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Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.

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»Und was, meine Sadie?«

»Schilt mich eine Thörin,« sagte Sadie, »ich hab' es verdient, aber – mir war es immer als ob Du auf Seiten der fremden Priester ständest, wie Du lachtest, und das, das gerade gab mir einen ordentlichen Stich durch das Herz, und das – das glaub' ich auch, war, was mir eigentlich weh dabei gethan.«

»Das sollte es wahrlich nicht, Du treues Herz,« sagte René gutmüthig, »aber komisch ist es doch wahrlich manchmal, daß Menschen, sonst ganz vernünftige mit ihren fünf Sinnen begabte Menschen wie unser Freund Dennis zum Beispiel, in mir unbegreiflicher Verblendung nicht allein behaupten können, nein auch fest davon überzeugt sind, daß nur sie allein den »schmalen dornenvollen Pfad« gefunden haben und wandeln, der direkt zu Gottes Seligkeit führt.«

»Und wenn sie recht hätten?«

»Liebes Herz!«

»Nein René, nein!« sagte Sadie rasch, sich fester an ihn schmiegend, »ich will nicht streiten mit Dir über den Weg des Heils, aber Du mußt auch nach sichtig mit mir sein, denn wenn ich mich ängstige und sorge ist es ja doch nur Deines, des Kindes wegen.«

»Sieh nun, Sadie,« sagte René nach einer kleinen Pause, in der er sie fest in seinen Arm geschlossen, »Ihr zürnt den fremden Priestern meiner, oder vielmehr der Römisch katholischen Religion, daß sie den Streit und Unfrieden auf Euere Insel gebracht hätten, und zum Theil hast Du recht; aber wäre es möglich gewesen die katholische Religion ganz fern von diesen Gruppen zu halten, wo mehr und mehr Fremde sich ansiedelten, deren Religion allein doch kein Grund sein konnte sie zurückzuweisen? ja hatten die Protestantischen Missionaire vor Gott ein Recht ihr Sektenthum allein als das wahre und richtige hinzustellen?«

»Vor Gott und den Menschen, ja!« sagte rasch und eifrig Sadie, »denn ihr Leben haben sie daran gesetzt diesen Inseln die wahre Religion zu bringen, und würden sie das gethan haben, wenn sie gerade ihre Religion nicht für die wahre, allein wahre hielten, ja wenn sie nicht fest überzeugt gewesen wären daß sie es sei? – Welchen bessern Beweis konnten jene Männer geben, als daß sie Gut und Blut für ihren Glauben einsetzten?«

»Gut und Blut,« sagte René achselzuckend, »das klingt wie viel und ist wenig, dasselbe thut der gewöhnlichste Matrose auf jeder Reise – wir wollen Alle leben. Aber wir haben darüber schon gesprochen meine Sadie, und gerathen da auf ein gefährliches, viel viel lieber zu vermeidendes Feld. Der Einzelne kann mir auch lieb und werth sein, ohne daß ich gerade das Princip des Ganzen anerkenne, wie Du ja selber auch den würdigen Vater Conet seines achtungswerthen Betragens, wie seiner gesellschaftlichen Tugenden wegen lieb gewonnen hast, während Du doch sonst gewiß in jeder Hinsicht seine Gegnerin bist.«

»Ich begreife das überhaupt nicht,« sagte Sadie leise – »er ist auch gar nicht wie ein katholischer Priester – «

»Weil Du Dir diese Klasse Menschen eben gedacht hast wie sie Dir von Bruder Rowe und Consorten geschildert wurde. Bei vielen trifft deren Bild, ich habe Nichts dagegen, aber nicht bei Allen, nicht bei der Mehrzahl, und – wir sollen nie von einem Menschen das Schlechteste denken, Sadie. Doch guter Gott, wohin verirren wir uns? – ist das ein Gespräch für Mann und Weib mit dieser Welt um uns her, und dem herzigen süßen Wesen da zwischen uns, daß Dich zupft und ruft und die Mutter schon lange ablenken will von den düsteren Gedanken, die ihr so nutzlos die Seele umlagern und – so nutzlos hineingepflanzt sind in den reinen treuen Boden? Wetter noch einmal Sadie, Bruder Dennis ist mir ein lieber seelensguter Mann, ein Mann den ich achte und verehre, weil ich fühle wie eben Alles bei ihm feste innige Ueberzeugung ist, was er spricht – selbst wenn er Unsinn – nein mein Lieb, ich meine es ja nicht so schlimm, er soll mir Dir nur nicht solche Grillen und Gedanken in's Herz pressen, und zwingt er Dir noch einmal die Thräne in's Auge, dann – dann – «

