Free

Teverino

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

VI
Audaces fortuna juvat. 2

Nun sang der Italiener in seiner harmonischen Sprache drei Strophen, gewürzt mit dem hyperbolischen Genie seiner Nation, wovon wir hier eine freie Uebersetzung geben wollen. Er paßte sie einer jener glühenden Weisen Italiens an, von welchen man nicht sagen kann, ob sie Meisterstücke unbekannter Künstler oder die männlichen und zufälligen Eingebungen der Volksmuse sind.

»Zieht vorüber, edle Herrn, in Euren bunten Gondeln; vergeblich drängt Ihr Eure unerschrockenen Ruderer zu rascherer Fahrt; mit meinen Armen, geschmeidig wie die Welle und weiß wie ihr Schaum, bin ich doch schneller. Mit meinen Lumpen bedeckt, bin ich einer der letzten der Erde; allein, frei und nackt, bin ich der König der Welle, und Euer Aller Herr!

»Fliehet, edle Damen, auf Euren zeltumspannten Barken; vergeblich wendet Ihr den Kopf ab, vergeblich bedeckt Ihr mit dem Fächer Eure schamgerötheten Stirnen; die meinige wird Eure Blicke immer an sich ziehen und verstohlen folgt Ihr mit Euren Augen meinen schwarzen, auf den Wassern wallenden Haaren. An meinen Lumpen weicht Ihr voll Abscheu von mir zurück; allein, frei und nackt, bin ich der König der Welt und der Gebieter über Eure Herzen.

»Schwimmet, Vögel des Meeres und der Flüsse; spaltet mit Euren Korallenfüßen die bittre Welle, die Euch schaukelt. Mit meiner Brust, fest wie das Vordertheil eines Schiffes, mit meinen Armen, geschmeidig wie Euer glänzender Hals, folge ich Euch in Eure Meergras- und Muschelnester. Mit meinen Lumpen bedeckt, erschrecke ich Euch; allein, frei und nackt, bin ich der König der Welle und Ihr haltet mich für Einen der Eurigen.«

Die Stimme des Sängers war prachtvoll und kein auch noch so berühmter Künstler hätte das Freie seines Accentes, das Ungekünstelte seiner Weise, die Macht seines begeisterten Gefühls übertreffen können. Leonce glaubte sich in den Golf von Salerno oder Tarent, unter den Himmel der Begeisterung und der Poesie versetzt.

»Bei Amphitryte!« rief er, »Du bist ein großer Poet und ein großer Sänger, edler junger Mann! und ich weiß nicht, wie Dich für das Vergnügen, das Du mir so eben verschafftest, belohnen. Welch ein bewunderungswürdiger Gesang ist denn das? was sind denn das für seltsame Worte?«

»Der Gesang ist der eines auf den Gipfeln der Apenninen verirrten Gottes, der ihn den Echos wird anvertraut haben, welche ihn hinwieder dem Ohr der Hirten und Fischer zuflüsterten; die Worte aber sind von mir, Signor, denn ich bin mit Ihrer Erlaubniß Improvisator, wann es mir beliebt. Unsre melodische Sprache ist Allen faßlich, und wenn wir eine Idee haben, wir natürlichen Poeten, Kinder der Sonne, so läßt sich der Ausdruck nicht lange herbeiwünschen.«

»Du wirst mir diese Worte wiederholen; ich will sie aufschreiben.«

»Wenn ich sie Ihnen wiederhole, so sind es schon nicht mehr dieselben. Meine Gesänge entströmen mir wie die Flamme des Herdes; ich kann sie erneuern, aber nicht zurückhalten. Vielleicht finden Sie dieß etwas großsprecherisch; es ist das Privilegium des Poeten; nehmen Sie ihm den armseligen Ruhm, so nehmen Sie ihm sein Genie.«

»Du hast das Recht, Dich zu rühmen, denn Du bist eine bevorzugte Natur,« antwortete Leonce; »und was auch Dein Stand sein möge, Du würdest verdienen, einer der Ersten der Erde zu sein. Du hast mich entzückt; komm hieher und erzähle mir Dein Elend; ich will ihm ein Ende machen.«

Der Unbekannte kam an’s Ufer zurück.

