Jesus nach 2000 Jahren

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Mk 6,1b-6: Die Ablehnung Jesu, des Sohnes der Maria, in seiner Vaterstadt

(1b) Und er kommt in seine Vaterstadt, und seine Jünger folgen ihm nach. (2) Und als es Sabbat wurde, begann er in der Synagoge zu lehren, und die vielen, die (zu)hörten, staunten und sagten: »Woher hat dieser das? Und was ist das für eine Weisheit, die diesem gegeben wurde, und derartige Wunder, die durch seine Hände geschehen? (3) Ist dieser nicht der Handwerker, der Sohn der Maria und Bruder von Jakobus und Joses und Judas und Simon? Und sind das nicht hier seine Schwestern bei uns?« Und sie nahmen an ihm Anstoß.

(4) Und Jesus sagte ihnen: »Nirgends gilt der Prophet als ehrlos außer in seiner Vaterstadt und bei seinen Verwandten und in seinem Haus.«

(5) Und er konnte dort kein Wunder tun, außer daß er wenigen Schwachen die Hände auflegte und (sie) heilte.

(6) Und er wunderte sich wegen ihres Unglaubens.

Und er ging rings umher in die Dörfer und lehrte.

Redaktion

V. 1b: Die Erwähnung der Jünger, die im Folgenden keine Rolle spielen, geht auf Mk zurück.

V. 2a: Die Lehre Jesu – ein typisches Motiv der Jesusdarstellung des Mk (vgl. bereits 1,21-28) – versetzt die Synagogenbesucher in Erstaunen.

V. 2b: Die Frage nach Jesu Wundern dürfte wegen der Wundertaten im Kontext (der Abschnitt 4,35-5,43 enthält allein vier massive Wunder) ebenfalls redaktionell sein.

V. 3: Die Frage der Zuhörer streicht heraus, daß es mit Jesus nichts Außergewöhnliches auf sich hat: Er ist doch der Handwerker, den sie alle kennen. Und ebenso sind ja seine Brüder und Schwestern bekannt. Daher nimmt man Anstoß an dem besonderen Anspruch Jesu. Zur ungewöhnlichen Wendung »Sohn der Maria« statt »Sohn des Joseph« vgl. unter Tradition.

V. 4: Die zweite Hälfte geht auf die redaktionelle Verknüpfung von Weisheitssatz und V. 3 zurück.

V. 5: Das Wundermotiv ist redaktionell (s. oben zu V. 2).

V. 6: Mit der Schlußbemerkung V. 6a erscheint die Wortgruppe Glaube/Unglaube zum vierten Mal innerhalb des Großabschnittes 4,35-6,6a.

Das V. 6b erwähnte Lehren Jesu zieht sich wie ein roter Faden durch das MkEv (vgl. 1,21f; 2,13; 4,1) und knüpft an V. 2 an.

Tradition

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Entstehungsgeschichte der überlieferten Szene zu rekonstruieren: a) In Mk 6,1-4 liegt ein Musterbeispiel dafür vor, wie aus einem allgemein-weisheitlichen Satz (V. 4a) heraus eine Erzählung gestaltet worden ist. Das für die Komposition der Geschichte ausschlaggebende Stichwort ist »Vaterstadt« (V. 1/V. 4). b) V. 4a, der allgemein-weisheitliche Satz, ist von Mk in eine Geschichte von dem erfolglosen Auftreten Jesu in seinem Heimatort (Nazareth) eingefügt worden. Mk hat sich vom Stichwort »Vaterstadt« anregen lassen, den weisheitlichen Satz anzufügen.

Die zuletzt genannte Möglichkeit dürfte wahrscheinlicher sein, denn die Nachrichten über Jesu Auftreten in seiner Vaterstadt sind sehr konkret. Die Form der überlieferten Erzählung vom erfolglosen Auftreten Jesu in seinem Heimatort ist aber nicht mehr zu bestimmen. Es empfiehlt sich die Annahme, Mk habe aus allgemeinem Wissen geschöpft, aus welcher Quelle oder Erzählung auch immer, und es zur Komposition dieser Szene benutzt. Ich bezeichne dieses Stück als Tradition 1. Gleichzeitig dürfte die separat überlieferte Sentenz V. 4a versuchen, die für die christliche Gemeinde schwer verständliche und anstößige Tatsache einer Erfolglosigkeit Jesu zu verarbeiten. Ich bezeichne sie im folgenden als Tradition 2.

