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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band

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»Was für ein reges wunderliches Leben das hier ist, meine Adele« sagte er, den Arm der Gattin pressend, der in dem seinen hing, und lächelnd zu ihr niederschauend – »sieh nur allein die wunderlichen Farben, an der Tausende, die hier herüber und hinüber eilen – nicht zwei haben gleiche Schattirungen und es ist fast, als ob der ganze Erdball seine Bewohner hierher geschickt hätte, die eine Stadt zu füllen.«

»Aber was für häßliche Gesichter diese Neger haben« lächelte die Frau, in komischer Angst über die Schulter zurück nach dem Schwarzen sehend, der ihnen die Sachen nachführte, »besonders jener Bursche da hinter uns; was für böse Augen und entsetzliche Lippen. Und so höhnisch und tückisch sehn sie dabei aus.«

»Was können sie für den Ausdruck ihrer Race« lachte Eltrich, »aber es sollen vortreffliche Arbeiter sein, und meist guten Humors – sehr oft guten Herzens. Was kümmert uns ihre Farbe und der Schnitt ihres Profils; wer weiß überdieß, ob wir ihnen nicht eben so häßlich erscheinen, wie sie uns.«

»Oh die herrlichen Früchte!« rief da Adele, als sie vor einem Stand vorbeikamen, der mit Ananas, Orangen, Bananen und Cocosnüssen bedeckt war – »oh der gottvolle Duft! ach das thut wohl solche Luft zu athmen nach so langer Zeit – und Blumen da drüben – oh sieh die lieben herrlichen Blumen an, Paul; nicht wahr, so wie wir uns nur ein klein wenig eingerichtet haben, gehen wir mit dem Kind hinaus in's Freie und pflücken uns viele viele Blumen – ich freue mich selber wie ein Kind darauf.«

»Gewiß mein Herz gewiß – aber die Blumen hier in Amerika sollen keinen Duft haben wie die unsrigen, wie man den Vögeln auch hier nachsagt daß sie nicht singen könnten.«

»Verleumdung Paul – böse Verleumdung!« rief die kleine fröhliche Frau, die vor dem Blumenstand stehn geblieben war und sich zu den vollen, zierlich gebundenen Bouquets die ein reizendes Quadroonmädchen feil bot, niedergebogen hatte – »hier überzeuge Dich selbst was für einen zarten herzigen Duft das kleine weiße Blümchen hat – und Luz muß auch riechen – nicht wahr Herz das riecht anders, wie da unten in dem bösen dunstigen Schiff, wo mein armer kleiner Bursche so lange gesteckt hat, und sich nicht herumtummeln konnte auf grünem Rasen.«

Das Mädchen bot ihnen Sträuße zum Verkauf an, doch Adele schüttelte erröthend den Kopf, drängte von dem Korbe fort, und bat den Gatten mit leiser Stimme kein Geld an solche Sachen zu wenden, wo sie es vielleicht zum Leben nöthig in der ersten Zeit gebrauchten.

»Es sind die ersten Blumen die uns geboten werden« sagte aber lächelnd der junge Mann, »laß sie uns nicht zurückweisen. Sie mögen uns ein gutes Zeichen sein. Was kosten die Blumen Kind?« frug er dann auf Englisch das junge Quadroonmädchen das sie feil bot.

»Nichts« sagte dieses aber, jetzt selber tief erröthend in reinem Deutsch – »die junge Frau und das Kind mögen sie nehmen!«

»Du sprichst deutsch?« rief Eltrich im höchsten Erstaunen aus, »und bist doch nicht über dem Wasser drüben geboren.«

»Nein« sagte die Sclavin ernst den Kopf schüttelnd – »aber mein Master ist ein Deutscher, und in seinem Hause wird deutsch gesprochen, da habe ich es schon als Kind gelernt.«

»Wie heißt Dein Master?«

»Messerschmidt.«

»Aber dürfen wir da die Blumen nehmen?«

»Ich darf sie geben« sagte das junge Mädchen, und das Blut drohte ihr in dem Augenblick die Schläfe zu zersprengen, »denn ich habe heute Morgen schon mehr, weit mehr für meine Blumen gelößt als mein Master von mir verlangt – ich bitte Sie recht herzlich darum sie zu behalten.«

»Recht herzlichen Dank dann für Dein freundliches Geschenk, Du liebes Kind« sagte Adele, ihr die Hand hinüber reichend, die sie nur schüchtern nahm – »es mag uns Glück bringen in dem neuen Land.«

»Sie sind noch nicht lange hier?«

»Erst seit heute.«

»Du lieber Gott!« sagte das junge Mädchen die Hände faltend.

