Schwarzer Engel Idharcal

Text
From the series: Portale, Priester und Dämonen #1
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Schwarzer Engel Idharcal
Font:Smaller АаLarger Aa

Gerhard Kunit

Schwarzer Engel Idharcal

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Schwarzer Engel Idharcal

Leseprobe: Portale Priester und Dämonen 2

Buchhinweis: Schatten und Licht – die Töchter der Göttin

Impressum neobooks

Vorwort

Der „schwarze Engel“ ist für mich ein Spiel mit Bewertungen und Vorurteilen. Brauchen wir „Gut“ und „Böse“, um uns in unserer Welt zu orientieren? Lassen sich „Licht „ und „Dunkel“ in diese Kategorien einordnen? Falls ja: Wieso ordnen wir das Licht unreflektiert dem Guten zu?

In diesem Sinn wünsche ich Euch viel Spaß beim Zerstören und Neukreieren Eures Weltbildes.

Gerhard Kunit

Schwarzer Engel Idharcal

Kennst Du den Zustand vollständiger Harmonie? Warst Du jemals mit Dir und Deiner Welt im Reinen? Das bin ich – das war ich, bis ….

Tausende und abertausende glühende Nadeln fuhren unter meine Haut, zogen, zerrten und schoben, während der Schmerz in mir zerfetzte, was gut und schön war. Überrumpelt zwar, aber nicht wehrlos, setzte ich meinen Willen dagegen, den Willen eines Wesens, das nicht göttlich war, aber auch nicht weit davon entfernt. Dutzende Feen eilten mir zu Hilfe, liehen mir ihre mentalen Kraft und stärkten mich mit lautlosen Liedern, und so widerstand ich dem verschlingenden Sog. Bündelweise wurden die Nadeln aus meinem Leib gerissen, verletzten und schwächten mich, doch auf meinen Schultern saßen Engel und standen mir bei, heilten mich im selben Maß in dem ich litt, und langsam kam ich frei.

Die glühenden Klammern kamen aus dem Nichts, umschlossen meine Glieder, fraßen sich in meine Schwingen und rissen mich ins Chaos, ehe ich der neuen Bedrohung gewahr wurde. Das Band zu meinen Helfern zerriss, als ich in den Strudel der Dimensionen stürzte, und dieser jähe Verlust schlug eine tiefere Wunde in meine Seele, als das Ausmaß meiner Niederlage es jemals könnte.

Der Vortex spie mich aus und schenkte mir einen Augenblick der Benommenheit, ehe grausames Licht über mich herfiel, gleißend, brennend und alles erstickend. Geblendet schloss ich die Augen und zuckte zurück. Die Nadeln in meinem Fleisch lösten sich auf, verschwanden ohne Sinn und Grund, doch die Fesseln aus virtueller Glut blieben und banden mich fester als zuvor. Noch wusste ich nicht, welch wahnsinnige Kreatur mir das antat, doch ich wollte mich ihr niemals beugen.

Stimmen drangen an meine Ohren, zerfetzten meine Nerven, rhythmisch zwar, aber voll schriller Harmonien. Wieso singt ihr, wenn ihr es nicht könnt, wollte ich schreien, besann mich aber eines Besseren. Ehe ich etwas unternahm oder von mir preisgab, musste ich wissen was vor sich ging und mit wem ich es zu tun hatte.

Ich konzentrierte mich so gut es eben ging. Die geschlossenen Augen schärften meine übrigen Sinne und als ich die Schmerzen aus meinem Bewusstsein verbannte, hörte ich Stimmen heraus, drei, fünf, nein sieben, unbeholfen und klagend, aber nicht minder zwingend.

Wie könnt Ihr Macht haben über mich, Ihr, die Ihr aus einer fremden Welt stammt?

Ich wappnete mich gegen die Helligkeit und blinzelte unter den Lidern hervor. Eine Kerze erstrahlte in einem kranken Grün, das mir den Atem raubte. Links und rechts davon sah ich weitere, manche näher, andere entfernter. Vierzehn Flammen in zwei konzentrischen Kreisen bildeten ringsherum die Ecken eines siebenstrahligen Sterns, eines Heptagramms, dessen Linien im Grün des Kerzenscheins metallisch schimmerten.

