Die Missionäre

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Die Missionäre
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Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweite Serie, Fünfter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe

Die Missionäre.

Roman aus der Südsee

Jena,

Hermann Costenoble Verlagsbuchhandlung.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2021

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

Vorwort.

In den vorliegenden Blättern habe ich versucht, dem Leser die Missionäre und Missionen zu schildern, wie ich sie gefunden, wie sie von tausend Anderen gefunden wurden.

Ich will gern zugestehen, daß viele dieser Geistlichen aus innerer Ueberzeugung in ferne Welten gingen, daß sie dort nach ihrem Glauben und besten Kräften wirkten, und wenn das nicht immer in der rechten Weise geschah, wenigstens den guten Willen dabei hatten. Aber machten sie jene Völker wirklich glücklich, denen sie einen andern Glauben, andere Sitten brachten? - Der Erfolg zeigt, daß überall die Verbindung mit den Weißen allen wilden Völkern zum Verderben gereichte und sie ausrottete, und ich fürchte, ohne sie wirklich gebessert zu haben.

Ein wahrer Glaube kann nicht gewechselt werden, nur die Form wurde verändert, und wie noch heutigen Tages die mexikanischen Indianer alte kleine Götzenbilder hinter den christlichen Altären zu verbergen suchen und darin streng überwacht werden müssen, damit sie nicht in Gedanken zu ihren Bildern beten, so sehen auch fast alle wilden Völker nur in der Form den neuen Gottesdienst, und leider wird auch selten mehr von ihnen verlangt.

Ich habe in meinem Buche fast Nichts erfunden, sondern nur eine Kette von Thatsachen hingestellt, und diese zwar mit den verschiedenen Missionsschriften selber belegt. Ich wollte nicht Autoren citiren, die scharf und entschieden über das ganze Missionswesen abgeurtheilt haben.

Es ist naturgemäß, daß wenn wir wirklich glauben, nur unsere Religion könne zum ewigen Heil führen - Männer, die sich dazu ihren Lebensberuf gestellt, andere, ihrer Meinung nach im Irrthum befangene und dadurch in schlimme Gefahr gebrachte Völkerstämme zu retten suchen. - Aber die Sache wurde übertrieben und das, was nur aus reiner innerer Ueberzeugung hervorgehen kann: eine wirkliche Aenderung des Glaubens, zu einem Geschäft herabgewürdigt.

Was für Summen sind nicht allein aus Europa, besonders aus England herausgezogen worden, um Chinesen zu bekehren, und mit wie fabelhaft geringem Erfolg in jenes Land getragen, und haben wir selber in Europa so wenig Bedürftige, um solche ewige Collecten zu rechtfertigen?

Elend überall hier, wohin wir blicken, und doch werden Hunderttausende von Thalern jährlich auf solche romantische Zwecke vergeudet und unseren Armen hier entzogen.

Ich bin vollkommen gegen diese Sammlungen, über welche dem Publikum später nicht die geringste Controle zusteht.

Wie sie zum großen Theil verwandt werden, habe ich aus eigener Anschauung gesehen, und dabei in vielen fremden Ländern beobachten können, in welcher Weise das Christenthum verbreitet und von den verschiedenen Stämmen aufgefaßt wurde.

Ich will den Geistlichen selber mit diesem Buch nicht zu nahe treten und ihnen wissentlich nicht Unrecht thun, aber ich schildere auch treu ihre Wirksamkeit, wie sie in der That noch heutigen Tages, ja oft in weit verschärftem Maße besteht.*)

Nichts habe ich von den Verfolgungen der verschiedenen Seelen untereinander erzählt, die viel, viel Blut, besonders auf Tahiti gekostet haben und sogar, wie z. B. aus Neuseeland, nicht allein zwischen Protestanten und Katholiken, nein sogar unter protestantischen Secten selber stattfanden.

Ich habe treu und wahr zu schildern gesucht, was wirklich geschehen ist und noch bis auf den heutigen Tag geschieht, und übergebe dem Leser das Buch in der festen Ueberzeugung, recht gehandelt zu haben.

August 1868.

Der Verfasser.

*) Eine höchst interessante Zusammenstellung über die Wirksamkeit der Missionäre in Indien, China -etc. giebt Ernst Friedrich Langhans, Pfarrer in Waldau bei Berlin, in seinem bei Otto Wigand (Leipzig) erschienenen Buch: „Pietismus und Christenthum im Spiegel der äußern Mission."

