Jesus nach 2000 Jahren

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Mk 7,1-23: Der Streit über Rein und Unrein

(1) Und es versammeln sich bei ihm die Pharisäer und einige der Schriftgelehrten, die aus Jerusalem gekommen waren. (2) Und als sie einige der Jünger sahen, daß sie mit unreinen Händen, das bedeutet ungewaschen, die Brote essen –

(3) denn die Pharisäer und alle Juden essen nicht, wenn sie nicht mit einer Faust die Hände gewaschen haben, und halten so an der Überlieferung der Ältesten fest, (4) und wenn sie vom Markt (kommen), essen sie nur, wenn sie sich (oder: es) besprengt (= gereinigt) haben. Und vieles andere gibt es, was sie übernommen haben, daran festzuhalten: Abspülungen von Bechern und Krügen und Kupfergefäßen.

(5) Und es fragen ihn die Pharisäer und die Schriftgelehrten: »Warum wandeln deine Jünger nicht nach der Überlieferung der Ältesten, sondern essen mit unreinen Händen das Brot?«

(6) Er aber antwortete ihnen: »Gut hat Jesaja über euch Heuchler prophezeit, wie geschrieben ist:

›Dieses Volk ehrt mich mit Lippen,

ihr Herz aber ist weit von mir entfernt.

(7) Vergeblich verehren sie mich,

indem sie als Lehren Menschengebote lehren.‹

[Jes 29,13 LXX]

(8) Indem ihr das Gebot Gottes fahren laßt, ergreift ihr die Überlieferung der Menschen.«

(9) Und er sagte ihnen: »Gut setzt ihr das Gebot Gottes außer Kraft, damit ihr eure Überlieferung beachtet. (10) Moses nämlich sagte:

›Ehre deinen Vater und deine Mutter‹,

[Ex 20,12; Dtn 5,16]

und:

›Wer Vater und Mutter schmäht, soll des Todes sterben‹.

[Ex 21,17; Lev 20,9]

(11) Ihr aber sagt: ›Wenn ein Mensch zu Vater oder Mutter gesagt hat: ›Korban‹ – was heißt: ›Weihegeschenk sei, was dir von mir geschuldet wird‹ –, (12) dann laßt ihr ihn nichts mehr für den Vater oder die Mutter tun. (13) So hebt ihr das Wort Gottes durch eure Überlieferung auf, die ihr weitergegeben habt. Und dergleichen tut ihr noch viel mehr.«

(14) Und wiederum rief er das Volk und sagte ihnen: »Höret mich alle und begreift! (15) Nichts gibt es, was von außerhalb des Menschen in ihn hineinkommt, das ihn verunreinigen kann; sondern diejenigen Dinge, die aus dem Menschen herauskommen, sind es, die den Menschen verunreinigen.« [V. 16 gehört nicht zum ursprünglichen Text.]

(17) Und als er von der Volksmenge weg in ein Haus hineinging, fragten ihn seine Jünger nach dem Gleichnis. (18) Und er sagt ihnen: »So seid ihr unverständig? Begreift ihr nicht, daß alles, was von außerhalb in den Menschen hineinkommt, ihn nicht unrein machen kann, (19) weil es nicht in sein Herz geht, sondern in seinen Bauch und in den Abort hinausgeht?«

Damit erklärte er alle Speisen für rein.

(20) Er sagte aber: »Was aus dem Menschen herauskommt, jenes verunreinigt den Menschen. (21) Von innen nämlich, aus dem Herzen der Menschen, kommen die schlimmen Gedanken heraus: Hurereien, Diebstähle, Morde, (22) Ehebrüche, Begehrlichkeiten, Bosheiten, Arglist, Ausschweifung, böser Blick, Lästerung, Hochmut, Unverstand.

