Free

Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

»Ah, Teresa,« rief sie diese an, »mach ein wenig rasch! Muchacha, wir haben Eile. Gieb mir etwas Kinderwäsche für meine Adriana heraus – und für mich auch. – Wir gehen auf Reisen. Das Mädchen darf mich doch begleiten, Señor?«

»Bedaure sehr, Ihnen das abschlagen zu müssen, Señorita,« sagte Fosca kalt. – »Es ist nicht Sitte, daß Gefangene Dienerschaft mitnehmen, und der Raum auf dem Schooner ist ohnedieß außerordentlich beschränkt.«

»Die Reise wird nicht lange dauern?«

»Höchstens zwei Tage. Wir laufen vor dem Wind nach Buenaventura hinauf.«

»Gut denn! Wie Gott will! Hier, Teresa – still, mein Herz, weine nicht – die Mama bleibt bei Dir – hier, Teresa, diese Sachen packe in die kleine chinesische Kiste – dies auch noch – hier ist noch ein Kleidchen für Adriana – «

Sie war an den Schreibtisch ihres Mannes getreten und hatte dort aus einer der Schiebladen ein kleines Kästchen genommen, das sie mit ihrem Körper so verdeckte, um es vor den Blicken des Commissairs zu verbergen. Ihr Auge suchte dabei Antonio und der schlaue Schwarze begriff augenblicklich, was sie wollte. Als sie an ihm vorüberging, hatte sie es ihm gereicht und er es auch schon mit einer raschen Bewegung hinter sich und hinaus in das Dunkle geschafft.

»Madame erlauben mir vielleicht, daß ich Ihnen behülflich bin,« sagte da vortretend Fosca, – »es versteht sich von selbst, daß Sie alle Werthsachen ausliefern, um den Staat für etwaige entstehende Unkosten zu decken.«

»Ich verstehe,« sagte die Señora kalt. – »Sie haben volle Freiheit hier, Señor – «

»Wo ist der Mulatte, der da noch eben in der Thüre stand?«

»Haben Sie Auftrag, auch ihn wegen Hochverrathes zu verhaften?« fragte die junge Frau mit einem bitteren Lächeln.

Fosca schritt rasch der kleinen Hinterthüre zu, aber der Mulatte war verschwunden und über die schwanken Bambusstäbe, die da draußen die Brücke zu dem Hintergebäude bildeten, wagte er nicht, ihm zu folgen. Ohne Weiteres machte er sich dagegen über die wenigen Schränke her. Von dem Bette riß er ein Tuch herunter und breitete es auf den Boden, dann warf er darauf, was ihn des Mitnehmens werth dünkte, band es zusammen und gab es einem der Soldaten zum Tragen. Aber er schien noch nicht befriedigt, denn er hatte bis jetzt kein baares Geld gefunden und wandte sich deshalb an die Frau.

»Nehmen Sie, was Sie finden,« sagte diese verächtlich, »und verlangen Sie nur nicht, daß ich Ihnen suchen helfe. – Ich wüßte übrigens nicht, daß der Staat seine Beamten zum Plündern in die Häuser schickt.«

Fosca durchwühlte noch eine Zeitlang alle Fächer, aber die Zeit mochte ihm selber dabei zu lang währen. Vor Allem mußte er seine Gefangenen an Bord und in Sicherheit schaffen – nachher konnte er ja noch immer hierher zurückkehren. Indessen beorderte er zwei von den Soldaten, auf Wacht zu bleiben und Niemanden hinauf zu lassen. Zwei Andere trugen indessen den Gefangenen zur Treppe, wo andere standen, sie zu unterstützen. Aber Ramos richtete sich hier auf und stieg selber die Stufen hinab. Widersetzlichkeit hätte auch nichts geholfen und ihn selber nur den Mißhandlungen der Buben ausgesetzt.

Vor dem Hause hatten sich indeß eine Menge von Menschen versammelt, und untereinander flüsterten die Leute und bedauerten die arme Frau und das Kind, aber Niemand wagte ihnen thätlich beizustehen. Wer konnte auch wissen, welches furchtbare Verbrechen die Beiden begangen hatten!

