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Inselwelt. Erster Band. Indische Skizzen

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„Hallo, ihr Halunken!“ schrie dabei der Engländer in der Tonga-Sprache, „ist das eure Gastfreundschaft, mit der ihr einen Fremden bewillkommt, und ihm vorher euer verrätherisches chio do fa entgegen ruft? und ihr da,“ wandte er sich gegen die Weißen, als er Mac Kringo gerade erblickte, „zwei Engländer und lassen mich hier von den verdammten Rothfellen mißhandeln? Ihr seid schöne Canaillen! hätte ich nur Einen von meinen weißen Leuten hier an Land, ein ganzes Schock dieser braunen Schufte wäre mir nicht zu nahe gekommen.“

Die Kanakas hatten allerdings ihrem Capitain im Anfang zu Hülfe springen wollen, da sie aber von allen Seiten kriegerische und bewehrte Gestalten auftauchen sahen, wichen sie scheu zurück, es ihrem Führer überlassend, sich allein aus dieser Verlegenheit heraus zu arbeiten.

Vollkommen ruhig bei diesem plötzlich hereingebrochenen Kampfe war Toanonga geblieben, der nun erst, als er den Weißen gebunden und unschädlich gemacht sah, zu ihm trat.

„Ist das die Freundschaft, die du mir durch dein Canoe hast anbieten lassen, wortbrüchiger Häuptling?“ rief ihm der gereizte Engländer entgegen.

„Ruhig, mein Freund!“ suchte ihn indessen Toanonga zu beschwichtigen. „Du bist jetzt in unserer Gewalt, und es ist außerordentlich leichtsinnig von dir, durch nutzloses Schimpfen einen mächtigeren Feind zu reizen. Wenn wir dir hätten ein Leids zufügen wollen, so brauchten wir dir nur den Schädel einzuschlagen, und die Sache wäre abgemacht gewesen. Wenn du dich aber ruhig verhältst und das thust, was wir von dir verlangen, so hast du nicht allein für dich oder die Deinen nichts zu fürchten, sondern kannst auch nach einiger Zeit deine Reise ungehindert fortsetzen.“

„Und was verlangst du von mir?“ fragte der Fremde. „Wenn es etwas ist, das ich erfüllen kann, wär' es doch wohl vernünftiger gewesen, mich auf andere Weise darum zu fragen, als so über mich herzufallen!“

„Daß du es erfüllen kannst, wußte ich vorher,“ erwiderte vorsichtig Toanonga, „nur darauf kam es an, ob du es erfüllen wolltest, und ich hielt es deshalb für besser, mir eben diesen guten Willen vorher zu sichern.“

„Eine verdammt schöne Art!“ fluchte der Capitain, „wenn du dich nur nicht darin geirrt hast!“

„Ich glaube kaum,“ sagte vollkommen gleichmüthig der Häuptling. „Wie heißest du?“

„Jacobs,“ brummte der Fremde verdrießlich.

„Und dein Schiff?“

„Bonito.“

„Sehr gut. Nun sieh, wir brauchen hier auf Monui dein Schiff und deine Kanonen, um nach Hapai hinüber zu fahren, und die Häuptlinge zu züchtigen, die ihre Verbindlichkeiten gegen uns nicht erfüllt haben.“

„Mein Schiff!“ schrie Jacobs wild emporzuckend, „den Teufel auch! das brauche ich selber! und wenn ihr das haben wollt, so holt es Euch draußen; seid aber versichert, daß euch mein Steuermann auf eine Art empfängt, die euch nicht behagen wird.“

„Das habe ich mir etwa gedacht,“ lachte der Alte, „und dich hier festgehalten, um uns die Mühe zu ersparen. Du bist in unserer Gewalt, wie du recht gut weißt, und meine Egis haben beschlossen, dir das Leben zu nehmen, wenn du nicht nach unserem Willen thust. Fügst du dich aber in das, was du doch nicht mehr verhindern kannst, so verspreche ich dir, daß wir dein Schiff allerdings jetzt nehmen und deine Kanonen gebrauchen werden, daß du es aber wieder bekommen sollst, wenn wir in Hapai gesiegt haben.“

„Der Teufel trau' euch!“ rief Jacobs, „und im allergünstigsten Falle hätte ich ein paar Monate von meiner besten Zeit verloren. Nein! Thut mit mir, was ihr wollt, aber das Schiff bekommt ihr nicht. Und darauf verlaßt euch, daß mein Bruder, der Steuermann an Bord des Bonito ist, blutige Rache nehmen wird, wenn ihr mir ein Leides thut.“

