Jesus nach 2000 Jahren

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Mk 13: Jesu Rede über die Endzeit

Der Grundbestand von Mk 13 geht wohl auf eine jüdische Urschrift zurück, die entstand, als der römische Kaiser Caligula im Jahre 40 n.Chr. seine Statue im Tempel von Jerusalem errichten lassen wollte und nur durch seinen plötzlichen Tod daran gehindert wurde. Diese Quelle umfaßte etwa V. 7-8.12.14-20.24-27. Angesichts des bedrohlichen Planes Caligulas, auf den V. 14 indirekt verweist, wurde in ihr ein ausdrücklicher Hinweis auf das nahe Ende gegeben, auf die Ankunft des Messias-Menschensohnes, wie dieser im Anschluß an die Aussagen des Danielbuches als Retter des jüdischen Volkes erwartet wurde.

Diese Quelle wurde später einer christlichen Bearbeitung unterzogen. Dazu gehören V. 5b-6.9.11.21-22.28-32.34-36. Diese christliche Bearbeitungsschicht umfaßte nicht nur die Darstellung der Bedrängnisse der Endzeit und des Kommens des Menschensohnes, sondern darüber hinaus Warnungen vor Irrlehren und Ankündigungen von Verfolgungen. Der Evangelist Mk hat diese Überlieferung übernommen und verarbeitet. Als markinisch sind V. 10.13.23.33 und 37 anzusehen.

Die Stellung der Endzeitrede gegen Ende des Evangeliums ist im christlichen Unterricht begründet. Die Belehrung über die Endzeit steht jeweils am Schluß, vgl. 1Thess 4,13-5,11; Did 16; Barn 21,1. Das Stück ist die längste durchgehende Rede Jesu im MkEv und wird beispielsweise nicht durch Überleitungsformeln wie »und er sagte ihnen« oder Zwischenfragen der Jünger unterbrochen (vgl. dagegen Mk 4).

Mk 13,1-4: Die Weissagung der Zerstörung des Tempels

(1) Und als er aus dem Tempel geht, sagt ihm einer seiner Jünger: »Lehrer, siehe, was für Steine und was für Bauten!«

(2) Und Jesus sagte ihm: »Siehst du diese großen Bauten? Nicht ein Stein wird auf dem anderen gelassen werden, der nicht zertrümmert wird.«

(3) Und als er auf dem Ölberg saß gegenüber dem Tempel, fragten ihn allein Petrus und Jakobus und Johannes und Andreas: (4) »Sage uns, wann wird das geschehen? Und was wird das Zeichen sein, wenn sich dieses alles vollenden wird?«

Redaktion und Tradition

V. 1-4: V. 1 leitet redaktionell V. 2 ein. In diesem Vers benutzt Mk ein überliefertes Wort Jesu von der Tempelzerstörung, das eine gewisse Ähnlichkeit mit 14,58 hat. Er komponiert daraus eine Szene und stellt einen Zusammenhang zwischen dem Schicksal des Tempels und dem Weltenende her. Dabei geht es in V. 3-4 um die Deutung dieses Tempelwortes Jesu. Man befindet sich gegenüber dem Tempel auf dem Ölberg, wo Jesus mit drei der hier anwesenden Vertrauten später noch einmal beisammen sein wird, nämlich im Garten Gethsemane (14,26.32f).

Den ersten Teil der Doppelfrage der Jünger (»Wann wird das geschehen?«) beantwortet »Jesus« in V. 5-23, den zweiten Teil (»Was wird das Zeichen sein?«) in V. 24-27.

Historisches

V. 2: Vgl. zu 14,58. Im Rahmen einer Endzeitrede hat Jesus niemals das Wort in V. 2 ausgesprochen.

Mk 13,5-8: Thematik

(5) Jesus begann ihnen zu sagen: »Seht zu, daß euch niemand verführe! (6) Viele werden unter Berufung auf meinen Namen kommen und sagen: ›Ich bin es‹, und sie werden viele verführen. (7) Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Kriegsgeschrei, so erschreckt nicht! Es muß so geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende. (8) Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Reich gegen das andere. Es werden Erdbeben geschehen hier und dort, es werden Hungersnöte sein. Das ist der Anfang der Wehen.«

Redaktion und Tradition

V. 5-8 enthalten einen summarischen Überblick, wobei V. 6 die V. 21-22 vorwegnimmt. Zu beachten bleibt, daß V. 6 bei der »Christologie« einsetzt. Viele werden sich fälschlicherweise für den wiedergekommenen Jesus ausgeben, doch sind die in V. 7 und 8 beschriebenen Ereignisse erst der Anfang.