(23) Alles dieses Böse kommt von innen heraus und verunreinigt den Menschen.«

Redaktion

Im Kontext des MkEv wirkt 7,1-23 wie ein grober Klotz, da nur wenige »Beziehungen zum Kontext bestehen. Die Auseinandersetzung mit Pharisäern und Schriftgelehrten ist nach hinten nur in 2 locker verbunden über das Motiv ›Brote essen‹, nach vorne ebenso locker durch dasselbe Motiv in 28, inhaltlich vielleicht etwas stärker, insofern die folgende Geschichte vom Glauben einer Heidin im Gegensatz zur Auseinandersetzung mit den Juden (3) erzählt. Insgesamt hat 1-23 die Funktion einer Erinnerung an die Gegner Jesu in Galiläa, die Pharisäer, zu denen hier auch die Schriftgelehrten aus Jerusalem treten« (Lührmann, 129).

Mk dürfte die Parallelität des vorliegenden Abschnitts mit 2,23-28 bewußt gewesen sein. Vgl. die Entsprechungen: a) das Problem (2,23-24/7,1-2.5); b) Schriftbeweis (2,25-26/7,6b-7); c) Worte Jesu (2,27-28/7,9-23).

V. 1-2 sind wahrscheinlich redaktionell. Mk hat diese Einleitung wohl auf der traditionellen Grundlage von V. 5 komponiert.

V. 3-4: »Alle Juden« ist eine mk Generalisierung. Auch Lk schreibt oft so (vgl. Lk 2,1; Apg 8,1; 11,28; 18,2; 21,30). Das Stück ist eine auf Mk zurückgehende Parenthese, in der er seiner heidenchristlichen Leserschaft die jüdische Reinheitspraxis an ausgewählten Beispielen erläutert. »Mit einer Faust« ist kaum verständlich. Entweder ist der Ausdruck versehentlich in den Text geraten, oder man liest mit Hilfe einer leichten Textveränderung »oft«.

Allerdings ist Mk, wie das Folgende zeigt, über die Unterscheidung von Reinheits- und Speisevorschriften nicht informiert. So besteht die Hauptschwierigkeit der Zusammenordnung von V. 1-13 mit V. 15 darin, daß V. 15 Speisegesetze betrifft, V. 1-13 dagegen Reinheitsgesetze. (Daher kann V. 15 historisch nicht Antwort auf das Vorhergehende gewesen sein.) Zudem ist es inkorrekt zu sagen, daß die Pharisäer sich oder gar das Eingekaufte besprengen. Vielmehr nehmen sie nach der Rückkehr vom Markt ein Taufbad. So lauten auch Lesarten zu 7,4, was aber Korrektur der schwierigeren und sachlich falschen Version »(sich) besprengen« ist.

V. 17-18a enthalten das typisch mk Jüngerunverständnismotiv.

V. 19c-23: V. 19c ist mk Schlußfolgerung, V. 20 Wiederholung von V. 15b. Auch V. 21-23 wurden wohl von Mk hinzugefügt: Er interpretiert den Streit über rein und unrein unter dem Gesichtspunkt des Verhaltens (vgl. ähnlich die Einschaltung von V. 6-8 und V. 9-13). V. 21b-22, formgeschichtlich ein Lasterkatalog, stammen aus der Gemeinde des Mk oder von ihm selbst. Die einzelnen Sünden werden kunstvoll je sechs im Plural und im Singular aufgezählt und zeigen das negative Gegenbild zum Ideal der christlichen Lebensführung.

Ertrag: Mk will seinen heidenchristlichen Lesern das für Pharisäer und alle Juden verbindliche Gesetz erläutern und hebt davon das für Christen geltende Gesetz ab, das jedermann einleuchte.

Tradition

V. 5-8: Die Polemik gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten mittels eines Jesajazitates (Jes 29,13) und einer Schlußfolgerung (V. 8) ist der Grundstock der Tradition. Doch bleibt festzuhalten: das Jesajazitat antwortet gar nicht argumentativ auf die Praxis des Essens mit unreinen Händen (V. 5).

