Buntes Treiben

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Pechtels mußte natürlich gute Miene zum bösen Spiele machen, und nur das beruhigte ihn, daß Rosenthal nicht gerade jetzt in ihre Gegend fuhr, denn geschwiegen hätte der Bursche ja doch nicht, während er sich darin diesmal wohl sicher auf die beiden Frauen verlassen konnte. Dann fand sich ja wohl auch mit der Zeit eine Art und Weise, diese aus Versehen geschlossene Verbindung wieder zu lösen.

Allerdings versuchte er noch einmal mit Rosenthal's Hülfe den Richter zu bewegen, die fatale Sache ungeschehen zu machen. Er konnte ja „das Blatt einfach herausreißen", wer sah hier danach, und daß sie Alle reinen Mund halten würden, dessen durfte er sicher sein. Boyles aber schüttelte ganz entschieden mit dem Kopf, und selbst als ihm Rosenthal, auf Pechtels' Veranlassung, andeutete, daß es dem Wirth auch nicht auf zehn oder zwanzig Dollars ankäme, um ihm, dem Friedensrichter, „außergewöhnliche Mühe" zu vergüten, so weigerte sich der Yankee trotzdem hartnäckig. Er traute nämlich seinem Factotum nicht und wollte ihn nächstens fortschicken, und da dieser von der ganzen Sache wußte, hätte er ihn schlimm in Verlegenheit und noch schlimmer in Strafe und Verlust des Amtes bringen können.

Die Sache mußte jedenfalls vor der Hand so bleiben, und /60/ Pechtels konnte das nicht besonders zur Genugthuung dienen, daß ihm Rosenthal sagte, er wolle in etwa acht Tagen einmal in der Ansiedelung vorsprechen und sehen, wie sich Alles gemacht habe. Natürlich hielt er den Mund nicht, und der Wirth vom ,,goldenen Affen" wußte genau, was ihm nachher an Spott und Neckereien bevorstand.

Hier kam er übrigens nicht früher fort, als bis er ebenfalls „tractirt" hatte, und dann war Rosenthal daran, und dann wieder - als ,,glücklicher Gatte" der Wirth. Damit aber machte er sich doch von den Uebrigen los; er fühlte sich nicht in der Stimmung zu einem Gelage, am wenigsten mit diesen Menschen, und sein Pferd wieder aufzäumend, ritt er eine kleine Weile später, allein und keineswegs in besonderer Eile, nach der Ansiedelung zurück.

Bunte Gedanken waren es auch, die ihm dabei durch den Kopf gingen, und einmal zügelte er sogar unbewußt und plötzlich sein außerdem schon in langsamem Schritt gehendes Thier ein, als ihm die Möglichkeit durch den Sinn fuhr, daß ihm die Wirthin selber eine solche „Falle" gelegt habe, und er, albern genug, hinein getappt sei. Aber das war auch nur für einen Moment, denn er verwarf den Gedanken fast so rasch wieder, wie er ihn gefaßt hatte. Nein, die Wittwe Roßberg wäre die Letzte dazu gewesen, und er trug jedenfalls an der ganzen Sache genau so viel Schuld, als sie selber. Weshalb hatte er sich auch bis jetzt gar keine Mühe gegeben, um die englische Sprache zu erlernen; nun war das Unglück geschehen, und einen schönen Skandal würde die Geschichte in der Ansiedelung Hervorrufen, wenn sie erst erfuhren, daß sich der „goldene Affe" mit dem „goldenen Löwen" - verheirathet habe. Es war eigentlich zu toll, und kein vernünftiger Mensch hätte etwas so Wahnsinniges auch nur ahnen, viel weniger denn vermeiden können.

Und was jetzt? Das Gescheiteste war am Ende, daß er sein Wirthshaus geradezu verkaufte und in einen andern Staat, am liebsten über den Mississippi hinüber, zog; aber wie hätte der „goldene Löwe" nachher triumphirt, und blieb er hier - der Teufel sollte das Nachdenken und Grübeln holen, und seinem Thier plötzlich die Sporen gebend, sprengte /61/ er den Rest des Weges dahin und in seinen eigenen Hof hinein.

