Free

Aus dem Matrosenleben

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Drittes Capitel.
Die Matrosenkneipe

Das goldene Kreuz zeichnete sich vielleicht in nichts, als eben seinem frommen Aushängschild vor den übrigen tausend Schenken Sydney's aus, wo der Wirth über der Thür die vom Staat erhaltene Erlaubniß mit den stereotypen Worten anzeigt: »Licensed to sell spirituous and fermented liquors,« was er sich selber übersetzt – »Du darfst jeden Schund verkaufen den man nur in eine Flasche gießen, und aus einem Glase trinken kann.«

Im Innern sah es aber reinlich und selbst behaglich genug aus, denn es ist kaum so sehr des Wirths Vortheil seine Gäste hereinzulocken, als sie nachher darin zu halten. Das große mittlere Fenster, das die halbe Wand einnahm, war inwendig mit weißer Farbe leicht überstrichen und nur auf den Scheiben prangten oben die Worte »Wine Vaults«, und rechts und links »London Porter« und »Baß's Ale«, zierlich mit Wein und Hopfenreben umrankt. Im Innern aber standen oben auf den blank lackirten Gefachen messingbeschlagene kleine Fäßchen, mit ihrem Inhalt in sauberen goldenen Buchstaben darauf verzeichnet, und reinliche geschliffene Caraffen mit neusilbernen gravirten Schilden.

Nur rechts und links war das schwere Geschütz, eine dunkle Batterienmasse von Ale- und Porterflaschen mit ihren bleiernen Deckseln, aufmarschirt, und unten lagen kleine rundbäuchige weiße Glasflaschen, fest zugebunden, mit Sodawasser und moussirender Limonade, wie denn auch an der Wand eine Hand mit einer daringehaltenen Sodaflasche die werthe Adresse des Fabrikanten jedem verkündigte, der sich nur die Mühe geben wollte sie zu lesen.

Auf dem Ladentisch waren die nach unten niedergehenden Pumpen mit elfenbeinernen Knöpfen angebracht, draught Ale and Porter gleich frisch heraufzuziehen und rings im Zimmer aufgestellte Tische und Stühle mit kleinen, heimlichen, hölzernen Verschlägen, in die nur höchstens immer vier Menschen hineinpaßten. Diese hatten statt der Thüren Gardinen.

Hinter dem Schenktisch stand auf der einen Seite der Wirth, eine vierschrötige pockennarbige Gestalt mit rothen Haaren und kleinen aber verschmitzten Augen, und einem besonderen humoristischen Zug um den Mund. Es war der Irländer Mac Carther und der Eigenthümer des goldenen, und eines anderen Kreuzes, das mit weißer Schürze und kleiner blumenbesetzter Mütze an der anderen Seite hinter dem Schenktisch stand, und die bestellten Gläser füllte. Das flinke Schenkmädchen, Polly, trug sie dann an den Ort ihrer Bestimmung, und cokettirte dabei nach besten Kräften mit den Gästen. Mac Carther zog die Propfen aus den Flaschen und spülte die Gläser aus.

Mrs. Mac Carther kann ich mit wenigen Worten schildern – Sie war eine Elsässerin mit schwarzen Haaren und schwarzen Augen, etwa 30 Jahr alt, was man ihr aber kaum ansah, und von resolutem festem Charakter, wie denn auch Mac Carther, der sonst gewiß nicht zu den Schwächlingen gehörte, nicht umhin konnte zu bezeugen. Daran war kein Zweifel, sie regierte das Kreuz, und da sich dasselbe unter den zarten Händen ungemein wohl befand, und an Gästen und Einnahmen fast wöchentlich wuchs, fügte sich auch Mac Carther sehr gern dieser Autorität, und begnügte sich, daneben nur noch allerlei kleine Beigeschäfte auf seine eigene Hand zu treiben. Doch davon später.

Polly war das Muster eines Sydney-Schenkmädchens; drall und schlank gewachsen, und mit ein paar Augen, die denen ihrer Herrin an Schwärze und Feuer wahrlich nicht nachstanden, die sie selber aber an jugendlicher Frische weit übertraf. Mrs. Mac Carther war aber deshalb nicht im mindesten eifersüchtig. – Gerade diese »jugendliche Frische« zog ihr allabendlich so und so viel mehr Gäste in das Haus, und deshalb hatte sie Polly eben zum Schenkmädchen angenommen.