Jenseits der Lichter sah ich Kreaturen, die ich nicht kannte, klein und unförmig mit ihren fahlen Gesichtern und den nebeneinanderstehenden Augen, die mich ungeachtet der seltsam nackten Haut noch am ehesten an Eulen erinnerten. Platte breite Nasen standen über Mündern, die, von rötlichen Lippen umrandet, zumindest einen Hauch von Vertrautheit vermittelten. Ihre von Roben verhüllten Gestalten, die mir gerade einmal bis zur Hüfte reichten, mochten jener der Engel oder der Feen ähneln, ebenso wie ihr aufrechter Gang, doch damit waren die Gemeinsamkeiten mit diesen wunderbaren Wesen schon am Ende, und das Fehlen der Schwingen beraubte ihre Bewegungen jeglicher Eleganz. Ekel überkam mich, überrumpelte mich angesichts dieser grotesken Parodien des Lebens, brandete über mich hinweg, umso mehr als ich dieses Gefühl nicht kannte und ihm ausgeliefert war. Hilflos wie ich war, würgte ich Schleim hoch und spie ihn angewidert aus.

Gefangen in einer fremden Welt zwang ich mich zur Ruhe und entsann mich alter Legenden, die ich längst vergessen hatte. Menschen! Nicht mehr als Fabelwesen bislang, und doch existierten sie tatsächlich. Ihre Mienen spiegelten Aufregung, als könnten sie selbst nicht glauben, dass sie mich in ihren Fesseln halten konnten – so wie auch ich mich weigerte, dies als Wahrheit anzuerkennen, obwohl mir doch nichts anderes übrig blieb.

Wo bin ich? Wann bin ich? Ich erschrak, als mir bewusst wurde, welch schreckliche Antworten meine Fragen enthüllten: Gebunden an Zeit und Raum, gefangen im Irgendwo und Irgendwann war ich entwurzelt und meiner Schöpferkraft beraubt. Wohl regte sich Neugier, wer so dumm war mich herauszufordern, doch ich hatte nicht vor, deshalb hier zu bleiben. Meine Gedanken fraßen sich in die Klammern an meinen Knöcheln, Handgelenken und Flügeln, stellten ihre Struktur in Frage und ihre Absicht und sie verschwanden in das große Nichts, dem sie entstammten.

Als ich frei war, konzentrierte ich mich auf einen Mann mit einem blassgelben Bart in seinem Gesicht, sprang vor und schlug zu. Unsäglicher Schmerz warf mich zurück, als ich gegen eine Barriere prallte, und konfrontierte mich mit meiner Ohnmacht. Während ich haltlos schrie, flammte ein anderes Gefühl in mir auf, heiß und kraftvoll, ebenso unbekannt wie verlockend: WUT!

Wohl zuckte der Mensch zurück, mit weit aufgerissenen Augen, doch sein Schreck wich einem zynische Grinsen, als er erkannte, dass seine perfide Falle meinem Ansturm standhielt. „Gehorche, Dämon!“, rief er, als müsste er mit seiner Stimme zuerst seine eigene Angst überwinden. „Du bist mir untertan, jetzt und so lange ich das will!“

Da kannst du lange warten, dachte ich, während ich auf ihn hinabsah. Noch kann ich deinem Gefängnis nicht entrinnen, aber dienen werde ich dir deshalb noch lange nicht.

„Füge Dich, Bote der Finsternis, Nachtbringer, Schwarzer Engel, Idharcal!“, fuhr er fort.

Sein letztes Wort fraß sich wie eine Peitsche in mein Denken und Entsetzen überwältigte mich, als ich meinen wahren Namen vernahm, jenen Namen, der ihm Macht verlieh über mich, meinen Körper und meine Handlungen. Ich war gefangen und verloren, ausgeliefert und vernichtet, gebunden an eine mindere Kreatur mit schwachem Geist und zweifelhaften Motiven.