»Und dann?« frug Sadie, und unter Thränen vor schaute ihr Blick lächelnd zu ihm empor – »und dann?«

»Wettermädchen, Du machst mit mir doch was Du willst!« rief René, sie an sich ziehend und küssend – »ich verlange ja auch Nichts mehr auf der weiten Gottes Welt, als daß sie uns unsern Frieden lassen, ungestört und heilig, wie wir ihn – «

»Hahahahaha,« klang in diesem Augenblick eine silberreine Stimme zu ihnen herüber, und als sie überrascht aufschauten, sprang eines der eingeborenen Mädchen, das sie hier auf Tahiti kennen gelernt, und trotz ihres wilden Wesens, in dem ein treues Herz verborgen lag, lieb gewonnen, über die niedere Um zäunung, die den Nachbargarten von ihnen trennte, und kam auf sie zu.

Es war ein junges Ding von siebzehn Jahren vielleicht, und ganz in die dünne luftige Tracht jener Mädchen gekleidet, mit kurzem pareu oder Lendentuch, und leichtem Kattun-Ueberwurf über die Schultern, gerade wie René Sadien zum ersten Mal gesehen. – Aber die dunklen, mit wohlriechendem Oel reich getränkten Locken schmückte ein künstlich geflochtener Kranz von rothen Blüthen, mit den schneeigen Fasern der Arrowroot durchwebt, und der Blick mit dem sie das junge Paar begrüßte ruhte keck, ja fast höhnisch auf der liebenden Gruppe.

Aia war schön, schön wie die Palme ihrer Wälder, die lichtbronzene Haut in ihrer Färbung eher eine Zierde zu nennen, und die Gestalt voll und üppig, und doch schlank und elastisch; aber die weiche schwärmerische Gluth fehlte ihr, die den Zügen ihrer Landsmänninnen einen so eigenthümlichen Reiz verleiht, und auch das Mädchenhafte, ohne die der Schmelz abgestreift ist von jeder weiblichen Schönheit. Keck und zuversichtlich blitzte ihr Auge umher, den begegnenden Blick ertragend und besiegend, und ein eigenes bitteres, fast verächtliches Lächeln, das ihre Lippen dabei umspielte, diente nicht dazu dessen Ausdruck zu mildern.

»Joranna Sadie – Joranna René,« lachte sie, mit verschränkten Armen vor der Gruppe stehen bleibend und sie betrachtend – »Joranna Ihr Beiden – hahahaha – sitzt Ihr nicht da, als ob Dir René erst vor kaum einer Stunde seine tollen Liebeslügen in's Ohr geflüstert, und Ihr nun alle Beide die Ueberzeugung hättet, Ihr könntet nicht leben ohne einander? – bah, bah, wie lange wird's noch dauern? – Aber wundern soll's mich doch, und hätt' ich früher daran gedacht, Sadie, hättest Du mir auch von dem Pulver geben müssen, das Du ihm in die Cocosmilch geschüttet – vielleicht löge mir jener falsche Wi-wi jetzt auch noch vor, daß ich die Schönste sei auf den weiten Inseln, und er sterben müsse, wenn ich ihn nicht mehr lieben wolle. Hahahahaha, s'ist wahrhaftig zum toll werden wenn man an solche Zeit zurückdenkt, und sich das Alles dann immer und immer wieder vor den eigenen Augen erneuen sieht; ja und immer und immer wieder Thörinnen findet, denen der Hochmuthsteufel tief genug im Herzen steckt sich allein für unverlaßbar zu halten. – Aber Joranna; Ihr seid unverbesserlich, und wenn er erst fort ist, Sadie, will ich Dich auslachen, wie Du es verdienst.«

Sie warf die Locken von den Schläfen zurück, und wollte nach dem Strand hinunter eilen, als René's Entgegnung sie zurückhielt.

»Du hast unrecht, Aia,« rief er ihr nach, »doppelt Unrecht, hier gerade in beiden Nachbarhäusern. Sieh Lefevre an und Aumama, länger noch als wir sind sie verheirathet mitsammen, haben zwei liebe Kinder und denken gar nicht daran sich zu trennen.«

»Denken nicht daran sich zu trennen?« rief Aia, die bei den ersten Lauten schon stehen geblieben war, und den Kopf mit einem spöttischen, fast feindlichen Lächeln dem Redner zugewandt hatte – »denken nicht daran sich zu trennen? ja Du hast recht – wer weiß ob Du nicht noch früher dein Canoe wieder aus den Riffen steuerst als er – aber Le-fe-ve hat sich schon blind gesehen in ein paar andere Augen. Schüttle nicht mit dem Kopf, Wi-wi wenn Du mir nicht widersprechen kannst; reiß ihm das Kleid auf und lege dein Ohr an sein Herz – für wen schlägt's? – bah – so viel für Euch!« und sie schlug trotzig mit der flachen Hand ihre Lende.