Es war noch nicht spät am Abend; darum hatten sich auch noch nicht so viel Gäste eingefunden. Nur an zweien der Tische saßen die Leute vom Boreas, fünf Deutsche und drei Franzosen, und tranken, die ersteren Ale, die anderen Claret. Polly brachte den letzeren eben eine frische Flasche auf den Tisch, und Jean hatte die Hand gefaßt, die sie nach der geleerten ausgestreckt. Sie sah ihn lächelnd an und versuchte sich leise loszumachen.

»Polly«, sagte der junge hübsche Matrose, und legte ihr die linke Hand auf die Schulter – »du bist auch heute Abend wieder einmal recht häßlich, und willst mich gar nicht ansehen – hab ich dir irgend etwas zu leid gethan?« – Er sprach das Englische etwas gebrochen, es klang aber doch gut und das Mädchen schüttelte lachend den Kopf.

»Nichts zu leid gethan, Mr. Jean, aber los lassen müßt ihr mich, denn Missis sieht schon scharf nach mir herüber und ich habe viel zu thun. – Da kommen noch andere Gäste.«

»Polly, ich habe dir etwas zu sagen«, flüsterte ihr Jean jetzt leise und rasch in's Ohr – »willst du mir nachher nur auf wenige Secunden hinausfolgen?«

»Ich weiß noch nicht«, sagte das Mädchen halblaut und machte sich von ihm los. Die Augen wußten es aber und sagten ja, und Jean leerte sein Glas auf einen Zug.

»Hallo, schon wieder so geschäftig?« lachte Bill, der zuerst eintretende von den englischen Matrosen, »da ist ja die ganze Bescheerung bei einander, und Jean hat alle Hände voll zu thun, wie ich sehe. Guten Abend Mac Carther, guten Abend Missis – jung und schön wie eine Rose – aber nicht wie die letzte – heh Missis? – Was trinkst du, Jack, und du Bob – wie? Jims Geschmack kenne ich schon, der hält's wie ich, mit Brandy und Wasser!«

Die viere traten zum Schenktisch und tranken, und setzten sich dann an den, an der hinteren Wand quer vorstehenden langen Tisch, wohin ihnen die anderen bald darauf mit ihren Flaschen und Gläsern folgten, und ein leises Gespräch mit einander begannen. Außer den Leuten vom Boreas waren nur noch wenige andere Gäste im Zimmer, und der Wirth, der eben erst noch zwei Porterflaschen für die Letztgekommenen geöffnet hatte, rückte sich nach einer kleinen Weile einen Stuhl mit zu ihnen, sprach aber noch kein Wort. Er schien etwas auf dem Herzen zu haben.

»Wer ist denn das, der uns heute hier sprechen wollte«, sagte Jean endlich, sich zu ihm wendend, »heraus mit ihm und mit dem was er zu sagen hat. Ich kann heute Abend nicht lange hier bleiben, und wir sind jetzt so ziemlich alle zusammen.«

»Hm«, sagte Mac Carther, und warf einen anscheinend gleichgültigen Blick über das Zimmer, der übrigens keinen der sonstigen Gäste, so flüchtig er auch über ihnen hinstreifen mochte, unbeobachtet ließ. Gleich darauf als ob ihn diese Rundschau befriedigt hätte, bog er sich über den Tisch etwas vor und sagte mit leiser Stimme, die Umsitzenden dabei alle mit den Augen musternd:

»Seid Ihr gesonnen an Bord zu bleiben, oder wollt Ihr hier in der Stadt eine Beschäftigung haben? – Das heißt – versteht mich wohl – ich weiß nicht was Ihr für einen Contract an Bord habt; geht mich auch gar nichts an. – Hält Euch aber nichts dort, so weiß ich Euch hier eine Stelle, wo Ihr mit Bequemlichkeit Eure sechs bis acht Schilling den Tag verdienen könnt – und dafür müßt Ihr eine ganze Woche an Bord wie die Pferde arbeiten. Sind welche von Euch Segelmacher?«

»Vier von uns sind gelernte Segelmacher« – sagte der eine Deutsche, »und die anderen verstehen meist alle genug davon, die laufenden Arbeiten verrichten zu können.«

»Das wäre dann noch besser, die verdienen jetzt noch mehr mit Zeltmachen«, sagte der Wirth sinnend. »Habt Ihr noch Geld zu gut, oder sind welche unter Euch, die vielleicht selber etwas anfangen können?«

»Ich habe 600 Franken«, sagte Jean rasch, »und Lust genug hier für immer an Land zu bleiben, wenn nur« – er hielt inne und sah forschend nach Polly hinüber, diese aber warf ihm einen freundlichen Blick zu und Jean schien dadurch plötzlich zu einem Entschluß gekommen. – »Was wollt Ihr mit uns thun? – was könnt Ihr? – heraus mit der Sprache und haltet nicht so lange hinter dem Berge.«

