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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Dritter Band

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Henkel, dessen Meinung er darüber ganz besonders schon unterwegs eingeholt, und der außerdem seine eigenen Gründe hatte den Professor mit seiner Familie so rasch als möglich von New-Orleans zu entfernen, rieth ihm unbedingt zu dem letzteren Weg. Louisiana war nicht allein ein Sclavenstaat, sondern ein fast nur Zucker und Baumwolle zum Export producirendes Land, in dem sich ein neuer Ansiedler, wenn er nicht mit bedeutenden Mitteln und mit einer Anzahl Negern auftrat, den Boden in Angriff zu nehmen, kaum über Wasser halten konnte. Der Norden bot ihm dafür sicherere Hülfsquellen und ein besseres, dem Europäer mehr zusagendes Klima, wo sie ihre eigenen Kräfte verwerthen konnten, und mit einem weit geringeren Capital im Stande waren zu beginnen. Er hatte ihm dazu Wisconsin, oder wenn er nicht so weit nördlich gehen wollte, Illinois, selbst Kentucky oder Missouri vorgeschlagen, denn trieben die beiden letzten Staaten auch Sclaverei, so waren doch schon so viele nordische Einwanderer, besonders Deutsche in ihnen angesiedelt, die ihre eigene Arbeit verrichteten, daß die eigene Arbeit auch eben mit der Sclavenarbeit concurriren konnte, während der Ansiedler zugleich in einem nicht zu kalten Klima, alle Vortheile eines äußerst fruchtbaren Bodens, und außerdem verhältnißmäßig gesunden Landes genoß. Selbst Arkansas, obgleich schon etwas nah an Louisiana gelegen, war da zu empfehlen, noch dazu da dieß junge Land einmal eine große Zukunft hätte; wolle er aber ganz sicher gehn und hätte er ein paar tausend Thaler an einen Anfang zu wenden, so riethe er ihm die mehr östlichen Staaten, Indiana oder Ohio zu wählen, wo er gewissermaßen schon in eine civilisirtere Nachbarschaft komme, und nicht mitten im Wald zu beginnen brauche; Boote für den Ohiostrom gingen überdieß an jedem Tag ab und er habe die Erleichterung sein Gepäck, was je eher desto besser geschehe, gleich von Bord der Haidschnucke fort an Bord des Dampfboots schaffen zu können, das ihn in die nächste Nähe, vielleicht vor die Thür seiner nächsten Heimath trüge.

Es ist immer eine schwierige Sache sich zu der Wahl eines Platzes zu entschließen, besonders wenn man das Land noch nicht kennt und Familie hat. Alle Beschreibungen und Schilderungen die wir da hören und lesen, schwimmen uns in wüsten, undeutlichen Bildern vor der Seele herum, und dem Trieb, das eine zu greifen und zu halten, mischt sich die Furcht – die oft nur zu gegründete – das Alles nicht so zu finden, nicht etwa wie es erzählt wird, sondern wie wir es uns denken, und dann einen Schritt gethan zu haben, der eben gethan ist, und nicht mehr zurückgenommen werden kann. Der Auswanderer weiß dabei, daß von diesem Entschluß sein ganzes künftiges Leben, Glück oder Unglück abhängt; sind dann die Würfel wirklich in seine Hand gegeben, so zittert er vor dem Wurf zurück, denn nicht allein seine Kraft und Ausdauer, sein Fleiß und guter Wille sind es mehr, die hier allein den Ausschlag geben, nein der Zufall hat viel dabei zu entscheiden ob er das rechte trifft, und nicht vielleicht später einsehn muß Geld und Zeit an ein Experiment, an eine viel zu theuer erkaufte Erfahrung weggeworfen zu haben, wie gezwungen zu sein noch einmal, und wie viel schwerer dann, von vorne zu beginnen.

Das Schlimmste dabei ist, daß er sich in Amerika selber wenig auf den Rath fremder Leute verlassen darf, denn überall ist er der Gefahr ausgesetzt solchen in die Hände zu fallen, die eigener Nutzen treibt ihm diesen oder jenen Landstrich ganz besonders zu empfehlen. Die Leute brauchen nicht gerade selber irgend einen gewissen Platz verkaufen zu wollen, aber sie haben meist Alle irgendwo in den Staaten oder Städten der Staate Land, oder einen Bauplatz, das nur dadurch im Preis steigen und für sie selber einen Gewinn abwerfen kann, wenn sich eben andere Ansiedler in dessen Nähe niederlassen, das Land bebauen und die Produkte durch eine größere Cultur im Werthe steigen machen. Ihr Rath braucht deshalb nicht schlecht zu sein, aber die Frage bleibt immer ob der Einwanderer nicht doch noch einen besseren Platz hätte finden können für seine Niederlassung – wenn ihm eben nur Zeit gegeben wäre sich den selber zu suchen.