1.

Schloß Schölfenstein.

An den Ausläufern des Erzgebirges, unmittelbar über einem breiten, prächtigen Bergwasser, das sprudelnd von den bewaldeten Höhen herunterkam und lustig über die bräunlich blitzenden Kiesel hinwegsprang, lag ein altes Waldschloß, der Schölfenstein genannt, das man von Weitem und das Thal heraufkommend recht gut hätte für eine Ruine vergangener Zeiten halten können. Ein halbverfallener Thurm überragte nämlich das Ganze, und links davon lag eine ebenfalls eingestürzte Kapelle, die, von Epheu überwuchert, einen höchst malerischen Anblick bot. Das Schloß selber aber, aus dicken, gewaltigen Mauern aufgeführt, war im Innern noch vollkommen gut erhalten, ja sogar wohnlich eingerichtet, und dabei der Lieblingsaufenthalt des alten Barons von Schölfe, der hier wenigstens acht Monate vom Jahre mit seiner einzigen Tochter verbrachte.

Der alte Baron war eigentlich noch ein ächtes Stück aus der alten Zeit und mit so wunderlich gemischtem Charakter, wie man sie jetzt wohl nur selten findet; allerdings ein Edelmann von „altem Schrot und Korn", grundehrlich, schlicht und recht, ein vortrefflicher Reiter und ausgezeichneter Schütze wie leidenschaftlicher Jäger, und dabei derb und geradeaus, aber auch zugleich einer entschieden frommen, ja fast bigotten /2/ Richtung angehörend, die sich, da ihm kein besonderer Einfluß nach außen zu Gebote stand, mit desto größerem Eifer auf seine eigenen Unterthanen und Bauern warf.

In seiner Jugend sollte er anders gewesen sein, und aus dieser rührte noch einer seiner Jäger, der alte Claus, her; aber er heirathete in eine sehr fromme Familie, und mit jener doch schon in ihm schlummernden Neigung zur Schwärmerei, mit der er sich z. B. besonders für die Kreuzfahrer begeistert hatte und stolz war, einen seiner Ahnen zu ihnen zu zählen, wuchs dies Gefühl von Jahr zu Jahr.

Seine sämmtliche Dienerschaft mußte jeden Sonntag regelmäßig den Gottesdienst besuchen, und zwar abwechselnd, an einem Sonntag ein Theil den Morgen-, ein anderer den Nachmittags-Gottesdienst, und wer sich da säumig zeigte, konnte nur gleich sein Bündel schnüren. Ja, als die gnädige Frau noch lebte, las diese nach ächt patriarchalischer Sitte den Leuten Abends selber fast eine Stunde lang aus der Bibel vor, und konnte ernstlich böse werden, wenn Einer oder der Andere dabei einmal aus Versehen einnickte.

Den Leuten war damit natürlich nicht gedient, und sie hätten sich lieber in einer andern Weise unterhalten; einige kündigten sogar, aber die meisten fügten sich doch, denn der Dienst war ein vorzüglicher und der Herr besonders so gut mit den Leuten, daß sie sich keinen besseren wünschen konnten.

Der Baron hatte eine einzige Tochter, die er, der alten deutschen Zeit anhängend, Berchta genannt. Das Kind bekam eine wunderlich gemischte Erziehung, der ähnlich, wie sie der Charakter des Vaters abstrahlte, halb ritterlich, halb religiös, und als die Mutter, da Berchta kaum vierzehn Jahre zählen mochte, starb und der Vater jetzt den größten Theil seiner Zeit auf dem Schölfenstein verbrachte, fast mehr das erstere als das letztere. Sie mußte vor allen Dingen reiten lernen, um ihn auf seinen Spazierritten zu begleiten, und wie sie kaum sechzehn Jahre alt war, übte er sie sogar im Pistolen- und Gewehrschießen, und nahm sie dann mit hinaus auf die Jagd.

