Friedrich Gerstäcker: Blau Wasser

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From the series: maritime gelbe Buchreihe #163
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Die Dschunke

Die Dschunke

Es ist nun schon eine Reihe von Jahren her, dass die Engländer Besitz von Hongkong an der chinesischen Küste ergriffen. Sie wollten durch die kleine Insel vor allen Dingen einen Schlüssel zum „himmlischen Reiche“ bekommen, wollten erst einen festen Fuß in seiner Nähe haben, um es dann später ihren Missionaren und Kaufleuten zu überlassen, den zweiten irgendwo auf dem chinesischen Kontinent anzubringen.

Zu jener Zeit schwärmte das dortige Meer noch von teils chinesischen, teils malayischen Seeräubern, die, den Fremden wie ihren eigenen Landsleuten gleich gefährlich, selbst bis auf den heutigen Tag noch nicht haben können ausgerottet werden und nur höchstens gelichtet oder – vorsichtiger gemacht sind.


Auf Dschunken – einem anscheinend sehr unbehilflichen, aber nichtsdestoweniger sehr rasch segelnden Fahrzeug – gleiten sie an den Küsten Chinas, ja selbst in dessen Strömen hinauf und zwischen den Inseln des ostindischen Archipels fortwährend auf und ab, harmlosen Handelsfahrzeugen furchtbar und nur dem bewaffneten Kriegsschiff der Europäer ausweichend. Fühlen sie sich aber einem Gegner durch die Anzahl nur irgend gewachsen, dem zeigen sie auch rasch genug die Zähne. Haben doch die malayischen Prauen, besonders die von Borneo und den Nachbarinseln, natürlich in großer Überzahl, schon ein amerikanisches Kriegsschiff angefallen, dessen Kapitän alle Hände voll zu tun hatte, sich ihrer zu erwehren.

Es lässt sich denken, dass sowohl die Holländer wie Engländer, die beide besonders an der Sicherheit dieser Gewässer interessiert sind, ihr Möglichstes taten und noch tun, solchem Unwesen ein Ende zu machen und den Räubern ihr oft blutiges Handwerk zu legen. Das Terrain dort begünstigt aber die Verbrecher nur zu sehr. Diese Tausende von Inseln mit ihren unzähligen kleinen versteckten Buchten, mit Klippen und Untiefen – nur denen bekannt, die dort ihre Heimat haben – lassen eine richtige und wirksame Verfolgung in vielen Fällen nicht einmal zu. Das ist denn auch die Ursache, dass selbst noch bis auf die neueste Zeit ganz in der Nähe europäischer mächtiger Kolonien diese Seeräuber ihr Wesen treiben, Handelsschiffe von Freund und Feind plündern und mit dem Raub in irgend einen ihrer sicheren Schlupfwinkel flüchten.


Die Proa oder Prau, malaiisch perahu, niederl. prauw, engl.prow ist ein Segelschiffstyp aus Indonesien und dem südpazifischen Raum. In der malaiischen Sprache steht perahu für „Boot“, „Segelboot“ und im engeren Sinn für ein Auslegerboot mit Segel.

In damaliger Zeit, während die holländischen Kriegsschiffe mit manchem Erfolg um Bali und Borneo und zwischen den Molukken herumkreuzten und besonders ihre Kriegsdampfschiffe die darauf nicht vorbereiteten Prauen zu Zeiten überraschten und in Grund schossen, ärgerten sich die Engländer im Kantonfluss in der Nähe von Hongkong mit den räuberischen chinesischen Dschunken weidlich herum. Manche davon hatten sie schon zusammen- oder in Brand geschossen, einige Mal schon ganze Flotten davon vernichtet, aber wie aus dem Meere selber heraus wuchsen neue und neue empor. Allerdings trugen sie an deren Unzahl selber mit die Schuld, denn durch den verbotenen Opiumhandel hatte sich eine große Anzahl von Dschunken auf solch gesetzwidriges Gewerbe geworfen. Nach China hinein schmuggelten sie dann den verbotenen narkotischen Stoff, und heraus raubten und stahlen sie, was sie bekommen konnten.