»Aber liebes Kind wir müssen fort« unterbrach hier Eltrich das Gespräch, indem er zurück und dann um sich her schaute, den Neger zu sehn, der ihre Koffer fuhr – »der Bursche ist wahrhaftig wohl schon voran gegangen und ich weiß jetzt nicht einmal ob ich den Weg wieder so rasch finden kann.«

»Er wird doch ehrlich sein« rief Adele mit jähem Schreck – »guter Gott, sein Gesicht sah nicht darnach aus. Hast Du einen Neger jetzt ganz kürzlich hier vorbei gehn sehn, mein Kind, der einen Wagen zog auf dem zwei Koffer mit anderem Gepäck standen?«

»Es gehn so viele vorbei, man achtet nicht darauf« sagte das Mädchen – »fast war mir's aber, als ob gleich hier unten Einer vor kurzer Zeit in die Quergasse eingebogen wäre. Das schadet aber Nichts« setzte sie rasch und beruhigend hinzu – »die Leute haben meist alle ihre Nummer, und wenn Sie die gemerkt haben kann er mit den Sachen hingehn wohin er will, die Policey schafft sie Ihnen gleich wieder.«

»Die Nummer?« – sagte Eltrich, etwas bestürzt vor sich hinsehend »ja – ich glaube er hatte eine Nummer, aber welche, wahrhaftig und wenn ich sterben sollte, ich wüßte es nicht.«

»Barmherziger Himmel wenn alle unsere Sachen – « rief Adele in Todesangst – »es wäre furchtbar – was fingen wir nur an?«

»Thorheit, liebes Herz« suchte aber der Mann ihr die Sorge von der Stirn zu lachen – »er weiß das Haus und ist vorangegangen wo er auf uns warten wird. – Ah, hier ist der Zettel, – straße Nr. 43.«

»Der Weg führt hier gerade hinauf« sagte die junge Sclavin, »und oben am fünften Square von hier – der fünften Querstraße die Sie treffen, biegen Sie links ein, Sie können nicht fehlen.«

»So adieu mein Kind, und nochmals schönen Dank für Dein Geschenk!«

Auch die Frau nickte ihr noch freundlich zu, aber die Sorge für Alles was sie jetzt auf der Welt noch das ihre nannten, nahm für den Augenblick ihre Sinne und Gedanken zu sehr in Anspruch, an etwas Anderem mehr als momentan zu haften. Die Läden an denen sie vorbeigingen, die wunderlichen Charaktere und Menschen, denen sie begegneten, die ausgestellten Waaren, die eigenthümliche Bauart der Häuser, mit all dem Neuen und Interessanten um sie her, das eine fremde Welt ihr bot, lockte sie nicht mehr oder vermochte ihr Auge zu fesseln, das nur einen Punkt zu suchen schien in der weiten fremden Stadt – das häßliche Gesicht des Negers. So eilten sie, Eltrich selber weit ängstlicher als er der Frau gestehen mochte, ihre eigene Sorge nicht noch, vielleicht nutzlos, zu mehren, die Straßen entlang, so rasch sie eben mit dem Kind vorwärts kommen konnten, immer noch in der Hoffnung den doch wohl nur vorangegangenen Schwarzen zu überholen.

»Ha dort geht er!« rief Eltrich plötzlich – »Gott sei Dank wir haben uns geirrt!« und der Seufzer den er dabei ausstieß bewieß wie sehr er selber das Schlimmste gefürchtet.

»Nein, das ist er nicht!« rief aber Adele, deren schärferes Auge leicht den Unterschied in Neger wie Gepäck entdeckt hatte – »das sind nicht unsere Koffer.« —

Es war nur zu wahr – ein fremdes Gesicht blickte sie an als sie daran vorüber eilten und ihm forschend in's Auge sahen, fremdes Gepäck lag auf dem kleinen Karren, und fast im Lauf flohen sie jetzt die Straße hinauf, bogen um die bezeichnete Ecke und standen wenige Minuten später vor der Nummer des Hauses – wo kein Karren sie erwartete.