V. 9-13: Dies ist ein Stück traditioneller Gemeindepolemik mit der üblichen mk Anreihungsformel »und er sagte ihnen«. Das Stück bringt ein Beispiel dafür, wie sich das in V. 8 genannte Fahren-Lassen des Gebotes Gottes konkretisiert. Vgl. »außer Kraft setzen« (V. 9) und »aufheben« (V. 13) mit »fahren lassen« (V. 8).

Ein weiteres Traditionselement schloß Mk mit V. 15 an. V. 18b-19 entstammen ebenfalls der Tradition.

Historisches

V. 5-8: Das Traditionsstück antwortet auf ein Verhalten der Jünger und ist deswegen nicht geschichtlich.

V. 9-13: Die Überlieferung konkretisiert V. 5-8 und ist deswegen genauso ungeschichtlich wie das Stück V. 5-8 selbst.

V. 15: Das Logion ist rätselhaft, denn es begründet im Kontext des MkEv, warum die Jünger mit unreinen Händen Brot essen dürfen (Mk 7,5). Das ist verwunderlich, da das Wort selbst Speisegesetze kritisiert und nicht Reinheitsgesetze. Reinheitsvorschriften haben, modern gesprochen, mit Hygiene zu tun und betreffen z.B. menstruierende Frauen, Aussätzige sowie Ausfluß am männlichen Geschlechtsorgan (vgl. Lev 12-15). Speisegesetze beziehen sich auf die Ernährung und regeln den Verzehr von reinen und unreinen Tieren (Lev 11). Das Wort Mk 7,15 dürfte daher von Haus aus isoliert überliefert und erst nachträglich von Mk in das Textstück eingefügt worden sein. Er wurde dazu wohl durch die Überlegung veranlaßt, das Essen mit unreinen Händen mache den Pharisäern und Schriftgelehrten zufolge den Menschen ebenfalls unrein, so daß das Logion im weiten Sinn als Kritik auch an den Reinheitsgesetzen gelten könne.

Die Radikalität dieses Wortes ist eng mit der von Mk 2,27 verwandt, insofern es ebenfalls eine trotzige Reduktion des Gesetzes (diesmal des Speisegesetzes) vornimmt. Für die Echtheit des Wortes spricht zunächst das Differenzkriterium, da die Speisegesetze im Urchristentum, wie zahlreiche Belege zeigen (Gal 2,11-15; Apg 10,9-16; Apg 15,20 u.ö.), uneingeschränkt galten. Sodann ist das Seltenheitskriterium zur Stützung der Echtheit des Wortes in Anschlag zu bringen. Da sich auch andere Äußerungen Jesu durch Radikalität auszeichnen, entspricht das Wort zusätzlich dem Kohärenzkriterium.

V. 18b-19: Diese Überlieferung zieht die Konsequenz aus dem echten Wort Jesu in V. 15 und geht vielleicht selbst auf ihn zurück.

Mk 7,24-30: Die Syrophönizierin

(24) Und von dort brach er auf und ging in das Gebiet von Tyrus. Und er kam in ein Haus und wollte, daß es niemand erfährt, und er konnte nicht verborgen bleiben.

(25) Aber sogleich hörte eine Frau von ihm, deren Töchterlein einen unreinen Geist hatte. Sie kam und warf sich zu seinen Füßen. (26) Die Frau aber war Griechin, der Herkunft nach Syrophönizierin. Und sie bat ihn, daß er den Dämon aus ihrer Tochter austreibe. (27) Und er sagte ihr: »Laßt zuerst die Kinder satt werden! Denn es ist nicht gut, den Kindern das Brot zu nehmen und den Hündlein vorzuwerfen.«

(28) Sie aber antwortete und sagt ihm: »Herr, auch die Hündlein unter dem Tisch essen von den Brotkrümeln der Kinder.«

(29) Und er sagte ihr: »Um dieses Wortes willen geh! Ausgefahren aus deiner Tochter ist der Dämon.«

 

(30) Und sie ging fort in ihr Haus und fand das Kind auf dem Bett liegen und den Dämon ausgefahren.