So vergingen die nächsten Tage, und Pechtels betrat in der ganzen Zeit nicht ein einziges Mal die Straße, aus Furcht, die Wirthin gegenüber am Fenster zu sehen. Deshalb brauchte er aber nicht besorgt zu sein, denn Frau Roßberg selber wagte sich, genau aus dem nämlichen Grunde, weder an eins ihrer Fenster noch an die Thür, und doch wußten Beide, daß sich ein Wiederbegegnen wohl künstlich hinausschieben ließ, zuletzt aber doch nicht mehr vermieden werden konnte. Ja, hätten sie in einer großen Stadt gelebt, so wäre es möglich gewesen; hier aber, wo die ganze Häusermasse der kleinen Ortschaft inmitten der Colonie aus der Kirche, zwei Wirthshäusern, einer kleinen Schmiedewerkstatt, einem Kram- und Spezereiladen und etwa fünf Bauerwohnungen bestand, während der Verkehr sämmtlicher Kolonisten nur auf diese angewiesen blieb, war ein längeres Ausweichen nicht gut möglich.

Frau Roßberg hatte indessen in ihrer hinten hinaus liegenden Schlafstube, die sie jetzt bewohnte, die Zeit nicht unbenutzt verstreichen lassen und einen Brief an ihren Konsul aufgefetzt, in welchem sie die ganzen Verhältnisse - auch die mit den beiden Wirthshausschildern - genau beschrieb und darin sowohl, wie in der widerrechtlichen Trauung, Consulatshülfe nachsuchte. Frau Roßberg war aber, wenn auch eine ganz tüchtige Frau und mit der Feder ziemlich gut vertraut, doch keine sehr rasche Briefschreiberin. Die Sache war außerdem zu wichtig und durfte nicht über's Knie gebrochen, sondern mußte klar und einfach, ohne unnöthige Worte ausgeführt werden, und dreimal schrieb sie den Brief über, und brauchte jedesmal dazu drei Stunden, was ihr dann, mit den anderen nöthigen Arbeiten, auch drei volle Tage nahm. Am dritten Tag aber hatte sie das Schreiben „postfertig". Der Mailrider (berittener Postbote) mußte außerdem den nächsten Tag, etwa zur Mittagszeit, durch die Ansiedelung kommen und wechselte da jedesmal Pferde im „goldenen Löwen", und in vierzehn Tagen spätestens konnte sie Antwort von Cincinnati haben. War es doch bis zum Ohiostrom kaum dreißig Meilen, und von da an nahmen die Dampfer die Briefe mit stromauf.

Von Pechtels hatte sie indessen gar nichts gehört, und merkwürdiger Weise war auch von der letzten Begebenheit in Karthago noch gar nichts in der Ansiedelung bekannt geworden. Man frug sie allerdings mehrmals, wie „die Klage" abgelaufen, da sie aber ausweichende Antworten gab: „so rasch ginge eine solche Sache nicht" und dergleichen mehr, so beruhigten sich die Deutschen vollkommen damit. Daß es bei den Gerichten nicht rasch ging, wußten sie alle gut genug aus eigener Erfahrung.

Mit merkwürdiger Verschwiegenheit wahrte aber sogar die Kathrine ihre Zunge, einestheils wohl der „Base" zu Liebe, anderntheils aber auch, weil sie, die gern Staat mit ihren paar Brocken Englisch machte, den Gedanken selber nicht ertragen konnte, daß in ihrer Gegenwart ein derartiges Mißverständniß habe stattfinden können.

Räthselhaft blieb übrigens beiden Frauen das Benehmen des „Affenwirths", denn wie sie anfangs gefürchtet hatten, daß er den unangenehmen Vorfall gegen den „goldenen Löwen" ausbeuten würde, so that er jetzt gerade das Gegentheil, ließ sich nicht einmal blicken und konnte keinenfalls ein Wort gegen irgend Jemanden über die Sache geäußert haben, oder es wäre ihr doch gleichfalls und zwar schnell genug zu Ohren gekommen. Was er freilich beabsichtigte, blieb noch in Dunkel gehüllt, aber - sie sollten an dem nämlichen Tage noch mehr in Erstaunen versetzt werden.

Es war Mittagszeit, die Frau aß gewöhnlich mit der Kathrine allein in ihrer Stube, und das Essen stand schon auf dem Tisch. Die Base war nur noch einmal hinaus gegangen, um das in der Küche vergessene Salz zu holen, als sie aber zurückkam, hatte sie es wieder vergessen und schlug die Hände zusammen und rief vor lauter Erstaunen:

„Nein, denkt Euch nur einmal, Base, nicht für menschenmöglich sollte man's halten, wenn ich's nicht mit eigenen Augen gesehen hätte -"

„Aber was ist denn geschehen, Base?" rief die Wirthin fast erschreckt.