»Ach!« sagte er, »Sie haben den alten Faun in seiner ganzen Freiheit, den Naturmenschen in seiner ganzen Poesie gesehen. Jetzt werden Sie den Lumpenbekleideten in seiner ganzen Häßlichkeit und in seinem ganzen Elende sehen, denn ich muß wohl diese traurige Livree wieder anziehen, bis sie mich verläßt oder ich mein Genie auf eine Weise nützen kann, die mir die Erneuerung meiner Garderobe gestattet. Sie scheinen überrascht? Ich habe, als ich mich Ihnen zum erstenmal näherte, ganz wohl in Ihren Blicken gelesen, daß ich Ihnen Widerwillen einflößte. Sie haben mich häßlich, vielleicht abschreckend gefunden. Als ich aber meinen Bettlerskittel abgestreift, als dieses Reinigungswasser mich meines Schmutzes entledigt hatte, als Sie mich von dem Staub und Koth der Straßen gereinigt sahen, so wurden Sie endlich von diesem Körper, welcher oft den ersten Bildhauern meines Vaterlandes als Modell diente, von diesem Gesicht, das nicht durch Ausschweifungen zerstört ist und welchem Mühseligkeiten und Entbehrungen die Jugend und Schönheit noch nicht geraubt haben, von diesen Gliedern, an welchen die Natur ihren Luxus verschwendet, und von diesem Gefühl des Schönen, welches sich bei dem sinnigen Menschen auf seiner Stirn und in allen seinen Gewohnheiten ausspricht, von Allem dem endlich betroffen, mein Herr, was macht, daß ich nackt den bestgekleideten Menschen gleichgestellt und vielleicht überlegen bin, und Sie haben versucht, mir einen Platz unter Ihren künstlerischen Eindrücken anzuweisen. Es ist Ihnen jedoch nicht gelungen, ich bin es überzeugt; die Werke der Kunst sind Nichts, wenn Sie nicht den Werken Gottes entsprechen. Sind Sie Maler, so werden Sie mich einst, wenn die Begeisterung Sie erfaßt, in Ihren Erinnerungen wiederfinden! Heute können Sie mich nicht wiedergeben! . . . Um so mehr,« fügte er mit bitterm Lächeln hinzu, »als das Stück zu Ende gespielt ist und meine Würde unter dem Brandmal der Dürftigkeit verschwinden wird.«

Er sprach dieß mit einer außerordentlichen Leichtigkeit und einem Accente, in welchem ein unbegreiflicher Adel lag. Von einem Stral der Begeisterung erhellt und alsobald durch ein tiefes Schmerzgefühl umwölkt, war sein Gesicht von ungemeiner Schönheit, nie hatten edlere Züge, nie ein feinerer und durchdringenderer Ausdruck Leonce’s Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

»Mein Herr,« sagte er von unwillkürlicher Hochachtung beherrscht, zu ihm, »Sie stehen gewiß über dem elenden Stande, unter dessen Außenseite Sie mir erschienen sind; Sie sind irgend ein unglücklicher Künstler; gestatten Sie mir, Ihnen aufzuhelfen und Sie auf solche Weise für den poetischen Genuß, den Sie mir verschafft haben, zu belohnen.«

Allein der Unbekannte schien Leonce’s Worte nicht gehört zu haben. Zum Ufer hinabgebeugt, entfaltete er mit sichtlichem Widerwillen die unedeln Kleidungsstücke, die er, um seine Blöße zu decken, wieder anzuziehen genöthigt war.

»Das ist,« sagte er, indem er, seine Lumpen wieder auf den Boden fallen ließ, »eine Qual, welche kennen zu lernen ich Ihnen nicht wünsche. Der Italiäner liebt den Putz, der Künstler liebt den Wohlstand, den Luxus, die Wohlgerüche, die Reinlichkeit, jenes ungemeine Behagen, welches nach männlichen und heilsamen Hebungen Seele und Körper erneuert. Niemand kann verstehen, wie schwer es mir fällt, mich den Menschen, den Frauen besonders zu zeigen! in einer zerrissenen Blouse und fadenscheinigen Beinkleidern.«

»O! ich verstehe und bedaure Sie,« antwortete Leonce, »allein, Gott sei Dank, ich kann Ihrem Leiden heute noch ein Ende machen! Es ist warm genug, um hier bleiben und eine Viertelstunde an der Sonne warten zu können; ich verspreche Ihnen, daß ich in einer Viertelstunde mit Kleidern zurück sein werde, die Ihre ehrbare und billige Grille zu befriedigen im Stande sind. Erwarten Sie mich.«

Und bevor der Italiäner noch antworten konnte, stürzte Leonce fort, lief zu seiner Kutsche und nahm ein elegantes und leichtes Felleisen heraus, das er an’s Ufer des Sees brachte. Er fand seinen Italiener im Wasser, beschäftig, von den schönsten Wasserblumen eine Garbe zu binden, die er ihm mit einer Miene kindlichen Triumphes brachte und mit herzlicher Anmuth überreichte.