Sechstes Capitel.
Der Succurs

»Hallo, Renard! Noch dunkel hier?« riefen die erst Eintretenden den Franzosen an. – »Was, zum Teufel! treibt Ihr? Ist das Oel ausgegangen?«

»Einen Augenblick, Señores, einen Moment nur!« rief Renard, geschäftig um seinen Ladentisch herumeilend, um Licht zu machen, denn die eine düster brennende Lampe erhellte den Raum nicht zum dritten Theil. »Bin ja selber erst jetzt nach Hause gekommen. Alle Wetter! An solchen Tagen kann man doch nicht daheim sitzen und die Welt eben treiben lassen was sie will.«

»Unseren Alkalden begreife ich nicht, daß er diesen – Señor hier nach Herzenslust wirthschaften läßt,« riefen die Vordersten, als sie von der Frontthüre aus das Haus betraten. – »Es ist schändlich, die arme Frau so zu behandeln. Die hat doch wahrhaftig keinen Hochverrath begangen.«

»Quien sabe, compañero« sagte ein Anderer. »Es passiren wunderliche Dinge in der Welt, und was hätten wir machen wollen? Uns der neuen Regierung widersetzen? – Eine hübsche Bande von Soldaten haben sie mitgebracht und was für ein Gewissen hätten sich die Kerle daraus gemacht, unter uns hinein zu schießen. Renard, ein Glas von Eurem besten Cognac. Mir ist die Geschichte in den Magen gefahren, und ich muß sie hinunterspühlen.«

»Was ist denn vorgefallen, Señores?« fragte Renard neugierig gemacht, indem er die beiden Oellampen rasch angezündet hatte und die Cognacflasche mit Gläsern auf den Ladentisch stellte.

»Ach was? Nichts!« sagte der Postmeister, der von der andern Seite kam. – »Mir auch die Flasche! Nichts, als daß sie diesen Señor Ramos endlich abgefaßt haben und ihn nun mit nach Buenaventura nehmen. Ich habe dem Burschen nie getraut, denn er that immer viel zu geheimnißvoll und wollte mit Keinem von uns Umgang haben.«

»Aber was hat die Frau damit zu thun, Don Gaspar?« redete ein anderer den Postmeister an. »Die und das arme Kind auf ihren schmierigen Schooner und zwischen all' das Gesindel zu schleppen, ist doch mehr als grausam und der Präsident weiß sicher nichts davon.«

»Was geht's uns an? Das ist ihre Sache!« brummte der noch vor wenigen Stunden so wüthende Nationalitätsvertheidiger. – »Wir haben genug mit unseren eigenen Angelegenheiten zu thun.«

»Hülfe, Señores! Hülfe um des Himmels Erbarmen Willen!« rief ein junger Mulattenbursche, der in die Thüre gestürzt kam und sich verstört in dem Raume umsah. – »Meinen armen Herrn, meine arme Señora und das kleine liebe Kind haben sie fortgeschleppt und wollen sie in's Gefängniß stecken! O, helfen Sie, helfen Sie! Señor Ramos so ein guter, braver Mann – so eine gute, brave und schöne Dame! Es ist ja schrecklich!«

»Ach was! Mache daß Du fortkommst, Braunfell!« schrie ihn der Postmeister an, der übrigens nicht viel lichter war wie Jener selber. »Wenn Deine Herrschaft nichts verbrochen hat, wird ihr auch nichts geschehen, und hat sie sich etwas eingebrockt, nun gut, dann bekommt sie jetzt Gelegenheit es auszuessen.«

»Es ist eigentlich eine wunderbare Geschichte, Don Gaspar,« sagte ein Mann, der einen kleinen Schooner hatte und mit diesem gewöhnlich Fahrten zwischen der Insel und den übrigen Küstenstrichen machte, »daß man den Ramos einsteckt, der beim Ansegeln der Fahrzeuge ruhig in seinem Hause saß, und Euch frei laufen ließ, der Ihr die Mannschaft nicht allein gegen den Usurpator – wie Ihr ihn nanntet – aufgeboten, nein, sogar Eure furchtbare Kanone auf die Feinde abgefeuert habt und jetzt seid Ihr auf einmal ein Herz und eine Seele mit der Gesellschaft – «

»Kümmert Euch um Euch selber!« rief Don Gaspar, dem das Gespräch nicht angenehm zu sein schien. – »So lange wir noch nicht wußten, daß wir es mit einer rechtmäßigen Regierung zu thun hatten, waren es unsere Feinde, und ich glaube, ich habe bewiesen, daß ich mein Leben und Blut für mein Vaterland wagen kann. Wie aber die Sache jetzt steht, mit einem wirklichen Regierungs-Commissair an Bord, der ordentliche Vollmacht vom Präsidenten hat – «

»Die aber noch Keiner von uns zu sehen bekommen,« unterbrach ihn der Andere wieder.