Vorzüglich waren die Räuber, wie schon früher erwähnt, Chinesen und Malayen; hier und da aber verschmähten auch selbst Araber – neben den Chinesen die bedeutendsten Handelsleute de ostindischen Archipels – ein solches Gewerbe nicht, dem sie ihren Koran eben anzupassen wussten. In einzelnen Fällen waren sogar Europäer dabei ertappt worden. Mit diesen letzteren machten die englischen Kriegsschiffe aber die wenigsten Umstände, und ein europäischer Pirat, in solcher Umgebung erwischt, konnte sich auch fest darauf verlassen, gleich auf frischer Tat die Rahenocke zu zieren. (Auf Kriegsschiffen wird im Fall einer Exekution das äußerste Ende der Rahe (des Querholzes, an dem die Segel befestigt sind) dazu benutzt, den verurteilten Verbrecher aufzuhängen.)

Es war im November des Jahres 1845 und der Nordost-Monsun (Die Monsune sind periodische Winde, die besonders im nördlichen Teil des indischen Ozeans herrschen. Dort wehen sie von April bis Oktober von Südwest, von Oktober bis April aber von nordöstlicher Richtung ununterbrochen fort. Ihr Name stammt von dem persischen oder malayischen mussin – eine Jahreszeit.) wehte mit voller Stärke. Die meisten, besonders die kleineren Küstenfahrzeuge, suchten deshalb auch, wenn sie an Hongkong ankern wollten, das südliche Ufer der Insel, wo sie vor dem gerade herrschenden Wind weit mehr geschützt und sicher lagen.

Eine Menge Dschunken hatten sich solcher Art hier zusammengefunden, die durch ihre Boote lebhaften Verkehr mit dem Land unterhielten, und Waren wurden aus- und eingeladen, teils für die südlicher gelegenen Inselgruppen, teils aber auch zum Schmuggelhandel für Kanton bestimmt, wo sich die Eigentümer oder Führer der verschiedenen Fahrzeuge auf ihnen selber am besten bekannte Weise Eingang zu verschaffen wussten. Unter diesen lag auch eine Dschunke, die sich in nichts fast von ihren Nachbarn unterschied, als dass ihr Bambusdeck vielleicht reinlicher gehalten war als das der chinesischen, dass die Teppiche, die vor den Kajütenfenstern hingen, neu und von feinem Stoff und selbst die Mattensegel fester, feiner gearbeitet und weißer schienen, als sie die gewöhnlichen Handelsdschunken trugen. Die Malerei an dem Fahrzeug war dieselbe, mit den beiden riesenhaften und unheimlichen Augen vorn am Bug. Hinten am Spiegel aber trug es, nach echt chinesischer Aufschneiderei, den malayischen Namen (Die malayische Sprache ist im ostindischen Archipel besonders die Umgangs- und Handelssprache zwischen Malayen und Chinesen, wie auch zwischen diesen und den Europäern.) „ORANG MAKAN“ – der „MENSCHENFRESSER“.

Eine Flagge zeigte es nicht, sondern war an dem Morgen noch vor Tagesanbruch zwischen die andere kleine Flotte der Küstenfahrer ruhig hineingeglitten und hatte seinen Anker vollkommen anspruchslos und in aller Stille fallen lassen, auch über Tag sein Boot noch nicht einmal an Land geschickt, bis in der Dämmerung einige jener halb europäisch, halb indisch aussehenden Gestalten in die kleine, hinten am Spiegel hängende Jolle stiegen und an Land fuhren. Dort blieben sie bis spät in die Nacht und kehrten dann eben so still, ja fast heimlich an Bord ihres eigenen Fahrzeugs zurück.


Hongkong ist ein Freihafen, und weder Gesundheitspolizei, noch neugierige Steuerbeamte bekümmern sich dort viel um anlegende Schiffe. Trotzdem schien diese Dschunke die Aufmerksamkeit der englischen Beamten erregt zu haben, denn am nächsten Nachmittag kam ein Boot vom Lande ab, das einen Regierungsbeamten und neben den chinesischen Bootsleuten auch noch zwei vornehme Söhne des „himmlischen Reiches“ mit sich führte, und der Beamte verlangte vor allen Dingen den Eigentümer des Fahrzeugs, wie dessen Papiere zu sehen.

Der Beamte schien keineswegs überrascht, dass sich ihm ein Landsmann als Führer und Eigentümer des chinesischen Fahrzeugs vorstellte. Mr. Moore, wie derselbe hieß, legitimierte sich aber ohne Weiteres auf das Vollkommenste und äußerte nur sein Erstaunen, dass er dazu aufgefordert werde, da es, so viel er wisse, bei den übrigen Dschunken nicht Sitte sei. Die Mannschaft, die sämtlich auf Deck beordert wurde, bestand nur aus Chinesen und war vollzählig, der Gesundheitszustand der Leute ließ ebenfalls nichts zu wünschen übrig. Sie sahen dabei ordentlich und reinlich aus – etwas, was sich von solchen Burschen sonst nicht gerade immer sagen lässt – und gaben den beiden Chinesen, die wunderbarer Weise der Visitation des Schiffes beiwohnten und sich bei ihnen näher nach dem Fahrzeug selber erkundigten, rasche und prompte Antworten.