»Ich kann Ihnen für Das, was Sie mir bringen, nichts Anderes geben,« sagte er, ich besitze auf der Welt Nichts; aber mittelst meiner Geschicklichkeit und meinem Muthe kann ich mir die seltensten Schätze der Natur, die schönsten Blumen, die köstlichsten mineralogischen Produkte, die Kristalle, die Versteinerungen, die Bergpflanzen aneignen; ich kann Ihnen alles Das geben, wenn Sie wollen, daß ich Sie auf Ihrem Spaziergange begleite, und wenn sie eine Flinte hier haben, so kann ich sogar den Adler und die Gemse fällen und sie zu Füßen Ihrer Gebieterin legen. Denn ich bin der geschickteste Jäger, den Sie je angetroffen haben, wie ich der kühnste Kletterer und der behendeste Schwimmer bin.«

Ungeachtet dieser Naivetät italiänischer Pralerei, mißfiel die feurige Beredsamkeit des jungen Mannes Leonce nicht. Sein von Freude und Erkenntlichkeit leuchtendes Antlitz hatte einen Glanz, eine sympathetische Offenherzigkeit, welche ihm Wohlwollen gewonnen.

In zehn Minuten war der Vagabunde in einen jungen, in Reisekleidern befindlichen Stutzer von bestem Tone umgewandelt. In Leonce’s Felleisen befanden sich nur Morgenkleider, die zu einer reizenden Toilette, auf dem Lande genügten, leichte Westen von zierlichem Schnitte, frische Cravatten in den feinsten Farben, prachtvolles Weißzeug, Sommerbeinkleider von Modestoff, gefirnißte Schuhe, Kamaschen von hellem Kasimir mit Perlenmutterknöpfen. Der Italiener wählte ohne Umstände aus Allem das Beste. Er war beinahe vom nämlichen Wuchse, wie Leonce, und Alles stand ihm trefflich; er vergaß nicht, auch ein paar Handschuh anzuziehen, deren Wohlgeruch er mit Wonne einathmete. Und als er sich so von Kopf bis zu Füßen erfrischt und geschmückt sah, warf er sich in die Arme seines neuen Freundes, indem er rief, daß er ihm den größten Genuß, den er in seinem Leben empfunden habe, verdanke. Dann, stieß er seine Lumpen, die er verabscheute, mit der Fußspitze in den See, und sein kleines Bündel auflösend, dessen gröblichen Umschlag er ebenfalls den Wellen übergab, zog er zum großen Erstaunen Leoncens ein mit Brillanten eingefaßtes Frauenbildniß, eine ziemlich schwere goldene Kette und zwei mit Spitzen garnirte Battistnastücher hervor. Das war Alles, was sein Reisesack enthielt.

 

»Es überrascht Sie, zu sehen, daß eine Art Bettler solche Luxusgegenstände aufbewahrt hat,« sagte er, sich mit seiner goldenen Kette schmückend, die er sorgfältig auf der weißen Weste ausbreitete; »das ist Alles, was mir von meinem frühern Glanze blieb, und ich hätte mich dessen nur im äußersten Nothfalle entledigt. Che volete Signore mio?3«

»Sie waren also reich?« fragte Leonce, betroffen über den Anstand, mit welchem er sein neues Kostüm trug.

»Reich während acht Tagen, das war ich hundertmal. Wollen Sie meine Geschichte wissen? Ich will Sie ihnen erzählen.«

»Wohlan, erzählen Sie mir dieselbe unterwegs und begleiten Sie mich,« sagte Leonce. »Wir wollen dieses Felleisen mit einander in meine Kutsche zurücktragen.«

»Sie sind auf der Reise, Signor?«

»Nein, aber auf einem Ausfluge und vielleicht für mehrere Tage. Wollen Sie von der Partie sein?«

»Ach, von Herzen gern, um so mehr, als ich Ihnen nützlich und angenehm sein kann. Ich habe verschiedene kleine Talente und kenne diese Berge, in welchen ich seit acht Tagen umherirre, schon von Grund aus. Ich kann nirgends bleiben, mein Kopf zieht unabläßig die Beine mit sich fort, um sich an meinem Herzen zu rächen, das ihn selbst jeden Augenblick mit sich fortreißt. Um Ihnen aber meine Art, zu reisen, das heißt, meine Lebensart begreiflich zu machen, müssen Sie mich vorerst ganz kennen lernen.

»Meinen Geburtsort kenne ich nicht, und ich weiß nicht, welch strafbarer großer Dame, oder welch unglücklichem verführten Mädchen ich das Tageslicht verdanke. Die Frau eines Fischverkäufers fand mich eines Morgens in der Campagna von Rom am Ufer des Tibers und gab mir den Namen Teverino oder Tiberinus. Ich war ungefähr zwei Jahre alt. Ich konnte weder den Namen meiner Eltern sagen, noch sagen, woher ich kam. Diese gute Seele erzog mich, trotz ihres Elendes. Sie hatte keinen Sohn mehr und zählte auf mich, daß ich ihr helfen und sie unterstützen würde, wenn ich erst im Alter wäre, um arbeiten zu können.