Henkel hatte nun allerdings keine solchen Beweggründe, die ihn trieben dem Professor eine Strecke Landes zu empfehlen, wenn er auch in ruhigerer Zeit wohl vielleicht nicht versäumt haben würde die Unerfahrenheit des Fremden zu benutzen. Für jetzt lag ihm nur Alles daran ihn und seine Familie, an die sich sein Weib näher angeschlossen hatte als ihm lieb war, so rasch als möglich von ihr zu entfernen; wohin er dabei den Professor mit den Seinen schickte war ihm ziemlich gleichgültig nur fort mußte er von New-Orleans.

Der Professor hatte sich aber in seinem ganzen Leben noch nicht so rath- und thatlos gefühlt als in dem Augenblick, wo er am vorigen Abend und gleich nach seiner Landung, in Henkels und seiner übrigen Reisegefährten Begleitung, festen Grund und Boden betrat, und nun für sich selber handeln sollte. So viel hatte er allerdings bis dahin über Amerika gelesen und studirt, daß er mit größter Leichtigkeit selber hätte eine sehr ausführliche Abhandlung darüber schreiben können, wie sich eben der Auswanderer, gleich nach seinem ersten an Land treten zu benehmen, und welche Schritte er zu thun habe, am raschesten zu einem günstigen Ziel zu kommen; nun er aber selber da stand und das auch an sich selber ausführen sollte was er anderen mit fester Überzeugung gerathen haben würde, da wirbelte ihm der Kopf von alle dem Neuen, Fremden das ihn umgab, und er fühlte eine Befangenheit, die er früher nimmermehr für möglich gehalten hätte, und sich jetzt am allerwenigsten selber eingestehen mochte. Die Häusermassen schienen ihn zu erdrücken, die fremde Sprache, deren er Herr zu sein geglaubt, und deren Wortgewirr ihm jetzt die Ohren mit einem Chaos von unbegriffenen Tönen füllte, machte ihn schwindeln, der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, und er mußte mehrmals stehen bleiben um Athem zu schöpfen und sich zu besinnen was er eigentlich wolle, was ihn hierher geführt.

Die übrigen Passagiere zerstreuten sich indessen bald nach verschiedenen Richtungen, mehr ihrer Neugierde, als irgend einem bestimmten Geschäft nachgehend, und der Professor zitterte wirklich schon vor dem Augenblick, wo er sich selber überlassen bleiben würde, wenn er sich gleich noch immer nicht gestehen wollte, daß es doch ein ganz anders Ding um die Praxis als die Theorie sei. Ein Stein fiel ihm da vom Herzen, als sich ihm Henkel, wenn er irgend ein bestimmtes Ziel vor Augen habe, zum Führer in der ihm wohlbekannten Stadt anbot, und er hing sich ordentlich krampfhaft an dessen Arm, als ob er fürchte daß er ihm wieder entschlüpfen könne.

Henkel ersah bald seinen Vortheil; der Professor war ihm unter den Händen wie weiches Wachs geworden, und verlangte schon gar keinen Rath mehr, sondern nur eine bestimmte Richtung von Jemand angegeben zu bekommen, der er, scheinbar freiwillig, folgen könne. Der junge Mann erzählte ihm jetzt von seinem früheren Aufenthalt in Indiana, welch gesundes, vortreffliches Land dort liege, wie er selber da viele Freunde habe und diesen Staat, so er sich dazu entschließen könnte Ackerbau zu treiben, jedenfalls zu seinem bleibenden Wohnsitz wählen würde, und wußte die Vortheile desselben, die glückliche Lage, die ausgezeichneten Communicationsmittel, die Produktionsfähigkeit, die reizende Scenerie, die fleißigen stillen Menschen dort mit solch lebendigen Farben zu schildern, daß es dem Professor nach und nach wie eine Last von der Seele rollte, und er freier, fröhlicher zu athmen begann. Eine Stunde später hatte er denn auch richtig – wenn auch noch keine Farm gekauft, denn ein gewisser glücklicher Instinkt ließ ihn davon zurückschrecken baar Geld aus den Händen zu geben, ehe er mit eigenen Augen sähe was er dafür bekäme, aber doch einen Empfehlungsbrief an einen bedeutenden Kaufmann in Grahamstown am Ohiofluß, Staat Indiana, in der Tasche, und sogar höchst unnöthiger Weise schon seine Passage für sich und die Seinen an Bord des Dampfers Jane Wilmington bezahlt, der am nächsten Morgen um zwölf Uhr nach Cincinnati bestimmt, die Levée von New-Orleans verlassen sollte, und ihn in Grahamstown absetzen konnte.

