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Teverino

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IX
Neben dem Abgrund

»Nennen Sie mir den Namen dieser Stadt nicht,« rief Sabina, »ich werde ihn zeitig genug erfahren. Es genügt mir, zu wissen, daß es eine Stadt Italiens ist, um sie durch meine Einbildungskraft zu einem Wunder umschaffen zu lassen. Schaun Sie nur, lieber Pfarrer, ob das nicht einem Feenpallaste gleicht!«

»Ich sehe, Madame, in der That nur Lichter schimmern.«

»Sie sind kein Poet! Wie, diese Lichter erscheinen Ihnen nicht glänzender als andere Lichter, ihr geheimnisvolles Stralen in dieser dunkeln Tiefe sollte uns nicht eine ungeahnte Ueberraschung, ein neues Abenteuer verheißen?«

»Es sind doch gewiß der Abenteuer genug für heute,« sagte der Pfarrer; »und ich verlange keine weitern mehr.«

Es war ein bescheidenes Grenzstädtchen, dessen Namen wir dem Leser nichst nennen wollen, aus Furcht, demselben in seinen Augen den Zauber zu benehmen, wenn er es zufälligerweise einmal an einem Regentag und in übler Laune durchreist haben sollte; aber wie dem auch sei, Sabina war betroffen von dessen italiänischem Charakter und seiner schönen amphitheatralischen Lage am Abhang der Berge, in einer vom Nordwind geschützten und von den Mittagsstralen erwärmten Region, wo es, von den Bergwassern unablässig bespült, ein reinliches, lachendes Aussehen und einen Kranz üppiger Vegetation gewann.

Der aufgehende Mond zeigte weiße Mauern, weinlaubbekleidete Terrassen, Treppen mit steinernen Vasen verziert, in welchen die Aloe ihre malerischen, stachligen Blätter ausbreitete, kleine Thürmchen mit runder Kuppel und eine Menge mit Laternen von farbigem Papier erleuchtete Kaufläden voll der schönsten Gemüse und der prächtigsten Früchte, deren reiche Farben und prangende Umrisse sich in dem bunten Geflimmer herrlich hervorhoben. Längs den Straßen liefen massiven Arkaden, unter welche heitere Spaziergänger, ein braves Völkchen, für das jeder schöne Sommerabend eine Feststunde ist und das die Ankunft einer vornehmen Kutsche mit Geschrei und Jubel begrüßte, auf und niederwogte. Eine Bande halbnackter Kinder und junger neugieriger Mädchen, das Haar mit natürlichen Blumen geschmückt, folgte der Equipage und wohnte der Ausladung der Reisenden vor dem Hôtel de Leone bianco, auf dem neuen Marktplatze bei.

Das Wirthshaus war ein anständiges und der Anblick eines prächtigen Bratens, der an der Flamme des Heerdes gewendet wurde, fing an, des Pfarrers Stirne aufzuheitern. Während man die besten Zimmer in Bereitschaft setzte, sahen unsre Reisenden in einem Sale des Erdgeschosses, der mit jenem Sinn für Ausschmückung und jener lieblichen Farbenharmonie, die man in den elendesten Wohnungen des nördlichen Italiens findet, mit Frescomalereien verziert war, den Tisch decken.

Der Pfarrer vergaß seine Forellen und Schwämme nicht. Es war dies bis jetzt ein Trostpunkt für ihn gewesen und er hatte unaufhörlich wiederholt, daß man mit einem solchen Anfang zu einem leckern Mahle, unter der Voraussetzung, daß man ein Feuer finde, noch nicht verzweifeln dürfe.

Teverino zog die Schürze und die weiße Mütze eines Küchenjungen an und machte sich in der Küche mit dem Abbé lustig ans Werk, indem er behauptete, in dieser Kunst wundervolle Geheimnisse zu besitzen. Magdalena half der Negerin Sabinas Zimmer bereiten, und diese Letztere, welche mit Leonce an dem Balkon des Sales lehnte, vergnügte sich, die Kinder auf dem Platze singen und tanzen zu sehen.

Als die Lichter angezündet und die Tafel mit einfachen, aber trefflichen Gerichten besetzt war, versammelten sich die Gäste und Leonce holte das Vogelmädchen, um, wie er sagte, dem Marquis Vergnügen zu machen; allein Sabina schien über diese Beharrlichkeit in den Wonnen der Gleichheit nicht sehr erfreut. Auch der Wirth that Einsprache.

