Nämlich verheiratet

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Prompt stand Harald in der Tür und fragte bissig. „Willst du etwa jeden Furz, den ich lasse, in dieser ‚Minna‘ veröffentlichen?“

„Vom Single zum Ehemann! Eine Geschichte, die das Leben schreibt. Wär doch was!“

„Ohne mich!“

„Unter dem Motto: Der ideale Weg zu einer kreativen Partnerschaft!“

Harald stand vor der Frage, heftigst zu reagieren, sich diese ihre Absicht ganz und gar zu verbitten, oder erst einmal souverän darüber hinweg zu sehen und ihre Attacke ins Leere laufen zu lassen. Er entschloss sich für Letzteres. Er blieb an der Tür, verneigte sich galant und wies mit der Hand zum Badezimmer. Tina stutzte, sprang resolut aus dem Bett und eilte stumm an ihm vorbei .

Harald schaute ihr kurz hinterher, drehte sich um und steuerte einen Sessel an. Für einen Moment bewegte ihn der Gedanke, in die Küche zu gehen und schon mal Kaffee zu kochen. Das Los hatte zwar anders entschieden, aber wie die Dinge im Moment nun mal lagen, würde noch geraume Zeit verstreichen, bis er endlich bisschen was futtern konnte. Und nach der glücklichen Nacht mit seiner Eroberung war das langsam dringend nötig. Ungeduldig erhob sich Harald und ging zur Tür. Er hörte, wie im Bad noch immer das Wasser rauschte. Nahm Tina ein Bad? Reichte es nicht, sich zu duschen? Harald machte kehrt, ging nicht in die Küche. Das wäre jetzt ein Fehler gewesen. Das Los hatte entschieden, dabei musste es bleiben. Er hatte sich gerade wieder gesetzt, da erschien Tina im Bademantel und sagte:

„Hör mal! Könntest eigentlich inzwischen den Tisch decken! Bei mir dauert es noch einen Moment.“

Und schon war sie wieder verschwunden. Harald setzte zu einer lauten Widerrede an, flegelte sich dann aber hin, nahm unwirsch eine Zeitung, schaute auf das Titelblatt. Doch das konnte ihn nicht ablenken. Erbost knallte er die Zeitung auf den Tisch, sprang auf und eilte hinüber ins Bad, wo Tina vorm Spiegel stand, sich umdrehte und ihn erstaunt anschaute.

„Hör mal“, sagte er brummig, „wenn du jetzt deine Ehe-Doktrin aus der ‚Minna‘ an mir ausprobieren willst, geht das schief! Das verspreche ich dir!“

Tina war nicht gewillt, auf seine verärgerte Tour einzugehen. Sie konzentrierte sich auf ihre Wimpern und reizte Harald damit noch mehr.

„Und dann noch Sybille!“ rief er erbost, „hörst du überhaupt zu?“

„Natürlich!“

„Müsste sie nicht längst hier sein?“

„Keine Ahnung!“

„Wird jedenfalls ganz schön spannend!“

Harald hatte inzwischen begriffen, dass sein Angriff auf Tinas journalistische Arbeit nicht gerade geschickt gewesen war. Schließlich war noch genügend Zeit, über Neuerungen ihres Zusammenlebens in aller Ruhe zu reden. Daher hatte er den Themenwechsel versucht und von Sybille gesprochen. Und Tina stieg voll darauf ein. Während sie andächtig in den Spiegel schaute, sagte sie wie nebenher: „Hast du was mit ihr?“

„Wie kommst du darauf?“ reagierte Harald möglichst unbefangen. Er hoffte innig, dass sie seine intime Beziehung zu Sybille nicht wirklich kannte. Eigentlich konnte sie nur ahnen. So war es denn auch.

Tina antwortete mit einer Behauptung: „Sie ist scharf auf dich!“

„Findest du?“ fragte er daraufhin in ostentativer Unschuld. Harald bangte vor einem weiteren Disput in dieser Frage. Vermutlich wusste Tina doch mehr, als ihm lieb war. Er musste das Thema möglichst schnell enden, bevor es noch heikler wurde. Er simulierte, im Haus irgendetwas gehört zu haben und sagte:

„Oh! Das klang wie die Post! Ich geh mal!“

Flugs verließ er das Bad und die Wohnung. Tina nutzte den Moment, um sich anzukleiden. Sie versuchte, Haralds Reaktion von eben zu deuten. Klar war, dass er das Thema nicht mochte! Ob er mit Sybille geschlafen hatte, würde er ihr sowieso nie gestehen. Und wenn, dann war es eigentlich normal. Nicht normal indessen wäre es, wenn er das Verhältnis nun noch weiter ‚pflegen‘ würde. Heutzutage wär’s zwar auch schon fast normal, aber Tina würde sich damit keinesfalls anfreunden können. Heirat war für sie denn doch noch etwas wirklich Besonderes. Dafür wollte sie in der „Minna“ streiten. Wenn man weiter quer durch die Botanik herumbumsen will, fand sie, dann braucht man nicht zu heiraten. War jedenfalls ihre feste Überzeugung. Was ihr übrigens auch Einschränkungen auferlegte. Mit Rudolf, einem erfahrenen Mann und Schauspieler, war sie schon seit einiger Zeit immer mal wieder ganz gern ins Bett gestiegen. Sie wusste und spürte zwar fast stets, dass er sie einfach nur so mal mitnahm, aber die intime Begegnung mit ihm war bislang immer ein Erlebnis gewesen. Tina merkte auf.

Harald stand vor ihr und wedelte mit drei Briefen: Sieht aus wie Glückwünsche.“

„Nur mal fix den Kaffee los lassen“, entgegnete Tina und eilte in die Küche. Harald schaute sich die Briefe noch einmal in Ruhe an. Einen Umschlag musterte er besonders, dann legte er ihn betont zur Seite. Einen Brief öffnete er.

„Meine Eltern!“ rief er und entfaltete den Briefbogen. „Soll ich vorlesen?“

Tina war inzwischen ins Zimmer zurück gekommen. „Ich bitte darum“, sagte sie, setzte sich und griff nach den zwei Briefen. Bei dem einen, was Harald sehr wohl registrierte, blickte sie kurz auf und legte ihn erst einmal etwas abseits. Dann schaute sie zu ihrem Gatten, weil er noch immer nicht vorlas.

Nun begann Harald leicht pathetisch: „Liebe unbekannte Tina...“

„Sehr richtig!“ unterbrach Tina und hob zur Betonung ihren Zeigefinger.

Harald protestierte still, indem er den Kopf schüttelte, las aber weiter: „...und unser lieber Harald, Dank für Eure Post. Wir senden herzliche Glückwünsche zu Eurem, wie wir denken, etwas schnellen Schritt. Hoffentlich habt Ihr alles gut überlegt. Nochmals Glück und Gesundheit! Ein Geschenk müssen wir noch einkaufen, es ging einfach zu schnell. Eure lieben Eltern.“ Er drehte den Briefbogen und fuhr fort. „Hier steht noch etwas am Rand. Für mich persönlich.“

„Und?“ fragte Tina und öffnete mittlerweile den anderen Brief.

Harald wiegte den Kopf, zögerte:Mein Mütterchen!“

„Und zwar?“ reagierte Tina hartnäckig und gar nicht einfühlsam.

„Hier steht: ‚Lieber Harald, ich muss Dir wirklich noch sagen, dass ich Dich nicht ganz verstehe. Warum so plötzlich heiraten? Man muss sich doch erst kennenlernen. Aber Du wirst schon alles richtig machen. Viel Glück! Mutti.‘“

Darauf Tina trocken:Wenn sie wüsste, dass du nicht einmal Kaffee kochen kannst, wäre sie froh, dich endlich unter der Haube zu wissen.“

Harald lachte: „Hab ich doch ganz gut gemacht. Oder?“

Tina ging nicht darauf ein. „Meine Mam!“ Sie hatte inzwischen den Brief überflogen und las vor: „‘Meine liebe Tina. Ich bin richtig erschrocken. Musste das sein? Entschuldige Deine Mam, aber ich möchte Dich fragen: Ist etwa etwas Kleines unterwegs, dass Du so schnell heiraten musstest? Ach, meine liebe Tina, stellst Du Sachen an! Na, ich hoffe das Beste. Bleibe gesund und grüße Deinen Mann von mir. Wenn Du Dich einmal ausweinen musst, komme zu mir. Ich bin immer für Dich da. Deine Mam.‘ Ist das nicht rührend?“

„Deine alte Dame ist, scheint‘s, nicht gerade gut auf mich zu sprechen.“

„Geschieht dir recht!“ antwortete Tina und griff nun beherzt nach dem zweiten Brief. „Was haben wir noch?“ Obwohl sie schon eben geschaut hatte, tat sie so, als ob sie erst jetzt den Absender erkennen würde: „Ah! Rudolf! Diese treue Seele!“