Seine Aussichten hatten sich dadurch nicht um ein Jota geändert oder gebessert, er wußte so wenig von seinem künftigen Schicksal als vorher, und der Ort Grahamstown klang ihm so fremd und unbekannt, wie es jedes andere kleine Städtchen des ungeheueren Reiches gethan haben würde; aber von dem Augenblick an wo er ein festes Ziel bekommen hatte, dem er von jetzt an zustreben durfte, von dem Moment wo ihm, ob durch fremden Einfluß oder eigenen Entschluß, ein bestimmter Punkt gegeben worden, den er für jetzt nur zu erreichen, und dann auf dem Begonnenen weiter zu bauen hatte, fühlte er plötzlich eine Zuversicht und Sicherheit in seinem ganzen Wesen, wie er sie seit langen Jahren selbst nicht gekannt. Er war nicht mehr fremd in Amerika – er gehörte nach Grahamstown im Staat Indiana an dem Ohiofluß, er konnte mit dem Finger auf der Karte genau die Stelle bezeichnen wohin er wollte, und der Schritt mit dem er gegen zehn Uhr Abends an Bord zurückkehrte, schwankte nicht mehr und zögerte unschlüssig, wie wenige Stunden vorher, als er das Land zuerst betreten hatte, sondern war leicht und elastisch geworden, wie in früheren, glücklicheren Tagen.

Eine einzige Schwierigkeit blieb jetzt noch zu überwinden, und zwar das Gepäck sämmtlich vor der bestimmten Abfahrt des Dampfbootes aus dem unteren Raum herauf und an Land zu bringen, wo es auf Karren dann leicht nach der fast drei englische Meilen weiter oben liegenden Dampfbootlandung geschafft werden konnte. Der Steuermann aber, an den er sich deshalb noch gleich an dem Abend wandte, glaubte ihm das versprechen zu können, da es ziemlich oben auf, und zwar alles zusammen unter die Vorderluke gestaut war, und wenn die Leute mit Tagesanbruch daran begannen, und der Professor eben keine weiteren Schwierigkeiten mit den Mauthbeamten hatte, so ließ sich das schon bis zu der bestimmten Zeit in's Werk richten.

 

Henkel war, wie schon vorerwähnt, erst am frühen Morgen an Bord zurückgekehrt, wo er jetzt freilich mit Ungeduld den Aufbruch der übrigen Passagiere erwartete. Er fürchtete nicht mit Unrecht daß Clara sich ernstlich weigern würde nach dem Vorgefallenen mit ihm zugleich das Schiff zu verlassen, mehr als das aber noch, daß sie sich irgend Jemanden, und von allen vorzüglich der Frau des Professors anvertrauen, und eine Sache zur Sprache bringen könne, die jetzt – was auch immer später geschehen mochte – jedenfalls noch Geheimniß bleiben mußte. Daß etwas derartiges noch nicht geschehen sei, konnte er leicht aus dem freundlichen, unbefangenen Wesen der übrigen Frauen entnehmen; es zu verhindern daß es jetzt noch, im letzten Augenblick, geschehen könne, mußte seine Hauptsorge sein. Ebenso hatte er aber auch die Waaren, die unter einem falschen Namen verschifft worden, in Sicherheit zu bringen, war das geschehen konnte er jeder etwaigen Anklage lachen; er selber war zu bekannt auf dem Terrain, auf dem er sich jetzt befand, etwas für seine persönliche Sicherheit fürchten zu dürfen.

Das Anholen des Schiffes an die Landung nahm allerdings eine ziemliche Zeit in Anspruch, und die übrigen Passagiere wenigstens ein großer Theil von ihnen, drängte ebenfalls seine Sachen aus dem unteren Raum zu bekommen, das Schiff zu verlassen; Professor Lobenstein hatte aber das Versprechen des Steuermanns, und die Leute, denen er ein tüchtiges Trinkgeld zusagte wenn sie sich beeilten, arbeiteten »with a will« wie sie an Bord sagen, und Kiste nach Kiste, Koffer nach Koffer entstieg dem dunklen Raum, und wurde an Deck gehoben, rasch geöffnet, von dem Mauthbeamten flüchtig angesehn, wieder zugeschlagen und über die ausgeschobenen Planken an Land geschafft. Die Effekten waren für eine Farm in's Innere, für eine große Familie und eigenen Gebrauch bestimmt; neue Sachen ebenfalls nicht dabei, lagen wenigstens nicht oben auf, und die Steuerbeamten hatten mit der Fracht schon genug zu thun, sich eben mit Passagiergut viel abzugeben.