„Sei vernünftig, Freund! Was kann er uns zufügen?“ sagte Toanonga, „er muß froh sein, wenn er unseren Canoes entgeht. Du hast nur noch fünf weiße Männer an Bord, und der Wind draußen wird schon schwächer. Wenn wir noch ein paar Stunden warten und rudern dann hinaus, so könnt ihr nicht einmal fort, und dann ist das Schiff unser, und du bekommst nie etwas davon wieder.“

Jacobs wollte heftig darauf erwidern, Mac Kringo aber, der indessen hinzugetreten war, blinzelte ihm heimlich zu und sagte dann zu dem Alten:

„Laß mich mit ihm reden, Toanonga; er wird Vernunft annehmen, wenn er einsieht, daß er doch nichts daran ändern kann.“

Toanonga sah den Schotten etwas überrascht an, denn er hatte sein Kommen gar nicht bemerkt und mochte ihm auch vielleicht nicht so ganz trauen. Da er die Fremden aber ganz in seiner Gewalt wußte, schien er dem Vorschlage nach einiger Überlegung beizustimmen.

„Gut, Ma Kino,“ sagte er, „sprich du mit ihm.“

„Und was willst du, daß er thun soll?“ fragte der Schotte.

„Er soll hinausschicken und die anderen weißen Männer an Land rufen. Er mag ihnen sagen lassen, daß sie Messer und Tabak mitbringen, um dafür Cocosöl einzutauschen!“

„Daß ich ein Esel wäre!“ rief Jacobs. „Ich soll mir selber die Hände binden, nicht wahr?“

„Seid ihr der Capitain des Schooners?“ fragte ihn der Schotte in englischer Sprache.

„Ja wohl, der bin ich. Waret ihr mit auf der Lucy Walker?“

„Ja. – Wie viel Weiße habt ihr noch am Bord, auf die ihr euch fest verlassen könnt?“

„Fünf, mit dem Steuermann.“

„Den Steuermann können wir nicht rechnen,“ sagte der Schotte, „der muß an Bord bleiben. Wissen die anderen Vier mit Gewehren umzugehen?“

„Vortrefflich. Drei sind Franzosen von Taiti, und der Vierte ist ein Deutscher. Aber glaubt ihr wirklich, daß die Rothfelle ihre Drohung ausführen würden?“

„Ich fürchte fast, ja. Sie sind sonst gutmüthig und friedlich genug, aber jetzt gerade zu einem Kriege gerüstet, und ich möchte euch nicht rathen, sie zum Äußersten zu treiben.“

„Aber wenn ich das Boot ans Ufer kommen lasse, bin ich verloren, denn sobald sie ihre Canoes hinausschicken, kann mein Steuermann mit den paar Kanakas das Fahrzeug nicht allein halten.

„Habt ihr Musketen an Bord?“

„Gewiß.“

Mac Kringo schwieg eine Weile und sah nachdenkend vor sich nieder. Toanonga aber, der ein paar Schritte davon entfernt mit einem Häuptling sprach, wurde schon ungeduldig und drehte sich nach ihnen um.

„So wie so ist es eine verzweifelte Geschichte,“ sagte da der Schotte. „Gebt ihr euch ihnen nicht gutwillig, so brauchen sie Gewalt, und euer eigenes Leben ist dann in ihren Händen. Mit so schwacher Besatzung hättet ihr nicht so leicht an Land kommen sollen. Trotzdem ist es doch am Ende noch möglich, sie anzuführen, wenn ihr euch verpflichten wollt, uns Europäer von dieser Insel mit fortzunehmen.“

„Wie viel seid Ihr?“

„Sechs; und so tüchtige Matrosen, wie ihr euch wünschen könnt.“

„Aber hier stehen wenigstens sechszig bewaffnete Insulaner um uns her.“

„Deshalb müssen wir euere vier Leute noch vom Boot zu Hülfe haben.“

„Und dann sollen wir uns mit Gewalt durchschlagen?“

„Wir müssen es versuchen! Ich weiß wenigstens keine andere Möglichkeit, euch zu helfen.“

„Und wer bürgt mir dafür, Freund, daß ihr es ehrlich mit mir meint?“ sagte Jacobs. „Ihr habt mich hier ohne Warnung den Rothfellen in die Hände laufen lassen, und wie kann ich wissen, ob ihr nicht mit ihnen unter Einer Decke steckt!“

„Das Mißtrauen muß ich euch allerdings zu Gute halten,“ sagte Mac Kringo, „und wenn ihr meinem ehrlichen Gesicht nicht glaubt, habe ich keine weitere Bürgschaft für euch, als die Versicherung, daß uns allen, oder wenigstens Fünfen von uns, der Boden hier unter den Füßen brennt, und wir Gott danken wollen, wenn wir die Insel im Rücken haben. Jetzt thut was ihr wollt; wenn ihr einen anderen Rath wißt, euch zu helfen, so ist es mir lieb, wo nicht, so sagt mir euere Meinung bald, denn wie ich sehe, fängt der Alte da hinten an, die Geduld zu verlieren.“

