Alua

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Gesine Kunst

Alua

Das Mädchen aus dem brasilianischen Regenwald

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Alua, die Tochter des Krabbenfischers

Festas Junitas oder Schatten über Celina

Reise zu den Zwergschulen im Amazonasgebiet

Eine böse Überraschung

Geschichte erleben

Die Landbesetzer, sem terras genannt

Das Mädchen mit dem Schlangenkörper

Iemanjá

Der beschwerliche Weg zum Zuckerrohrbaron

Götter und Schule

Der Rausch weicht der Ernüchterung

Celina geht erneut auf Reisen

Alua kehrt ins Bordell zurück

Eine weitere Attacke Dom Júlios

Krank und hilflos

Dom Augusto lüftet sein Geheimnis

Ausweglos

Aluas lange Wanderschaft beginnt

Großvaters Geständnis

Auf der Suche nach Dom Manuel

Joãos Begegnung mit der Kirche

Großmutter

Alua im Hause von Dona Lama

Gefühle

Schatten über dem Amazonas

Die endlose Straße

Eine schier unlösbare Aufgabe

Aluas beschwerlicher Weg nach Hause

Pro & Contra Regenwalderhaltung

Wohlbehütet im terreiro

Die öffentliche Anhörung am See

Großmutters Tod

Wiedersehen mit cobrazinha

Großmutters Tagebuch

Agrarreform

Alua und Mare

Die Landlosen machen mobil

Das darf doch nicht wahr sein

Großmutters Kindheit

Aluas Reise mit Mare ins Unbekannte

Círio in Belém

Chicas Leben im Kloster

Die Rechnung von Celinas Vater geht nicht auf

Chica auf den Spuren ihrer Vorväter

Alua in großer Bedrängnis

Und wieder geht ein Schuljahr zu Ende

Großmutter und das candomblé

Ist Aluas Irrfahrt beendet?

Dom Augusto hilft seiner Enkelin aus der Klemme

Großmutter wagt einen neuen Anfang

Was sagt dir der Círio 2005 von Belém?

Mare

Celina und João reisen zum See am baixo Amazonas

Alua ist ratlos

Ein Blick in die Zukunft

Alua orientiert sich neu

Der letzte Vormittag auf dem Schiff

Alua unterrichtet die sem terras

Besuch in Solidão

Überfall mit schlimmen Folgen

Solidão Velho

Volles Risiko

Es gibt vieles zu bedenken

Bauxitabbau und seine Folgen

Kleine Schulerfolge und Mares Festnahme

Wandernde Sandbänke

Erkenntnisse

Die Bedrohung durch die sem terras wächst auch für Dom Augustos kleines Reich

Was nun, Alua

Gereicht die Entwicklung Amazôniens zum Segen oder Fluch der paraenser Bevölkerung?

Eine clevere Geschäftsfrau

João gerät in Bedrängnis

Alua kämpft sich nach oben

Kalt gestellt

Celinas Zwiegespräch mit Großmutter

Mares wiedergewonnene Freiheit

Aluas Gefühle auf dem Prüfstand

Bankgeschäfte

Malaria

Krankheit

Ein ungebetener Gast

Die Trennung

Alua, wieder auf der Wanderschaft

Flucht nach São Paulo

Was Celinas Briefe verschweigen

Ankunft in der Metropole

Zu Besuch in Solidão velho

Sühne für den Mord an der Missionarin

Zurück in São Paulo

Joãozinha

Alua wird ihrer neuen Aufgabe gerecht

Ein schicksalhafter Brief

Ende der Schonfrist

 

Kulturschock

João in großer Bedrängnis

Aluas Frankreichaufenthalt neigt sich dem Ende zu

João kehrt an den Amazonas zurück

Abschied von São Paulo

Alua kehrt ins terreiro zurück

Von den Armen geliebt – den Offiziellen ein Dorn im Auge

Iemanja, Oxum und Nanã Boruque

Einschulung

Alua und das candomblé

Und wieder ist Círio

Wie Alua in die Rolle der Iemanjá schlüpft

João auf dem Weg nach Solidão velho

Dom Augusto und Celina ziehen Bilanz

Spenden

Alua vor dem Ältestenrat

Erste Begegnung

João als Tourist in Brasilien

Lúcios Leben im Interior

João und Joãozinha

Wahlvorbereitungen

Lúcio fasst Fuß

Stille vor dem Sturm

Das Ende der Kommunalwahlen

Rita

Alua besucht den Ort ihrer Kindheit

Die „sem terras“ rüsten auf

Wie soll es weitergehen, Rita?

IPTU, die Grundsteuer Brasiliens

Ritas Verwandlung

Maxi ist tot

Kein Ersatz für João

Die erste Liste der säumigen Steuerzahler

Lúcio besucht seinen Vater

Religionsunterricht

Kulturwoche

Gewalt

Rita gerät in Bedrängnis

Amtseinführung

Hinrichtung auf der Müllhalde

Ein neuer Anlauf zur Landverteilung?

