Athene auf Abwegen

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„Das schmeckt ... Brigitte hing an seinen Lippen. „Das…“ er hustete, schluckte, „da hast du … verschluckte sich und rang nach Luft … wohl Seife mitgekocht, Lavendel oder Rose, welche hast du denn erwischt?“, stotterte Ludwig als er wieder zu Atem kam und versuchte den Brei runter zu würgen.

„Weder noch, sondern Tannenwipfelseife“, erwiderte Brigitte zornig, wandte sich um und verließ den Raum. Damit hatte sie gleichzeitig die Kunst des Kochens beendet.

Mit Tannenwipfelseife im Kohlgemüse kann man nicht reüssieren.

***

2. Kapitel

Er dachte gerne an die Zeit des Kennenlernens zurück. Ein ziemlich verregneter Novembernachmittag war es, als er sich mit einem Geschäftspartner in einem Café zur Besprechung traf.

Sie saß mit einem jungen Mann am Nebentisch und unterhielt sich auffallend gut gelaunt mit ihm. Damals trug sie ihr Haar noch kurz mit ihrer hellbraunen Naturfarbe.

Er beobachtete sie beinahe auffällig, sodass es sogar dem Geschäftspartner auffiel.

Der lächelte darob sehr verschmitzt, und Ludwig versuchte, diese etwas unangenehme Situation zu glätten, indem er sich besonders bemühte, dem Gesprächsverlauf eine wichtige Note zu verleihen.

Als sich die junge Frau aufmachte, um offensichtlich die Toilette zu besuchen, machte sie an der Theke halt und schäkerte dort mit dem Barkeeper. Das war für ihn der Zeitpunkt, um sich ihr mit einem Vorwand anzunähern.

Rasch entschuldigte er sich bei seinem Gast und stob ebenfalls zur Theke hin. Bevor er dort ankam, kramte er in seiner Sakkotasche herum, fand einen Geldschein, näherte sich der jungen, besonders hübschen Frau, ziemlich rasch von der Seite.

„Entschuldigen Sie bitte, eröffnete er das Balzgespräch.

„Sie dürften diesen Geldschein da verloren haben. Ich sah ihn fallen, als sie zur Theke gingen“.

Die Frau lachte auf, sah ihn schelmisch an und bemerkte mit einem Unterton an Sarkasmus: „Unmöglich, junger Mann, der gehört nicht mir“, dabei zog sie ihren roten Pulli straffer nach unten und glättete anschließend die etwas verknitterte gelbe Hose.

Ludwig sah sie verdattert an, wurde etwas verlegen, während er ziemlich stotternd hervorbrachte: „Ich hab es allerdings gesehen, dass sie ihn verloren haben“.

„Ich kann es nicht verloren haben, weil ich gar kein Geld eingesteckt habe. Sie müssen sich schon etwas anderes einfallen lassen, um mit mir ins Gespräch zu kommen. Wie wär`s, wenn Sie mich einladen. Oder, nein, geht nicht, bin mit jemandem hier, den kann ich nicht brüskieren. Sie öffnete ihre Handtasche, zog einen kleinen, weißen Block heraus, suchte offenbar angestrengt nach einem Schreibstift, den Ludwig ihr sofort reichte, als die Suche nicht fruchtete.

„Mein Name ist Brigitte, hier ist meine Telefonnummer, ich bin meistens ab 18 oder 19 Uhr erreichbar. Würde mich sehr freuen, von Ihnen zu hören“. Nahm ihm den Geldschein aus der Hand und flugs entfloh sie jetzt tatsächlich auf die Toilette.

Den Barkeeper schüttelte es vor Lachen. Krächzend meinte er zu Ludwig, dass er froh sein solle, keinen größeren Schein erwischt zu haben.

Ludwig stand verdattert da, blickte seine geldscheinlose Hand an, schüttelte überrascht den Kopf über den Scharfsinn der jungen Dame, war dabei ziemlich angetan von dieser Art, so unerschrocken, beinahe dreist, dennoch auf eigenartige Weise, Charme gepaart mit einer Portion Esprit.

„Die rufe ich sicherlich an“, dachte er bei sich. Es kam ihm gar nicht ungelegen, da er erst vor einigen Tagen eine Liaison mit seiner Sekretärin beendet hatte, die er danach leider versetzen musste, weil es einfach nicht mehr ging. Sie wurde ihm zusehends zu frech, weil sie glaubte, ein Argument gegen ihn und ihr gemeinsames Verhältnis ausspielen zu können. Da kam sie ihm damit gerade recht. Sie war nicht die Erste, die er im Unternehmen flach gelegt hatte, und er war beinahe stolz, als Firmencasanova ein gewisses Ansehen zu genießen.

