Die vergiftete Oper

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Die vergiftete Oper
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GERD SCHUSTER

Die vergiftete Oper

Katze Blümchen ermittelt:

Der dritte Fall

Lese-Hörspiel

FinEboox

Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Lese-Hörspiels sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch nur auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Autors nicht erlaubt und urheberrechtswidrig. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Gerd Schuster

»Die vergiftete Oper«

Copyright © 2012: Gerd Schuster

g.schuster@fineboox.de

Cover/Fotos: Elke Schuster

www.boehmdesign.net Beratung/Koordination: Michael Schneider

Version: 1.0

Umfang: 112 Seiten auf Basis der Normseite

mit 30 Zeilen zu 60 Anschlägen;

144.000 Zeichen inkl. Leerzeichen

www.fineboox.de Published by epubli GmbH, Berlin www.epubli.de ISBN: 978-3-8442-3117-5

Das Buch:

Wieder herrscht Aufregung in dem feudalen Wohnblock »Am Erlenbrook« im noblen Hamburg-Winterhude: Jasmin, die junge und bildschöne Thai-Frau des streitsüchtigen alten Notars Onno von Brunckhorst, wird tot in ihrer Wohnung gefunden. Gestorben ist sie an mehreren Bissen exotischer Giftschlangen. Ihr Mann befindet sich auf einer Tagung in Bayern – ein gutes Alibi.

Die detektivisch begabte und dank ihrer überlegenen Sinne bevorteilte Hauskatze Blümchen, die die Leiche der 27-jährigen bei der Suche nach dem vermissten Siamkater To-Fu aufspürt, nimmt die Ermittlungen auf. Die Edel-Hure Roxanna, die in der teuersten Wohnung des Hauses residiert, verrät ihr, dass Jasmin schon als Kind in Thailand auf den Strich geschickt wurde und von dem alten Notar aus einem Bordell in Phuket freigekauft wurde. Weil er sie aber wie eine Leib-eigene knechtete, holte sie sich - während der kleinkarierte Onno in seiner Kanzlei weilt - Liebe, Zuwendung und Wärme von anderen Hausbewohnern.

Es gelingt Blümchen, einen Packen an Jasmin gerichteter Liebesbriefe an sich zu bringen. Professor Sebastian Schlichtkohl, Historiker und »Partner« der fülligen Mieze, konstatiert bei der Lektüre der Episteln perplex, dass ohne sein Wissen Sodom und Gomorra unter dem Dach von »Am Erlenbrook« herrschten. Mindestens sechs männliche Mitbewohner hatten die Gunst der schönen Thailänderin genossen und hielten sie für ihre große Liebe – Medizinprofessor Stei-nert, Drehbuchautor Lewandowski, Kontratenor Skinner, Cembalist Arroyo, der zwielichtige Im- und Exportkaufmann Visividicic sowie der im Fall der blutroten Violine ermordete Georgies Jekaschkaschwili.

Es entspannt sich ein Drama von Verlustnot, Eifersucht und Rachedurst – von der Katze mild bestaunt. Eine Rechnung taucht auf, der zufolge die drei kleinen Schwarzen Mambas, an deren Gift die leichtlebige Schöne starb, von Professor Steinert geordert wurden, ihrem Nachbarn. Aber alles spricht dagegen, dass der Diagnostiker vom Universitätsklinikum der Mörder ist. Aber wer hat die Giftnattern per Internet bestellt und in die Plastiktüte mit den antiquarischen Noten gekippt, die Jasmin im Auftrag des Kontratenors Robin Skinner – ebenfalls ein Liebhaber - nach den drei in Hamburg verschollenen Händel-Opern durchsuch-te? Motive und Verdächtige gibt es im Überfluss. Und drei lebensgefährliche Giftnattern treiben im Haus ihr Unwesen ...