Joãozinha, wohin führt dich dein Weg

„Luxuriöse Wohnanlage besetzt“

Lúcio strampelt sich frei

Die Begrüßungszeremonie zum 15. Geburtstagsfest

Alua streckt die Fühler nach ihrem Sohn aus

Das Bankett

Fälschung oder Irrtum

Joãozinha

Dom Augusto und Celina ziehen Resumée

Beerdigung unter Polizeischutz

Joãozinha und Lúcio

Indios besetzen die Transamazônica

Joãozinha kehrt in die Lehranstalt „Dom Augusto“ zurück

Der einsame Strandläufer von Canudos

Dom Augustos Lehranstalt fusioniert mit privater Universität

Arraia attackiert Manager

Dom Augustos Lehranstalt lässt die Armen im Stich

Regt sich Aluas Gewissen?

Celina sucht ein Gespräch mit Joãozinha

Austauschschülerin aus Frankreich

Die Entstehungsgeschichte Parás

Lúcio verbringt seine Semesterferien in Belém

Ein Spaziergang durch Belém

Skandale ohne Ende

Ein empfindlicher Schlag gegen die Drogenmafia

Dom Augustos Tod

Aluas Begegnung mit ihrem Sohn

Verzweifelt Celina?

Joãozinha geht ihren Weg

Celinas alter Kampfgeist erwacht

Impressum neobooks

Alua, die Tochter des Krabbenfischers

Trotz der Schwüle in dem abgedunkelten Raum überläuft Alua ein kalter Schauer, als sie sich vorsichtig zu der zusammengerollten Gestalt hinabbeugt, die sich von Fieberkrämpfen geschüttelt auf einer dünnen Matte aus Palmblättern windet. „Ist dies Mare, ihre Mensch gewordene Schlange?“, denkt Alua erschaudernd. Hilfesuchend streckt ihr der Kranke die Arme entgegen, doch in seinem Fieberwahn erkennt er Alua nicht. Wenn sie den Unglücklichen jetzt verlässt, wird er elendiglich sterben. Eine innere Stimme flüstert ihr zu: „Alua, lass die Schlange verenden, und du wirst frei sein. Ihr böser Geist, der in der Nacht deiner Geburt in dich gefahren ist, wird für allezeit von dir weichen.“ Leise verriegelt Alua den Fensterladen und schleicht aus der Hütte. Rasch zieht sie ihr Canoa unter den Lianen hervor und schiebt es in den grün schimmernden Flussarm des Amazonas. Geschickt springt sie in das schwankende Boot, um mit kräftigen Ruderschlägen ihrem Schicksal zu entrinnen. Doch ihre Arme wollen ihr nicht gehorchen. Alua beugt sich erschöpft über den Bootsrand, um mit der Hand kühlendes Wasser zu schöpfen. Als sie ihr Spiegelbild im Fluss gewahr wird, fährt sie entsetzt zurück. Es ist nicht sie, Alua, deren Gesicht sich im Wasser widerspiegelt, es ist die Fratze einer Schlange, die Mares Gesichtszüge trägt. Da taucht ein weiteres Antlitz in dem Wasserspiegel auf. Die ersten Sonnenstrahlen verleihen ihm einen goldenen Glanz. Alua reibt sich die Augen. Kein Zweifel, es ist Nanã, die sie mit vorwurfsvollem Blick anstarrt. Drohend erhebt sie die Hand. Ihre Stimme schallt laut über das Wasser, als sie dem Mädchen zuruft, ob es nochmals zur Mörderin werden wolle. Gleichzeitig strecken sich Alua aus dem Wasser zwei dünne Ärmchen entgegen und ein verzweifelter Hilferuf zerreißt Aluas Herz. Es ist der Kleine, dessen Seele keine Ruhe finden kann. Ernüchtert wendet Alua ihr Canoa. Wie ein Pfeil schießt das Boot unter Aluas nun kraftvollen Ruderschlägen zum Ufer zurück. Sie eilt zur Hütte. Sie wird den Kranken waschen und frisch betten, bevor sie ihm aus den Kräutern, die sie am Waldessaum sammeln wird, einen fiebersenkenden Trank braut. Bis Alua den Kranken versorgt hat vergeht geraume Zeit. Im Fieberwahn schlägt er um sich, und nur mit Mühe gelingt es Alua, ihm tropfenweise den bitteren Tee einzuflößen. Immer wieder verschluckt er sich und droht zu ersticken. Nach getaner Arbeit ist das Mädchen total erschöpft und fällt in einen unruhigen Schlummer, der es auch heute, gleich einem Wachtraum, zu der Stunde ihrer Geburt zurückbringen wird: Ihre Eltern nennen das kleine Bündel, das da in einer Vollmondnacht aus dem Schoß der Mutter gleitet, liebevoll Alua. Stolz tritt der Vater mit dem feingliedrigen Menschenkind vor seine windschiefe Holzhütte am Ufer des Amazonas. Triumphierend streckt er die Arme dem Vollmond entgegen und jauchzt: „Endlich ist meine Mondgöttin geboren.