un­be­kann­ten für im­mer die Tür schloss. Ja, jetzt war es aus mit al­len Er­war­tun­gen.

Also wei­ter nichts mehr zu tun! heu­te nicht, mor­gen nicht und über­mor­gen nicht. Sie emp­fand das al­les wie eine bit­te­re Ent­täu­schung, eine lang­sa­me Ver­nich­tung ih­rer Hoff­nun­gen.

Dann sprang sie auf und lehn­te die Stirn an die küh­len Fens­ter­schei­ben. Nach­dem sie eine Wei­le den Him­mel be­trach­tet, an wel­chem düs­te­re Wol­ken da­hin­zo­gen, ent­schloss sie sich, aus­zu­ge­hen.

War das die­sel­be Flur, das­sel­be Gras, die­sel­ben Bäu­me wie im Mai? Wo war das son­ni­ge Leuch­ten auf den Blät­tern, wo das poe­ti­sche Grün des Ra­sens ge­blie­ben, auf dem der Lö­wen­zahn em­porflamm­te, die Klat­schro­se ihr blut­ro­tes Haupt er­hob, die Mar­ghe­ri­ten spross­ten und die großen gel­ben Schmet­ter­lin­ge zier­lich von Blü­te zu Blü­te gau­kel­ten? Auch die­ses freu­di­ge Le­ben der Na­tur mit ih­rem wür­zi­gen Duft, mit ih­rer wohl­tu­en­den Frucht­bar­keit war da­hin.

Da la­gen die von an­hal­ten­den Herbst­stür­men zer­zaus­ten Al­leen vor ihr; die Pap­peln streck­ten ihre nack­ten Zwei­ge zum Him­mel em­por, wäh­rend fah­les gel­bes Laub den Bo­den un­ter ih­nen wie ein Tep­pich be­deck­te. Ihre dün­nen Äste zit­ter­ten im Win­de, der die letz­ten dür­ren Blät­ter ab­riss und im wil­den Tan­ze durch die Luft wir­bel­te. Unauf­hör­lich wie ein an­hal­ten­der trost­lo­ser Re­gen fie­len die Blät­ter nie­der, gelb wie große Gold­stücke, bald hier­hin, bald dort­hin, fuh­ren vom Win­de wie­der auf­ge­stö­bert, noch­mals em­por, schlepp­ten sich über den Bo­den hin, um end­lich ihr letz­tes Ru­he­plätz­chen zu fin­den.

Sie ging zum Bos­quet; es mach­te einen trau­ri­gen Ein­druck, wie ein Ster­be­zim­mer. Die grü­ne Mau­er, wel­che die lieb­li­chen ge­wun­de­nen Pfa­de von­ein­an­der trenn­te und ih­nen et­was ge­heim­nis­vol­les ver­lieh, war ent­blät­tert. Hier und dort streck­ten die Zier­sträu­cher, wel­che sonst das Ge­hölz be­lebt hat­ten, ihre ma­ge­ren Zwei­ge em­por. Das Geräusch fal­len­der Blät­ter, wel­che der Wind schüt­tel­te, ab­riss und in Hau­fen auf die Erde streu­te, klang wie das schmerz­haf­te Stöh­nen ei­nes lang­sam Da­hinster­ben­den.

Die klei­nen Vö­gel­chen hüpf­ten mit schril­lem Ge­zirp von Zweig zu Zweig, um ir­gend­wo Schutz zu fin­den.

Durch den dich­ten Vor­hang der Ul­men ge­schützt, wel­che dem See­win­de Ab­bruch ta­ten, hat­ten die Lin­de und die Pla­ta­ne noch ihr Som­mer­kleid be­hal­ten; von den ers­ten Frös­ten ge­trof­fen, schie­nen sie je­doch die Far­be ge­wech­selt zu ha­ben, so­dass die eine wie mit ro­tem Samt, die an­de­re mit oran­ge­far­be­ner Sei­de be­klei­det schi­en.

Jo­han­na ging lang­sam in »Müt­ter­chens Al­lee« längs dem Pacht­hof der Couil­lards auf und ab. Es lag wie eine drücken­de Vorah­nung der end­lo­sen Lan­ge­wei­le ih­res zu­künf­ti­gen ein­för­mi­gen Le­bens auf ih­rer See­le.

Dann setz­te sie sich auf die Ra­sen­bank, wo Ju­li­us ihr zum ers­ten Mal von Lie­be ge­spro­chen hat­te. Dort blieb sie träu­mend, kaum ei­nes Ge­dan­kens fä­hig, sit­zen; sie fühl­te sich müde bis ans Herz hin­an und hät­te sich am liebs­ten nie­der­ge­legt, um die­sen trau­ri­gen Tag zu ver­schla­fen.