„Dämonischer Diener Idharcal“, fuhr er fort und schielte dabei auf ein Buch hinab, als müsste er die Zeilen ablesen. „Wandle Dich und halte still, sieh jetzt aus, wie ich es will. Täusche mich und jeden hier, sei den Menschen eine Zier.“

Fast hätten mich seine dumpfen Reime amüsiert. Umso erstaunter war ich, als sie ihre Kraft entfalteten. Meine Glieder schrumpften unter unsäglichen Qualen und meine wunderschönen, in dunklem Purpur schillernden Schuppen brannten, als stünde sie in Flammen, bis nichts davon blieb, als fahle, glatte Haut mit grässlichen Härchen. Meine Schwingen schrumpelten wie Haare im Feuer, bis sie sich die kümmerlichen Reste hinter meine Schulterblätter zurückzogen, während ich kleiner und kleiner wurde und als ich endlich wieder aufsah, befand ich mich mit dem Menschen auf Augenhöhe.

Ungläubig sah ich an mir hinab, suchte vergeblich meine Klauen, die unförmigen, zylindrischen Fingern gewichen waren, tastete nach meinen geschwungenen Hörnern und fand nur eine konturlose Stirn. Als ich endlich begriff, was geschah, was dieser Mensch mir antat, schrie ich, wie ich noch nie zuvor geschrien hatte. Erniedrigt und verunstaltet sank ich in mich zusammen, wollte sterben, aufhören, enden, während ich immer weiter schrie und schrie und nicht mehr damit aufhörte. Der Atem verätzte meine Lunge, zerstörte mich von innen heraus, und doch musste ich atmen, um in dieser kranken Welt zu existieren. Die abstoßende Haut brannte, als läge Säure in der Luft und sogleich begann meine Kraft den fremden Körper zu heilen, den ich doch lieber vernichtet hätte, so dies in meiner Macht gestanden hätte.

„Idharcal!“ Die Stimme des blonden Mannes fraß sich in die kleinen, runden Ohren an meinem kleinen, runden Schädel. „Ich bin Jonas, dein Herr und Meister“, fuhr er fort.

Das bist du nicht und wirst du niemals sein, wollte ich entgegnen, doch meine Stimme versagte, als ich erkannte, dass er die Wahrheit sprach.

„Sieh mich an und hör mir zu“, sagte er ebenso leise wie unwiderstehlich.

Ich heftete meinen Blick in seine Pupille, wollte ihn verbrennen mit meinem bloßen Willen, doch Jonas hielt einen grünen Kristall vor sein Auge, dessen Funkeln mir jegliche Kraft raubte, die noch in mir war. Ekel, Angst und Wut verschwammen zu einer amorphen Masse ungekannter Gefühle, bis sie einer neuen Macht wichen, die stärker war als Alles andere: In mir erwachte HASS – auf Jonas und die übrigen Beschwörer, auf die Menschen, auf diese Welt, auf diese Zeit – und auf mich selbst, weil ich zuließ, was mit mir geschah.

 

„Hör mir zu“, wiederholte Jonas eindringlich. „Ich weiß nicht, warum du in unsere Welt gekommen bist, aber für uns ist es Vorsehung und zugleich die Antwort auf unsere Gebete. Wir alle sind in größter Gefahr und du wirst diese dunkle Bedrohung abwenden. Hilf uns, und danach werden wir sehen, wie wir dich befreien können.“

LÜGE, tobte es in mir. Wie kannst du nicht wissen, warum ich hier bin? Wie kann etwas Dunkles eine Bedrohung sein, wo doch nur das Licht schmerzt und zerstört? Und doch war es auch WAHRHEIT. Ich stürzte mich brüllend auf ihn, doch wie zuvor warf mich die Barriere zurück. Wieder zuckte Jonas zusammen und die beiden Frauen neben ihm schrien auf, aber letztlich offenbarte ich nur meine Hilflosigkeit.