„Was geschehen ist?" sagte aber die alte Frau, „Ihr glaubt's nicht und wenn ich's Euch auch erzähle, aber Ihr /63/ könnt Euch selber überzeugen - der Affenwirth hat seinen Affen abgenommen."

„Der Pechtels?" sagte die Wirthin erstaunt, „aber weshalb?"

„Ja, das weiß der liebe Gott: ich wahrhaftig nicht."

„Vielleicht will er ihn frisch übermalen lassen."

„Aber er war ja noch so gut wie neu."

„Dann steckt eine andere Lumperei dahinter," nickte die Wirthin mit finster zusammengezogenen Brauen, „dem trau' ich Alles zu; wir werden es sehen und erleben."

„Aber der Affe ist herunter," bestätigte die Alte, „so viel ist sicher, und wenn er ihn nicht wieder hinauf hängt -"

„Ja, wenn er," nickte die Wirthin, „und das müssen wir abwarten. Aber jetzt kommt zum Essen, es wird ja Alles kalt, und das Salz habt Ihr auch nicht mit herein gebracht."

Die Alte schoß wieder zur Thür hinaus, und als sie endlich mit der Base am Tisch saß, wollte sie immer wieder vom „Affenwirth" anfangen und sich wundern, was ihn dazu getrieben haben konnte. Die Wirthin aber wehrte ihr; sie mochte wahrscheinlich von der ganzen Sache gar nichts hören und verzehrte still und schweigend ihre Mahlzeit.

Der nächste Tag kam und mit ihm der Postbote, aber das Schild da drüben war in der That verschwunden, und wenn es der Wirth vom „goldenen Affen" nicht wieder festmachte, so konnte sie doch den Brief nicht abschicken, worin sie sich gegen den Konsul darüber beklagte. Das mußte sie jedenfalls wieder herausnehmen und deshalb die nächste Post abwarten, die drei Tage später ging. Der Mailrider passirte jede Woche zweimal die Ansiedelung, und der Brief kam deshalb wieder in ihren Nähtisch, um erst das Weitere abzuwarten.

Und wieder verging der Tag. Das Schild blieb entfernt, und die aus der Ansiedelung kommenden Deutschen, wie die Bewohner des kleinen Orts zerbrachen sich den Kopf darüber, was wohl die Ursache von Pechtels' Benehmen sein könne. Dieser schwieg nämlich hartnäckig darüber, und es blieb deshalb kaum noch einem Zweifel unterworfen, daß der Friedensrichter zu Gunsten der Wittwe entschieden haben mußte. Aber /64/ daß diese dann nicht wenigstens den Mund aufthat, setzte die Leute am meisten in Erstaunen.

Am sechsten Tage, gleich nach der gewöhnlichen Mittagsstunde, kehrte der Händler Rosenthal von einer Tour aus der Nachbarschaft zurück und wie gewöhnlich im „goldenen Affen" ein. Er hielt aber erst eine Weile vor der Thür, weil er das Schild nicht mehr sah, und erkundigte sich, ob das Wirthshaus noch bestehe. In dessen Einrichtung war aber nichts geändert, und der kleine Wagen rasselte in den Hof.

 

Frau Roßberg hatte durch die Base augenblicklich erfahren, daß der „Jude" eingetroffen sei, und das Herz klopfte ihr fast hörbar in der Brust, denn daß nun ihr Geheimniß bald kein Geheimniß mehr bleiben würde, ließ sich denken. Welches Interesse konnte der Affenwirth auch haben, es zu halten - merkwürdig genug, daß er überhaupt nur so lange geschwiegen hatte.

Die Kathrine war hinausgegangen, um den Kaffee zu besorgen, und die Wirthin saß allein in ihrem kleinen Zimmer, den Kopf in die Hand gestützt, am Fenster, das nach dem Hof hinaus führte, und das Herz war ihr recht zum Brechen schwer.

Da öffnete sich leise und fast geräuschlos die Thür, als sie sich aber doch dahin drehte, sah sie, wie die Kathrine nur den halben Kopf herein steckte und dann mit der äußersten Vorsicht flüsterte:

„Er kommt."

„Er kommt? Wer? Der Rosenthal?"

„Nein - der Affenwirth."

„Der Affenwirth?" rief die Löwenwirthin wirklich erschreckt von ihrem Stuhl emporspringend, „zu mir?"