»Aia – komm her zu mir und setze Dich zu mir,« sagte Sadie jetzt mit leiser, bittender Stimme. »Sei nicht so bös und ärgerlich, wir haben Dich lieb hier, und Du meinst es doch nicht so arg, wie Du es sprichst.«

»Mein ich nicht?« sagte das Mädchen noch im mer halb trotzig und abgewandt, aber doch schon mit viel leiserer, milderer Stimme, als die sanften, bittenden Laute ihr Ohr trafen – »mein ich nicht? und woher weißt Du's, Sadie? – ich hasse Euch Alle miteinander, und wohl, oh entsetzlich wohl soll mir's thun, wenn Ihr Alle – Alle so unglücklich werdet – so – wie – « sie wandte rasch den Kopf ab von Sadie, aber es war nur ein Moment —

»Aia!« rief Sadie, so bittend, so herzlich – Aia stand zögernd, Trotz und Zorn und Schaam hielten noch die Oberhand in ihrem Herzen, aber nicht im Stand sich zu verstellen, gewann das bessere Gefühl, mit dem einmal aufgerüttelten Schmerz die Oberhand, und mit wenigen Schritten an ihrer Seite, kauerte sie neben ihr nieder, barg das Antlitz an ihrem Schooß und flüsterte leise unter ausbrechenden Thränen:

»Du bist gut, Sadie, gut wie – wie – ich habe keinen Vergleich mehr, denn unsere Götter haben sie uns auch genommen und die ihrigen sind falsch – falsch wie sie selber. Aber ich bin viel zu schlecht für Dich, viel zu schlecht; Aia darf Dir nicht mehr in's Auge sehen – und doch hatten Deine Lippen noch nie einen Vorwurf für sie.«

»Armes Mädchen,« sagte die junge Frau leise und theilnehmend, und suchte ihr Haupt zu sich auf zuheben, aber die Weinende wehrte sie ab, und schlang den Arm nur fester um ihren Leib, sich ihre Stellung zu wahren.

René hatte sie mitleidig eine Zeitlang betrachtet, dann legte er seine Hand auf ihre Schulter und sagte leise:

»Bleibe bei uns, Aia, gehe nicht wieder nach Papetee, sondern bleibe bei Sadie. Wir haben Brodfrucht und Fisch für Dich, und eine Matte darauf zu schlafen, und Dein Kleid soll nicht schlechter sein, als Du es bis jetzt getragen – Sadie braucht eine Hülfe« fuhr er freundlich fort, als er sah wie diese den Kopf der vor ihr Knieenden streichelte, und sie liebkosend an sich zog, »und Du wirst recht, recht willkommen sein, hier im Haus.«

 

»René hat recht,« unterstützte die Bitte sein Weib, »geh nicht wieder nach Papetee – deine Mutter ist todt und dein Vater weit auf den Inseln zu Leewärts drüben; meide die Stadt, die Dir nur Unheil bringt und Fluch und Leid, und bleibe bei mir. Es wird Dich nicht gereuen und Du wirst wieder froh und glücklich werden unter uns.«

»Und die Mi-to-na-res?« sagte das Mädchen leise.

»Werden die Reuige gern und liebend in ihren Schutz und Schirm nehmen und ihr die Sünden vergeben, wie Gott einst gnädig auf uns niederschauen möge,« sagte Sadie rasch und freudig, denn in der Frage schon lag eine Zusage ihrer Bitte. Aia lag noch lange an der Gespielin Schooß und ihre Thränen schienen rascher zu fließen, als eine laute Männerstimme fröhlichen Gruß durch die Hecke blühender Akazien rief, die den Garten von der Straße trennte.

»Ah Lefevre,« antwortete René, »wie geht es Euch, Nachbar, und kommt Ihr nicht herüber?«

»Gleich, gleich,« lautete die Antwort, und sie hörten wie der junge Franzose draußen noch mit Jemanden sprach und ihm Aufträge gab.