„Lass es“, sagte Jonas mit brutaler Sanftmut. „Es hat keinen Sinn.“

Ich knirschte mit den Zähnen – und fragte mich, ob dies das Einzige war, wozu die stumpfen Stummel taugten. Dennoch war dieser Mensch mit den blassen Haaren jetzt mein Meister, und er besaß den grünen Kristall, also sprach er die Wahrheit. Doch die ergab keinen Sinn, ganz so wie er soeben selbst gesagt hatte.

„Suche dieses Gebäude“, trug er mir auf und hielt mir dabei ein Bild vor die Nase. „Geh ohne jede Verzögerung in den zweiten Stock in das Büro von Marius Hofmann und verbrenne alles, was sich darin befindet. Hernach kommst du unverzüglich hierher zurück und begibst dich wieder in diesen Bannkreis. Du wirst dich weder gegen mich noch gegen einen anderen hier im Raum oder sonst wo in diesem Gebäude wenden. Hast du das verstanden?“

„Ja, mein Herr und Meister“, bestätigte ich mechanisch, während sich Alles in mir gegen meine Worte sträubte.

„So ist’s gut“, sagte Jonas. „Zieh das an.“

Ich kannte nichts von dem, was er mir vor die Füße warf und wusste dennoch, was zu tun war. Nacheinander schlüpfte ich in die Unterhose, das weiße Hemd und die dunkelgraue Anzughose. Ich zog die schwarzen Schuhe an und knotete das seidige Band um meinen Hals, als hätte ich es schon hunderte Male getan, ehe ich das Sakko überstreifte und den oberen der beiden Knöpfe schloss. Wieso nur einen, dachte ich unnötigerweise, wo doch alles auf dieser Welt seltsam erschien.

Jonas löschte zwei der Kerzen im äußeren Kreis und eine im inneren. „Geh und tu, wie dir geheißen“, sagte er betont salbungsvoll.

Zögerlich trat ich aus dem Symbol meiner Knechtschaft, doch diesmal blieb der Schmerz aus. Erst jetzt nahm ich die übrigen Menschen im Raum wahr. Insgesamt waren es sieben, also hatte mich mein Gehör nicht getrogen. Während die Männer jede meiner Bewegungen mit unterdrückter Furcht verfolgten, musterten mich die drei Frauen, als sähen sie mich zum ersten Mal. Eine wankte leicht, ehe sie sich fing, und eine andere strich sich die Haare aus dem Gesicht, während sich der Geruch ihres Schweißes veränderte. Ich sah sie an, überlegte, sie mit einem raschen Hieb zu töten – was mir ebenso verboten war, wie die noch verlockendere Option Jonas den Hals zu brechen. Sie erwiderte meinen Blick und errötete, während sich ihr Atem beschleunigte.

Ich wandte mich ab, durchschritt die Türe, die ich vergeblich nach magischen Schranken absuchte und stieg eine Wendeltreppe hinauf, bis ich in einen Flur kam, von dem ein Tor ins Freie führte. Wasser peitschte mir ins Gesicht und verletzte meine Haut, die in derselben Sekunde wieder verheilte. Hinter mir ragte das Gebäude vier Stock hoch auf, still und unbelebt, mit dunklen Fenstern als wäre es verlassen. Ich prägte mir die Verzierungen der Fassade ein, damit ich das Haus rasch wiederfinden könnte.

Trotz des nachtschwarzen Himmels war die Stadt hell erleuchtet. Scheinwerfer von Autos tasteten durch die Regenschleier, und die Menschen auf den Gehwegen duckten sich vor den Fontänen weg, die unter den Reifen wegspritzten. Die meisten hielten die Köpfe gesenkt und zogen ihre Mäntel hoch, als wären sie hier ebenso fremd wie ich, aber das konnte wohl nicht sein. Zumindest die zahlreichen künstlichen Lichter hatten etwas Tröstliches und blendeten nicht so, wie die abgründigen Flammen der Kerzen. Ich sah in den Nachthimmel, zu dem grauen Streifen weit im Westen und fragte mich, welch unbarmherziges Gestirn diese Welt verbrennen mochte, wenn es erst Tag wäre und wolkenlos.