Plötz­lich be­merk­te sie eine Möve, wel­che vom Win­de durch die Lüf­te ge­tra­gen wur­de, und da fiel ihr der Ad­ler ein, den sie da un­ten in Kor­si­ka im fins­tern Ota-Tale ge­se­hen hat­te. Ihr Herz emp­fand die leb­haf­te Er­re­gung, wel­che der Ge­dan­ke an et­was Schö­nes, das weit hin­ter uns liegt, her­vor­ruft. Mit ei­nem Male sah sie die herr­li­che In­sel mit ih­rem ei­gen­ar­ti­gen Aro­ma wie­der vor sich, ih­rem Son­nenglanz, in dem die Oran­gen und Citro­nen reif­ten, mit den ro­si­gen Gip­feln ih­rer Ber­ge, dem Azur­blau ih­rer Buch­ten und ih­ren Tä­lern, durch wel­che die Bäch­lein rie­sel­ten.

Da er­weck­ten das feuch­te raue Kli­ma der Hei­mat, der me­lan­cho­li­sche Fall der Blät­ter und die vom Wind ge­jag­ten grau­en Wol­ken in ih­rem Her­zen eine so gren­zen­lo­se Trau­rig­keit, dass sie nach Hau­se ging, um nicht laut auf­wei­nen zu müs­sen.

Müt­ter­chen schlum­mer­te noch im­mer be­hag­lich am Ka­min; sie war der Me­lan­cho­lie die­ser Tage so ge­wohnt, dass sie die­sel­be nicht ein­mal be­merk­te. Der Papa war mit Ju­li­us aus­ge­gan­gen, um mit ihm von Ge­schäf­ten zu spre­chen. Schon senk­te die Nacht ihre fins­te­ren Schat­ten vor­aus in den großen Sa­lon, den der Wi­der­schein des Herd­feu­ers zu­wei­len grell be­leuch­te­te.

Draus­sen konn­te man beim Rest des Ta­ges­lich­tes noch jene trü­be Herbst­na­tur und den grau­en Him­mel be­ob­ach­ten, der über sich selbst zu wei­nen schi­en.

Bald dar­auf er­schi­en auch der Baron, ge­folgt von Ju­li­us. Kaum war er in den fins­tern Raum ge­tre­ten, als er hef­tig läu­te­te und rief: »Licht! aber schnell! es ist ja ganz trau­rig hier.«

Hier­auf setz­te er sich ge­müt­lich an den Ka­min. Sei­ne feuch­ten Schu­he dampf­ten in der Nähe des Feu­ers und der ge­trock­ne­te Schmutz fiel von sei­nen Soh­len.

»Ich glau­be si­cher,« sag­te er, sich be­hag­lich die Hän­de rei­bend, »dass es kalt wird. Der Him­mel ist im Nor­den ganz klar und da­bei ha­ben wir heu­te Voll­mond. Es wird die­se Nacht ge­hö­rig frie­ren.

Nun, Klei­ne«, wand­te er sich an sei­ne Toch­ter, »freust Du Dich, wie­der in der Hei­mat bei den El­tern zu sein?«

Jo­han­na wur­de durch die­se ein­fa­che Fra­ge ver­wirrt. Sie warf sich an den Hals ih­res Va­ters und küss­te ihn hef­tig, die Au­gen voll Trä­nen, als woll­te sie um Ver­zei­hung bit­ten; denn trotz al­ler An­stren­gun­gen, ver­gnügt zu schei­nen, war ihr so bit­ter weh ums Herz. Sie dach­te an die Freu­de, wel­che sie sich von dem Wie­der­se­hen mit den El­tern ver­spro­chen hat­te und war er­staunt über die Käl­te, wel­che jetzt ihre Zärt­lich­keit lähm­te. Es war ihr zu Mute wie Je­man­dem, der in der Fer­ne viel an sei­ne Lie­ben da­heim ge­dacht hat und beim Wie­der­se­hen, gleich­sam als sei er ih­nen ent­frem­det, eine Art Sto­ckung sei­ner Zärt­lich­keit emp­fin­det, bis erst mal die Ban­de des ge­mein­sa­men Zu­sam­men­le­bens sich wie­der er­neu­ert ha­ben.

Das Di­ner dau­er­te lan­ge, aber es wur­de we­nig da­bei ge­spro­chen. Ju­li­us schi­en ganz sei­ne Frau ver­ges­sen zu ha­ben.

Im Sa­lon ließ sie sich hier­auf durch das Ka­min­feu­er ein­schlä­fern. Ihre Mut­ter war wie­der fest ent­schlum­mert. Ei­nen Au­gen­blick wur­de Jo­han­na wie­der durch die Stim­men der zwei Her­ren wach, die über ir­gen­det­was dis­pu­tier­ten; und wäh­rend sie ihre Ge­dan­ken zu sam­meln such­te, frag­te sie sich, ob sie auch be­reits von die­sem dump­fen Stumpf­sinn der Ge­wohn­heit be­fal­len sei, den nichts mehr zu er­we­cken ver­mag.

Die Flam­me des Ka­min­feu­ers, bei Tage mild und röt­lich, wur­de jetzt hell, leb­haft und knis­ternd. Sie warf vor­über­ge­hend ih­ren großen Schim­mer auf die Sti­cke­rei der Mö­bel, auf den Fuchs und den Storch, auf den ein­sa­men Rei­her, auf die Amei­se und die Heuschre­cke.

