Buntes Treiben

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Und wie sich die leichtfertigen Franzosen amüsirten, wenn manchmal ein indianischer Mitonare (Missionär - wie Alles von ihnen genannt wird, was mit der Religion der Christen in Berührung steht, ja sogar ihr Wort für „fromm" bildet) langsam und gravitätisch zwischen ihnen durchschritt, einen vorwurfsvollen Blick auf die Mädchen warf, und dann seufzend das Auge nach oben drehte, als ob er Feuer und Schwefel /75/ auf die sündhafte Bande herab erbitten wolle. Aber die Burschen sahen auch gewöhnlich so komisch aus, daß man schon über ihre persönliche Erscheinung lachen konnte, ohne sie gerade in ihrem Glauben zu verspotten. Die protestantischen Missionäre hielten nämlich den schwarzen Frack und Cylinderhut unerläßlich für eine geistliche Stellung in der Welt, und dazu brachten sie auch die von ihnen angelernten Mitonares - aber nicht zu Hosen und Stiefeln oder Schuhen, zu welchen sie sich unter keiner Bedingung verstehen wollten. So kam es denn, daß sie nach oben, wie ehrbare Christen - sogar oft mit weißer Weste und Cravatte, nur etwas braunen Gesichtern herumliefen, während ihnen nach unten noch der bunte Kattun-Pareu um die nackten und meistentheils tätowirten Beine hing, was ihnen natürlich, besonders mit den schwarzen Frackzipfeln auf dem bunten Kattun, ein höchst wunderliches und originelles Aussehen gab.

Allerdings war es den Eingeborenen, seit sie Christen geworden, auf das Strengste untersagt worden, sich zu tätowiren, weil das ebenfalls mit ihren altheidnischcn Gebräuchen in Beziehung stand. Aber die alten Tätowirungen ließen sich eben nicht wieder wegbringen, sie mußten nun einmal so „aufgebraucht" werden, und zeigten jetzt höchstens, mit einem Blick nach unten und nach oben, was der Träger derselben früher gewesen - und was er jetzt war.

Im Ganzen blieb aber doch ein inländischer Mitonare in diesem fröhlichen Gewirr nur eine höchst vorübergehende Erscheinung, die, wie eine dunkle Wolke an der Sonne, rasch vorbeizog und dann wieder Licht und Leben auf allen Gesichtern blicken ließ. Manche der Eingeborenen freilich - die früher vielleicht zu eifrigen und frommen Christen gezählt worden und sich jetzt wieder in den alten Strudel gestürzt hatten, zogen sich scheu hinter die Anderen zurück, wenn sie seiner ansichtig wurden. Sie mochten seinem vorwurfsvollen Blick nicht begegnen, die Mehrzahl aber kümmerte sich gar nicht um ihn, und mit dem Bewußtsein, von einer stärkeren und dabei weit nachsichtigeren Macht beschützt zu werden, boten sie Allem keck die Stirn.

Die Militärmusik war beendet und das Musikcorps wieder /76/ nach seinem Sammelplatz oder in seine Quartiere abmarschirt, aber das Menschengewoge am Strand verlief sich noch immer nichr, und durch die Musik angeregt, bildeten sich hier und da kleine Gruppen von Singenden, die, fast immer vierstimmig und in reinster Harmonie, entweder die eben erst gehörten Melodien nachzusingen suchten, oder auch dann und wann wieder in ihre alten Hymnen fielen, während Schaaren von Zuhörern sie umstanden und, wenn sie schlossen, mit rauschendem Beifall in die Hände schlugen.

Während so noch Männer und Frauen bunt durcheinander gemischt und mit mancher blauen Uniform dazwischen dort standen, kam ein einzelnes junges Mädchen den Weg herab, der von der sogenannten „Besenstraße" - dem großen prachtvollen Weg, der um einen Theil der Insel läuft - niederführte.