Sorgfältig verstaute er den Zettel mit der Telefonnummer. „Ob sie mir die richtige Nummer gegeben hat?“, kam ihm plötzlich der Gedanke. „Nun ja, wenn nicht, dann hat sie wohl ihre Chance vertan. Andere Mütter haben auch schöne Töchter“.

Es war ihre Telefonnummer, die er noch am selben Abend wählte, um sie anzurufen.

Die Verabredung erfolgte zwei Stunden später, und um drei Uhr früh landeten sie bei Ludwig im Bett.

Sofort war er von ihrer sexuellen Begierde, von ihrer Kunst sich ihm zu öffnen, sich ihm hinzugeben, ihn zu verführen, immer und immer wieder, fasziniert, sodass er zeitig des morgens, als er ins Büro musste, am Zahnfleisch ging, so hatte sie ihn körperlich vernichtet. Eine solche Frau hatte er noch niemals gehabt, eine Frau, die ihm, dem Frauenverführer, zeigte, wo es im Bett lang ging.

Zwei Wochen später zog sie zu ihm. Zwei Jahre später heirateten sie. Die Liebe entwickelte sich erst innerhalb dieser zwei Jahre, sukzessive, dafür aber intensiv, bei ihm eher als bei ihr. Es gefielt ihr, ihn in die Kunst der geschlechtlichen Liebe richtig einzuführen, denn was er bisher von der Sexualität glaubte, zu beherrschen, war lange nicht das, was sie ihm Stück für Stück beibrachte. Sie war ein Kunstwerk aus Geist, Schönheit, Sexualität, Vitalkraft, Power und Fleiß. Was sie allerdings nicht konnte, war kochen. So lange es rund um sein Haus gute Lokale gab, war es ihm egal. Leisten konnte er es sich, so viel war klar.

Das Haus, bzw. die Villa, war das Erbe seiner Großeltern, somit hatte er einen großen Brocken für seine Lebensplanung bereits erfüllt. Für die Aufrechterhaltung, sprich Sauberkeit des Hauses, sorgte zwei mal die Woche eine Putzfrau. Alles ging seinen geregelten Gang, sogar, als Brigitte bei ihm eingezogen war. Sie leitete mit ihren achtundzwanzig Jahren eine Abteilung in einem Modehaus in der Verwaltung, verdiente entsprechend gut.

„Das waren wirklich wunderbare Zeiten, die ersten paar Jahre unserer Ehe“, durchfuhr es ihn urplötzlich. „Wann und warum hat sich eigentlich das Blatt gewendet?“, fragte er sich plötzlich.

„Die ersten kleineren Krisen begannen, als ihm die sportlichen Aktivitäten wichtiger wurden, als ihre Ehe“, erinnerte er sich nun dennoch ein wenig verschämt zurück.

Verabredungen mit Freunden und Bekannten mussten oftmals wegen eines Golfflights kurzfristig abgesagt werden, oder er kam erst gar nicht dort an. Brigitte konnte sich nicht auf ihn verlassen. Ob ein Theaterbesuch, ein gemeinsames Tennisspiel, eine angesetzte Bergtour, ein geplanter Ausflug. Im letzten Moment konnte er es sich anders überlegt haben und alles entweder absagen, oder gar nicht zum festgelegten Zeitpunkt erscheinen.

Die daraufhin erfolgten heftigen Auseinandersetzungen waren für ihn dazu angetan, die Büroräumlichkeiten sehr spät am Abend zu verlassen, wenn kein Sport angesagt war.

„Sie hat mich hernach wochenlang sexuell ausgehungert“, das Mitstück“, bemerkte er. „Ich war jung, meine Frau hat mich mit der Zeit so richtig auf Touren gebracht, darauf wollte und konnte ich nicht mehr verzichten. Natürlich war die logische Folgerung, wieder auf Abwegen zu wandeln. Sie hat das provoziert. „Ich kann meine sexuellen Gelüste nicht einfach rausschwitzen“, rief er sich wiederholt ins Gedächtnis, wenn eine Angestellte in der Firma sein Angebot nicht ablehnen wollte.

Nichts Ernstes, um Gottes Willen, ich liebte meine Frau abgöttisch“, hängte er weiter seinen Erinnerungen nach. „Mich allerdings, damals noch jungen Mann, sexuell so ins Abseits zu stellen, konnte nicht gut gehen. Das hätte Brigitte wissen müssen.