»Er braucht sie auch nicht Jedem unter die Nase zu reiben!« rief der kleine Mann ärgerlich, »und wir sollten froh sein, daß wir endlich geregelte Verhältnisse bekommen, denn diese ewigen Revolutionen bringen uns nur hier Gefahr und können uns nie etwas nützen.«

»Schöne geregelte Verhältnisse das,« sagte der Erste wieder, »wenn man friedliche Familien Nachts aus ihren Häusern holt und auf das erste beste Schiff schleppt!«

»Verbrecher müssen auch wie Verbrecher behandelt werden,« rief Don Gaspar, sein ausgetrunkenes Glas auf den Tisch stoßend. »Ehrliche Leute haben sich weder davor zu fürchten, noch sich darum zu kümmern.« Und seinen Hut auf das eine Ohr schiebend verließ er rasch das Haus.

»Ehrliche Leute!« lachte der Schoonermann hinter ihm her. – »Prachtvolle ehrliche Leute, die, alle Beide! – Weil der eine Lump Steuerdefraudationen begangen hat, mußte er bei Nacht und Nebel fort von hier, und weil er den Anderen nicht verrathen, muß der jetzt durch Dick und Dünn mit ihm, wenn er sich nicht selber an den Pranger stellen will.«

»Oh por amor de Dios, helft meiner armen Herrschaft!« bat der Mulatte noch einmal. – »Hat mein armer Herr jemals einen Menschen gekränkt? – Hat die gute liebe Dame nicht vielen, vielen Armen Wohlthaten erzeigt, und war sie nicht immer lieb und freundlich gegen Jeden, Jeden?«

»Ja, mein braver Bursche,« sagte der Schoonermann, »das ist Alles recht schön und gut, aber so viel ich weiß, haben sie sie schon an Bord des Schiffes und was können wir da machen?«

»Ach nein, Señor,« rief der Mulatte rasch, – »das Boot war abgefahren – Señor Fosca konnte nicht fort – er war sehr böse und hat sie jetzt so lange unter das Haus des Alkalden gethan – einen Platz, wo sich sonst die Kühe und Schweine aufhalten. – Meine arme, arme Señora!«

Stimmen wurden laut draußen und sechs oder acht der Schiffssoldaten drangen in den Raum.

»Hallo, Señores!« sagte Monsieur Renard. – »Was wünschen Sie? Auf der Jagd nach Hochverräthern, wie?«

»Ein Officier ist von unserem Schiff entflohen,« sagte der Eine der Leute barsch, »ein Franzose, einer von Euren Landsleuten und wir sollen hier nachsuchen, ob er sich nicht in Eurer Wohnung aufhält. Ist er da, so gebt ihn heraus, denn er kann nicht fort. Unsere beiden Boote kreuzen an der anderen Seite und wir müssen ihn wieder haben. Almirante hat 50 Dollar geboten, wer ihn wiederbringt.«

 

»Peste!« murmelte Monsieur Renard leise zwischen den Zähnen, während die übrigen Gäste den Laden verließen, um mit dem braunen wilden Volk in keine Berührung zu kommen. – »Aber, Señores, hier ist er nicht, so viel sehen Sie, er müßte sich denn während meiner Abwesenheit oben versteckt haben. Bitte, gehen Sie hinauf und durchsuchen Sie das ganze Haus. Ich würde nie einen Deserteur beherbergen.«

»O du lieber Himmel!« stöhnte der arme Mulatte und stützte sich mit dem Ellenbogen an das nämliche Faß, in dem Baptiste versteckt lag, »wer wird meiner armen Herrschaft helfen?«

»Kommen Sie nur, Señores,« sagte Renard, dem jetzt nur daran lag, die Leute aus dem Laden zu bringen, weil er sich ziemlich sicher wußte, daß sein Landsmann die ihm vergönnte Zeit zur Flucht benutzen würde. Die Soldaten, in der Hoffnung, den Entsprungenen zu finden, folgten ihm auch rasch; kaum hatten sie aber den unteren Raum verlassen, als Antonio, wie von einer Schlange gestochen, zurückschrak, denn aus dem Fasse heraus ergriff eine Hand seinen Arm – aber eine Stimme flüsterte gleich darauf:

»Ich helfe Dir, Camerad! Komm!« Mit einem Satze war der Franzose aus seinem Verstecke heraus, ergriff das Ruder, nahm, ohne besonders wählerisch zu sein, noch ein anderes von den dort lehnenden, das er dem Mulatten in die Hand drückte und zog den armen Teufel, der gar nicht wußte, was er von dem Allem denken sollte, mit sich und durch die Hinterthüre in's Freie hinaus.

Er bedurfte keiner langen Zeit, um sich mit dem Mulatten zu verständigen.

