Goldberg-Variationen

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Goldberg-Variationen
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© 2016 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

ISBN 978-3-7375-5605-7

Personen

MR. JAY, der Regisseur

GOLDBERG, sein Assistent

MRS. MOPP, Putzfrau

TERESE TORMENTINA SUPERSTAR

ERNESTINA VAN VEEN

JAPHET

MASCH

RAAMAH

Die Hell’s Angels

Das Goldene Kalb

Musik: Johann Sebastian Bach: »Goldberg-Variationen«, BWV 988, gespielt von Glenn Gould (1955)

Auf dem Vorhang erscheint:

GOTT IST TOT

Nietzsche

Nach fünf Sekunden erscheint:

NIETZSCHE IST TOT

Gott

ERSTE SZENE

Jerusalem. Eine leere Bühne. Arbeitslicht. Regietisch mit Bibel. Mrs. Mopp putzt den Boden. Bach-Musik. Goldberg kommt, mit Blume und Regiebuch.

GOLDBERG Guten Morgen, Mrs. Mopp.

MRS. MOPP Was ist so gut daran?

GOLDBERG Die leere Bühne ist eine Stätte der Schönheit, besonders am ersten Probentag, wenn noch nichts schiefgegangen ist.

MRS. MOPP Wird schon noch.

GOLDBERG Scheitern, wieder scheitern, immer scheitern, besser scheitern.

MRS. MOPP Und – wieder so ein schweinisches Stück?

GOLDBERG Tja, Mrs. Mopp, es ist zwar bedauerlich, aber niemand von uns ist unbefleckt empfangen worden.

MRS. MOPP Mit einer denkwürdigen Ausnahme.

Das Rattern eines Hubschraubers. Sie blicken nach oben und lauschen.

GOLDBERG Entweder haben wir uns verspätet, oder er hat sich verfrüht. ruft Kollege Ton, sind Sie da?

LAUTSPRECHER Ja, aber ich bin nicht vorgesehen.

GOLDBERG Egal, spielen Sie bitte die Ouvertüre rein.

LAUTSPRECHER War nicht vorgesehen, aber ich versuch’s.

laut die Carmen-Ouvertüre

GOLDBERG panisch Falscher Knopf! Und ich höre ihn kommen.

LAUTSPRECHER Ja, wie die Vorsehung!

GOLDBERG Johann Sebastian Bach, oder die Welt geht unter.

Bach-Musik, laut und majestätisch. Auftritt Mr. Jay.

GOLDBERG Was für ein Auftritt, Sir!

MR. JAY Was für eine Rolle.

Blackout. Bach-Musik verklingt.

MR. JAY bedrohlich Ist was, Goldberg?

GOLDBERG Das wüsste ich auch gern, Sir.

MR. JAY Dunkel ist es.

GOLDBERG Am Anfang meist, Sir.

MR. JAY Ich habe nicht die Absicht, mir ein Bein zu brechen. rutscht aus Licht!

GOLDBERG Kollege Licht, sind Sie am Mischpult?

vom linken Lautsprecher ein Hustenanfall

GOLDBERG Kollege Licht leidet an den Nachwehen einer verschleppten Bronchitis.

MR. JAY Licht!

nichts

Goldberg, wenn ich mich nicht irre, steht im Text: Es ward Licht.

nichts

Wo ist die Technik, Goldberg?

GOLDBERG Die Technik ist wie immer unsichtbar, Sir.

MR. JAY Unsichtbarkeit ist eine Eigenschaft der Götter. Also – es werde Licht!

nichts

GOLDBERG Der Computer ist abgestürzt, Sir.

MR. JAY Ich will helles, strahlendes Licht über der weiten Wüstenei, die in Dunkel gehüllt ist, und es soll gut sein, oder ihr fliegt.

Ein schwacher Spot auf Mrs. Mopp. Mr. Jay tritt in den Lichtkegel.

MR. JAY Hört zu, ihr halsstarrigen Saboteure. Trotz allem gehört mein Herz den werktätigen Massen. Schalom, Moppelchen, willkommen im Gelobten Land. tätschelt Mrs. Mopp Seht euch diese Heldin der Arbeit an. Auf den Knien rutscht sie hinter eurer Schweinerei her und ist doch putzmunter wie eh und je, und warum? Weil eine leere Bühne –

GOLDBERG – eine Stätte der Schönheit ist, besonders am ersten Probentag.

MR. JAY Und warum?

GOLDBERG Weil noch nichts schiefgegangen ist.

MR. JAY Nein, weil im Theater wie in der Liebe nichts wieder so ist wie beim ersten Mal.

MRS. MOPP Ach, die Liebe, Mr. Jay. Versuchen Sie mal, in einer Seifenpfütze Sex zu haben.