„Ihr habt Recht,“ sagte Jacobs nach kurzer Pause, „es ist das die einzige Rettung. Im allerschlimmsten Falle kann dann mein Bruder, der Steuermann, doch am Ende noch mit den paar Kanakas und dem Fahrzeug entkommen, sobald er merkt, daß für uns Alles verloren ist. Aber auf welche Art kann ich ihm Kunde schicken? Wenn die Insulaner wenigstens meine Leute zurückrudern ließen!“

„Ich glaube schwerlich, daß Toanonga das zugiebt,“ sagte der Schotte, „denn der günstige Erfolg seiner ganzen List beruht nur darauf, daß die am Bord keinen Verdacht schöpfen. Aber da kommt er selber, jetzt wollen wir gleich hören, wie er sich die Sache weiter ausgedacht hat.“

Toanonga war wirklich ungeduldig geworden, denn da er sich nun einmal mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, das Schiff den Fremden wegzunehmen und zu seinen eigenen Zwecken zu verwenden, erschien es ihm höchst rücksichtslos von dem Papalangi, daß er ihn auch noch so lange darauf warten ließ.

„Nun mach rasch, Ma Kino,“ sagte er, als er zu ihm trat, „meine Leute wollen nicht länger warten, und wir haben auch keine Zeit zu verlieren, denn der Tag vergeht. Was sagt der Papalangi?“

„Er fügt sich deinem Willen,“ erwiderte der Schotte; „wenn ihr keinem von ihnen ein Leides thun und ihnen das Fahrzeug, sobald ihr es gebraucht habt, zurückgeben wollt.“

„Nun versteht sich, versteht sich,“ erwiderte der Alte, ungeduldig mit dem Kopfe schüttelnd.

„Aber der Steuermann hat Antheil an dem Fahrzeug,“ fuhr Mac Kringo fort, „und wird es nicht gutwillig hergeben wollen.“

„Nicht gutwillig hergeben wollen?“ lachte Toanonga, „wenn wir die Weißen erst an Land haben, brauchen wir ihn nicht lange zu fragen.“

„Aber wie willst du die an Land bekommen, Toanonga?“ fragte der Schotte. „Wer soll hinüberfahren, sie zu holen? Denn eine Flagge haben wir nicht hier, ihnen ein Zeichen damit zu geben.“

„Du hast Recht,“ sagte Toanonga, und sah sinnend vor sich nieder. Den Papalangi selber durfte er nicht schicken, der wäre natürlich nicht wieder gekommen, und die Kanakas durfte er auch nicht hinüber lassen, da die ja Zeuge des Überfalls ihres Capitains gewesen waren.

 

Mac Kringo, wie einem der anderen Weißen auf der Insel traute er ebenfalls nicht, und das Einzige blieb, daß er ein paar von seinen eigenen Leuten hinüber rudern ließ. Dabei konnte er sich aber nicht verhehlen, daß die Fremden kaum einem Befehl Folge leisten würden, der ihnen von den Eingeborenen einer fremden Insel gebracht wurde. Ein paar Mal kam ihm freilich der Gedanke, ohne Weiteres mit seinem Canoe hinauszufahren und den Schooner, der doch nicht ohne seinen Capitain absegeln konnte, zu entern; aber er fürchtete die Kanonen und durfte seine kriegsfähigen, jungen Leute, gerade im Begriff, einen Kriegszug zu unternehmen, nicht also gefährden; so lange er deshalb hoffen durfte, seinen Plan mit List durchzusetzen, wollte er jede Gewaltthat gern vermeiden.

„Spricht jemand bei euch an Bord die Tonga-Sprache?“ fragte da Mac Kringo, während der Alte noch mit sich zu Rathe ging, den fremden Capitain in englischer Sprache.

„Nein, kein Mensch,“ sagte dieser.

„Desto besser,“ nickte der Schotte und fuhr dann, zu Toanonga gewendet, fort: „Darf ich dir einen Vorschlag machen, die Leute an Bord das wissen zu lassen, was du willst?“

„Allerdings, sehr gern!“ rief der Alte, dem damit ein großer Gefallen geschehen wäre.

„Nun gut, so schicke Spund mit zwei Tongaleuten hinüber.“

„Spund?“ fragte Toanonga, und schüttelte bedenklich mit dem Kopf.