»Was,« sagte er, die Suppe am Tisch herumgebend, »das Vogelmädchen in Gesellschaft Dero erlauchtesten Herrschaften? O! ich kenne sie wohl und habe ihr schon mehr als einmal um der hübschen Künste willen, die sie macht, gratis zu essen gegeben. Aber bringst Du uns alle Deine Thierchen mit, Magdalena? Ich sage Dir, daß wenn jedes von ihnen ein Gedeck und ein Bett braucht, ich für so viel Leute nicht genug Silberzeug und Pfühle im Hause habe. Geh’ mein Kind, geh’ in die Küche, wo Du mit den Leuten Dero Hoheiten essen kannst; Scherz bei Seite, ich werde schon auf dem Heuboden ein Winkelchen finden, wo Du schlafen kannst.«

»Auf dem Heuboden, bei den Eselstreibern und Stallknechten, ohne Zweifel?« sagte der Pfarrer. »Wenn Du solch ein Leben führst, Magdalena, so hab’ ich wohl nicht Unrecht, zu sagen, Deine Landstreichereien werden Dich weit führen.«

»Pah! pah! sie ist ein junges Kind, Herr Abbé, und noch achtet Niemand auf sie.«

»Herr Wirth,« sagte Sabina, »ich bitte Sie, in das Zimmer meiner Negerin noch ein Bett bringen zu lassen; Magdalena wird bei ihr schlafen. Ich habe dieses Kind, das uns mit seinen Talenten ergötzt hat, zur Begleitung mitgenommen und bin für seine Sicherheit verantwortlich.«

»Sobald Dero Hoheit sich dafür zu interessiren geruht,« antwortete der Wirth, »soll Alles nach Ihren Befehlen ausgeführt werden. Wir haben sie Alle gern, diese Kleine, sie ist zu drei Viertel Zauberin! Soll ich also ein Gedeck für sie herbringen?«

»Nun ja,« antwortete Lady G***, neugierig, nun bei Licht zu sehen, welche Fortschritte die Vertraulichkeit des Vogelmädchens mit dem Marquis gemacht hatte.

Sie ward aber in ihrer Erwartung getäuscht, die fraglichen Personen schienen sich gegenseitig wieder fremd geworden zu sein. Magdalena war anständig vertraulich mit Leonce und bewies Teverino ruhige Ehrerbietung. Dieser Letztere, welcher mit wundervollem Anstande die Honneurs der Tafel machte, beschäftigte sich gleichsam als Gönner und mit väterlicher Güte mit ihr, was seinen wohlwollenden Charakter hervorhob, ohne dem guten Ton seiner Rolle Etwas zu benehmen.

Sabina dachte bald, sie habe sich getäuscht, und selbst der Pfarrer hatte Nichts an dem Benehmen des schönen Marquis auszusetzen. Er kam vielmehr in Versuchung, über das Wohlwollen, welches Leonce der kleinen Einfältigen bewies, die mit ihm lachte und ihn durch ihren heitern Witz zu ergötzen schien, ungehalten zu werden. Allein der Appetit des Polterers war ein so fürchterlicher und die Tafelfreuden waren so mächtig, daß in demselben Augenblick, wo er wieder hellsehend und scheltsüchtig hätte werden können, Magdalena den Tisch schon verlassen hatte und mit der Sorglosigkeit ihres Alters auf dem großen Sopha, der in allen Wirthshäusern dieser Gegend den Speisesaal für Reisende ziert, eingeschlummert war. Von Zeit zu Zeit wandte sich Leonce, der unweit von diesem Sopha saß, um und betrachtete sie, indem er diese Ruhe der Unschuld, diese anmuthige und ungekünstelte Stellung und jenen himmlischen Ausdruck bewunderte, der nur dem jugendlichen Alter eigen ist.

Man saß beim Nachtisch und der Marquis, welcher ausschließlich nur mit Lady G*** beschäftigt war, sprach über Alles mit überlegenem Geiste oder wenigstens mit einer Art Ueberlegenheit, welche die Frauen zu schätzen verstehen, nämlich mit mehr Einbildungskraft als Gelehrsamkeit, mit einer poetischen Originalität und gesteigerten Empfindsamkeit. Sabina fiel nach und nach wieder dem Zauber seines Wortes und seines Blickes anheim, der Pfarrer versah das Amt des Widersprechers, als wäre ihm am Herzen gelegen, die Beredsamkeit des jungen Mannes glänzen zu machen und ihm Waffen gegen die dogmatische Kälte und die beengenden Vorurtheilen der offiziellen Welt zu leihen. Leonce, welcher die Beseelung seiner Freundin verdrießlich mit ansah, nahm sein Album, öffnete es und fing an, ohne sich in die Unterhaltung zu mischen, die Gestalt des Vogelmädchens zu zeichnen.