»Er ist noch nicht da« stöhnte Eltrich – »wir sind zu rasch gelaufen und haben ihn übersehn.«

Adele zitterte am ganzen Körper – sie wußte das war nicht geschehn, sagte aber kein Wort.

»Oder er ist vielleicht in eine andere Straße eingebogen wo er ungestörter fahren konnte – die vielen Wagen hier. – «

»Er kann noch nicht dagewesen sein« sagte Adele endlich leise, so leise als ob sie fürchte der unwahrscheinlichen Vermuthung auch nur Raum zu geben.

»Er hätte gewartet!« – sagte aber auch Eltrich jetzt mit einem tiefen, angstvollen Seufzer – sein Blick flog die Straße auf und nieder – umsonst, der Neger ließ sich nirgends sehn, und die Gewißheit drang sich ihm immer furchtbarer auf daß er Alles – Alles – nein es war ja nicht möglich – Gott konnte nicht wollen daß sie so von allem entblößt was sie noch das ihre bis dahin genannt, in der fremden Stadt in der fremden Welt ein Leben beginnen sollten – es war nicht möglich; aber auch schon diese Ungewißheit, eine Höllenqual.

Er bat jetzt sein Weib mit dem Kind einen Augenblick an der Thüre stehn zu bleiben, während er hinein in das Haus lief dort in ihr Zimmer zu sehn – der Neger konnte die Straße heraufkommen während er im Inneren war. Er kehrte nach wenigen Minuten zurück. —

»Er ist nicht oben?«

Traurig, verzweifelnd schüttelte er mit dem Kopf.

Nur noch eine Hoffnung blieb ihm jetzt – er wollte noch kurze Zeit warten – noch war es möglich daß der Bursche, in eine andere Straße vielleicht eingebogen, sich da aufgehalten und verspätet hatte – er konnte noch kommen, kam er aber nicht, dann wollte er rasch auf die Policey und dort die Anzeige des Geschehenen machen. Lieber Gott es war das eine schwache, trostlose Hoffnung – ohne Nummer oder Namen des Negers konnte er der Policey selbst keinen Halt geben an irgend etwas; große Augen und aufgeworfene Lippen hatten alle die Tausende von Negern die sich in New-Orleans herumtrieben und er wußte ja selber nicht, ob er sogar zu dem Mann würde schwören können, wenn er ihn jemals wieder angetroffen. Adele aber mußte erst mit dem Kind in ihrem Zimmer untergebracht werden, daß er selber freie Hand behielt; er führte sie hinauf. Es war ein kleines Gemach, das auf den engen Hof hinaus sah; die Thür stand offen, denn zu stehlen war Nichts darin, und das Meublement bestand in einem Tisch, drei Rohrstühlen und zwei leeren Bettstellen.

»Habe nur ein klein wenig Geduld Adele, ich bin bald wieder zurück – und – quäle und ängstige Dich nicht zu sehr – noch ist Hoffnung da; ein trauriger Anfang macht oft ein fröhliches Ende, liebes Herz.«

Er küßte sie auf die Stirn, nahm das Kind auf und herzte es ab, und verließ dann rasch das Zimmer; Adele aber legte die Blumen vor sich auf den Tisch, barg, darüber gebeugt, ihr Antlitz in den Händen, und weinte still und trostlos.

 

Auf der Haidschnucke waren indessen die drei, bei dem Leuchtschiff in der Weser an Bord gekommenen Passagiere in die Cajüte zum Capitain gerufen worden, dort entlassen zu werden. Sie traten, die Mützen in der Hand herein, und blieben an der Thür mit dem Untersteuermann neben sich stehn, den Capitain zu erwarten, der in sein eignes Zimmer gegangen war, und nach einer Weile mit einigen Papieren und ein paar kleinen Packeten in der Hand, zurück kam.

»Na Ihr seid fertig an Land zu gehn?« rief er, nach einem flüchtigen Blick auf die Leute – »Stürmann, sin here Sahken ruut schafft.«

»All's klaar Captein – « antwortete der Seemann.