„Spund ist eine gute, ehrliche Haut,“ beruhigte ihn der Schotte, „und wenn du dem drohest, du würdest ihm den Schädel einschlagen, sowie er das Geringste verriethe, warnte er seinen eigenen Vater nicht. Außerdem braucht er gar nichts zu bestellen, denn du weißt, daß die Papalangis die Kunst verstehen, auf ein weißes Stück Zeug Zeichen zu malen, die einem Anderen sagen, was er wissen soll.“

„Da kann der Fremde aber darauf setzen, was er will!“

„Er mag es in der Tonga-Sprache thun, und du kannst dich dann selber überzeugen, daß er nichts sagt, als was du von ihm verlangst.“

Toanonga begriff noch nicht recht, wie das Ganze gemeint sei. Auf Spund glaubte er sich übrigens am ersten verlassen zu können, und wollte jetzt wenigstens sehen, was die Fremden im Sinne hätten. Er gab auch des Gefangenen Hände frei, und dieser ging rasch auf Mac Kringo's Plan ein, nahm seine Brieftafel aus der Tasche, riß ein Blatt heraus und schrieb darauf in der Tonga-Sprache: Schicke mir augenblicklich die vier Papalangis herüber und laß sie Messer und Tabak mitbringen; darunter aber setzte er in Englisch nur die Worte: Verrath! schicke die vier Matrosen gut bewaffnet!

Toanonga hatte neben ihm gestanden und ihm aufmerksam zugesehen, war aber sehr erstaunt, daß der Fremde so rasch damit fertig wurde.

„Und da sollen sie jetzt wissen, was das bedeutet?“ fragte er lachend. „Nun wartet, das wollen wir gleich erfahren. Geh' einmal weg, Ma Kino, der Fremde soll mir allein sagen, was er darauf gemalt hat.“

Der Schotte trat zurück, und Jacobs las Toanonga die im Tonga-Dialekt geschriebenen Worte langsam vor. Darauf ging der Häuptling mit dem Zettel zu Mac Kringo, und war aufs Äußerste erstaunt, als dieser ihm jede Silbe genau wiederholte, wobei sich dieser jedoch wohl hütete, das Englische mitzulesen. Toanonga traute aber noch immer nicht; denn die Beiden konnten sich auch über diese Worte vorher verständigt haben. Er ging also wieder zu Jacobs zurück und flüsterte ihm zu, die beiden Worte Monui und Toanonga aufzuzeichnen. Davon konnte Mac Kringo jetzt nichts wissen, als er aber diesem das Blatt zeigte, und der die Worte ohne Schwierigkeit ablas, kannte sein Erstaunen keine Gränzen. Besonders konnte er sich gar nicht denken, daß er Monui gleich erkannt habe, da die fünf sehr auffälligen Bergspitzen der Insel gar nicht darin zu unterscheiden waren.

Er machte den Versuch auch noch mit ein paar andern Worten, und würde sich wahrscheinlich den ganzen Tag damit unterhalten haben, hätte die Zeit nicht gedrängt. Von dem also abgefaßten Briefe versprach er sich aber einen außerordentlichen Erfolg, nahm Spund zur Seite und flüsterte lange und heimlich mit ihm. Spund schien auch mit Allem einverstanden und nickte in Einem fort mit dem Kopfe. Die beiden Insulaner, die vorher mit dem Canoe an Bord gewesen waren, wurden dann in dem Boot der Weißen mit Spund abgeschickt, und dieser würdige Mann war jetzt nur in Verlegenheit, wohin er mit seinem Buche indessen sollte. An Land durfte er es nicht lassen; denn die Eingeborenen, die es sich einmal in den Kopf gesetzt, daß es Beschwörungen und Zauberformeln enthalte, hatten ihm schon eine Menge Blätter herausgerissen, wo sie deren nur habhaft werden konnten. Mac Kringo wollte er es auch nicht anvertrauen, und beschloß deshalb, es lieber mitzunehmen.

Der Schotte stand mit vorn am Bug, als sie das auf den Corallensand gezogene Boot wieder in tiefes Wasser schoben. Wie Spund aber bei ihm vorbei an Bord stieg, flüsterte er ihm zu. „Bringe Hülfe, oder wir sind verloren!“

„Ja, aber!“ rief Spund ganz verblüfft, da er der erhaltenen Befehle Toanongas gedachte. Mac Kringo ließ sich jedoch auf keine weitere Erklärung ein, im nächsten Augenblick war das Boot flott, und die beiden Indianer ruderten es rasch dem Eingang der Bai entgegen.