Der Baron nä­her­te sich dem Feu­er und streck­te lä­chelnd sei­ne fla­chen Hän­de ge­gen das­sel­be aus.

»Ach, das brennt hübsch heu­te Abend«, sag­te er. »Es friert, Kin­der, es friert.«

 

Dann leg­te er eine Hand auf Jo­han­nas Schul­ter und deu­te­te auf das Feu­er.

»Siehst Du, Kind­chen, das ist das Schöns­te und Bes­te auf der Welt, der Herd; der Herd mit den Sei­ni­gen dar­um. Dar­über geht Nichts. Aber wie wär’s, wenn wir schla­fen gin­gen? Ihr wer­det müde sein, Kin­der.«

Als die jun­ge Frau auf ihr Zim­mer ge­kom­men war, frag­te sie sich, wie es mög­lich sei, dass die Rück­kehr nach ein und dem­sel­ben Orte, den man zu lie­ben glaubt, sich so ver­schie­den ge­stal­te. Wa­rum fühl­te sie sich so zer­schla­gen; warum er­schi­en ihr die­ses Haus, die­se teu­re Hei­mat, kurz al­les, was bis da­hin ihr Herz be­wegt hat­te, so geis­te­stö­tend?

Plötz­lich fiel ihr Auge auf die Uhr. Die klei­ne Bie­ne be­weg­te sich stets von rechts nach links und von links nach rechts mit der­sel­ben gleich­mäs­si­gen Hast über den bron­ze­nen Blu­men da­hin. Beim An­blick die­ses klei­nen zier­li­chen Mach­werks, das so täu­schend dem Le­ben nach­ge­ahmt war und des­sen Pen­del­schlag wie das Klop­fen ei­ner Brust er­tön­te, fühl­te Jo­han­na sich von ei­nem Ge­fühl der Zärt­lich­keit er­grif­fen, das sie fast bis zu Trä­nen rühr­te.

Selbst als sie ih­ren Va­ter und ihre Mut­ter um­arm­te, hat­te sie sich nicht so be­wegt ge­fühlt. Das Herz hat eben sei­ne Ge­heim­nis­se, die kein Ver­nünf­teln er­grün­det.

Zum ers­ten Male seit ih­rer Ver­hei­ra­tung ging sie al­lein schla­fen; denn Ju­li­us hat­te, sei­ne große Er­mü­dung vor­schüt­zend, sich auf ein an­de­res Zim­mer zu­rück­ge­zo­gen. Es war üb­ri­gens von vorn­her­ein aus­ge­macht wor­den, dass Je­des sein ei­ge­nes Zim­mer ha­ben soll­te.

Lan­ge konn­te sie nicht ein­schla­fen, so war sie schon dar­an ge­wöhnt, nicht mehr al­lein zu lie­gen. Zu­dem stör­te sie der hef­ti­ge Nord­wind, der an dem Dach des Schlos­ses rüt­tel­te.

Am an­de­ren Mor­gen wur­de sie durch einen hel­len Schim­mer ge­weckt, der ihr Bett mit ro­si­gem Lich­te färb­te. Auch die völ­lig be­reif­ten Fens­ter­schei­ben wa­ren rot, als ob der gan­ze Ho­ri­zont in Flam­men stän­de.

Sie hüll­te sich in einen großen Shawl und rann­te ans Fens­ter, um es zu öff­nen.

Ein küh­ler, rei­ner und ge­sun­der Luft­zug ström­te ins Zim­mer und um­weh­te ihr Ge­sicht, so­dass bei der pri­ckeln­den Käl­te ihr die Trä­nen in die Au­gen tra­ten. An dem pur­purum­säum­ten Ho­ri­zont trat hin­ter den Bäu­men des Parks, röt­lich-glän­zend und im­mer mehr an­wach­send wie ein Traum­ge­bil­de, die Son­ne her­vor. Die mit weißem Reif­frost be­deck­te Erde war hart und tro­cken; sie wi­der­hall­te un­ter den Schrit­ten der Ar­beits­leu­te. In die­ser einen Nacht wa­ren die letz­ten bis­her noch be­laubt ge­we­se­nen Zwei­ge der Pap­peln ent­blät­tert. Jen­seits der Hei­de sah man die brei­te Li­nie der grün­lich schim­mern­den Mee­res­flut mit wei­ßen Schaum­wel­len ge­krönt.

Auch die Pla­ta­ne und die Lin­de ver­lo­ren bei dem hef­ti­gen Stur­me rasch ihr Kleid. Bei je­dem neu­en Wind­stos­se er­ho­ben sich gan­ze Hau­fen von Blät­ter in die ei­si­ge Luft wie ein Schwarm auf­ge­scheuch­ter Vö­gel. Jo­han­na klei­de­te sich an, ging hin­un­ter und ent­schloss sich, um doch ir­gen­det­was zu tun, die Päch­ters­leu­te zu be­su­chen.