»Gut, dann könnt Ihr jetzt gehn wohin Ihr wollt. Hier Pelz, da hast Du Deinen Zettel – hier Du Deinen Alper, und da Du den Deinen Mooswerder.«

»Ne ich bin Mooswerder, Capitain – « sagte der zweite.

»Schon gut, Ihr könnt sie Euch an Land dann aussuchen – es steht drinn daß Ihr Euch in Deutschland gut aufgeführt hättet – Ihr werdet das schriftlich brauchen, denn auf Euer Gesicht glaubt's Euch doch hier Niemand.«

»Muß das ein Jeder hier haben?« frug der älteste der drei, das Papier etwas mistrauisch betrachtend.

»Ich soll Dir wohl auch noch eine Erklärung geben,« fuhr ihn der Capitain barsch an – »da hier« setzte er dann ruhiger hinzu, »sind auch für jeden noch fünf Dollar Amerikanisches Geld, daß Ihr die ersten Wochen was zu leben habt; für 3 Dollar die Woche könnt Ihr hier in den billigsten Gasthäusern Kost und Logis bekommen, und habt Zeit Euch nach Arbeit umzusehn; verstanden? Daß Ihr Euch gut zu betragen habt, brauch ich Euch nicht erst noch zu sagen, wohlmeinend warnen möcht ich Euch aber doch keine dummen Streiche zu machen, denn sie verstehn hier keinen Spaß; aber Ihr werdet selber am Besten wissen was Euerer Haut gut ist.«

»Denke so, Capitain« sagte der Alte, die Hand nach dem Geld ausstreckend – »sind doch alt genug dazu.«

»Schön – weiter hab' ich mit Euch Nichts zu thun – Eure Kisten stehn oben an Deck, in einer halben Stunde müßt Ihr an Land sein.«

»Vielleicht wäre es gut, Herr Capitain« sagte da der Alte mit einem eigenthümlich versteckten Lächeln, »wenn Sie sich von den hiesigen Behörden eine Quittung über richtige Ablieferung geben ließen.«

»Geht zum Teufel!« rief aber Capitain Siebelt ärgerlich, »oder ich lasse Euch die Quittung noch vorher auf den Rücken schreiben.«

»Nun Nichts für ungut« lachte der Alte, »war nur so eine Meinung von mir; übrigens sind wir hier freie Bürger« setzte er mit einer Art verstecktem Trotz hinzu.

»Ja, sobald Ihr an Land seid« sagte der Capitain – »nicht bei mir an Bord.«

»Danke für den Wink« lachte der Alte, »und glückliche Rückfahrt. – Grüße brauchen wir Ihnen doch wohl nicht aufzutragen?«

Die Andern lachten, der Capitain aber winkte dem Steuermann ungeduldig die Burschen hinauszuschaffen, die übrigens gar nicht daran dachten den Mann noch böse zu machen, und rasch dem Befehl gehorchten.

An Deck oben standen ihre Kisten schon bereit, die Jeder von ihnen – sie waren leicht genug – schulterte, und damit, ohne sich weiter um irgend einen der anderen Passagiere zu kümmern, das Schiff verließ.

»Capitain!« sagte Henkel, der in demselben Augenblick die Cajüte betrat, als die drei Männer sie verlassen hatten, »dürfte ich Sie bitten mein Gepäck nach oben schaffen zu lassen, ich möchte es, noch ehe wir an Bord der Jane Wilmington fahren, gern befördern.«

»Aber was eilen Sie?« frug der Capitain, der eben seinen Hut und Stock genommen hatte, seinen Passagier zu begleiten, »Ihre Fracht wird auch noch nicht oben sein, und für Ihre Frau Gemahlin ist es doch am Ende besser daß sie noch ein paar Tage ruhig in ihrer Coye bleibt, bis sie sich vollständig erholt hat. Der Arzt kann sie ja auch hier besuchen.«

»Meine Ballen kommen eben herauf« sagte Henkel aber, »und ich habe schon Jemanden dabei, der mit ihnen auf das Steueramt geht und dort Alles berichtigt, und meine Frau wird sich jedenfalls besser an Land erholen. Unsere Wohnung ist nicht weit von hier.« —

»Gut, wie Sie wollen, ist Alles herausgesetzt?«

»Ja, hier von der Cajüte – ein Drayman steht schon oben und wartet, das Gepäck in Empfang zu nehmen.«