Jeder Frau auf der Welt ist Eifersucht angeboren und Sabina erhielt der gebührenden Schmeicheleien über ihre unvergleichliche Schönheit und ihren glänzenden Geist so viele, daß die jedem andern Geschöpfe ihres Geschlechtes in ihrer Gegenwart erwiesene Aufmerksamkeit ihr unfehlbar als eine Art Beleidigung erscheinen mußte. Indem sie ihre innere Neigungen geschickt verborgen zu halten wußte, drückte sie dieselben nur in Form des Schmerzes aus; allein sie brachten ein Bedürfniß unmittelbarer Rache in ihr hervor und die Rache der Koketterie in solchem Falle ist, anderswo Huldigungen zu suchen und ein der Beleidigung verhältnißmäßiges Vergnügen darin zu finden. Sie überließ sich daher plötzlich Teverinos Verführungen und konnte sich nicht enthalten, Leonce dieses fühlen zu lassen, indem sie die Scham vergaß, die sie empfunden, als Teverino mit Magdalena beschäftigt schien.

Leonce, welcher dieses grausame Spiel vollkommen verstand und auf Augenblicke die Schwachheit hatte, sich davon erregen zu lassen, wollte nun die Kraft haben, es zu verachten; indem er sich aber der nämlichen Waffen bediente, lief er große Gefahr, besiegt zu werden. Er heuchelte eine so besondere Bewunderung für sein Modell und eine so eifrige Aufmerksamkeit auf seine Arbeit, daß für alles Uebrige taub und blind schien.

»Leonce,« sagte Sabina, sich zu seiner Arbeit herabneigend, zu ihm, »ich bin überzeugt, daß Sie uns da mit einem Meisterstück überraschen werden, denn noch nie schienen Sie so begeistert.«

»Noch nie habe ich auch etwas so Reizendes gesehen, wie diese vierzehnjährige Schläferin,« antwortete er. »Das schöne Alter! wie weich alle die Bewegungen! Welche Heiterkeit in der Unbeweglichkeit der Züge! Bewundert, Ihr Andern, die Ihr durch Gefühl und Verstand Künstler seid, und gesteht, daß im Vergleich zur Schönheit keine Frau der Welt sich in ihrem Schlummer so lieblich und so rein wird zeigen können.«

»Ich bin vollkommen Ihrer Meinung,« antwortete Sabina im Tone bewunderungswürdiger Uneigennützigkeit, »und ich wette, daß es auch die Meinung des Marquis ist.«

»Gott behüte, daß ich mich zu einer solchen Lästerung bekenne!« antwortete Teverino. »Die Schönheit bleibt, was sie ist, und verliert man sich in Vergleichungen, so kritisirt man, das heißt, man wirft Eis auf glühende Eindrücke. Es ist dieß die Krankheit der Künstler unsrer Zeit; sie widmen sich gewissen Typen und maßen sich an, der Schönheit in ihrem armen Gehirn geschmiedete Gränzen anzuweisen; sie finden das Schöne nicht mehr aus Instinkt und Nichts offenbart sich ihnen anders, als durch ihre willkürliche Theorie. Dieser will die mächtige und blühende Schönheit nach Rubens Art; der Andere will sie mager und schwächlich wie die Gespenster der deutschen Balladen; ein Dritter möchte sie gedreht und männlich wie Albrecht Dürer; ein Vierter steif und kalt wie die Meister der Vorzeit. Und dennoch sind alle diese alten Meister, alle diese edeln Schulen einem großmüthigen oder naiven Instinkte gefolgt; daher sind ihre Werke originell und gefallen, ohne sich ähnlich zu sein. Der wahre Künstler ist der, welcher das Leben empfindet, Alles genießt, welcher der Begeisterung ohne Bedenken gehorcht und Alles, was schön ist, liebt, ohne Kategorien zu machen. Was liegt ihm am Namen, am Putz und den Gewohnheiten der Schönheit, welche seine Blicke auf sich zieht? Das göttliche Siegel kann ihm in einem verächtlichen Rahmen erscheinen und die Blume ländlicher Unschuld oft auf der Stirn einer Königin der Erde thronen. An ihm, dem Schöpfer ist es, aus der, welche ihn entzückt, eine Hirtin oder eine Kaiserin zu machen, je nach den Anlagen ihrer Seele und den Bedürfnissen ihres Herzens. Sie sind Künstler genug, Leonce, um aus dieser blonden Bergbewohnerin eine heilige Elisabeth von Ungarn zu machen, und ich – Ed io anche son pittore!7, weil ich fühle, weil ich denke, weil ich liebe), ich kann unter der braunen Haarfülle Myladys Dante’s Beatrix sehen.«