MR. JAY Die Klagemauer ist bis Sonnenuntergang geschlossen, Moppelchen. Was ich brauche, ist nicht feministische Motzerei, sondern Licht! In sieben Tagen ist die erste Vorstellung, und ich bezweifle, Goldberg, dass das Publikum die Kasse stürmen wird, um Moppelchen auf ihren Grübchenknien den Boden wischen zu sehen. Benutze deinen Grips, Goldberg, versuche es mit Denken. Davon geht dir deine Orthodoxie nicht flöten.

GOLDBERG Sir, aufgrund Ihrer ständigen Änderungen während der Proben nähere ich mich einem Nervenzusammenbruch.

MR. JAY Goldberg, erinnere diese Nazitechniker an die Heilige Schrift.

GOLDBERG geht mit dem Skript zum Spot Das sind keine Nazis.

MR. JAY Wenn sie lange genug für mich gearbeitet haben, schon. Also lies.

GOLDBERG liest »Er schied das Licht von der Finsternis. Er nannte das Licht Nacht und die Finsternis Tag.«

MR. JAY Quatsch. »Er nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.«

GOLDBERG »Und er machte die beiden großen Lichter: das größere Licht zur Herrschaft über den Tag und das kleinere Licht zur Herrschaft über die Nacht, dazu auch die Sterne.«

Nach und nach wird eine Bühnenhälfte hell, nun erscheint die Sonne über der dunklen Hälfte, der Mond über der hellen.

»Es wurde Abend, und dann wurde es Morgen.«

Blackout mit funkelnden Sternen

MR. JAY drohend Stimmt was nicht, Goldberg? Du wirst mir doch wohl keinen Ärger machen?

Licht und Ton geraten außer Kontrolle. Wachsende Kakophonie.

MR. JAY »Auf deinem Bauche sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang!«

GOLDBERG Verdammen Sie niemanden, in dessen Lage Sie nicht gewesen sind, Sir.

Stille. Bach-Musik. Das Licht stimmt: Die Bühne ist in Helligkeit und Dunkel geteilt, Sonne und Mond sind an der richtigen Stelle.

Freude erfüllt das Herz, wenn der Schmerz vergeht.

MR. JAY Das ist mein Text, Goldberg.

GOLDBERG Mit freundlicher Genehmigung des Allmächtigen, Sir.

MR. JAY Es gibt sieben Dinge, an die man sich zu halten hat, Goldberg. 1.: Der Weise redet nicht vor dem, der ihn an Weisheit übertrifft; 2.: Er verrät seine Nächsten nicht; 3.: Er antwortet nicht vorschnell; und 4.: Halt’s Maul!

ZWEITE SZENE

Raamah und Masch, beide in Beduinenkostümen, jagen einander keulenschwingend über die Bühne und wieder hinaus.

MR. JAY Was war das?

GOLDBERG Die Herren Raamah und Masch haben, Profis, die sie sind, den ganzen Morgen die erste Mordszene probiert.

Raamah und Masch erscheinen wie zuvor.

MR. JAY Noch nicht.

Raamah und Masch bremsen ab, Masch rutscht aus.

MR. JAY Herr Romah, der »Erste Mord« ist erst für zehn Uhr fünfundvierzig angesetzt.

RAAMAH Jetzt ist es elf Uhr dreißig.

MR. JAY Wie die Zeit vergeht.

RAAMAH zu Goldberg Sagen Sie Monsieur de Sade, sein Prügelknabe zieht sich in sein Zelt zurück und ist nur noch über die Gewerkschaft zu sprechen.

MR. JAY Sie werden mir doch keinen Ärger machen, Herr Rimah?

RAAMAH Raamah! Mein Name ist Raamah.

MR. JAY Den Namen müssen Sie sich erst noch verdienen.

RAAMAH Den Ärger haben Sie bereits, Jay, im wildesten pharisäischen Sinn des Wortes.

MR. JAY Geduld ist die Mutter der Weisheit.

RAAMAH Ich bin geduldig seit Tagesanbruch.

MR. JAY Wir hatten ein paar technische Pannen mit dem klimakterischen Computer, Rumah.

RAAMAH Der Mensch ist das Theater, nicht die Technik. zu Goldberg Mit diesem Monomanen arbeite ich nie wieder. Bis ich ihn brauche.

 

MR. JAY Kennen Sie die Regelungen über Probenverweigerung, Reimah?

RAAMAH Wer verweigert hier was? Masch, Japhet und ich haben die ganze Nacht probiert, bis uns war, als hätte uns ein Wirbelsturm weggefegt. Wir versuchen, diese Produktion davor zu bewahren, der apokalyptische Flop des Jahrhunderts zu werden. Sie sind es, der uns daran hindert, sie zu zeigen, der sich in seiner Eitelkeit weigert, die Tatsache zu akzeptieren, dass Schauspieler keine Dorfdeppen sind. Ihr ganzes Probensystem ist eine Weigerung, überhaupt zu probieren, außer dass Sie gelegentlich bellen »Noch mal von vorn, Jungs, aber mit Gefühl«. Noch mal – was?