Mr. Moore hatte seiner Aussage nach die Dschunke von einem chinesischen Kaufmann, der früher damit den Opium-Schmuggelhandel betrieben, um einen ziemlich mäßigen Preis gekauft. Da er nicht reich genug sei, ein größeres Fahrzeug zu erstehen, habe er mit diesem hier begonnen, an den Küsten Chinas wie des ostindischen Archipels Rohprodukte aufzukaufen, um sie dann später an europäische Schiffe wieder abzusetzen, oder dort gegen europäische Waren einzutauschen. Hier an Hongkong war er nur angelaufen, um frisches Wasser einzunehmen und für bares Geld vielleicht ein paar Kisten Opium zu erhandeln. – So weit war alles gut. Der Beamte gab die Papiere zurück, wechselte leise ein paar Worte mit den Chinesen und verließ dann wie er gekommen die Dschunke. Eine Einladung des „Kapitäns“, in dessen kleiner Kajüte ein Glas Sherry zu trinken, lehnte er dankend ab.

Als die Herren von dem ziemlich hohen Deck die Fallreepstreppe in ihr Boot zurückstiegen, lehnte Kapitän Moore an der Schanzkleidung, und hätten sie hinaufgesehen, würde ihnen ein etwas höhnisches Lächeln, das um seine Lippen spielte, wohl kaum entgangen sein. So waren sie aber beschäftigt, bei dem Schwanken des Bootes ihre verschiedenen Sitze wieder einzunehmen, und gleich darauf verließ die Jolle, von den regelmäßigen Ruderschlägen der chinesischen Bootsleute getrieben, die Seite der Dschunke und glitt nach dem Ufer zurück.

 

Mr. Moore war ein Mann in den besten Jahren, etwa vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt, mit vollem, braunem, lockigem Haar, aber ohne Bart, das Gesicht glatt und sorgfältig rasiert. Von kräftigem, untersetztem Körperbau, ging er in die gewöhnliche Matrosentracht mit blauer Jacke und weißen Hosen gekleidet. Nur auf dem Kopf trug er eine chinesische Korkmütze mit roher Seide überzogen, und um den Leib einen der gewöhnlichen roten chinesischen Gürtel, in dem vorn statt jeder Waffe eine friedliche kurze, sehr hübsch gearbeitete Tabakspfeife stak.

Noch eine ganze Weile blieb er in der Stellung, in der wir ihn oben verlassen haben, bis das englische Boot außer Hörweite war. Dann drehte er sich, leise dabei zwischen den Zähnen durchpfeifend, auf dem Absatz herum, und zu der Kajütentreppe tretend, rief er lachend hinunter:

„Kommt herauf, Ben Ali, – es war alles in Ordnung und sie sind höchst zufrieden wieder abgegangen. Hahaha, was für ein verdammt gescheites Gesicht Ihrer Majestät Diener und was für ein verzweifelt dummes Gesicht die beiden Söhne des himmlischen Reiches machten, als sie mit meiner Physiognomie nicht so ins Reine kommen konnten.“

Noch während er sprach, erschien der beturbante Kopf eines Arabers in der schmalen Treppenluke, und bald stand Ben Ali, vollständig in die reiche Tracht seines Heimatlandes gekleidet, auf dem Verdeck der Dschunke, während jedoch die gegen die Sonne ausgespannten Teppiche ihn dem Lande zu vollständig verdeckten.

„Und hatt' ich Recht?“ sagte der Araber mit einem schlauen Lächeln, als er zu seinem Gefährten aufsah, „sind es nicht die beiden chinesischen Langzöpfe, denen wir im vorigen Monsun nahe bei Amoy ihre Ladung Opium wegnahmen? Ich kannte sie, wie ich nur einen Blick aus dem Kajütenfenster warf.“