Harald demonstrierte äußerstes Befremden: „Woher weiß der überhaupt?“

„Buschfunk!“

„Buschfunk?“

„Na ja, hab ihm eine SMS geschickt!“

„Dem?“

„Aus Anstand, verstehst du?“

„Na fein!“ sagte Harald möglichst trocken und sachlich. Er hatte sich entschlossen, diesen Herrn Schauspieler absolut auf die leichte Schulter zu nehmen. Das schien ihm der beste Weg, den hoffentlich verflossenen Liebhaber von Tina sozusagen sterben zu lassen. Nun dieser Brief. Neugierig war er halt auch. Also forderte er: „Lies vor!“

„Vorlesen?“ meinte Tina erstaunt: „Nichts für dich!“

Harald prompt: „Na hör mal! In einer Ehe gibt es keine Geheimnisse!“

„Bist du sicher?“ fragte Tina sofort mit einer Bestimmtheit, die jede Antwort Haralds zu einer Grundsatzerklärung machen würde. Doch er zögerte nicht.

„Ganz sicher!“

„Na gut!“ reagierte Tina zufrieden. Und betont ungläubig fuhr sie fort: „Probieren wir’s!“ Sie nahm den Brief, überflog ihn kurz, wiegte erst einmal unschlüsssig ihren Kopf ein wenig hin und her, begann dann aber zu lesen: „Liebe Tina, bin schockiert. Kann nur sagen: ein neckischer Einfall von Dir. Aber so bist Du. Komme nächstens vorbei. Werde Dir den Zahn schon ziehen. Dein Rudolf.“ Und mit unverhohlener Freude fügte Tina hinzu: „Der Zahn bist du!“

Harald sofort sarkastisch: „Der Herr soll mal lieber den Mund halten.“

Tina ging nicht darauf ein und legte den Brief erst einmal ab. Dabei beobachtete sie ihren Gatten, der nach wie vor bequem in seinem Sessel saß und keinerlei Anstalten machte, ihr nun ein wenig zur Hand zu gehen. Im Gegenteil, er schaute zu Tina in einer Haltung, als ob er missbilligte, dass sie ihn nicht längst bediente. In deutlicher Anspielung auf seine Haltung sagte sie ungeduldig: „Ob du die bessere Entscheidung bist, wird sich erst noch zeigen. Hier türmen sich jedenfalls schon die Fragezeichen. Der Tisch zum Beispiel könnte längst gedeckt sein!“

„Das Los hat entschieden – du machst das Frühstück!“

„Ich koch den Kaffee!“

„Warum bist du heute so pingelig?“ reagierte Harald entrüstet. „Das ist ja ehetödlich!“

Tina erhob sich stumm und ging in die Küche. Sie war wütend. Ja, sie war wütend. Während sie auf einem Tablett Teller und Tassen sortierte, kam sie allerdings ins Zaudern. Benahm sie sich etwa affig, weil sie erwartete, dass ihr Ehemann mit half. Nein, sie benahm sich nicht affig! Ihres Erachtens wäre am Tag nach der Hochzeit sozusagen ein wirklich historischer Moment gewesen, den neuen Lebensabschnitt konsequent und locker gemeinsam anzugehen? Und eben auch schon bei so nebensächlichen Sachen wie dem Frühstück! Was heißt nebensächlich? Frühstück ist keine Nebensache! Im Gegenteil! Es ist geradezu symptomatisch für den aktuellen Zustand der Ehe, es ist vor allem – kulturvoll eingenommen – fast bestimmend für den weiteren Verlauf des Tages. Und schon war Tina wieder wütend. Sie hatte eben nach den Eiern gegriffen, lies das aber sein und eilte ins Wohnzimmer zurück, stellte sich in die Tür und sagte innerlich bebend, aber möglichst souverän: „Mal sehen, wie lange ich Lust habe, dein Dienstmädchen zu spielen.“

 

Und schon verschwand sie wieder in der Küche. Jetzt hielt es Harald nicht im Sessel. Er schraubte sich heraus und begab sich in die Küche. Dort blitzte ihn Tina überrascht an, sagte aber kein Wort. Ein bisschen widerstrebend, aber dann doch mit Laune stach sie zwei Eier an und legte sie ins inzwischen kochende Wasser. Harald registrierte es mit Wohlgefallen, blieb aber stumm. Auch Tina war nicht geneigt, den Schlagabtausch fortzusetzen. Sie tat sehr geschäftig, schaute immer wieder prüfend aufs Tablett, legte noch Servietten hinzu, dann kleine Löffel für die Eier. Fast theatralisch stellte sie fest, dass die Eierbecher fehlten. Als sie sie hinzu stellte, hüpften die Schrippen auf dem Toaster. Und als sie diese sorgfältig in ein Körbchen bugsierte und ein Tuch darüber breitete, klingelte die Eieruhr. Mit einem Löffel holte sie die Eier aus dem Topf, gab sie in die Becher und stülpte kleine Häubchen darüber. Nun stand sie selbstbewusst vor ihrem Werk und begutachtete es angelegentlich. Just in dem Moment, in dem Harald begriff, dass er nun wirklich an der Reihe war, nämlich das Tablett ins Wohnzimmer zu tragen, griff sie zu und ging los. Harald trabte irritiert hinter ihr her. Und schon rief sie: „Bring den Kaffee!“