Gerade sie, die eine Aphrodite in der Liebe war, ein weiblicher Eros oder Amor, eine Venus, hätte wissen müssen, dass dies zu baldigen Konsequenzen führen musste.

„Liebesentzug ist eine der grauenhaftesten Maßnahmen, die nur im Gehirn eines Barbaren geboren werden können“, sagte er laut zu sich selbst. Damit hatte er offensichtlich gleich einmal seine außerehelichen Affären verteidigt und den schwarzen Peter seiner Frau zugeschanzt. Das war Gewissensbereinigung a la Ludwig.

Nach einem sehr langen Bürotag kam er eines Tages sehr abgeschlagen nach Hause, wollte dennoch mit Brigitte rasch um die Ecke ihres Wohnhauses ein schnelles Abendessen einnehmen. Das Haus besaß ein Stockwerk, wo sich die Schlafräume samt Badezimmer und Toiletten befanden.

Er öffnete die Tür zu ihrem gemeinsamen Schlafzimmer, wo sich anschließend daran die Garderobe befand. Das Grunzen und Stöhnen, das Quietschen des Bettes, diese Geräusche, die ihn anpeilten, als wäre er in einem Swingerklub gelandet, ließen ihn in dem Moment zu Handlungen hinreißen, die er sonst niemals für möglich gehalten hätte.

Er lief auf ihr gemeinsames Ehebett zu, das nun besudelt war durch einen Ehebruch par excellence, oder in höchster Vollendung, riss den Mann, dessen bestes Stück gerade in seiner Frau steckte, brutal von ihr weg, versetzte ihm einen Faustschlag, der es in sich hatte, und dem Jüngling eine tiefe Platzwunde auf der Stirn hinterließ.

Dabei schwoll das Glied in seinen Urzustand ab.

„Mit so einem winzigen Penis, du Dreckskerl, willst du meine Frau befriedigen, dazu gehört ein anderes Kaliber“, zog seine Hosen runter, und stand, wie Gott ihn schuf, vor dem Ehebrecher und seiner Frau.

Brigitte erfasste ein derartiger Lachkrampf, dass sie vermeinte, daran ersticken zu müssen. „Hilfe, Hilfe“, rief sie mit vor Lachen krächzender Stimme, „ich kann nicht mehr. Diese Situation ist urkomisch, da stehen sich zwei gestandene Männer gegenüber, als würden sie sich mit ihren Geschlechtsteilen duellieren wollen“.

Sie schluckte und hustete, verfiel wieder in eine Lachsalve, und schrie jetzt beinahe vor Begeisterung: „Soll ich euch den Sekundanten machen, ich glaub, da bin ich unschlagbar. Wo ist ein Maßband? Es herrschen bei einem Duell genaue Bedingungen, die Pistolen“ … ähm, ähm“ und wieder verfiel sie in ein Triumphgeschrei, dass sie dabei grölte, stöhnte und schrie, „in eurem Fall eure Penisse, dürfen eine gewisse Länge nicht über- oder unterschreiten.“

 

Sie konnte sich nicht beruhigen. Nackt wie sie war, lief sie zwischen den beiden „Duellanten“ hin und her, betrachtete zuweilen das beste Stück ihres Mannes sehr genau, sodann das ihres Liebhabers, die beide unter dieser Perlustration verschämt zu Boden blickten.

Endlich fasste sie sich. „Raus beide, und zwar sofort, ich will keinen von euch hier mehr in meinem Schlafzimmer sehen“. „Geht in ein Bordell, dort sollen euch die Damen einmal richtigen Sex beibringen, ihr verdammte Loser“, schrie sie jetzt.

„Hinaus mit euch, los, wird’s bald“, als sich die Männer in ihren Augen zu langsam der Tür zuwandten. Brigitte knallte hinter ihnen die Türe zu, warf sich aufs Bett und begann erneut zu lachen. Nachdem sie sich beruhigt hatte, stand sie auf, ging ins Badezimmer und nahm ein heißes Vollbad.

Das war das Ende des gemeinsamen Schlafzimmers. Ab diesem Zeitpunkt schliefen beide in eigenen Zimmern.

Natürlich liebäugelte Ludwig nach dieser Affäre mit einer Scheidung, die er auch mit seiner Frau besprach. Aber Brigitte konnte ihm auch seine ehelichen Verfehlungen in Sachen Untreue vor Augen führen. Und einfacher war es, die Angelegenheit so zu belassen, keine Streitereien, keine unangemessenen Forderungen seitens Brigitte.