Die Mar­tins er­ho­ben vor Er­stau­nen die Hän­de und die Päch­ters­frau küss­te sie auf die Wan­gen; dann nö­tig­te man ihr ein Gläs­chen Zwetsch­gen­geist auf. Sie ging dann zu den Couil­lard’s, wel­che eben­falls die Hän­de zu­sam­menschlu­gen. Die Päch­te­rin küss­te sie auf die Stirn und sie muss­te ein Gläs­chen Jo­han­nis­beer­wein trin­ken.

Hier­auf kehr­te sie zum Früh­stück heim. Der Tag ver­lief wie der vor­her­ge­hen­de; nur war er kalt, wo je­ner feucht war. Und die üb­ri­gen Tage der Wo­che gli­chen ge­nau die­sen bei­den, eben­so wie die wei­te­ren Wo­chen des Mo­nats die­ser ers­ten gli­chen.

All­mäh­lich ver­lor sich ihre Sehn­sucht nach den fer­nen Lan­den. Die Ge­wohn­heit lull­te ihr gan­zes Le­ben in eine Art wi­der­stands­lo­sen Schlaf ein, ähn­lich wie ge­wis­se Wäs­ser die Ei­gen­schaft ha­ben, den Bo­den, den sie trän­ken, zu ver­kal­ken. Mehr und mehr ent­stand wie­der bei ihr ein ge­wis­ses In­ter­es­se an die tau­sen­der­lei Klei­nig­kei­ten des all­täg­li­chen Le­bens; sie be­gann sich den ein­fa­chen und harm­lo­sen Be­schäf­ti­gun­gen ih­res Da­seins mit Sorg­sam­keit zu wid­men. Es ent­wi­ckel­te sich bei ihr eine Art träu­me­ri­sche Me­lan­cho­lie; ihr Le­ben ver­lor das Zau­ber­haf­te, dem sie sich bis­her hin­ge­ge­ben hat­te. Was hät­te ihr ge­fehlt? Wo­nach hät­te sie Ver­lan­gen ge­habt? Sie wuss­te es nicht. Sie be­sass kei­nen welt­li­chen Sinn und so­mit auch kei­ne Ver­gnü­gungs­sucht, nicht ein­mal das Ver­lan­gen nach er­reich­ba­ren Freu­den. Nach wel­chen üb­ri­gens? Al­les ver­blass­te lang­sam vor ih­ren Au­gen, es ver­wisch­te sich und nahm eine fah­le trü­be Fär­bung an, ähn­lich wie die al­ten Mö­bel im Sa­lon, die mit der Zeit ver­bleicht wa­ren.

Ihr Ver­hält­nis zu Ju­li­us hat­te sich voll­stän­dig ver­än­dert. Seit ih­rer Rück­kehr von der Hoch­zeits­rei­se schi­en er ein ganz an­de­rer ge­wor­den; wie ein Schau­spie­ler, der sei­ne Rol­le vollen­det hat und nun sei­ne na­tür­li­che Mie­ne wie­der an­nimmt. Er be­küm­mer­te sich kaum noch um sie, wenn er über­haupt noch mit ihr sprach. Jede Spur von Lie­be schi­en plötz­lich ver­schwun­den zu sein. Nur ganz sel­ten kam er noch nachts zu ihr ins Zim­mer.

Er hat­te die Ver­mö­gens-Ver­wal­tung über­nom­men, be­auf­sich­tig­te die Gü­ter, plag­te die Ar­bei­ter und ver­min­der­te die Aus­ga­ben. Und in­dem er selbst sich die Ma­nie­ren und das We­sen ei­nes bie­de­ren Lan­de­del­man­nes an­eig­ne­te, ver­lor er all­mäh­lich die ele­gan­te vor­neh­me Art, die er als Bräu­ti­gam be­ses­sen hat­te. Er kam aus ei­nem al­ten Jagd­ko­stüm von grau­em Samt mit kup­fer­nen Knöp­fen, das er un­ter sei­ner Jung­ge­sel­len-Gar­de­ro­be wie­der auf­ge­stö­bert hat­te, fast nicht mehr her­aus, ob­schon es über und über voll Fle­cken war. Nicht mehr von dem Dran­ge be­seelt zu ge­fal­len, hat­te er auf­ge­hört sich zu ra­sie­ren, so­dass sein lan­ger und schlecht zu­ge­stutz­ter Bart ihn un­glaub­lich ent­stell­te. Sei­ne Hän­de wa­ren nicht mehr wie einst­mals sorg­fäl­tig ge­pflegt; und nach je­der Mahl­zeit trank er vier oder fünf Gläs­chen Co­gnac.

An­fangs hat­te Jo­han­na ver­sucht, ihm ei­ni­ge zärt­li­che Vor­stel­lun­gen zu ma­chen; aber er hat­te sie in so rau­em Tone er­sucht, ihn in Ruhe zu las­sen, dass sie in Zu­kunft auf wei­te­re Ver­su­che ver­zich­te­te.