5

Mac Kringo war jetzt mit seinem Plan im Reinen; die Kameraden durften keinen Fluchtversuch im Canoe machen, so lange noch der Capitain des Schooners am Ufer gefangen gehalten wurde. Ihre einzige Rettung lag im Gegentheil darin, daß sie mit der Verstärkung vom Schooner, die jedenfalls Gewehre mitbrachte, ihre eigene Schaar herbeizogen, und dann den Indianern weit eher die Spitze bieten konnten. Langsam ging er deshalb auf die, seinen Schiffsgenossen schon im Voraus bezeichnete Corallenbank hinaus, blieb dort einen Augenblick stehen, und kehrte dann zum Ufer zurück. Er wußte jetzt, daß er die Kameraden bald in der Nähe hatte, und gelang es ihnen dann, sich bei dem Boote zusammen zu drängen und dieses in Besitz zu nehmen, so durften sie hoffen, ihre Flucht glücklich zu bewerkstelligen.

Allerdings waren alle in der Nähe wohnenden Indianer an der Landung versammelt, da Toanonga seine Leute zusammen halten wollte, um die vier Matrosen in Empfang zu nehmen. Gelang es ihnen jedoch, das Boot zu besetzen, so hatten sie dadurch auch wieder den Vortheil, daß die Indianer die wohl eine Viertelstunde entfernt liegenden Canoes nicht so rasch erreichen konnten und ihnen einen tüchtigen Vorsprung lassen mußten. In dem Bewußtsein freilich, daß sich jetzt der entscheidende Augenblick näherte, und daß ihnen entweder Freiheit winkte, oder im Falle des Mißlingens die größte Gefahr von den gereizten Eingeborenen drohe, schlug ihm das Herz stürmisch und ängstlich in der Brust. Die Minuten dehnten sich ihm zu Stunden aus, und in der Unruhe, in der er sich befand, schritt er den Büschen zu, vielleicht einem der Kameraden zu begegnen und ihm Vorsicht zu empfehlen.

Dort kam er an Toanonga's Haus vorbei, und wenn die Eingebornen auch eines Häuptlings Wohnung nicht betreten dürfen, besonders wenn sich die Frauen darin aufhalten, ohne von ihnen dazu aufgefordert zu sein, hatte man es mit ihm, der als ein Häuptling der Weißen und als ein Fremdling betrachtet wurde, nie so genau genommen. Im Gegentheil war er von Anfang an den Frauen stets willkommen gewesen, da er, der Sprache mächtig, ihnen viel vom Lande und von den Frauen der Papalangis erzählen konnte. So trat er auch jetzt einen Augenblick hinein, um die ihm nachschauenden Indianer glauben zu machen, er schlendre nur wie gewöhnlich absichtslos in der Nachbarschaft umher.

Hatte er sich aber wirklich dort nur ein paar Minuten aufhalten wollen, so änderte er bald seinen Plan; denn seinem scharfen in dem inneren Raum umhergeworfenen Blick entgingen nicht die in einer Ecke lehnenden sechs oder acht Musketen, die hier jedenfalls zu plötzlichem Gebrauch bereit gelegt schienen. Den Frauen kam er dabei sehr erwünscht, denn diese brannten vor Neugierde, etwas Näheres über das zu hören, was außen vorging. Etwas Außergewöhnliches war jedenfalls im Werke, darüber konnten sie sich nicht täuschen, wären die Gewehre auch nicht hervorgeholt worden. Toanonga hatte ihnen jedoch nicht eine Silbe davon erzählen wollen, und Niemanden sahen sie deshalb jetzt gerade lieber als Mac Kringo.

Aber von dem Schotten bekamen sie im Anfang nur verworrene und unzusammenhängende Antworten; denn in dessen Kopfe bildete sich ein neuer Plan, ob er sich mit den Kameraden nicht vielleicht dieser Gewehre bemächtigen könnte. Nirgends aber entdeckte er die dazu gehörige Munition, und mißlang der Versuch, so waren sie alle verloren. Trotzdem gelang es ihm aber doch vielleicht, die Waffen wenigstens für die Insulaner unbrauchbar zu machen, und darüber mit sich im Reinen, begann er plötzlich eine lebendige Erzählung. Er beschrieb den Frauen, wie sie nun bald in Besitz eines großen Schiffes mit Kanonen sein würden, mit dem sie nach Hapai hinüberfahren und die dortigen Insulaner züchtigen könnten. Dabei schilderte er mit lebhaften Gestikulationen ihre Landung dort und ihren Angriff, und erfaßte dazu, um das anschaulicher zu machen, eines der Gewehre. Die Frauen, die den Knall dieser für sie furchtbaren Waffen kannten, wandten erschreckt die Köpfe und baten ihn, die Muskete hinzulegen. Mac Kringo that das, aber nicht ohne vorher den Stein aus dem Schlosse entfernt zu haben, den er geschickt in seine eigene Tasche schob. Immer aufs Neue kam er dabei auf den Angriff zurück, bis er von sämmtlichen Gewehren die Steine entfernt hatte. Die Frauen aber schöpften natürlich keinen Verdacht, denn sie konnten nicht wissen, daß der Papalangi in solcher Schnelligkeit und vor ihren Augen im Stande sein sollte, die Waffen vollständig unbrauchbar zu machen.