Harald – für einen Moment fast ergeben - machte kehrt und holte die Kaffeekanne aus dem Automaten. Im Wohnzimmer deckte Tina inzwischen akkurat den Frühstückstisch. Nach wie vor blieb sie stumm. Sie stellte ihm geradezu zeremoniell die Kaffeetassen hin, und er, noch immer die Kanne in der Hand, begriff, dass er aufgefordert war. Behutsam goss er Kaffee ein. Tina nahm Platz, griff sich ein Brötchen und schmierte sich Butter auf. Auch Harald setzte sich und begann, ein Brötchen zu bereiten. Tina schien die Zeit gekommen, jetzt mal wieder zum Problem das Wort zu ergreifen. Zwar mit vollem Mund, aber Silbe für Silbe setzend sagte sie:

„Ich hatte gedacht, wir wären uns einig.“

Harald reagierte nicht sofort. Er überlegte, schaute seine Frau nachdenklich an und meinte möglichst beiläufig: „Anscheinend waren wir uns leider nicht einig.“

„Was meinen Kaffee betrifft eigentlich immer“, argumentierte Tina etwas daneben.

„Was den Kaffee betrifft!“

Tina kochte schon wieder innerlich. Wie konnte dieser Mann nur so stur sein! Unverhohlen bissig platzte sie heraus: „Übrigens war auch Rudolf stets begeistert! Von meinem Kaffee!“ fügte sie hinterdrein, nun mit sich unzufrieden.

Tinas Bosheit konnte Harald natürlich nicht unwidersprochen lassen. Fast drohend sagte er: „Komm mir nicht mit diesem Rudolf!“

Und schon war die nächste Wörtelei im Gange.

„Fakt ist Fakt!“ provozierte Tina.

„Ich werfe ihn raus!

„Das willst du tun?“

„Was soll er noch hier?“

„Mir zur Heirat gratulieren, zum Beispiel!“

„Ist doch mit dem Brief erledigt.“

„Vielleicht liebt er mich.“

„Zweifellos rasend.“

„Er hätte bestimmt schon längst die Bettcouch aufgeräumt!“ Vorwurfsvoll warf sie einen Blick hinüber.

Harald verschlug‘s für einen Moment die Sprache, dann fragte er pikiert: „Was hätte er?“

Tina triumphierte unverhohlen. „Aufgeräumt hätte er! Aufgeräumt!“ flötete sie. Und mit lässiger Geste zur Couch: „Soll das den ganzen Tag so liegen bleiben?“

Harald wusste genau, dass er falsch argumentierte, aber aus Trotz zog er die Schultern hoch und mimte den Unschuldigen: „Keine Ahnung!“

„Na wunderbar!“

Harald schien es angebracht zu versuchen, die dumme Quengelei zu beenden. Also sagte er möglichst sanft und nur ein wenig vorwurfsvoll: „Du bringst alles durcheinander. Ehrlich! Und Deinen Verflossenen sollten wir heute wirklich aus dem Spiel lassen.“

Tina jedoch bewegte inzwischen ein Hintergedanke – nämlich mit geschickter verbaler Offensive bei der Gelegenheit eventuell etwas Genaueres über Haralds Verhältnis zu Sybille erfahren zu können. Denn wenn sie jetzt offen über Rudolf sprechen würden, könnte sich Harald danach kaum der Frage nach Sybille entziehen. Herausfordernd erklärte sie daher: „Wieso? Reden wir über Rudolf!“

„Dieser Scharlatan!“ platzte Harald heraus. Er fand es wirklich ausgeprochen unpassend, jetzt über Tinas ehemaligen Liebhaber zu reden. Es war dies ein heißes Eisen, zweifellos, und er hatte sich vorgenommen, Tina nie vorzuwerfen, mit wem sie vor ihrer Ehe geschlafen hatte. Aber er war andererseits nicht willens, sich den Herrn bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit erpresserisch aufs Frühstücksbrötchen schmieren zu lassen. Das war geschmacklos und eigentlich unter Tinas Würde. Doch die hatte im Moment offenbar sogar Gefallen an der launischen Stichelei. Bissig sagte sie: „Immerhin hat er jetzt ein gutes Engagement.“

„Na ich weiß ja nicht. Wie heißt die Produktion mal gleich?“ Harald versuchte, die Sache so elegant wie möglich abzubügeln.