Die Wir­kung die­ser Ver­än­de­run­gen auf ihr ei­ge­nes Ge­müt setz­ten sie selbst manch­mal in Er­stau­nen. Er war für sie wie­der ein völ­lig Frem­der ge­wor­den, des­sen Herz und Ge­müt ihr noch ver­schlos­sen wa­ren. Sie dach­te oft hier­über nach und wun­der­te sich, wie es mög­lich sei, dass nach so zärt­li­chen Stun­den, wie sie bei­de sie zu­sam­men ver­lebt, sie sich plötz­lich wie zwei Un­be­kann­te ge­gen­über­stan­den, die nie das Bett mit­ein­an­der ge­teilt hät­ten.

Und warum litt sie ei­gent­lich gar nicht so sehr durch sei­ne Ver­nach­läs­si­gung? War das im­mer so im Le­ben oder hat­te man sie ge­täuscht? Wür­de es auch in Zu­kunft wei­ter nichts mehr für sie ge­ben?

Wenn Ju­li­us hübsch, ele­gant, sau­ber und vor­nehm in sei­nen Ma­nie­ren ge­blie­ben wäre, hät­te sie wahr­schein­lich mehr ge­lit­ten.

Man hat­te be­schlos­sen, dass von Neu­jahr an die jun­gen Leu­te al­lein blei­ben soll­ten, wäh­rend Mama und Papa zu ei­nem mehr­mo­nat­li­chen Auf­ent­halt nach Rou­en zu­rück­kehr­ten, wo sie ja ihr Ho­tel hat­ten. Das jun­ge Paar woll­te die­sen Win­ter Peup­les nicht ver­las­sen, um sich dort völ­lig ein­zu­rich­ten und sich all­mäh­lich an die Stät­te zu ge­wöh­nen, wo sie ihr gan­zes fer­ne­res Le­ben zu­brin­gen wür­den. Aus­ser­dem muss­te Ju­li­us sei­ne jun­ge Frau doch ei­ni­gen Fa­mi­li­en in der Nach­bar­schaft, wie den Bri­se­vil­les, den Cou­te­liers und den Four­vil­les vor­stel­len.

Aber die jun­gen Leu­te konn­ten mit ih­ren Be­su­chen noch nicht be­gin­nen, weil es bis da­hin nicht mög­lich ge­we­sen war, den Ma­ler zu be­kom­men, der die Wap­pen­schil­der an der großen Ka­le­sche ver­än­dern soll­te.

Die alte große Fa­mi­li­en-Equi­pa­ge war sei­ner Zeit vom Baron in al­ler Form dem Schwie­ger­sohn ab­ge­tre­ten wor­den. Und Ju­li­us hät­te um kei­nen Preis der Welt ein­ge­wil­ligt, sei­ne An­tritts-Be­su­che auf den Nach­barsch­lös­sern zu ma­chen, wenn das Wap­pen der La­ma­re nicht ne­ben dem der Le Per­thuis des Vauds ge­glänzt hät­te.

Nun gab es aber auf dem Lan­de dort weit und breit nur einen Mann, der sich noch spe­zi­ell mit der Kunst der Wap­pen­ma­le­rei be­schäf­tig­te, ein Ma­ler aus Bol­bec, Na­mens Ba­tail­le, der der Rei­he nach auf al­len Sch­lös­sern der Nor­man­die be­schäf­tigt war, die kost­ba­ren Schil­de­rei­en auf Kut­schen­schlä­gen zu er­neu­ern.

End­lich ei­nes Mor­gens im De­zem­ber, ge­gen Schluss des Früh­stücks, sah man ein In­di­vi­du­um das Tor öff­nen und di­rekt auf das Schloss zu­schrei­ten. Er trug einen Kas­ten auf dem Rücken. Das war Ba­tail­le.

Man ließ ihn in den Spei­se­saal ein­tre­ten und setz­te ihm wie ei­nem Herrn zu es­sen vor. Sei­ne Kunst, sei­ne fort­wäh­ren­den Be­zie­hun­gen zu der ge­sam­ten Ari­sto­kra­tie des Lan­des, sei­ne he­ral­di­schen Kennt­nis­se mit ei­nem Wor­te, hat­ten ihn zu ei­nem aus­ser­ge­wöhn­li­chen Man­ne ge­stem­pelt, dem die Edel­leu­te die Hand drück­ten.

Es wur­de so­fort Pa­pier und Blei­stift her­bei­ge­schafft, und wäh­rend Ba­tail­le ass, ent­war­fen der Baron und Ju­li­us ihre Wap­pen mit al­len Ein­zeln­hei­ten. Die Baro­nin, die, so­bald es sich um sol­che Din­ge han­del­te, ganz le­ben­dig wur­de, gab ihre Ratschlä­ge dazu. So­gar Jo­han­na nahm an der Be­ra­tung Teil, als ob plötz­lich ir­gend ein ge­heim­niss­vol­les In­ter­es­se in ihr wach ge­ru­fen wäre.