Um elf Uhr war sämmtliches Gepäck des Professors, dem sich von Hopfgarten angeschlossen und ihm erklärt hatte die Reise nach Indiana in seiner und seiner Familie Gesellschaft machen zu wollen, gelandet und revidirt, und zum großen Theil auch schon auf den dort gebräuchlichen drays (zweirädrigen Karren mit einem Pferd) abgegangen, an Bord der Jane Wilmington geschafft zu werden. Henkel drängte aber jetzt den Professor, seine Familie hinauf zu führen sich dort an Bord einzurichten, und zugleich mehr Sicherheit zu haben daß der Dampfer wirklich nicht eher abführe, bis sämmtliches Gepäck auf ihm eingeladen sei; Eduard konnte indeß bei dem kleinen Rest der Sachen zurückbleiben, und mit der letzten Ladung nachfolgen.

Die Damen hatten ihre Sachen schon voraus geschickt, und hielten es ebenfalls für nöthig daß sie sich dort ihre Coyen vor Abfahrt des Bootes ein wenig einrichteten. Allerdings bedauerten sie, so nahe an New-Orleans nur eben vorbei zu gehen, ohne mehr von der Stadt zu sehn als die dem Wasser zunächst gelegenen Häuser, der Professor tröstete sie aber damit daß sie, wenn ordentlich eingerichtet, leicht einmal eine Vergnügungstour hierher machen konnten, wo sie täglich, an ihrem Hause vorbei, drei-, viermal Schiffsgelegenheit haben würden. Dann waren sie auch im Stande das Leben in New-Orleans mehr zu genießen als jetzt, wo sie die Sorge um ihre nächste Zukunft, ihre nächste Heimath doch nicht ruhig ließe, und außerdem der Aufenthalt in einem Hotel, zu dem dann erst ihre sämmtlichen Sachen geschafft werden mußten, ein böses Geld gekostet hätte.

Henkel hatte indeß einen viersitzigen Wagen besorgt der, von einem Mulattenknaben gefahren, dicht unter der Levée herankam und den ausgeschobenen Planken gegenüber hielt.

»Aber wir müssen erst von Clara Abschied nehmen« sagte Marie, als der Vater sie rief und aufforderte sich zu eilen, damit der Wagen nicht so lange zu warten brauche – »lieber Gott es ist so traurig genug daß wir sie jetzt krank zurücklassen, und ihr nicht beizustehen suchen in dem fremden Land.«

»Ich sagte ihr gern Adieu« versicherte die Frau Professorin, »wenn ich nicht fürchtete sie vielleicht gerade in ihrem jetzigen Zustand noch mehr aufzuregen.«

»Sie würden mich unendlich verbinden« erwiederte Henkel mit einem bittenden Blick auf die alte Dame, »wenn Sie Alles vermieden Clara zu beunruhigen; sie ist so nervös, daß das Geringste sie in Thränen ausbrechen macht.«

»Aber ich begreife nicht was ihr um Gottes Willen so plötzlich kann zugestoßen sein« sagte Anna – »Clara war, so lange ich sie kenne, stets so gesund und wohl, und heiter und vergnügt, und jetzt auf einmal ist sie in einem Zustand von Schmerz und Aufregung, den ich mir nicht zu erklären weiß.«

»Laß nur mein Kind« sagte die Frau Professorin freundlich, »das wird, und hoffentlich bald, vorübergehn. Gern hätt' ich sie freilich selber noch einmal gesehen, Herr Henkel hat aber ganz recht, wir vermeiden am Besten jede Aufregung, und ich bitte Sie nur Ihre liebe Frau noch recht herzlich von uns zu grüßen, und ihr alles Gute und Liebe zu wünschen was sie sich nur selber wünschen kann.«

»Die Jahreszeit ist noch früh und der Herbst bringt gewöhnlich das schönste Wetter in Nordamerika, oft bis tief in December hinein« sagte Henkel rasch und freudig, »hat sich dann Clara erholt, und erlauben es nur irgend meine Geschäfte, wie ich nicht den mindesten Zweifel habe, dann besuchen wir Sie, vielleicht eher als Sie glauben, auf Ihrer Farm. Ich kenne die Gegend wohin Sie ziehen, und werde Sie dort schon finden.«