 

»Es scheint mir, Leonce,« sagte Sabina, von der letztern Anspielung geschmeichelt, »daß der Marquis Ihre Ideen über Kunst ganz theilt und Sie nur im Ausdrucke verschieden sind. Aber was für eine hübsche Zeichnung fällt da aus Ihrem Album heraus? Erlauben Sie mir, sie anzusehen.«

»Um Verzeihung, Madame, es ist eine Studie an nackten Körpern, ich benachrichtige Sie davon. Wenn Sie es indeß sehen wollen, so ist mein Faun hinreichend mit Blättern bekleidet, um den Herrn Pfarrer nicht zu zwingen, Ihnen denselben aus den Händen zu nehmen; er hat in seiner Kirche Heilige, die weit weniger ernst aussehen.«

»Dieser Entwurf ist prächtig,« sagte Sabina, die Skizze betrachtend, welche Leonce am Ufer des Sees von Teverino gemacht hatte. »Das ist ein allerliebstes Phantasiestück, eine edle Stellung und eine entzückende Landschaft!«

»Ich,« sagte der Pfarrer, »ich finde, daß diese Figur da dem Herrn Marquis wie ein Tropfen Wasser dem andern gleicht. Wenn man ihn so bekleiden würde, so könnte man glauben, Sie hätten sein Portrait machen wollen: eigentlich macht aber nicht das Kleid den Mönch, und ich sehe wohl, daß Sie hier mit oder ohne Absicht seinen Kopf hingebracht haben.«

»Sein schönes Gesicht ist so in mein Gedächtniß eingeprägt,« sagte Leonce, einen bedeutsamen Blick auf den Marquis werfend, »daß wenn ich Vollkommenheit suche, es sich oft von selbst an die Spitze meines Bleistifts stellt.«

»Und Sie haben es in eine Landschaft unsers Kantons versetzt,« fügte der Pfarrer hinzu. »Das sind unsre kleinen Seen und unsre großen Berge, unsre Tannen und unsre Felsen; das ist ganz naturgetreu wiedergegeben. .Sehen Sie doch, Herr Marquis.«

»Die Stellung ist gut,« sagte Teverino ruhig, »und die Composition hübsch, allein die Zeichnung ist schwach; das ist nicht das Beste, was unser Freund gemacht hat.«

»Ich, ich finde das sehr gut,« sagte Sabina, welche die Augen nicht von dem Bilde abwenden konnte.

»Wohlan, ich überlasse es Ihnen,« sagte Leonce mit Ironie; »wenn Sie diesen Versuch nicht Ihres Albums unwürdig halten; es wird Sie wenigstens an einen glücklichen Tag und lebhafte Gemüthsbewegungen erinnern.«

»Ich will lieber, Sie schenken mir die Zeichnung, welche Sie in diesem Augenblick machen,« antwortete Lady G***, von Leonce’s Ton erschreckt. »Mich dünkt, Sie legen mehr impegno e d’amore8 hinein.«

»Nein, nein, diese da geb’ ich nicht,« entgegnete Leonce, seine Skizze von Magdalena in sein Album einschließend und die andere auf den Tisch zurückschiebend.

»Es ist herrliches Wetter,« sagte der Marquis mit ungezwungenem Wesen ans Fenster tretend. »Der Mond leuchtet wie Aurora. Wenn, wir die Stadt besehen würden? Morgen wird Alles weniger schön sein und den Zauber verloren haben.«

»Gehn wir,« sagte Sabina aufstehend.

»Ich, ich werde um Erlaubniß bitten, mein Bett aufzusuchen,« sagte der Pfarrer, »ich bin vor Müdigkeit ganz zerschlagen.«

»Wie, weil Sie um sieben oder acht Stunden in einem trefflichen Wagen gefahren sind?« entgegnete Sabina.