Aber auch Aia hatte sich rasch und wie erschreckt emporgerichtet, und die Locken aus der Stirn, die Thränen aus dem Auge werfend wandte sie sich, als ob sie den Platz fliehen wollte; Sadie aber ergriff rasch ihre Hand und sagte leise und bittend:

»Gehe nicht fort von hier, Aia, bleibe bei uns.«

»Nein nein,« rief aber das Mädchen und Sadie konnte sehen welchen Seelenkampf es ihr kostete die Bitte auszuschlagen, den stillen Frieden ihrer Wohnung zu verschmähn und allein und freundlos in dem wilden Leben fortzustürmen, »nein ich kann – ich darf nicht bei Dir bleiben – ich verdiene es nicht – ich bin bös und schlecht geworden, und deines Gottes Fluch würde mich von der Schwelle treiben, auf der jetzt noch Dein Glück und Frieden weilt – aber« setzte sie wilder hinzu, und ihr Auge blitzte in unheimlicher Gluth nach René hinüber, »wenn sie Dich Alle verlassen haben, und Du allein und freundlos in der Welt stehst – wie ich jetzt – dann wird Aia an deiner Seite sein, und Dir für das freundliche Wort danken, das Du heute zu ihr gesprochen. Dann wollen wir lachen und tanzen und zusammen in's Leben stürmen, aber nicht mehr klagen und weinen. – Den faï über die Thränen – sie waschen den Schaum von der Seele des Menschen, daß man hinunter sehen kann bis auf den Grund – und der Fischer lacht doch nur, der darüber hinfährt.«

»Du hast vielleicht Ursache Einem von uns zu zürnen, Aia,« sagte aber René, der wohl sah welchen schmerzlichen, ja peinlichen Eindruck die Worte auf seiner Sadie Seele machten, »und schmähst jetzt ungerecht das ganze Geschlecht. Du wirst uns in späteren Jahren Abbitte thun.«

»Werd' ich – ha? und Le-fe-ve auch, wie?« – lachte das Mädchen zornig und deutete mit dem ausgestreckten Arm nach dem, eben den Garten betretenden Franzosen.

»Hallo Aia!« rief ihr dieser zu, »summt die wilde Hummel auch wieder ihr Lied auf unserer Flur? – ha, Du hast Thränen im Auge Mädchen? – geh, Du bist ein schwarzer Vogel und prophezeihst nur Unheil.«

»Es bedarf keines Propheten,« sagte aber das Mädchen zürnend, indem sie sich abwandte und das Schultertuch fester um sich zog – »Jeder von uns kann leicht vorhersagen daß die Sonne morgen früh wieder über die Berge kommt, wenn sie am Abend hinter Morea2 in die See gesunken. – Fort mit Euch, Ihr habt süße Worte auf der Zunge, und Gift, tödtliches Gift im Herzen – fort, Aia kennt Euch – fort!« – und ohne Gruß noch Blick zurückzuwerfen, schritt sie den schmalen Pfad hinab, der nach dem unteren Pförtchen führte und war bald in der sogenannten broomroad, dem gebahnten Weg nach Papetee, verschwunden.

Sadie sah ihr seufzend nach und auch René konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht ganz erwehren.

»Joranna René, – ah bon jour Madame,« rief aber Lefevre der wohl den peinlichen Eindruck zu verwischen wünschte, den die Worte des wunderlichen Mädchens unverkennbar besonders auf Sadie gemacht, »hat Ihnen Aia den schönen Abend verderben wollen? – es ist ein albernes Ding, und darf mir gar nicht mehr über die Schwelle, denn Aumama weint jedes Mal, wenn sie nur den Fuß unter das Dach gesetzt.«

»Sie ist arm und unglücklich,« sagte Sadie.

»Ach – sie verstellt sich,« entgegnete mürrisch Lefevre – »und trägt wahrscheinlich selber mit die größte Schuld ihres Leid's. Wir armen Teufel sollen's dann immer allein verbrochen haben, nicht wahr René? – Doch, was ich gleich sagen wollte; gehen Sie mit nach Papetee? – die ehrwürdigen Protestantischen Herren haben da wieder eine Zusammenkunft, heut Nachmittag, und wie das Gerücht geht beabsichtigen sie den Beschluß ernster Maßregeln, jeden Französischen Einfluß, und mit ihm vielleicht auch gleich wieder die Französischen Priester, die ihnen ein Dorn im Auge sind, von sich abzuschütteln.«

»Die Missionaire« – sagte René rasch, fuhr aber gleich darauf langsamer fort, »sind wackere und brave, aber kurzsichtige Männer, sie glauben das Heft jetzt in Händen zu haben und spielen so lange damit bis es ihnen unter den Fingern wegschlüpft – sie sollten sich nicht in die Politik mischen.«

»Was sagt Mr. Nelson dazu?« frug Lefevre.