Das fürchtete Ludwig. Immerhin war er ja der Erste mit seinen sexuellen Ausschweifungen außer Haus. Und ein guter Anwalt konnte das für seine Frau in Rechnung stellen.

Danach war nichts mehr so, wie es sein sollte, oder früher war. Hin und wieder schliefen sie miteinander, aber er hatte das Gefühl, dass Brigitte überhaupt nicht mehr bei der Sache war. Es machte ihr mit ihm keinen Spaß. Er war überzeugt, dass sie laufend die Liebhaber wechselte, keinen auf lange Sicht hielt, weil sie plötzlich auf dem Freiheitstrip war und spürte, wie sie die Ungezwungenheit des Lebens und der Liebe genoss.

„Ich Trottel habe nach fünf Jahren Ehe von ihr verlangt, ihren Job aufzugeben, damit sie mehr Zeit für Haus, Garten, Sport und natürlich für mich hat“, fiel es ihm wie Scheuklappen von den Augen. „Und sie hat sofort eingewilligt. Sie hat sich sehr bemüht um den Garten, obwohl sie für die meiste Arbeit einen Gärtner beauftragte.

Kochen war sowieso illusorisch, weil sie davon keinerlei Ahnung hatte, Putzfrau war plötzlich für vieles andere zuständig. Für die Einrichtung hatte sie ein besonderes Händchen, einen guten Geschmack und meine Brieftasche. Sie war auf ihre Art fleißig, organisierte den Haushalt perfekt, weil wir es uns einfach leisten konnten“, durchfuhr es ihn, während er es sich auf der Couch bequem machte, und die eingekühlte Zeitung zu lesen begann.

Seine Pensionierung begann er zu forcieren, er hatte genügend Firmenaktien angelegt, die einen angenehmen Lebensabend versprachen. Finanziell waren sie abgesichert. Kurz bevor er sich verabschiedete, beteiligte er sich noch an einem anderen Unternehmen anhand von Aktien, die damals noch einen guten Gewinn auf Jahre abwarfen.

„Brigitte, dieses Luder, führt wieder was im Schilde“, kam ihm plötzlich in den Sinn.

„Ich kenne sie nur zu gut, wenn sie auf einmal auf mein Wohl bedacht ist. Wieder eine neue Liebschaft, nehme ich an, denn diese Unersättliche will keinen Tag vermissen, ohne sich nicht ordentlich durchbumsen zu lassen. Heute werde ich ihr einen Strich durch die Rechnung machen. Muss noch überlegen, was ich mache.

Regt sich auf, weil ich ihr zu faul bin, aber selbst ist sie nicht grad vom Fleiß zerfressen“.

Vor Jahren hatten sie die Diskussion, sich scheiden zu lassen. Kinder waren keine vorhanden, aber Brigitte hätte in ihrem Alter keinen Job mehr gekriegt. Zu lange war sie einem adäquaten Arbeitsplatz fern gewesen. Wohl oder übel hätte er sie erhalten müssen, denn eigenes Vermögen hatte sie nicht, das Haus gehörte ihm. Lediglich an den diversen Vermögensanteilen hätte sie mit partizipiert. Wobei er einiges an Werten an ihr vorbeigeschleust hatte, davon wusste Brigitte nichts. Warum sollten sie sich scheiden lassen, eher wäre eine Trennung möglich. Es ging ganz gut so, wenn man sich arrangierte.

„Ich kann meiner Muße frönen, kann machen, was ich will, und trotzdem kommt meine Frau immer wieder nach Hause. Geht sie mir, oder ich ihr auf die Nerven, das Haus ist groß genug, uns eine gewisse Distanz zu gönnen, um nicht ständig aufeinander zu kleben. Es hat alles Vor- und Nachteile, ob wir geschieden wären, oder ob wir, wie jetzt noch beisammen sind. Ich weiß, dass Brigitte nichts mehr für mich empfindet, obwohl ich noch so etwas wie Liebe im Ablaufmodus in mir spüre.

Liebe, oder eher Gewohnheit, die mich manchmal richtiggehend wütend macht, weil sie nicht erwidert wird“.

Er dachte daran, wie anders ihre Beziehung verlaufen hätte können, wenn …, ja wenn was …??

Ludwig wollte nicht länger diesen verfänglichen Gedanken nachhängen, deshalb nahm er endgültig die immer noch kühlschrankkalte Tageszeitung zur Hand und begann zu lesen.