Innerhalb von Tradition 1 sticht als Argument gegen Jesus die Bemerkung heraus, er sei der Sohn der Maria. Dieses Argument entschärft Mk offenbar durch einen neutralen Familienkatalog, der wegen der dort gegebenen Namen auf Überlieferung zurückgehen dürfte. Doch bleibt der Satz »Sohn der Maria« um so ungewöhnlicher, als ein jüdischer Mann normalerweise mit dem Namen seines Vaters verbunden wurde, selbst dann, wenn der Vater schon gestorben war.

Die Wendung »Sohn der Maria« dürfte einer Überlieferung entstammen, die in der allerersten, bald von der Kontroverse um die Vollmacht Jesu geprägten Zeit geläufig war. Einen wesentlichen Grund für die Annahme, »Sohn der Maria« sei polemisch gemeint, liefern nämlich die beiden Seitenreferenten, Mt und Lk, die »Sohn der Maria« in »Sohn des Handwerkers« bzw. »Sohn des Joseph« ändern. Außerdem sei auf die Textüberlieferung des MkEv hingewiesen: Ein (an dieser Stelle leicht beschädigter) Evangelienpapyrus aus dem 3. Jahrhundert bringt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Mk 6,3 folgende Textkorrektur: »Ist dieser nicht der Sohn des Handwerkers und der Maria?« (Papyrus 45).

Die drei wichtigsten Gründe für die Annahme, der Ausdruck »Sohn der Maria« nehme die fehlende Legitimität Jesu aufs Korn, sind folgende:

1. Die Wendung wird in Jesu Heimatstadt (Nazareth oder Kapernaum) ausgesprochen.

2. Sie erscheint auf den Lippen derjenigen, die Jesus nicht völlig verstanden haben bzw. ihm gegenüber feindlich sind.

3. Mk wiederholt den Satz von Mk 6,3 nicht. Er beantwortet den Vorwurf nicht dadurch, daß er ihn zurückweist, sondern indem er in V. 4b die Verwandten für unwichtig erklärt.

Abschließend sei aufgewiesen, wie Tradition 1 und Tradition 2 zusammengewachsen sein mögen. Es besteht die Möglichkeit, der Vorwurf der Unehrenhaftigkeit in Tradition 2 (Mk 6,4) hänge direkt mit dem Hohnwort »Sohn der Maria« aus Tradition 1 zusammen. Man vgl. Weish 3,16f: (16) »Aber die Kinder der Ehebrecher geraten nicht, und die Nachkommen aus gesetzeswidrigen Ehen werden vertilgt. (17) Denn wenn sie auch lange leben, werden sie doch nichts gelten, und ihr Alter wird zuletzt doch ohne Ehre sein …« Das hieße dann, Jesus sei unehrenhaft, weil er von illegitimer Herkunft ist.

Historisches

Tradition 2: Der Mk 6,4 zugrundeliegende Spruch geht vielleicht auf Jesus zurück. Er könnte Jesus aber auch später in den Mund gelegt worden sein.

Tradition 1: Jesu Erfolg in seiner Heimatstadt war gering. Als historisch ist zu erschließen, daß die Bezeichnung Jesu als »Sohn der Maria« bereits in seinem Heimatort gegen ihn geäußert wurde. Die Wendung ist dann als Hohnwort zu bezeichnen, das den Finger auf einen wunden Punkt der Abstammung Jesu legt. Wenn die aufgebrachten Leute seines Heimatortes ihren Landsmann Jesus als »Sohn der Maria« bezeichnen, so ist das ein arges Schimpfwort. Der Schlüssel für sein Verständnis ist, daß Jesus verächtlich nach seiner Mutter und nicht nach seinem Vater, wie es üblich war, benannt wird. Der Vorwurf bringt also zum Ausdruck: Dieser Bursche, der uns da Predigten halten will, hat keinen richtigen Vater; er ist ein Bastard (vgl. Stauffer, 22-24).