Berchta wuchs heran, und ein lieblicheres Wesen ließ sich kaum auf der Welt denken. Von schlanker, fast zarter, an-/3/muthiqer Gestalt, ganz das Ebenbild ihrer seligen Mutter, konnten ihre Züge wirklich schön genannt werden. Die Nase war edel geformt, der kleine Mund fein geschnitten, und wenn sie lachte, zeigte sie zwei Reihen perlengleicher Zähne und ein tiefes Grübchen in jeder Wange. Volles, lockiges, kastanienbraunes Haar umwallte ihr Haupt, und sonderbar stachen dagegen die wunderbar schönen blauen Augen ab, die sich so selten zugleich mit dunkeln Haaren finden. Die unweibliche Beschäftigung der Jagd hatte aber keinen nachtheiligen Einfluß auf ihr Benehmen ausgeübt. Sie glich in keiner Weise jenen sogenannten „emancipirten" Frauenzimmern, die gerade darin etwas suchen, ihre schönste Zierde - schüchterne Weiblichkeit - abzustreifen. Sie war frei und offen in ihrem ganzen Wesen, ohne je auch nur um eines Haares Breite die Grenzen zu überschreiten, welche zarte Sitte um ihr Geschlecht gezogen.

Aber in den blauen Augen lag auch eine tiefe Schwärmerei, ein Erbtheil, und zwar ein gefährliches, der Mutter, und fand allerdings in den vielen einsamen Stunden, die sie hier verleben mußte, reichliche Nahrung.

Berchta war tief religiös, aber ihr gesunder, klarer Geist bewahrte sie doch vor einer Uebertreibung dieser Tugend, die so leicht in ein bigottes Formenwesen ausartet. Der Tod der Mutter ergriff furchtbar ihr weiches Gemüth und nährte mit den schon in ihr Herz gelegten Keim, der ihr die ganze Seele bald mit einem unerklärlichen Sehnen erfüllte.

Die Erziehung des Vaters, der sie fortwährend mit hinaus in Feld und Wald nahm, diente allerdings dazu, sie in etwas davon ab- und der Erde wieder mehr zuzuwenden, aber ganz unterdrücken konnte er diese geistige Anspannung nicht, ja er gab ihr auf der andern Seite - selbst bei dieser Erholung - frische Nahrung.

 

Die Kreuzzüge waren, wie schon erwähnt, sein Lieblingsthema, ja er hatte sogar einmal seinen Vorfahr, der eine Streitaxt in Form eines Kreuzes geführt haben sollte, poetisch besungen und das Gedicht dann, da keine größere Zeitung veranlaßt werden konnte es aufzunehmen, in das Kreisblatt einrücken lassen. Von diesen Kreuzzügen erzählte er auch am liebsten, und hatte sich in der That eine ganze Bibliothek /4/ darüber angeschafft, in der auch Berchta natürlich fleißig lesen mußte.

Dadurch bekam ihre Schwärmerei ein bestimmtes Ziel. Sie konnte sich dafür begeistern, daß es Menschen gegeben hatte, die ihr Leben einsetzten, um das Grab des Heilands den Bekennern des Islam nicht allein zu entreißen, sondern auch dadurch wieder das Christenthum auf jenen Boden zu pflanzen, von dem es ausgegangen war und sein Licht über die ganze Erde verbreitet hatte.

Warum war sie kein Mann geworden - warum nicht in einer Zeit geboren, in der sie selber Theil an solchen Gefahren nehmen konnte! Ach, wie gern hätte sie freudig ihr Leben hingegeben, um ein so hohes, so seliges Ziel erreichen zu helfen!

Ein wenn nicht täglicher, doch sehr häufiger Gast im Schlosse war der Diakonus des Ortes.

Unter dem Schölfenstein, und kaum ein halb Stündchen davon entfernt, lag das kleine Städtchen Rothenkirchen. Der Pastor aber, der schon seit längerer Zeit kränkelte, hatte einen Diakonus beibekommen, um ihn in seinen Predigten zu unterstützen, und dieser erwies sich denn auch bald für den Baron als ein wahrer Schatz in seiner Einsamkeit. Kästner, wie der Diakonus hieß, war ein durchaus gebildeter, tüchtiger junger Mann, der zugleich mit einem bedeutenden musikalischen Talent einen Lieblingswunsch des alten Herrn von Schöffe erfüllen und Berchta in der Musik unterrichten konnte. Aber dabei blieb es nicht; das junge, damals kaum der Schule entwachsene Mädchen, dessen reger Geist eine entsprechende Beschäftigung verlangte, sehnte sich selber nach einer solchen, und ihr Vater bewilligte gern, daß der Diakonus auch noch einen Cursus von Literatur und Kirchengeschichte - inclusive „Kreuzzüge" - hinzufügte. Gehörte der Diakonus doch einer streng orthodoxen Richtung an, und es war deshalb nicht zu fürchten, daß er schädliche Lehren in die Brust des noch halben Kindes pflanzen würde.