»Er hält die Ankunft der Katholiken auch für ein Unglück für die Inseln, ist aber mit den Gewaltsmaßregeln unzufrieden die man dagegen ergreifen will; doch was kann der Einzelne gegen die ganze Schaar ausrichten.«

»Und gehen Sie mit nach Papetee?«

»Was sollen wir dort? – herbe Reden hören, die uns vielleicht ärgern und zu Gegenreden treiben? – ich habe keine Freude an der Sache, und sehe das Leid und Elend schon vor Augen das daraus entspringen wird und muß.«

»Aber wir mögen vielleicht noch Manches mildern was geschehen könnte. Mörenhout ist ein vernünftiger Mann, und wird nicht zu weit gehn.«

»Was kann Mörenhout thun?« sagte René achselzuckend – »so wie die Missionaire unter dem Schutz eines Englischen Kriegsschiffes stehn, und so lange das im Hafen liegt, daß sie sich sicher fühlen, haben sie das Wort, und wir kennen sie doch dahin gut genug, zu wissen, wie sie das gebrauchen. – Aber ich gehe mit, wir haben dann wenigstens unsere Pflicht gethan, und uns selber nichts vorzuwerfen. Ich komme bald wieder zurück, Sadie,« sagte er sich niederbeugend und ihre Stirn küssend.

»Bleibe nicht so gar lange aus heut',« bat die junge Frau ihn, leise flüsternd, und die Kleine noch auf dem Knie haltend, die erst die Aermchen um den von ihr Abschied nehmenden Vater geschlungen, sah sie den Männern lange und schweigend nach.

Aber Aia's Worte hatten doch trübe und schmerzliche Gedanken in ihrer Seele wach gerufen. Nicht für das eigene Glück fürchtete sie dabei; so keck und leicht René auch immer in das Leben stürmte, so treu war er sich geblieben, was sie betraf, von erster Stunde an wo er sie gesehen, und das Kind, das er mit unendlicher Zärtlichkeit liebte, schlang die Bande des Herzens ja noch fester um sie. Aber das wilde Leben der Insel selber; die ihr feindlich dünkende Religion, die weiter und weiter um sich zu greifen drohte, und viel, so entsetzlich viel von dem verwarf, was ihr bis dahin der Seele Heiligstes gegolten; der Unfrieden dabei zwischen den eigenen Lehrern, die Vorwürfe, die von den Missionairen ihrem alten Vater o so ungerecht gemacht wurden, der Römischen Kirche mehr als mit seiner Stellung verträglich zugethan zu sein, wie er denn auch selbst das einzige Wesen das ihm näher stand, einem Katholiken zur Frau gegeben; ja selbst René's Gleichgültigkeit gegen einen Kampf, der doch die heiligsten Interessen ihrer einstigen Seligkeit betraf, das Alles zog ihr in trüben ängstigenden Bildern an der Seele vorüber. – Und dabei hatte ja die arme Aia recht mit so vielen Anderen; wohin sie dachte schrak sie vor dem wilden Treiben zurück, das lockere Bande schlang um Europäer und Insulanerinnen, und sie losließ, wie es dem Augenblick gefiel. Ob das Herz darüber brach, oder die Verlassene in Schmerz und Trotz Entschädigung, Vergessen suchte in wilder lasterhafter Lust; die Welle des flüchtigen Tages schlug über ihr zusammen, und die nächste Sonne hatte vergessen was sie gestern beschien in Lieb und Treue.

»Mein schönes Atiu,« seufzte sie da leise vor sich hin – »Du lieber, lieber Platz an dem freundlichen Strand – Deine Palmen so grün, Deine Früchte so süß – Atiu. Und der alte kleine Mi-to-na-re da am Haus, der so oft hier herüberdenkt an seine kleine Pu-de-ni-a, die jetzt – aber nein, nein, nein, René fühlt sich wohl hier und glücklich in der, seine Thätigkeit fordernden Welt, und einst kommt denn doch wohl die Zeit, wo er sich wieder zurücksehnt nach jenem stillen Ort unseres ersten, seligsten Glücks – nach Atiu. – Und die Zeit wird wieder kommen,« setzte sie nach einer kleinen Pause zuversichtlich hinzu, »noch hab' ich nicht für immer Abschied genommen von all den liebgewonnenen Stellen, von den guten Menschen – ich weiß nur nicht ob ich mich so recht herzlich darauf freuen soll – oder davor fürchten. Ach es ist ein recht recht böses Ding um das arme Menschenherz!«