»Oh das wäre herrlich, das wäre wunderhübsch« rief Anna – »Clara wird gewiß recht bald besser werden.«

»Aber ohne ihr Adieu zu sagen gehe ich nicht vom Schiff« rief Marie jetzt entschlossen – »ich will sie nicht stören – wenn sie schläft, sie nur leise küssen – nur ihre Hand wenigstens – sie braucht auch gar nicht zu wissen daß wir fortgehn, aber sehn muß ich sie noch einmal; ich habe eine Angst, der ich nicht Worte zu geben vermag, und weiß gewiß, ich würde nicht froh werden, hätte ich sie so ohne Abschied zurückgelassen.«

»Du bist ein Kind« sagte die Mutter freundlich, »so geh, wenn es Dir Herr Henkel erlaubt, und grüße und küsse sie von uns; aber bleib nicht lange« setzte sie rasch hinzu, »denn der Vater winkt dort schon wieder vom Land, und wir wollen indessen hinuntergehn, und uns in den Wagen setzen.«

Henkel biß sich die Unterlippe; der letzte Moment noch konnte vielleicht Alles verderben, aber er durfte dem jungen Mädchen auch die Erlaubniß nicht weigern, und sie deshalb nur noch bittend, Alles zu vermeiden was die Kranke auch nur im Geringsten erregen konnte, stieg er ihr voran, in die Cajüte hinunter.

Clara war erwacht – sie lag, völlig angezogen in ihrer Coye, mit Hedwig, an ihrer Seite knieend, als Henkel dieselbe leise öffnete, hinein sah und dem jungen Mädchen dann den Vortritt ließ.

»Clara – meine liebe, liebe Clara wie geht es Dir?« rief Marie auf sie zueilend, und den Arm um ihren Nacken legend – »Du siehst besser aus heute Morgen, und gewiß wirst Du Dich jetzt recht bald und schnell erholen, wenn Du nur erst einmal festes Land betrittst. Die alte häßliche Seefahrt hat so lang gedauert.«

»Du gehst an Land?« frug Clara rasch und wie erschreckt, die Freundin mit ihrem Arm leise von sich drückend, ihren reisefertigen Anzug zu betrachten – »Du gehst fort von hier – und – und Deine Mutter auch?«

»Nein, Clara noch nicht mein Herz – wir bleiben noch kurze Zeit zusammen« erwiederte Marie, aber sie mußte sich zwingen daß sie die Thränen zurückdrängte, die ihr in's Auge pressen wollten.

»Wo ist Deine Mutter?« frug Clara, noch immer nicht beruhigt – »bitte sie zu mir zu kommen ich – ich möchte sie sehen.«

»Du darfst Dich jetzt nicht aufregen mein Herz« antwortete das junge Mädchen ausweichend – »nachher, wenn Du wieder wohl und auf bist – ich soll Dich jetzt von ihr grüßen und küssen.«

»Weshalb kommt sie nicht selber? – sie ist fort!« rief die Kranke und suchte sich selbst emporzurichten.

»Quäle Dich nicht mit solchen Gedanken, Clara – was hast Du nur?«

»Fräulein Marie sollen nach oben kommen – der Wagen wartet« rief in dem Augenblick der Steward in die Cajüte hinunter.

»Der Wagen? – was für ein Wagen?« rief Clara, rasch aufmerksam geworden, indem sie versuchte ihre Coye zu verlassen. Marie verhinderte sie daran.

»Bleibe liegen mein süßes Herz« bat sie in Todesangst, »bleibe liegen – ich muß jetzt fort; bald – bald komme ich wieder – Gott schütze Dich« und ihre Lippen auf die heiße Wange der Freundin pressend, richtete sie sich rasch empor und floh aus der Cajüte.

»Marie!« schrie Clara, die Arme nach ihr ausstreckend – »ich muß – «

»Mich mäßigen« sagte Henkel ernst und finster, der in diesem Augenblick in der noch offenen Thür erschien und mit einem warnenden Blick diese wieder schloß.

»Teufel!« stöhnte die Unglückliche und sank, ihr Antlitz in den Händen bergend, erschöpft, gebrochen, auf ihr Lager zurück.

Capitel 4
Abschied der Passagiere

Unten am Wagenschlag an der Levée, während Professors noch auf die zurückgebliebene Marie warteten, stand Fräulein von Seebald, Abschied von den bisherigen Reisegefährten zu nehmen, und ihnen das Geleit zu geben, so weit als möglich.