Aber Diakonus Kästner war auch noch in anderer Weise im Schlosse willkommen, denn er spielte nicht allein sehr gut Clavier, sondern auch eben so fertig Schach und Piquet, und zeigte sich dadurch also nach allen Seiten nützlich, ja fast un-/5/entbehrlich. Uebrigens war er in seinem ganzen Wesen gerade das Gegentheil von dem alten Baron, der eben derb und rauh seinen geraden Weg durch's Leben ging und ohne Scheu herauspolterte, was und wie er's meinte. Kästner dagegen, obgleich wahrscheinlich eben so rechtschaffen in seinen moralischen Ansichten und dabei, was der alte Baron nicht war, gründlich gebildet und belesen, hatte - in sehr gedrückten Verhältnissen erzogen - das Gefühl der Freiheit und Ungebundenheit, das jenem eine so große Sicherheit verlieh, nie kennen gelernt. Er war, so lange er denken konnte, immer von anderen, fremden Menschen abhängig, und der erste Lichtblick in seinem Leben eigentlich der gewesen, als er die Stellung als Diakonus in Rothenkirchen bekam.

Aber Kästner war ehrgeizig, und der Umgang mit dem Baron schmeichelte zuerst seiner, darin allerdings unschuldigen Eitelkeit, während es ihm Freude machte, das noch blutjunge, aber bildhübsche Mädchen, dessen reiche Fähigkeiten er bald erkannte, heranzubilden und zu unterrichten.

Doch die Jahre vergingen; Berchta wurde älter, und während sie in Allem, worin sie Kästner unterrichten konnte, erstaunlich rasche Fortschritte machte, erwachte in dem Diakonus selber allmälig und unbewußt ein Gefühl für die Jungfrau, vor dem er, als er es entdeckte, erschrak.

Allerdings kämpfte er ernstlich dagegen an; er suchte sich klar zu machen, wie wahnsinnig eine solche Leidenschaft für ihn, den armen Diakonus, sein müsse; aber was richtet überhaupt Vernunft gegen Liebe aus? Nach einiger Zeit begann er schon in seinem Herzen das Für und Wider solcher aufkeimenden Hoffnungen zu erwägen, bei denen das Wider freilich sehr das Für überwog. Wenn der alte Baron überhaupt auf etwas stolz genannt werden konnte, so war er das auf seine Ahnen und sein Kind, und trotzdem baute Kästner auf dessen streng frommes Gemüth seine Hoffnung. Er wußte auch, wie der alte Herr an seinem Kinde hing, und sah er wirklich, daß sich Berchta auch unter bescheidenen Verhältnissen

glücklich fühlen würde, hätte er da nicht doch vielleicht seinen alten Ahnenstolz vergessen?

Aber das Alles mußte ja doch der Zeit überlassen bleiben, /6/ und Diakonus Kästner war auch der Mann dazu, um diese geduldig abzuwarten. Selber ziemlich heftiger Gemüthsart, hatte er solche mit zäher Willenskraft zu bändigen gewußt und sich, schon von der Liebe zu Berchta dabei getrieben, den Launen des alten Herrn so angeschmiegt, daß sich dieser wirklich keinen besseren Gesellschafter wünschen konnte. Ein Streit fiel zwischen ihnen in ihrer Unterhaltung niemals vor. Ueber Religion waren sie fast vollständig einerlei Meinung, das Thema also zu monoton, um es weiter zu behandeln, und über Politik wurde, nach stillschweigendem Uebereinkommen, wenig oder gar nichts gesprochen, da der alte Herr, wenn er auch in seinen Kreisen einer sehr freisinnigen Richtung angehörte, doch in seinen Ansichten mit dem weit radicaleren Diakonus noch ziemlich auseinanderging. Dafür aber hatten sie ein anderes Thema, auf welchem sie sich desto ungestörter und harmonischer bewegen konnten: die Forstwissenschaft.