“ Nachdem seine Gattin schon vier Knaben das Leben geschenkt hat, pausbäckigen Bürschlein, mit plattgedrückten Nasen und struppig-schwarzen Haaren, begräbt der Krabbenfischer jegliche Hoffnung auf eine Tochter. Und nun dieses elfenhafte Wesen, das der Fischer mit seinen schwieligen Händen kaum anzufassen wagt. Es grenzt schon an ein Wunder, wie dieses grobschlächtige Elternpaar so ein zauberhaftes Elflein zeugen konnte. Wieder will der überglückliche Vater einen fast tierischen Freudenschrei ausstoßen, doch dieses mal verstummt er abrupt. Mit weit aufgerissenen Augen sieht der Fischer, wie sich eine dunkle Wolke vor den Mond schiebt, obwohl die Nacht sternenklar ist. Um ein Haar rutscht dem Vater die Kleine aus den zitternden Händen, denn er ahnt, wer da im Begriff ist, den Mond zu verdunkeln.Während er noch wie hypnotisiert zum Himmel starrt, windet sich langsam die gefürchtete Schlange cobrazinha aus der Wolke und gleitet züngelnd der Erde entgegen. Ihr Ziel ist Alua. Aufschreiend stürzt der Vater in die Hütte zurück. Er hat es genau gesehen, die stechenden Augen der Schlange und ihre pfeilartig hervorschießende Zunge haben sich in den weit aufgerissenen Augen seiner Tochter widergespiegelt. Der Vater weiß, was dies bedeutet. Die Kleine hat von dem Schlangengift gekostet und wird nur schwerlich vor den finsteren Mächten, die von ihrer Seele Besitz ergreifen wollen, gerettet werden können. Die Mutter sieht das Entsetzen im Gesicht des vor Angst schlotternden Gatten. Sie verflucht den Unglücklichen. „Wie kannst du es wagen, mit dem Neugeborenen vor die Hütte zu treten, bevor es getauft und den heiligen Mächten anvertraut ist“, schreit sie hysterisch. Jahre sind seit jener Nacht vergangen. Alua wächst heran, ohne dass die Eltern etwas Auffälliges in ihrem Verhalten feststellen können. Trotzdem vermeiden der Fischer, Dom Pedro, und seine Frau, Dona Elisa, dass Alua in den Vollmondnächten vor die Hütte tritt. Sobald der Mond groß und rund am Firmament spazieren geht, schließen sich die caboclos, so nennt man die Fischer, die an den Ufern der dunklen Regenwaldflüsse leben, ängstlich ein. Der Vater verstopft die Ritzen in der Holzhütte sorgfältig mit Palmblättern, damit auch nicht nur ein verirrter Mondstrahl der Schlange cobrazinha den Weg in den Wohnraum zeigen kann. Dom Pedro wird nicht müde, seiner verwundert drein blickenden Kinderschar im monatlichen Rhythmus die Legende von dem kleinen Mädchen zu erzählen, das sich in den Jüngling im Silberkleid, der im Mond zu Hause ist, verliebt hat. Jedes mal, wenn der Angebetete vorüberzieht, fleht das Kind ihn an, es doch mitzunehmen. Oft glaubt es, dass er ihm zulächelt oder sogar aus seinem Mondhaus heraustritt und es auffordert, mitzukommen. Eines Tages packt das liebeskranke Kind seinen Kleiderbündel und beschließt, dem Jüngling im Silberkleid zu folgen. Lange sitzt es auf dem kleinen Hügel hinter seinem Elternhaus und blickt sehnsüchtig zum Nachthimmel: Jetzt lugt der Mond über die Wipfel der samaumeira, rasch kommt er näher, nun ist er unmittelbar vor dem Kind. Der Jüngling winkt dem Mädchen lächelnd zu. Da springt das Kind auf und läuft durch die Nacht, so schnell es seine kleinen Füßchen tragen. Enttäuscht muss es feststellen, dass sich der Abstand zwischen ihm und dem Jüngling wieder vergrößert. Das Mädchen schluchzt auf: „Das darf nicht sein!“ Nun erreicht es den dunklen See, vor dem es sich am Tag so fürchtet. Doch welch eine Freude, der Jüngling ist herabgestiegen und lacht ihm aus dem kühlen Wasser entgegen. Er nimmt im See ein Bad, und die silbernen Wassertropfen spritzen hoch in die Luft. Aufjubelnd stürzt sich das Mädchen in das kühle Nass und direkt in die Arme des Geliebten. Am nächsten Tag erblüht an jener Stelle, an der sich die Kleine ins Wasser warf, eine wunderschöne Blume. Sie hat Blätter so groß wie ein riesiges Tablett. Die aufgerollten Blattenden sind karminrot, und eine weiße Blüte verströmt einen verführerischen Duft. Der Vater schließt mit den Worten: „In dieser Nacht ist Vitória Régia geboren.