»Ich?« sagte der Wirth erstaunt – gab ihm aber doch dabei ein Zeichen nicht so laut zu sprechen – »ich? was ich mit Euch will? – gar nichts. – Was kann ich mit Euch wollen. Ich frage Euch nur Euretwegen, und habe Euch schon gesagt, ich weiß gar nicht und kann nicht wissen, wie Ihr mit dem Schiff steht. So viel aber ist gewiß – jetzt wäre die Zeit hier in Sydney für einen jungen Mann sein Glück zu machen, und wer das mit Füßen von sich stößt, der hat es nachher selber zu verantworten.«

»Ja, das ist Alles recht gut, aber wie können wir vom Schiff loskommen?« sagte der eine Engländer – »und wenn wir los sind, denn das wäre noch das wenigste, wo können wir bleiben? Wir müssen erst einen Zufluchtsort hier am Ufer haben, und einen sicheren Zufluchtsort, denn sonst ist die Sache nachher verdammt Essig. Vom Schiff hat jeder von uns allerdings noch zu gut, das wißt Ihr aber selber wohl, können wir nicht bekommen, und das einzige was wir im Stande sind mitzunehmen, sind vielleicht unsere Kleider. Wer soll uns nachher aufnehmen und wer wird uns so lange Credit geben?«

»O, so viel sind unsere Kleider schon werth«, sagte ein anderer. »Wo die so lange in Versatz bleiben, können wir auch ein paar Tage essen und trinken, bis das Schiff fort ist, und mit dem hohen Lohn hier sind wir dann leicht im Stande, unsere Schulden wieder abzutragen.«

»Ich will Euch was sagen«, meinte da Mac Carther und bog sich zu ihnen über den Tisch hinüber – »wenn Ihr meinem Rathe folgen wollt, so –« In diesem Augenblicke fiel hinter dem Schenktisch ein Glas herunter und zerbrach klirrend am Boden. Mrs. Mac Carther hatte es fallen lassen. Mac Carther fuhr aber, ohne sich dadurch irre machen zu lassen, ja ohne den Kopf dorthin zurückzudrehen, ruhig und langsam fort – »so malt Ihr Euer Schiff mit einer hellen Farbe und nicht mit Schwarz. – In dem heißen Klima wohin Ihr geht zieht Schwarz die Sonne viel zu sehr an, während eine hellere Farbe das Holz ungemein conservirt.«

»Aber was zum Donnerwetter geht uns denn in diesem Augenblick die Farbe an, wo wir –«

 

»Nichts mit dem Bezahlen des Schiffes zu thun haben«, unterbrach Mac Carther den Engländer, indem er ihm zugleich einen warnenden Blick zuwarf – »das weiß ich wohl, ich sage nur ich thäte das, wenn ich Capitän von einem Schiff wäre, und in ein heißes Klima hinaufginge.«

Während er noch sprach, waren unsere beiden Bekannten vom Markthaus in das Zimmer, und gerade als das Glas zerbrach, dicht hinter den Wirth getreten, und ließen sich jetzt an demselben Tisch nieder, wo sie eine Flasche Porter verlangten.

Der Wirth ging hin diese zu öffnen, und das Gespräch war für den Augenblick abgebrochen. Die Matrosen merkten bald genug, daß Mac Carther seine wohlbegründete Ursache haben mußte, in Gegenwart der beiden Fremden weiter nicht über die bewußte Sache zu reden. Jean stand auf, blinzte Polly mit den Augen zu und ging hinaus an die Hofthür. Wenige Minuten später stand das wunderhübsche Mädchen an seiner Seite und legte ihre Hand in die ihr dargebotene Rechte des jungen Mannes.

»Polly«, sagte Jean, und zog die nur leise Widerstrebende fester an sich – »ich habe keine Zeit zu großen Umschweifen, ich will dich auch gar nicht mit langen Redensarten plagen. Hör mir nur wenige Secunden zu und sage dann ja oder nein.«

»Aber ich weiß ja nicht –«

»Du sollst es gleich erfahren« unterbrach sie der junge Franzose – »ich bin des Seefahrens, ja überhaupt des Herumschweifens satt. Zehn Jahre lang habe ich mich nun in der Welt und in allen Welttheilen umhergetrieben, und bin nicht im Stande gewesen etwas für ein reiferes Alter zu thun – es liegt auch das eigentlich nicht im Blut meiner Landsleute. Hier aber, glaub ich, ist der Zeitpunkt gekommen wo ich etwas Besseres ergreifen kann, doch allein will ich das nicht thun. – Willst du mir helfen, Polly? willst du – mein Weib werden?« flüsterte er leise, sich zu ihr niederbeugend und ihr einen heißen Kuß auf die Stirn drückend.