Es war eine schlanke, edle Gestalt, noch voll Jugendfrische; aber gar so ernst schauten die schönen dunkeln Augen um sich her, und die scharfgeschnittenen Brauen waren fest zusammengezogen, ebenso die feinen Lippen geschlossen. Nicht eine einzige Blume oder ein anderer Tand schmückte ihr Haar oder ihren Körper, ja sie schien sogar die Kleidung oder die Stoffe zu verschmähen, die ihnen von den Weißen, den verhaßten Fremden, herübergebracht worden. Ein Pareu von weicher gelbbrauner Tapa, der ihr nur wenig über die Kniee reichte, umschloß ihre Hüften und zeigte die tadellos schönen Formen ihres untern Beines, während ein kurzer Ueberwurf von demselben Stoff, der tehei, ihre Schultern und den Oberkörper verhüllte. Voll und lockig hing ihr dabei das rabenschwarze Haar am Nacken nieder, von keiner Blume geziert, von keiner Faser Arrowroot gehalten. Wie sie die Arme untergeschlagen trug, wanderte sie - jedenfalls eine Fremde - still und finster zwischen den geputzten fröhlichen Menschen hin, und nur ihr Blick überflog forschend die Gruppe, als ob sie irgend Jemanden suche. Sie hielt sich aber deshalb nicht auf - sie blieb nicht stehen, wo sic einen dichteren Knäuel Menschen versammelt traf. Nur im Vorbeigehen musterte sie die ihr Begegnenden, und als ein paar Fremde, von der wirklich auffallenden Schönheit des Mädchens, vielleicht auch /77/ durch ihre, jetzt und hier, auffällige Kleidung angezogen, sie in ihrer Bahn aufhalten und anreden wollten, blitzte sie die Frechen mit den großen, dunkeln Augen trotzig an und eilte dann nur um so rascher vorwärts.

Eben wollte sie auch in eine der Seitenstraßen rechts einbiegen, denn hier am eigentlichen Strand liegen nur die Häuser der reicheren Europäer, der Missionäre, der Consule und einiger Häuptlinge, und erst eine Strecke dahinter, mitten in einem wahren Wald von Brodfruchtbäumen, Orangen und Cocospalmen, beginnen die eigentlichen Bambushütten der Eingeborenen, in denen sie sich eher heimisch fühlen konnte. Da hielt sie plötzlich in ihrem raschen Gang inne - ihr Auge haftete stier und erschreckt auf einer kleinen Gruppe von Eingeborenen, die sich ebenfalls um ein ähnliches Quartett gesammelt hatten und so zusammengedrängt standen, daß sie von dem, was außer ihrem Kreise vorging, gar nichts sahen, und auch wohl nichts sehen wollten.

Noch schien die Fremde nicht fest überzeugt zu sein, ob sie den, den sie wahrscheinlich gesucht, auch wirklich vor sich habe. - Sie schritt langsam und wie zögernd näher, und wandte sich jetzt etwas zur Seite, daß ihr Blick das Angesicht - wenigstens das Profil des dort Stehenden überfliegen könne; aber bald mußte auch ihr letzter Zweifel gehoben sein, denn jetzt schritt sie auf ihn zu, und dicht hinter ihm stehen bleibend, haftete ihr Auge in Zorn und Schmerz auf der schlanken Gestalt des Mannes.

Es war ein Eingeborener, aber in der vollen Tracht seines Volkes, nur in den bunten und sogar grellgefärbten Kattun gekleidet, den ihnen die Fremden gebracht und durch das weiche und auch festere Gewebe dieses Stoffes bald die alte, sonst gewohnte Tapa verdrängt hatten. Seine langen lockigen Haare trug er aber sorgfältig eingeölt und gekämmt und mit einem der vorher beschriebenen Bänder zurückgehalten, und das Schultertuch war von der linken Schulter zurückgeschoben, weil er mit dem linken tätowirten Arm ein neben ihm stehendes bildhübsches und noch blutjunges Mädchen umschlossen hielt, das sich dicht an ihn schmiegte. Beide waren aber so in den vor ihnen ausgeführten Gesang vertieft, daß sie die Fremde gar /78/ nicht bemerkten, bis diese endlich ihre Hand auf die Schulter des Mannes legte und mit leiser, von innerer Erregung bebender Stimme sagte:

„Patoi - find' ich Dich so, falscher Tanate, der Du mich aus meiner Heimath fortgelockt, um mich elend verderben zu lassen? Und war es nicht genug, daß Du mich zu Grunde richtetest - hast Du Deine gierige Hand schon wieder nach einer andern Blume ausgestreckt? Oh, hüte Dich vor ihm, Schwester, hüte Dich. - Die Hand Atua's, des starken Gottes, liegt auf ihm, und er wird Dich verderben, wie er selber seinem Verderben entgegengeht."