Redaktion

Vorbemerkung: Die Perikope gehört zusammen mit Mt 8,5-13/Lk 7,1-10 und Lk 17,11-19 zu den Berichten über Fernheilungen an Heiden. Vielleicht entstand die Gattung der Fernheilungsgeschichten, weil Jesus in Wirklichkeit niemals Heiden geheilt hat. In dieser Gattung käme dann zum Ausdruck, daß Jesus erst als der erhöhte Herr Heiden kuriert. Die Gattung »Fernheilung« wäre in diesem Fall der Versuch, das rein jüdische Wunderwirken Jesu mit der alle Menschen umfassenden Wundertätigkeit des erhöhten Herrn auszugleichen.

V. 24: Redaktionell ist die Verknüpfung mit dem Kontext und überhaupt die ganze Tyrus-Reise (vgl. V. 31). Dabei mag die Ortsangabe von Mk aus V. 26 erschlossen worden sein. Die Aussage, Jesus habe, damit ihn niemand erkenne, ein Haus betreten, sei aber trotzdem nicht unbemerkt geblieben, ist typisch markinisch (vgl. 1,45; 5,43; 9,30).

V. 27: Das mk »zuerst« schwächt die Logik von Jesu Argumentation. Denn der nachfolgende Begründungssatz billigt den Hunden überhaupt kein Brot zu. In der Gesamtkonzeption des MkEv deutet sich die Hinwendung der Evangeliumspredigt zu den Heiden an.

V. 28: Die Anrede Jesu als „Herr“ kommt nur hier im MkEv vor und spiegelt Jesu Verehrung in heidenchristlichen Gemeinden wider.

Ertrag: An der Geschichte zeigt Mk, daß die Wunderkraft Jesu auch für heidnische Gemeinden gilt, ja, die Erzählung bekommt – sowohl für die Tradition als auch für Mk selbst (vgl. 13,10) – Paradigmacharakter für die Hinwendung der Gemeinde Jesu zu den Heiden. Die Pointe der Erzählung ist, daß Jesus durch den Glauben der Frau überwunden wird. Zwar wird ihr Glaube nicht explizit so genannt, doch liegt er als Phänomen innerhalb der Geschichte vor.

Tradition

V. 25-30 enthalten die einheitliche Komposition eines mit einem Wunder verbundenen Streitgesprächs. »Das Wunder wird hier ja nicht um seiner selbst willen erzählt, sondern Jesu im Gespräch sich entwickelndes Verhalten ist die Hauptsache. Und zwar liegt eine Art Streitgespräch vor, in dem diesmal aber Jesus – ohne daß dies einen Schatten auf ihn würfe – der Überwundene ist« (Bultmann, 38). Dazu kommen die üblichen Kennzeichen einer Wundergeschichte: Darstellung des Unglücks und Ansuchen um Hilfe (V. 25f), Heilung durch Jesus (V. 29) und Feststellung der Tatsache des Wunders (V. 30). Das Streitgespräch (zwischen Jesus und der Frau) und das Wunder gehören ursprünglich zusammen. Der Dialog ist durch die außergewöhnliche Tatsache bedingt, daß Jesus von einer Heidin um Hilfe gebeten wird.

Der Tradition dürften urgemeindliche Debatten über den Zugang der Heiden zur Gemeinde zugrunde liegen. Aus der Härte der Debatte erklärt sich die scharf ablehnende Antwort Jesu. Doch der Erfolg der Heidenmission innerhalb des frühen Christentums führte schließlich auch zu einem versöhnlichen Schluß innerhalb der Erzählung.