***

„Hallo Waltraud, hier spricht Brigitte. Geht es dir gut? Was gibt es Neues? Wir haben uns schon ewig nicht gesehen. Hast du nicht Lust, zu mir auf eine Tasse Kaffee zu kommen. Natürlich gibt es gekauften Kuchen, du weißt meine Liebe, meine Koch- und Backkenntnisse sind unter jeder Kritik“, lachte Brigitte ins Telefon.

„Ja gerne, Brigitte“, ertönte es erfreut zurück. Selbstverständlich bringe ich Kuchen mit, selbst gebacken versteht sich, vorausgesetzt ich kann Zeit dafür erübrigen.

Wann darf ich denn vorbeikommen?

„Heute etwa um fünfzehn Uhr, wenn du Zeit und Lust hast. Würde mich sehr freuen und natürlich auch Ludwig. Der wird immer lethargischer, vielleicht kannst du ihn ein wenig aufheitern. Auf deine Meinung hält er sehr viel“, säuselte Brigitte ins Telefon.

„Das geht sich heute wunderbar aus, bis dahin ist der Kuchen aus der Konditorei dann auch fertig, lachte sie laut in den Hörer. Danke jedenfalls für die Einladung. Ich freue mich sehr“. Brigitte hörte das Klicken im Hörer, als aufgelegt wurde.

„Na, versuchen wir unser Glück!“. Typisch Hestia. Nie verließ diese Göttin den Olymp. Nie verließ Waltraud ihren Herd“, lächelte Brigitte vor sich hin. „Hestia, die Schwester von Zeus, älteste Tochter von Kronos und Rhea, die sechs Kinder hatten, andererseits war sie wieder die Jüngste, weil Kronos sie als letzte wieder ausspie, ist ein Ebenbild von Waltraud. Aphrodite hatte keine Macht über sie, genau so wie über Athena und Artemis, letztere die Göttin der Jagd und Schutzherrin der Tiere“.

Brigitte war wieder gedanklich bei ihrem Lieblingsthema angelangt, der Mythologie.

Sie konnte sich stundenlang mit diesem Thema befassen, Bücher dafür hatte sie genügend angesammelt. Sie, als Verschnitt von Athena und Aphrodite, obwohl sie sich sehr zu dem Mythos von Athena hingezogen fühlte, wollte andererseits nicht auf geschlechtliche Liebe verzichten, so wie es eben ihr göttliches Idol vorgelebt hatte.

„Angeblich vorgelebt“, denn ich bin davon überzeugt, dass sie sehr wohl was mit ihrem Bruder Apollon hatte. Wer kann schon auf Apollon verzichten. Nicht einmal Athene, die Göttin der Weisheit. Sie wird ja ihre Begierde nicht an irgend jemanden vergeben haben! Und wenn ich mich irre, werde ich ihr einfach einen Liebhaber verpassen. Apollo – so einen Bruder hätte ich selbst gerne. Wir würden gut zusammenpassen. Sein Name übersetzt, heißt so viel wie Glänzender oder Rufer.

Seine Bereiche sind das Licht, die Mantik, Musik und Poesie, also alle schönen Künste. Er ist der Anführer der Musen. Schönheit und die Beherrschung zählen ebenfalls zu seinen Gebieten. Er ist allerdings unter anderem strafender Vollstrecker für die Gerechtigkeit. Apollon ist einfach der Beste unter allen, außer natürlich sein Vater, Gott Zeus. Im Grund genommen ist er mein Halbbruder, weil wir zwar einen gemeinsamen Vater haben, allerdings verschiedene Mütter. Seine Mutter ist Leto und seine richtige Schwester, nämlich Zwillingsschwester ist Artemis, die Göttin der Jagd und des Mondes“, beendete sie ihren Gedankengang, während sie sich ihre Haare zu einem Zopf zusammen band und hochsteckte.

Zufrieden mit dieser abgeänderten These schlüpfte sie rasch in Jeans, zog sich eine unauffällige Bluse an, denn Waltraud war, wie sie sich zurückerinnern konnte, auf Mode nicht sehr bedacht gewesen. So erwartete sie Hestia, die zukünftige Geliebte ihres Mannes.

***

Ludwig war eigenartig gereizt, als Brigitte ihm vom spontanen Besuch Waltrauds erzählte und wollte sogleich die Flucht ergreifen.