Tina indessen setzte ziemlich boshaft noch einen drauf: „Er hat eine prima Rolle und fährt BMW.“

Damit traf sie eine empfindliche Stelle; denn ein BMW oder ein Mercedes stand bei Harald nicht auf der Agenda. Seinem Reporter-Dasein diente ein Golf ganz gut. Ein gewichtigeres Auto hätte er sich zwar leisten können, aber er liebte klare finanzielle Verhältnisse. Das hieß für ihn, Ratenzahlungen möglichst zu vermeiden. Harald spürte, dass derlei Überlegungen jetzt nicht angebracht waren, sondern eine baldige Antwort nötig. Also meinte er möglichst locker: „Du solltest Dir wirklich verkneifen, diesen Provinzmimen hier überhaupt zu erwähnen! Noch dazu heute! Das ist eigentlich ungeheuer! Ja, ungeheuer!“

Tina sah ein, dass Harald eigentlich recht hatte. Sehr recht sogar. Doch sie gab es nicht zu: „Und du solltest nicht Leute verunglimpfen, die du gar nicht kennst!“

Schon war wieder eine fast gehässige Hakelei im Gange.

„Die Sorte kenne ich!“

„Bei deiner Menschenkenntnis!“

„Wie kannst du glauben, dass er dich liebt?“

„Als Frau spürt man das!“

„Du bumst noch mit ihm?“

Das war nun wirklich happig. Harald wusste es sofort, aber es war heraus, es stand im Raum. Und Tina reagierte, wie sie musste: „Nimm das zurück!“

Wozu Harald sofort bereit war: „Entschuldige!“ sagte er. „Ist mir so heraus gerutscht.“

Tina freilich, anstatt auch abzurüsten, hakte nach, wollte sich eine Genugtuung erstreiten: „Bist du eifersüchtig?“

Und Harald, anstatt die Gelegenheit zu nutzen, seiner erst gestern Angetrauten heiße Liebe und also auch Eifersucht zu demonstrieren, meinte verharmlosend: „Keine Ahnung!“

Tina prompt: „Ach du Doofer, sei doch wenigstens eifersüchtig!“

Erneut versuchte Harald, vom dumm laufenden Thema abzulenken. Er hielt seine Tasse hin und sagte: Ich habe Durst!“

Tina blieb hartnäckig: „Liebst du mich?“

Welch blöde Frage nach einer Hochzeitsnacht! Mit bedeutsam hochgezogenen Augenbrauen und tiefem Blick in die Augen seiner Gattin sagte Harald: „Immerhin habe ich dich geheiratet!“ Zu weiterer Betonung hob er den Zeigefinger. „Hals über Kopf! Geheiratetetet!“

Für die Tour war Tina nicht zu kriegen. Trocken sagte sie: „Was bei dir, wie sich bereits am ersten Tage zeigt, offenbar nicht sehr viel besagt.“ Und nun gleichsam einen Schlusspunkt setzend schenkte sie ihm ein.

Harald fand Tinas Äußerungen ausgesprochen schnöde. Eigentlich unerklärlich launisch. Aber er wollte keine Eskalation. Geradezu beschwörend hob er die Hände und fragte irgendwie hilflos: „Waren wir uns einig?“

Tina, jetzt scheinbar um Sachlichkeit bemüht: „Abgemacht hatten wir, dass einer den anderen nicht betrügt. Das müsste auszuhalten sein, dachten wir.“ Mit welchem Statement eigentlich Besinnung hätte Platz greifen und die elende Wörtelei ein Ende finden können. Aber Tina setzte fort: „Wir haben nicht abgemacht, dass zum Beispiel ich keinen diskreten Freund haben darf.“

„Diskreter Freund! Komme mir nicht mit diesen Sprachmonstern aus deiner ‚Minna‘“!