Historisches

Der geschichtliche Ertrag ist gleich Null, da die Erzählung aus Debatten der frühchristlichen Gemeinde abgeleitet werden muß. Der manchmal unternommene Versuch, einen historischen Rest bzw. einen historischen Kern der Tradition zu retten, besteht zumeist in der Annahme, Jesus habe manchmal eben auch Heiden geheilt (vgl. 5,1-20) und damit letztlich die Offenheit der von ihm begründeten Bewegung auch für Heiden dokumentiert. Doch wo ein Kern vorausgesetzt wird, muß er auch faßbar sein. Das ist jedoch in der vorliegenden Geschichte nirgends der Fall. Vgl. weiter zu Mt 15,21-28.

Mk 7,31-37: Der Taubstumme

(31) Und wieder zog er aus dem Gebiet von Tyrus weg und kam durch Sidon an den See von Galiläa mitten in das Gebiet der Dekapolis.

(32) Und sie bringen zu ihm einen Taubstummen und bitten ihn, daß er ihm die Hand auflege. (33) Und er nahm ihn von der Volksmenge weg abseits und legte seine Finger in seine Ohren, spuckte und berührte seine Zunge. (34) Und indem er hinauf in den Himmel blickte, seufzte er und sagt zu ihm: »Ephata«, was heißt: sei geöffnet. (35) Und seine Ohren öffneten sich, und sogleich wurde die Fessel seiner Zunge gelöst und er redete richtig.

(36) Und er befahl ihnen, daß sie es niemandem sagten. Je mehr er es aber ihnen befahl, desto mehr verkündeten sie es.

(37) Und über die Maßen erregten sie sich und sagten: »Gut hat er alles gemacht, auch die Tauben macht er hören und die Stummen reden.«

Redaktion

V. 31: Dieser Vers gehört eng mit dem redaktionellen V. 24 der vorigen Geschichte zusammen.

V. 34: Wahrscheinlich geht die griechische Übersetzung des Zauberwortes ebenso wie die Übersetzungen an anderen Stellen (vgl. 5,41; 15,22.34) auf Mk zurück.

V. 36 enthält ein typisch mk Geheimhaltungsgebot (vgl. 1,44f; 5,43a), das nur gegeben wird, um übertreten zu werden.

V. 37: Der jubelnde Ausruf der Menge könnte redaktionell sein. Aus dem einmaligen Vorfall macht er ein sich immer wiederholendes Ereignis. Zugleich klingt mit ihm wiederum die Frage nach der Identität Jesu an (vgl. 4,41 und 5,7; 6,3.14b.15.50).

Tradition

V. 32-35: Die vorliegende Geschichte kennt verschiedene Heiltechniken, die von Magie geprägt sind. Typisch dafür ist: a) die Absonderung des Taubstummen vom Volke, b) das Verfahren, die Finger in die Ohren zu legen, c) die Berührung der Zunge mit dem Speichel, d) das Aussprechen eines Zauberworts (ephata).

Gegebenenfalls könnte man auch noch hinter V. 37, der oben als vielleicht redaktionell bezeichnet wurde, einen traditionellen Chorschluß sehen. Zum Hintergrund vgl. noch Gen 1,31; Jes 29,18; 35,5.

Eine Variante der Erzählung findet sich später 8,22-26 (ohne Zauberwort).

Historisches

Zur Frage der Heilung eines Taubstummen ist zunächst ähnliches zu bemerken wie zu den Heilungen Jesu, die sich auf Besessene und dergleichen beziehen. Einzelne Heilungen sind geschehen, jedoch wohl nicht in der Häufigkeit, wie das die neutestamentlichen Evangelien voraussetzen. Allerdings dürfte die vorliegende Erzählung wegen ihrer Detailliertheit einen hohen Anspruch auf Echtheit besitzen.