»Die vergiftete Oper« ist der dritte Teil einer Lese-Hörspiel-Serie mit der Katzen-Detektivin Blümchen. Auch die im gleichen Ambiente spielenden Teile 1 (»Die blutrote Violine«) – und 2 (»Vivaldis kleiner Finger«) liegen vor. Da sie von Louis Spohr bzw. Georg Friedrich Händel handeln, stellen die Katzenkrimi-Hörspiele die »Komponisten-Trilogie« dar. Die musikhistorischen Begebenheiten sind selbstverständlich korrekt.

Der Autor:

Gerd Schuster wurde im Juni 1946 in Limburg an der Lahn geboren, wo er schon als Gymnasiast Artikel für Zeitungen – u.a. die FAZ – schrieb. Nach dem Studium an den Universitäten Frankfurt und Mainz und dem Erwerb des akademischen Grades eines Diplomübersetzers zog Schuster 1972 nach London. Dort arbeitete er als Lexikograph bei George G. Harrap und ab 1974 als Redakteur für den deutschen Dienst der Washington Post und der Los Angeles Times. Nach zwei Jahren als Leiter des Dienstes ging er 1978 nach Bonn zur Nachrichtenagentur Reuters, wo er sehr erfolgreich unter eigenem Namen Wissenschafts-Features schrieb. Bei Reuter wurde Schuster slot man, Schichtleiter.

1983 wechselte er aus Überzeugung zum neugegründeten Umweltmagazin »natur« nach München, wo er bis zum Ausscheiden von Gründer und Chefredakteur Horst Stern blieb. Er schrieb weiter für die FAZ, unter anderem eine Reportage über den Flug mit einem Wetterflugzeug der NOAA-»Hurricane Hunters« durch das Auge des Mega-Hurrikans »Gilbert« (1985), mit dem er in die Endausscheidung des Kisch-Preises kam.

Ende 1988 verließ Schuster das zahnlos gewordene Öko-Blatt und ging am 1. Februar 1989 als Leiter eines neugegründeten Ressorts »Ökologie, Wissenschaft und Forschung« zum Magazin Stern nach Hamburg. Nach einem Jahr Verwaltungsarbeit wurde Schuster Reporter, was ihm mehr lag. Als produktiver Schreiber und »Edelfeder« zeichnete sich Schuster durch akribische Recherche und Wagemut aus. Neben riskanten Themen wie dem Krieg in Kuwait, dem amerikanischen Atomwaffentestgebiet Nevada Test Site, der Pestepidemie in Indien oder der Greenpeace-Aktion gegen die Atominsel Moruroa sowie lebensmittelchemischen Enthüllungsartikeln widmete sich Schuster immer mehr anspruchsvollen Tiergeschichten. Bis zu seinem Ausscheiden beim Stern Ende März 2006 verfasste Schuster rund siebzig solcher Reportagen, in denen er häufig Tierquälerei aufdeckte. Immer wieder kam es nach Veröffentlichung zu Gesetzesänderungen zugunsten der Tiere.

Für seine Arbeit wurde Schuster mehrfach ausgezeichnet, unter anderem vom Deutschen Tierschutzbund (2005). 2006 belegte er beim IUCN-Reuters-Wettbewerb für Umweltberichterstattung den zweiten Preis in der Kategorie Europa, 2007 wurde ihm der José-Lutzenberger-Preis für investigativen Journalismus verliehen.

Schuster ist Autor oder Ko-Autor von vier Büchern, darunter »Die Denker des Dschungels« (2007, Text von Schuster), das zum Bestseller wurde und bisher in drei Sprachen übersetzt worden ist. Außerdem hat Schuster Beiträge in rund fünfzig Büchern veröffentlicht.

Katze Blümchen: Kennen Sie das – aufwachen vom eigenen Mundgeruch? Brrr! Es gibt wahrlich angenehmere Arten, den neuen Tag zu beginnen! Wenn Sie meine Frage mit einem Ja beantwortet haben, ist Ihnen sicher bekannt, dass der Raubtieratem oft in Begleitung anderer unerfreulicher Erscheinungen auftritt: Unausgeschlafenheit, Hunger und Unterzuckerung, also schlechter Laune. Man fühlt sich so, wie man aus dem Rachen stinkt.