Historisches

Der geschichtliche Ertrag ist gleich Null. Denn die Worte Jesu müssen aus der Gemeindesituation abgeleitet werden, in der zahlreiche Widersacher aufgetreten sind.

Mk 13,9-13: Die gegenwärtige Lage

(9) »Seht euch aber vor! Sie werden euch den Gerichten überantworten, und in den Synagogen werdet ihr gegeißelt werden, und vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis. (10) Und unter allen Völkern muß das Evangelium zuvor verkündigt werden. (11) Wenn sie euch nun abführen und ausliefern, so sorgt euch nicht vorher, was ihr reden sollt; sondern was euch in jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern der heilige Geist. (12) Und Bruder wird (den) Bruder dem Tod ausliefern und der Vater (das) Kind, und Kinder werden sich empören gegen Eltern und werden sie töten. (13) Und ihr werdet gehaßt sein von allen um meines Namens willen. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird gerettet werden.«

Redaktion und Tradition

V. 9-13: Der Imperativ »Seht!« entspricht dem in V. 5 (vgl. V. 23). Der Abschnitt spiegelt die Erfahrungen der mk Gemeinde wider und beschreibt ihre gegenwärtige Lage mit der Pointe in V. 10. Die Heidenmission ist in vollem Gang, und die Verzögerung der Wiederkunft Jesu, die durch die Heidenmission bedingt ist, geht auf Gottes Plan zurück. V. 9.11 haben eine Parallele in Q (Lk 12,11f; vgl. Mt 10,19f).

Historisches

Der geschichtliche Ertrag ist gleich Null, da die Worte auf Probleme der Gemeinde zurückgehen und Jesus erst nachträglich in den Mund gelegt wurden.

Mk 13,14-23: Der letzte Abschnitt der Geschichte

(14) »Wenn ihr aber sehen werdet den Greuel der Verwüstung stehen, wo er nicht soll – wer (es) liest, merke auf! –, dann sollen die in Judäa in die Berge fliehen. (15) Der auf dem Dach (ist), soll nicht hinuntersteigen und nicht hineingehen, etwas aus seinem Hause zu holen. (16) Und der auf dem Feld (ist), soll sich nicht umwenden, seinen Mantel zu holen. (17) Weh aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen!

(18) Bittet aber, daß es nicht im Winter geschehe. (19) Denn jene Tage werden eine Bedrängnis sein, wie nie eine derartige gewesen ist seit Anfang der Schöpfung, die Gott geschaffen hat, bis jetzt und auch nicht wieder werden wird. (20) Und wenn der Herr diese Tage nicht verkürzt hätte, würde kein Mensch gerettet werden; aber um der Auserwählten willen, die er auserwählt hat, hat er die Tage verkürzt.

(21) Wenn dann jemand zu euch sagen wird: ›Siehe, hier ist der Christus! Siehe, da ist er!‹, glaubt (es) nicht! (22) Erweckt werden nämlich falsche Christusse und falsche Propheten, und sie werden Zeichen und Wunder tun, um, wenn es möglich wäre, die Auserwählten zu verführen. (23) Ihr aber seht euch vor! Ich habe euch alles zuvor vorausgesagt!«

Redaktion und Tradition

V. 14-20 schildern den Übergang von der Gegenwart zur Zukunft. V. 14 bedeutet einen Schlüssel nicht nur für das Verständnis dieser Rede, sondern für das MkEv überhaupt. V. 14a und V. 19 beziehen sich eindeutig auf das Buch Daniel. Zu V. 14a vgl. Dan 12,11: Aufstellung des Greuels der Verwüstung; zu V. 19 vgl. Dan 12,1: Ankündigung einer Zeit der Bedrängnis. „Jesus“ fordert dazu auf, das bevorstehende Geschehen – nämlich die Aufstellung des Bildnisses des Kaisers Caligula im Jerusalemer Tempel – von diesen Stellen her zu erklären. Damit hat die endzeitliche Bedrängnis begonnen. (Zur Frage des historischen Bezuges in V. 14 vgl. die Einleitung zu Mk 13.) Zu V. 15f vgl. Lk 17,31 (Q).