Tina gab nicht nach. Während sie sich ein weiteres Brötchen bereitete, erinnerte sie an die von beiden absolvierte Zeremonie, auf der sie gestern sehr stolz gewesen waren:Haben wir eine feierliche Vereinbarung getroffen? Extra hoch in den Reichstag sind wir gestiegen, um der Sache historisches Gewicht zu verleihen!“

„Das Problem ist: Vor der Ehe ist nicht in der Ehe! Und als Ehemann kann ich nicht gestatten, dass du mit diesem Herrn Bernhardi ein Verhältnis hast!“

„Hast du Angst vor einem kleinen Flirt?“

„Kleiner Flirt?“

„Rudolf ist so nett.“

„Er hat dich ganz schön eingewickelt!“

„Du vergisst, dass selbst die emanzipierte Frau ab und zu eingewickelt werden möchte. Hat die Umfrage unserer ‚Minna‘ ganz klar ergeben!“

„Habe ich dich vielleicht nicht eingewickelt?“

„Du wickelst mich ja doch immer gleich wieder aus!“

Tina erhob sich und begann, den Tisch abzuräumen. Aber Harald war nicht geneigt, die Problematik in der Schwebe zu lassen. Also sagte er: „Soll ich dir dauernd am Rockzipfel hängen und Schnuckiputzilein stammeln?“

Tina wiederum war fest entschlossen, nicht schon am ersten Tag ihrer Ehe einzuknicken. Sie hatte freilich kein echtes Argument parat. „Bist ein ausgemachter Esel!“ sagte sie und verschwand in der Küche.

Harald zuckte hilflos mit den Schultern und rief ihr hinterher: „Bitte schön! Sind wir bei den Tieren angelangt! Schon am ersten Tag!“ Dann griff er ganz formal zur Zeitung, wohl wissend, dass Tina nicht locker lassen würde. Und in der Tat. Alsbald stand sie in der Tür und musterte ihn angelegentlich. Harald tat so, als sei er tief beim Lesen. Tina hielt durch, schaute unverdrossen, bog den Kopf ein wenig nach links, dann ein wenig nach rechts, als sei das nötig, um besser gucken und schlussfolgern zu können und sagte schließlich prononciert: „Allerdings bist du ein einigermaßen ziemlich lieber Esel!“ Worauf sie sich erwartungsvoll an den Türrahmen lehnte.

Harald aber schwieg.

„Wann eigentlich gedenkst du morgens die Zeitung zu lesen?“

Harald schwieg.

„Es ist nur, damit ich in Zukunft weiß, wie lange ich liegen bleiben kann.“

Harald schwieg.

„Die Morgenzeitung soll übrigens auf leeren Magen besser wirken.“

Harald schwieg. So viel gespielte Ignoranz konnte Tina natürlich nicht hinnehmen. Also trat sie langsam zu ihm heran. „Muss das aber interessant sein!“

Harald hielt durch, aber natürlich neugierig darauf, was Tina wohl nun inszenieren würde. Er musste nicht lange warten. Tina konstatierte triumphierend: „Nicht wahr, Liebling, geheiratet werden die Männer!“

Das verhieß eine überraschende Wendung ihrer Kabbelei. Harald ließ die Zeitung sinken und sagte so erschöpft wie aufrichtig: „Weiß Gott!“

Tina beugte sich zu ihm herab und gab ihm einen Kuss, gleichsam als wolle sie seine Feststellung bestätigen. Und völlig überraschend setzte sie sich hurtig ihm auf den Schoß. Wogegen er selbstverständlich nichts einzuwenden hatte. Er nahm sich vor, erst einmal ganz und gar aufgeschlossen zu sein für alles, was Teuflisches seiner lieben Ehegattin im Moment noch so einfallen würde. Welche Entscheidung prompt auf eine harte Probe gestellt wurde. Denn Tina konstatierte, als hätten sie soeben gemeinsam entschieden: „Du gestattest also, dass ich Dolfi noch ein klein bisschen nett finde? Ja?“

Obwohl Harald das ziemlich happig fand und grundsätzlich nicht einverstanden war, antwortete er möglichst souverän: „Bitte, wenn du es für richtig hältst!“

Mit welcher Antwort Tina nicht gerechnet hatte: „Ach, du Spinner!“ rief sie enttäuscht und stand auf. „Was soll denn das nun wieder?“

 

Harald indessen hatte inzwischen seine eigentliche, für ihn vorteilhafte Antwort gefunden, weshalb er hinzufügte: „Von mir aus kannst du diskrete Freunde haben, so viel du Lust hast. Nur musst du dann gestatten, dass auch ich mich ein bisschen umschaue!“

Damit nahm die Debatte endlich die Richtung, die Tina gewünscht hatte; nämlich Haralds Verhältnis zu potentiellen Freundinnnen wie beispielsweise Sybille vorsichtig zu sondieren. Tina musste neu überlegen. Die Problematik war delikat und momentan keineswegs auszudiskutieren, möglicherweise just sogar fehl am Platze. So verstummte Tina denn erst einmal und räumte theatralisch das Bettzeug in die Bettcouch. Harald genoss seinen Einfall, griff souverän erneut zur Zeitung. Tina klappte den Bettkasten herunter, setzte sich demonstrativ hin, wiegte ein wenig mit ihrem Oberkörper hin und her, als ringe sie um eine Meinung, und sagte: „Also bereits am ersten Tag unserer Ehe verwerfen wir unsere Vereinbarung, auf die wir so stolz waren!“