“ Die Kinder hängen mit verzücktem Blick an Dom Pedros Lippen. Sie wissen, der Vater hat die Wahrheit gesprochen, wie sonst könnte es die herrlichen Blumen in dem kleinen Teich nahe ihrer Hütte geben. Heute wird Alua sieben Jahre alt. Eine Geburtstagsfeier findet nicht statt. Feste feiern gestattet der Familie ihre strenge protestantische Religion nicht. So läuft das Mädchen, wie jeden Morgen, zum Fluss. Dort wird es mit seinen Brüdern Holzstückchen im Wasser treiben lassen. Die Knaben warten auf den Vater, der schon frühzeitig in seinem schwankenden Kahn den Fluss hochgestakt ist. Bevor die Flut kommt, muss er die Fischreusen leeren. Wenig später verteilt Dom Pedro die Krabben gleichmäßig auf vier Eimer. Die Jungen trotten Richtung Stadt. Sie müssen sich beeilen. Nur wer früh aufbricht, hat eine Chance, seine Krustentiere an den Mann zu bringen. Viel ist jetzt nach den Sommerferien eh nicht mehr zu verdienen. Die letzten Touristen sind am Wochenende abgereist, und die Inselbewohner decken ihren Fischbedarf weitestgehend aus eigener Fischerei. Nach Alua schenkt die Mutter noch drei weiteren Töchtern das Leben. Die Freude über jedes Neugeborene ist groß, obwohl mit jedem weiteren hungrigen Mäulchen die Not in der Hütte des Fischers noch größer wird. Seit Aluas Geburt vermeidet der Vater es peinlichst, nochmals vor der Taufe mit einem Neugeborenen vor die Hütte zu treten. Für den Krabbenfischer ist der tägliche Kampf ums Überleben zum Alltag geworden. Längst ist die Farbe an den Außenwänden seiner schiefen Holzhütte abgeblättert. Das einst strahlende Blau ist einem unansehnlichen Grau gewichen. Mehr als die fehlende Farbe an der Außenfassade beunruhigt den Fischer aber, dass die gewaltigen Tropenregen das Holz aufzufressen beginnen. Aus dem Erdreich kriecht die Fäulnis unaufhaltbar an den Wänden empor. Im Innern des Wohnraumes sieht es noch trostloser aus. Grobe, unbehandelte Bretter, grau wie der Himmel in der Regenzeit, laden die Bewohner nicht zum Verweilen ein. So ist es den Kindern nicht zu verdenken, dass sie, sobald am Morgen die ersten Sonnenstrahlen durch die dichtblättrigen mangeiras blinzeln, nach draußen eilen. Weg von der Feuchtigkeit, die seit der letzten Regenzeit nicht mehr aus dem Holzfußboden weicht. Die Bretter wölben sich auf, und der Geruch von Fäulnis ist zum festen Bestandteil des Wohnraums geworden. Kein Wunder, dass die Lunge der Letztgeborenen bereits angegriffen ist. Die Fieberschübe und der röchelnde Atem des Säuglings lassen den Fischer und seine Frau weder am Tage noch in der Nacht Ruhe finden. Die kärgliche Einrichtung der Wohnung besteht aus einem krummen Holzregal, vier verschlissenen Hängematten, die sich die Bewohner teilen müssen, und einem wackeligen Hocker. Hinter der hochgeschlagenen Bastmatte, die als Raumteiler dient, steht ein vom Rost zerfressener Gasherd. Mangels Geld für eine Gasflasche ist er jetzt schon zwei Wochen außer Betrieb. Auf dem selbst gezimmerten Tisch türmt sich gespültes und ungespültes Geschirr. Der Krabbenfischer gibt sich einen Ruck. Heute wird er mit seiner Frau sprechen. Alua muss endlich auch zum Unterhalt der Familie ihr Scherflein beitragen. Es geht nun doch wirklich nicht an, dass sie den ganzen Tag am Fluss herumstrolcht. Er hat lange nachgedacht. Nun weiß er, wie er seine Frau dazu bringen wird, dass sie endlich einwilligt, die Kleine als Kindermädchen zu verdingen. Der Fischer betritt den Wohnraum. Zerstreut streicht er der Kleinen über das dunkle, seidig glänzende Haar, bevor er sich seiner Gattin zuwendet. Mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet, sagt er: „Frau, entweder nimmt Alua die Stelle als Kindermädchen bei Dona Clara an, oder sie kann auch dieses Jahr nicht eingeschult werden. Schulkleidung für fünf Kinder, das ist nun wirklich nicht zu schaffen, und die drei Kleinen können auch nicht ewig nackt herumlaufen, damit ihre schäbigen Shorts und Trikots für die Gebetsstunden erhalten bleiben.“