Abschließend gehe ich auf zwei Sichtweisen des Textes ein, deren Zurückweisung die obige Analyse noch bekräftigen wird:

a) Mk habe den Namen Josephs aus der Tradition hinter Mk 6,3 entfernt, weil Joseph einen Ehrenplatz in der Kirche Jerusalems innehatte. Auf diese Weise habe er ein Manifest gegen die rechtliche und lehrhafte Hegemonie der Jerusalemer Kirche geschrieben. Daher das positive Desinteresse an Joseph. Dies ist reine Spekulation.

b) Die Aussage, Jesus sei der Sohn Marias, sei ein indirekter Hinweis auf die Jungfrauengeburt. Denn im anderen Fall wäre zu erwarten gewesen, daß Jesus Josephs Sohn genannt worden wäre. Doch läßt sich das nicht aus dem Text herauslesen, um so weniger, als Mk an keiner Stelle Interesse an der Jungfrauengeburt zeigt.

Noch einmal: Der Vater Jesu wird an dieser Stelle nicht genannt, weil Zweifel darüber besteht, wer sein wirklicher Vater ist. Wäre Jesus ein leiblicher Sohn Josephs gewesen, hätte der Ausdruck »Sohn der Maria« niemals Eingang in einen frühchristlichen Text gefunden. Die Wendung »Sohn der Maria« ist so schockierend, daß nur Mk den Mut hat, sie zu wiederholen.

Mk 6,7-13: Aussendung und Wirken der Zwölf

(7) Und er ruft die Zwölf zusammen und begann, sie jeweils zu zweien auszuschicken, und gab ihnen Vollmacht über die unreinen Geister. (8) Und er trug ihnen auf, daß sie nichts mit auf den Weg nähmen als allein einen Stab, nicht Brot, nicht Tasche, nicht Kupfer im Gürtel, (9) sondern Sandalen an den Füßen, und keine zwei Untergewänder tragen.

(10) Und er sagte ihnen: »Wo immer ihr in ein Haus kommt, bleibt dort, bis ihr wieder von dort fortgeht. (11) Und welcher Ort euch nicht aufnimmt und sie nicht auf euch hören, geht von dort weg und schüttelt den Staub ab, der unter euren Füßen ist, ihnen zum Zeugnis!«

(12) Und sie zogen aus und verkündigten, daß sie umkehren sollten, (13) und sie trieben viele Dämonen aus und salbten mit Öl viele Kranke und heilten (sie).

Redaktion und Tradition

Der Abschnitt hat eine Parallele in Q (Mt 10,5-15/Lk 10,2-12). Man beachte, daß die Tradition bei Mk ganz unapokalyptisch gezeichnet wird, während die frühere Tradition (Lk 10,2-12) die Naherwartung kennt.

V. 7 ist mk Einleitung zur Missionsrede. Man vgl. die wörtlichen Übereinstimmungen mit 3,13-15.

V. 8-9: Stab und Sandalen werden sekundär (vgl. anders Q) zugestanden. Das Verbot, zwei Untergewänder übereinander anzuziehen, wie man das gewöhnlich auf Reisen tat, ist Abschwächung gegenüber Q (Mt 10,10/Lk 9,3). Dort verbietet »Jesus« sogar, mehr als eines zu besitzen. Das Untergewand wurde direkt auf dem Körper getragen.

V. 10-11: Vgl. zu Lk 9,4-5; 10,7-11.

 

V. 12-13 zeichnen das Ergebnis der Missionsrede (vgl. 3,15).

Historisches

Zu V. 8-9 vgl. zu Mt 10,9-10.