»Kennst Du mich nicht mehr, Tonio?«

»No, Señor! – Es ist dunkel – «

»Hast Du Baptiste vergessen?«

»O Señor Batista – unsere arme Señora – «

»Komm, mein Bursche! So lange Leben da ist, so lange ist Hoffnung, und wenn wir nicht zu helfen vermögen, so können wir dem schurkischen Fosca wenigstens ein Messer in den Giftbalg rennen. Ich bin heute Abend gerade bei Laune. Hast Du ein Canoe?«

»Ein gutes, großes Canoe – läuft wie der Wind.«

»Können wir damit in See gehen?«

»In See? – Ich weiß nicht – große Wellen in See.«

»Bah! Besser ersoffen als nach Buenaventura,« sagte Baptiste. – »Wo liegt Dein Canoe?«

»Gleich dort drüben an dem Sandbluff.«

»Wenn wir nur Jemanden hätten, der bereit stände.«

»Teresa!« sagte der Mulatte rasch.

»Gut – und noch ein Ruder soll sie mitnehmen. Fort mit Dir! Ich bleibe hier so lange unter dem Hause, bis Du zurückkommst.«

Der Mulatte flog mehr als er ging die Straße hinab und Baptiste drückte sich in den Schatten des nächsten Ueberbaues, wo er auch eine Entdeckung nicht zu fürchten hatte, denn um alle die Plätze abzusuchen, würden die Soldaten eine ganze Nacht gebraucht haben. Antonio blieb aber auch nur wenige Minuten.

»Was nun, Master? – Was können wir zwei gegen alle die Soldaten ausrichten? – Sie werden uns todtschießen und die arme Señora doch mit fortschleppen.«

»Was wir machen können, Camerad, weiß ich selber noch nicht,« lachte Baptiste in tollem Uebermuth. »Das muß der Augenblick geben. Ich fühle mich aber aufgelegt, mit einer ganzen Rotte der feigen Schufte anzubinden, und kann ich die Unglücklichen nicht befreien, so liefere ich mich selber wieder an den Schooner aus, denn sie sollen die Reise nicht ohne einen Freund an Bord machen.«

»Sie sind von dem Schiffe entflohen?«

»Bst, Camerad! Jetzt ist keine Zeit zum Geschichten erzählen. Wo ist des Alkalden Haus?«

»Gleich dort drüben. Sowie wir um diese Ecke biegen, liegt es vor uns.«

»So komm!« flüsterte Baptiste. – »Wenn ich erkannt werden sollte und fliehen müßte, findest Du mich gleich nachher unter dem nämlichen Hause wieder, wo ich eben auf Dich gewartet habe. Die Schufte werden auch das ganze Haus geplündert haben.«

»Das Beste hat die Señora gerettet,« rief Antonio rasch, »ein Kästchen, das sie mir zum Aufheben gegeben.«

»Und wo ist das?«

»Teresa nimmt es mit zum Canoe.«

»Bravo, mein Junge! Das war gescheit und nun vorwärts.«

In der Straße, in welche sie einbogen, war Alles todtenstill und Baptiste blieb zögernd stehen. – Die Gefangenen mußten schon fortgebracht sein, denn sie hätten sonst wenigstens Soldaten sehen müssen. Antonio ergriff seinen Arm und drückte ihn leise.

»Bleibt hier einen Augenblick,« flüsterte er, »ich bin gleich zurück!« und wie ein Pfeil glitt er über die dunkle Straße hinüber und dann dicht an der anderen Seite hin, bis zu des Alkalden Haus. Aber schon nach wenigen Secunden kehrte er zurück. Kein Mensch war mehr dort zu sehen, die Gefangenen mußten schon an Bord geschafft sein.

»Dann sei Gott uns gnädig!« flüsterte Baptiste zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch. »Ich habe mein Wort gegeben, und beim Himmel, ich will es halten.«

»Was wollt Ihr thun, Señor?«

»Ich kehre an Bord zurück. Allein und freudlos sollen die armen Menschen ihren Feinden nicht überantwortet werden. Wo liegt Dein Canoe?«

»Gleich dort drüben, Señor, etwas oberhalb der Schiffe. O meine arme, arme Señora!«

»Wo stand ihr Haus früher?«

»Wenn wir durch diese Gasse gehen, kommen wir daran vorbei. – O so schön war es dort! So lieb und freundlich, bis die bösen, bösen Menschen kamen.«

»Fort! fort! Wir dürfen hier nicht länger zögern. – Komm dort vorbei, vielleicht hören wir noch etwas von ihnen. Was liegt auch daran, ob ich der Patrouille begegne.« Und mit raschen Schritten, fast in einem halben Lauf, rannte er die Gasse hinab, mit Antonio an seiner Seite.

»Dort liegt das Haus.«

»Da ist noch Licht darin,« rief Baptiste überrascht.