Capitel 3.
Der Besuch – Aumama

Sadie saß noch lange träumend da, und ihrem regen Geist tauchten bunte und oft wunderliche Bilder auf, wie sie das Herz sich wohl ausmalt in müßigen Stunden, sinnend und grübelnd ihre Farben schaut, und sich vorspricht daß sie leben und sind – bis sie in Dunst zerfließen, anderen, bunteren vielleicht, Raum zu geben. Aber die Kleine scheuchte ihr bald die Wolken von der Stirn – wenn es wirklich Wolken gewesen, die ihrem sonst so heiteren Antlitz jenen ernsten Schatten gegeben – und mit dem Kinde kosend und spielend kehrte das Lächeln auf ihre Lippen zurück, und sie war bald wieder das heitere frohe Kind des Waldes, dem Gott in seiner unendlichen Vaterhuld alle Wünsche erfüllt, alle Tage gesegnet hatte, und das sich nun auch des heiteren Sonnenlichts freute, in Glück und Dankbarkeit.

»Hat mir das böse arme Mädchen doch selber fast das Herz schwer gemacht eine ganze Stunde lang,« sagte sie lachend, und das Kind dabei herzend, – »hat uns Steine in den klaren See geworfen, meine Sadie, und das Wasser getrübt, bis an den Rand hinauf. Aber nun wollen wir auch wieder lachen und singen und fröhlich sein, bis Papa zurückkommt und sich freut mit mir, an meinem kleinen lieben Töchterchen. Horch, was ist das? – hörst Du mein Kindchen, wie das trappelt und trappelt da draußen? – das buaa a fai tatatu3 klappert vorbei und Sadie – aber was ist das?« unterbrach sie sich rasch und fast erschreckt, als näher und näher gekommenes Pferdegetrappel plötzlich an ihrer Pforte hielt, und sie Stimmen vernahm – »Fremde hier draußen bei uns? – Was für ein wildes reges Leben diese fremden Männer doch auf unsere stillen Inseln gebracht haben,« setzte sie dann langsamer und kopfschüttelnd hinzu, »und lärmend und lachend sprengen sie Wochentag wie Sabbath die Straßen entlang, sich nicht

mehr um den heiligen Tag ihres eigenen Gottes kümmernd, als ob das Glockengeläute dem Oro oder Taua gälte. Auf Atiu war es doch stiller und friedlicher, und wenn wir dort – ha, ich glaube wahrhaftig die Leute wollen hier herein.«

»Dieß muß der Ort sein,« sagte jetzt plötzlich eine Frauenstimme draußen auf der Straße, in Französischer Sprache, die Sadie hatte, selbst in der kurzen Zeit, vollkommen gut und fließend von René sprechen lernen – »wären Sie meinem Rath vorhin gefolgt, Monsieur Belard, so hätten wir nicht ein paar Miles ins Blaue hinein zu galoppiren brauchen – steigen wir ab?«

»Jedenfalls, wenn es den Damen gefällig ist,« erwiederte eine Männerstimme, »er kann kaum irgend wo anders wohnen.«

Sadie die, ihr Kind auf dem Arm, auf einen kleinen Ausbau getreten war, von dem aus sie, durch einen dichten Busch des Cap-Jasmins verdeckt, die Straße vor der Thür gerade überschauen konnte, erkannte drei Damen und zwei Herren, alle zu Pferde, die an der Pforte hielten, jetzt abstiegen und den kleinen Hofraum, der zwischen der blühenden Akazienhecke und dem Hause lag, betraten.

 

Die Fremden suchten jedenfalls René, und Auskunft zu geben trat sie ihnen, das Kind nach dortiger Sitte auf ihrer linken Hüfte reitend, mit freundlichem Joranna entgegen.

»Ah, da ist ein Mädchen,« rief die eine Dame, die, das lange Reitkleid emporhaltend, nahe am Hause stehen geblieben war, und sich nach irgend einem lebenden Wesen, das ihr Rede zu stehen vermochte, schien umgesehen zu haben, »aber lieber Gott, Lucie, es ist eine Eingeborene, und mit meinem Tahitisch sieht es noch windig aus – ich kann noch weiter Nichts als Joranna und aita.«

»Ich spreche französisch, meine Damen,« unterbrach sie die junge Frau, leicht erröthend und die Kleine, die sich ängstlich an sie klammerte, der fremden Gesichter wegen, mit ein paar freundlichen Worten auf den Boden niedersetzend.