Ich befand mich in den tiefsten Abgründen dieses elenden Zustands, als der chinesische Wunderheiler aus der 17 bei uns klingelte – morgens um Viertel vor sieben! Sebastian hatte – wohl auch wegen der unhanseatischen Hitze, die Hamburg seit Tagen zu einer Sauna machte und Schlafen erschwerte – bis weit in den Morgen hinein am Rechner gearbeitet. Am vorlesungsfreien Freitag konnte er ja ausschlafen – dachte er.

Mein Partner rappelte sich ächzend hoch und wankte zur Tür, während ich unterm Bett in Deckung ging. Ich war erst vor zwei Stunden von der Pirsch zurückgekehrt, hatte lange vergeblich nach einem kühlen Plätzchen gefahndet, es aus lauter Verzweiflung im Porzellanwaschbecken im Bad und an der Kloschüssel versucht und war endlich auf dem großflächig kühlenden Kachelfußboden eingeschlummert – vor zehn Minuten, wie mir schien.

Ich kniff die Augen zu und versuchte, den Schlaf einzufangen wie eine Maus. Aber gegen meinen Willen hörte ich, wie der Heilpraktiker aus dem vierten Stock nach tausend Entschuldigungen Sebastian in bewegenden Worten sein Leid klagte. Seine Katze sei nicht nach Hause gekommen, jammerte der alte Mann, und er mache sich schreckliche Sorgen. To–Fu, sein einziger Gefährte, sei ein Muster an Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Er kehre stets um drei Uhr morgens von seinen nächtlichen Ausflügen zurück, sagte Fu En–Lei mit zitternder Stimme. Jetzt sei er schon fast vier Stunden überfällig! Ob Blümchen den Kater suchen könne? Sein Landsmann Lang Sing, bei dem er ebenfalls vorstellig geworden sei, habe ihm Wunderdinge über die detektivischen Fähigkeiten dieser Katze erzählt.

Es fehlte nicht viel, und der alte Mann hätte geschluchzt. Sein Deutsch war grammatikalisch nicht ganz so gut wie das von Lang Sing; dafür hatte er weitaus weniger Probleme, die r und l auseinanderzuhalten.

(Im Hintergrund die helle Altmännerstimme des Heilpraktikers: »Lieber Herr Schlichtkohl, ich mir machen gloße, gloße Solgen um meine Riebling! Ganz ungewöhnlich für Kater, sich so zu velspäten! Darf ich sie bitten helzlich um die Untelstützung durch clevele Katze Ihrige? Lang Sing sagen, Brümchen finden To–Fu in fünf Minute! Ich bin wilklich sehl velzweifelt!«)

Ich war sauer. Nicht, dass ich den Kummer des Alten nicht verstand oder dass To–Fu mein Feind gewesen wäre. Dafür hatte der dürre Siamkater mit seinen drei oder vier Pfund einfach zu wenig Substanz. Die halbe Portion war mir lästig, weil er komplett distanzlos war und mich respektlos mit seinen knallblauen Augen anstarrte, was hierzulande in Felidenkreisen als aggressiv gilt. Ich hatte ihn mit einem Satz Ohrfeigen überzeugen müssen, dass es besser war, einen Bogen um mich zu machen, statt schnurstracks auf mich zuzusteuern, um Küsschen zu geben. War ich seine Patentante oder was?

 

Nein, es war einfach der falsche Zeitpunkt! Uns Katzen ist Schlafen fast so wichtig wie Fressen, und wenn wir uns trotz müder Glieder dennoch vom Lager erheben sollen, musste es einen gewichtigen Grund geben. Die übertriebene Sorge der Dosenöffner um unsereins gehörte nicht dazu. Die Menschen vergaßen über unserem Schmusen und Schnurren gern, dass wir im Kern unseres Wesens einzelgängerische Raubtiere waren, einsame Jäger und unerschrockene Kämpfer, die ihre Unabhängigkeit liebten und jede Art von Einengung und Gängelei hassten.