»Nein, weil ich heiß und dann Hunger, und dann kalt, und dann wieder Hunger gehabt habe, kurz, um nicht zu meiner Zeit gegessen habe. Ueberdieß ist es neun Uhr und ich sehe bloß etwas ganz Natürliches in meiner Schlaflust; wenn nur meine arme Haushälterin nicht die Nacht über wacht, um mich zu erwarten!«

»Felicissima notte9, Abbé,« sagte Teverino. »Sie kommen, Leonce?«

»Noch nicht,« antwortete er, »ich will eine zweite Skizze von dieser Schläferin entwerfen.«

»Die Schläferin muß anderswo schlafen gehen,« sagte der Pfarrer in strengem Tone. »Würde sie nicht da die ganze Nacht wie verloren auf dem Canapee herumlungern? Marsch, Hans Unbesorgt, aufgewacht!«

Und er fächelte mit seinem großen Hute Magdalena’s Gesicht, welche die Bewegung machte, als wolle sie einen lästigen Vogel verscheuchen, und nur um so schöner wieder einschlief.

»Lassen Sie sie doch, Pfarrer, Sie sind unbarmherzig!« sagte Leonce, indem er Miene machte, sich neben das Vogelmädchen auf das Sopha zu setzen.

»Dieses Mädchen,« bemerkte Sabina, »kann nicht da vor aller Welt Augen schlafen.«

»Um Verzeihung, lieber Leonce,« rief Teverino hinzutretend; «aber Myladys und des Herrn Abbés Ansichten sollen befolgt werden.«

Und indem er das junge Mädchen wie ein kleines Kind in seine Arme nahm, trug er es in ein anstoßendes Zimmer, wo er die Negerin, um ihr Bett zu bereiten, ein und ausgehn gesehn hatte.

»Da, Königin des Tartarus, ist ein Gegenstand, den man Euch anvertraut und welchen wie Euern Augapfel zu bewahren Eure edle Gebieterin, die weiße Phöbe, Euch befiehlt.«

Er legte Magdalena auf das Bett und sagte beim Weggehen ganz leise zu der Negerin:

»Schließt Euch ein, Mylady befiehlt es.«

Leonce heuchelte gegen Alles, was um ihn her vorging, eine große Gleichgültigkeit und folgte nachläßig Sabina, welche, nachdem sie vergeblich gewartet, daß er ihr den Arm anbiete, den des Marquis annahm.

Dieser Letztere schien die Stadt zu kennen, obwohl er Niemandem, nicht einmal dem Wirth del Leone bianco10 bekannt war. Er führte Sabina, um Eis zu essen, in ein Kaffeehaus, das an die alten Stadtmauern stieß, denn das Städtchen war ehemals ein kleiner befestigter Platz, der noch die Spuren der Kanonenkugeln des republikanischen Frankreichs trug.

Er ließ auf einer Terrasse im Freien auftragen, von wo aus der Blick die Gräben und ein Durcheinander alter massiver, epheu- und moosüberwucherter Construktionen beherrschte. In einiger Entfernung erhob sich ein zerfallener Thurm, dessen schlanken Schattenriß der Mond mit seinem Silberscheine übergoß und welcher der weiten, in weißem Lichte schimmernden Landschaft als scharf gezeichneter Vordergrund diente. Der Himmel war prachtvoll. Leonce entfernte sich und durchirrte die Trümmer, dem Anscheine nach in die Betrachtung einer so schönen Nacht und eines so schönen Ortes versunken.

»Ich glaube gar,« sagte Teverino, die Kraft seiner Finger an einem Stück Mörtel versuchend, das er Zu seinen Füßen auflas, »daß dieser Bau römischen Ursprungs ist.«

»Ich will es nicht wissen,« antwortete Sabina; »lieber will ich nicht daran zweifeln und hier eine großartige Vergangenheit träumen, als archäologische Beobachtungen anstellen. Man genießt Nichts, wenn man sich über Etwas vergewissern will.«

»Wohlan, Sie besitzen wahre Poesie, bewundrungswürdige Französin!« rief Teverino, sich ihr gegenübersetzend, »und mit Ihnen will ich mich in das Paradies des Geistes versetzen, in welches der göttliche Alighieri durch die göttliche Beatrix eingeführt wurde. Als dieser Vergleich mir so eben über die Lippen kam, legte ich mir von der Richtigkeit meiner Begeisterung nicht Rechenschaft ab. Ja, Sie besitzen das Licht des Geistes, verbunden mit der idealen Schönheit, und nie habe ich eine so außerordeutliche Frau wie Sie angetroffen. Zum erstenmale verlasse ich Italien, und dort kannte ich keine Französin, die von unsern Frauen so wesentlich verschieden gewesen wäre, wie Sie es sind. Die Frau des Südens hat zwar Neigung für Poesie oder Kunst, allein sie liegt mehr im Charakter als im Geist; und zudem gestatten ihr ihre beschränkte Erziehung, ihr üppiges und träges Leben nicht, über ihre Gefühle klar zu werden, wie Sie, Madame, Sie es verstehen! . . .