»Ah, Du sprichst in der That Französisch, Kind?« sagte die andere Dame, die von der ersten Lucie genannt war, erstaunt – »und noch dazu mit vortrefflicher Aussprache; sehr schön, dann kannst Du uns auch sagen ob Monsieur René Delavigne hier wohnt und Madame Delavigne zu sprechen ist.«

Sadie lächelte, denn sie fühlte recht gut wie sie die Fremden in ihrem einfachen Gewand für irgend ein Mädchen des Hauses hielten, und sagte mit einer leisen Neigung des Kopfes, während aber ein höheres Roth ihre Wangen und Schläfe bis auf den Nacken färbte und das liebe Antlitz noch reizender machte:

»Monsieur Delavigne wohnt hier allerdings, und Madame, oder Sadie Delavigne – «

»Ah, dann ist dieß wohl seine Tochter? – ein reizendes Kind!« unterbrach sie Madame Belard und kniete bei der Kleinen nieder.

»Und Madame Delavigne?« frug Mad. Brouard.

»Bin ich selber,« flüsterte Sadie mehr als sie sprach.

»Ah – mon Dieu – est il possible? – bless me!« waren die ersten erstaunten Ausrufe der Damen und Herren, denn so unerwartet kam ihnen die Entdeckung, daß René eine Eingeborene »zur Frau hielt,« selbst jeden schuldigen Anstand in diesen Ausrufungen zu vergessen, und Sadie fühlte das mehr, als sie es verstand, denn das Blut drohte ihr in diesem Augenblick die Adern der Schläfe zu zersprengen, und sie bog sich zu dem Kind nieder ihre Verlegenheit – wenigstens ihr Erröthen zu verbergen.

Die beiden Französinnen faßten sich aber rasch wieder, und wohl einsehend, welchen Verstoß gegen jede gute Sitte sie hier, allerdings nur in der ersten Ueberraschung, gemacht, traten sie auf Sadie zu, und begrüßten sie, ihr die Hände entgegenstreckend, in fast herzlicher Weise.

»Ah, da hat uns Freund Delavigne eine Ueber raschung aufgespart,« rief die erste Sprecherin, Madame Belard, lachend – »wir haben natürlich nicht vermuthen können, daß er schon so heimisch auf den Inseln geworden wäre. – So sein Sie uns herzlich gegrüßt, Madame und versichert dabei, daß wir trotzdem keine Unbekannte in Ihnen aufsuchten. Ihr Herr Gemahl hat uns schon so viel Liebes und Gutes von Ihnen erzählt – nur Ihrer Abstammung erwähnte er nicht, wahrscheinlich nur uns Ihre Liebenswürdigkeit so viel lebhafter empfinden zu lassen.«

Sadie athmete leichter auf; die freundlichen Worte, wenn sie ihren Sinn auch nicht gleich vollkommen faßte, thaten ihr wohl. Sie hatte sich vor einem ersten Zusammenkommen mit jenen fremden Frauen, von denen ihr René schon erzählt, und in deren Haus sie einzuführen er gewünscht hatte, schon lange gefürchtet; deren erstes Betragen hatte dann ebenfalls nicht dazu gedient sie zu beruhigen, und um so wohlthuender kam ihr jetzt die herzliche Anrede. Ihr einfach treues Herz kannte auch weder Falsch noch Verstellung, und die Worte nehmend wie sie ihr geboten wurden sagte sie, den Frauen beide Hände entgegenstreckend, und ihnen offen und freundlich dabei in's Auge schauend:

»René wird es recht recht leid thun daß Sie ihn nicht hier gefunden haben, aber sein Sie mir herz lich willkommen und ruhen Sie sich ein wenig aus bei mir, von Ihrem Ritt. Ich will die Kleine nur indessen unter Aufsicht geben, und bin dann rasch wieder bei Ihnen.«

Die Damen wollten erst höfliche Einreden machen, und sprachen von »stören« und »beunruhigen«, Sadie führte sie aber lächelnd zu dem freundlichen Sitz am Strand, und bat sie dort niederzusitzen, während sie rasch mit dem Kind in das Haus eilte.