Die historische Frage besteht darin, ob Jesus bereits zu seinen Lebzeiten Jünger ausgesandt hat. Sie ist zu bejahen. Der Auftrag, zu verkündigen (die Nähe der Gottesherrschaft) und zu heilen, ist als echt anzusehen. »Die ›Missionsinstruktionen‹ der Synoptiker basieren auf einem Kern von Logien, die auf Jesus zurückgehen« (Gnilka, Mk I, 241).

Mk 6,14-29: König Herodes und die Enthauptung Johannes des Täufers

(14) Und der König Herodes hörte, denn sein Name wurde offenbar, und sie sagten: »Johannes, der Taufende, ist von den Toten erweckt worden und darum wirken die Kräfte in ihm.« (15) Andere aber sagten: »Er ist Elia«, andere aber sagten: »Ein Prophet, wie einer der Propheten.« (16) Als aber Herodes hörte, sagte er: »Den ich enthauptet habe, Johannes, dieser wurde erweckt.«

(17) Herodes nämlich sandte (einst) aus, ließ Johannes festnehmen und ihn gefesselt in das Gefängnis bringen wegen Herodias, der Frau seines Bruders Philippus, weil er sie geheiratet hatte.

(18) Johannes hatte nämlich Herodes gesagt: »Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zu haben.«

(19) Herodias aber trug es ihm nach und wollte ihn töten und konnte es nicht. (20) Herodes nämlich fürchtete Johannes, wissend, daß er ein gerechter und heiliger Mann ist, und er ließ ihn bewachen, und wenn er ihn hörte, geriet er in größte Verlegenheit und hörte ihn gern.

(21) An einem günstigen Tag aber, als Herodes an seinem Geburtstag einmal seinen Edlen und den Offizieren und den Ersten von Galiläa ein Mahl gab (22) und als seine Tochter Herodias eintrat und tanzte, gefiel sie dem Herodes und seinen Mahlgenossen, und der König sagte dem Mädchen: »Verlange von mir, was du willst, und ich will es dir geben.« (23) Und er schwur ihr: »Was immer du mich bitten willst, will ich dir geben bis zur Hälfte meines Reiches.«

(24) Und sie ging hinaus und sagte ihrer Mutter: »Worum soll ich bitten?« Sie aber sagte: »Um das Haupt Johannes des Taufenden.« (25) Und sie ging sogleich mit Eifer hinein zum König und verlangte, indem sie sagte: »Ich will, daß du mir sofort auf einer Schüssel das Haupt Johannes des Täufers gibst.« (26) Und der König wurde sehr betrübt und wollte wegen der Schwüre und der Tischgäste sie nicht abweisen.

(27) Und sogleich schickte der König den Scharfrichter und befahl, sein Haupt zu bringen. Und er ging weg und enthauptete ihn im Gefängnis. (28) Und er brachte sein Haupt auf der Schüssel und gab sie dem Mädchen, und das Mädchen gab sie ihrer Mutter.

(29) Und als seine Jünger davon hörten, kamen sie und nahmen seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab.

Redaktion

V. 14-16: Herodes meint Herodes Antipas, den Landesherrn Jesu, der von 4 v.Chr. bis 39 n.Chr. regierte und über Galiläa und Peräa herrschte. Das Stück ist Einleitung zur Überlieferung vom Tode Johannes des Täufers, die Mk ab V. 17 wiedergibt, hat aber auch im Rahmen des gesamten MkEv eine wichtige Bedeutung. V. 16 leitet zur Geschichte (V. 17-29) über, während V. 14b-15 später noch in 8,28 aufgenommen werden. In V. 14b.16 ist Auferweckung als eine Art Wiederbelebung gedacht.

V. 17-29 sind Parenthese (vgl. zu 5,8). Allerdings unterläuft Mk bei diesem ungewöhnlich ausführlichen Nachtrag die Ungeschicklichkeit, daß die Rückkehr der Jünger zu Jesus (6,30) der Grablegung des Täufers zeitlich unmittelbar zu folgen scheint, obwohl die Bestattung doch bereits vor dem in 6,14-16 Erzählten stattgefunden hat.