Erstaunt hatten sich die übrigen und nächststehenden Eingeborenen, während das Quartett ruhig seinen Gesang fortsetzte, nach der Fremden umgedreht, und während Patoi - eben wohl nicht angenehm überrascht, einen Schritt zurücktrat, drängte das junge Wesen an seiner Seite, das er aber jetzt plötzlich losgelassen, gegen die Fremde vor und rief zornig:

„Was willst Du von ihm, Wahine? Ich bin sein Weib."

„Sein Weib?" lachte da höhnisch die Fremde. - „Und gestatten Euch Eure Mitonares, Patoi, zwei Frauen auf den Inseln zu nehmen? - Aber nein! fort von ihm, Du Falsche - Du lügst - hier steht sein Weib, dem er vor den Schädeln unserer Voreltern Treue geschworen. – Eita anei oe a faarue i ta oe vahina?1 frugen ihn die Priester, und er antwortete eita. Das Zuckerrohr in dem geheiligten Mirozweig hat unsere Häupter berührt und zwischen uns gelegen - und hundertmal log er mir vor, wie glücklich er sich an meiner Seite fühle."

„Patoi?" rief das junge Weib entsetzt, indem sie fort von seiner Seite trat. Patoi aber, der mit finster zusammengezogenen Brauen die Anschuldigung gehört, hatte indessen Zeit bekommen sich zu sammeln, und den Arm ausstreckend, sagte er finster:

„Geh fort von hier, Frau - ich kenne Dich nicht - ich weiß nicht, woher Du kommst, noch wo Deine Eltern /79/ wohnen, oder ob Dich die Brandung an den Strand gespült - geh fort! Diese hier ist mein Weib, mir von einem heiligen Mitonare angetraut. Was gehen mich die Schädel Deiner Vorfahren an - ich bin ein Christ!"

Die ganze Gestalt des jungen Weibes zitterte und bebte, als die kalten Worte dessen, der sie verrathen, zu ihren Ohren drangen. Unwillkürlich erhob sich ihr Arm - ihre Augen blickten stier auf ihn - ihre Lippen theilten sich, und mit fast heiserer Stimme preßte sie die Laute vor:

„Du kennst mich nicht, Patoi? Du kennst die Frau nicht, die Du in Deinem Canoe von Eimeo hier herübergebracht - der Du vorgelogen, daß Deine Eltern hier in Tai arabu große Besitzungen hätten, und die Du dann heimlich - niederträchtig verlassen, daß sie sich an fremden Thüren ihre Brodfrucht betteln und mühsam zurück den Weg suchen mußte, der sie ihrer Heimaths-Insel näher brachte?"

„Sagt sie die Wahrheit, Patoi?" rief aber auch jetzt das junge Weib erschreckt, indem sie den Arm des Mannes faßte - „sagt sie die Wahrheit?"

„Nein," erwiderte Patoi kalt, „sie lügt - sie ist nicht mein Weib. Welcher Mitonare hat unsere Hände zu dem heiligen Bunde ineinander gelegt, der nie mehr getrennt werden kann? - frage sie!"

 

„Oro's Zorn über Deine Mitonares!" zischte aber jetzt die Fremde zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch - „daß sie Atua verderbe und vernichte und das Land Pomare's rein von ihnen fege! Was kümmern sie mich, was hast Du mit ihnen zu thun?"

„Sie ist wahnsinnig!" rief Patoi den jetzt immer mehr heranpressenden Eingeborenen zu. - „Die bösen Götter sprechen aus ihr. Ich habe nichts mit ihr zu thun - ich bin ein Christ."

„Und Du willst nicht mit mir zurückkehren nach Eimeo?" rief die Fremde, und das bleiche, schöne Antlitz derselben bekam einen fast dämonischen Ausdruck. - „Du willst Deinen Schwur, den die Götter gehört, brechen und Dein Weib verstoßen?"

„Du bist nicht mein Weib!" sagte der Eingeborene finster, /80/ indem er den Arm seiner jungen Frau ergriff, „komm, Alùa, laß uns gehen. Sie ist rasend.“

„Ha, falscher Abtrünniger!" rief da das junge fremde Weib, indem es sich hoch und stolz emporrichtete - „kannst Du den Blick des Wesens nicht ertragen, das Du so schändlich hintergangen und betrogen? Aber selbst die Feranis, die mordend in unser Land kamen, haben Gesetze und strafen den Schuldigen, und sogar Deine Mitonares müssen Dich verdammen, wenn sie erfahren, wie Du einen Schwur gebrochen. Halt! laßt ihn nicht fort!" schrie sie aber laut über die jetzt von allen Seiten herbeidrängende Menge der Neugierigen hin - und selbst die Sänger hatten ihr Quartett unterbrochen - „Wo ist Euer Häuptling, daß ich ihn spreche und meine Klage vorbringe? Da steht der Verbrecher - eines Eidbruchs schuldig, und ich will zwischen Euch treten und es beweisen."