Kästner, der mit der ihm eigenen Gewandtheit Alles ergriff, was ihn interessirte, war bei seinen tüchtigen Vorkenntnissen in Naturwissenschaften und mit der Gelegenheit umher ein ganz tüchtiger Forstmann geworden, und dabei - allerdings nicht zufällig - auf die Lieblings-beschäftigung des Barons gerathen. Dieser bedauerte auch in der That nichts weiter, als daß der junge Geistliche nicht auch Jäger und Schütze wäre, um ihn manchmal mit auf die Jagd hinaus zu nehmen. Dafür hatte aber Kästner keinen Sinn, und wenn er auch anfangs, dem alten Herrn zu Liebe, ein paar Mal mitfuhr, so hätte das doch beinahe ein böses Ende genommen und der Diaconus einen der Treiber erschossen. Die Kugel ging dem armen Teufel wenigstens zwischen Hemd und Haut durch, und es kostete dem Baron damals viel Geld, um die Sache zu vertuschen, damit sie nicht dem Consistorium zu Ohren kam.

Von da an lud er ihn nie wieder mit zur Jagd ein, ging aber desto öfter mit ihm im Walde spazieren, um die neuen Culturen anzusehen oder frische Anlagen zu besprechen. So, mit seiner Partie am Abend und dem Unterricht der Tochter, war Kästner nicht allein ein gerngesehener, nein, unentbehrlicher Gast im Schlosse geworden, und selbst Berchta /7/ fühlte sich einsam, wenn sie ihn einmal einen Tag entbehren

Und Berchta wuchs heran; sie wurde achtzehn und zwanzig Jahre, und mit ihr wuchs in Kästner's Brust die Leidenschaft für das junge, wunderschöne und so liebliche Mädchen. Wohl sagte er sich oft, wie unmöglich es sein würde, den alten, adelsstolzen Baron zu einer Einwilligung zu vermögen, und dann auch wieder, wenn er mit diesem und Berchta manchen Abend über altvergangene Scenen sprach, und der Baron nicht aufhören konnte, die Alles opfernde Liebe der Kreuzfahrer zu schildern, und Berchta ihm zustimmte, wie es ein seliges Gefühl sein müsse, für eine gute und edle Sache Allem zu entsagen, an dem bisher unsere Seele gehangen, - kehrte frische Hoffnung in sein Herz ein.

Von jetzt an suchte er in seinen Geschichtsstunden die Beispiele edler Frauen vor, die allem Glanz, aller Hoheit entsagt hatten, um allein dem zu folgen, was sie für ihre Pflicht, für ihren Beruf hielten, und fand für solche Lehren ein nur zu empfängliches Herz, einen nur zu begierig horchenden Geist. Besonders waren es Erzählungen aus der Missiousgeschichte, die für Berchta insofern doppeltes Interesse hatten, als sie den Reiz der Neuheit und des Fremdartigen mit all' dem verbanden, für das bisher ihr Herz in Mitgefühl geschlagen.

Selbst der alte Baron fing zuletzt an, sich für die Sache zu begeistern. Er schaffte einige der Reisewerke an, die ihm Kästner empfahl, hielt die verschiedenen Missionsschristen, und bedauerte nur immer, daß er selber schon zu alt sei, um all' die Herrlichkeiten jener fremden Welt und die Wunder, die dort der liebe Gott durch fromme Diener seines Wortes geschehen lasse, mit eigenen Augen zu schauen.

Fast hörbar schlug dem jungen Manne aber das Herz in der Brust, als Berchta einst mit leuchtenden Blicken sagte, daß es doch gewiß ein großes, herrliches Wagniß, das größte eigentlich, was eine F r a u unternehmen könne, sein müsse, dort hinaus in die Fremde zu ziehen, um wilden, barbarischen Völkern, die in dem Fluch der Finsterniß lebten, den Segen und das Licht des wahren Glaubens zu bringen, und sie /8/ könne ein solches Loos nur als ein von Gott bevorzugtes betrachten.

„Aber, gnädiges Fräulein," warf da Kästner ein, nur um diese Gesinnung in Gegenwart des alten Barons auf die Probe zu stellen, „Sie, die Tochter eines altadeligen Geschlechts, würden sich nicht davor scheuen, als die Frau eines armen, niedrig geborenen Missionspriesters Ihr Leben zu beschließen ?"