»Und was ist Ihr Ziel hier, mein liebes Fräulein?« frug die Frau Professorin, als ihr die junge Dame wieder und wieder, mit Thränen im Auge, die Hand geschüttelt hatte, »werden Sie in New-Orleans bleiben, oder gehen Sie ebenfalls in das Innere?«

»Mein Ziel liegt weit von hier« sagte Fräulein von Seebald mit dem ihr eigenen Anflug von Schwärmerei, »weit im fernen Westen, in dem jungen Staate Arkansas, wo noch die wilden rothen Krieger und Jäger das Land durchstreifen, und die Büffel und Bären fällen.«

»Nach Arkansas? – und ganz allein?« rief Anna erschreckt, »aber was um Gottes Willen zieht Sie dorthin?«

»Familienbande – die Bande des Herzens« lächelte aber Amalie, »eine liebe Schwester lebt mir dort, an einen tapferen Polen, einen Grafen, der sein Vaterland nach jenen unglücklichen Kämpfen verlassen mußte, verheirathet.«

»Und wie kommen Sie dorthin?« frug die Frau Professorin.

»Morgen, wie ich aus den Zeitungen ersehen habe, die mir der Capitain freundlich mitgebracht hat, geht ein Dampfboot den Arkansasstrom hinauf, und ihre Heimath ist nur wenig englische Meilen von dessen Ufern entfernt.«

»Das nenne ich Geschwisterliebe« sagte die Frau Professorin freundlich mit dem Kopf nickend, und die Hand der jungen Dame herzlich pressend – »einen so weiten Weg allein zu gehn.«

»Nennen Sie es Eigennutz – Selbstsucht liebe mütterliche Freundin« rief aber Fräulein von Seebald lächelnd aus – »das prosaische Leben Deutschlands ekelte mich an, und ich konnte der Sehnsucht nicht länger widerstehn das freie herrliche Land selber aufzusuchen, in der die Schwester ihren Herd gebaut.«

»Und es geht ihr gut dort?«

»Gewiß, Graf Olnitzki hat dort eine eigene Farm, und zahlreiche Heerden – aber sie hat lange nicht geschrieben, und ich werde sie jetzt überraschen.«

»Sie weiß gar nicht daß Sie kommen?«

»Nicht ein Wort.«

»Das wird ein Jubel sein« sagte die gute Frau – »lieber Gott, wenn man sich nach so langen Jahren wieder sieht – wie lebhaft kann ich mir die Freude denken.«

In diesem Augenblick kam ein kleiner Trupp ihrer Reisegefährten aus dem Zwischendeck, über die ausgelegte Planke an Land – sie hatten Neger bei sich die ihr Gepäck trugen.

Voran ging Eltrich, seine kleine Frau am rechten, sein Kind auf dem linken Arm, und ihnen folgte ein stämmiger Schwarzer mit einem großen Holz- und einem kleineren Lederkoffer mit zwei Hutschachteln und einem Reisesack dem Violinetui und ihren Betten auf einem zweirädrigen Handkarren – eine kleine Tasche trug noch Adele am Arm. Als sie an dem Wagen vorbeigingen grüßten sie freundlich die Damen, und wandten sich dann der nächsten Querstraße zu, die hinauf in die Stadt führte.

»Welch ein liebes freundliches Gesicht die junge Frau hat« sagte Anna, die den Gruß herzlich erwiedert hatte und ihnen nachschaute »ein so zartes Wesen und hat die ganze Reise im Zwischendeck ausdauern müssen – ich habe sie oft bewundert; und sie war immer froh und heiter.«

»Ich wäre gestorben«; seufzte Fräulein von Seebald.

»Da kommen noch mehr Zwischendecks-Passagiere«!« rief Anna, nach der Planke zeigend, wo in diesem Augenblick Herr Mehlmeier die Hände in den Taschen, und einen rothseidenen Regenschirm unter den linken Arm gedrückt, von einem Mulatten begleitet, der einen nicht eben schweren Koffer auf der Schulter trug, leise ein Lied vor sich hinpfeifend die Planke hinunterstieg, und dicht an dem Wagen vorüberging. —

 

»Wünsche Ihnen eine recht glückliche Reise meine Damen« murmelte er dabei mit seiner feinen Stimme, während er keine Miene verzog und sie eher mit einem Gesicht anschaute als hätte er sagen wollen, »Na Ihr könntet auch zu Fuße gehn.«