„Allerdings hattest du recht, Ben Ali, Perle deiner Wüste“, lachte der Seemann, „und ich selber kannte sie, so wie ich ihnen nur in die verdutzten Gesichter schaute. Was aber in des Bösen Namen die beiden Schlitzaugen auf meine Spur gebracht hat, und wie sie dies Fahrzeug wieder erkannt haben, ist mir ein Rätsel. Wir haben Farbe und Kosten nicht gescheut, ihm ein anständiges und anderes Aussehen zu geben, und kaum ist der Anker unten, sind diese beiden Würdenträger der verkehrtesten Nation des Erdballs wie aus dem Boden gewachsen da. Ein Glück nur, dass ich meinem Kopf folgte und die „Zierde des Mannes“, wie du mich zu überreden beliebtest, meinen Bart, heruntergeschnitten habe. So fest war ihnen mein Gesicht doch nicht mehr im Gedächtnis, dass sie das wieder erkennen konnten; aber Verdacht hatten sie, und der kleine Schuft wollte keinen Blick von mir wegwenden. Schade nur, dass sie nicht mit in die Kajüte hinuntergingen, ich hätte ihnen dort einen Tee vorgesetzt, den sie im Leben nicht würden vergessen haben.“

„Es ist gut“, sagte Ben Ali, „wir sind diesmal, wenigstens für jetzt und so weit, durchgekommen. Aber ich dächte doch, wir gingen hier ganz still wieder unserer Wege, denn ich glaube kaum, dass sich diese beiden Chinesen mit der einen oberflächlichen Besichtigung beruhigen werden.“

„Was können sie tun?“ lachte aber Moore; „die Regierung ist durch ihren Beamten befriedigt worden, und China mag jetzt sehen, wie es sich selber hilft. Aber außerdem, Ben, glaubt Ihr, dass ich jetzt von hier fortginge und die Beute im Stiche ließe, die hier rechts und links, fast in Arms Bereich von uns vor Anker liegt? Die beiden kleinen Dschunken da drüben haben den Bauch so voll von Opium, wie sie ihn nur bekommen können, und sind dabei fertig zum Auslaufen; verlangt Ihr mehr? Lasst die erst unterwegs sein, und dann auf mit dem Anker so rasch Ihr wollt, aber eher wahrhaftig keines Kabels Länge von der Stelle. Hole die Zopfträger der Böse, denn wenn sie wüssten, wo es ihnen wohl ist, gäben sie wahrhaftig dem ‚MENSCHENFRESSER’ etwas weiteren Seeraum, als sie vor kaum einer halben Stunde getan.“

„Lasst die zufrieden,“ sagte lächelnd der Araber, „diese Art Leute weiß in der Regel recht gut, was sie tut, und fühlt sich hier, unter den Kanonen des kleinen Forts da drüben, gerade so sicher wie im Mittelpunkte ihres sogenannten ‚himmlischen Reiches’.“

„Sicher?“ rief Moore und warf einen trotzigen, herausfordernden Blick nach dem Fort am Ufer hinüber – „beim Teufel, Ben, wenn ich wüsste, dass unsere beiden Nachbarn nur zum Teil so gut segelten wie wir, weder das Fort noch die ganze Dschunkenflotte sollte mich abhalten, beide Fahrzeuge zugleich zu entern und mit in See zu nehmen. Das faule Ding von einer Kriegsbrig, das dort vor Anker liegt wie eine flügellahme Ente, möchte dann wohl vergebens hinter uns drein kriechen und Signale geben und Schüsse feuern. Mannschaft hätten wir überdies genug dazu im Raum. Bequemer haben wir's aber immer, wenn wir's noch ein paar Tage abwarten. Das andere Dschunkengelichter hier würde außerdem einen Heidenlärm machen und uns gerade so umschwärmen, wie der Rabe einen Habicht, der seine Beute gefasst hält.“

„Toll genug wäret Ihr dazu“, sagte der Araber mit ruhiger Stimme, während sein blitzendes Auge jedoch verriet, dass er den kühnen Plan keineswegs für unausführbar hielt.

„Toll?“ rief Moore; „war das etwa weniger toll, als Ihr den dänischen Kauffahrer bei mondheller Nacht mitten aus dem Hafen von Singapore herausnahmt und vor Tagesanbruch Eure Dschunke bis an den Rand beladen nach Malakka hinüberführtet?“

„Bah“, lachte Ben Ali, „damals war ich noch sechs Jahre jünger als jetzt, und Ihr – waret mein erster Steuermann.“

„Und jetzt, da ich Euer Compagnon bin“, rief Mooren „dürfen wir keine schlechteren Geschäfte zusammen machen.“

„Das schlechteste Geschäft ist, sich unnötigerweise in Gefahr zu begeben“, sagte der Araber achselzuckend. „Draußen im Archipel schwimmen eine Menge Fahrzeuge, die für den ‚MENSCHENFRESSER’ geladen haben; wir brauchen uns nicht die stacheligsten Früchte herauszusuchen.