Harald fand dies eine passende Gelegenheit, die im Eherausch unter großer Kuppel postulierten Maßgaben ihrer Ehe ein wenig in Frage zu stellen:War doch Spinne! Oder?“

Worauf Tina prompt konstatierte: „Du findest also, zur modernen Ehe gehört, dass man sich Treue vorspielt und still fremd geht.“

„So kannst du das doch nicht sagen!“ protestierte Harald.

„Aber so ist die Lage! Schneller als gedacht sind wir ein ganz normales Ehepaar! Ich such mir was Knackiges außer Haus, du suchst dir was Knackiges außer Haus. Und keiner hat auch nur die geringste Ahnung!“

„Du bist ja abgrundtief verdorben!“

„Denkste! Für so was Modernes gibt’s natürlich den Begriff!“

„Du mit deiner ‚Minna‘!“

„‚Offene Ehe‘ nennt man sowas!“ Tina hatte sich ungewollt in Rage geredet. Urplötzlich war sie einfach geil. Und zwar auf ihren störrischen Gatten. Sie posierte auf der Couch, indem sie ein wenig, aber doch diskret einladend ihre Beine spreizte. Es war dies ein bisschen ordinär, sie wusste das wohl. Sie wusste aber auch, dass ihr Angetrauter ein visueller Typ war und von jetzt auf gleich nur auf Grund eines Blickes auf ihre respektablen Brüste oder auf ihre energischen Beine geradezu ausrasten konnte. Da ihr Gatte aber verharrte, sagte sie: „Angesichts dieser Lage ist natürlich die wichtigste Frage: Wer ist dein Typ? Außer mir, natürlich! Ich bin doch dein Typ? Oder?“

Obwohl sich sein Werkzeug lustvoll rührte, meinte Harald möglichst beiläufigLeider!“ und griff wieder zur Zeitung.

„Weshalb leider?“ Tina hockte sich hin und hielt sich etwas provokant beide Hände hinter die Ohren.

„Weil man seinen Typ nicht heiraten sollte!“

Worauf Tina - durchaus ein wenig hilflos ob seiner Zurückhaltung - denn wieder einen Zipfel dessen blicken ließ, was sie sich vorgenommen hatte. „Keine Sorge“ sagte sie, „ich werde dich Typ schon zum Ehemann programmieren!“

Harald, für einen Moment geneigt, ‚typisch Frau‘ zu rufen, bagatellisierte:Du redest und redest und das Problem ist ganz simpel: Dieser Rudolf bleibt, wo der Pfeffer wächst!“

„Ach, du Doofer!“ rief sie auf einmal gut gelaunt und nahm eine eindeutige Position ein. Da er sie trotzig missachtete, rief sie: „Na komm schon!“

Er aber warf ihrKeine Lust!“ hin und schaute neugierig, was nun wohl kommen würde.

Tina setzte sich enttäuscht auf und erklärte vorwurfsvoll und fast ein wenig feierlich, als gebe sie eine offizielle Verlautbarung ab: „Ihr Männer! Einer wie der andere. Wenn’s euch so ist, soll Frau springen, aber wenn sie will, schlappt der Schwanz!“

„Na, na!“ protestierte Harald. Nicht minder vorwurfsvoll, doch zugleich Verständnis einfordernd fuhr er fort: „Weißt du noch, dass wir soeben eine Hochzeitsnacht absolviert haben? Mit einer halben Stunde Schlaf und fünf Runden!?“

Sie:Vier!“

Er:Fünf!“

Sie:Vier!“

Er:Fünf! Du kannst wohl nicht mehr zählen?“

Sie:Die fünfte schlage ich eben vor!“

Er:Ich kann nicht auf Befehl!“

Sie:Ach, du Schwindler! Kaum zehn Minuten her, da stand er vor mir!“

Er: „Ja, vor fünf Minuten! Das ist eine Ewigkeit für den Kleinen! Der ist noch empfindlicher als ich!“