V. 21-22: Das Stück paßt schlecht an dieser Stelle und entspricht einem ähnlichem Wort in Q (Mt 24,23-27/Lk 17,23f).

V. 23: Der Abschnitt schließt mit einem erneuten Aufruf (»Seht euch vor!«; vgl. V. 9) und dem Hinweis, daß den Jüngern alles vorhergesagt wurde. Jesu Worte können also durch aktuelle Ereignisse nicht überholt werden. Da Jesus alles vorhergewußt (vgl. zu 11,2) und sein Wissen der Gemeinde weitergegeben hat, braucht diese nicht besorgt zu sein.

Historisches

Die Jesus-Worte sind unecht, weil sie sich vollständig aus einer Gemeindesituation ableiten lassen.

Mk 13,24-27: Die Heilswende mit dem Kommen des Menschensohns

(24) »Aber in jenen Tagen, nach jener Bedrängnis, wird die Sonne sich verfinstern, und der Mond wird seinen Schein nicht geben, (25) und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte in den Himmeln werden ins Wanken gebracht werden. (26) Und dann werden sie den Menschensohn kommen sehen in den Wolken mit viel Kraft und Herrlichkeit. (27) Und dann wird er die Engel senden, und er wird seine Auserwählten zusammenbringen aus den vier Winden, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.«

Redaktion und Tradition

Der Abschnitt gehört mit V. 8 zusammen: Auch die Ordnung des Himmels gerät aus den Fugen. Die Sonne verfinstert sich, der Mond verliert seinen Schein, die Sterne fallen vom Himmel.

V. 24-25 enthüllen die Zeichen, die untrüglich das Ende der Zeit mit dem heilvollen Kommen des Menschensohns anzeigen. Die Verse erinnern an alttestamentliche Beschreibungen des Tages Jahwes. Man vgl. die beiden folgenden Beispiele:

Jes 13,10: »Denn die Sterne am Himmel und sein Orion (Sternbild) scheinen nicht hell, die Sonne geht finster auf und der Mond gibt keinen Schein.« 34,4: »Und alles Heer des Himmels wird dahinschwinden, und der Himmel wird zusammengerollt werden wie eine Buchrolle...«

 

V. 26-27: V. 26 ist Zitat aus Dan 7,13 (vgl. 13,14a.19; 14,62). V. 27 schildert die Sammlung der Auserwählten (vgl. 13,20.22).

Historisches

Der geschichtliche Ertrag ist gleich Null, denn es handelt sich um eine Spekulation der Gemeinde. Jesus hat diese Worte nie gesprochen.

Mk 13,28-37: Feigenbaumgleichnis und Ermahnung zur Wachsamkeit

(28) »An dem Feigenbaum aber lernt das Gleichnis: Wenn sein Zweig schon saftig ist und Blätter herauswachsen, erkennt ihr, daß der Sommer nahe ist. (29) Ebenso auch ihr: Wenn ihr seht, daß dies geschieht, so erkennt, daß er nahe vor der Tür ist. (30) Amen, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht. (31) Der Himmel und die Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen. (32) Über jenen Tag aber und die Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, außer dem Vater.

(33) Seht euch vor, wachet! DENN IHR WISST NICHT, wann die Zeit da ist. (34) Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten die Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen; (35) so wacht nun; DENN IHR WISST NICHT, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, (36) damit er, wenn er plötzlich kommt, euch nicht schlafend finde.

(37) Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!«

Redaktion und Tradition

V. 28-29: Das Gleichnis vom Feigenbaum soll die Gemeinde zur Wachsamkeit angesichts des nahen Endes ermahnen. Ein spezifischer Baum ist nicht gemeint, denn der bestimmte Artikel gehört zum Stil eines Gleichnisses. Das Stück hat keine Beziehung zur Person Jesu.