„Er kommt jedenfalls hier in's Haus herein, und zu wem anders soll er wollen?"

„Der Pechtels?" sagte die Frau noch immer erstaunt.

„Da kommt er schon über den Hof," flüsterte die Base, drückte die Thür wieder zu und that, als ob sie Niemanden gesehen hätte und nur ihrer Arbeit nachgehen wolle, bis sie der Affenwirth selber anrief und nach etwas frug.

Wenige Minuten später klopfte es an der Wirthin Thür, /65/ und der Frau fehlte fast der Athem zu antworten. Aber sie brachte doch ein halblautes „Herein" über die Lippen, und als sich gleich darauf die Thür öffnete, stand Pechtels, den Hut in der Hand, auf der Schwelle und sagte freundlich: „Stör' ich, Frau Roßberg?"

„Nein," erwiderte die Frau, aber wieder kaum verständlich; es kam ihr gar so sonderbar vor, daß der Affenwirth jetzt zu ihr in die Stube trat, ohne daß sie eigentlich einen besondern Zweck mit ihm hatte - und was wollte er nur?

„Frau Roßberg," sagte der Wirth, während er noch immer an der Thür stehen blieb, bis sie ihn durch eine Bewegung mit der Hand nöthigte, näher zu kommen. „Sie sind vielleicht erstaunt über meinen Besuch - aber ich hätte etwas mit Ihnen zu sprechen."

„Bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen?"

„Danke Ihnen," sagte er, während er seinen Hut auf die Commode legte und sich selber einen Stuhl vorschob.

„Und womit kann ich Ihnen dienen?" Die Frau war merkwürdig artig heute, denn es that ihr wohl, daß er sich nicht auf die letzte Zeit bezog.

„Ich wollte Ihnen nur anzeigen," sagte Pechtels, „daß der Krämer, der Rosenthal, den wir neulich in Karthago trafen, heute hier in die Ansiedelung gekommen ist und - heute und morgen hier bleiben will."

„Ich weiß, daß er gekommen ist," sagte Frau Roßberg.

„Ja," meinte Pechtels, „Sie wissen aber nicht, was es für ein unausstehlicher Schwätzer ist, und so sorgsam ich bis jetzt unser - Geheimniß gehütet habe, so dürfen wir kaum hoffen, daß Rosenthal eben die nämliche Rücksicht nimmt."

Frau Roßberg zuckte die Achseln. „Und was läßt sich dagegen thun? Wir Beide sind jedenfalls unschuldig an dem fatalen Mißverständniß, und ich habe schon an unsern Consul geschrieben, der dann das Weitere verfügen wird, um den aus Versehen geschlossenen Act wieder aufzuheben."

Pechtels schwieg eine Weile und sah nachdenkend vor sich nieder, endlich sagte er leise:

„Ich hatte Ihnen noch einen andern Vorschlag machen wollen, muß aber natürlich vorher Ihre Meinung darüber hören." /66/ „Und welcher wäre das?"

„Sie wissen, Frau Roßberg," begann da der Wirth wieder, „in welchem unerquicklichen Streit wir eine ganze Weile gelebt haben -"

„Und wer trug daran die Schuld?" sagte die Frau scharf.

„Zum größten Theil ich selber," erwiderte Pechtels ruhig. „Daß ich das nämliche Schild wie Sie bekam, war allerdings nicht meine Absicht gewesen, und der erbärmliche Stümper von Maler hat das Kunstwerk zu verantworten. Da Sie aber dagegen eiferten, war es eine Art von - ich will es gern eingestehen - ungeschicktem Trotz von mir, es beizubehalten, und daß ich das bereue, habe ich Ihnen schon seit einigen Tagen bewiesen. Der „goldene Affe" existirt nicht mehr."

„Existirt nicht mehr?"

„Nein, ich habe ihn verbrannt und - werde gar kein Schild mehr führen."

„Sie wollen Ihr Wirthshaus aufgeben?" frug Frau Roßberg rasch.

„Das hängt von Umständen ab," sagte Pechtels, „aber Eins möchte ich Ihnen sagen, Frau Roßberg, und Sie recht freundlich bitten, es sich genau zu überlegen. Wir haben uns verfeindet gehabt, ohne uns gegenseitig zu kennen, jetzt hat' uns das Schicksal auf so wunderliche Weise versöhnt, ich wenigstens hege nicht mehr den geringsten Groll gegen Sie und habe ja auch in der Hauptsache schon nachgegeben. Wie wär's, wenn wir den albernen Friedensrichter in Karthago - nicht Lügen straften?"