»Do'nt – do'nt«, bat das Mädchen flüsternd, und suchte sich von ihm loszumachen. Es war ihr aber nicht recht Ernst damit, denn Jean konnte sie leicht zurückhalten; doch dringender bat er jetzt.

»Antworte mir, Polly. – Von dir hängt es ab ob ich in Sydney – in Australien bleiben soll oder nicht. – Sagst du ja, dann sollst du einmal sehen wie tüchtig ich arbeiten kann, und haben wir uns etwas verdient, dann kehren wir nach meinem schönen Frankreich zurück. – Es soll dir schon gefallen in der Provence. – Aber du sagst ja kein Wort, und ich weiß doch, daß du dich in den Verhältnissen hier nicht glücklich fühlst, nicht glücklich fühlen kannst.«

»Glücklich?« sagte das Mädchen leise und schüttelte wehmüthig mit dem Kopf – »es ist ein schreckliches Leben fortwährend dem wüsten Trinken und Treiben zuzusehen. – Aber was soll ein armes Mädchen anderes thun – und es ist doch immer ein ehrlicher Unterhalt.«

»Und sagst du ja, Polly?« bat der junge Mann dringender, und küßte die jetzt nicht mehr widerstrebenden rosigen Lippen – »sagst du ja?«

»Komm nur erst an Land«, flüsterte Polly, und ehe er es sich versah, war sie ihm unter den Händen fort und ins Haus geschlüpft. Mit leuchtenden Augen folgte ihr aber Jean, und war auch gar nicht böse darüber, daß sie seinen suchenden Blick im Anfang vermied und sich mit ihrer Arbeit eifrig beschäftigte, während sie Mrs. Mac Carther ausschalt, was sie draußen herumzustreifen habe, indessen in der Stube alles drunter und drüber ging.

In derselben Zeit übrigens, in der Jean draußen zu einem Entschluß gekommen war, hatte sich auch in der Stube selber manches geändert. Die beiden Polizeidiener, welche Mrs. Mac Carther ebenso gut kannte als ihr Mann das Vorsichtszeichen mit dem klirrenden Glas, waren, als sie sahen, daß sie weiter nichts Besonderes hören und erfahren konnten, weiter gegangen. Dafür aber war ein neuer Besuch gekommen, und zwar der Steward vom Pelican, der früher mit einem der Engländer auf ein und demselben Schiff gefahren, und heute Abend noch einmal in die Stadt gemußt hatte, mehreres Vergessene an Gemüsen und Früchten für das morgen früh in See gehende Schiff einzukaufen. Er wußte wo die Leute vom Boreas heute zusammenkamen, und schien sie dort aufgesucht zu haben. Als Jean hereinkam, waren sie im eifrigsten Gespräch. – »Und ich sage Euch«, behauptete der Steward auf einen der Gegeneinwürfe Bills, »daß ich heute morgen mit meinen eigenen Ohren und aus dem eigenen Munde Eures Capitäns gehört habe, wie er morgen früh um sechs Uhr mit dem kleinen Dampfschiff The Brothers in die Bay hinauslegen will. – Dasselbe Boot soll ihm auch dann am Montag Morgen die noch fehlenden Pferde hinausbringen und dann geht er auch wahrscheinlich noch den Montag Mittag in See. Euer Capitän war heut zweimal bei uns an Bord – das erstemal that er furchtbar dick, das zweitemal schien er sich aber doch besser besonnen zu haben, und will Euch vor allen Dingen in Sicherheit bringen. Ihr seht also daß Ihr keine Zeit mehr zu verlieren habt.«

»Seeschlangen und Schildkröten!« brummte der eine Engländer – »das wäre ein verdammter Streich. Deshalb wollte uns also der alte schlaue Fuchs morgen erst das Geld geben. Nachher hatte er uns alle sicher an Bord, und setzte uns am Ende gar noch ein paar von den Polizeiknechten oben drauf.«

»Und Ihr wißt uns einen Platz, Mac Carther«, sagte der eine von den Franzosen, »wo Ihr uns sicher unterbringen könnt? – Wahrhaftig ich komme heute Abend mit Sack und Pack an Land.«