Man könnte sagen, dass in jeder Mieze ein »lone rider« steckte. Wenn sich Clint Eastwood in einem Western benahm wie ein Kater auf der Pirsch, sich von niemandem schief ansehen ließ und von einem Zweikampf mit zweibeinigen Ratten in den nächsten schlitterte, bewunderten sie seine individualistische Lebensart und seine Macho–Härte; wenn aber wir unsere Instinkte auslebten, regten sie sich auf!

Meinen Sie, Clint Eastwood wäre jede Nacht um Punkt drei nach Hause gekommen wie To–Fu?

Übel gelaunt ergab ich mich in mein Schicksal. Sebastian würde dem vom Alter gebeugten Chinesen die Bitte nicht abschlagen, mich für die Suche nach dem dürren Blau–Auge abzustellen. Schließlich verging er selber vor Angst, wenn ich mal ein paar Stunden länger als gewöhnlich ausblieb.

Während Sebastian mit dem Brekkies–Glas durch die Wohnung ging und mit den Katzenkuchen rasselte ...

(Entsprechende Geräusche, dazu Schlichtkohls lockende Worte: »Blümchen, wo bist du denn, mein kluges Dickerchen? Komm raus aus deinem Versteck – du musst To–Fu suchen ...«)

... und Lockrufe ausstieß, fiel mir ein, dass ich den kleinen Stinker die ganze Nacht draußen nicht gesehen hatte. Es war eine Wohltat gewesen, den fetten Kanalratten nachstellen zu können, ohne ständig von dem Neonauge aus der Ferne beobachtet zu werden. Sollte dem Bürschchen doch etwas passiert sein? Weil er ein so lächerlich dünnes Fell hatte, kam er doch erst bei Hitze auf Betriebstemperatur! Deshalb hatte ich mich, als ich das Haus verließ, resigniert darauf vorbereitet, ihn in dieser Tropennacht wie aufgedreht herumtollen sehen zu müssen.

Widerwillig kroch ich unter dem Bett hervor, streckte mich gähnend, verzehrte ohne wirklichen Appetit eine Handvoll Bestechungs–Brekkies und ließ mir von Sebastian berichten, was ich längst gehört hatte. Im Bewusstsein meiner Verantwortung, für die ich mich viel zu müde fühlte, trat ich in den Korridor hinaus und schnupperte – unter den Augen des händeringenden chinesischen Heilkünstlers und meines Partners.

Wie üblich schwebten so viele Bukette, Duftbotschaften und Eigengerüche in der Luft, dass man mit ihnen einen Aromaladen hätte aufmachen können: Die desinfektionsmittelgeschwängerte und waschmittelparfumschwere Aura von Dr. Knochelius, der wieder einmal als einer der ersten das Haus verlassen hatte, um ein paar Dutzend Hände im Akkord zu operieren; der Schweißdunst von Professor Stich–Krull, der vom Joggen zurückgekehrt war; Parfümwolken von Roxanna, der karibischen Schönheit aus der 21, die offenbar einen aushäusigen Termin absolviert hatte, und natürlich die prägnante Salami–Fahne aus der Tragetasche des Pizza–Boten auf dem Weg zu Video–Millionär Jipps. Über allem hingen der Duft der Alster und der Hortensien im Vorgarten sowie Fu En–Lais exotischer Kräuteraroma–Mix. Auf seiner rastlosen Suche nach To–Fu schien der China–Heiler jeden Winkel des Gebäudes und seines Grundstückes abgesucht zu haben.