Patoi hatte allerdings versucht, sich der ihm unbequem werdenden Anklage zu entziehen, indem er mit seiner jungen Frau der Zornigen aus dem Wege ging. Aber schon der herbeiströmende Menschenschwarm machte das unmöglich, denn wie das überall so ist, drängte von rechts und links Alles herzu, was sich nur in der Nähe befand, und selbst aus der Seitenstraße liefen die Eingeborenen heran, um zu sehen und zu hören, was es da gäbe. Patoi sah sich denn solcher Art bald von der Menschenmasse eingeschlossen, und da die Polynesier gerade so neugierig sind, wie unser eigener Volksstamm - besonders die Frauen, die lieben Geschöpfe - so suchte Alles zu ihm zu gelangen, um zu erfahren, was da eigentlich vor sei, und selbst die fremde Frau, um die sich besonders die Mädchen schaarten, sollte erzählen.

„Gut! gut!" rief da Patoi - nur in dem Wunsche, jetzt hier weg zu kommen und seine Frau aus dem Bereich einer weiteren Enthüllung dieser Sache zu bringen, - „hier ist nicht der Platz, ich will Euch vor dem Richter Rede stehen - bestimmt die Zeit - was hab' i ch zu fürchten, ich bin ein Christ. - Gebt Raum da, Freunde - gebt Raum! Patoi wird sich sicher stellen, wenn man ihn ruft - Ihr wißt, wo er zu finden ist," - und damit drängte er sich durch die ihm jetzt wirklich Raum gebende Menschenmasse hindurch, um nur /81/ erst einmal seine eigene Hütte, oder die seiner Frau zu gewinnen. Es kamen immer mehr Menschen, besonders viel Fremde hier zusammen, und denen wollte er doch, so rasch als möglich, aus dem Wege gehen.

2.

Ein Häuptlings-Gericht auf Tahiti.

Patoi verließ nun allerdings den Strand von Papetee und war bald in dem Schatten der Orangen- und Brodfruchtbäume verschwunden, aber desto mehr drängte jetzt das neugierige Insulaner-Volk um die fremde Frau her, und vorzüglich die Mädchen hatten bald einen festen Kreis um sie gebildet und schienen entschlossen, der Sache, um welche es sich hier handle, auf den Grund zu kommen.

Das junge schöne Weib zeigte aber nicht die geringste Lust, sich hier in einen Straßenklatsch einzulassen; das Herz war der Armen auch wohl zu schwer. Mit sichtbarer Mühe hatte sie die Thränen zurückgezwungen, die ihr in die Augen steigen wollten, und sie sagte ernst, aber nicht unfreundlich:

„Was wollt Ihr von mir? was soll ich Euch sagen? - er hat mich aus dem Hause meiner Eltern fortgelockt und den heiligen Schwur gebrochen, der uns für ewige Zeiten binden sollte. Ich bin auch nicht die einzige Verrathene hier," setzte sie düster hinzu. „Die Fremden haben Sünde und Verbrechen in dies Land getragen, daß sie sich ausbreiteten, wie die Guiaven am Strand, und ihre Wurzeln frech in jede Heimath schlugen. Es ist das jetzt eine Gewohnheit geworden, was sonst die Rache der Götter und die Strafe der Häuptlinge auf sie niedergezogen hätte. Doch laßt mich! ich will sehen, ob noch Recht und Gerechtigkeit unter diesen Palmen herrscht, oder ob die neue Lehre mit der neuen Sünde Hand in Hand geht. /82/ Ich verlange nichts als mein Recht, und das muß mir werden. Wo wohnt der Häuptling?"

,,Komm, Wahine!" sagte einer der jungen Burschen, der sich zu ihr durcharbeitete - „ich will Dich zu ihm führen. Aber wie heißt Du und wo kommst Du her? Du bist fremd hier."

„Ich heiße Maita und stamme von Eimeo2 - aber die Palmen meines Vaters liegen drüben gegen Sonnenuntergang."