Darüber war wohl eine halbe Stunde vergangen, und der Schotte sah jetzt durch die offenen Bambusstäbe der Hütte, daß Jonas draußen angekommen und von Toanonga gesehen war. Das Boot mußte auch den dicht vor der Einfahrt kreuzenden Schooner schon erreicht haben, und es drängte ihn, zu wissen, ob die übrigen Kameraden in der Nähe und seines Rufs gewärtig seien.

Sein erster Blick, so wie er ins Freie trat, war nach dem Schiffe hinüber. Dieses hatte eben gewendet und hielt von den Riffen ab, denn der Wind war so schwach geworden, daß die Mannschaft an Bord nicht mit Unrecht fürchten mochte, auf die Corallen getrieben zu werden. Aber das Boot war schon auf dem Rückweg, und die nächste halbe Stunde brachte ihnen entweder Hülfe oder sah sie schlimmer in Gefangenschaft als je.

Toanonga schien indeß gar nicht mit der Ankunft des andern Weißen einverstanden, ging auch ohne weitere Umstände auf Jonas zu und fragte ihn, was er da schon wieder wolle.

„Was ich da will?“ entgegnete dieser etwas verblüfft, „Tabak, bei Gott, wenn das Boot landet, denn ich denke, es ist lange genug, daß wir keinen gesehen haben.“

„Gut, Freund,“ entgegnete Toanonga ruhig, „du sollst Tabak haben, jetzt aber geh hin, wo du hergekommen bist, und laß dich nicht eher wieder hier sehen, als bis ich dich rufe.“

„Aber …“ sagte der Matrose, der jetzt nicht wußte, ob er dem erhaltenen Befehle folgen solle oder nicht. Der alte Häuptling ließ ihn jedoch gar nicht ausreden.

„Hast du gehört, was ich mit dir gesprochen?“ fragte er, und zwar viel ernster, als er ihn noch je gesehen. „Komm her, Ma Kino, schicke mir den Zimmermann einmal fort; ich habe gesagt, er soll weggehen, und ich will ihn hier nicht länger sehen.“

Mac Kringo war, schon nichts Gutes ahnend, herangetreten. Wollten sie sich aber jetzt schon dem Befehl widersetzen, so mußte er fürchten, daß ihr ganzer Plan scheitern würde. Unter einer Viertelstunde konnte das Boot nämlich nicht heran sein, und bis dahin würden die Eingeborenen sie leicht bewältigt haben.

„Komm, Jonas,“ sagte er deshalb zu dem Kameraden, „geh zurück in den Busch, es hilft jetzt nichts, wir müssen ihm gehorchen – aber nicht zu weit fort. Wo sind die Anderen?“

„Nicht hundert Schritte von hier, wo da drüben die rothen Blumen stehen.“

„Desto besser, in einer Viertelstunde kann das Boot da sein; so wie ihr mich aber Hülfe schreien hört, kommt herbei, so rasch euch eure Füße tragen.“

Jonas ging fort. Toanonga hatte jedoch ihrem Gespräch mit unruhigem Blicke gelauscht. Es gefiel ihm nicht, daß sich die Beiden jetzt gerade in ihrer Sprache so lange unterhielten, und natürlich wäre es ihm sehr unbequem gewesen, Leute in der Nähe zu haben, die am Ende den andern Weißen hätten beistehen können. Übrigens ließ er sich gegen Mac Kringo nichts merken, nahm eine junge neben ihm am Boden liegende Cocosnuß auf und sagte zu dem Schotten. „Hast du ein Messer bei dir?“

„Ja wohl,“ erwiderte rasch dieser, dem daran lag, Toanonga nicht auch gegen sich mißtrauisch zu machen. „Soll ich sie dir öffnen?“

 

„Laß nur sein,“ erwiderte der Alte, „ich thue es selber.“ Damit nahm er das Messer und stach ein Stück aus der weichen Schale der Nuß heraus, trank den Saft und warf die Schale bei Seite. Mac Kringo streckte die Hand aus, das Messer wieder zurück zu empfangen, Toanonga aber schob es mit vollkommener Gemüthsruhe in sein eigenes Lendentuch und sagte:

„Warte noch ein wenig, Ma Kino, du brauchst es doch jetzt nicht, nachher sollst du es wieder bekommen. Sieh, das Boot ist schon beinahe am Ufer, und unsere Freunde werden gleich da sein.“