Es dauerte eine halbe Minute, dann hatte ich den kleinen Siamkater geortet. Um genau zu sein: seinen Urin. Er hatte sich nämlich entleert, aber nicht in die desodorierende Streu seines Katzenklos, sondern an einen nicht mit Sanitärmaterial ausgestatteten Ort! Das war äußerst ungewöhnlich; denn wir Katzen sind auf Reinlichkeit erpicht, und mir war bisher nie aufgefallen, dass To–Fu in dieser Beziehung aus der Art geschlagen war.

Mein Gehör brauchte ein klein wenig länger als meine Nase, um das kleine Langohr zu finden. Aber dann wusste ich definitiv, dass etwas faul war: To–Fu, der nicht mehr als ein Dutzend Meter entfernt war, weinte leise und klapperte vor Angst mit den Zähnen! Irgendetwas Schlimmes war passiert, denn der Siamese war kein Feigling. Wie viele kleinwüchsige Edelkatzen hatte er eher zu viel Courage, als gut für ihn war.

Gefolgt von Sebastian und dem Akupunkteur sauste ich die Treppe in den zweiten Stock hinauf und bremste vor der 9. Hier, in der Wohnung von Notar Onno von Brunckhorst und seiner Frau Jasmin, steckte der verlorene Kater! Mir kam der Gedanke, dass die Sorgen des alten Chinamannes vielleicht doch nicht ganz unbegründet gewesen waren; denn unter der Tür waberten zusammen mit dem Uringestank Gerüche hervor, die mir fremd waren. Sie waren aber mit Sicherheit böse.

(Fu En–Lai aus dem Off: »Wie? Was? Hiiier sollen To–Fu sein? Zu Notar er aber nicht gehen, weil der schimpfen immel auf Katzen, auf Wettel, auf Nachbarn, auf Flau, auf alles. Auch auf mich. Nennen mich Kulpfuschel! Brümchen sich illen ...«)

Katze Blümchen: Ich kratzte an der Wohnungstür, und Sebastian klingelte nach Menschenart. Nach einer Pause von etwa zehn Sekunden, in der sich hinter der Tür nichts rührte, erklang ein ebenso schrilles wie klägliches »Miau«, das zweifellos aus To–Fus magerer Kehle stammte. Gleichzeitig ertönte ein merkwürdiges gläsernes Klimpern und Klirren.

Fu En–Lai, der eben noch meine fahnderischen Fähigkeiten in Zweifel gezogen hatte, flippte vor Aufregung aus. Er trommelte mit seinen mageren Fäusten an die Tür, und mein Partner musste ihn bremsen.

Fu En–Lai: Das er sein! Es gehen ihm nicht gut! Mein kleines Schatz hat Schmelzen! Ist vierreicht velretzt! Aufmachen! Blunckholst, sofolt aufmachen! Verdammtes Katzenschändel!!! (trommelt an die Tür)

Professor Dr. Sebastian Schlichtkohl: Jetzt beruhigen Sie sich mal, Herr En–Lai! Wir haben Ihren Kater im Nu gefunden, und er lebt. Jetzt werden wir sehen, wie wir ihn da rausholen. Okay? Wenn Sie durchdrehen, nutzen Sie Ihrem To–Fu wenig.

Katze Blümchen: Sebastian rief mit seinem Handy Brunckhorsts Nummer an, aber es war besetzt. Kopfschüttelnd ...

Sebastian: Niemand ist zuhause, aber trotzdem ist der Anschluss besetzt!

(Fun En-Lai klopft wieder)

Vielleicht telefoniert Frau Brunckhorst im Schlafzimmer bei geschlossener Tür und Rockmusik mit Thailand!

Katze Blümchen: ... klingelte er erneut, und als sich wieder nichts rührte, holte er den Wohnungsschlüssel von Geigenlehrer Böse–Grünlich im Erdgeschoss, der die Zweitschlüssel verwaltet.