Doch wie Ihr wollt – ein Spaß wäre allerdings dabei, gerade weil die Kriegsbrig da so bequem bei der Hand liegt, ihnen einen so fetten Bissen aus den Zähnen herauszureißen. Jetzt ist's aber noch keinesfalls nötig. Folgt Ihr meinem Rat, so gehen wir heute Abend mit Dunkelwerden in See, und zwar dicht am Wind, als ob wir die chinesische Küste anlaufen wollten, fallen aber in der Nacht ab und den Opium-Dschunken ins Fahrwasser, die uns nachher kaum entgehen können.“

„Wir wollen's uns überlegen“, sagte Moore. „Indessen gebt den Leuten unten etwas Luft. Kommen sie vorsichtig auf Deck, ahnt kein Teufel hinter der hohen Schanzkleidung die wackere Schaar. Da unten ist es zu heiß, und wir müssen sie bei guter Laune erhalten.“

Ben Ali stieg wieder hinunter, und es dauerte nicht lange, bis zwölf oder vierzehn wilde, braune Gestalten – lauter Malayen, mit Kopftüchern über und in die langen schwarzen Haare geflochten und Krise und Pistolen im Gürtel tragend, mehr auf Deck krochen als stiegen und fragende Blicke auf ihren weißen Führer warfen.

„Nur Geduld, meine Burschen“, lachte dieser aber, „nur Geduld, ihr sollt mir nicht lange da unten in dem heißen Raum Versteckens spielen, dafür lasst mich sorgen. Aber vorsichtig müsst ihr mir jetzt sein – nur noch wenigstens zweimal vierundzwanzig Stunden lang; versprecht ihr mir das?“

Die Anrede war in der malayischen Sprache gehalten, und einer der Leute, dem hellgraue Narben nach allen Seiten hin das braune Gesicht und die nackte Brust und Arme durchfurchten, erwiderte:

„Alles in Ordnung, Kapitän, solange wir noch unsere Nachbarn im Auge haben. Den Weißen wird Master Moore schon eine Nase drehen – ist nicht die erste.“

Er lüftete dabei den einen Sonnenteppich ein wenig, um freiere Aussicht zu bekommen.

„Hallo“, sagte er da plötzlich – „die Brig da drüben macht Anstalt zum Auslaufen? Desto besser, nachher haben wir ganz freie Hand, denn die zwei Jollen am Ufer kann man eben nicht rechnen.“

Moore hatte sein Fernrohr genommen und auf die Bemerkung des Malayen lange und aufmerksam nach dem bezeichneten Kriegsschiff hinübergesehen.

„Wahrhaftig, du hast recht“, sagte er jetzt, „an der Brig lösen sie die Vormarssegel, und dort sind auch ein paar Hände am Bug- und Vorstengenstag beschäftigt. Ihren Anker müssen sie beinahe schon in die Höhe haben, die Kette geht gerade auf und nieder.“

„Will sich vielleicht einen anderen Ankerplatz aussuchen“, meinte ein anderer der Malayen, der zu seinem Kameraden getreten war.

„So sieht's aus“, rief Moore. „Ich will nur nicht hoffen, dass der Besuch uns zugedacht ist.“

„Wäre nicht übel,“ sagte Ben Ali, der wieder an Deck gekommen war und nach der Rüstung am Bord der Kriegsbrig leicht erriet, von was hier die Rede sei; „aber ich dächte, da hätte sie uns doch viel leichter ein Boot herübergeschickt.“

„Und unser Wasserboot kommt auch nicht“, brummte Moore vor sich hin.

„Nun, so bleibt es weg“, erwiderte der Araber, „wir haben noch genug im Raum, und es war ja doch nur eine Entschuldigung für unser Ankern.“

„Allerdings“, sagte Moore, „aber das wissen die am Lande nicht, und ich glaube fast, das Boot ist von oben her verhindert worden, zu uns herauszukommen. Sie glauben uns dadurch am Ende hier halten zu können.“

„Da wären sie im Irrtum“, lachte Ben Ali. „Fatal bliebe es übrigens, wenn sie uns mit dem kanonenbespickten Schiff bedeutend näher kämen. Doch was tät's im Grunde; wir könnten ja dann unsern Ankergrund eben so leicht aus irgendeiner Ursache wechseln. Nun, wir werden sehen.“