„Und hast Du keine Freunde auf Tahiti?"

„Keinen, als den, der jetzt mein schlimmster Feind geworden," sagte das junge Weib düster. - „Nie im Leben habe ich vorher mein Heimathland gekreuzt, oder mein Canoe aus den Riffen hinausgelenkt - bis der Falsche kam, der mich hinweglockte - aber fort! Wo ist das Haus des Häuptlings? Laßt mich mit ihm sprechen."

„So komm," sagte der junge Bursche wieder und ergriff ihre Hand, die sie ihm überließ, und während ihr die Uebrigen den Weg frei ließen, dann aber sich ihr anschlossen und ihr folgten, bogen sie ebenfalls rechts ein in die eigentliche indianische Stadt, um dort die Hütte des „Richters" aufzusuchen, denn die Fremde gedachte nicht die Hülfe der weißen Feranis anzurufen, um den Schuldigen zu strafen. Gegen ihre eigenen Gesetze hatte er gesündigt, und der eigene Häuptling des Districts oder der Insel sollte deshalb auch entscheiden.

Diesen fanden sie allerdings nicht daheim - die Mitonares hatten eine Versammlung, der er, da er den Eingeborenen selber das Evangelium predigte, beiwohnen mußte. Es war auch eine gefährliche Zeit für die „Kirche", denn die englischen Missionäre sahen plötzlich ihren ganzen Einfluß untergraben und bedroht, und während früher viele der von ihnen „bekehrten" Heiden zum Katholicismus übertraten, fielen sogar andere wieder in ihr altes Heidenthum zurück und gaben dadurch den anderen ein entsetzliches Beispiel. Und nicht einmal einschreiten konnten sie gegen diese Sünder, denn die brauchten sich nur unter den Schutz des französischen Gouver-/83/nements zu stellen, um vollkommen sicher zu sein, daß die protestantischen Missionäre keine Hand an sie legen durften.

Die heutige Conferenz galt dem Gegenstand, wie es möglich sei, einen andern Zustand herbei zu führen, und ob es nicht gerathen wäre, unverweilt Einen aus ihrer Mitte nach England zu senden, um von dort wirksame - das heißt bewaffnete Hülfe gegen die Uebergriffe der Franzosen zu erbitten, die ja schon im ganzen Land die Herren spielten.

Das arme und fremde junge Weib wurde aber nichtsdestoweniger von der Gattin des „Mitonare Mahova", wie der würdige Geistliche uud Friedensrichter hieß, auf das Freundlichste aufgenommen. Die Gastfreundschaft dieser Inseln kennt keine Grenzen, und selbst die ärmsten Eingeborenen theilen willig das Letzte mit dem Fremden, wenn er ihre Hütte betritt.

Maita bekam Speise und Trank - eine milchgefüllte Cocosnuß wurde ihr gebracht, gebackene Brodfrucht und kleine saftig gebratene Fische. - Auch eine weiche, zartgeflochtene Matte breitete die alte gute Frau für sie aus, auf der sie ruhen konnte von ihrem langen Marsch, nnd dann erst mußte sie erzählen, was sie hierher geführt. Freilich machte die alte Indianerin, die Frau des Mitonare, große Augen, als sie erfuhr, daß ihr junger Gast noch zu denen gehöre, die ihre „Irrthümer" nicht abgeschworen und an ihren früheren Götzen hingen, und sie fürchtete deshalb fast die Rückkehr ihres Gatten, der in solchen Dingen entsetzlich streng war. Aber ihrer Gastfreundschaft konnte das keinen Abbruch thun: die Fremde - ob Heidin oder Christin - mußte erst ausruhen und Trank und Speise zu sich nehmen, und alles Andere fand sich dann nachher, wenn ihr Gatte, der Mitonare, kam - sie war jedenfalls eine bessere Christin als wahrscheinlich der Mitonare selber.

Der fromme Mann kam endlich, und es war ein strenges Examen, das er mit dem armen jungen Weibe anstellte. Er frug sie auch weit weniger nach dem, was sie hergeführt, nach dem Leid, was ihr angethan, sondern mehr, viel mehr nach der Veranlassung, daß noch Eingeborene auf der Nachbarinsel, auf welcher die frommen weißen Männer schon so lange gewirkt, dem bösen heidnischen Glauben anhängen könnten, /84/ und ob sie denn gar nicht die einstigen Strafen des Himmels fürchteten.