»Sie werden es völlig plündern. Señor Fosca läßt nichts zurück, denn seit ihn mein Herr in Bogota wegen Unterschlagung und Betrug in's Gefängniß werfen ließ, hat er eine furchtbare Wuth auf ihn bekommen.«

»Also deshalb? Wahrhaftig, sie tragen Sachen herunter. Komm, Antonio, wir wollen ihnen helfen.« Und rasch entschlossen, wie er immer war, schritt er, von dem Mulattenburschen aber nur scheu gefolgt, gerade über die Straße hinüber, wo er einen Soldaten mit einem Pack traf, während der andere gerade wieder die Leiter hinaufstieg.

»Aber Muchachos,« redete er den Burschen wie ärgerlich an, – »was vertrödelt Ihr die Zeit hier auf eine so nichtswürdige Weise? Wißt Ihr nicht, daß sie an Bord auf Euch warten?«

»Pero Señor!« sagte der Bursche ganz erstaunt seinen Offizier ansehend. – »Sind Sie denn nicht fortgelaufen? Caracho! Sie werden doch in der ganzen Stadt gesucht!«

»Du faselst wohl?« rief Baptiste. »Marsch mit Euch! Der Commissair wird wüthend werden.«

»Aber der Commissair hat uns ja eben erst noch einmal heraufgeschickt. Er will Alles mitnehmen, ehe er die Gefangenen an Bord schafft.«

»Hat er die noch nicht drüben?« rief der Franzose wie ärgerlich, »das ist ja rein zum rasend werden mit der Langweiligkeit. Wer ist noch bei ihm?«

»Weiter Niemand als sechs von unseren Leuten, zum Rudern und zur Bewachung.«

»Aber ein Boot hat er doch?«

»Ja, von der Galeotte ist eins herübergeschickt. Das ist eben die Mannschaft, denn die Anderen sind den Fluß hinauf, weil sie glaubten, daß Sie nach Ecuador hinüber wollten.«

»Ich nach Ecuador? Unsinn!« rief Baptiste, mit wenigen Schritten die Stufen hinauffliegend. Dort überraschte er den zweiten nicht minder als seinen Cameraden, durch sein Erscheinen, aber er ließ ihn gar nicht zu Worte kommen.

»Fort mit Dir, Bursche!« rief er. »Die Zeit vergeht! Wir müssen zum Boot!« Ohne Weiteres das Bettzeug von einem der Gestelle nehmend, trug er es an die Treppe und warf es hinunter. – »Hier, Antonio, trage das!« – Dann griff er das andere auf, hob es sich auf den Kopf, und folgte damit ebenfalls.

Der Soldat wagte natürlich keinen Einspruch. Wie konnte er auch? Daß sein Vorgesetzter den Befehl in die Hand nahm, verstand sich von selbst, und daß es geheißen hatte, er sei desertirt – lieber Gott! an Bord der Schiffe herrschte überhaupt so viel Confusion, daß ein solcher kleiner Mißgriff nicht einmal zu den Unwahrscheinlichkeiten gehörte. Daß aber der Offizier solche Eile hatte, beunruhigte ihn, denn die Soldaten trauten noch immer dem Frieden nicht in der Stadt. War etwas vorgefallen? Wenn sie hier abgeschnitten und beim Plündern eines Hauses gefaßt wurden, konnte es ihnen schlecht gehen. In aller Hast griff er auf, was ihm gerade unter die Hände kam, und folgte den Vorangegangenen, die schon unterwegs nach dem Boote waren.

Siebentes Capitel.
Der Commissair in der Falle

In einer entsetzlichen Lage waren indessen die unglücklichen Gefangenen, die, ganz der Willkür ihres Henkers anheim gegeben, den rohen Scherzen und dem Spott der Soldaten zur Zielscheibe dienen mußten, damit diese sich die müßige Zeit am Ufer vertreiben konnten. Fosca hinderte sie auch nicht daran und Señor Ramos knirschte machtlos seine Zähne zusammen. Er konnte nichts dagegen thun. Mit auf den Rücken gebundenen Händen lag er hinten im Boot, während neben ihm im Heck, die Steuerreeps in der Hand, der Commissair Platz genommen hatte. Die Frau kauerte mit dem Kinde in der Mitte des Bootes, neben ihren dort aufgehäuften Habseligkeiten, und ihre stillen Thränen netzten die Wangen der Kleinen, während sie ihr liebe Worte gab, sie zu beruhigen suchte und ihr Trost zusprach – Trost, der ihr selber fehlte.

Der Commissair war schon fast ungeduldig geworden, denn wenn auch seine eigene Habgier die Leute noch einmal hinauf geschickt hatte, um so viel als möglich mit fortzuführen, fing die Zeit ihm doch an lang zu werden.