Die Aufmerksamkeit der Dschunken-Mannschaft blieb von da ab übrigens ausschließlich auf das Manövrieren des Kriegsschiffes gerichtet, das, ein ziemlich altes und dem Anschein nach schwerfälliges Fahrzeug, jetzt wirklich seinen Anker aufnahm und mit dem wenigen Wind, der hier unter dem Schutz der Insel wehte, gerade die Richtung auf die Dschunke zu nahm. Etwa in einer Kabelslänge von ihr drehte es ein klein wenig ab, als ob es vorbeipassieren wollte, in einer Höhe aber mit derselben und etwa auf Büchsenschussweite von ihr entfernt, ließ es den Anker plötzlich wieder niederrasseln, schwang dann vor demselben herum, den Bug dem Lande zu, und blieb, die rechte Breitseite der Dschunke drohend zugekehrt, liegen. Wenige Sekunden später waren die für das Manöver gehissten Segel wieder fest beschlagen, und keine weitere Bewegung an Bord verriet, dass sie dort für den Augenblick irgendetwas beabsichtigten, als eben nur eine gleichgültige Veränderung ihres Ankerplatzes.

Nicht so gleichgültig war übrigens die Mannschaft der Dschunke Zeuge derselben gewesen.

„Zum Teufel auch“, sagte Moore jetzt, der mit dem Fernrohr am Auge dem allen auf das Aufmerksamste gefolgt war und das Glas erst jetzt wieder zusammenschob, „ist ihnen das Wasser dort am Land in der Ebbe zu seicht geworden? – Ich habe aber doch schon Dreidecker an der nämlichen Stelle ruhig liegen sehen – oder haben die Schufte etwas Anderes im Schild?“

„Das werden wir wohl gleich erfahren“, rief Ben Ali, und rascher als sonst seine Art zu sprechen war; „hinunter mit euch, Ihr Burschen, wieder in euren Versteck, und rührt euch nicht, bis ich euch selber durch das Zeichen rufe. Dort drüben kommt eben ein Boot ab, und ich müsste mich sehr irren, wenn der Besuch nicht uns gälte.“

„Ihr habt Recht, Ben“, rief Moore, sein Teleskop rasch wieder ausziehend und auf das eben sichtbar werdende Boot richtend, „drei Offiziere oder Beamte oder was sonst noch sitzen hinten im Spiegel.“

„Einer wird der Bootsmann sein, der steuert.“

„Nein, noch außer dem – Teufel noch einmal, ob sie uns nicht grad' unter ihre Breitseite gebracht haben, dass sie mit uns machen können, was sie wollen. Eine Flankensalve aus der Entfernung schösse' uns in Grund und Boden zusammen.“

„Dann wär's freilich aus“, sagte Ben Ali ruhig, „aber soweit ist's noch nicht. Ob ich ebenfalls wieder hinuntergehe?“

„Ich glaube, ja“, meinte Moore, „es ist besser, Ihr lasst Euch nicht eher sehen, als es irgend nötig ist. Und gingen sie wirklich in die Kajüte hinunter und wollten dann wissen, wer Ihr wäret, ei, so seid Ihr ein Kaufmann von einer der Dschunken, von dem ich Opium gekauft habe, und wartet hier auf Euer Boot. Lange bleiben werden sie doch nicht, und verlangen sie den Raum zu visitieren, so mögen sie's tun – sie finden nichts.“

„Und im allerschlimmsten Fall?“

„Ei, zum Teufel, die Flut ist uns freilich jetzt entgegen, aber noch Wind genug, uns fortzubringen. Zwingen sie uns, so wagen wir das Äußerste und kommen am Ende vielleicht noch hinter ihr Schiff, ehe sie uns großen Schaden tun können. Lebendig fangen sollen sie uns nicht. Ist Alles klar?“

 

„Wie immer“, erwiderte Ben Ali, „soweit wir es dürfen sichtbar werden lassen. Aber da sind unsere Gäste.“

„Hallo, die Dschunke!“ tönte in dem Augenblicke der seemännische Ruf vom Wasser herauf, und Moore trat auf sein spitz erhöhtes Hinterdeck, um dort zu antworten, während Ben Ali wieder in den untern Raum verschwand.

„Hallo, das Boot!“

„Werft uns ein Tau über – wir wollen an Bord!“

„Gleich, Sir. Heda, ihr da vorn, werf einmal einer von euch ein Tau hinunter in das Boot – rasch da – hört ihr nicht?“

„Ay, ay, Sir,“ lautete die den Engländern abgehörte Antwort der Chinesen, und im nächsten Augenblick flog ein zusammengerolltes dünnes Tau hinunter, das von einem der vorn im Boot sitzenden Matrosen geschickt gefangen und um die vordere Bank geschlungen wurde.