„Und adelt ihn nicht sein Stand?" rief da Berchta begeistert aus. „Denn was haben die alten Kreuzfahrer mehr gethan, von denen Vaters Bücher so viel erzählen? Ja, wohl je so viel? Diese zogen nur in großen Heeren und mit Allem ausgerüstet in ein feindliches Land, das Schwert an der Seite, während jene frommen Männer, blos ihre Bibel in der Hand und auf Gottes Schutz vertrauend, sich mitten hinein zwischen Kannibalen und blutdürstige Heidenstämme wagten, und freudig unter tausend Entbehrungen der guten Sache ihr Leben zum Opfer brachten. Das sind Helden, und was wiegt selbst dagegen ein alter Stammbaum und Name, was ein edles Geschlecht?"

Kästner sah den Baron an. Es schien fast, als ob dieser etwas darauf erwidern, dagegen einwenden wolle; aber im Princip war er mit der Sache vollkommen einverstanden, und da es sich hier nur um ausgesprochene Gefühle handelte, durfte er seinen früher geäußerten Grundsätzen nicht untreu werden. Er war mit seinen eigenen Waffen geschlagen worden.

Von diesem Abend an schöpfte Kästner neue Hoffnung, er sah eine Möglichkeit vor sich, den Adelsstolz des alten Barons zu besiegen, wenn er sich nur erst einmal das Herz der Tochter gewinnen und sichern konnte. Er hatte Berchta wirklich recht von Herzen lieb und die feste Ueberzeugung, daß er sie einst als Gattin glücklich machen werde. Er strebte auch nicht nach dem Geld und Gut des Vaters, oh wie gern hätte er alledem entsagt, wenn er nur hoffen durfte, daß Berchta an seiner Seite sich mit einer bescheidenen Existenz begnügen würde; aber er bemerkte auch nicht, daß er in ihren Augen irgend einen Fortschritt mache, und kein einziges, selbst kleines /9/ Zeichen verrieth ihm, daß die geringste Liebe zu ihm in ihrem Herzen keime..

Sic nahm alle die Aufmerksamkeiten, die er ihr bewies, so unbefangen hin, daß er dadurch stets in seinen eigenen Schranken gehalten wurde. Sie war immer freundlich, ja herzlich mir ihm, ohne aber nur je mit einer Miene, mit dem Zucken einer Wimper zu verrathen, daß er ihr mehr sei, als ein geachteter Lehrer und Freund. Ja selbst bei den Liedern, die er sie lehrte und die sie mit ihrer glockenreinen Stimme in wunderbar zum Herzen gehend sang, sprach sich wohl ein tiefes Gefühl aus, das aber, wie sich Kästner nicht verhehlen konnte, noch keinem bestimmten Ziel entgegenstrebte. Es lebte wohl, von einem innern Feuer genährt, in ihrem Herzen, aber es konnte noch keinen Weg in's Freie gefunden haben.

Aber Kästner, von Jugend auf an Entsagung gewöhnt, hatte auch dabei gelernt, Geduld zu üben. Er war sich in seiner Liebe zu Berchta keiner unrechten Handlung bewußt, denn er sah darin mir ein rein menschliches Gefühl. So hoch stand das gnädige Fräulein vom Schälfenstein ja doch auch nicht über ihm, daß ein braver, rechtschaffener Mann - wenn er auch dem Bürgerstand angehörte - hätte zurückschrecken müssen, um ihre Hand zu werben. Er hoffte auf die Zeit und that indessen Vater wie Tochter, was er ihnen an den Augen absehen konnte.

Alle hatten ihn auch gern; nur Eine Person im Schlosse gab es, die ihn nicht leiden konnte, und das war der alte Claus, das Factotum des Barons, der dessen Pferde überwachte, seine Hunde fütterte, seine Gewehre in Ordnung hielt, seine Patronen machte und so ziemlich Alles im Schloß besorgtc, was eben in derlei Dingen zu besorgen vorkam.