 

Dona Elisa legt seufzend die Hosen ihres Ältesten beiseite. Seit geraumer Zeit versucht sie vergebens auf dem rechten Knie einen Flicken aufzubringen. Der Stoff löst sich buchstäblich unter ihren Fingern auf. Sie weiß wie recht ihr Mann hat. Jeder Tag ist ein Kampf ums nackte Überleben und so mag es nicht verwundern, dass aus der einst fröhlichen Elisa, die zu jedem Schabernack bereit war, eine vorzeitig gealterte Frau geworden ist. Zudem hat sie durch die Schwangerschaften ihre knabenhafte Figur eingebüßt. Ihre Hüften wurden breit, ihr dunkles Haar durchziehen graue Strähnen und die einst so keck blickenden Augen schauen melancholisch zu ihrem Mann auf, dem sie heute nicht zu widersprechen wagt. Der Abend naht. Die Mutter streift Alua ihr einziges Kleidchen über. Eigentlich verdient es diese Bezeichnung nicht mehr, denn es gleicht eher einem Spinnengewebe. Dann stapft sie mit der Kleinen los. Furcht steigt in ihr auf. Wenn die Stelle als Kindermädchen vergeben ist, wie soll sie da die Schulden bei dem Kaufmann begleichen, die sie ihrem Mann bis jetzt verheimlichen konnte? Alua, die nichts von den Sorgen der Mutter ahnt, hüpft munter neben derselben her. Wie immer trägt sie ihre Schuhe in der Hand bis sie die steile Uferböschung zur Straße hochgeklettert sind. Die ärmlichen Hütten der Krabbenfischer stehen im Gezeitenbereich von Ebbe und Flut des Amazonasdeltas. Auf diesen Küstenstreifen im Schlick erheben selbst die sem terras keine Besitzrechte. Die Mutter hetzt mit Alua die spärlich beleuchtete Küstenstraße entlang. Außer Atem kommen die beiden erbärmlichen Gestalten an dem Häuschen an, in dem man ein Kindermädchen sucht. Die Eile der Mutter hat noch einen weiteren Grund: heute ist Vollmond. Ängstlich schaut Dona Elisa zu dem verhangenen Himmel und betet, dass es nicht aufklart, bevor sie nach Hause zurückgekehrt sind. Erschöpft stehen sie vor dem unscheinbaren Lehmhäuschen. Das Geplärr der sich im Haus balgenden Kinder übertönt ihr zaghaftes „in die Hände klatschen“. Eine Klingel gibt es nicht. Ängstlich verbirgt sich Alua im Faltenrock der Mutter und versucht diese von dem Lehmhaus wegzuziehen. Da verschwinden, wie von Zauberhand weggewischt, die dunklen Wolken am Nachthimmel. Groß und rund, gleich einem überdimensionalen Lampion, schaukelt der Mond über den Baumwipfeln. Die Mutter unterdrückt einen Aufschrei. Eine einzelne dunkle Wolke schiebt sich soeben vor den Mond. Bewegungsunfähig muss sie mit ansehen, wie die Schlange cobrazinha aus der Verdunkelung herauskriecht und in vielen Windungen auf Alua zuschlängelt. Die Kleine streckt der Schlange mit einem verzückten Lächeln die dünnen Ärmchen entgegen. In diesem Augenblick öffnet sich knarrend die Hüttentüre. Eine ungepflegte Frauengestalt tritt heraus und fragt in barschem Ton, wer da zu so später Stunde zu stören wage? Mutter und Tochter stehen verwirrt in der Dunkelheit. Wo ist der Mond geblieben? Die Nacht ist wieder rabenschwarz. Nur in Aluas Augen sprühen verdächtige Funken. Die Mutter weiß, dass sich die züngelnde Schlange noch immer in den Augen ihrer Tochter widerspiegelt.