»Und wie drücken Sie Ihre Gedanken, selbst in unserer Sprache aus, welcher Sie eine fremdartige, immer edle und ergreifende Form verleihen! Ja, Ihre Gefühle sind Ideen, und mich dünkt, als folge ich Ihnen, wenn ich mit Ihnen rede, in eine andern Wesen unbekannte Region. Sie wissen Alles zu beurtheilen, Nichts ist Ihnen fremd und Ihre Wissenschaft hindert Sie nicht, zu empfinden und sich leidenschaftlich zu begeistern, wie jene armen Geschöpfe, die ohne Unterscheidungskraft lieben und bewundern. Ihre Einbildungskraft ist noch so reich, als besäßen Sie nicht die Kenntnisse aller Geheimnisse der Menschheit und über Ihrer erstaunenswürdigen Weisheit entrückt das Ideal Sie stets zum Unendlichen! In der That, mein Gehirn entflammt sich am Herde des Ihrigen und mir ist, als erhebe ich mich über mich selbst, indem ich Sie anhöre!«

Mit einem solchen Wortschwall von Lobhudeleien goß Teverino das Gift der Schmeichelei in die Seele der stolzen Lady. Es war ein himmelweiter Unterschied zwischen dieser gränzenlosen und mit jener italiänischen Glut geoffenbarten Bewunderung, die so sehr dem Gefühle gleicht, und der kargen, schweigsamen Philosophie Leonces. Was Teverino einen unwiderstehlichen Zauber lieh, ist, daß er von dem, was er sagte, beinahe überzeugt war. Er hatte kaum je eine so geistig gebildete Frau angetroffen und diese Neuheit hatte für seinen forschungsbegierigen und unabläßig beobachtenden Geist einen wahren Reiz. Er wollte diese weibliche Ueberlegenheit zutraulich machen, um sie in all ihrem Glanze sich offenbaren zu sehen, und da er wohl wußte, daß solche Gaben mit einem großen Stolze verbunden sind, so hätschelte er sie durch sinnreiche Schmeicheleien.

Für Lady G*** war es schwierig, um nicht zu sagen, unmöglich, diese Leidenschaft des Wissens von der Leidenschaft des Liebens zu unterscheiden. Sie hatte noch nie einen so blasirten und naiven Mann wie Teverino getroffen. Leonce dürstete weit weniger nach geistigen Vorzügen und war weit weniger ruhig im Herzen neben ihr. Sie sah daher nur die Hälfte des Charakters dieses Italiäners, und als ächte Dilettantin geistiger Genüsse griff sie, ohne die Ruhe ihres eigenen Herzens zu gefährden, das seinige lebhaft an, um ihn als neuen Typus in ihrem Leben zu beobachten.

Sie sprach lange mit ihm und von was reden ein schöner junger Mann und ein hübsches junges Weib, wenn nicht von Liebe? Es gibt in einem derartigen Tète-a-Tète beim Mondenschein keine unerschöpflichere Theorie. Die Frau klagt über das Leben, beweint Täuschungen, zeichnet ein Ideal der Liebe und läßt Entzückungen ahnen, die sie unter einem durchsichtigen Geheimniß von Mißtrauen und Scham verschleiert. Der Mann schwärmt, läugnet die Vorurtheile und verdammt die Verbrechen seiner Nebenmenschen. Er will das männliche Geschlecht in seiner Person rechtfertigen und rehabilitiren. Mit tausend geschickten Wendungen anerbietet er sich, die Erbsünde abzubüßen und zu sühnen, während man durch tausend noch, geschicktere Umwege seinen Huldigungen ausweicht und ihn zu neuer Begeisterung führt. Das ist der gewöhnliche Inhalt jeder Unterhaltung dieser Natur unter gebildeten Leuten. Es ist der Hauptinhalt dessen, was nur mit mehr Kunst und Verstellung zwischen Sabina und Leonce noch an jenem Morgen vorgegangen war. Bei Teverino war sie aber weniger ängstlich und sanfter. Statt Vorwürfen und gereizten Beschuldigungen hatte sie nur den süßen Wohlgeruch des Weihrauchs einzuathmen. Auch lief sie eine weit größere Gefahr, die, Jemandem, der nur Phantasie verlangte, Zärtlichkeit zu schenken.

 

Als der Abenteurer eben in wilder Begeisterung in die lautlose Nacht hineinsprach, erschrack Sabina nicht wenig, Leonce unten am Walle erscheinen zu sehen.

»Da ist Leonce!« sagte sie, um seine Beredsamkeit zu dämmen.