Die Frau sah ihn erstaunt an, sie begriff nicht gleich, was er meinte; Pechtels aber fuhr fort:

„Sie haben ein hübsches Besitzthum in der Ansiedelung, ich ebenfalls. Sie sind etwa zwei oder dreiunddreißig Jahre alt (Frau Roßberg war sechsunddreißig und fühlte sich geschmeichelt), ich habe gerade so viel und noch ein paar mehr in den Vierzigen. Ebenso verstehen wir Beide die Wirthschaft und können bei Vereinfachung derselben den doppelten Nutzen ziehen. Außerdem bin ich ein halbwegs guter Mensch, ich trinke und spiele nicht, über meinen Charakter können Ihnen meine Leute Auskunft geben, es fällt nie ein hartes Wort /67/ zwischen uns vor. Umstände haben wir außerdem nicht mit unserer Hochzeit, die ganze Sache ist schon pränumerando abgemacht, und es liegt jetzt allein in unseren Händen, einer sehr unangenehmen Rederei und wahrscheinlich auch dem Spott der ganzen Nachbarschaft zu entgehen. Wir sind einmal verheiratet, Frau Roßberg, und ob wir's bleiben, liegt jetzt in Ihrer Hand. Ich," setzte er mit etwas leiserer Stimme hinzu, denn es war ihm, als ob er draußenan der Thür eine Bewegung gehört hätte, „biete Ihnen hiermit, wie es Pflicht des Mannes ist, feierlich meine Hand an. Wollen Sie sie ausschlagen, gut, dann bitte ich Sie nur, daß die Sache unter uns bleibt, und ich verspreche Ihnen noch außerdem, Sie nicht mehr mit dem goldenen Affen zu ärgern. Denken Sie aber günstig darüber, so geben Sie mir morgen Antwort. Ich will Sie nicht drängen, und bis dahin halt' ich Rosenthal ruhig, wenn ich auch nicht länger für ihn einstehen möchte. Also morgen früh um zehn Uhr hol' ich mir Antwort!" - und ohne der Frau auch nur Zeit zu lassen, ein einziges Wort zu erwidern, stieß er die Thür rasch auf, aber auch zu gleicher Zeit draußen gegen einen harten Gegenstand, dem ein lauter Schmerzensschrei folgte.

„Bitte tausendmal um Entschuldigung," sagte Pechtels, als er hinaustrat und die alte Kathrine da stehen sah, die sich den Kopf hielt und laut stöhnte, „wie unglücklich, daß Sie gerade da stehen mußten, haben Sie etwas verloren?"

„Ich suchte den Schlüssel, der heruntergefallen war."

„Thut mir wirklich leid, aber ich hatte keine Ahnung."

„Oh Du großer Gott, mein Kopf!"

„Legen Sie ein kaltes Messer auf, dann giebt's keine Beule," sagte Pechtels und schritt quer über den Hof hinüber, seinem eigenen Hause wieder zu.

Ich will den Leser nicht mit dem Schluß hinhalten.

An dem nämlichen Abend steckte Frau Roßberg den Brief, den sie an den Consul in Cincinnati geschrieben hatte, nicht in den Kasten der Postoffice, die der Händler schräg gegenüber hielt, sondern in den Feuerherd, und als am nächsten Morgen - denn Rosenthal hatte nicht länger schweigen können - ein Gerücht durch die kleine Ortschaft lief, das Pechtels und Frau /68/ Roßberg in außerordentlich nahe Verbindung brachte, ging der Erstere wieder hinüber, um sich seine Antwort zu holen, und daß dieselbe nicht ungünstig ausgefallen, zeigte sich schon an dem nämlichen Tage. Alle Kunden, die im „goldenen Affen" vorsprachen, wurden hinüber in den „goldenen Löwen" gewiesen - Rosenthal fiel mit seiner Neuigkeit förmlich in den Sand, und am nächsten Tage lud Pechtels die Nachbarn und Alles, was vorsprach, zu einem solennen Mittagessen in den Löwen ein, wonach er dann so ruhig Besitz und Führung der neuen Wirthschaft übernahm, als ob die Vereinigung schon seit Jahren vorbereitet und nicht eigentlich das Resultat eines reinen Zufalls gewesen wäre.