Mac Carther ging fort als ob er die Frage nicht gehört hätte, seine Frau aber, die indessen zum Tisch getreten war, sagte mit halb unterdrückter Stimme auf französisch:

»Laßt ihn gehen – er darf sich mit den Geschichten nicht befassen, denn kommt so etwas vor Gericht, so muß er am Ende schwören, und wenn er nichts davon weiß, kann er das auch mit gutem Gewissen. Ich werde dafür aber schon sorgen. Bringt nur heute Abend spät Eure Kleidungsstücke her – die Hinterthüre kennt Ihr ja, wenn die vordere Thür geschlossen sein sollte, und mit Tagesanbruch schaff ich Euch aus der Stadt. Es ist ein Arbeiter von meinem Schwager über der Bay drüben gerade hier, und mit dem könnt Ihr Holz schlagen oder Segel machen, zu was Ihr Lust habt, bis das Schiff fort ist.«

»Was zum Teufel ist das für ein Gewälsch,« brummte Bill. – »Redet englisch, daß ein anderer auch ein Wort verstehen kann.«

»Seid ruhig, Jean wird es Euch übersetzen«, flüsterte Mrs. Mac Carther, »es sind hier noch andere Ohren, die gerade nicht zu wissen brauchen, über was wir gesprochen haben.« Damit wandte sie sich vom Tisch ab, und trat hinter ihren Schenkstand zurück. Die Leute vom Boreas flüsterten aber noch eine Weile miteinander, und verließen dann die Schenke. Jean selbst hatte mit Polly keine weitere Abrede nehmen können.

Viertes Capitel.
Die Flucht von Bord

Der Boreas, ein volles Schiff, lag dicht am Patent Slip – eine Art Dock, wo hinauf die Schiffe durch Maschinerie gezogen werden, bis sie vollkommen trocken zu liegen kommen, und bis zum Kiel hinunter nachgesehen und ausgebessert werden können. Nach dem Herunterlassen hatte der Boreas dicht daneben angeholt, seine Takelage nachgesehen, Ballast, Wasser, Mais, Heu und Pferde eingenommen, und lag nun dort dicht an dem abgebauten Werft vor einem Anker, der nach der Bay zu ausgeworfen war. Zwei starke Taue hielten noch außerdem das Schiff am Land befestigt, und man stieg an der Fallreepstreppe gleich von Bord auf das Werft hinunter.

Die Mannschaft des Boreas kam in einzelnen Gruppen, zu zweien und dreien, an Bord zurück. Der Zimmermann, ein Engländer, hatte die Wacht als sie kamen, und die Leute gingen rasch in das Vorcastle hinunter, diese Zeit zu benutzen und ihre Sachen zusammenzupacken.

Den Zimmermann und Mate durften sie natürlich nichts merken lassen; der Mate schlief aber gewöhnlich um diese Zeit schon. Einer von ihnen blieb bei dem Zimmermann an Deck, um, wenn irgend einer der Officiere Miene machen sollte hinunter zu ihnen zu steigen, das verabredete Zeichen zu geben, d. h. irgend etwas Schweres auf Deck fallen zu lassen. Es konnte das ohne Aufsehen geschehen.

Jean war an Deck und schlenderte mit dem Zimmermann langsam den Gangweg auf und nieder. – Er erzählte ihm Geschichten aus der Provence, um ihn beschäftigt zu halten, und es gelang ihm auch so weit, daß er seinen Cameraden vollständig Zeit verschaffte sich zu rüsten. Die einzige Schwierigkeit war jetzt ihre Sachen an Deck zu bringen und von hier damit an Land zu kommen, ohne daß Lärm geschlagen wurde. In dem Fall befanden sie sich nämlich in einer höchst fatalen Lage, da nur ein ganz schmaler langer Weg von dem Werft an dem sie lagen nach Sussexstreet hinaufführte, und eine Masse von Constablern in der Gegend fortwährend auf und ab gingen. Der geringste Lärm konnte einen davon an den Eingang der Straße führen und dann hatte er, wenn er wollte, zwanzig Andere mit Blitzesschnelle zu seiner Hülfe herbeigezogen.

Am besten wäre es gegangen, wenn sie eines der an den Pfählen befestigten Boote geborgt hätten, und damit an das gegenüber liegende Ufer der Bay gefahren wären. Auf jeden Fall konnten sie solcher Art ihre Sachen am leichtesten in Sicherheit bringen. Dort drüben standen auch noch keine, oder nur wenige Häuser, keinenfalls waren Polizeidiener dort. Sie selber brauchten nur bis Georgestreet hinaufzugehen, wo sie die dort einlaufende Bay umgangen hatten, und konnten dann ihr ganzes Gepäck leicht und ohne Verdacht zu erregen quer über Georgestreet in das Wirthshaus zum goldenen Kreuz schaffen.