Ich hatte nicht vor zu bleiben, bis ich es herausfände. „Leb wohl, du schnöde Welt“, rief ich und imaginierte meine Kristallgrotte, den Sitz meiner Herrschaft in Helgard. Nichts kann mich hier halten, dachte ich. Weder an diesem Ort, noch in dieser Zeit, kein Fluch, kein Spruch und kein Jonas.

Das Bild in meinem Kopf zerstob in knisternden Funken, während ich die Hände gegen meinen Schädel presste und gegen den aufsteigenden Wahnsinn ankämpfte. Dieser schwache Mensch hatte mich, einen schwarzer Engel, tatsächlich an die Grenzen von Raum und Zeit gefesselt und selbst die Kraft meines unendlichen Geistes kam nicht dagegen an. Zähneknirschend fügte ich mich in meine Aufgabe, der ich mich nicht entziehen konnte.

Das Wissen, wohin ich mich wenden musste, was ich sah und wie ich mich verhalten sollte, war in mir, war es immer schon gewesen, obwohl es jetzt erst erwachte. Gleichzeitig entsann ich mich der uralten Kunst der Schattenpforten und wollte sogleich probieren, ob ich diese Fähigkeit hier nutzen konnte. Ich beschleunigte meine Schritte, wartete bis mich niemand beachtete, was trotz der vielen Menschen erstaunlich oft der Fall war, und sprang, verschwand zwischen den Dimensionen und tauchte ein oder zwei Blocks weiter wieder aus den Schatten. Es erfüllte mich mit Genugtuung und wachsender Zuversicht, dass mir dies mit zunehmender Präzision gelang, obwohl ich mich hier nach wie vor fremd fühlte.

Fünf oder sechs Sprünge später stand ich vor dem Gebäude, dessen Bild Jonas mir gezeigt hatte. Die Statue oberhalb des Portals zeigte eine Frau mit verbundenen Augen, die eine Waage und ein Schwert in ihren Händen hielt. Zweifellos handelte es sich um Justitia, eine mächtige Dämonin – und nebstbei eine gute Freundin. Sie suchte die Wesen vieler Welten heim, fand abgründigen Spaß darin, sie im Namen selbst ernannter Gerechtigkeit zu Schandtaten zu verführen, die ihresgleichen suchten. Offenbar wurde sie auch hier verehrt, obwohl die unförmige Menschengestalt dieser Skulptur ihrer reptilienhaften Anmut nicht einmal annähernd gerecht wurde.

Ich betrat die großzügig gestaltete Eingangshalle und orientierte mich. Eine Frau in graublauer Uniform eilte mir entgegen. „Wir haben schon geschlossen“, sagte sie abweisend. „Die Amtsstunden sind am Vormittag.“

„Marius Hofmann? Wo finde ich ihn?“, erkundigte ich mich und zwang meine ungewohnte Mimik in das, was die Menschen Lächeln nannten, während ich den Namen las, der an ihrer Uniformbluse stand. „Daniela?“

Sie setzte zu einer Entgegnung an, hob den Blick und sah mir in die Augen. „Oh!“, sagte sie entgegen ihrer ursprünglichen Absicht und errötete. „Die Treppe hinauf in das zweite Obergeschoss und dann links.“

„Danke“, erwiderte ich ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Für hiesige Verhältnisse war sie mit ihrem herzförmigen Gesicht, den großen hellen Augen und den dunkelblonden Haaren vermutlich recht ansehnlich, und je rascher ich mich an das Aussehen der Menschen gewöhnte und ihr Verhalten durchschaute, desto eher könnte ich Jonas entkommen und in meine Dimension zurückkehren. Vom Absatz zum Halbstock sah ich mich noch einmal nach ihr um und entlockte ihr damit ein breites Lächeln.