Maita wich den Fragen aus. Nicht deshalb war sie hergekommen, um über die alte Lehre zu streiten, der treu anhängend ihre Eltern und Voreltern gestorben waren; nur ihr Recht wollte sie au einem Abtrünnigen verfolgen, der den Eid gebrochen, und kein Vergehen war von den Göttern mit strengeren Strafen belegt worden, als gerade dieses. Dem Friedensrichter blieb denn auch, da sie hartnäckig auf ihrem Verlangen bestand, eine öffentliche Gerichtssitzung zusammen zu berufen, nichts Anderes übrig, als ihr zu willfahren. Er durfte es - wie er recht gut wußte - nicht zurückweisen, ohne sich selber in Mißcredit zu setzen, und seine Boten eilten deshalb bald nachher durch ganz Papetee, um diejenigen der Eingeborenen, die berechtigt waren, in einem solchen Rath zu sitzen, dazu einzuladen. Auch der Verklagte, dessen Namen und jetzige Familie die gute Frau des Mitonare schon lange vor dem indeß zahlreich eingetroffenen Besuch herausbekommen, wurde vorgefordert, um sich gegen die Anschuldigung der Fremden zu vertheidigen, und die Familie von dessen Frau eilte natürlich ebenfalls herbei.

Alúa's Eltern waren reich und angesehen in Papetee. Ein großer Cocospalmenhain gehörte ihnen, ebenso eine neu angelegte Zuckerplantage; ihr Vater besaß sogar einen kleinen Kutter, auf welchem er mit den zu windwärts gelegenen Inseln Handel trieb und dort Cocosnußöl und beech la mar3 eintauschte, während er ihnen von den Missionären oder landenden Walfischfängern eingetauschte europäische Stoffe und Schmuck oder Eisenwaaren - ja man sagte: auch heimlich spirituöse Getränke brachte. Es verstand sich von selbst, daß den Nachbarn eine solche Klage nicht gleichgültig sein konnte, die sich gegen eine der angesehensten Familien des Orts richtete und schon durch ihre Öffentlichkeit den bösen Zungen der Insel Gelegenheit gab, üble Nachreden über sie durch das Land zu tragen. Wenn das Gericht sich aber auch nicht umgehen ließ, so hatte die arme Fremde doch, außer in dem Mitgefühl des weiblichen Theils der Bevölkerung - nur auf geringe Unterstützung zu rechnen. Die ganze Sache war dem /85/ aristokratischen Theil der Bevölkerung unangenehm, und je eher und rascher sie deshalb beigelegt wurde, desto besser.

Trotzdem vergingen noch immer wenigstens einige Stunden, bis die nöthige Zahl der Beisitzer herzugerufen, und der kaum hundert Schritt von der Berathungshütte entfernt wohnende Verklagte - der Indianer Patoi herbeigeholt werden konnte, um der Klage der Fremden Rede zu stehen.

Welch ein wunderliches und doch wie malerisches Bild bot aber die Versammlung dieser einfachen Insulaner, die hier über das Vergehen Eines ihrer Landsleute zu Gericht sitzen und ihn in der nächsten Stunde entweder freisprechen oder verurteilen sollten.

Die Sonne stand zu hoch am Himmel, um das Verhör in der eng eingeschlossenen und nur wenig dem frischen Luftzug offenstehenden Hütte abzuhalten. Draußen, im Schatten einer Anzahl von Brodfrucht-, Manga- und Orangenbäumen war es kühler, und dorthin konnte auch die frische Seebrise streichen, die von Point Venus herüberwehte.

Man konnte sich keinen prachtvolleren Gcrichtssaal denken. Gerade über der Stelle, auf welcher Mahova, der eingeborene Missionär und Friedensrichter, Platz genommen, stieg der schlanke Stamm einer mächtigen Cocospalme weit über das viel niedrigere Wipfelwerk der Fruchtbäume empor und wölbte seine gefiederte Krone im Sonnenlicht. Ein kleines Gestell war hier von Bambus aufgerichtet, auf dem Mahova, etwas erhöht über die Menge, saß und sie dadurch übersehen konnte. Rechts und links kauerten auf Matten die verschiedenen vornehmeren Eingeborenen, die zu einem solchen Verhör gewöhnlich zugezogen wurden - eine Art von Geschworenen, und um diese her und vor ihnen einen Ring bildend, standen in kleinen Trupps und Gruppen die verschiedenen Nachbarn und sonstigen eingeborenen Bewohner von Papetee, zumeist Frauen und Mädchen, die aber den lebendigsten Antheil an dem Allen nahmen.