Die schnarrende Stimme von Dona Clara bringt die Fischerfrau in die Wirklichkeit zurück. Die Herrin der Hütte hat ihr fettiges Haar zu einem zotteligen Knoten hoch gesteckt. Ihr rundes, von Mitessern übersätes Gesicht wirkt aufgedunsen. Ihr Atem erinnert an eine verräucherte Bar, und wenn sie spricht, ist sie von einer Alkoholwolke umgeben. Kalt mustert Dona Clara die Kleine. „Solch ein armer, in Lumpen gehüllter Wurm soll eine Hilfe sein?“, stößt sie verächtlich hervor und fletscht dabei ihr gelbes Pferdegebiss. Der gewaltige Busen von Dona Clara hebt und senkt sich bei jedem Atemzug wie ein Schiff auf hoher See. Der ausgewaschene und viel zu enge Pulli lässt die pummelige Figur der Hausherrin eher aufreizend als vorteilhaft erscheinen. Unter dem superkurzen Minirock wachsen die stämmigen Beine wie Holzmörser hervor. In der streng gläubigen Mutter tobt ein verzweifelter Kampf. Sie weiß, dies ist kein Aufenthaltsort für ihre kleine Tochter. Der derbe Ton dieser ungepflegten Person und die vulgäre Erscheinung erfüllen sie mit Angst. Andererseits, wie wird Dom Pedro reagieren, wenn sie unverrichteter Dinge zurückkehrt, und der Kaufmann hat auch schon gedroht, dass er keinen weiteren Kredit gewähren wird. Dona Elisa weiß, sie hat keine Wahl, Alua muss zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Die Mutter gibt sich einen Ruck und versucht das Zittern in ihrer Stimme zu unterdrücken, als sie Dona Clara die Geschicklichkeit und Besonnenheit ihrer Tochter im Umgang mit ihren jüngeren Geschwistern anpreist. Ein Anflug von Verzweiflung liegt in ihrer Stimme, als sie beteuert, ein besseres Kindermädchen sei in der Fischersiedlung nicht zu finden. Die beiden Frauen messen sich mit eisigen Blicken, bevor ein wildes Gefeilsche um das salário beginnt. Aluas anfängliche Scheu weicht Neugier, denn sie fühlt, dass das Gerangel um Geld ihrer Person gilt, und das macht sie irgendwie stolz. Nach zäher Verhandlung ist Dona Clara bereit, neben dem schmalen salário die Kosten für die Schulkleidung zu übernehmen. Sie betont, „eine Schulkleidung pro Jahr“, mit weinerlicher Stimme fährt sie fort, dass sie die Kleine ja erst mal herausfüttern müsse und einen Schlafplatz werde sie auch beanspruchen. Wenn sie bedenke, dass Alua dann nachmittags noch zur Schule gehe, wäre es wohl das schlechteste Geschäft ihres Lebens. Dona Clara zu überzeugen, dass Alua zudem mit ihren Eltern regelmäßig die Bibelstunden besuchen müsse, ist der schwierigste Teil des Abkommens. Nur zähneknirschend lässt sich die Hausherrin dieses Zugeständnis abringen. Alua, braun gebrannt und feingliedrig, mit ihren pechschwarzen, bis zu den Hüften reichenden Haaren, versucht einen Blick in das Innere ihres neuen Heims zu erhaschen. Zum Erstaunen ihrer Mutter ist sie bereit, sofort die Stellung bei Dona Clara anzutreten. Mit Tränen in den Augen tritt die Mutter alleine den Nachhauseweg an. Sie will ihr Kind zum Abschied umarmen, doch schlangengleich entwindet sich die Tochter der Liebkosung. Aluas Blick haftet auf dem Fernsehgerät, welches Dona Claras Kinder umlagern. Alua lebt sich erstaunlich rasch in der neuen Umgebung ein. Für das Mädchen aus der Bretterbude schwelgen die Lehmhausbewohner im Luxus. Da flimmert doch tatsächlich in der Ecke Tag und Nacht das Fernsehgerät. Jede freie Minute hockt die Kleine davor und saugt gierig in sich hinein, was da an Glanz und Flitter über die Mattscheibe läuft. Die novelas haben es ihr besonders angetan: Mit offenem Mund starrt sie auf die prunkvollen Kutschen, in denen elegante Damen und Herren durch gepflegte Parks spazieren fahren. Die noblen Häuser sind so riesig groß, dass man sich darin verlaufen muss. Erstaunt ist Alua, dass Dona Clara mit ihren vier Kindern alleine wohnt. Sie versteht nicht, dass die Väter höchstens mal des Nachts vorbeischauen. „Ob die ihre Kinder nicht lieb haben und mal mit ihnen reden wollen“, grübelt das kleine Mädchen. Für Alua, die zwar aus einer armen, aber intakten Familie kommt, ist es unverständlich, dass Dona Clara immer dann, wenn ein Vater nach Hause kommt, die Kinder vom Fernseher verscheucht und ins Hinterzimmer verbannt. Besonders komisch findet sie, dass, sobald sie das schlecht gelüftete Zimmerchen betreten, der rostige Schlüssel im Schloss knarrt. Eines Tages fasst sie sich ein Herz und fragt Rita, sie ist Dona Claras älteste Tochter, warum die Papas ihre Kinder nicht lieb hätten? „Was soll die blöde Frage?“, kontert die Dreizehnjährige: „Mama verdient Geld. Unser Vater hockt im Knast.“ Alua erstarrt. Gefängnis ist für sie der Vorhof zur Hölle. Sie erinnert sich noch gut an das religiöse Treffen ihrer Glaubensbrüdern im letzten Sommer. Viele Menschen kommen an diesem Wochenende zur Hauptstadt. Im letzten Moment gelingt es Vater eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt zu organisieren. Niemand in der Familie hatte noch daran geglaubt. Seit die neue Verordnung verbietet, Personen auf den Ladeflächen von Lastkraftwagen mitzunehmen, haben die Fahrer Angst vor Strafe. Vaters Freund, Dom Manuel, hat Mitleid. Er weiß, wie sehr der Fischer kämpfen muss, um seine Familie über Wasser zu halten. Außerdem springt bei dem Handel für ihn ein Topf frischer Krabben raus. „Flugs auf den Lastwagen! An der Polizeistation kriecht ihr unter die Plane. Ich weiß von nichts“, brummt Dom Manuel. Bevor er mit Dona Elisa und Dom Pedro ins Führerhaus klettert, hievt er noch einen Korb Kokosnüsse hinauf. Meist gelingt es ihm, durch dieses Präsent die Kontrollen der Polizei zu vermeiden. Das Fußballstadion füllt sich rasch. Von überall strömen die Glaubensgenossen herbei. Es herrscht eine lockere und angenehme Atmosphäre. Man trifft alte Bekannte wieder und wird neue Freunde gewinnen, obwohl Freundschaften meist nur lose gepflegt werden. Wichtig ist, dass die Stimmung heute gut ist, das Morgen liegt in weiter Ferne.