Es war noch nicht zwölf als der zweite Mate vom Land an Deck kam und nach vorne ging. Jean stand mit dem Zimmermann gerade an der Cambuse, und als er die dunkle Gestalt auf sich zukommen sah, stieß er mit dem Fuß an eine dort zufällig liegende Handspake, nahm sie auf und warf sie von sich, daß sie mit lautem Gepolter auf Deck niederschlug.

»Gott verdamme das verwünschte Holz«, fluchte er dabei, und hielt sich den Fuß – »stößt man sich auf dem sakermentschen Deck auch noch die Gliedmaßen zu Schanden.«

»Was für ein Heidenlärm ist denn das da drüben?« rief der Mate ärgerlich und kam herüber nach Backbord. – »Wer ist da? Jean? kommt Ihr eben erst von Land?«

»Nein, ich bin schon fast eine Stunde mit dem Zimmermann hier auf- und abgegangen.«

»Chips«3 sagte der Mate, und zog den Zimmermann etwas bei Seite – »haltet Eure Augen offen. – Im Vorcastle war eben, als ich auf Deck kam, noch Licht – jetzt ist's aber aus. Sind die Leute schon lange an Bord?«

»Die letzten kamen vor etwa einer halben Stunde – ich denke sie sind jetzt wohl zu Coye gegangen«, sagte der Zimmermann. »Wie viel Uhr ist's? – es muß bald Mitternacht sein.«

»In fünf Minuten etwa ist's zwölf«, sagte der Mate – »ich will den Steward jetzt wecken, um zwei Uhr löst Ihr ihn wieder ab. Beim geringsten Verdächtigen was Ihr seht, ruft Ihr mich. Ihr könnt zu Bett gehen, Jean«, wandte er sich dann lauter an den indessen weiter nach vorne gegangenen Matrosen. – »Es wird gleich 12 Uhr sein.«

»Soll ich Bill rufen?« frug Jean, der stehen blieb – »ich glaube Bill hat die nächste Wacht.«

»Nein, ist nicht nöthig«, lautete die Antwort. – »Ihr könnt alle zu Coye gehen.«

»Das ist eine schöne Geschichte«, dachte Jean, als er in das Logis hinabstieg, die übrigen mit dem neuen Befehl bekannt zu machen. Vorher lauschte er aber noch eine Weile unter der Logiscap, zu sehen ob ihm auch niemand folge. Als er alles sicher wußte sagte er leise:

»Hallo da – schlaft Ihr?« es war stockfinster und man konnte keine Hand vor Augen sehen.

»Ist das Jean?« frug vorsichtig eine einzelne Stimme.

»Ja«, lautete die ebenso leise Stimme – »habt Ihr alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung«, erwiederte Bill – »ist die Luft rein? meine Wacht muß gleich angehen.«

»Gebt Euch keine Müh«, sagte Jean. »Die Schufte müssen Lunte gerochen haben; wir brauchen die Nacht nicht zu wachen. Wahrscheinlich will der Mate mit dem Zimmermann, und vielleicht auch Steward selber Wache gehen. Der Capitän ist auch schon an Bord, wie mir der Zimmermann gesagt hat.«

»Verflucht noch einmal«, rief der Koch, der es in diesem Fall ganz mit den Matrosen hielt, und sprang mit einem Satz aus der Coye, in die sie sich alle, als sie das Zeichen hörten, hineingeflüchtet hatten. »Jetzt sind wir geleimt.«

»Doch noch nicht«, meinte Jean, der vorher noch einen vorsichtigen Blick nach oben geworfen. »Erst wollen wir einmal abwarten wer die nächste Wache hat, und dann sehen was sich thun läßt – wenn ich nur erst meine Siebensachen in Ordnung hätte. Ein Licht darf ich mir aber gar nicht anstecken, sonst haben wir den Satan gleich wieder auf dem Hals.«

 

»Hier, nimm die kleine Laterne«, sagte Bill und reichte sie ihm aus der Coye – »die kannst du in deine Kiste setzen, da fällt kein Strahl nach oben.« Jean fühlte sich zu ihm hin, ging in die vorderste Ecke die Kerze darinnen anzuzünden und brachte dann den vollkommen geschützten Strahl sicher in seine Kiste, die glücklicherweise an einer Wand stand und von oben aus nicht leicht gesehen werden konnte. Er brauchte auch nicht lange, mit seinen Sachen in Ordnung zu kommen; um halb ein Uhr war alles gerüstet, das Licht wieder ausgelöscht und Bob wurde jetzt zum Recognosciren an Deck geschickt. Er kam nach zehn Minuten etwa wieder herunter. Der Steward war auf Wache, und kaum hatte er diesen Bericht abgestattet, als der Zimmermann ins Logis kam, sich auszog und zu Coye ging.