Und die Ehe war wirklich, unter so wunderlichen Anspielen sie begonnen, eine glückliche, ja als Mrs. Pechtels, jetzt Mutter eines vielversprechenden jungen Pechtels, einst davon sprach, das abscheuliche Schild mit dem gelben Ungethüm von der Thür zu nehmen, um es mit einem besseren zu vertauschen, nahm Pechtels sen. entschieden die Partei der Carricatur eines Löwen.

Das Schild war es ja doch eigentlich gewesen, was sie Beide zusammengeführt, und schon aus Dankbarkeit hätte er es nun und nimmer missen mögen.

So blieb denn der „goldene Löwe", wie er immer gewesen, aber die kleine Ansiedelung wuchs und gedieh dafür weit rascher, als man je erwartet haben mochte. Anstatt den Centralpunkt der Bahn nämlich nach Karthago zu verlegen, hatte die Eisenbahndirection diesen Platz für passender gehalten. Fünf Jahre später kreuzten sich dort zwei Schienenstränge, und das Grundeigenthum wuchs, je mehr Bewohner sich dorthin zogen, rasend schnell.

Lange noch war aber der „goldene Löwe" das einzige Wirthshaus in dem Ort gewesen, der schon anfing, sich zu einer Stadt heran zu bilden, und während sich Pechtels dabei außerordentlich gut befunden, hatte die Vereinigung der beiden Häuser auch einen wohlthätigen Einfluß aus die Kolonisten ausgeübt. Sie konnten sich nicht mehr ausweichen und mußten dort zusammentreffen, wo sich dann manches alte, lange gehegte Vornrthcil milderte oder auch ganz verschwand. /69/ Erst in der allerletzten Zeit verkaufte Pechtels, der sich viel Geld verdient hatte, ihre beiderseitigen Grundstücke mit dem „goldenen Löwen" zu einem sehr hohen Preis und zog sich dann mit Frau und Kindern nach Deutschland zurück, um hier das in Ruhe zu verzehren, was sie sich drüben über dem Ocean mit Fleiß und Sparsamkeit verdient.

Das Mädchen von Eimeo.

1.

Maita.

Ein blauer Himmel spannte sich über Tahiti - ,,der Perle der Südsee", und die Sonne glühte wohl auf die blitzende See und die bewaldeten Hänge und Spitzen des Gebirgsstocks nieder, oder funkelte in den schmalen Wasserfällen, die von den Klippbänken niedersprangen - aber ihre Gluth drang nicht zu den freundlichen Ansiedelungen nieder, die in dem Schatten zahlloser Fruchtbäume und Palmen lagen, und denen die Seebrise ihre Kühlung zufächelte. In ihrem milden Luftzug rauschten die langen gefiederten Wedel der Cocospalmen, raschelten die breiten, vom Winde ausgerissenen Blätter der Bananen, und tropften, wonnigen Duft verbreitend, die abgeblühten Blumen der Orange, deren Zweige aber trotzdem schon mit goldgelben Früchten bedeckt waren, auf den Boden nieder.

Es war einer jener wunderbaren, zauberschönen Morgen, wie wir sie, in dieser Pracht - in diesem Reichthum wirklich nur in den Tropen finden, und während das Land hier in all' seiner paradiesischen Schöne, so frisch und jung, wie eben aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, lag, donnerte dazu draußen an den Korallenriffen die ewige Brandung ihr altes Schlachtenlied, das in früheren Jahrzehnten wohl das junge glückliche Volk zum Tanz gerufen, wenn sie im Tact der rollenden Wogen ihren Reigen bildeten. Jetzt aber darf es keinem solchen Zweck mehr dienen - denn die In-/71/sulaner sind Christen geworden, und alle heidnischen Gebräuche wurden von den Missionären streng verpönt.

Aber die Brandung donnert fort; ihre mit weißem blitzenden Schaum gekrönten Häupter schleudern noch, wie in vergangenen Jahrtausenden, die krystallenen Massen gegen den Korallen-Damm; an den sonnigen Ufern flüstert die Brise in den Wipfeln der Cocospalme und malt die Sonne ihre Regenbogen in den stürzenden Wassern ihrer Cascaden. Nur das Volk ist ein anderes geworden - ob besser? - wer kann das sagen? Unverdorbener gewiß nicht, als in seiner alten Heidenzeit, denn das Wesen der christlichen Religion verstanden sie nicht zu erfassen, aber die Laster und schlechten Gewohnheiten der Fremden nahmen sie willig an, und während sie den Glauben an ihre alten Götter verloren, fehlte ihnen Herz und Sinn für den neuen Gott, dessen Wirken sie nicht begriffen, und den sie deshalb weder fürchteten noch ihn liebten.