Die Kinder des Fischers klettern mit ihren Eltern in die oberen Tribünenreihen. Obwohl Mama unter Höhenangst leidet, macht sie ihren Kindern die Freude. Einige tausend Besucher sind zwischenzeitlich eingetroffen. Ihre Stimmen klingen hier oben wie das Summen eines Bienenschwarms. Jetzt tritt die Musikgruppe an die Mikrofone. Die Instrumente sind schnell gestimmt und freudig schmettert die Menschenmenge die melodisch – religiösen Gesänge, die der Gitarrist anstimmt. Lied folgt auf Lied. Niemand weiß, wie es beginnt. Es sind wohl einige junge Leute, die es nicht mehr auf den Sitzen hält. Hüfteschwingend tanzen sie in den oberen Stadionreihen. Wie eine Woge pflanzt sich der ausgelassene Reigen unter den Besuchern fort und schwappt bis in die unteren Sitzreihen über. Der vergnügten Menschenmenge fällt es nicht auf, dass die Musik verstummt ist. Erst ein drohender Schrei, gleich einem Donnerschlag, bringt die Gottesdienstbesucher in die Gegenwart zurück. Alua klammert sich zitternd an ihren Vater. Der scheint zur Salzsäule erstarrt zu sein. Der Mutter kullern dicke Tränen über die Wangen. Alua versteht nur wenig von dem, was der wütende Prediger ins Mikrofon brüllt. Doch einige Passagen der drohenden Rede treffen sie wie Peitschenhiebe. Sie fühlt einen brennenden Schmerz in der Brust und muss an die Kälbchen denken, denen der fazendeiro das Brandzeichen aufbringt. Ähnlich qualvoll muss das Brandmarken sein. Alua weiß von ihrer Mutter, dass ihre Religion Tanzvergnügen verbietet. Trotzdem ist sie sicher, dass auch Mama sich leicht im Takt der feurigen Musik gewiegt hat. Gerade wettert der Prediger über putzsüchtige Frauen: Lippenstift und Nagellack sind die Werkzeuge des Teufels, um die lüsternen Blicke der Männer auf sich zu ziehen. Alua kann zwar mit dem Wort lüstern nichts anfangen, aber es muss wohl etwas sehr schlimmes sein. Wie sonst kann der Prediger so toben. „Niemals werde ich einen Schminkkasten anrühren“, gelobt sie sich. Im Stadion ist an diesem Nachmittag nur noch diese eine donnernde Stimme zu vernehmen, die jeden Verstoß gegen die Regeln des Glaubens mit Kerker und dem Höllenfeuer bestraft wissen will. An diese Worte des Predigers muss Alua denken, als Rita so leichtfertig dahinplappert, dass ihr Vater im Knast einsäße. Rita ist ein schlaksiges und viel zu mageres Mädchen mit einem rachitischen Gebiss. Sie ist immer hungrig, und so mag es nicht sonderlich verwundern, dass sie gleich einem Urubu zuschlägt, sobald sich etwas Essbares auftut. Urubus, die schwarzen Aasgeier Brasiliens, sind überall dort zur Stelle, wo rohe Fisch- oder Fleischreste vergammeln. Am Strand bleibt kein verwesender Fisch zurück. Sie zerren das Aas aus den Abfallhaufen und streiten sich erbittert mit ihren Artgenossen um jeden Bissen. Die Straßen und Plätze sehen nach solch einer Attacke wie ein Schlachtfeld aus. Rita hat den melancholischen Blick einer vorzeitig gealterten Frau. Die Verhaftung des Vaters und die nun regelmäßig stattfindenden Männerbesuche bei ihrer Mutter haben ihr Kindsein auf grausame Weise beendet. Als Alua ins Haus kommt, ist Rita zuerst erzürnt. Es widert sie an, mit einer Fremden Hängematte und farinha de mandioca teilen zu müssen. Das Maniokmehl ist das Grundnahrungsmittel der einfachen Bevölkerungsschichten und längst nicht im Übermaß vorhanden. Aber noch mehr als den Hunger fürchtet das Mädchen die Verachtung, mit der man ihrer Familie begegnet, seit der Vater verhaftet wurde. All ihre Freundinnen haben sich von ihr zurückgezogen, und die Häuser, in denen ihre Mutter früher putzte, die Wäsche wusch und bügelte, bleiben nun für sie verschlossen. Schickt Mutter sie zum Kaufmann, so muss sie nicht mehr anstehen. Der Kaufmann bedient sie sofort, damit sie, wie er kurz nach der Inhaftierung ihres Vaters mit einem boshaften Seitenblick zu ihr, der fetten Apothekersfrau erzählt, nichts stibitzen kann. An diesem Tag läuft sie tränenüberströmt nach Hause und fällt der Mutter schluchzend um den Hals. „Ja, Mama“, stößt sie zitternd hervor, „und anschreiben tut der Kaufmann auch nichts mehr für uns.