Es war jetzt weiter gar nichts zu thun, und Jean faßte schon den Entschluß bis Tagesanbruch noch zu warten, dann aber, wenn sich bis dahin kein anderer Ausweg zur Flucht zeigen sollte, seine Sachen im Stich zu lassen und nur mit seinem Gelde an Land zu gehen, oder, wenn auch das nicht gehen sollte, über die Bay ans andere Ufer zu schwimmen.

Bis zwei Uhr lagen die Matrosen alle in peinlichster Erwartung; keiner schlief, keiner wagte aber auch nur ein Wort zu sprechen, denn der Zimmermann schnarchte nicht und verrieth auch sonst durch nichts, daß er selber eingeschlafen sei. Was da thun?

Ihrer Rechnung nach mußte es bald Tag werden, als der Steward in das Logis herunterkam. Er blieb erst ein paar Minuten stehen und horchte – aus allen Coyen tönte das tiefe regelmäßige Athmen fest Schlafender. Selbstzufrieden und stillvergnügt nickte er mit dem Kopf, fühlte sich dann leise, ja keinen der Leute zu stören, nach des Zimmermanns Coye hin und weckte diesen.

»Wer ist da?« rief der Zimmermann aus tiefem Schlafe auffahrend – »halt sie – da laufen sie.«

»Halt doch das Maul«, flüsterte der Steward und schüttelte ihn aus Leibeskräften, »du machst ja die ganze Mannschaft munter. – Es ist zwei Uhr, steh auf – ich bin müde wie ein Hund.«

»Ay, ay«, sagte der Zimmermann, noch immer halb im Schlaf – »ich komme gleich – wo sind denn – O ja – 's ist alles recht – ich weiß schon. – Alles in Ordnung?«

»Alles! Steh nur auf und schlaf nicht wieder ein« – antwortete ihm der Steward und wandte sich nach der Treppe zurück, stieß sich aber mit dem Schienbeine an eine dort vorgeschobene Kiste. – »Gott verdamme den Plunder!« rief er leise mit verbissenem Schmerz – »da muß ein ganzer Fetzen Haut herunter sein. – Ich wollte daß die Kerln da –«

Er brummte das andere, als er auf der endlich erreichten Treppe langsam an Deck kletterte, leise vor sich hin und verschwand gleich darauf oben.

Der Zimmermann lag noch etwa zehn Minuten still, wälzte sich dann stöhnend aus seiner Coye, tappte nach seiner dicken wollenen Jacke, die er endlich fand und anzog, nahm die Mütze von dem Nagel, an dem sie inwendig in seiner Schlafstelle ihren Platz hatte, und folgte dem Steward an Deck.

Er hatte kaum den letzten Fuß von der Leiter genommen, als Jean ebenfalls aus der Coye sprang, ihm leise nachschlich und an Deck horchte wo er blieb. Er war zurück nach dem Quarterdeck gegangen.

»Was jetzt thun?« sagte er leise, als er wieder herunterstieg – »in ein paar Stunden ist es Tageslicht, und das größte Glück, daß wir den Burschen wenigstens aus dem Logis haben. Das hätt' ich aber wissen sollen, daß er so fest wie ein Bär schlief – wir könnten jetzt alle in Sicherheit sein. Wer gibt nun den besten Rath?«

»Ob es der beste ist weiß ich nicht«, sagte der eine Deutsche, »aber etwas kann ich Euch vorschlagen: ich will mich, wenn die Luft klar ist, vorne hinunter lassen und eins von den kleinern Booten dicht unter die Klüsen holen. – Dann müßt Ihr sehen wie Ihr die Säcke, ohne daß der Zimmermann etwas merkt, einen nach dem anderen hinunterbringt, und ich schaffe sie dann ans andere Ufer hinüber, wo ich auf Euch warte bis Ihr mich abholt.«

»Aber sollen wir es denn doch nicht lieber erst einmal versuchen die Sachen an Land zu schaffen?« frug Bob, der eine Engländer. »Das wären doch verdammt weniger Umstände als mit dem Wasser – und nachher das Herumlaufen um die Bay. Es wird ja heller lichter Tag, ehe wir nur hinüber kommen.«