V. 30: »Das Wort ist in dieser Form schwerlich je selbständig gewesen, könnte aber eine Variante von 9,1 sein, die für den vorliegenden Zusammenhang zurechtgemacht ist« (Bultmann, 130). Der Eintritt des Endes erfolgt dem Spruch zufolge noch vor dem Ableben der ersten Generation, wobei erste Todesfälle die Gemeinde zu einer Modifikation der Naherwartung veranlaßt haben dürften: Die Tatsache, daß mehrere Christen schon gestorben sind, ändert nichts daran, daß die erste Generation das Kommen des Menschensohnes noch erleben wird. Das hier vorliegende Phänomen, daß das Nicht-sterben-Müssen wenigstens von einigen der ersten Generation ausgesagt wird, erklärt sich am plausibelsten so: Ursprünglich herrschte die Erwartung vor, die erste Generation in ihrer Gesamtheit werde das Ende der Zeit erleben.

V. 31 betont die Sicherheit der Weissagung Jesu. »Für die Gemeinde des Mk besaß Jesu Wort schon jene ewige Gültigkeit, die für die jüdische Gemeinde das Gesetz gehabt hatte« (Haenchen, 452). Das Wort ist eine christliche Bildung, die sich nur schlecht mit dem folgenden V. 32 verträgt.

V. 32 ist ursprünglich vielleicht ein jüdisches Wort, abgesehen von dem christlichen Schluß (»auch der Sohn nicht, außer dem Vater«).

V. 33 ist mk Rahmenwort, das aus katechetischen Gründen in V. 37 nochmals aufgegriffen wird.

V. 34-36: Das Gleichnis vom Türhüter in V. 34 mit der darauf folgenden Applikation in V. 35f allegorisiert die Lage der Gemeinde, deren Herr zeitweilig nicht zu Hause ist. »Die Stichwörter des ›Wachens‹ und der ›Unkenntnis‹ verbinden Gleichnis und Anwendung eng mit dem Kontext« (Lührmann, 225).

V. 37 nimmt V. 33a auf und bezieht die Leserschaft des MkEv durch das Wort »alle« ausdrücklich in die Aufforderung zum Wachen mit ein.

Historisches

V. 28: Das Gleichnis ist echt. Es enthält keine Beziehung auf die Person Jesu, paßt zu seiner Naherwartung und kann schwerlich aus der Gemeinde abgeleitet werden.

V. 30: Das Wort spiegelt eine Verzögerung der Endereignisse wider. Jesus hat demgegenüber die endgültige Ankunft des Gottesreiches in der unmittelbaren Zukunft erwartet. Der Spruch ist daher mit Sicherheit unecht.

V. 31: Das Wort stammt aus der Gemeinde und ist unecht.

V. 32: Das Wort ist unecht, denn es setzt die Gottessohnschaft Jesu voraus.

V. 34-36: Die Unechtheit des Stücks wurde bereits im Abschnitt »Redaktion und Tradition« begründet.

Mk 14-15: Die Passionsgeschichte
Mk 14,1-11: Tötungsplan. Salbung in Bethanien. Auslieferung Jesu durch Judas

(1) Es war aber das Passah und die Ungesäuerten (Brote) nach zwei Tagen. Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten. (2) Denn sie sprachen: »Ja nicht auf dem Fest, damit es nicht einen Aufruhr des Volkes geben wird!«

(3) Und als er in Bethanien war im Hause Simons des Aussätzigen und zu Tisch lag, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit echter, kostbarer Nardensalbe, und sie zerbrach das Alabastergefäß und goß es auf sein Haupt. (4) Da wurden einige unwillig und sagten untereinander: »Was soll diese Vergeudung des Salböls? (5) Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen und das Geld den Armen geben können.« Und sie fuhren sie an. (6) Jesus aber sagte: »Laßt sie! Was bereitet ihr ihr Mühen? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. (7) Denn ihr habt immer die Armen bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen wohltun; mich aber habt ihr nicht immer. (8) Was sie konnte, hat sie getan; sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis.

(9) Amen, ich sage euch: Wo das Evangelium verkündigt wird in aller Welt, da wird, was sie jetzt getan hat, gesagt werden zu ihrem Gedächtnis.«

(10) Und Judas Iskariot, einer der Zwölf, ging hin zu den Hohenpriestern, daß er ihn ihnen ausliefere. (11) Als sie das hörten, freuten sie sich und versprachen, ihm Geld zu geben. Und er suchte, wie er ihn bei guter Gelegenheit ausliefern könne.