»Ist das ein grober Mensch« lächelte die Frau Professorin hinter ihm her – »sind nun so lange auf einem Schiff gewesen, und soweit mitsammen über das Wasser gekommen, und er grüßt nicht einmal, hat uns auch nie an Bord gegrüßt, und uns nur immer steif und hölzern angesehn.«

»Mir war es fast als ob er Ihnen glückliche Reise wünschte« sagte Fräulein von Seebald – »aber ich konnte es nicht deutlich verstehen.«

»Nein gewiß nicht« lachte Anna, »er verzog ja keine Miene dabei – aber da kommt auch der Dichter – wenn das sein ganzes Gepäck ist, wird er nicht viel Umstände damit haben.«

Es war allerdings Theobald, dem ein junger Mulattenbursch mit einem sehr schmächtigen gelben Lederkoffer unter dem linken Arm, und einem kurzen Reisesack auf dem ein Pegasus gestickt war in der rechten Hand, voran lief. Theobald selber trug ein pappenes, etwas mitgenommenes Hutfutteral in der rechten Hand und einen schwarzseidenen Regenschirm mit einem Fischbein-Stöckchen hineingebunden, unter dem linken Arm, faßte aber, als er die Damen an der Levée halten sah, seinen gelben Lastträger hinten in den Bund, daß er ihm nicht in dem Gewirr von Menschen abhanden kam, und bedeutete ihn mit nach dem Wagen hinüber zu gehn, und dort zu warten. Er sprach kein Wort englisch und die ganze Unterhaltung mußte durch Zeichen geführt werden.

»Meine Damen, ich habe die Ehre – ich möchte fast sagen den Schmerz – mich Ihnen gehorsamst zu empfehlen« sagte er, hier angekommen mit einer besonders bedeutungsvollen Verbeugung gegen Fräulein von Seebald, und einen Ausdruck in den Zügen, der mehr sagen sollte als die kalten Worte.

»Und wohin trägt Sie Ihr Flug?« frug Amalie mit einem leichten, vielleicht kaum bewußten Erröthen.

»Wohin?« rief Theobald stehen bleibend und in der Begeisterung des Augenblicks die Hand mit dem Hutfutteral emporhebend, »in den Strudel der sich hier vor uns öffnet, in die Charybdis dieses weiten Reichs spring ich hinein, ein kühner Schwimmer. Ob mich die Wasser tragen werden? – ich weiß es nicht – ob ich darin untergehe? – « die Hand mit dem Hutfutteral kam wieder herunter – »wer mag den dunklen Schleier der Zukunft lüften – nur ein Gott.«

Er stak fest – die Frauen waren in Verlegenheit was sie ihm darauf erwiedern, ob sie ihn trösten oder bewundern sollten, und Theobald selber hatte den Faden verloren, als der kleine Mulatte beide Theile aus der Verlegenheit riß. Da dieser nämlich nicht den mindesten Grund sah weshalb er hier stehn bleiben und seine schöne Zeit versäumen solle, während er, wenn er rasch zurückkam, leicht noch eine Passagierfracht von demselben Schiffe aus befördern konnte, so setzte er plötzlich, ohne weiter auf den Eigenthümer des Koffers und Reisesacks Rücksicht zu nehmen, seinen Weg queer über die Fahrstraße fort.

»Sie da! – Sohn Afrikas – hallo!« rief Theobald, in der Sorge um sein Eigenthum plötzlich wieder auf die Erde herabkommend – »hallo da – warten Sie bis ich mit komme!«

»Sie werden schon eine Laufbahn finden, die Ihrer würdig ist« sagte mit leisem tröstenden Ton Fräulein von Seebald – der Koffer drohte aber in dem Gewirr von Menschen zu verschwinden.

»Sie werden entschuldigen meine Damen!« rief Theobald, die Schnur des Hutfutterals in die Finger der linken Hand pressend, die rechte zum Hutabnehmen frei zu bekommen – »ich hoffe jedenfalls noch das Vergnügen zu haben Sie wieder zu sehn« und sich den Hut fest in die Stirne drückend folgte er raschen Schrittes seinem viel zu eiligen Mulatten.

Anna lachte, Fräulein von Seebald aber sagte sinnend.