»Wir dürfen es nicht wagen unsere Sachen hier an Land zu bringen«, sagte der Deutsche rasch – »wenn die solche Vorsichtsmaßregeln treffen wie mit der Wache, so werden sie auch nicht versäumt haben den Constables in Sussexstreet aufzutragen, alle, die etwa hier heraus mit Bündeln kommen sollten, einfach zu arretiren. – Das ist wenigstens das Wahrscheinlichste, und dem wollen wir uns doch nicht aussetzen. Uebrigens muß der Zimmermann auch jeden sehen, der hier über den langen, schmalen, und an allen Seiten offenen Platz nach den Häusern zu geht, und würde augenblicklich Lärm schlagen!«

»Wie kommen wir selber dann aber nachher fort?« frug Jean wieder.

»O nur erst einmal die Sachen in Sicherheit, das andere findet sich dann von selber«, sagte der Deutsche – »alles klar an Deck, Jean?«

»Ja, jetzt noch; der Zimmermann kommt aber gerade wieder die Quarterdeckstreppe herunter. – Es ist die höchste Zeit.«

Ohne weiter ein Wort zu erwiedern glitt der Deutsche wie eine Schlange die Treppe hinauf, um die Logiskappe herum und in die Gallione hinaus, dort an der Ankerkette hinunter und ins Wasser hinein. Jean horchte aufmerksam, konnte aber kein Plätschern hören, so vorsichtig hatte sich jener hineingelassen.

Der Zimmermann ging ein paarmal an Deck auf und ab, und die Leute saßen indessen des Zeichens harrend, daß das Boot am Steven liege, mit klopfendem Herzen im »Logis.« Sie hatten all ihr Zeug an, was sie nur auf den Leib bringen konnten, und das übrige in die gewöhnlichen Leinwandsäcke, die den Reisesack eines Seemanns bilden, »eingestaut.« Bill nahm seinen Sack zuerst heraus und schaffte ihn, als der Wächter gerade nach vorne ging, auf die Gallione. Jean wollte aber keinen weiter hinauslassen, bis das Boot darunter liege. – Fiel es dem Zimmermann einmal ein nur ein paar Schritt weiter nach vorn zu gehen wie gewöhnlich, so waren sie zu sehr der Gefahr ausgesetzt entdeckt zu werden.

Endlich kam das erwartete Zeichen – schneller fast als sie es eigentlich hoffen konnten. – Leise wurde von außen vorn an das Schiff geklopft, und Jean horchte hinaus ob er etwas vom Wächter hören konnte.

»Wo ist der Zimmermann jetzt?« frug Bill von unten herauf – »kannst du ihn sehen, Jean?«

»Nein«, flüsterte dieser zurück, »weiß der Teufel wo er steckt – ich will lieber einmal über Deck gehen.«

»Gott bewahre«, rief Bill – »da machst du ihn nur aufmerksam. – Er wird wahrscheinlich hinten an dem Quarterdeck bei den Wasserfässern sein. – Komm nur rasch und hol' deine Sachen.«

»Wir wollen uns das anders einrichten«, erwiederte ihm Jean. – »Einer muß hinaus in die Gallione steigen, und das, was ihm gegeben wird, hinunterreichen. Bob mag sich hier hinter die Logiskappe drücken, und ich kann dann von hier aus ihm alles zugeben und zugleich das Deck übersehen. – Aber nachher auch kein Wort mehr gesprochen. – Höll und Teufel wer hat denn da unten Licht angesteckt?«

Er sprang rasch hinunter einer Unvorsichtigkeit zu begegnen, die so leicht zu ihrer Entdeckung führen konnte, denn sobald der Wachthabende Licht im Vorcastle sah, mußte er ja gleich wissen daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen war.

»Löscht das Licht aus«, rief er mit ärgerlicher, aber vorsichtig gedämpfter Stimme. – »Ihr wollt wohl die ganze Geschichte verderben? Wer hat die Laterne angesteckt?«

»Ich« – brummte Jim – ein Irländer »und verdammt gute Ursache dazu. – Ich habe eine halbe Krone hier unter die Kiste rollen lassen, und ich glaube jeder steckte sich ein Licht an, wenn er damit sein ganzes verlorenes Vermögen auf einen Strich wieder kriegen kann. – Außer der halben Krone hab' ich nur noch drei Schilling Schulden.«

3Chips, Spähne, wird der Zimmermann gewöhnlich auf den Englischen Schiffen genannt.