Die Soldaten schlenderten indessen am Ufer auf und ab, als einer von ihnen die Ankunft der Erwarteten meldete.

»Nun endlich!« rief ihnen Fosca schon von weitem entgegen. »Das hat lange gedauert. Macht, daß Ihr herein kommt. Aber wozu schleppt Ihr den ganzen Plunder mit herunter? Wer hat Euch gesagt, daß Ihr die Betten mitnehmen sollt? Wir haben ja nicht einmal im Boote Platz. Werft die Lumpen dort auf den Sand und legt nur das Andere herein.«

»Bitte um Entschuldigung, Señor Comisario,« lachte Baptiste, indem er seine Ladung, gegen den Befehl, in das Boot warf und dann Antonio's ebenfalls abnahm und den ersten folgen ließ; »es ist eine alte Regel, beim Ausräumen nichts zurückzulassen, und da die Gefangenen doch unterwegs wahrscheinlich auch schlafen wollen, brachte ich mit, was mir unter die Hände kam.«

»Caramba!« rief der Commissair erstaunt. »Señor Batista? Ich meinte, die ganze Mannschaft sei hinter Ihnen her, um Sie wieder einzufangen!«

»Das ist prächtig,« lachte der Franzose. »Dasselbe haben mir schon die Burschen gesagt. Wenn ich also auf speciellen Befehl des Admirals in der Stadt herumlaufe, um einige Aufträge auszuführen, hetzt der Steuermann die Soldaten hinter mir drein, um mich wieder einzufangen. Kostbare Idee das! – Aber rasch, Jungens, das Wasser fällt schnell, die Ebbe muß bald ausgelaufen sein und wir bleiben auf trockenem Sande sitzen. Holzköpfe, Ihr, seht Ihr nicht daß das Boot schon aufsitzt? Angefaßt da! Rasch, damit wir es wieder flott bekommen!«

Die Thatsache ließ sich nicht leugnen und die Soldaten, völlig beruhigt darüber, daß ihr Officier nicht hatte weglaufen wollen – er wäre sonst doch wahrhaftig nicht freiwillig wieder gekommen – sprangen in das Wasser und schoben das Boot zurück, bis es wieder flott wurde.

»Wir haben hier nicht alle Platz!« rief der Commissair.

»Das ist richtig. Dann bleiben die Soldaten zurück, bis wir das Boot wieder herüber schicken können.«

»Das geht nicht,« beharrte Fosca. »Ich muß Wache bei dem Gefangenen haben.«

»Dann wird doch wohl noch ein Canoe aufzutreiben sein,« sagte Baptiste. – »He, Bursche, hast Du kein Canoe in der Nähe?«

»Gleich hier oben, Señor,« rief Antonio, an den die Frage gerichtet war.

»Dann hole es, schnell!«

Der Mulatte verschwand wie ein Schatten in der Nacht.

»Wer war der?« fragte der Commissair.

»Ein Bursche, der uns heute Abend noch frisches Fleisch herüber liefern soll. Er muß mit an Bord, um den Auftrag zu erhalten.«

Ein eigener wilder Plan zuckte durch des Franzosen Hirn. Noch war es vielleicht möglich die Unglücklichen zu retten, wenn er den größten Theil der Soldaten beseitigen konnte. Aber wie? Gewohnt jedoch, Alles dem Augenblick zu überlassen, sprang er jetzt ebenfalls in das Boot, angeblich um das Gepäck zu ordnen, in Wirklichkeit, um es so zu vertheilen, daß so wenig als möglich Menschen darin sitzen konnten.

Die Gefangenen hatten ihn gar nicht beachtet und noch viel weniger in der Dunkelheit erkannt. Waren doch auch Jahre verflossen, daß sie seine Stimme gehört, die damals, von Krankheit geschwächt, auch matt und hohl genug geklungen hatte. Und wie konnten sie ihn an Bord hier und unter denen vermuthen, die im Begriff waren, ihr ganzes Lebensglück zu zerstören!?

 

Von oben den Canal herunter kam jetzt das Canoe gerudert und lief im nächsten Augenblick etwa zehn Schritt von dem anderen auf den Sand.

»Hallo! Was ist das für ein Frauenzimmer da drin?« rief der Commissair.