Der alte Claus war ein Erbstück im Hanse, eigentlich mit dem alten Baron auch aufgewachsen, und galt bei diesem viel. So lieb er aber den Baron hatte, recht fromm war er, trotz der Kirchenzucht im Hause, doch nicht geworden. Er ging allerdings jeden Sonntag in die Predigt - weil er eben mußte, aber er profitirte wenig davon, denn er schlief die meiste Zeit, und wenn er nicht in Gegenwart seines Herrn manchmal fluchte, weil dieser das unter keiner Bedingung ge-/10/stattete, so machte er dafür draußen im Walde desto öfter seinem Herzen Luft und meinte dann immer, so ein „Heiliges Kreuz-Donnerwetter“ könne Einem der liebe Herrgott nicht übel nehmen, denn wenn man das immer hinunterschlucken müßte, so sei es gerade so, als ob Einer niesen wolle und dürfte nicht.

 

Der alte Baron, dem das natürlich kein Geheimniß blieb, machte ihn deshalb auch oft herunter und nannte ihn einen schweren Sünder und Heiden nach dem andern, drohte auch, ihn fortzuschicken, weil er keinen so unchristlichen Charakter in seinem Hause dulden wolle. Er aber hätte so wenig ohne Claus leben können, wie dieser ohne ihn und das „gnädige Fräulein", das er liebte, als ob es sein eigenes Kind gewesen wäre.

Claus hatte eine Abneigung gegen den Diakonus - weshalb, wußte er selber nicht. Wie oft finden wir ja das im Leben, daß wir uns zu diesem hingezogen, von anderem abgestoßen fühlen, ohne im Stande zu sein, einen wirklichen Grund dafür anzugeben. Aber dies Gefühl wurde ihm zuletzt unbehaglich; er mußte sich darüber gegen irgend Jemanden aussprechen und that das gegen den alten Baron, als er einst mit ihm draußen im Walde war. Bei dem aber kam er an den Unrechten, denn dieser wußte die guten Eigenschaften des jungen Geistlichen wohl zu schätzen und duldete überhaupt nicht, daß sich irgend wer von der Dienerschaft über Jemanden aufgehalten hätte, mit dem er verkehrte.

„Weißt Du etwas Bestimmtes gegen den Herrn?" schnauzte er Claus mit einer Miene an, die diesen schon bereuen ließ, auch nur Ein Wort gesagt zu haben.

„Bestimmtes - nein," stotterte er; „ich - ich meinte nur, daß er in seinem ganzen Wesen -"

„Dann halte künftig Dein Maul," fuhr der Freiherr fort, „und untersteh' Dich nicht, mir je wieder mit so etwas unter die Augen zu kommen, oder - wir sind die längste Zeit Freunde gewesen!"

Damit mußte Clans abziehen, und daß ihn der Verweis nicht günstiger gegen den Geistlichen stimmte, läßt sich denken. So sehr er aber auch von da ab aufpaßte, um irgend etwas /11/ gegen ihn aufzufinden und seinem Herrn einen Beweis bringen zu können, es war nicht möglich; denn Kästner, wenn auch wohl ohne Ahnung, daß er so scharf beobachtet wurde, that ruhig seine Pflicht, verkehrte mit dem Baron und dem gnädigen Fräulein nach wie vor, und zeigte sich dabei in seiner Gemeinde, besonders gegen die ärmeren Familien, stets so teilnehmend und freundlich, und suchte, wo er das irgend konnte, ihre Noth zu lindern oder ihnen wenigstens Trost zuzusprechen, daß er schon lange der Liebling des ganzen Städtchens geworden war. Die Leute sprachen es auch ganz offen und unumwunden aus, daß sie einen besseren Geistlichen in ihrem ganzen Leben nicht verlangten.

2,

Der Missionsprediger.

In diese Zeit fiel es, daß ein protestantischer Missionsprediger jenen Theil Deutschlands bereiste. Dieser hielt nicht allein in den größeren Städten seine Vorträge über das Missionswesen und dessen Erfolge, sondern suchte selbst kleinsten Ortschaften auf, ja sprach sogar von größeren Dorfkanzeln herab zu den aufmerksam lauschenden Zuhörern und forderte sie zur Unterstützung des großen Werkes auf, das den Heiden und Götzenanbetern in fernen Welten den Segen des Christenthums und der Civilisation bringen sollte.