Zimmer 216, Marius Hofmann, Strafrichter, stand auf einer Tafel, die vergeblich nach Gold aussehen wollte. Hier war ich richtig. Ich drückte die Klinke und trat ein. Der Mann hinter dem wuchtigen Schreibtisch sah von seinen Papieren auf, schob seine Brille auf die kahle Stirn und sah mich fragend an. „Haben wir einen Termin?“

„Sie sollten jetzt gehen“, sagte ich. „Sofort. Es ist besser so.“

„Ich denke nicht daran“, bäumte er sich auf. „Was erlauben sie sich? Wer sind sie überhaupt?“

Verbrenne Alles, was sich im Büro von Marius Hofmann befindet, hatte Jonas befohlen, und so blieb mir keine Wahl. Zumindest könnte mir Justitia nicht vorwerfen, ich hätte ihren Diener nicht gewarnt. Außerdem verfügte sie über so viele willenlose Schergen, dass es ihr auf diesen einen nicht ankäme. Sie war ein liebes Mädchen, selten nachtragend, und vielleicht traf dies hier sogar ihren abgründigen Humor.

Ich schloss die Tür hinter mir und die Schalldämmung verschluckte Marius‘ Schreie fast völlig. Er kreischt gar nicht schlecht, dachte ich mir, obwohl er nicht annähernd an die zweistimmigen Disharmonien einer ausgebildeten Banshee herankommt.

Da ich mich allmählich an die Steifheit der menschlichen Beine gewöhnte, brachte ich die Treppen rasch hinter mich. „Daniela!“, rief ich und winkte die Beamtin heran. Sie errötete schon wieder. „Was ist ihre Begierde? – Äh, ihr Begehr?“, verhaspelte sie sich und sah mich dabei an, als wäre ich das Heil dieser Welt.

„Ich möchte, dass sie die Feuerwehr rufen. Im zweiten Stock brennt es lichterloh. Können sie das für mich tun, Daniela?“

Sie starrte mich an und nickte mechanisch, während sie nach ihrem Telefon griff.

„Danke“, sagte ich, kniff sie in die Wange und ließ sie stehen. Unverzüglich, hatte Jonas befohlen und diesen spärlichen Spielraum hatte ich bereits ausgeschöpft, wie mir das Ziehen in meinem Mark unmissverständlich verdeutlichte. Also ließ ich das Gebäude hinter mir und machte mich auf den Rückweg. Der Regen hatte aufgehört und die Straßen waren trotz des späten Abends deutlich belebter.

Obwohl mich nach wie vor jeder Atemzug schmerzte und das Brennen auf der Haut eher noch zunahm, kam ich schon deutlich besser mit der fremden Welt zurecht. Es war, als könnte ich die ständigen Qualen ausblenden, solange ich nur beschäftigt war.

Ein Stück weiter drängte eine Traube von Menschen in einen Eingang, über dem schrille Neontafeln prangten, also wählte ich eine parallele, wenig benutzte Seitengasse und sprang wieder durch die Schatten. Beim zweiten Sprung materialisierte ich vor einem verlassenen Lokal, und ein Mann, den ich zuvor nicht wahrgenommen hatte, drehte sich um und sah mich an. Ich ging gleichgültig weiter, doch als er sich schon abwenden wollte, weiteten sich seine Augen und er starrte mich an. „Wer bist du?“, stammelte er und wich erbleichend zurück, bis er an die Hauswand stieß. „Was bist du?“

Warum kann er mich sehen? Als was sieht er mich? Unverzüglich hatte Jonas gesagt, aber was bedeutete das schon. Etwas in mir zerrte mich in Richtung meiner Peiniger und ließ mir keine Ruhe, aber dieser Mensch hier sah mehr als andere, und diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen. „Wie komme ich in meine Welt zurück?“, herrschte ich ihn an.

„Weiche, Ausgeburt der Finsternis“, rief er, hob die Arme zur Abwehr und brach in die Knie.

„Wie komme ich in meine Welt zurück?“, wiederholte ich deutlich sanfter, obwohl in mir eine rasende Wut kochte, eine Wut auf alles was hier war und was hier geschah.