 

Dazu mochte wohl viel die starre Dogmatik der ersten Missionäre - zelotische Protestanten - beigetragen haben, die den ganzen Gottesdienst nur in der Form suchten und fanden. Da sie diesen Heiden aber nichts weiter brachten als eine - ihren ganzen Sitten und Gebräuchen, ihrer ganzen Natur nicht zusagende starre Form, so konnten sich die Indianer auch nur wenig damit befreunden. Wo sie die neue Religion annahmen, geschah es theils in dem Glauben, einen mächtigeren Gott zu bekommen, der sie in ihren Kriegen besser schützen konnte, als ihre Götzen es vermocht, theils aus Eigennutz, um sich ausgehaltene Geschenke anzueignen - selten - oh wie selten, aus wirklicher Ueberzeugung, und der Erfolg zeigte denn auch den Nutzen, den ihnen die neue Lehre brachte: sie genügten eben der vorgeschriebenen Form, und glaubten damit Alles gethan zu haben, was man von ihnen verlangte - und man verlangte auch in der That oft nicht mehr von ihnen.

Wohin die Missionäre freilich drangen, bildeten sie einen Kreis von Anhängern um sich her; aber Viele beharrten trotzdem auf ihrem alten, von den Voreltern ererbten und für heilig gehaltenen Glauben, und daß dadurch endloser Unfrieden in Familien gebracht und viele sonst für das Leben /72/ geknüpfte Bande zerrissen wurden, läßt sich denken. Auf manchen Inseln der Südsee - ja auf sehr vielen, bildeten sich zwei feindliche Parteien; die eine, von den Missionären dazu aufgefordert, verbrannte und zerstörte die Götzenbilder, und die andere, darüber entsetzt und empört, griff in blinder Wuth zu den Waffen, um ihre bisherigen Heiligthümer zu retten oder zu rächen. Blutige Kriege wurden dabei geführt und die milde, versöhnende Lehre des Heilands, wie auf dem amerikanischen Continent, mit Feuer und Schwert verbreitet und mit rauchendem Blut bekräftigt.

Die friedlichen Insulaner aber bekamen die ewigen Kämpfe bald satt. Ueberhaupt indolent in ihrem ganzen Wesen, und von der, ihre Gaben mit vollen Händen spendenden Natur verwöhnt, ermüdete es sie, für etwas ihr Leben einzusetzen, das ihnen bisher noch keine Unbequemlichkeit gemacht hatte. Die Meisten wurden Christen und würden auch wohl jedenfalls den christlichen Glauben für den besseren gehalten haben, wenn sie nicht die christlichen Missionäre selber darin irre gemacht hätten. Den protestantischen Geistlichen folgten nämlich katholische - oder auch umgekehrt, und lehrten dabei verschiedene Formen, indem sie die vorher von Anderen als heilig hingestellten verwarfen - ja die protestantischen Missionäre suchten sogar die Eingeborenen zu überreden, daß die Katholiken auch nichts Anderes wären als Götzenanbeter, und daß sie deren Glauben meiden sollten. Natürlich konnte das die Indianer nicht in ihrer neuen Religion befestigen. Sie mußten an einer Lehre zweifeln, über welche sich die Fremden selber noch nicht einmal geeinigt hatten, und Manche fielen heimlich wieder von dem neuen Glauben ab.

Am unwilligsten trug aber das junge Volk den Druck, besonders die jungen Mädchen, denn die zelolischcn protestantischen Missionäre verlangten von ihnen nichts als Entsagung und Beten. Ihre Tänze, denen sich die Jugend sonst mit aller Lust hingegeben, wurden als heidnisch und sündlich verpönt und verboten. Nicht einmal mit den prachtvollen Blumen ihrer Wälder sollten sie sich mehr schmücken dürfen, weil auch das an ihre heidnischen Aufzüge und Festlichkeiten erinnerte, und dafür, anstatt lustig bei dem Toben der Brandung herum /73/ zu springen, in großen und dicken, ihnen von den Fremden gebrachten Büchern lernen und lesen, deren Sinn sie doch nicht begreifen, deren Worte sie nicht einmal aussprechen konnten. Wenn sie es aber nicht thaten, dictirten ihnen die von den Missionären gewonnenen Häuptlinge Strafen, die ebenfalls ihrer ganzen Natur widerstrebten. Straßen mußten sie bauen, deren Bedürfniß sie nie gekannt, und steinerne Kirchen, wo ihnen wie ihren Göttern bis jetzt ein Palmendach Schutz und Schirm gegeben. Während sie so der Form nach Christen werden mußten, wurden sie im Herzen Heuchler und gaben sich dem wilden Leben, wo das ungestraft oder unbemerkt geschehen konnte, nur so viel zügelloser hin.