Die Bestattung des Leichnams Johannes des Täufers (V. 29) stellt eine Parallele zum Schicksal Jesu her (15,42-47). Für Mk, dem zufolge der Täufer vor der Zeit Jesu auftrat, hat das Schicksal des Täufers einen Bezug auf Christus. Der Täufer ebnet mit seinem Schicksal dem Messias den Weg (Gnilka, Mk I, 252).

Tradition

Die Form der von Mk eingearbeiteten Tradition V. 17-29 wird verschieden bestimmt: Manche sprechen von einer volkstümlichen Erzählung, die isoliert überliefert worden sei, andere von einer Legende ohne christlichen Charakter aus hellenistischjüdischen Traditionen oder einer Anekdote über Herodes. Noch andere ziehen den Ausdruck Martyriumsbericht vor. Jedenfalls ist auszuschließen, daß die Geschichte von Jüngern des Täufers erzählt wurde, die Johannes bestatteten (6,29). In diesem Falle wäre nämlich zu erwarten gewesen, daß bestimmte Inhalte der Täuferpredigt, wie z.B. die Gerichtsankündigung oder der Umkehrruf, in der Überlieferung erscheinen.

Historisches

Nach Josephus, einem jüngeren Zeitgenossen des Apostels Paulus, ließ Herodes Antipas den Täufer hinrichten, um einer etwaigen messianischen Bewegung zuvorzukommen. Die Tötung Johannes des Täufers erzählt Josephus in seinem Geschichtswerk »Jüdische Altertümer« XVIII 116-119. Zwar hat auch diese Geschichte eine Tendenz, indem z.B. der endzeitliche Charakter der Predigt des Täufers unterschlagen wird. Doch verdient sie sicher historischen Vorrang vor der Mk-Tradition, deren Unplausibilität durch Josephus nur noch bestärkt wird.

»Was Mc hier erzählt, entspricht nicht den Angaben des Josephus. Nach Josephus wurde Johannes zu Machärus jenseits des Jordans hingerichtet, Mc setzt dagegen voraus, daß es am Königshof in Galiläa geschah … Nach Josephus war das Motiv zu der Tat die Furcht des Antipas vor politischer Gefährlichkeit des Täufers, nach Mc lediglich der Haß der Herodias gegen ihn. Den Ausschlag gibt bei Mc eine Scene, die zwar den Gegensatz des Asceten zu dem leichtfertigen Treiben am Königshof zu packendem Ausdruck bringt, aber eben nur eine Scene ist und an innerer Unwahrscheinlichkeit leidet« (Wellhausen, 367).

Mk 6,30-33: Die Rückkehr der Jünger

(30) Und die Apostel sammeln sich bei Jesus und erzählten ihm alles, was sie getan und was sie gelehrt hatten.

(31) Und er sagt ihnen: »Kommt ihr allein an einen einsamen Ort und ruht ein wenig!« Es waren nämlich viele, die kommen und gehen, und sie hatten nicht einmal Zeit zu essen. (32) Und sie fuhren weg in einem Boot an einen einsamen Ort allein. (33) Und man sah sie abfahren, und viele erkannten sie. Und sie liefen zu Fuß von allen Städten dort zusammen und kamen ihnen zuvor.

Redaktion

V. 30-33: Mk zeigt sich in diesem Abschnitt, einem Summarium, besonders um den erzählerischen Zusammenhang bemüht, denn er bezieht sich hier auf die in 6,7-13 erzählte Aussendung der Jünger zurück. Das Ruhebedürfnis der Jünger dient als Motiv zum Aufsuchen des einsamen Ortes (V. 31f). Die Volksmenge, die für die anschließend erzählte Speisung der 5000 nötig ist, bringt Mk in Position (V. 33). An anderen Orten (1,32-39; 1,45; 3,7-10) findet sich redaktionell ebenfalls ein Sich-Zurückziehen Jesu bei gleichzeitigem Zulauf der Volksmassen.

Mk 6,34-44: Die Speisung der Fünftausend

(34) Und als er ausstieg, sah er eine große Volksmenge, und er hatte Erbarmen mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben, und er begann, sie vieles zu lehren.