„Vielleicht ist es dir in weiterer Zukunft möglich, Einladungen gemeinsam mit mir abzusprechen, es könnte durchaus sein, dass ich unabkömmlich bin“, stieß er sauer hervor. Dabei stupste er durch heftige Gestik das volle Wasserglas vom Couchtisch um, sodass sich die Flüssigkeit am Teppich ausbreitete. Das machte ihn sodann fuchsteufelswild und er schrie Brigitte nunmehr an:

„Jetzt wisch das bitte auf, wegen dir ist mir dieses Malheur passiert“, während er an seiner Hose schrubbte, weil sie ebenfalls einige Wasserspritzer abbekommen hatte.

Ich glaube, jetzt bist du total übergeschnappt“, erwiderte Brigitte, wobei sie trachtete, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, obwohl sie total verärgert war.

„Was bildet der Schnösel sich ein, ich bin doch nicht seine Putze“. Sie drehte sich abrupt um, damit er nicht ihr vor Zorn rot angelaufenes Gesicht sah. Während sie sich abmühte, Ersatzhandlungen an der Anrichte zu machen, bis die Gesichtsröte wieder verschwunden war, keifte sie ihr Mann noch einmal an: „Ich gehe zur Bank, muss dort mit dem Bankberater einiges erledigen“, sprach‘s und war bereit, sich aus dem Staub zu machen.

So leicht allerdings ließ sich Brigitte nicht von ihrem Plan abbringen.

„Hier geblieben!“, rief sie ihm mit schriller Stimme nach „Das kannst du deiner Pepitante erzählen. Seit wann ist der Berater ohne Termin zu sprechen? Du hältst mich wohl für sehr naiv, zum Einen, weil du ewig nur zu Hause hockst, Zeitung liest und mir weismachen willst, du hättest einen Termin. Da lachen ja die Hühner, du Nesthocker. Anstatt, dass du froh bist, mit einer sehr charmanten Frau ein paar Worte wechseln zu dürfen, willst du Reißaus nehmen. So geht das nicht, mein Lieber. Schau dich mal an, wie du dich verändert hast. Verhärmtes Gesicht, dicker Bauch, vernachlässigtes Haar, das ungepflegt und stumpf wirkt.

Denk zurück an jene Zeiten, wo du noch in Amt und Würden warst, und mir, wie immer es dir gefiel, fünf Minuten zuvor einen Besuch angekündigt hast. Oftmals standen die Gäste vor der Türe, nur du warst weit und breit nicht zu sehen. Du hast dir dein Leben immer nach deiner Fasson gestaltet, ohne Rücksicht auf andere, Ludwig. Wie oft hast du mich mit deinen Entscheidungen vor vollendete Tatsachen gestellt?“

Brigitte war jetzt in Fahrt. Ihre Augen blitzten, dennoch schien sie die Ruhe in Person, ohne aufgeregt zu wirken. Die Hände blieben ruhig, die Stimme ebenfalls.

Sie erhob sie nicht, sie wurde nicht tiefer. Sie hatte sich sehr im Griff, obwohl sie innerlich aufgewühlt war. Darin war sie Meisterin. Sie setzte sich nun auf die Couch, strich dabei einige Strähnen aus ihrem Gesicht, die ihr beim Herumgehen in die Stirn gefallen waren. Sie blickte ihre Hände an, ihre gut lackierten Fingernägel, zupfte an der einen oder anderen Stelle daran herum, setzte sich betont gerade, kreuzte die Beine übereinander und dachte kurz nach.

„Dich hat es keinen Deut geschert, was ich wollte, zumindest die ersten Jahre unserer Ehe nicht. Später habe ich die Konsequenzen gezogen, und mir mein Leben so gerichtet, wie es mir gefiel. Dabei hätten wir gute Voraussetzungen gehabt, unsere gemeinsame Zukunft viel besser zu gestalten, als es im Endeffekt hinauslief.

Leider habe ich mich deinen Wünschen anfangs zu sehr untergeordnet, war es aus Liebe oder aus Bequemlichkeit. Wahrscheinlich war es sowohl als auch. Unsere Gemeinsamkeit wäre vielleicht anders verlaufen, hätte ich meinen guten Arbeitsplatz nicht aufgegeben“.

Jetzt waren ihre Gedanken und Gefühle von Melancholie begleitet, und ihr Blick schweifte zusehends in ihre Erinnerungen von anno dazumal ab. Weit weg war sie nun, unerreichbar für ihren Mann. Was wäre anders geworden, vor allem wie wäre es anders geworden? Die Antwort darauf würde sie allerdings wohl jetzt nicht erhalten, Jahrzehnte später. Nur kurz dauerte dieser Zustand an, danach war sie wieder in der Gegenwart.