“ Dona Clara wiegt ihre Tochter beruhigend in den Armen und flüstert ihr zärtlich ins Ohr: „Dummchen, Mama wird ab heute Nacht genügend Geld verdienen.“ Alua sieht Rita mit großen, erschreckten Augen an, als sich diese ihr so unerwartet anvertraut. Sie versteht nicht viel von dem, was ihr das große Mädchen erzählt, aber sie fühlt, dass man Rita Unrecht getan hat. Tröstend legt sie ihre Hand auf Ritas Arm. Ritas anfängliche Abneigung gegen die neue Hausgenossin verfliegt rasch. Schnell erkennt sie, dass es doch recht bequem ist, wenn man die eigenen häuslichen Pflichten auf die Jüngere abladen und aus der Hängematte Kommandos geben kann. Schaukelnd sieht sie jetzt zu wie Alua ihre Geschwister entlaust, die Wäsche in eine Lauge aus Kernseife stopft und später mit der groben Bürste solange schrubbt, bis Dona Clara drohend fragt, ob sie die Wäsche waschen oder zerreiben wolle. Alua muss all ihren Mut zusammen nehmen, als sie fragt, warum Ritas Vater denn im Gefängnis sei. Rita hingegen ist erstaunt, dass nicht alle Welt die Schande kennt, die ihrer Familie zugestoßen ist. Misstrauisch schaut sie der Kleinen prüfend ins Gesicht. Sie zögert mit der Antwort. Wie wird Alua reagieren, wenn sie von dem Totschlagsdelikt ihres Vaters erfährt? Wird auch sie sich von ihr abwenden? Doch das Gefühl, sich einem Menschen mitteilen zu müssen, ist so stark, dass sie, um nicht die kleinen Geschwister zu wecken, mit flüsternder Stimme fortfährt: „Der Kaufmann, welcher mich nach dem Raubüberfall so sehr demütigt, war früher ein guter Freund meines Vaters. Im letzten Jahr wird in seinem Geschäft immer dann eingebrochen, wenn ein Feiertag naht und der Laden mit frischen Waren für die bevorstehenden Festtage bestückt ist. Die Polizei kommt stets zu spät. Da beschließen der Kaufmann, mein Vater und ein weiterer Kumpel, den Dieben aufzulauern. Die Osterfeiertage stehen bevor, und jedermann im kleinen Städtchen weiß, dass der Kaufmann sein Lager wieder frisch aufgefüllt hat. Da hängen saftige Rinder- und Schweinehälften im Kühlhaus, die Regale biegen sich unter den Osternaschereien und all den Köstlichkeiten für die Festtage. Sobald es still in den Straßen wird, schleichen die drei Freunde durch die Hintertür in den Laden. Schon zwei Nächte haben sie vergeblich Wache geschoben. Gerade, als sie sich in der dritten Nacht fragen, ob etwa durchgesickert ist, dass sie den Laden bewachen, vernehmen sie ein leises Knarren. Schlurfende Schritte kommen näher. Sie sehen zwei Schatten und die zuckenden Lichter von Taschenlampen, die zwischen den Regalen ihre schwachen Lichtkegel werfen. Die Diebe kommen näher. Ungeniert stopfen sie die feinsten Sachen in ihre braunen Baumwollsäcke. Sie fühlen sich offensichtlich vollkommen sicher. Umso entsetzter sind sie, als die drei Freunde aus ihrem Winkel hervorspringen. Scheppernd kippt ein Stapel Fruchtkonserven um. Die Dosen kullern krachend über den Steinfußboden. Nach einer Schrecksekunde beginnt ein wüstes Handgemenge. Gerade als die Freunde glauben, dass sie die beiden Schurken überwältigt haben, fühlt mein Vater einen stechenden Schmerz in der Schulter. Der Fahrer der Diebesbande ist in den Laden gestürmt um seinen Kumpanen zur Hilfe zu eilen. Er trifft auf meinen Vater. Mit einem feststehenden Messer sticht er immer wieder auf ihn ein.“ Leise weinend schließt Rita: „Vater verliert die Nerven und zückt seinen Revolver. Er drückt ab. Der Angreifer sinkt tot zu Boden.“ „Vorsätzlicher Mord“, so lautet das Urteil. Aluas erster Schultag ist angebrochen. Stolz marschiert die Kleine an der Hand ihrer Mutter zum Schulgebäude. Die Mutter zankt noch immer, weil Dona Clara ihrer Tochter Ritas abgetragene und zu eng gewordene Schulbluse übergestreift hat. Alua stört das nicht. Sie will endlich lesen, schreiben und rechnen lernen. Außerdem ist Rita mittlerweile ihre beste Freundin. Die Mädchen teilen eh alles, angefangen bei der Hängematte, das spärliche Essen, Freud und Leid