Ba­tail­le gab, ru­hig wei­ter­kau­end, sei­nen Senf dazu, nahm da­zwi­schen mal einen Blei­stift, zeich­ne­te einen Ent­wurf, nann­te die­ses oder je­nes Bei­spiel und be­schrieb alle herr­schaft­li­chen Equi­pa­gen des Lan­des. Sein gan­zes We­sen, sein Geist, sei­ne Art zu spre­chen schie­nen selbst von die­ser vor­neh­men At­mo­sphä­re durch­setzt zu sein.

Es war ein klei­ner Mann mit kurz ge­scho­re­nen grau­en Haa­ren, far­ben­be­schmutz­ten Hän­den und ei­nem durch­drin­gen­den Fir­nis­duft. Wie man sag­te, hat­te er frü­her mal eine häss­li­che Skan­dal­ge­schich­te ge­habt; aber die Ach­tung, mit der ihn alle vor­neh­men Fa­mi­li­en des Lan­des schon be­han­del­ten, hat­te längst die­sen dunklen Fleck ver­wischt.

Nach­dem er mit sei­nem Kaf­fee zu Ende war, führ­te man ihn zu der Re­mi­se, wo der Wachs­tuch-Über­zug von der Ka­le­sche ab­ge­zo­gen wur­de. Ba­tail­le be­sich­tig­te sie ge­nau, ver­brei­te­te sich mit wich­ti­ger Mie­ne über die Grös­sen­ver­hält­nis­se, wel­che er sei­nem Ent­wur­fe ge­ben wür­de und be­gab sich schliess­lich an die Ar­beit, nach­dem er noch dies und je­nes an sei­nem Pla­ne ge­än­dert hat­te.

Die Baro­nin ließ sich trotz der Käl­te einen Ses­sel brin­gen, um der Ar­beit zu­zu­se­hen; und nach­dem man ihr eine Wärm­fla­sche un­ter die Füs­se ge­legt hat­te, be­gann sie ge­mäch­lich eine Plau­de­rei mit dem Ma­ler. Er muss­te ihr von Ver­bin­dun­gen er­zäh­len, die sie noch nicht kann­te, von Ster­be­fäl­len und Ge­bur­ten, wäh­rend sie hin und wie­der aus ih­ren ge­nea­lo­gi­schen Kennt­nis­sen die not­wen­di­gen Er­gän­zun­gen dazu gab.

Ju­li­us war bei sei­ner Schwie­ger­mut­ter ge­blie­ben. Er sass ritt­lings auf ei­nem Stuh­le, sei­ne Pfei­fe rau­chend und hin und wie­der aus­spu­ckend, wäh­rend er auf­merk­sam zu­sah, wie sein Wap­pen ge­malt wur­de.

Bald mach­te auch Papa Si­mon, der sich ge­ra­de mit dem Spa­ten auf der Schul­ter zum Kü­chen­gar­ten be­gab, einen Au­gen­blick Halt, um die Ar­beit zu be­trach­ten. Da die Nach­richt von der An­kunft Ba­tail­les selbst bis zu den bei­den Pacht­hö­fen ge­drun­gen war, so er­schie­nen auch bald die bei­den Päch­ters­frau­en. Sie stan­den aus­ser sich vor Ent­zücken zu bei­den Sei­ten der Baro­nin.


»Nein, wel­che Kunst das er­for­dert, um die­se zier­li­chen Schnör­ke­lei­en fer­tig zu brin­gen« wie­der­hol­ten sie un­auf­hör­lich.

Selbst­re­dend dau­er­te es bis zum an­de­ren Mor­gen ge­gen elf Uhr, bis die Schil­der auf bei­den Schlä­gen vollen­det wa­ren. Alle Welt war schliess­lich da­bei zu­ge­gen, und man zog die Ka­le­sche her­aus, um sie be­wun­dern zu kön­nen, als al­les fer­tig war,

 

Man be­glück­wünsch­te Ba­tail­le, der bald dar­auf, sei­nen Kas­ten auf dem Rücken, wie­der sei­nes We­ges zog. Der Baron und sei­ne Frau, Ju­li­us und Jo­han­na wa­ren dar­in ei­nig, dass der Ma­ler ein Mann von ganz aus­ser­or­dent­li­chen Ta­len­ten sei und es un­ter an­de­ren Um­stän­den ge­wiss zu ei­nem großen Künst­ler ge­bracht hät­te.

Ju­li­us hat­te aus Spar­sam­keits-Rück­sich­ten eine Men­ge Re­for­men ein­ge­führt, wel­che jetzt wie­der wei­te­re Ver­än­de­run­gen not­wen­dig mach­ten.

Der alte Kut­scher war Gärt­ner ge­wor­den, da der Vi­com­te selbst die Zü­gel zu füh­ren pfleg­te. Die Kutsch­p­fer­de wa­ren ver­kauft, um sie nicht un­nö­tig füt­tern zu müs­sen. Da­mit aber je­mand die Zü­gel hielt, wenn die Herr­schaft ab­ge­stie­gen war, so hat­te Ju­li­us einen klei­nen Vieh­jun­gen Na­mens Ma­ri­us zum Die­ner aus­ge­bil­det.