(Rasche, sich entfernende Schritte auf der Treppe, Klopfen, fernes Gerede, sich wieder nähernde Schritte)

Katze Blümchen: Als die Tür endlich aufging, bot sich uns ein frappierender Anblick: Über einem großen runden Tisch, der mit einer Flut vergilbter Notenblätter bedeckt war, brannte ein großer alter vielarmiger Kronleuchter. Zwischen seinen Kerzenbirnen und Girlanden aus geschliffenen Glasperlen balancierte der bibbernde To–Fu auf einem der gebogenen Arme des Lüsters, bemüht, genügend Abstand zu den heißen und blendenden Lampen zu halten, ohne abzustürzen. Er wirkte wie ein verzaubertes Eichhörnchen aus »Alice im Wunderland«.

Das war das einzig Märchenhafte in dem Zimmer. Schon der Uringestank, der von durchnässten Noten auf dem Tisch herüber waberte, war sehr wirklich. Brutal reell war, was wir als Nächstes erblickten: An der rechten Seite des Tisches, wo besonders viele Notenblätter über den Teppich verstreut waren, lagen eine weiße Plastiktüte und ein umgekippter Polsterstuhl. Seine Rückenlehne zeigte auf ein Ledersofa unter dem Panoramafenster zur Alster, auf dem eine attraktive junge Frau halb saß und halb lag. Wegen der Hitze trug sie nur einen knappen Spitzen–BH und ein ebensolches Höschen. Sie war mausetot.

Es war Frau Brunckhorst, die hübsche Thailänderin, die höchstens halb so alt gewesen war wie der streitsüchtige kleine Notar, der mich immer an einen kleinen Kläffer erinnerte. Mit der linken Hand umklammerte die Tote den Telefonhörer. Ihr rechter Arm, der ausgestreckt auf den Sofakissen lag, war stark geschwollen. Hand und Teile des Unterarms waren nicht nur aufgebläht, sondern überdies schwarz verfärbt. Es sah schlimm aus.

Der alte Wunderdoktor hatte nur Augen für seinen Liebling. Während Sebastian und ich vor Schreck erstarrt waren, eilte er in die Wohnung. Als er sich dem Kronleuchter bis auf drei Meter genähert hatte, sprang To–Fu ihm mit einem mächtigen Satz in die Arme. Der Lüster schwankte und klirrte, aber das kümmerte den Chinesen eben so wenig wie die Tote. Mit strahlendem Gesicht machte er auf dem Absatz kehrt, um den vermissten Kater in Sicherheit zu bringen. Kurz bevor der kleine Siamese, den sein Herrchen an die Brust drückte, die Wohnung verließ, drehte er sich zu mir um und stieß einen Alarmruf aus, den alle Katzen der Welt verstehen – und fürchten. »Schlangen!« lautete er.

Schlangen!!! Der Horror schlechthin! Mein Fell sträubte sich, und mein Schwanz verfünffachte seinen Durchmesser. In allen Katzen saß eine heftige Urangst vor dem kriechenden Giftgezücht, und ich verstand mit einem Schlag, warum der kleine Siamese den Zwei–Meter–Satz in den schlangensicheren Kronleuchter riskiert und von dort seine Blase entleert hatte.

Schlangen waren Wesen von einem anderen Stern, die in unserem Tierreich nichts verloren hatten. Sie waren gefährlicher als alles, was wir Katzen kannten, denn ein einziger kleiner Ritzer genügte ihnen, und man war verloren. Dazu kam der Umstand, dass sie im Gegensatz zu den anderen Tieren keinen nennenswerten Eigengeruch hatten. Das war für uns Katzen besonders beunruhigend, denn er machte die Teufelsbrut für uns quasi unsichtbar.

Ich weiß, dass Sie das als Mensch nicht sofort nachvollziehen können; aber unsere Nase und unser im Gaumen sitzendes Vomeronasal–Organ, das Pheromone erschnüffelte, fungierten nicht nur bei schlechten Sichtverhältnissen wie ein zweites Augenpaar. Sie waren immer aktiv, und das war gut so: Schließlich konnte man nicht um die Ecke und durch Türen sehen, aber riechen! Der fehlende Eigengeruch der Schlangen irritierte uns Katzen so, weil uns schien, als trügen die verdammten Biester eine Tarnkappe!