»Und weiter ist Nichts?«

»Noch zwei Koffer die in der Coye stehn, mit Kleidern und Wäsche meiner Frau.«

»Dürfen die Leute hinein?«

»Ich werde sie selber heraussetzen.«

»Gut« sagte der Capitain, »dann will ich nach oben gehn und den Steward mit einem von den Matrosen hinunter schicken; aber machen Sie rasch, wir haben nicht viel Zeit zu verlieren und ich muß selber um halb zwölf in Canalstraße sein.«

Er verließ die Cajüte und wenige Minuten später folgte ihm Henkel, aber er sah bleich und erregt aus – seine Lippen zitterten und er strich sich mit der Hand ein paar Mal heftig die Stirn. Selbst dem Capitain, sonst gerade kein scharfer Beobachter, fiel das Aussehn seines Passagiers auf, und er rief überrascht:

»Hallo Sir, Sie sehn ja aus als wenn Ihnen ein Gespenst begegnet wäre – was ist Ihnen?«

»Mir? – o Nichts« erwiederte Henkel, sich gewaltsam sammelnd – »nur unwohl wurde mir plötzlich unten – ich weiß nicht wovon; der Kopf schwindelte mir und es wurde mir so schwarz vor den Augen; aber es ist vorbei jetzt« setzte er ruhiger hinzu, »ich habe auch schon früher etwas Ähnliches gehabt – ein leichtes Unwohlsein, das eben so rasch entsteht wie verschwindet.«

»Hier zu Lande muß man vorsichtig mit solchen Dingen sein« meinte Capitain Siebelt kopfschüttelnd – »Sie sahen wie eine Leiche aus, als Sie an Deck kamen.«

»Wirklich?« lachte Henkel, aber das Lachen klang hohl und unheimlich »ah da kommen die Sachen« unterbrach er sich rasch, als der Steward mit einem der Matrosen, jeder einen Koffer tragend, an Deck erschien – »dort dem Mann Leute, überliefert das Gepäck; Nr. 477 er weiß wohin es kommt.«

»Ist Alles herausgesetzt unten?«

»Ja; – nein – zwei Koffer stehn noch in der Cajüte, aber meine Frau wird selber darüber bestimmen, wann die fortgeschafft werden sollen. Doch bald hätte ich ja vergessen – hier Steward, ist etwas für Ihre Bemühungen.« —

»Oh ich bitte, Herr Henkel – war gar nicht nöthig; nun ich danke auch recht viel tausendmal.«

»Und hier Steuermann, haben Sie die Güte das von mir den Leuten an Bord zu geben.«

»Danke herzlich, Herr Henkel, in deren Namen – werden sich einen guten Tag damit machen können – aber das hätte ja Zeit gehabt, Sie kommen doch wieder an Bord.«

»Ich? – ja – allerdings – aber ich könnte es vergessen.«

»Sind Sie fertig?« frug der Capitain, der indessen langsam vorangegangen war und schon unten auf der Levée stand, herüber.

»Ich komme Capitain – also Steuermann, ich verlasse mich auf Sie, daß der Mann da rasch befördert wird – die Karrennummer ist 477.«

»Er soll in zehn Minuten die Sachen an Bord haben« sagte der Seemann, »so wahr ich Köhler heiße.«

Der Steuermann stand oben an der Reiling, mitten auf den ausgeschobenen Planken, und sah den fortfahrenden Männern nach, als er vom Schiff aus angeredet wurde.

»Herr Obersteuermann, wenn ich bitten darf?«

»Ja wohl, was giebts? – ah Herr Maulbeere – nun auch zum Abmarsch fertig? das ist ja schnell gegangen.«

»Freut mich, wenn meine Bereitwilligkeit Ihr angenehmes Schiff zu verlassen, Ihren Beifall hat – wäre gern noch länger geblieben, aber Sie wissen wohl, Geschäfte müssen immer den Vergnügungen vorgehn.«

»Ja wohl Herr Maulbeere und was für Geschäfte haben Sie? wenn ich fragen darf?«

»Scheerenschleifen mit Ihrer Erlaubniß Herr Obersteuermann; die Scheeren in hiesiger Stadt sollen sich, neueren Nachrichten zufolge, in einem höchst traurigen und vernachlässigten Zustand befinden, es ist demnach die höchste Zeit, daß ich an Land komme.«