Schon viele Wochen vorher hatten sich die Zeitungen mit dem merkwürdigen Manne beschäftigt und von seiner glühenden Beredsamkeit sowohl, wie von den Schicksalen gesprochen, die ihn selber in jenen wilden Ländern und unter den noch wilderen Stämmen betroffen. Wie oft war er in Lebensgefahr gewesen, wie unzählige Male hatte schon die Kriegskeule des Wilden oder das Opfermesser über seinem Haupt geschwebt! /12/

Aber allen den Gefahren bot er ruhig, von Gott beschützt, die Stirn, allen war er entgangen, und kühn und unerschrocken schmetterte er dem Racheschrei der Feinde gegenüber die Götzenbilder zur Erde nieder, und pflanzte an deren Statt das Kreuz des Erlösers auf. So wenigstens lauteten die Berichte.

Der alte Baron von Schölfe hatte die Artikel auch gelesen und sich dadurch in eine ganz eigene Aufregung versetzt gefühlt. Das war einer der alten Kreuzfahrer, wie er sich selber sagte; das war ein Mann, wie sie nur vorige Jahrhunderte gesehen, voll Muth und Ausdauer, allen Ent-behrungen, allen Gefahren trotzend und stets bereit, sein Leben dem zu weihen, dem er seine ganze Seele schon so lange zu eigen gegeben. Es gewährte ihm deshalb eine ganz entschiedene Befriedigung, als er noch an dem nämlichen Abend von dem Diakonus erfuhr, daß der ehrwürdige Mr. Johnson, ein Engländer von Geburt, der aber auch einen ganz vortrefflichen deutschen Brief schrieb, dem Geistlichen in Rothenkirchen die Meldung gemacht habe, daß er selber in den nächsten Tagen dorthin kommen und einen Vortrag über das Missionswesen halten würde. Gastfrei überhaupt im höchsten Grade, erklärte er dem Diakonus denn auch augenblicklich, daß der Mann hier bei ihm auf dem Schlosse wohnen müsse.

Ganz gegen sein Erwarten schien sich aber Kästner keineswegs über das Eintreffen des Geistlichen so zu freuen, wie er nach seinen früheren Reden erwartet haben mochte. Ja er machte sogar einige Einwendungen: man wisse doch nicht, mit was für einem Mann man es zu thun bekomme. In den Zeitungen würde viel geschrieben - es wäre vielleicht besser, ihn vorher kennen zu lernen, und anderes Derartiges mehr. Wenn sich aber der alte Baron einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, so war er auch nicht so leicht wieder davon abzubringen.

Und was konnte der Mann nicht Alles von seinen Reisen erzählen; was hatte er nicht erlebt, und welchen tiefen Einblick mußte er durch ihn in das Missionswesen selber bekommen! Es blieb unfehlbar dabei, was er gesagt, und er setzte sich sogar augenblicklich hin, um einen Brief an den ehr-/13/würdigen Mr. Johnson zu schreiben, in welchem er ihn auf das Freundlichste und Herzlichste einlud, für die Dauer seines Aufenthaltes in Rothenkirchen den Scholfenstein zu seinem Absteigequartier zu benutzen; ja der Diakonus mußte versprechen, den Brief gleich am nächsten Morgen mit der richtigen Adresse zu versehen und zu befördern.

Der Baron erhielt allerdings keine directe Antwort auf sein Einladungsschreiben; aber vier Tage später kam plötzlich ein Junge aus dem Dorf heraufgelaufen und brachte eine Karte von dem indessen eingetroffenen Missionär. Auf dieser zeigte ihm Mr. Johnson nur mit wenigen Worten an, daß er Rothenkirchen erreicht, noch Einiges mit dem Geistlichen unten im Ort zu besprechen habe und dann unverzüglich dem Boten nachfolgen werde.

Der alte Herr fand das auch ganz in der Ordnung. Es gefiel ihm sogar, daß der Fremde keine weiteren Umstände machte und das freundliche Anerbieten eben so unumwunden annahm, wie es geboten worden. Er war selber kein Freund von langen Weitläufigkeiten, und dieser Herr Johnson hatte draußen in anderen Welttheilen auch wohl eben so oft Gastfreundschaft geboten, wie sie von Anderen empfangen. Dann betrachtet mau etwas Derartiges eben als selbstverständlich, ohne weiter ein Aufheben davon zu machen. Was wußte der Missionär, der vielleicht die Stammbäume von zahllosen indianischen Königen im Kopfe hatte, auch von dem uralten Geschlecht derer von Schölfe - er hätte sonst seinen kurzen Brief jedenfalls etwas anders abgefaßt.