Vom Vomeronasal–Organ haben Sie noch nie gehört? Eine eklatante Bildungslücke; denn auch Sie haben eins, sogar in doppelter Ausführung. In jedem Nasenloch liegt ein kleines Würstchen dicht am Nasenbein – Ihr sechster Sinn! Wir Katzen nutzen das Organ zum Flehmen. Was Sie damit tun, weiß ich nicht, denn ich habe Sebastian noch nie beim Flehmen beobachtet. Er hat aber gesagt, das kleine Organ sei für Partnerwahl und Sex wichtig und der Sinn des Handkusses. Schauen Sie mal bei Google nach!

Wo war ich stehen geblieben? Ah ja, bei den Reptilien ... Ich hatte noch nie eine leibhaftige Schlange gesehen, aber ich fürchtete die schuppigen Kriecher mehr als ein Rudel Rottweiler: Sie waren fremdartig, heimtückisch und unberechenbar. Und sie besaßen keine Mimik! Wenn man eine Schlange traf und in einen Zweikampf geriet, gab einem das maskenhaft starre Gesicht keinerlei Hinweise darauf, was sie im Schilde führte! Als wäre das alles nicht schon übel genug, konnten sich die Echsen, soviel ich wusste, lautlos und rasch fortbewegen, hatten blitzartige Reflexe, ganz wie wir Katzen, und griffen gern aus dem Hinterhalt an! Mir schauderte!

Zugleich keimte in mir eine uralte Ahnung auf. Eine Ur–Erinnerung an tausend epische Kämpfe zwischen Katzen und Schlangen. Konnte es sein, dass wir Feliden einer der wenigen Gegner waren, die die Reptile wirklich zu fürchten hatten? War die Urangst ein Relikt urzeitlicher Kampfvorbereitung? Adrenalin zum Schärfen der Sinne?

Fu En–Lai hatte gerade begonnen, die Treppe zu erklimmen, um seinen kleinen Liebling im vierten Stock in Sicherheit zu bringen, als ein großer und breiter Mann mit rötlichem Gesicht aus der Nachbarwohnung trat, die Tür hinter sich zuzog und abschloss. Das war der Mediziner Professor Steinert auf dem Weg ins Universitätsklinikum Eppendorf, UKE genannt. Der Spezialist für Endoskopie stutzte, als er mich und Sebastian in der 9 sah. Sein Gesicht wurde grau und nahm einen besorgten Ausdruck an. Er stellte seinen Ärztekoffer ab und eilte auf uns zu. Um Gottes Willen, sagte er, ist etwas mit Jasmin?

(Steinert aus dem Off: »Um Gottes Willen, ist etwas mit Jasmin?«)

Als er die Tote sah, wich alle Farbe aus seinem Gesicht. Es sah einen Moment aus, als wolle er die Leiche aufheben und an sich drücken. Ich konnte sehen, dass mein Partner »Nicht anfassen!« rufen wollte; aber da fuhr ein Ruck durch den Arzt. Entsetzt starrte er die rechte Hand der Toten an. Dann krächzte er ...

 

Mediziner Professor Steinert: Schlangenbisse! Sie ist an Schlangenbissen gestorben! Aber das kann nicht sein! Das darf nicht sein! Das ist unmöglich! Meine waren doch eben noch im Terrarium!

Katze Blümchen: Er drehte sich um, hastete aus der Wohnung, öffnete sein Apartment, rannte hinein und kehrte nach wenigen Augenblicken wieder zurück. Er keuchte:

Steinert: Meine Schlangen sind alle in ihrem Gehege. Die können es nicht gewesen sein!

Katze Blümchen: Er stand da, schaute die Tote an, und dicke Tränen liefen ihm über das Gesicht. Entschuldigen Sie bitte, sagte er nach einer Weile ...