»Er ist diesen Abend sehr sorgenvoll und träumerisch, der arme Leonce!« sagte Teverino mit gesenkter Stimme.

»Ich habe ihn noch, nie so mürrisch gesehen,« entgegnete sie; »sollte man nicht glauben, er langweile sich bei uns?«

»Nicht doch, Madame; er ist verliebt und eifersüchtig.«

»In das Vogelmädchen verliebt, ohne Zweifel?« sagte sie in verächtlichem Tone.

»Nein, in Sie; das wissen Sie wohl.«

»Sie irren sich, Marquis. Wir kennen uns schon fünfzehn Jahre und nie hat er daran gedacht, mir den Hof zu machen.«

»Nun denn, Madame, so schwöre ich Ihnen, daß er heute ganz ernstlich daran denkt.«

»Keinen derartigen Scherz, er verwundet mich!«

»Ist er nicht ein feingesitteter Mann, ein großer Künstler, ein liebenswürdiger und hübscher Bursche? Seine Liebe ist Ihnen gewidmet, und das kann Sie nicht beleidigen.«

»Es würde mich ungemein schmerzen, denn ich könnte sie nicht erwidern.«

»Das ist schrecklich, Madame. In diesem Fall sehe ich wohl, daß kein Mann von Ihnen geliebt werden wird, denn kein Mann kann sich schmeicheln, Leoncen gleich zu kommen.«

»Sie täuschen sich, Marquis; er hat alle Arten Vollkommenheiten, die ich ihm erlassen würde, wenn ihm nicht eine ganz kleine Eigenschaft fehlte, die man hoffen kann, anderswo zu finden.«

»Und welche?«

»Die Fähigkeit, ungekünstelt, ohne Stolz und ohne Mißtrauen zu lieben.«

Mit diesen Worten war sie aufgestanden, um Leonce entgegenzugehen, und bei der vertraulichen Weise, mit der sie sich auf Teverino’s Arm stützte, sagte sich jener: »Diesen großen Muth besiegen, ist nicht so schwierig, als ich glaubte.«

Sabina hatte ganz leise zu reden geglaubt; allein als sie die Stufen, welche in das grüne Amphitheater der alten Laufgräben führten, hinabstieg, machte sie sich keinen Begriff, wie dieser Ort jeden Laut so hörbar wiedergab und ahnte nicht, daß Leonce Alles gehört habe. Ihre letzten Worte hatten ihn so verwundet und gereizt, daß er all seine Kraft zusammennahm, sich zu verstellen und die seiner Rolle zukommende Ruhe wieder zu erringen. Es gelang ihm so sehr, daß Teverino selbst auf den Glauben kam, er habe sich getäuscht und Lady G*** habe Recht, ihm eine große Kälte zuzuschreiben. Er machte ihnen den Vorschlag, die Spitze des seiner Ringmauer entblösten Thurmes zu besteigen, indem er ihnen auf diesem hervorragenden Punkte eine prachtvolle Aussicht und eine noch reinere Luft, als auf den Wällen, versprach. Sie machten nun diesen Versuch. Leonce ging voraus, um ihnen den Weg zu bahnen, den er so eben allein aufgesucht hatte, um die Brombeerstauden zu zertheilen und sie bei jeder verfallenen oder schlüpfrigen Stufe der Wendeltreppe zu warnen.

Ungeachtet dieser Vorsicht war die Ersteigung des Thurmes für eine so zarte und so wenig gegen den Schwindel gestählte Frau, wie Lady G***, ziemlich mühsam und sogar gefährlich; allein die Kraft und Gewandtheit des Marquis verliehen ihr eine seltsame Zuversicht, und was sie nie mit kaltem Blute zu unternehmen gewagt hätte, das vollbrachte sie nun mit Begeisterung, bald auf seine Schulter gestützt, bald die Hände in den seinigen verschlungen, bald von seinen kräftigen Armen gehoben.

Bei dieser aufregenden Wanderung berührten sich ihre Haare mehr als einmal, fühlte Teverino mehr als einmal ein von Scham und Zärtlichkeit bewegtes Herz gegen seine vor Ermüdung keuchende Brust schlagen. Der durch die breiten, zerstückelten Säulenhallen des Thurmes eindringende Mond warf eine klare, von Zeit zu Zeit durch die dicken Mauern unterbrochene Helle auf die Treppe. In diesen Zwischenräumen von Licht und Dunkelheit befand man sich bald ganz nahe, bald sehr weit von Leonce, der, obwohl er sich stellte, als sehe er Nichts von der wachsenden Aufregung seiner beiden Gefährten, doch Nichts verlor.