MR. JAY Noch mal von Anfang an!

RAAMAH Von allen Aufgaben im Theater ist nichts schwieriger, weil weniger glaubwürdig, als das Sterben, besonders wenn es durch eine Steinzeitkeule zu geschehen hat. Heute Nacht muss mich endlich die Muse geküsst haben. Ich hatte eine Lösung, elegant genug, um dem dümmsten Regisseur zu gefallen, und was tun Sie? Nichts tun Sie! Hocken auf Ihrer vergrößerten Prostata und werden ihr immer ähnlicher.

MR. JAY Na, dann zeigen Sie mal.

RAAMAH Zu spät.

MASCH Der Zug ist abgefahren.

RAAMAH Besetzen Sie mich um.

MASCH Verklagen Sie mich.

MR. JAY Mes enfants du paradis, was soll ich tun? Auf die Knie fallen?

RAAMAH Ja.

MR. JAY auf Knien Demütig sei der Mensch, denn was erwartet uns Sterbliche außer Würmern?

MASCH Sagen Sie schön bitte.

MR. JAY Schön bitte.

RAAMAH Also. Noch einmal von vorn, aber no more Mr. Nice Guy.

Japhet bringt zwei Stühle.

MASCH Ich Abel. Er Kain. zu Mr. Jay Sie mögen Abel. Kain mögen Sie nicht. Deshalb wird Er wütend. Ramaah spielt Wut. Warum ergrimmst du? Und warum verstellt sich deine Gebärde? Die Sünde ruhet vor der Tür.

RAAMAH He, Abel, wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang über die Felder?

MASCH Gute Idee.

Sie gehen ein wenig vor sich hin.

Jetzt holt er mit der Keule aus, verfehlt und zertrümmert den Stuhl, um die Realität der Keule deutlich zu machen.

Raamah zertrümmert den Stuhl.

MR. JAY So weit, so gut.

MASCH Jetzt zündet er eine Rauchbombe, aber aus feuerpolizeilichen Gründen spielt Kollege Japhet den Rauch.

RAAMAH Jetzt bringt er, verborgen vom aufsteigenden Rauch, ein Opfer dar.

MASCH Jetzt holt er, verborgen hinter der Rauchwand, noch einmal aus, zerschmettert ein weiteres Möbel, und alle glauben, er habe mich erschlagen.

MR. JAY Nicht übel.

Raamah holt hinter der »Rauchwand« aus, ein fürchterliches Krachen, dann Stille.

MR. JAY »Wo ist dein Bruder Abel?«

RAAMAH »Ich weiß es nicht. Soll ich meines Bruders Hüter sein?«

MR. JAY »Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir.«

Masch liegt in einer Blutlache.

GOLDBERG Das erste Blut.

MR. JAY malt Raamah das Kainsmal auf die Stirn »Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden.« Wie geht es Ihnen, Herr Masch?

MASCH Ich glaube, wir brauchen noch ein paar Proben.

RAAMAH Du hast dich nicht schnell genug geduckt.

MR. JAY Schafft ihn raus und macht eine Pause.

Raamah bringt Masch hinaus.

RAAMAH Wollen Sie nicht wenigstens Danke sagen?

MR. JAY Raamah, weder in der Liebe noch im Theater sagt man Danke oder Verzeihung. Unsere Siege und unsere Niederlagen verstehen sich von selbst.

RAAMAH Sie müssen immer das letzte Wort haben.

MR. JAY Und das erste. zu Goldberg Er ist ein guter Schauspieler, und das war’s. Japhet macht einen Schritt auf ihn zu. Ich meinte nicht Sie, Herr Japhet, Sie sind ohne Zweifel die beste Rauchbombe im Showgeschäft.

JAPHET Nein, Sir, ich bin nicht hoch genug gestiegen.

MR. JAY Ah, die göttliche Unzufriedenheit des Künstlers.

JAPHET Meine Frau ist durchgebrannt, ans Meer mit dem schwarzen Requisiteur. Hat meinen Teddy mitgenommen und einen Zettel auf dem Küchentisch gelassen: »Kopf hoch, Japhet, Onanieren erweicht dir nicht das Hirn!«

GOLDBERG Enthaltsamkeit ist gut für die Kirche und gut für’s Theater.

MR. JAY Goldberg, dein Fundamentalismus macht mir Gänsehaut.

JAPHET Danke für die tröstlichen Worte, Mr. Jay. ab

MR. JAY Mein Lieblingsschauspieler. Wie heißt er?

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