 

„Zieh dich bitte jetzt ein bisschen manierlich an, du schaust aus, wie der ärgste Sandler. Was du früher für großen Wert auf dein Äußeres gelegt hast! Alles wie weggeblasen. Hast du mich jemals zu Hause in irgend welchen Fetzen herumlaufen sehen?“, fragte sie ihren Mann und blickte ihn dabei wachsam an.

„Dir war es dagegen egal, ob du dein teures Kostüm versaust, ob du dir den Kaffee drauf patzt, oder ein Stück fetter Torte am Rock hinterlässt. Dich hat mein Geld nur insoferne interessiert, solange du aus dem Vollen schöpfen konntest. Hast dich wohl nie gefragt, wie ich es herbeigeschafft habe, denn von dir ist kein Cent gekommen“, griff er sie aufgebracht an.

Nun war er sehr wütend, wegen ihrer Vorhalte, mit denen sie zweifellos recht hatte, aber ganz unschuldig war das Püppchen trotzdem nicht. Ihre hohen finanziellen Erwartungen an ihn waren für sie selbstverständlich. Er schrubbte an seiner nassen Jogginghose, machte dabei jedoch keinerlei Anstalten, den nassen Fleck am Perserteppich trocken zu reiben. Jetzt waren in seinen dunklen Augen Spuren von Verachtung zu erkennen, was Brigitte nunmehr ziemlich irritierte.

„Darauf habe ich jahrelang gewartet, auf diese Vorwürfe, nämlich nichts zu unserem Lebensunterhalt beigetragen zu haben. Wessen Idee, nein wessen Wunsch, eigentlich Befehl, war es denn, meinen Posten aufzukündigen, um zu Hause zu sorgen, dass es dem Macho an nichts fehlt? Es war dir vollkommen egal, ob mir daheim die Decke auf den Kopf fällt, Hauptsache du hattest nach einem anstrengenden Arbeitstag volle Muße. Du hast die Hände in den Schoß gelegt, obwohl es sicherlich für dich ebenfalls gut gewesen wäre, mit mir gemeinsam ein wenig im Garten herumzugraben. Allein hat es mir keinen Spaß gemacht, das kannst mir glauben, deshalb habe ich es bald einmal einem Gärtner überlassen, diese Dinge zu erledigen. Es war dir egal, Hauptsache es wurde ausgeführt.“

Nun war sie an einem Punkt angekommen, wo sie genug mit Vorhaltungen an ihn hatte, was brachte es denn? Sie wollte nur noch eine Zeit lang das Leben genießen, so richtig auf den Putz dreschen, selbst wenn das Alter dagegen sprach. Für sie war es lediglich eine x-beliebige Zahl, sie fühlte sich jung, gesund und wollte es noch einmal so richtig krachen lassen, bis ihr wenig später tatsächlich das Alter einen Strich durch die Rechnung und somit ihr Leben machte. Da war er wieder, der Verschnitt von Athene und Aphrodite. Die Lebenslust von Aphrodite, der Verstand, die Ehrlichkeit und der Gerechtigkeitssinn von Athene.

„Bitte mach mir die Freude und ziehe dir Jeans an. Du kannst meinetwegen statt eines Hemdes einen Pulli oder sonst was nehmen, trotzdem, ein wenig ansehnlicher, solltest du ausschauen. Wie toll hast du vor dem Rentendasein ausgesehen! Du hast stets großen Wert auf deine Kleidung, dein Aussehen gelegt. Die teuersten Anzüge, Hosen, Gilets, Hemden waren grade gut genug für dich. Wieso lässt du dich denn so gehen? Auch wenn unsere Ehe keinen Pfifferling mehr wert ist, ist es doch eine Frage des Anstandes, der Achtung vor dir selbst, ein wenig mehr Augenmerk auf dein Aussehen zu lenken“.

Jetzt stand sie vor ihm, bittend, sanft und sah ihm flehend in die Augen. Das war ihre Masche, damit konnte sie jeden Mann um den Finger wickeln, sogar Ludwig.

Ja, ja, ich gehe eh schon. Für dieses Hausmütterchen mich schön machen?“, murmelte er vor sich hin.

„Schön?“, wollte Brigitte ihm nachrufen. „Schön?. Was hast du nur für Vorstellungen von Schönheit, guter Mann? Du siehst aus wie ein alternder Mehlsack, mit Falten, als wärst du einhundertzwanzig Jahre alt“, dachte sie bei sich. „Dein gutes Aussehen hast du damals in der Firma mit abgegeben, als du deinen Ruhestand antratest. Ab diesem Tag bist du alt geworden, obwohl du noch taufrisch warst. Ich habe dich in all dieser Zeit nicht verstanden. Du hattest dich allerdings verwunderlicherweise in dieser neuen Lebensphase wohl gefühlt, offensichtlich war für dich dein Soll erfüllt“.