Steinert: Entschuldigen Sie bitte meine Gemüts ... äh ... regung. Jasmin war so eine nette, liebenswerte ... äh ... Nachbarin und eine so schöne und lebenslustige Frau! Und jetzt ist sie tot! Es will mir nicht in den Kopf!

Katze Blümchen: Benommen schlich er zur Tür hinaus. Mit hängendem Kopf nahm er seinen Aktenkoffer auf und schleppte sich davon. Seine Schultern zuckten stoßweise. Mein Partner schaute ihm verdutzt hinterher. Dann sagte er ...

Sebastian: Wenn Frau Brunckhorst an einem Schlangenbiss gestorben ist, muss sich das Tier hier irgendwo versteckt halten. Ich denke, es ist besser, wir ziehen uns zurück und alarmieren die Polizei!

Katze Blümchen: Gesagt, getan. Wir verließen die 9 und schlossen die Tür. Da kam mir zu Bewusstsein, dass sie – Hundedreck und Mäusepest! – die ganze Zeit offen gewesen war! Eine Einladung an kriechendes Giftgewürm, unbemerkt den Tatort zu verlassen!

Bevor ich erzähle, was weiter geschah, will ich mich endlich vorstellen. Bei ein paar meiner letzten Fälle habe ich das peinlicherweise verschwitzt. Im Eifer des Gefechts kann das jedem passieren! Aber ich lerne dazu. Ich werde Ihnen beweisen, dass ich eine Bauernkatze bin, die weiß, was Benimm ist!

Das soll nicht heißen, dass ich mich für die menschlichen »Manieren« und Etiketten erwärmt habe. Von denen halte ich weiterhin nicht die Bohne! Das mag eine Folge meiner rustikalen Kinderstube sein; vielleicht ist es aber auch in der Tatsache begründet, dass wir Katzen hervorragend ohne Visitenkarten und den anderen Schnickschnack auskommen, wenn wir jemanden treffen und eine Vorstellung fällig wird! Uns genügen ein Schnüffeln, ein wenig Körpersprache und Mimik. Dauert eine halbe Sekunde und sagt alles.

Also dann: Ich bin die Katze Blümchen und lebe mit Sebastian in Wohnung 7 im ersten Stock eines repräsentativen fünfstöckigen Jugendstil–Hauses in Hamburg–Winterhude. Es hat 24 Wohnungen. Ich bin so groß und kräftig, dass mich jeder Mensch zunächst für einen Kater hält. Wenn ich mich auf die Hinterbeine stelle, kann ich meine rosa Nase über den Rand von Sebastians Küchentisch strecken – und der ist einen Meter hoch, sagt mein Partner!

Wegen meiner Muskelpakete und des Genießerspecks wiege ich über sieben Kilo. In der Zeit fahnderischer Untätigkeit seit dem letzten Fall dürften noch ein paar Pölsterchen dazu gekommen sein. Daran ist Böse–Grünlich schuld, der Geigenlehrer aus Wohnung 3. Er überhäuft mich mit Leckerbissen, sobald er mich sieht. Und das nur, weil ich eine alte Violine gerettet habe ... Aber mir soll’s recht sein!

Ich bin ebenso großfleckig wie unregelmäßig schwarzweiß gefleckt. Auf dem Rücken dominiert Schwarz, am Bauch Weiß. Ich trage das typische weiße Felldreieck der Bauernkatze im ansonsten schwarzen Gesicht, habe große smaragdgrüne Augen, beige Ohren und einen dicken, schwarzgrau geringelten Schwanz mit weißer Spitze.

Am Achtersteven, sagt Sebastian, habe ich auch ein paar fuchsrote Fellareale. Eines davon sitzt am rechten Hinterbacken neben der Schwanzwurzel und hat die Form einer Blüte – rot auf weiß. Daher mein Name. (leicht mürrisch) Gesehen habe ich das Ding noch nie! Es befindet sich an der einzigen Stelle meines Körpers, die ich nicht betrachten kann!

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