»Die Wäscherin, Señor, die an Bord soll und die ich dort oben fand,« erwiderte Antonio rasch gefaßt, und Ramos zuckte unwillkürlich zusammen, denn jetzt hatte er seines treuen Burschen Stimme erkannt. Aber Baptiste rief, auf die Idee eingehend:

»Zum Henker und wegen der bin ich eine volle Stunde in dem dunklen Nest und drüben an der Punta herumgehetzt! Ich glaubte schon, der Admiral würde mir alle Wetter auf den Hals fluchen, wenn ich sie nicht mitbrächte. Aber hinein hier mit ihr in das Boot! Die darf ich nicht drüben bei den Soldaten lassen.«

»Hier in das Boot geht sie nicht mehr,« rief der Commissair dazwischen. »Caramba! Mann, wen und was wollt Ihr denn nicht noch hereinpacken?«

Baptiste war nicht gesonnen, seinen einmal gewonnenen Vortheil aufzugeben. Jetzt mußte er mit dem Boote fliehen – das war die letzte Möglichkeit eines Erfolges, und da er mit dem Canoe nie hätte wagen dürfen, schwer geladen in die offene See hinauszusteuern, so bot das Boot, so mittelmäßig es auch sonst sein mochte, doch unendlich mehr Sicherheit. Ohne deshalb auch weiter den Befehl des Commissairs zu beachten und das Mulattenmädchen, das schnell an Land gesprungen war, selber in den Bug des Bootes hebend, sagte er:

»Ueberlassen Sie das Alles mir, verehrter Herr! Ich bringe Sie sicher hinüber, denn mir liegt selbst daran, von der Sache abzukommen. Auf einem Kriegsschiff macht man nicht gern den Polizeidiener und Büttel. – He, kannst Du rudern, Bursche?«

»Gewiß, Señor,« erwiderte Antonio.

»Dann marsch hinein mit Dir und stoß ab! Halt, für das Canoe sind zu viel Leute! Zwei können noch mit hier herein.«

»Wenn Sie nicht den ganzen Platz verpackt hätten,« rief der Commissair unwillig. »Werft doch den Plunder über Bord.«

»Gut, dann legt Eure Gewehre hier herein. Gebt sie her! Herr Commissair, bitte um ein wenig Raum.« Und die Gewehre der Leute nehmend, trug er sie selber, das Wasser nicht achtend, hinter nach den Steuerreeps.

»Und wie soll ich jetzt steuern?« fragte Fosca ärgerlich.

»Das besorge ich selber. Jetzt vorwärts! Einer von Euch noch herein. Du hier, Pedro!« sagte er, einen kleinen schwächlichen Burschen aus dem Trupp ergreifend. »Setze Dich da vorn hin und rudere aus Leibeskräften. Nun ab! Kommt mit dem Canoe nach, so rasch Ihr könnt.«

Die Soldaten waren ganz verdutzt. Wenn ihnen aber das hastige, fremdartige Benehmen ihres Officiers auch auffiel, konnten sie doch nichts dagegen thun, denn er war einmal ihr Vorgesetzter, und so lange es sich der Commissair gefallen ließ, durfte es ihnen auch recht sein.

»Caracho, Señor!« lachte der Eine. »Die Señorita hätten Sie uns ebensogut im Canoe lassen können. – Sie haben ja schon eine an Bord.«

»Nichts für uns Beide, Camerad!« rief ihm der Franzose zu, während er, von Antonio kräftig unterstützt, das Boot mit dem Ruder hinaus in tiefes Wasser stieß. Dort wirkte schon die Strömung und sie mußten zu den Rudern greifen.

»Bitte, Señor,« sagte dann Baptiste, indem er ziemlich rücksichtslos über die Gefangenen hin nach hinten stieg und sich zu dem gebundenen Ramos niederbog, »der Señor hier liegt mir im Wege. Steuern Sie einmal einen Augenblick.«

»Ja steuern!« brummte der Commissair. »Alle Gewehre liegen auf den Reepen.«

»Fassen Sie nur das Ruder mit der Hand an. Sie wissen sich doch sonst immer so vortrefflich zu helfen, Señor.«

Der Ton, mit dem dieses gesagt wurde, frappirte den Neu-Granadienser, aber er mußte in der That das Steuer etwas aufdrehen, wenn das Boot nicht mit der Strömung zu weit hinabgetrieben werden sollte. Er erhob sich zu dem Zweck, kniete auf den Sitzbord und richtete das Ruder.

»Muth!« flüsterte in demselben Moment Baptiste dem Gefangenen zu und Ramos fühlte, wie ein scharfes Messer seine Bande durchschnitt. Seine Arme wurden frei.

»Und nun legt Euch in die Ruder, Burschen!« rief der Franzose, sich wieder aufrichtend, den beiden Leuten zu, indem er selber zum Steuerruder ging und die Gewehre so zurückschob, daß er zwischen sie und den Commissair zu sitzen kam.