»Ein reizendes Frauchen,« sagte Monsieur Belard schmunzelnd, als sie in der Thür verschwunden war, und die Damen einiges zusammen flüsterten; »Delavigne hat wahrhaftig keinen schlechten Geschmack; und spricht vortrefflich Französisch – vortrefflich.«

»Mr. Delavigne hätte uns aber doch auch wohl vorher einen Wink über seine Familienverhältnisse geben können,« meinte Mrs. Noughton, eine Amerikanerin, die bis jetzt noch kein Wort mit Sadie gesprochen hatte – »er würde dadurch beiden Theilen eine Verlegenheit erspart haben.«

»Lieber Gott, Verehrteste,« vertheidigte diesen die lebendige Madame Belard, »die Verhältnisse auf den Inseln hier sind von den unsrigen so sehr verschieden, daß man schon wirklich bei Manchem ein Auge zudrücken muß, und nicht gar so entsetzlich streng sein darf. Es bestehen übrigens auch wirkliche Verbin dungen zwischen Europäern und Insulanerinnen, und Monsieur Delavigne hat nur von seiner Frau gesprochen.«

»Liebe Kinder, was zerbrecht Ihr Euch darüber den Kopf,« fiel ihnen hier der andere, ältere Herr, ein Monsieur Brouard und der Gemahl der viel jüngeren Lucie Brouard, in die Rede, »wenn Ihr in Rom seid müßt Ihr leben wie die Römer,« sagt ein altes gutes Sprichwort. Madame Delavigne ist ein reizendes junges Frauchen, und wohl im Stande einen Mann zu fesseln.«

»Und auf wie lange?« unterbrach ihn, mit einem fast boshaften Lächeln, Madame Belard.

»Auf wie lange, Madame?« wiederholte mit einem etwas frivolen Achselzucken der Gefragte – »ich bin kein Prophet oder Sterndeuter; aber das sind Familienverhältnisse, und mancher Indianer hätte vielleicht eben so gut ein Recht dieselbe Frage an uns Europäer zu richten – auf wie lange? mon Dieu, wir sollten diesen wichtigen Punkt überhaupt etwas genauer in unserem Trauungs-Ceremoniell berücksichtigen; auf wie lange? – wir müssen uns damit begnügen zu wissen, daß wir sind, und eine Frage was wir einst werden, geschieht wohl immer nur in's Blaue hinein.«

»Es ist aber doch nur eine Indianerin,« bemerkte, mit einem keineswegs zufrieden gestellten Blick, Mrs. Noughton, die aus den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika ein nicht leicht zu besiegendes Vorurtheil gegen jede farbige Race, sie mochte einen Namen oder Stamm haben welchen sie wollte, mitgebracht hatte, und sich immer des Gedankens nicht erwehren konnte, daß solche Leute am Ende gar schwarzes Blut in ihren Adern haben könnten, oder mit anderen Worten in zweiter oder dritter Generation von Negern abstammten, mit denen natürlich jeder vertrauliche, selbst freundschaftliche Verkehr außer Frage gewesen wäre – »und hätte ich das früher gewußt, würde ich ihr wenigstens nicht zuerst meine Visite gemacht haben.«

»Sie müssen aber bedenken, Mrs. Noughton,« sagte etwas eifrig Madame Belard dagegen, »daß uns Monsieur Delavigne gar nicht zu sich eingeladen, also auch keine Schuld hat an dem Besuch. Wir sind aus freien Stücken hergekommen, und wenn ich auch gestehen muß daß ein derartiges Verhältniß immer sein Unangenehmes, Störendes hat und uns bei größeren Gesellschaften vielleicht auch dann und wann in Verlegenheit bringen könnte, so – «

»Attention meine Damen,« unterbrach sie hier Mr. Brouard, mit etwas gedämpfter Stimme, denn Sadie erschien in diesem Augenblick wieder auf der Schwelle des Hauses, und hinter ihr ein Knabe, der einen großen Präsentirteller mit Wein und Früchten trug.

»So Mataoti,« rief sie diesem in seiner Sprache zu, »bediene die Frauen und sei ein flinker Bursch,« sich dann aber zu ihren Gästen wendend fügte sie herzlich hinzu: »aber Sie haben sich ja noch nicht einmal gesetzt, in der ganzen langen Zeit – bitte geben Sie mir Ihre Hüte und machen Sie es sich bequem, René dürfen Sie doch nicht so bald zurück erwarten, denn er und Monsieur Lefevre sind der politischen Verhältnisse wegen nach Papetee gegangen, dort noch Manches vielleicht mit ihren Freunden zu besprechen.«

»Hahaha, das ist vortrefflich!« lachte Mr. Belard, »und denen zu entgehen sind wir gerade ausgeritten; es wird förmlich Comödie gespielt heute in der Residenz, und da die Missionaire Hauptrollen dabei haben, fürchteten wir die Sache möchte doch am Ende zu langweilig werden.«

2Die Indianer nennen die Insel Imeo meist Morea.
3»Das Schwein das Menschen trägt« wie die Insulaner zuerst das Pferd nannten, für das sie keinen Namen hatten.