(35) Und als die Stunde schon vorgerückt war, traten seine Jünger zu ihm und sagten: »Einsam ist der Ort und die Stunde schon vorgerückt. (36) Entlasse sie, damit sie in die umliegenden Ortschaften und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen!« (37) Er aber antwortete und sagte ihnen: »Gebt ihr ihnen zu essen!« Und sie sagen ihm: »Sollen wir fortgehen, und für 200 Denare Brote kaufen und ihnen zu essen geben?« (38) Er aber sagte ihnen: »Wieviel Brote habt ihr? Geht, seht!« Und sie stellten es fest und sagen: »Fünf, und zwei Fische.«

(39) Und er gebot ihnen, sich alle in Tischgemeinschaften auf dem grünen Gras zu lagern. (40) Und sie setzten sich, die Gruppen wie Gartenbeete, zu Hundert und zu Fünfzig. (41) Und er nahm die Brote und die zwei Fische und blickte auf zum Himmel, dankte und brach die Brote und gab sie seinen Jüngern, damit sie (sie) ihnen vorlegen, und die zwei Fische teilte er für alle.

(42) Und es aßen alle und wurden satt, (43) und sie nahmen die Brocken, zwölf Körbe voll, auch von den Fischen.

(44) Und es waren fünftausend Männer, die aßen.

Redaktion

V. 34: V. 34a knüpft an V. 32f an. V. 34 Ende beschreibt Jesus ebenso wie vorher 6,6 redaktionell als lehrend.

V. 37: Der Befehl, die Jünger sollten den Leuten zu essen geben, und die Reaktion der Jünger darauf entsprechen dem Motiv des Jüngerunverständnisses (vgl. zu 5,31) und sind wahrscheinlich von Mk eingetragen worden.

V. 41: Mk selbst hat die Speisungserzählung nicht vom Abendmahl her verstanden, denn sonst hätte er 6,41 und 8,6f stärker an 14,22 angeglichen. Es handelt sich für ihn also »nur« um ein Wunder, das er später zwecks Zeichnung des Unverständnisses der Jünger aufgreifen wird (6,52; 8,14-21).

Tradition

V. 34-36.38-44: Die Geschichte erzählt ein Wunder. Sie stellt erstens die Not (hier den Mangel an Nahrungsmitteln) dar (V. 35-38), zweitens die Behebung der Not durch Jesus, der wunderbarerweise mit dem Wenigen, das vorhanden ist, so viele sättigt (V. 39-42). Drittens erfolgt die Bestätigung des Wunders durch den Hinweis auf die übriggebliebenen Brote und Fische (V. 43) – es sind mehr, als am Anfang da waren – und auf die übergroße Zahl der Gespeisten (V. 44).

Wesentliche Elemente der Erzählung verdanken sich 2Kön 4,42-44 (Elisa sättigt hundert Männer mit nur 20 Broten), wobei Jesus in seiner Wundertat Elisa bei weitem überbietet. V. 39-40: Das grüne Gras in der Wüste ist rätselhaft und mag eine Reminiszenz an Ps 23,2 sein. Zur Aufgliederung der Gruppen vgl. Ex 18,25.

Historisches

Die Bildung dieser Geschichte geht auf die Bedürfnisse der Gemeinde zurück. Ihr historischer Wert ist gleich Null. Dabei ist es jedem unbenommen, die Tischgemeinschaft Jesu mit seinen Anhängern als Ausgangspunkt der Entstehung dieser Geschichte anzunehmen. Doch ist das etwas anderes als die Speisung der 5000.

Mk 6,45-56: Jesu Seewandel und Heilung vieler Kranker

(45) Und sogleich drängte er seine Jünger, in das Boot einzusteigen und an das andere Ufer nach Bethsaida vorauszufahren, bis er selbst das Volk entläßt. (46) Und er verabschiedete sich von ihnen und ging auf den Berg zu beten.