»Guarda se, Señor,« sagte der Soldat, »sie sind alle geladen.«

»Ich weiß es. Nehmt Euch nur beim Aussteigen damit in Acht, daß Keiner an dem Hahn hängen bleibt. So, Señor Comisario, jetzt werde ich Sie ablösen. Haben Sie die Güte und rücken Sie noch ein klein wenig hinüber.«

»Halten Sie nicht zu tief! Die Strömung ist hier sehr stark und wir treiben sonst vorbei,« sagte Fosca, als er sah, daß der Franzose den Bug mehr abfallen ließ.

»Nur keine Angst, Señor,« lachte dieser in der Erregung des Augenblickes und das Herz klopfte ihm, als ob es ihm die Brust zersprengen wollte. »Ich verfehle mein Ziel nicht, und passen Sie auf, was für eine angenehme Fahrt wir haben.«

»Sie treiben wahrhaftig zu weit nach unten! Caracho, Señor! Können Sie nicht steuern? Sehen Sie doch, wie das Canoe hält.«

»Ja, mein bester Señor,« lachte Baptiste – sie waren dem Canoe wenigstens hundert Schritte voraus. »Die Leute da drüben wollen auch an Bord, wir aber sind im Begriff, eine kleine Seefahrt zu machen.«

»Eine Seefahrt?« rief der Commissair, erschreckt von seinem Sitze aufspringend. – »Verrath!«

Er hatte das Wort noch nicht ganz heraus, als ihm Baptiste's Finger den Hals wie in einem Schraubstock zusammenpreßten.

»Señor Ramos,« rief er dabei, »auf und an Ihr Ruder! Du, Pedro, nach vorn! Die geringste Bewegung die Du machst, und ich jage Dir eine von den Kugeln durch den Leib – oder halt! Willst Du rudern, so rudere, was Du rudern kannst, und es soll nachher Dein Schade nicht sein, aber bei dem geringsten Zeichen von Verrath bist Du eine Leiche!«

»Ja, Señor, gewiß – wenn ich muß.«

»Du mußt! Antonio, bei der ersten falschen Bewegung, die er macht, rennst Du ihm Dein Messer in den Leib und wirfst ihn über Bord. Rudere jetzt! Stärker! Caramba, es ist für Dein Leben, Patron, denn wenn wir eingeholt werden, massakrire ich Dich selber.«

»Hallo!« schrien jetzt die im Canoe befindlichen Soldaten hinter ihnen her. »Weiter hinauf! Ihr verfehlt das Schiff.«

»Bube!« zischte der gefangene Commissair unter dem furchtbaren Griff seines Nachbars durch die Zähne, und sich dann mit äußerster Kraftanstrengung frei machend, schrie er in einem wahren Aufkreisch um Hülfe. Aber es war nur ein einziger Ruf, den er ausstoßen konnte, denn Baptiste, der das Steuer nicht loslassen konnte, hatte nur einen Moment in seinem Griffe nachgelassen. Der Gefahr durften sie sich nicht aussetzen und ehe der Ueberlistete einen zweiten Schrei ausstoßen konnte, traf ihn die geballte Faust des kräftigen Franzosen so eisenstark gegen die Schläfe, daß er, wie von einer Kugel getroffen, zusammenknickte.

»Jetzt binden und knebeln Sie ihn, Señor!« rief er Ramos zu. »Rasch! Um unser aller Leben, denn wirkliche Gefahr erwartet uns erst, wenn sie auf den Schiffen mißtrauisch werden.«

Es bedurfte keiner Worte weiter. Ramos begriff ihre Lage besser als irgend ein Anderer, wenn er sich auch noch nicht denken konnte, wer sein Befreier sei. Es war auch keine Zeit zu fragen, und mit einem Stück des Seils, mit dem er selber gebunden gewesen, schnürte er dem noch Bewußtlosen die Glieder zusammen und zwang ihm dann das Halstuch seines Kindes zwischen die Zähne in den Mund.

Sie trieben jetzt, ungefähr noch 120 Schritte von dem nächsten Schiff entfernt, an diesem vorbei.

»Ahoy the boat!« schrie Mr. Culpepper's Stimme von dort herüber. – »Was für ein Boot ist das? Wohin wollt Ihr?«

Keine Antwort erfolgte. Baptiste wußte nicht gleich, was er erwidern sollte, oder fürchtete, sich durch seine Stimme zu verrathen.

»Boot hinab! Rasch! Hinunter mit Euch, Ihr Jungen! Die besten Ruderer hinein und vier Mann mit Gewehren, hinter dem Boot dort her! Gebt Feuer, wenn sie nicht halten und dann rasch wieder geladen!«