Redaktion und Tradition

V. 1-11 bilden den Auftakt der Leidensgeschichte und enthalten einen Vorverweis auf das Begräbnis Jesu sowie die Verkündigung des Evangeliums. Die von Mk verarbeitete Überlieferung liegt V. 3-9 zugrunde. Sie mag, da sie an dem Bild einer bestimmten Frau orientiert ist und auf eine Pointe (V. 6-7) hinausläuft, als biographisches Apophthegma bezeichnet werden.

V. 1: Die Tötungsabsicht der jüdischen Gegner entspricht 3,6; 11,18 und 12,12, wo sie ihren Plan allein aus Furcht vor dem Volk nicht ausführen. Zu den Hohenpriestern und Schriftgelehrten kommen später entsprechend der Voraussage 8,31 noch die Ältesten hinzu (14,43.53; 15,1). Jesu galiläische Opponenten, die Pharisäer, treten in der Passionsgeschichte nicht auf.

V. 2: Die Absicht der Feinde Jesu, mit List zu handeln, hat ähnliche Gründe wie der Verzicht auf ein sofortiges Einschreiten in 12,12 (Rücksichtnahme auf das Volk).

V. 3-5: Die Einwände gegen die Verschwendung sind so formuliert, daß Jesus die Gelegenheit erhält, den Sinn der Handlung der Frau zu erläutern.

V. 6-7: Die Antwort Jesu in V. 8 kennzeichnet redaktionell das gute Werk der Frau als Begräbnisdienst. Auf der Stufe der Tradition, die mit dem Leiden und der Beerdigung Jesu nichts zu tun hat, findet sich in V. 6-7 die Pointe. Sie lautet: Die Absicht, Jesus, wenn er da ist, einen Liebesdienst zu erweisen, steht über dem Geben von Almosen.

V. 8 ist eine Weissagung auf das Begräbnis Jesu in 15,42-47, bei dem keine Salbung vollzogen werden wird.

V. 9 verknüpft redaktionell die Geschichte mit der Evangeliumspredigt. Der Ausdruck »das Evangelium verkündigen« erscheint auch in 1,14 und 13,10. Dabei ist V. 9 der Stelle 13,10 thematisch eng verwandt: Offenbar ist für Mk der Bericht vom Begräbnisdienst jener Frau Bestandteil der Evangeliumspredigt.

V. 10-11 führen redaktionell V. 1-2 weiter. Sie berichten davon, wie die Feinde Jesu einen Bundesgenossen finden, um Jesus zu beseitigen. Die Nachricht von der Auslieferung Jesu durch Judas ist Teil der Judastradition, die in unterschiedlicher Ausmalung breit bezeugt ist (vgl. zu Mt 27,3-10).

Historisches

V. 3-7: Der geschichtliche Ertrag der Tradition ist gleich Null. Doch spiegelt sie die Nähe Jesu zu einer wohl anrüchigen Frau in Galiläa wider (vgl. zu Lk 7,36-50).

V. 10-11: Vgl. zu Mt 27,3-10.

Mk 14,12-25: Vorbereitung des Passahmahls. Weissagung der Auslieferung. Das Abendmahl

(12) Und am ersten Tage der Ungesäuerten (Brote), als man das Passahlamm schlachtete, sagen ihm seine Jünger: »Wo willst du, daß wir hingehen und Vorbereitungen treffen, daß du das Passah(lamm) essen kannst?« (13) Und er sendet zwei seiner Jünger und sagt ihnen: »Geht hin in die Stadt, und es wird euch ein Mensch begegnen, der einen Krug mit Wasser trägt; folgt ihm, (14) und wo er hineingeht, sagt dem Hausherrn: ›Der Lehrer sagt: ›Wo ist mein Raum, in dem ich das Passah(lamm) mit meinen Jüngern essen kann?‹‹ (15) Und er wird euch ein großes Oberzimmer zeigen, das (mit Polstern) ausgelegt und vorbereitet ist. Und dort bereitet es uns vor!« (16) Und die Jünger gingen hin und kamen in die Stadt und fanden (es), wie er ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passah(lamm).