(47) Und als es Abend geworden war, war das Boot in der Mitte des Meeres und er allein auf dem Land. (48) Und er sah sie sich abquälen beim Rudern, denn sie hatten Gegenwind, und bei der vierten Nachtwache kommt er zu ihnen wandelnd auf dem Meer. Und er wollte an ihnen vorbeigehen. (49) Als sie ihn aber auf dem Meer wandeln sahen, meinten sie, daß es ein Gespenst sei, und sie schrien auf. (50) Alle nämlich sahen ihn und wurden verwirrt.

Er aber sprach sogleich mit ihnen und sagt ihnen: »Schöpft Mut, ich bin es, fürchtet euch nicht!« (51) Und er trat zu ihnen in das Boot und der Wind legte sich, und sie gerieten innerlich völlig außer sich. (52) Denn sie hatten bei den Broten keine Einsicht gewonnen, sondern ihr Herz war verstockt. (53) Und sie fuhren hinüber zum Land und kamen nach Genezareth und legten an.

(54) Und als sie aus dem Boot herausstiegen, erkannten sie ihn sogleich (55) und liefen umher in der ganzen Gegend und begannen, auf Liegen die Kranken herzutragen, wo sie hörten, daß er es sei. (56) Und wo er Dörfer oder Städte oder Gehöfte betrat, legten sie die Kranken auf die freien Plätze und baten ihn, daß sie wenigstens den Saum seines Gewandes berühren dürften. Und alle, die ihn berührten, wurden gerettet.

Redaktion

V. 45-46: Das Boots-, Volks- und Gebetsmotiv sind redaktionell.

V. 48b: »denn sie hatten Gegenwind« ist ein mk Nachtrag (vgl. zu 5,8).

V. 51-52: Hier wird das mk Jüngerunverständnismotiv besonders deutlich sichtbar; V. 52 bezieht sich auf die Speisungsgeschichte Mk 6,34-44 zurück und stellt deren Interpretation dar. Vgl. später 8,14-21.

V. (53.)54-56: Dieses Stück ist ebenso wie 1,32-39; 3,7-12 eine redaktionelle Bildung, ein Summarium, das ausführlich Jesu Heiltätigkeit schildert und im mk Kontext die Massenszene von 6,30-34 aufnimmt.

 

Tradition

V. 45-51: Dieses Stück ist, formal betrachtet, eine Epiphaniegeschichte, im Unterschied zu dem Naturwunder 4,37-41. Gelegentlich wird aber gefragt, ob es sich bei beiden Erzählungen nicht um Varianten ein und desselben Archetyps handelt. Dann müßte die Stillung des Sturmes (vgl. V. 48.51) das ursprüngliche Motiv sein, das durch den Seewandel in den Hintergrund gedrängt wurde. Doch zeigt der abgerissene Satz V. 48 (»Er wollte an ihnen vorbeigehen«), daß der Seewandel traditionsgeschichtlich am Anfang steht.

Die Erzählung vom Seewandel Jesu soll dessen Ebenbürtigkeit mit anderen Söhnen Gottes aus der Umwelt des frühen Christentums erweisen, die ebenfalls auf dem See wandeln können. Denn in der Antike galt die Fähigkeit, auf dem Wasser zu gehen, als göttliche Macht. Weiter sind hier aber auch alttestamentliche Parallelen zu berücksichtigen, denen zufolge Gott auf dem Wasser bzw. den Wogen des Meeres wandeln kann (vgl. Hiob 9,8; Ps 77,20).

Möglicherweise ist die Geschichte von Jesu Seewandel eine Ostergeschichte. Hierzu würden auch V. 49f passen, wo die Tatsächlichkeit der Gegenwart Jesu betont und die Furcht der Jünger, ein Gespenst gesehen zu haben, zurückgewiesen wird (vgl. Lk 24,36-43). In einer zweiten Stufe wäre dann diese Ostererzählung um das Motiv der Rettung aus der Seenot erweitert worden.

Historisches

Gegen die Historizität der Erzählung vom Seewandel Jesu sprechen a) die zahlreich vorhandenen Analogien aus der damaligen Umwelt und im Alten Testament, b) der Charakter und die Form der Erzählung und c) ihre mögliche Herkunft aus der Ostersituation.