Mk 8,1-9: Die Speisung der Viertausend

(1) In jenen Tagen, als wiederum eine große Volksmenge anwesend war und sie nichts zu essen hatten, rief er die Jünger und sagt ihnen: (2) »Ich habe Erbarmen mit dem Volk, denn sie harren schon drei Tage bei mir aus und haben nichts zu essen. (3) Und wenn ich sie nüchtern in ihr Haus entlasse, werden sie unterwegs ermatten. Und manche von ihnen sind von weither gekommen.«

(4) Und seine Jünger antworteten ihm: »Wie kann jemand diese hier mit Broten in der Wüste sättigen?« (5) Und er fragte sie: »Wieviel Brote habt ihr?« Sie aber antworteten: »Sieben.«

(6) Und er befiehlt der Volksmenge, sich auf die Erde zu setzen. Und er nahm die sieben Brote, dankte und brach sie und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie vorsetzten, und sie gaben (sie) dem Volk. (7) Und sie hatten wenige Fischlein. Und er sprach über sie das Dankgebet und sagte, auch diese vorzusetzen.

(8) Und sie aßen und wurden satt, und sie nahmen die übriggebliebenen Brocken, sieben Körbe.

(9a) Es waren aber ungefähr viertausend.

(9b) Und er entließ sie.

Redaktion

Mk erzählt die Speisungsgeschichte zweimal; die zuerst erzählte in 6,34-44 spielt auf jüdischem, die hier plazierte auf heidnischem Boden. Daraus geht sein Interesse an ihr unzweideutig hervor, sosehr er auch in beiden Fällen im Anschluß an Tradition formuliert. Die wichtigsten Unterschiede der vorliegenden Speisungsgeschichte zur vorigen sind folgende: a) Ihr Stil ist knapper. b) Jesus – nicht die Jünger – wird auf die Not der Massen aufmerksam. c) Die Jünger haben sieben (und nicht fünf) Brote. d) 4000 (und nicht 5000) werden gespeist, und sieben Körbe bleiben übrig (und nicht 12 Körbe). e) Jesus hilft ausschließlich aus der leiblichen Not – das Volk hat seit drei Tagen nichts mehr zu essen, und deswegen erbarmt sich Jesus über es. In der vorigen Geschichte klang demgegenüber in Jesu Erbarmen über die Herde, die keinen Hirten hat, auch die geistliche Not an. f) Die Rolle der Jünger ist blasser geworden.

In 8,17-21 führt Mk dann unter ausdrücklichem Bezug auf die beiden Speisungsgeschichten aus, wie er sie verstanden wissen will.

Tradition

Die beiden Fassungen der Speisungsgeschichte sind nicht zwei selbständige Überlieferungen, sondern Ausgestaltungen einer gemeinsamen Urtradition. Gegenüber der Überlieferung hinter 6,34-44 ist die vorliegende Tradition möglicherweise darin ursprünglicher, daß sie etwas knapper erzählt ist. Beispielsweise fehlt in ihr die Notiz über die Ausführung des Befehls Jesu zum Hinsetzen (vgl. 8,6a mit 6,39-40).

Gleichwohl ist 8,1-9 gegenüber 6,34-44 sekundär; denn die Handlung setzt hier mit der Initiative Jesu (V. 1f) ein; aus der Schilderung »Er hatte Erbarmen« (6,34) ist die direkte Rede »Ich habe Erbarmen« (8,2) und aus dem Verlangen der Jünger (6,36) eine Überlegung Jesu (8,3) geworden.

Historisches

Vgl. die Bemerkungen zu 6,34-44. Der geschichtliche Ertrag ist auch bezüglich dieses Wunders gleich Null.

Mk 8,10-21: Gegen die Zeichenforderung der Pharisäer. Das Unverständnis der Jünger

(10) Und sogleich stieg er in ein Boot mit seinen Jüngern und kam in das Gebiet von Dalmanutha.