„Hol' an Bord!“

Das Tau wurde wieder eingezogen und um einen der „Nägel“ befestigt; gleich darauf lag das Boot unten fest längsseits, und die drei Offiziere, die, wie Moore ganz recht gesehen, hinten im Spiegel des Bootes gesessen, kamen aufs Deck und grüßten den Eigentümer der Dschunke höflich, aber ziemlich kalt.

„Und was verschafft mir die Ehre Ihres Besuchs, meine Herren?“ fragte Moore endlich, mit einem flüchtigen Blick nach der Brig hinüber; „kann ich Ihnen in etwas zu Diensten sein?“

„Sie sind der Eigentümer oder Führer dieses Fahrzeugs?“ fragte der erste Offizier und erste Lieutenant, wie es seine Uniform zeigte, ohne auf die Frage direkt zu erwidern.

„Allerdings“, lautete die ebenso kurze und etwas trotzige Antwort des Gefragten.

„Ihr Name?“

„James Moore; ich bin heute Morgen schon einmal darum examiniert worden und ich möchte wirklich wissen –“

„Mr. Moore“, unterbrach ihn aber der Offizier, „ich handle in höherem Auftrag und möchte Sie ersuchen, Ihren Ankergrund hier nicht zu verlassen, bevor Sie nicht weitere Weisung bekommen.“

„Ich warte auf Wasser“, erwiderte der Dschunkenführer finster, „und sobald ich das an Bord habe, sehe ich nicht ein, was mich hindern sollte auszulaufen, wann es mir gerade beliebt.“

„Es tut mir leid, Ihnen darin widersprechen zu müssen“, erwiderte ihm mit kalter Höflichkeit der Offizier, „aber ich habe gemessenen Befehl, Ihr Fahrzeug in Grund zu schießen, sobald es einen Versuch zur Flucht machen sollte.“

„Flucht?“ rief Moore emporfahrend; „sind meine Papiere nicht in Ordnung? Ist nicht erst ein Beamter hier gewesen, der mein Schiff untersucht hat, wenn ich auch nicht recht begreife, weshalb?“

„Ihr Fahrzeug ist, soviel ich weiß, noch nicht untersucht worden“, erwiderte der Offizier, „der Tag auch dazu für heute zu weit vorgerückt. Ich werde Ihnen deshalb diese beiden Herren heut Abend an Bord lassen. Möglich“, setzte er freundlicher hinzu, „dass die ganze Sache auf einem Missverständnis beruht, was sich dann jedenfalls bis morgen früh aufklären wird. Bis dahin ersuche ich Sie freundlich, sich dem Unvermeidlichen in Geduld zu fügen.“

„Und die beiden Herren bleiben bei mir an Bord?“

„So ist der Befehl meines Kapitäns. Sie selber werden jetzt – denn die Dämmerung beginnt schon – eine Laterne über Ihren Starbord-Bug hängen und dieselbe, während die Flut wechselt, so verändern, dass sie uns fortwährend zugedreht bleibt; Lieutenant Bolard wird schon darauf achten. Bei der geringsten Versäumnis dieser Maßregel und sowie das Licht verschwindet, haben unsere Boote Befehl, Sie augenblicklich zu entern. Welchen Unannehmlichkeiten Sie dabei ausgesetzt sind, wissen Sie selber am besten.“

Moore zuckte die Achseln.

„Gegen Gewalt ist nichts auszurichten“, sagte er dabei. „Ich bin unbewaffnet und kann gegen Ihre Kanonen nicht ankämpfen. Morgen hoffe ich indes, dass ich eine Erklärung über ein so merkwürdiges Benehmen erhalten werde. Außerdem ist auch unser bestelltes Wasser heute nicht angekommen und ich bin in der größten Verlegenheit. Wir haben keinen Tropfen mehr an Bord.“

„Ich werde Ihnen in dem Fall noch ein Fässchen heut Abend herüberschicken. Mr. Bolard, Sie kennen Ihre Pflicht. Mr. Pawton, sorgt, dass die Laterne ohne Säumen an ihren Platz kommt. Ist sie schon aus dem Boot heraufgeschafft?“

„Hier ist sie, Sir.“

„Gut denn. Guten Abend, meine Herren.“

Der Offizier verbeugte sich gegen Moore, nickte seinen beiden Untergebenen zu und stieg dann wieder in seine Jolle hinunter, die ihn rasch zu dem dicht dabei liegenden Schiff brachte.