Aber den lästigen Zwang der Missionäre brach auf einigen Inseln die Ankunft der Feranis - wie sie die Franzosen nannten. Die protestantischen Geistlichen hatten, besonders auf Tahiti, ihnen gefährlich werdende katholische Priester selbst mit Gewalt entfernt und auf ein kleines Schiff bringen lassen, das sie an einer entlegenen Insel aussetzen sollte, und die französische Regierung hielt die Gelegenheit für passend, festen Fuß in diesen Gewässern zu fassen - Kriegsschiffe wurden abgesandt, die zuerst eine Entschädigung für die vertriebenen Priester verlangten, und dann ohne Weiteres ein Protectorat - dem Namen nach - über die Gesellschafts-Inseln anzutreten, in Wirklichkeit jedoch sich zum Herrn der von der Königin Pomaré beherrschten Inselgruppe auszuwerfen. Wie jetzt aber - was bis dahin nicht der Fall gewesen - jedem Indianer freigestellt wurde, zur katholischen Religion überzutreten, so brachten auch die lebenslustigen französischen Soldaten bald wieder einen neuen Geist - freilich nicht immer zum Guten - unter die Bevölkerung. Der starre, bigotte Zwang war aber wenigstens gebrochen - die harmlosen, gutmüthigen Indianer durften wieder frei aufathmen, die Mädchen wieder tanzen und sich mit Blumen schmücken, und wie Gespenster einer früheren Zeit gingen nur noch die jetzt blos geduldeten protestantischen Missionäre in ihren schwarzen Tuchröcken zwischen ihnen herum und drohten ihnen mit ewigen Strafen und Verdammniß.

Aber das leichtherzige Volk machte sich deshalb wenig Kummer. Nicht einmal um den morgenden Tag sorgen sie /74/ sich ja, wenn ihnen der heutige Alles bietet, was sie brauchen - wie sollten sie sich Sorgen um die Zukunft - um ein Leben nach dem Tode machen. Es lag das viel zu weit hinausgerückt, um auch nur daran zu denken.

So wogte auch heute das muntere, blumengeschmückte Volk in fröhlichem Treiben am Strande von Papetee - der Hauptstadt Tahitis und dem Sitz des französischen Gouvernements - auf und ab, denn die französische Regimentsmusik stand vor dem Hause des Gouverneurs und spielte ihre lustigen Weisen und Märsche, und die klangen ihnen freilich besser und melodischer in die Ohren, als die monotonen Psalmen und Kirchenlieder, die sie bis dahin hatten Stunden lang singen müssen.

Wie das herüber und hinüber wogte, und wie bunt die Schaar aussah, in ihren blauen, rothen, weißen, gelben, geblümten oder gestreiften langen Gewändern, und wie prachtvoll sich die jungen, bildhübschen Mädchen das schwarze, lockige und seidenweiche Haar mit Blumen und dem wehenden, künstlich geflochtenen und schneeweißen Bast der Arrowroot geschmückt hatten! Und wie das dem lebenslustigen sorglosen Volk in den Füßen zuckte, wenn der Tact der Musik die Erinnerung an ihre eigenen Tänze in ihnen wach rief, und wie sie dabei fröhlich mit einander lachten und plauderten!

Aber auch die männliche Bevölkerung war, und zwar zahlreich, am Strand vertreten; eine Menge von französischen Soldaten und selbst Officieren schlenderten am Ufer herum und plauderten mit den Mädchen, und dazwischen schritt mancher tahitische Stutzer, den bunten Pareu kokett um die Lenden geschlagen, das Schultertuch malerisch umgeworfen, und die Locken mit Streifen von ineinander geflochtener weißer Tapa und rothem Flanell durchwunden, was ihnen zu den bronzefarbenen Gesichtern gar nicht so übel stand.