 

Noch weilte die Fremde in Mahova's Hütte, denn der Verklagte war noch nicht erschienen, er zögerte eigentlich ein wenig lange und mißbrauchte die Geduld seiner Richter. Aber das hatte nicht viel zu sagen, denn es giebt kaum etwas auf der /86/ weiten Welt, was ein Indianer lieber thäte, als gerade warten. Einen Verlust an Zeit, so lange er nicht hungrig oder durstig ist, kennt er nicht. Sein größtes Vergnügen ist dabei, unter einem Baum zu liegen und zu dem Wipfel hinauf zu sehen; was that es deshalb, wenn sie hier vielleicht eine halbe Stunde länger in Gesellschaft sitzen blieben und sich angenehm mit einander unterhielten. Es war nicht der Mühe werth, auch nur ein Wort deshalb zu verlieren.

Jetzt trat Patoi in den Kreis. Die Mädchen gaben ihm Raum und flüsterten mit einander. Er war ein hübscher schlanker Mann und ordentlich stutzerhaft gekleidet. Er trug keine europäische Mode, sondern ging einfach in die indianische Tracht gehüllt: einen Pareu von hellblauem gestreiften Baumwollenzeug, der bei uns allerdings den Gedanken au einen Bettüberzug geweckt haben würde - ein tehei oder Schultertuch von dunkelblauem, mit weißen Sternen überstreutem Kattun, aber einen eigenthümlichen Schmuck von rothen bibidios und den Auswüchsen der reifenden Pandanusfrucht diademartig in den mit Cocosnußöl erst frisch und fast zu reich getränkten Locken, auch ein paar große weiße Sternblumen hinter den Ohren, wie es sonst eigentlich nur die Mädchen gebrauchen.

Es war augenscheinlich, er hatte sich zu diesem Verhör recht eigentlich herausgeputzt, um jedenfalls einen besseren Eindruck auf die Richter zu machen und besonders vornehm auszusehen. Ein beifälliges Murmeln lief auch durch die Versammlung, als er den Ring betrat, was ihm wohl schwerlich entging. Er nahm aber trotzdem eine vollkommen gleichgültige Miene an, und sich mit einer leichten Verbeugung au Mahova wendend, sagte er freundlich, aber doch auch mit einem gewissen vornehmen Blick:

„Mitonare Mahova, ich bin vorgefordert, um hier auf die Klage einer fremden Frau zu antworten. - Wo ist sie, daß ich ihre Anschuldigungen zurückweisen kann?"

,,Hier! Patoi," sagte da plötzlich - ehe Mahova nur ein Wort darauf erwidern konnte, Maita, die jene Aufforderung gehört hatte und keinen weiteren Ruf abwartete. - In ihr tehei fest eingehüllt, die Arme auf der Brust gekreuzt, trat sie ruhig vor, und ihre Locken mit einem raschen Wurf des /87/ Kopfes aus der Stirn schleudernd, ihm fest und mit finsterem Blick entgegen.

„Und wessen beschuldigst Du den Fremden?" frug Mahova, der die trotzige Gestalt der Frau mit eben nicht freundlichem Blick betrachtete.

Maita schwieg einen Moment, und während lautlose Stille in dem Kreis herrschte, flog ihr Blick rasch und forschend über die Versammelten, ob sie vielleicht dort unter Allen ein befreundetes Gesicht entdecken könne. Umsonst, nur fremde Züge starrten sie neugierig an, und während kaum bemerkbar ein Seufzer ihre Brust hob, richtete sie sich plötzlich stolz empor und sagte mit fester und lauter Stimme:

„Des Eidbruches und Verrathes! Ich bin sein Weib, und er hat mich schändlich und hinterlistig verlassen."

„Und was sagst Du dazu, Patoi?"

„Ich leugne es," erwiderte kalt der Indianer, „sie ist nicht mein Weib."

„Lügner und Meineidiger!" schrie das junge Weib in Schmerz und Entrüstung auf, aber Mahova unterbrach sie.

„Halt!" sagte er, „Deine Scheltworte helfen Dir nichts. Woher stammst Du, und wer sind Deine Eltern?"