Um aber ein paar Pfer­de zur Hand zu ha­ben, hat­te er in den Pacht­ver­trag der Couil­lard und Mar­tin eine be­son­de­re Klau­sel ein­ge­fügt, wo­nach die bei­den Päch­ter ver­pflich­tet wa­ren, ein­mal im Mo­nat an ei­nem von ihm zu be­stim­men­den Tage je­der ein Pferd zu stel­len, wo­für sie von der Lie­fe­rung von Ge­flü­gel be­freit wa­ren.

Nach­dem die Couil­lards eine große brau­ne Stu­te und die Mar­tins einen klei­nen zot­ti­gen Schim­mel her­bei­ge­bracht hat­ten, wur­den die bei­den Tie­re zu­sam­men­ge­spannt. Ma­ri­us, den man in eine alte Li­vree des Papa Si­mon ge­steckt hat­te, fuhr die­ses selt­sa­me Ge­fährt vor die Ram­pe des Schlos­ses.

Ju­li­us hat­te in sei­nem gu­ten An­zug mit sei­ner schlan­ken Tail­le in et­was sei­ne eins­ti­ge Ele­ganz wie­der­ge­fun­den; aber sein lan­ger Bart ver­lieh ihm trotz­dem ein ge­wöhn­li­ches Aus­se­hen.

Er be­trach­te­te das Ge­schirr, den Wa­gen, so­wie den klei­nen Die­ner, und schi­en von sei­ner Prü­fung be­frie­digt. Für ihn hat­te vor al­lem nur das neue Wap­pen Be­deu­tung.

Die Baro­nin, wel­che am Arme ih­res Gat­ten die Trep­pe her­ab­ge­kom­men war, stieg müh­sam ein, und nahm, eine Men­ge Kis­sen im Rücken, Platz. Jo­han­na er­schi­en gleich­falls. An­fangs lach­te sie über die Zu­sam­men­stel­lung der bei­den Pfer­de; der Schim­mel, be­haup­te­te sie, sähe aus, wie das Kind der brau­nen Stu­te. Dann be­merk­te sie Ma­ri­us, des­sen Kopf un­ter dem be­tress­ten Hute ver­schwand; nur die Nase hin­der­te den­sel­ben, noch tiefer zu sin­ken, wäh­rend sei­ne Hän­de von den viel zu lan­gen Är­meln voll­stän­dig ver­deckt wur­den. Sei­ne Bei­ne wa­ren fast un­sicht­bar un­ter den lan­gen Schös­sen der Li­vree, un­ter de­nen die Füs­se in enor­me Stie­fel ge­steckt, selt­sam her­vor­rag­ten. Als sie sah, wie er den Kopf zu­rück­bog, um se­hen zu kön­nen, wie er beim Ge­hen das Knie beug­te und die Füs­se hob, als woll­te er einen Bach über­schrei­ten, oder wie ein Vo­gel, der zum Flie­gen an­setzt, ganz ver­sun­ken und ver­lo­ren in sei­ner wei­ten Be­klei­dung, brach sie in ein un­wi­der­steh­li­ches end­lo­ses Ge­läch­ter aus.

Der Baron wand­te sich um, sah sich den be­stürz­ten klei­nen Mann an, und wur­de der­ar­tig von Jo­han­na’s Ge­läch­ter an­ge­steckt, dass er kaum spre­chen konn­te, wäh­rend er sei­ner Frau zu­rief:

»Sieh, sieh nur den Ma-Ma-Ma­ri­us an! Ist das ko­misch! Nein, sieht der ko­misch aus!«

Nun wur­de auch die Baro­nin, wel­che sich zum Schla­ge her­aus­lehn­te und den Jun­gen be­trach­te­te, von ei­nem sol­chen Lach­an­fall er­grif­fen, dass die Ka­le­sche auf den Fe­dern hin und her­tanz­te, als wür­de sie durch hef­ti­ge Stös­se er­schüt­tert.

»Was habt ihr denn so zu la­chen? Ihr müsst rein när­risch ge­wor­den sein,« frag­te Ju­li­us jetzt krei­de­bleich vor Är­ger.

Jo­han­na, or­dent­lich krank vor La­chen und un­fä­hig, sich wie­der zu be­ru­hi­gen, setz­te sich auf eine Trep­pen­stu­fe; der Baron tat des­glei­chen. Aus der Ka­le­sche ver­kün­de­te krampf­haf­tes Ki­chern, ver­bun­den mit ei­ner Art kol­lern­dem Geräusch, dass die Baro­nin bei­na­he er­stick­te. Jetzt fing es plötz­lich un­ter Ma­ri­us Man­tel auch an zu zu­cken; er hat­te ohne Zwei­fel die Ur­sa­che des all­ge­mei­nen Ge­läch­ters be­grif­fen und lach­te in sei­ner Um­hül­lung aus Lei­bes­kräf­ten mit.