»Ich hoffe nicht« lachte der Seemann trocken, »daß Ihnen in diesem löblichen Vorsatz irgend Jemand an Bord etwas in den Weg gelegt hätte.«

»Müßte es lügen« sagte Maulbeere ruhig, »der Herr Untersteuermann hat mich schon dreimal ersucht, zu machen daß ich fort käme.«

»Nun so eilig ist's nicht« lachte der Steuermann, »Mittag können Sie immer noch bei uns machen. Die Familien dürfen sogar noch über Nacht bleiben; wir wollen die Leute nicht Hals über Kopf auf die Straße setzen.«

»Höchst christliche Grundsätze und wirklich verführerisch genug« versetzte Maulbeere »Jemanden, der nicht in gar zu großer Eile wäre, zu veranlassen seinen Magen noch einmal mit Bremer Erbsenbrüh zu ärgern.«

»Nun es zwingt Sie Niemand« meinte der Steuermann kurz.

»Danke Ihnen« sagte Maulbeere.

»Und was wünschen Sie von mir?«

»Daß Sie die Gnade hätten« sagte Maulbeere mit ironischer Devotion, »mir meine Werkstätte zu Tag fördern zu lassen.«

»Ihre Werkstätte?«

»Den Schleifsteinkarren, der im unteren Gefache Ihres Schiffes liegt, wenn Ihnen das deutlicher ist.«

»Ach den überwachsenen Schiebbock?« sagte der Seemann, »der gehört Ihnen?«

»Ich bin der glückliche Eigenthümer, und es ist Alles was mich noch an Bord fesselt.«

»Nun da kann geholfen werden« rief der Steuermann, von der Planke herunter und zur offenen Luke tretend, »Du Jahn, smiet mal dat Tüg da rup, vor de Scheerenslieper; de ole scheepe Kaar met en Raad dervör!«

»Dat Donnerslagse Ding; ick hebb mi all min Schen dran verstoten« fluchte eine Stimme von unten herauf.

»Nu? kommt se vorn Tag?«

»Ja, gliek – hahl op! – «

»Staat by hier – oh – aho-y-oh!«

Der Karren, ein ungeschlachtes Ding, mit einem Kasten dabei, in den wahrscheinlich die Steine gepackt waren, denn die Leute die ihn heraufwanden fluchten über das Gewicht, kam bald darauf zu Tage, und Maulbeere nahm ihn in Empfang, untersuchte ihn erst auf das Sorgsamste, und begann dann, ihn zum augenblicklichen Gebrauch in der Stadt, vollständig in Ordnung zu bringen.

Als er noch damit beschäftigt war kam Meier mit seiner Frau aus dem unteren Deck herauf; Beide schienen ebenfalls gerüstet das Schiff zu verlassen, aber die Frau sah todtenbleich und abgemagert aus, und war so schwach daß sie sich kaum auf den Füßen halten konnte. Maulbeere kauerte neben seinem Kasten, und sah die Beiden vorüber gehn, unterbrach aber seine Arbeit nicht dabei, und hämmerte und schraubte ruhig fort.

Das Gepäck der Beiden war schon heute morgen früh an Land und durch Meier selber nach einem billigen Boardinghause in – Street geschafft worden; die Frau trug nur ein kleines in ein rothbuntes seidenes Tuch eingeknüpftes Bündel, und wankte hinter dem Mann her, der den Hut etwas auf einer Seite, die Hände in den Hosentaschen und einen ziemlich derben Stock unter den linken Arm gedrückt, ohne weiter Notiz von irgend Jemand an Bord zu nehmen, im Begriff war das Schiff zu verlassen. Nur als er vor Maulbeere vorüber ging blieb er stehn, sah zu ihm nieder und sagte:

»Auch fertig?«

»Bald« erwiederte der Scheerenschleifer, eben im Begriff eine etwas schwergehende Schraube einzuziehn, was seinem Gesicht eine fast dunkelrothe Färbung gab.

»Ist hübsch in Amerika.« —

»Sehr!« sagte der Scheerenschleifer.