Sie: „Komm, ich geb‘s ihm!“

Zuversichtlich räkelte sich Tina und zog mit Schwung ihren Slip aus. Harald imponierte ihre verführerische Hartnäckigkeit bei solch eheelementarischem Thema, war dennoch nicht geneigt, jetzt nachzugeben. Es wäre ihm fast wie eine Niederlage vorgekommen. Auch er wollte Hartnäckigkeit beweisen. Also sagte er: „Gott, jetzt wollt‘ ich gerade mal in Ruhe die Zeitung lesen.“

Tina gab nicht auf: „Kannst du doch danach! Kein Problem! Ich gehe in die Küche, wasch das Geschirr ab, und du liest Zeitung! Die klassische Ehe! Ich bring dir sogar die Pantoffel!“

Was waren denn das für Töne! Harald staunte: „Das würdest du tun?“

„Würde ich tun!“ sagte sie und faltete liebevoll ihren Slip, obwohl es da eigentlich gar nichts zu falten gab.

Womit Harald besiegt war. „Alles klar!“ erklärte er, erhob sich und trat zu ihr an die Couch, wo sie ihm prompt besitzergreifend zwischen den Schritt fasste und genugtuend konstatierte: „Wusst‘ ich’s doch!“

Harald, inzwischen voll auf Tour, zog hastig das Hemd aus, griff zur Hose und gurrte:Ich liebe dich! So wie du bist!“

Tina jedoch, anstatt jetzt diese zweifellos aufrichtige Liebeserklärung zu würdigen, zeigte überraschend auf seinen Bauch und fragte spitzbübisch:Oh, was sehe ich denn?“

„Was siehst du?“ Harald verharrte entgeistert.

„Kriegst du Bauch?“

„Bauch?“

„Ja! Mann, dreh dich mal!“

„Bitte?“

„Drehen! So von der Seite!“

Harald war nahe daran aufzubegehren. Wie konnte sie seine erhobene Lust so missachten und auf die Folter spannen. Bauch oder nicht Bauch. Das war doch jetzt wirklich nicht die Frage. Aber er wollte die Gelegenheit auch nicht kaputt machen. Also ließ er die Hose herunter, zog den Bauch ein und drehte sich. Sie aber hatte keinen Blick für seinen prallen Schwengel, sondern rief:

„Du schummelst! Natürlich! Du kriegst Bauch! Müssen wir was tun!“

Harald bissig: „Will ich ja gerade!“ Schon kriegte er sie an der Schulter und drückte sie nieder auf die Couch. In wildem Eifer versuchte er, seinen vitalen Freund unterzubringen, da hielt er inne. Vom Flur kam ein eindeutiges Geräusch. In der Wohnungstür wurde ein Schlüssel gedreht.

„Scheiße!“

„Sybille!“ rief Tina und entzog sich. Harald hastete in seine Hose, stopfte das Hemd hinein und warf sich in den Sessel. Er konnte gerade noch zur Zeitung greifen, da öffnete sich die Tür und Sybille rauschte herein. Die junge Frau von tadelloser Figur, braungebrannt, jugendlich stramm, gepflegt von den Zehen bis in die letzte Haarspitze, postierte sich in der Tür.

„Hallo!“

In der frohen Begrüßung schwang freilich unverkennbar die Überraschung mit, hier nicht nur Tina, sondern auch Harald anzutreffen. Obendrein beide in einer merkwürdig zweideutigen Situation. Tina seltsam verkrampft auf ihrer Couch. Harald mit aus der Hose ragendem Hemdzipfel. Das sprach für eine Intimität, die Sybille sofort beunruhigte. Aber sie hatte sich in der Gewalt. Eigentlich gut gelaunt, jetzt freilich ein wenig gedämpft, trat sie zu Tina, die ihren Slip hastig unter einem Kopfkissen versteckt hatte.

„Grüß dich!“

„Grüß dich!“

Nun drehte sich Sybille zu Harald um, musterte ihn herausfordernd und erklärte provokant: „Gut siehst du ja nicht aus. Lass die kleinen Mädchen in Ruh! Keinen Kuss zur Begrüßung?“

Verdattert meinte Harald: „Aber ja doch!“ erhob sich und breitete die Arme aus. Sybille trat zu ihm heran, nahm demonstrativ seinen Kopf mit beiden Händen und drückte einen echten Schmatz auf seine Lippen. „Hm, alte Qualität!“ lobte sie und gab Haralds Kopf frei. Mit welchem Statement sozusagen aller Welt und auch Tina mitgeteilt war, welch Anspruch hier herrschte. Tina und Harald schauten sich denn auch sofort verständnisinnig an. Tina hatte soeben gepunktet, und Harald war klar, dass ihr noch eben absolvierter Disput über eheliche Treue einen für ihn nicht gerade vorteilhaften Akzent erhalten hatte.

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