Sie machte kurzerhand ihren Erinnerungen ein Ende, stand auf und begann, den nassen Fleck mit Zeitungen und Tüchern zu trocknen. So konnte sie es nicht belassen, wenn Waltraud kam. Wahrscheinlich hätte sie ihr diese Arbeit sofort aus der Hand genommen und hätte selbst geschrubbt.

„Ob sich das Treffen mit Paolo heute noch ausging?“, fragte sie sich. „Kommt ganz darauf an, wie es mit Waltraud lief, und wann sie bereit war, nach Hause zu gehen.

Ich muss es einfach drauf ankommen lassen, absagen kann ich dem Jungen immer noch“, sagte sie sich und lächelte verschmitzt wegen des Ausdrucks „Jungen“. Was nicht heute passiert, geschieht eben morgen. Ich habe jede Zeit der Welt. Noch im Moment“.

Sie richtete drei Tassen, stellte sie auf den Couchtisch, mit allen dazugehörigen Utensilien, denn Waltraud kam sicherlich mit einer halben Tonne Kuchen angerannt.

Möglicherweise sogar mit verschiedenen Sorten.

Als alles vorbereitet war, ging sie in ihr Zimmer, um sich ein wenig zu verschönern, nur nicht zu aufdringlich, denn Waltraud war nie geschminkt.

Auf der Treppe fielen ihr wieder die Worte ein, von wegen Terminabsprache mit ihrem Mann. „Was hat er denn schon vor, den ganzen, lieben langen Tag? Ob er den Zeitungsartikel jetzt, in 2 Minuten, oder 2 Stunden lesen soll? Überhaupt, was macht er den ganzen, lieben langen Tag, wenn ich weg bin? Bücher liest er schon lange nicht, im Fernsehen interessieren ihn lediglich die Nachrichten. Dass ihm nicht fad wird!“ überlegte sie. „Mir würde die Decke auf den Kopf fallen, wenn ich den ganzen Tag untätig zu Hause sitzen müsste.“ „Sportlich betätigt er sich kaum, hie und da geht er eine Runde golfen, trinkt danach noch ein Glas Bier“. Zumindest sagt er es so, ob es stimmt?“, fragte sie sich nun ernsthaft. Ich weiß wirklich nicht, was er den ganzen Tag treibt“, überlegte sie sich. „Dem werde ich noch nachgehen müssen, ist doch eigenartig, dass wir so verschiedene Leben führen, obwohl wir uns ein Paar nennen. Andererseits kann es mir egal sein, es ist sein Leben, das er auf diese Art und Weise verschleudert. Und was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“.

***

Es läutete.

Brigitte ging zur Tür und zog einen Duft von teurem Parfum von Dior hinter sich nach.

„Da habe ich wohl ein wenig zu tief in den Topf gegriffen“, sagte sie lachend zu sich selbst.

Sie hatte Waltraud kurz vor deren Scheidung nicht mehr gesehen, „das müsste so an die zwei Jahre her sein“. Waltraud hatte sich von dem Freundeskreis komplett zurückgezogen. Einige Male hatte sich Brigitte um sie bemüht, sie eingeladen, oder versucht, sie mit anderen Freunden zu einem Ausflug, zu überreden. Waltraud hatte immerzu abgelehnt. Offensichtlich war sie darauf eingestellt, ein komplett neues Leben zu beginnen, und ihr altes, gemeinsam mit ihrem geschiedenen Mann, zurückzulassen. Brigitte war neugierig auf Waltraud, denn in zwei Jahren verändern sich Leute.

„Hoffentlich erkenne ich sie wieder“, kam ihr in den Sinn. „Wäre durchaus möglich, dass sie sich vor Frust noch einige Kilos mehr angegessen hat. Oder ihr Haar hängt ihr fett und ungepflegt ins Gesicht, graue Strähnen, die nie auch nur einmal eine Farbe gesehen hatten. Einen Kittel, aus vorsintflutlichen Zeiten, den sie in einem Second- hand-Laden erstanden hat, weil sie jetzt sicherlich jeden Groschen zehn Mal umdrehen muss, die Arme. Nun ja, ich werde es gleich sehen“.

Brigitte öffnete die Tür. „Hallo Walt….“, weiter kam sie nicht, denn diese Frau, die vor ihr stand, kannte sie nicht.