Er senkte den Kopf, schloss die Augen und faltete die Hände vor seinem Gesicht. „Gegrüßet seist du Maria“, flüsterte er in tonlos schneller Folge. „Voll der Gnade, der Herr ist mit dir.“

Zweifellos rezitierte er die Anrufung eines Lichtwesens, doch diese manifestierten in dieser kalten, realistisch geprägten Welt wohl ebenso wenig wie wir, die Avatare der schützenden Finsternis. Andererseits, ich war hier, und auch Justitia hatte Spuren hinterlassen, also gab es Wege. Ich musste sie nur finden.

„Heilige Maria, Mutter Gottes ...“, brabbelte der Mann inzwischen, doch das Ziehen in mir wurde heftiger. Mir lief die Zeit davon. Niemand ignoriert Idharcal, tobte der Zorn in mir. „Wie?!“, brüllte ich und riss den Kopf des Knieenden nach hinten, damit er mich endlich ansah.

Das tat er dann auch, aus weit aufgerissenen, gebrochenen Augen. Hier bekam ich keine Antworten mehr. Das hatte ich nicht gewollt, doch Wut und Hass waren mächtige Gefühle, und sie waren neu für mich, waren gleichermaßen verlockend wie verstörend. Dennoch musste ich lernen sie zu beherrschen, wenn ich nicht zu ihrem Sklaven werden wollte. Zudem war ich überrascht, wie zerbrechlich die Menschen waren. Selbst die zarteste Todesfee war um Einiges robuster, als diese plumpen, eigentlich kompakt wirkenden Körper.

 

Der Sog in mir wurde jetzt unerträglich, und so legte ich die verbleibende Strecke in zwei großen Sprüngen zurück, ohne mich weiter um Verstohlenheit zu bemühen. „Du kommst spät“, herrschte Jonas mich an, als ich vor ihn trat. „Hast du deine Aufgabe erledigt?“

Ich nickte steif und knurrte ein halb verschlucktes „Ja“.

Sein Genick ist auch nicht stabiler, als jenes des Mannes auf der Straße“, flüsterte Etwas in mir und entflammte meinen Hass aufs Neue, doch schon das kleinste Zucken meiner Hand in seine Richtung offenbarte mir die völlige Unmöglichkeit, sie gegen ihn zu erheben.

„Das würdest du wohl gerne“, sagte Jonas mit unverhohlener Befriedigung. „Warum bist du ein so störrischer Diener?“ Er öffnete die Türe zum Keller und vollführte eine zynisch einladende Geste. „Du hilfst uns, und danach entlassen wir dich in deine Dimension. Das ist unsere Abmachung.“ Ich musste ihm glauben, konnte gar nicht anders, und doch fühlten sich seine Worte ebenso falsch an wie zuvor.

In dem Verließ mit dem Heptagramm erwartete uns eine Frau. Ich hatte sie schon gesehen, bei meiner Ankunft als verschwommene Kontur neben Jonas, doch jetzt betrachtete ich sie genauer. Sie schlug die Augen nieder, als ich sie musterte, aber durch ihre Wimpern erwiderte sie meinen Blick.

Sie war hagerer als Daniela und vermutlich auch älter. Ihr Haar war ebenso hell wie Jonas‘, zeigte aber jenen rötlichen Einschlag, der sich häufig bei Feuerkobolden und hie und da bei den hübschen Seelenräubern zeigte. Mit ihren hellgrauen Augen und den zahlreichen Sommersprossen wirkte sie auf mich weniger abstoßend als viele andere Menschen. Ich fragte mich, wie sie hieß, während Jonas und eine weitere Beschwörerin ungeduldig und wohl auch ein bisschen nervös wurden. Trotz ihrer erwiesenen Macht über mich waren sie sich ihrer Sache keineswegs so sicher, wie sie vorgaben.

„Silke“, flüsterte die Rotblonde, während sie sich zu den Kerzen bückte, die mich wieder in dem Siebenstern einschlossen. „Ich heiße Silke.“

„Sehr erfreut, Silke“, wisperte ich, und sie errötete, was nun wirklich nicht an der spärlichen Hitze der grünstichigen Kerzen liegen konnte.