(11) Und die Pharisäer zogen aus und begannen mit ihm zu streiten, indem sie von ihm ein Zeichen vom Himmel forderten und ihn versuchten. (12) Und er seufzte in seinem Geist und sagt: »Was fordert dieses Geschlecht ein Zeichen? Amen, ich sage euch: Keinesfalls wird diesem Geschlecht ein Zeichen gegeben werden.«

(13) Und er ließ sie stehen, stieg wieder ein und fuhr weg an das andere Ufer.

(14) Und sie vergaßen, Brote mitzunehmen, und hatten nur ein einziges Brot mit sich im Boot. (15) Und er schärfte ihnen ein und sagte: »Seht, nehmt euch in acht vor dem Sauerteig der Pharisäer und dem Sauerteig des Herodes!«

(16) Und sie überlegten untereinander, daß sie keine Brote hätten. (17) Und er erkennt es und sagt ihnen: »Was überlegt ihr untereinander, daß ihr keine Brote habt? Begreift und versteht ihr nicht? Ihr habt ein verstocktes Herz.

(18) Obwohl ihr Augen habt, seht ihr nicht,

und obwohl ihr Ohren habt, hört ihr nicht.

[Vgl. Jer 5,21]

Und erinnert ihr euch nicht, (19) als ich die fünf Brote für die Fünftausend brach, wieviel Körbe voll Brocken ihr aufgehoben habt?« Sie sagen ihm: »Zwölf«. (20) »Als (ich) die sieben für die Viertausend (brach), wieviel Körbe voll Brocken habt ihr aufgehoben?« Und sie sagen: »Sieben«.

(21) Und er sagte ihnen: »Versteht ihr noch nicht?«

Redaktion

V. 10a ist eine von Mk geschaffene Überleitung, außer der Ortsangabe Dalmanutha. Man beachte, wie der Evangelist wiederum das Bootsmotiv einbringt (vgl. 4,1.36 u.ö.).

V. 11: Die Einleitung der Zeichenforderung ist von Mk gestaltet. Denn die Pharisäer bevorzugt Mk als Gegner Jesu. Zudem verengt Mk mit ihnen den Kreis der Adressaten seiner Antwort: »dieses Geschlecht« (V. 12).

V. 12: „Jesu Antwort wird mit einem Hinweis auf seine Gefühle eingeleitet (vgl. 3,5) und ist dann auch entsprechend emphatisch“ (Lührmann, 136). Man vgl. 7,34.

V. 13 nimmt das Bootsmotiv wieder auf und stammt von Mk (vgl. zu V. 10a).

V. 14-21 sind voller mk Motive und – mit der möglichen Ausnahme von V. 15, dessen Sinn dunkel ist – in toto redaktionell. Das aus der Speisungsgeschichte stammende Brotmotiv durchzieht den ganzen Abschnitt (V. 14.16.17.19). V. 14 nimmt V. 4 auf. V. 15: »die Pharisäer« bezieht sich auf V. 11 zurück. V. 16f: Das Unverständnismotiv durchzieht das MkEv. V. 19 nimmt 6,41-44 auf, desgleichen bezieht sich V. 20 auf 8,6-9 zurück. V. 21 steigert das Unverständnismotiv.

Tradition

V. 11-12 haben eine Parallele in Q (Mt 12,38-42; Lk 11,29-32). Ob die Form in Q, in der dieses Geschlecht auf das Jona-Zeichen hingewiesen wird, eine sekundäre Erweiterung gegenüber Mk ist oder ob umgekehrt Mk 8,11f eine Kürzung darstellt, ist kaum zu entscheiden.

 

Historisches

V. 12 dürfte auf Jesus zurückgehen, denn das Wort atmet einen charakteristisch-individuellen Geist. Jesus verweigert eine Beglaubigung für sein Auftreten. Offenbar war für Jesus selbst seine Wunderkraft eine evidente Tatsache. Den Beweis dafür hat er aber anderen, die eine Beglaubigung forderten, verweigert. Vgl. weiter zu Lk 11,29-32.