(17) Und am Abend kommt er mit den Zwölfen. (18) Und als sie bei Tisch lagen und aßen, sagte Jesus: »Amen, ich sage euch: Einer unter euch wird mich ausliefern, der mit mir ißt.« (19) Und sie begannen traurig zu werden und ihm zu sagen, einer nach dem anderen: »Bin ich es etwa?« (20) Er aber sagte ihnen: »Einer von den Zwölfen, der mit mir in die Schüssel taucht. (21) Der Menschensohn geht zwar hin, wie von ihm geschrieben steht; weh aber jenem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird. Es wäre besser für ihn, wenn er, jener Mensch, nicht geboren wäre!«

(22) Und als sie aßen, nahm er das Brot, dankte und brach es und gab es ihnen und sagte: »Nehmt, das ist mein Leib.« (23) Und er nahm einen Kelch, dankte und gab ihnen (den); und sie tranken alle daraus. (24) Und er sagte ihnen: »Das ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird. (25) Amen, ich sage euch: Ich werde nicht mehr trinken vom Gewächs des Weinstocks bis zu jenem Tag, an dem ich es neu trinke im Reich Gottes.«

Redaktion und Tradition

V. 12: Die an V. 1 anknüpfende Zeitangabe ist äußerst ungenau, denn nach jüdischer Zählung, der zufolge der neue Tag jeweils mit Sonnenuntergang beginnt, wurden die Passahlämmer nicht am ersten Tag des Passahfestes geschlachtet, sondern am Vortag. Der Heidenchrist Mk zeigt sich also über die Differenz zwischen jüdischer und griechischer Tageseinteilung nicht informiert. Abgesehen davon fassen sowohl Mk als auch seine Tradition das in V. 22-25 erzählte Essen irrtümlich als Passahmahlzeit auf, wovon aber angesichts des dort Berichteten keine Rede sein kann.

V. 13-16 sind eine Variante zu 11,1b-6, wobei eine große Übereinstimmung in Aufbau und Wortwahl festzustellen ist. Die Voraussage in V. 13f erinnert an 1Sam 10,2. Unmittelbar vorher wird dort übrigens im Zusammenhang mit der Verheißung Samuels, daß Saul der Fürst Israels sein werde, eine Mk 14,3-9 ähnliche Salbung erzählt: »Und Samuel nahm die Ölflasche und goß sie über seinem Haupt aus« (1Sam 10,1).

V. 17-21: Das Stück verhält sich zu 14,43-46 (Judas liefert Jesus durch einen Kuß aus), wie der nachfolgende Abschnitt 14,26-31 zu 14,66-72 (Petrus verleugnet Jesus).

V. 22-24: Mk gibt die Einsetzungsworte parallel wieder: »das ist mein Leib« (V. 22); »das ist mein Blut« (V. 24). Demgegenüber formuliert Paulus sie in 1Kor 11,24b-25 unsymmetrisch:

(24b) »Das ist mein Leib für euch. Das tut zu meinem Gedächtnis.« (25) … »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut. Das tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis.«

Hier entsprechen Leib und Bund einander. Dies ist die schwierigere Fassung und spiegelt zweifellos eine gegenüber Mk ursprünglichere Traditionsstufe wider.

Sowohl der Text des Mk als auch der des Paulus enthalten jeweils ein Element, das der ursprünglichen Überlieferung erst später hinzugewachsen sein dürfte: 14,25 ist ein endzeitlicher Ausblick Jesu, der mit seiner Gabe von Brot und Wein nichts zu tun hat. Mit 1Kor 11,26 blickt die Gemeinde auf das Kommen des Herrn Jesus vom Himmel.

 

An anderer Stelle, nämlich beim doppelten Wiederholungsauftrag (»das tut zu meinem Gedächtnis«) in 1Kor 11,24.25 scheint der Paulustext jüngeren Datums zu sein als der des Mk. Denn hier werden liturgische Formeln sichtbar, die erst sekundär hinzugewachsen sein dürften. Im ganzen ist aber der Unterschied zwischen den Einsetzungsworten bei Mk und bei Paulus nicht allzu groß. Ich lege daher beide zugrunde und frage: Wie haben die ersten Leser die Texte 1Kor 11,23-25 und Mk 14,22-24 verstanden? Die Antwort ist eindeutig: Sie fanden in ihnen einen Bericht von der Einsetzung des Abendmahls, das sie allsonntäglich feierten und bei dem sie den Leib und das Blut des Herrn Jesus empfingen. Dieser »Genuß« wurde auf vielfältige Weise gedeutet und im Extremfall wörtlich im Sinne des Verzehrs von realem Fleisch verstanden. Vgl. die Interpretation des Abendmahls in Joh 6,51c-58, besonders V. 54-56, wo Jesus sagt:

(54) »Wer mein Fleisch verzehrt und mein Blut trinkt, hat ewiges Leben, und ich werde ihn auferwecken am letzten Tag. (55) Denn mein Fleisch ist wahre Speise, und mein Blut ist wahrer Trank. (56) Wer mein Fleisch verzehrt und mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in ihm.«

Andere, wie Paulus, deuten den »Genuß« als Verkündigung des Todes Jesu bis zu seinem Kommen vom Himmel (s. oben zu 1Kor 11,26). In jedem Fall steht fest: Der Sinn des Abendmahles war gebunden an die Situation nach Tod und »Auferstehung« Jesu, in der sowohl das eine als auch das andere als Heilsereignis galt.

V. 25: Dieses Wort ist sekundär an den Einsetzungsbericht des Abendmahls angehängt. Jesus drückt in ihm die Erwartung aus, erst im Reich Gottes, dessen Bild als Festessen hier wie in Lk 6,21a zugrunde liegt, wieder Wein zu trinken. Das Wort ist damit zugleich eine Art Todesprophetie, die sich über Jesu zukünftiges Verhältnis zu seinen Jüngern nicht äußert.

Historisches

V. 12b-16: Dieses ursprünglich nicht mit V. 22ff zusammengehörige Stück erweist sich durch seine märchenhaften Motive als unhistorisch.

V. 17-21: Jesus hat die Sätze über die Auslieferung durch Judas nie gesprochen. Vielmehr folgerten frühe Christen aus der Tatsache, daß Jesus ausgeliefert wurde, Jesus müsse dies vorhergewußt und daher prophezeit haben.

V. 22-24: Der Sinn der Worte, die Jesus beim letzten Mahl über Brot und Wein ausgesprochen haben soll, ist an das Verständnis seines Todes als eines Heilsereignisses gebunden. Da aber der Glaube an die Heilsbedeutung seines Todes den Glauben an seine Auferstehung voraussetzt, können diese Worte nicht auf Jesus zurückgehen – ganz abgesehen davon, daß sie die für Juden unerträgliche Vorstellung von Blutgenuß wachgerufen hätten. Demgegenüber gewinnen, wie gezeigt wurde, die Abendmahlstexte ihren Sinn, wenn sie von der liturgischen Praxis der ältesten Gemeinde her gelesen werden, die die Stiftung der von ihr begangenen sakramentalen Handlung ins Leben Jesu zurückprojizierte.

An dieser Stelle sind noch zwei Ansätze kritisch zu referieren: a) Es steht natürlich jedem frei, ein letztes Mahl Jesu mit seinen zwölf Jüngern anzunehmen. Das ist historisch sogar wahrscheinlich, weil Jesus und seine Jünger nach Jerusalem gezogen sind und dort auch gemeinsam gegessen haben werden. Nur: Ein solches Essen hat keine genetische Beziehung zum später kultisch verstandenen Abendmahl. b) Zuweilen wird angenommen, das in V. 22-24 beschriebene Mahl sei ein Passahmahl, das Jesus als frommer Jude seiner Zeit mit seinen Jüngern gefeiert habe. Dagegen sprechen aber das Fehlen jeglicher Passahsymbolik in V. 22-24 selbst und die Beobachtung, daß das Essen erst durch V. 12b-16 ausdrücklich als Passahmahlzeit gezeichnet wird. Das ist aber zu wenig, um historisch in V. 22-24 ein Passahmahl wiederzufinden.

V. 25: Dieses Wort dürfte echt sein. Es ist schwerlich in der frühen Gemeinde entstanden, denn Jesus übt in ihm keine besondere Funktion für die Gläubigen beim unmittelbar bevorstehenden Festessen im Himmel aus. Allein Jesu Erwartung des zukünftigen Reiches Gottes steht im Mittelpunkt, nicht dagegen Jesus als Retter, Richter oder Fürsprecher.