Ju­li­us stürz­te zor­nig vor. Mit ei­ner kräf­ti­gen Ohr­fei­ge schleu­der­te er den be­tress­ten Hut vom Haup­te des Jun­gen, dass er bis auf den Ra­sen flog.

»Mir scheint,« wand­te er sich hier­auf mit zorn­be­ben­der Stim­me an sei­nen Schwie­ger­va­ter, »Sie hät­ten den we­nigs­ten Grund zum La­chen. Es wäre nicht so­weit mit uns ge­kom­men, wenn sie nicht Ihr Ver­mö­gen ver­schleu­dert und un­se­re Mit­gift auf­ge­zehrt hät­ten. Wer trägt denn die Schuld an die­sem Vor­fall?«

Alle Hei­ter­keit war so­fort wie von ei­nem ei­si­gen Win­de fort­ge­bla­sen; nie­mand sprach mehr ein Wort. Jo­han­na, der die Trä­nen in den Au­gen stan­den, stieg still zu ih­rer Mut­ter ein. Der Baron setz­te sich über­rascht und sprach­los den Da­men ge­gen­über. Ju­li­us schwang sich auf den Bock und zog den heu­len­den Bur­schen zu sich her­auf, des­sen Ba­cke an­ge­schwol­len war.

Der Weg war lang­wei­lig und schi­en sich end­los aus­zu­deh­nen. Im Wa­gen herrsch­te Schwei­gen. Ver­stimmt und ver­le­gen, wie sie alle drei wa­ren, woll­te doch kei­nes dem an­de­ren zu­ge­ste­hen, was ihre Her­zen be­schäf­tig­te. Aber sie fühl­ten, dass es ih­nen un­mög­lich ge­we­sen wäre, von an­de­ren Din­gen zu spre­chen; so sehr hiel­ten ihre trau­ri­gen Ge­dan­ken sie be­fan­gen. Sie woll­ten da­her lie­ber ganz schwei­gen, als die­ses un­lieb­sa­me The­ma be­rüh­ren.

Die Ka­le­sche fuhr in dem un­ega­len Trab der bei­den Gäu­le über die Höfe der bei­den Päch­ter­woh­nun­gen. Hier und da sto­ben ei­ni­ge schwar­ze Hüh­ner er­schreckt aus­ein­an­der und ver­schwan­den in der He­cke; ein Wolfs­hund ver­folg­te bel­lend den Wa­gen, sprang dann wie­der nach sei­ner Stroh­hüt­te zu­rück und wand­te sich aber­mals um, um dem . Wa­gen nach­zu­bel­len. Ein Bur­sche, der in schmut­zi­gen Holz­schu­hen mit schlot­te­ri­gen Kni­en, die Hän­de tief in den Ho­sen, sei­nes We­ges ging, wäh­rend der Wind ihm den blau­en Kit­tel im Rücken auf­bläh­te sprang zur Sei­te, um den Wa­gen vor­über­zu­las­sen. Lin­kisch zog er sei­ne Müt­ze und zeig­te sei­ne schlicht am Kop­fe an­lie­gen­den Haa­re.

So fuh­ren sie an ei­nem Pacht­ho­fe nach dem an­de­ren vor­über, zwi­schen de­nen sich die kah­len Fel­der aus­dehn­ten.

End­lich bog man in eine große Tan­nen­al­lee ein, wel­che auf die Stras­se mün­de­te. Die tief aus­ge­fah­re­nen Ge­lei­se ver­ur­sach­ten eine hef­ti­ge Schwan­kung des Wa­gens, und Müt­ter­chen stiess mehr­mals einen lau­ten Schrei aus. Ein wei­ßes Tor am Ende der Al­lee war ge­schlos­sen, so­dass Ma­ri­us ab­sprin­gen muss­te, um es zu öff­nen. Man fuhr um einen großen Ra­sen­platz her­um und kam schliess­lich vor ei­nem ho­hen ge­räu­mi­gen und düs­ter aus­se­hen­den Ge­bäu­de an, des­sen Lä­den ge­schlos­sen wa­ren.

Plötz­lich öff­ne­te sich die mitt­le­re Türe und ein al­ter gich­ti­scher Die­ner in ro­ter, schwarz­ge­streif­ter Wes­te, wel­che teil­wei­se von ei­ner Schür­ze be­deckt war, stieg lang­sam die Trep­pen­stu­ten her­ab. Er bat um die Na­men der Herr­schaf­ten und führ­te sie in einen ge­räu­mi­gen Sa­lon, des­sen her­ab­ge­las­se­ne Ja­lou­si­en er müh­sam auf­zog. Die Mö­bel wa­ren mit Über­zü­gen ver­se­hen, die Uhr und die Leuch­ter in Lein­wand ein­gehüllt. Eine dump­fe, feuch­te ei­si­ge Luft, eine Luft wie von al­ter Zeit herrsch­te in die­sem Rau­me und stimm­te un­will­kür­lich zur Trau­rig­keit.