»Schon Aussichten?«

»Siebzehn!«

»Guten Morgen.« —

»Morgen!« lautete die trockene Antwort, und der Mann ging, dicht von der Frau gefolgt, ohne sie aber zu führen oder zu stützen auf dem schwanken Bret, über die Planke an Land. Der Scheerenschleifer aber, in seiner Stellung mit dem eingestemmten Schraubenzieher bleibend, und nur mit den Augen dem wunderlichen Paare folgend, sah ihnen eine Weile nach, bis sie über die Levée verschwunden waren, und wollte dann eben wieder in seiner Arbeit fortfahren, als der Untersteuermann zu ihm trat, und hinter dem fortgegangenen Passagier herdeutend sagte:

»Ein hübsches Pärchen, wie? – scheint sich recht wohl zusammen zu fühlen.« —

»Scheint so« sagte Maulbeere, wieder an der Schraube beginnend.

»Ihr wißt nicht wo sie her sind?«

»Ja.«

»Und was der Bursche drüben gewesen ist?« frug der Seemann neugierig. —

»Ja wohl« sagte Maulbeere.

»Umsonst ist der nicht weggegangen von zu Haus.«

»Das weiß Gott« meinte der Scheerenschleifer – »er hat für zwei Personen theuere Passage zahlen müssen?«

»Also Ihr wißt was Näheres über ihn?«

»Näheres? – ich kann Ihnen den Fleck zeigen wo er die letzten sieben Wochen geschlafen hat, Herr Untersteuermann.«

»Bah, ich meine von drüben.«

»Oh von drüben meinen Sie.«

»Was war er denn drüben?«

»Glücklicher deutscher Staatsbürger.«

»Ich meine was er sonst getrieben hat.«

 

»Ich werde nachher den Herrn Obersteuermann um die Schiffsliste ersuchen, und Ihnen dann mit größtem Vergnügen das Nähere mittheilen.«

»Gehn Sie zum Teufel!« sagte der Untersteuermann ärgerlich.

»Danke Ihnen«, Maulbeere, vollkommen ruhig an seiner Arbeit fortfahrend.

Maulbeere, der mit unerschütterter Gemüthsruhe, den Matrosen dabei fortwährend im Weg, seine Arbeit beendet, das Rad eingeschlagen und vier oder fünf Schiebladen in seinem Gestell mit allerhand Dingen aus einem kleinen Kistchen gefüllt hatte, stand jetzt auf, setzte seinen Hut auf, nahm den breiten ledernen Tragriemen über die Schultern des unverwüstlichen grünen Rockes – (dessen Glanz dort oben auch dadurch seine Erklärung fand) und war im Begriff das Schiff zu verlassen indem er seinen Scheerenschleiferkarren vor sich her, über den Gangweg hin, der Planke zuschob.

»Nun Herr Maulbeere glückliche Reise!« sagte der Obersteuermann, der ihn kopfschüttelnd die letzten Minuten beobachtet hatte – »aber was soll mit dem Kistchen hier geschehn?« – Der weiße kleine Kasten war an Deck zurückgeblieben.

»Den vermach ich dem Schiff!« sagte Maulbeere, den Karren etwas mehr nach der linken Seite werfend, das Gleichgewicht herauszubekommen.

»Und Ihr anderes Gepäck?«

»Gegenwärtig.«

»Was? – keine Kleider mehr? – wo ist denn Ihre Wäsche?« lachte der Seemann.

»In der Wäsche Herr Obersteuermann« sagte Maulbeere, und war eben im Begriff mit einem plötzlichen Ruck über eine im Wege, und queer über den Gangweg liegende Handspeiche hin zu fahren, als Frau Henkel mit Hedwig die Cajütstreppe heraufkam und auf den Obersteuermann zuging.

Sie sah todtenbleich aus, war aber vollständig angezogen, mit ihrem Hut auf und einen weiten Shawl um ihre Schultern geschlagen; eben so Hedwig, die eine Tasche in der Hand trug, und stark verweinte Augen hatte.