Endlich befand man sich auf dem Gipfel des Gebäudes. Eine kreisförmige, acht Schuh breite Mauer ohne Geländer bildete den Kranz desselben und Leonce machte ruhig die Runde, indem er mit dem Auge die glatte Mauer maß, deren riesenmäßige Grundveste sich in den hundert Fuß unter ihm liegenden Laufgräben verlor. Sabina aber war von einer unüberwindlichen Furcht für ihn, für sich selbst und für Teverino ergriffen, der neben ihr stehend sich vergeblich bemühte, sie zu beruhigen. Sie setzte sich auf die letzte Stufe und ward erst wieder ruhiger, als der Marquis sie mit seinen beiden Armen, wie mit einem unüberwindlichen Walle umschlungen hielt. Die aufgescheuchten Eulen flatterten mit Klaggeschrei in die Lüfte.

Unter dem Vorwand, ihre Nester zu entdecken und dem Vogelmädchen Junge zu bringen, um zu sehen, wie sie mit dieser Erziehung zu Stande kommen würde, stieg Leonce wieder die Treppe hinab und durchstöberte die untern Stockwerke, wo sich der Schall seiner Schritte auf dem Steingeröll nicht mehr hören ließ.

Teverino war seiner selbst nicht mehr so Herr, wie er es eine Viertelstunde zuvor, als er in weniger völligem Alleinsein mit Sabina Eis aß, hatte sein können. Uebrigens schien Leonce gegen die möglichen Folgen des Abenteuers so gleichgültig, daß er sich keine so ernste Gewissenssache mehr daraus zu machen begann. Die staunenswerthe Biederkeit dieser seltsamen Person kämpfte indeß noch gegen den Reiz der Schönheit und den Stolz einer solchen Eroberung. Es gelang ihm, Sabina’s Furcht zu entfernen, und um sie davon zu zerstreuen, schlug er ihr vor, eine Hymne an die Nacht anzuhören, deren Worte er improvisiren wollte und welche an diesem prachtvollen Orte zu singen er sich aufgelegt fühlte. Er hatte ihr schon eine Probe von seiner Stimme gegeben, die den Wunsch erregte, mehr zu hören. Sie willigte ein, indem sie ihm zugleich sagte, so lange sie ihn auf diesem gigantischen Fußgestell stehen sähe, sie ein abscheuliches Herzklopfen haben würde.

»Wohlan,« antwortete er, »ich bin stets gewiß, mit Rührung angehört zu werden, und viele Sänger von Profession bedürfen eines solchen Theaters.«

Die Leichtigkeit und sogar die Originalität seiner lyrischen Improvisation, die glückliche Wahl der Luft, die unvergleichliche Schönheit seiner Stimme und jene natürliche musikalische Gabe, die bei ihm die Methode durch den Geschmack ersetzte, die Macht und der Zauber wirkten bald in unwiderstehlicher Weise auf Sabina. Ströme von Thränen entronnen, ihren Augen und als er sich wieder neben sie hinsetzte, fand er sie so begeistert und zugleich so gerührt, daß er sich selbst wie besiegt fühlte. Er umschlang sie mit seinen Armen, indem er frug, ob sie sich noch fürchte, und sie sank an ihn hin, mit einer von Thränen unterbrochenen Stimme antwortend: »Nein, nein, ich fürchte mich nicht mehr vor Ihnen!«

In diesem Augenblicke begegneten sich ihre Lippen, aber alsobald riefen die unter dem Treppengewölbe unweit von ihnen wiederhallenden Schritte Leoncens sie zur Besinnung zurück. Man unterschied in der Ferne das Beifallklatschen verschiedener Personen, welche längs den Wällen wo sie spazieren gingen, den bewundrungswürdigen Gesang, wie die Stimme des Ruinengeistes, durch die Lüfte schallen gehört hatten. Jubelnd beklatschten sie den unbekannten Künstler, den Spender eines italiänischen Ohren so theuren Genusses; allein Sabina bebte bei diesem Beifallklatschen noch mehr als bei der Annäherung Leoncens. Es schien ihr ein, ihrer so eben stattgefundenen Niederlage dargebrachtes, ironisches Halloh und sie bedurfte der vollsten Ueberzeugung, daß sie auf eine Art sitze, wo sie auch von weitem neugierigen Blicken unsichtbar sei, um sich von der Scham einer solchen Schwäche zu erholen.

7Und auch ich bin Maler!
8Empfindung und Liebe.
9Glückselige Nacht!
10Zum weißen Löwen.