Eine Viertelstunde später kam das versprochene Fässchen Wasser längsseits und wurde auf Deck gehoben, und die beiden Engländer gingen indessen auf und ab und schienen noch nicht recht zu wissen, wie sie sich eigentlich gegen ihre halben Arrestanten zu benehmen hätten.

Desto vollständiger war Moore selber mit sich im Reinen, und sobald er – wie er sich gegen die Fremden entschuldigte – danach gesehen hatte, dass das Wasser gleichmäßig unter seine Leute verteilt war, kehrte er zu jenen zurück und lud sie jetzt auf das Freundlichste ein, seine Kajüte in Augenschein zu nehmen.

Der Masters-Mate Pawton hatte indes danach gesehen, dass die Laterne nach vorgeschriebener Art aufgehängt war, wogegen die Brig an ihrer Seite ein gleiches Signal aushing, und Mr. Bolard, der dritte Lieutenant der Kriegsbrig, stieg mit dem Master der Dschunke in dessen kleine Kajüte hinunter. War er doch selber neugierig geworden, das Innere des Fahrzeugs in Augenschein zu nehmen, über das an Bord seines eigenen Schiffes, als dieses die drohende Stellung gegen dasselbe einnahm, solche wunderliche und unheimliche Gerüchte in Umlauf waren.

Er selber hatte sich denn auch auf eigene Hand ein gar wildes Bild von dem kleinen Fahrzeug entworfen und seinem Masters-Mate, ehe er hinabstieg, insgeheim die gemessensten Befehle erteilt, auf seiner Hut zu sein und auf alles ein wachsames Auge zu haben. Umso mehr war er überrascht, die kleine freundliche Kajüte wie ein Bild des Friedens zu finden.

Der Boden derselben war mit schneeweißen, feingeflochtenen Binsenmatten belegt, die leichten Bambuswände waren mit buntfarbigen, wie es fast schien, kostbaren Teppichen behangen, und eine zierliche europäische Astrallampe, die von der Decke niederhing, verbreitete ein helles und doch mildes Licht in dem kleinen gemütlichen Raum.

An dem in der Mitte befestigten Tisch saß Ben Ali in seiner morgenländischen Tracht, aus einer kurzen türkischen Pfeife rauchend und emsig mit Schreiben beschäftigt. Bücher und Papiere lagen um ihn her. So eifrig schien er dabei in seine Rechnungen vertieft, dass er die Kommenden nicht einmal gleich hörte und erst dann den Kopf erhob, als Moore seinen Namen rief.

Nirgends war auch die Spur von Waffen zu erkennen, zwei langläufige Flinten ausgenommen, die über die Tür befestigt hingen und wohl überhaupt in keinem Fahrzeug fehlen, das den ostindischen Archipel befährt. Aber selbst diese schienen seit langer Zeit nicht gebraucht, denn Bolard's prüfender und scharfer Blick, der darüber hin streifte, erkannte trotz dem Dämmerlicht doch leicht den Rost an den alten, noch mit Steinschlössern versehenen Läufen.

Bolard grüßte den Araber und sagte dann, sich in dem engen Raum umsehend:

„Alle Wetter, Mr. Moore, ich hätte es Ihrer Dschunke gar nicht von außen angesehen, dass sie eine so allerliebste Kajüte aufzuweisen hat.“

„Das Schiff ist unsere Heimat, werter Herr“, erwiderte Moore, „und jeder schmückt sich die nach besten Kräften.“

„Aber mit Waffen scheinen Sie nicht überflüssig versehen zu sein. Bei einer wertvollen Ladung möchte es kaum geraten sein, den malayischen Piraten des Archipels mit den beiden alten Flinten in die Hände zu fallen.“

„Die würden auch das Wenigste dabei ausrichten“, lachte Moore, indem er an einen kleinen Wandschrank ging und Flaschen und Gläser herausnahm. „Sie sind noch ein Inventar, das ich mit der Dschunke übernommen, und ich glaube sogar, noch von ihrem früheren Besitzer her geladen. Meine eigene Büchse und Pistolen habe ich über meinem Bett hängen, und unter dem Sofa dort steht eine Kiste mit Säbeln für meine Leute, falls wir wirklich einmal sollten angefallen werden. Sie wissen wohl aus eigener Erfahrung, dass die Chinesen mit Feuerwaffen nur höchst mittelmäßig umzugehen verstehen.“