»Halt Maulbeere!« rief der Obersteuermann – »wartet einen Augenblick, ich glaube die Damen wollen an Land gehn, daß Ihr ihnen nicht mit Eurem gefährlichen Karren da in den Weg kommt.«

»Werde ihnen Bahn machen« sagte jedoch Maulbeere, eben nicht gesonnen Rücksichten auf Jemand zu nehmen, wer es auch sei; der Seemann trat ihm aber in den Weg, und zwang ihn dadurch zum Stillhalten, während Clara Henkel auf ihn zutrat und freundlich sagte —

»Dürfte ich Sie bitten mir zwei von Ihren Leuten mitzugeben und meine beiden Koffer tragen zu lassen?«

»Sie wollen doch nicht zu Fuß in die Stadt gehn, Madame?« sagte der Steuermann – »ich glaubte erst, Sie wünschten nur einmal frische Luft wieder zu schöpfen, aber da besorg ich Ihnen doch lieber einen Wagen.«

»Ich danke Ihnen« sagte die Frau mit leiser, doch entschlossener Stimme – »wir werden gehn – aber ich möchte die Koffer mit mir nehmen.«

»Sie sehen noch so blaß und angegriffen aus« sagte der Seemann auf seine derbe doch herzliche Weise – »wenn Sie mir folgen, lassen Sie sich einen Wagen holen.«

Clara schüttelte mit dem Kopf, und sich umsehend auf Deck sagte sie endlich:

»Hat Herr Henkel sein ganzes Gepäck fortschaffen lassen?«

»Alles, bis auf das was in der Coye stand.«

»Ist nicht ein kleiner gelber lederner Koffer mit schwarzen Riemen zurückgeblieben?«

»Nicht daß ich wüßte, aber ich kann fragen.«

»Nein Madame« mischte sich hier aber einer der Matrosen in das Gespräch – »ich habe selber die Sachen mit auf den Karren und den kleinen gelben Lederkoffer mit hinausgetragen; der Koffer fiel mir noch auf weil er so hübsch gearbeitet war und eben die schwarzen Tragriemen hatte.«

Clara seufzte tief auf, aber sie sah freudiger dabei aus – es war als wenn eine Last von ihrer Seele genommen wäre.

»Ich weiß selber nicht einmal wohin die Sachen geschafft sind« sagte der Steuermann wieder, »und die Leute wissen auch nicht Bescheid.«

»Wir werden uns schon zurecht finden« sagte Frau Henkel – »ich bitte Sie recht sehr mir zwei Leute mitzugeben.«

»Von Herzen gern, wenn Sie es denn absolut wollen – heh Jahn und Görg – loopt mal gau daal in de Cajüt, und sackt die beiden Koffers op. – Sind sie herausgestellt, Madame?«

»Sie stehen vor unserer Thür.«

»Also flink Jungens, und dann gaat Jü mit Madame in de Stadt. – Kann ich Ihnen sonst noch mit etwas dienen?«

»Ich danke Ihnen Steuermann« sagte die Frau freundlich, aber gar wehmüthig lächelnd – »ich brauche Nichts weiter – leben Sie wohl. Vielleicht aber sehn wir uns recht bald wieder – wann wird Ihr Schiff fertig sein zur Rückfahrt?«

»Ja das hängt von der Fracht ab, Madame, aber ich denke doch spätestens in vier Wochen.«

»Ich danke Ihnen leben Sie wohl!« Sie ging, von Hedwig jetzt unterstützt, auf deren Schulter sie sich lehnte, langsam über die Planke an Land, und die Matrosen folgten ihr, mit den beiden Koffern auf den Schultern.

Maulbeere hatte seinen Karren hingesetzt, und war ein stummer, doch sehr aufmerksamer Zeuge der letzten Scene gewesen; jetzt aber, wieder unter das Lederband duckend, sagte er sehr förmlich zu dem Seemann, der noch auf der Planke stand und den Damen nachschaute.

»Erlauben mir jetzt der Herr Steuermann daß ich auch hinaus darf?«

»Oh mit Vergnügen Herr Maulbeere«, rief der Seemann, lachend auf die Seite tretend – »thut mir unendlich leid Sie aufgehalten zu haben.«

»Bitte mich dem Herrn Capitain gehorsamst zu empfehlen« sagte der Passagier, ohne eine Miene zu verziehn, indem er an dem Steuermann vorbeischob. —

Die Matrosen die in der Nähe standen lachten, der Scheerenschleifer kümmerte sich aber nicht weiter um sie, fuhr in einen kurzen Trab die etwas schräg nach dem Land liegende Planke nieder, an der anderen Seite mit kräftigerem Anstoß hinauf, und verschwand bald darauf in dem am Lande wogenden Gedräng von Menschen.