* * *

Ich versenkte mich in eine tiefe Meditation, um dem doppelten Gefängnis aus Heptagramm und erniedrigender, ständig schmerzender Gestalt zumindest zeitweilig zu entrinnen. Hier, in meinem Inneren, war ich, was ich war, konnte ich einfach ich sein, und so dämmerte ich in einen wohligen Traum hinüber.

Schwermütige Disharmonien einer Banshee umschmeichelten meine Sinne, während ich auf einem Diwan aus heißem schwarzem Vulkanstein ruhte. Ein dunkler Engel hatte sich in meine rechte Schwinge gekuschelt und schlief seelenruhig, während sich vier Blutkobolde um die Reste meines Mahls balgten. Todesfeen drehten sich in einem ausgelassenen Reigen und tanzten die Legende von Schöpfung und Vergehen, zeichneten mit ihren Bewegungen die Essenz jener zweigesichtigen Göttin, die doch nur in ihrer Ganzheit bestehen konnte. Was half es da, wenn kleingeistige Wesen mit Akribie festlegen wollten, welche ihrer Aspekte gut oder böse seien und sich sogar noch darum stritten, in welchen Kategorien dieses Böse denn zu messen und zu erfassen wäre. Am Schluss blieb doch immer nur das göttliche Ganze, egal welche seiner Facetten sie ablehnten – oder erst gar nicht sehen wollten.

Zufrieden sog ich die schwefelhaltigen Schwaden in meine Lungen und genoss das Prickeln der würzigen Atmosphäre. Blitze zuckten durch das dämmrig rote Zwielicht und erhellten die Kristallhöhle bis in ihre hintersten Winkel, ehe Schwärze erneut Oberhand gewann über das irisierende Funkeln der Steine. Da stahl sich grünlich krankes Licht in meinen Traum und ich blinzelte verwirrt, ehe ich begriff, was es bedeutete.

„Idharcal, dämonischer Diener“, hörte ich eine Stimme, die ich hasste, wie keine andere. „Erwache und gehorche, wie es dir geziemt.“

Obwohl ich innerlich tobte, blieb mir keine Wahl. Waren Wut und Hass auch nur Aspekte der göttlichen Ganzheit, die ich bislang abgelehnt hatte, die ich nicht hatte sehen wollen?

„Sieh her, Dämon“, befahl mein Meister. Der Mann neben ihm hielt einen flachen Schirm in seinen Händen, in dem Bilder zu sehen waren. Das Gerichtsgebäude im Hintergrund erkannte ich auf den ersten Blick. Davor standen rote Fahrzeuge mit grell blinkenden blauen Lichtern, doch die Kamera fokussierte auf eine hektisch wirkende Frau, die sich eine Stange mit einer kugelförmigen Verdickung vor ihren Mund hielt.

„Deborah Samson für RTV aktuell. Während im Oberlandesgericht hinter mir die letzten Brandherde erstickt werden, ist nun Gewissheit, was bislang nur befürchtet wurde. Marius Hofmann, jener Richter, der zuletzt mit dem Fall rund um den Zusammenbruch der Müller-Dettmann Bank betraut war, wurde tot aufgefunden, inmitten seines völlig zerstörten Arbeitszimmers.“

Neben dem Kopf der Frau erschien das Bild des Mannes, und darunter wurde sein Name eingeblendet. Wozu, schoss es mir durch den Kopf. Den hat sie doch soeben gesagt.

„Die jüngsten Erkenntnisse widerlegen die anfängliche Theorie eines Selbstmordes im Zusammenhang mit einer kolportierten Erpressung. Die Ermittlungen konzentrieren sich jetzt auf jenen Mann, der den Richter nur wenige Minuten vor dem Ausbruch des Feuers besucht haben soll. Bei mir ist Daniela Gurrit, eine Beamtin der Justizwache die den Verdächtigen aus nächster Nähe gesehen hat. Welchen Eindruck hatten sie von dem Mann, der mittlerweile zur Fahndung ausgeschrieben wurde?“

You have finished the free preview. Would you like to read more?