»Wie wir nun Alle hier, die wir bis jetzt nur einer Bahn gefolgt, am Scheidewege stehn und hinausziehen nach Nord und West und Süd und Ost. Wo werden wir uns wiedersehn, und wird das überhaupt wohl je geschehn?«

»Gewiß – und mit Gottes Hülfe froh und glücklich« sagte die Frau Professorin herzlich – »aber da kommt Marie, Kind, Kind, Du hast Dich, und wahrscheinlich auch Clara furchtbar aufgeregt!«

»Nein, meine liebe Mutter« betheuerte Marie, sich die großen hellen Thränen aus den Augen trocknend; »ich bin ihr davon gelaufen, ehe sie nur ein Wort sagen konnte.«

»Und nun fort!« rief der Professor, der sich bis jetzt von der Levée ab den Arm fast ausgeschwenkt hatte, die gar zu lang an Bord zögernde Tochter zurück zu winken »Kinder wir haben noch furchtbar viel zu thun. Eduard Du besorgst Alles ordentlich und notirst Dir besonders die Nummern der Karren, denen Du die Fracht überlieferst, und giebst ihnen jedesmal den Zettel mit der darauf verzeichneten Anzahl mit; ich denke zwei Karren werden den Rest bequem mit fortbringen, und dann kommst Du augenblicklich nach – Jane Wilmington, hier mit der Adresse der Straße an deren Fuß sie liegt. Ah Fräulein von Seebald. Sie entschuldigen.«

»Recht, recht glückliche Reise.«

»Danke – danke herzlich – Capitain ich sehe Sie noch ehe das Boot abgeht?«

»Ich bin gleich oben, habe nur noch etwas mit dem Steuermann zu reden – auf Wiedersehn. Ich komme dann gleich mit Herrn Henkel nach.«

»So Kutscher – wir haben doch Nichts vergessen?«

»Nein Alles in Ordnung.«

»Also go ahead! – vorwärts und mit Gott!«

»Adieu – adieu!«

Der Wagen bog in die Stadt ein, da an der Levée das Gedräng der Karren und Fußgänger zu groß war, und fuhr in scharfem Trabe den nächsten Weg nach der Dampfbootlandung, während Eduard jetzt rasch das noch zurückgebliebene Gepäck beförderte, mit dem letzten Karren den Eltern nachzufolgen.

Der junge Eltrich, der an dem Morgen mit Hülfe eines mitten in der Stadt aufgegriffenen Deutschen ein kleines Logis (Stube und Kammer wenigstens) gefunden hatte, war rasch zurückgeeilt seine Frau und sein Kind aus dem entsetzlichen Zwischendeck zu befreien. Mit ihrem Gepäck hatten sie, da Alles oben vor ihrer Coye stand, gar keine Umstände, Lastträger gab es zu hunderten an allen Theilen der Levée mit Hand- und Pferdekarren, und so stand ihnen denn Nichts weiter im Weg das Schiff, wo seine arme Frau besonders eine schwere Zeit verlebt, so rasch als möglich zu verlassen. Der Neger kannte übrigens die Straße und das Haus wohin sie wollten, und als er die Sachen auf seinen Handkarren geladen, nahm Eltrich sein junges Weib an, sein Kind auf den Arm, und zog, das Herz voll Jubel und froher Hoffnung mit ihnen in eine neue Welt, in ein neues Leben ein.

Das war Amerika, der feste Grund den sie unter den Sohlen fühlten – das endlich erreichte Land ihrer Sehnsucht, für das sie gedarbt und gespart daheim, und die hellblitzende Sonne schien ihnen freundlich zuzuwinken im neuen Vaterland – der wolkenleere reine Himmel ein frohes Omen zu sein, all ihrer Hoffnungen und Träume. Freilich ringen und kämpfen mußten sie auch hier; eine Bahn galt es erst sich hier zu brechen, vielleicht wieder mit Sorgen und Entbehrungen, wie vordem, aber dafür bot ihnen auch das ungeheure Reich einen freien ungehinderten Spielraum für ihre Thätigkeit, und Eltrich fühlte die Kraft in sich, fühlte daß er im Stande war alle Hindernisse zu besiegen und sich den Weg zu bahnen, zu einer selbstständigen sorgenfreien Existenz. Seine Ansprüche an das Leben waren dabei mäßig; auf seinem Instrument aber war er Meister, und die aufblühende Kunst in Amerika mußte dem Künstler endlich ein Feld bieten zu wirken und den Lohn dafür zu erndten. War das aber auch nicht, nun so scheute er sich hier keiner Arbeit, die in dem freien Lande ihn nicht schändete und ihm nicht, einmal begonnen, die Bahn verschloß zu einer edleren Thätigkeit, wie blinde Vorurtheile das im alten Vaterland gethan. Jung und kräftig brauchte er nicht zu fürchten Hunger zu leiden, und wo so viele Tausende ihr Glück – eine Heimath fanden, durfte auch er der Zukunft mit froher Zuversicht entgegensehn.