Der Schotte biß die Zähne auf einander vor Wuth, von der alten Rothhaut auf eine solche Art um seine einzige Waffe gebracht zu sein. Im ersten Augenblick hatte er auch nicht übel Lust, auf ihn zu springen und es ihm mit Gewalt zu entreißen. Gerade jetzt aber kamen vier der Egis an ihm vorbei und gingen nach der Landung hinunter, während sich von den übrigen Seiten die Insulaner ebenfalls herbeizogen, die ankommenden Weißen gleich in Empfang zu nehmen. Wenn er sich nun doch mit den Kameraden in die Hütte warf und die dort liegenden Gewehre aufgriff – es war das vielleicht die letzte Hülfe, und in dem ersten panischen Schrecken der Eingeborenen durfte er hoffen, das rasch herbeischießende Boot zu erreichen. Aber auch zu jenen Waffen war ihm der Weg abgeschnitten, denn eine Anzahl dunkler Krieger sammelte sich eben vor dem Eingang der Hütte.

Da sah er, wie Toanonga langsam auf den Capitain des Schooners zuschritt und neben ihm stehen blieb, und in der Todesangst, seinen ganzen Plan gescheitert zu sehen, griff er zu dem letzten verzweifelten Mittel. Er schritt auf die Beiden zu und fragte den Engländer mit vor innerer Aufregung bebender Stimme, ob er keine Wehr, kein Messer, kein Pistol bei sich habe.

„Nichts,“ sagte dieser, „als meine Hände; ich habe keine Gefahr gefürchtet, und als ich vom Bord ging, nur mein kleines Taschen-Teleskop eingesteckt.“

„Bei Gott, das thuts!“ lachte Mac Kringo wild vor sich hin. „Zieht es heimlich in der Tasche aus, fasst dann den Alten, haltet es ihm vor den Kopf, und droht ihm, daß ihr ihn über den Haufen schießen wollt, so wie er sich rührt.“

„Mit dem Teleskop?“ fragte der Capitain überrascht.

„Was wissen die von einem Teleskop?“ rief Mac Kringo, „sie sehen das blitzende Metall und halten das – aber wir versäumen die Zeit, es ist kein Augenblick mehr zu verlieren.“

Toanonga hatte den Schotten, während er sprach, aufmerksam betrachtet, als ob er den Sinn der ihm fremden Worte errathen wolle. Das Boot war aber kaum noch hundert Schritte vom Ufer entfernt, und die rudernden Matrosen hatten in diesem Augenblicke ihre Riemen eingeworfen, weil sie wahrscheinlich nicht näher an die vielen Eingeborenen fahren wollten.

Toanonga wandte sich, dort hinunter zu gehen, als er plötzlich die Hand des Fremden auf seiner Schulter fühlte. Erstaunt drehte er den Kopf nach ihm um, stieß aber ein überraschtes und erschrecktes Oiau! aus, als er plötzlich vor seinen Augen das unbekannte drohende Instrument erblickte.

„Rühre dich, und du bist des Todes!“ schrie dabei der Engländer, und „Hülfe! Hülfe!“ tönte Mac Kringo's gellende Stimme über den Platz.

Die ihm nächsten Insulaner wollten herzuspringen, ihrem Häuptling beizustehen. Mit ausgebreiteten Armen warf sich ihnen aber Mac Kringo entgegen und rief. „Halt! halt! um Toanonga's willen, er bringt ihn um, so wie ihr euch ihm naht!“

„Hurrah, Jungen! Hurrah!“ tönte in diesem Augenblicke Legs' Jubelruf durch den Lärm, „hier sind die Burschen! Nieder mit den Rothfellen!“

Überrascht wandten die Insulaner dorthin den Kopf, als vom Wasser her schnell hinter einander zwei Schüsse fielen und die Kugeln dicht über ihnen in die Stämme der Palmen schlugen. Jacobs stieß zugleich einen scharfen, eigenthümlichen Schrei aus, ein Zeichen für seine Leute, und während die beiden Tonga-Insulaner, die mit im Boot waren, erschreckt über Bord sprangen und dem Lande zu schwammen, griffen zwei der Leute wieder zu den Rudern, und die andern Beiden stießen Patronen in ihre abgeschossenen Gewehre nieder.

Mac Kringo war aber indessen auch nicht müßig gewesen. Mit raschem Griff hatte er sich wieder in den Besitz seines Messers gesetzt, und sein scharfer Pfiff zeigte den Gefährten die Stelle, auf der er sich befand. Panischer Schrecken schien indessen die Insulaner erfaßt zu haben, die mit dem bedrohten How vor sich und den Feinden an beiden Seiten nicht wußten, welcher Gefahr sie zuerst begegnen sollten.