„Zwischen Tamai und der Oponuho-Bai auf Eimeo liegt ihre Hütte," sagte das Mädchen und sah den alten Mitonare fest an - „Pemotomo ist der Name meines Vaters - bekannt auf dem ganzen Eiland und einst gefürchtet, denn sein tapferer Arm widerstand den Fremden, die unser Land überschwemmten, und die Götter waren mit ihm."

„Pemotomo," nickte Mahova, „wohl kenn' ich ihn! wohl kenn' ich ihn, und wenn es einen Menschen auf den Inseln giebt," setzte er salbungsvoll hinzu, „der hartnäckig sein Ohr den guten Lehren verschloß und die Sünde des alten Götzenthums nicht abwerfen wollte, so ist er es."

„Und was hat das mit dem Verrath des Mannes zu thun?" sagte das junge Weib finster - „ich bin seine Tochter und trete hier vor Euch, um mein Recht zu verlangen; mein Recht von jenem verrätherischen „Christen", der Treu' und Glauben brach und sich mit schmeichlerischer Lüge in das Herz meines Vaters - in das meine stahl." /88/

„Und hast Du Zeugen?" sagte Mahova ruhig.

„Nein - nicht hier!" rief das junge schöne Weib, indem ihr dunkles Auge wieder den Kreis fremder Gestalten maß - „aber leugnet er, daß ich die Wahrheit rede - will er auch Euer Ohr mit seinen Lügen füllen, so gebt mir ein Canoe - ich bin arm und besitze hier kein eigenes - und in zwei Tagen schaffe ich Euch von Eimeo die Zeugen herüber, die jedes Wort meiner Klage bekräftigen werden."

Noch während sie sprach, war einer der dort ansässigen englischen Missionare - eine lange, magere und bleiche Gestalt, in einen schwarzen Frack eingeknöpft und nach rechts und links freundlich und mit einer außerordentlichen Milde und Sanftmuth grüßend, um den Kreis herumgegangen und hatte sich dem Stuhl Mahova's genähert. Der eingeborene Richter schien nicht übel Lust zu haben, von seinem eigenen Ehrensitz aufzustehen und neben dem bleichen Mann zu stehen; dieser aber, mit dem süßesten Lächeln, winkte ihm nur, seinen Sitz zu behaupten, und blieb hinter seinem Stuhl, um dort, wie es schien, dem beginnenden Verhör beizuwohnen und den Erfolg abzuwarten.

„Aber wie bist Du überhaupt von Eimeo herübergekommen, Wahine?" frug jetzt Mahova. „Wer hat Dich gefahren, wenn Du kein eigenes Canoe besitzest?"

„Fraget den Mann da, er könnte es Euch sagen," rief das junge Weib - „und laßt ihn wagen, auch das Lügen zu strafen, was ich jetzt Euch erzähle. Er kam in meines Vaters Hütte und warb um mein Herz. Er log, daß er in Taiarabu, an der Morgenseite von Tahiti, reiche Besitzthümer habe. Mein Vater willigte ein - ich wurde sein Weib, und er nahm mich - nachdem er Monate lang bei uns gelebt - in sein Canoe, um mich in seine eigene Heimath zu bringen. In Waiuru landeten wir; dort gingen wir an's Ufer, weil er mir sagte, dort wohne noch Jemand, der ihm eine Schuld zu zahlen habe. Ich blieb in einer Hütte am Strand; er verließ mich, und ich wartete dort geduldig Tag nach Tag - aber er kehrte nicht zurück. Die Leute waren freundlich gegen mich, aber die Angst verzehrte mein Herz um den Gatten, den, wie ich damals fürchtete, ein Unglück betroffen haben /89/ mußte. Ich suchte ihn überall, ich stieg in die Berge hinauf und rief angsterfüllt seinen Namen. Nur das Echo antwortete mir, und jetzt, in der Sorge um sein Leben, wollte ich sein Canoe nehmen und nach Taiarabu fahren - aber es war fort. Ein Eingeborener hatte es genommen und, wie er sagte, von Patoi gekauft. Ich verfolgte meinen Weg zu Fuß über den brennenden Korallensand am Strand - aber in Taiarabu war Patoi nicht, und die Leute lachten, als ich sie frug, wo sein Besitzthum läge. Jedenfalls „zu windwärts", meinten sie, denn in Taiarabu habe er keins - nicht eine Cocospalme gehöre ihm - nur eine verfallene Hütte in den Bergen drin, die er erst abbrechen und neu bauen müsse, wenn er darin wohnen wolle.