„Nach dem Boot! Nach dem Boot!“ rief Mac Kringo, der recht gut fühlte, daß sie diesen ersten Moment der Bestürzung benutzen mußten, und mit der Rechten Toanonga's Arm ergreifend, während er in der linken das gezückte Messer hielt, folgte Jacobs an der andern Seite seinem Beispiel. Dieser hielt aber sein Teleskop noch immer drohend vor, in dessen blitzender Nähe der erschreckte Häuptling sein Leben aufs Äußerste gefährdet glaubte.

Auch die am Ufer postirten Indianer hatten bestürzt Raum gegeben, da sie nur unbewaffnete Weiße zu empfangen gedachten, keineswegs aber darauf vorbereitet waren, den auf sie gerichteten Gewehren zu begegnen. Das Boot berührte in diesem Augenblick den Strand, und Spund, der nur ein halb freiwilliger Theilnehmer des Angriffs gewesen war, sprang in demselben Moment ans Land, als Legs mit Jonas, Pfeife und Lemon durch die Schaar der am Ufer gedrängten Männer und Frauen hindurchbrach, den sicheren Bord zu erreichen. Rechts und links theilten sie dabei Keulenschläge aus, und Jonas, Pfeife und Lemon erfaßten schon den Rand des Bootes und schwangen sich hinein, als zwei der Frauen sich plötzlich und rücksichtslos auf Legs warfen und ihn schreiend zurückhielten.

„Du bist unser, du darfst nicht fort!“ schrien sie dabei, und eine ergriff die kurze Kriegskeule, die er geführt, und riß sie ihm aus den Händen, während sich die andere an seinen Hals hängte und laute Wehklagen dabei ausstieß.

Mac Kringo und Jacobs hatten indeß den ihnen Schutz gebenden Häuptling bis fast zum Boote geschleppt. Jetzt aber brach auch die Wuth der Eingeborenen aus, die wahrscheinlich glauben mochten, die Papalangis wollten ihren How gefangen mit fortführen. Mit wildem Aufschrei stürmten sie herbei, und eben von Toanonga's Hause wieder kam ein kleiner Trupp von Kriegern mit den dort aufgegriffenen Musketen gesprungen.

„Hieher, Legs! hieher Spund!“ schrie da Mac Kringo, indem er Toanonga los ließ und an Jacobs' Seite mit flüchtigen Sätzen zum Boot hinunter floh.

„Bestien!“ knirschte auch Legs zwischen den zusammengebissenen Zähnen hindurch, und ohne die geringste Rücksicht auf das zarte Geschlecht versetzte er den beiden Frauen ein paar so wohl gezielte Schläge zwischen die Augen, daß sie mit einem Weheruf zurücktaumelten. Im nächsten Augenblicke war er frei und rannte an Toanonga vorüber dem Boote zu. Die Eingeborenen aber, die jetzt ihren Häuptling außer Gefahr sahen, sandten ihnen einen Hagel von Pfeilen nach, während die mit Musketen Bewaffneten anlegten, aber vergebens die Hähne schnappen ließen.

Diese vorbeschriebenen Scenen waren blitzesschnell auf einander gefolgt. In demselben Moment aber, in dem Legs seinen beiden Frauen entsprang, war Spund vollständig einig mit sich geworden, seine Kameraden allein flüchten zu lassen. Zu seinem Entsetzen hatte er nämlich die halbe Mißhandlung bemerkt, die Toanonga, den er sehr schätzte, erlitten, und eilte jetzt rasch auf ihn zu, ihm seine Hülfe anzubieten. Toanonga dagegen hielt gerade Spund für den ärgsten Verräther von Allen, da er, anstatt die Weißen in seine Hände zu liefern, die Leute an Bord jedenfalls gewarnt und sie bewaffnet herüber gebracht hatte. So ruhig und leidenschaftlos er sich deshalb auch sonst benahm, so zornig und empört war er jetzt. War nicht die Häuptlingswürde in ihm geschändet? hatten die Weißen nicht gewagt, Hand an ihn, den How dieser Insel, zu legen? Deshalb also dem ihm nächsten Krieger eine Keule entreißend, führte er einen so gutgemeinten und raschen Schlag nach dem Schädel des armen Teufels, daß er ihm jedenfalls verderblich geworden wäre. Zu seinem Glück schleppte Spund aber noch immer das Buch mit sich herum, daß er fast unwillkürlich mit beiden Händen empor hob, als er die Keule niedersausen sah. Allerdings brach der dicke Band die Gewalt des Schlages in etwas; derselbe war aber zu kräftig geführt worden, um sich ganz aufhalten zu lassen, und wie das getroffene Buch auf Spund's Kopf niederprallte, warf es den Böttcher hinterrücks auf die scharfen Corallen.