»Unglücklicherweise war der Hang zur Arbeit mir nicht angeboren; die Natur beschenkte mich mit der Faulheit eines Prinzen und dieß brachte mich immer auf den Glauben, daß ich von erlauchtem Blute sei, obwohl ich meinem Geiste nach dem Volke angehöre. Einer der beiden Urheber meiner Tage muß jener Race armer Teufel angehört haben, welche bestimmt sind, Alles durch sich selbst zu erwerben, und bei meiner zweifelhaften Abkunft ist dieß die Seite, über welche zu erröthen ich am wenigsten versucht bin.

»So lang ich ein Knabe war, liebte ich den Fischfang, mehr jedoch als Kunst, denn als Gewerbe. Ja, ich fühlte mich damals schon für die Erfindungen des Verstandes geboren. Bei gefährlichen und anstrengenden Hebungen glühend, hatte ich keinen Sinn für Gewinn. Ich empfand ein ungemeines Vergnügen, der Beute aufzulauern, sie zu überlisten und zu fangen. Ich wußte sie nicht geltend zu machen, um sie gut zu verkaufen. Das dafür erlöste Geld verlor ich, oder gab es dem Ersten Besten auf Borg. Ich hatte ein zu gutes Herz, um meinen kleinen Kameraden Etwas abschlagen zu können. Ich half ihnen, Ihre Waare gut anbringen, statt einen Vortheil vor ihnen zu verlangen. Kurz, ich setzte meine arme Pflegemutter durch meine Uneigennützigkeit und Freigebigkeit, die sie Dummheit und Unklugheit nannte, in Verzweiflung.

Nach Verhältniß der Zunahme meiner Kräfte benahm ihr das Alter die ihrigen, so daß als sie eines Tages nicht mehr die Kraft hatte, mich zu schlagen, diesen einzigen Trost, welchen sie bis dahin durch mich gekostet, sie mich mit ihrem Fluche, und zwei Carolin für die Thüre stellte.

»Ich war zehn Jahre alt und schön wie Cupido. Ein geschätzter Maler, welcher mich auf der Straße bemerkt hatte, nahm mich zu sich, um ihm als Modell zu dienen, und machte einen heiligen Johannes den Täufer als Kind, dann einen Giotto, hernach einen lehrenden Jesus im Tempel nach mir, und als er mein Gesicht satt hatte, schickte er mich mit zwanzig Goldstücken fort, indem er mir anempfahl, mich etwas besser zu kleiden, wenn ich mich irgendwo anbieten wolle, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich fühlte schon den Hang zum Luxus in mir erwachen; nichts desto weniger begriff ich, daß es nicht der Augenblick dazu sei, mich auf diese Weise zu befriedigen. Ich lief zu meiner Pflegemutter und gab ihr Alles, was ich empfangen hatte, und als ob sie von meinem guten Herzen gerührt worden wäre, wollte sie mich wieder bei sich behalten; ich erklärte ihr aber, daß ich an der Unabhängigkeit Gefallen gefunden hätte und ich fortan in der Wahl meines Berufes frei sein möchte.

»Dieser Beruf war bald gefunden, das heißt, es boten sich deren hundert dar und ich ergriff keinen ausschließlich. Ich liebte die Veränderung, ich glühte leidenschaftlich für Freiheit und mit zügelloser Neugierde warf ich mich auf Alles, was mir edel und schön erschien. Ich hatte schon eine schöne Stimme, mein Gesicht und mein Verstand empfahlen sich von selbst. Ueberzeugt, Augen und Ohren zu entzücken, war ich sorglos und dachte nur daran, meine natürlichen Anlagen zu pflegen. Ich war wechselsweise Modell, Schiffer, Jockey, Chorknabe, Tänzer beim Theater, Straßensänger, Muschelnhändler, Kellner in Kaffeehäusern, Cicerone. . .

»Ach! mein Herr, dieser letztere Beruf war nebst dem des Modellstehens der, welcher mir am meisten Gewinn brachte, wenn auch nicht meinem Beutel, doch wenigstens meinem Geiste. Die Unterhaltung mit Künstlern und das tägliche Studium der Meisterwerke der Kunst entwickelten meine Ideen so sehr, daß ich mich in meinen Begriffen und Urtheilen bald den Bildhauern und Malern überlegen fühlte, welche mein Gesicht wieder zu geben versuchten, und den Reisenden aller Nationen, die ich mit den Wundern Roms bekannt machte. Indem ich die Unwissenheit oder Geistesarmuth Aller derer gewahrte, mit denen ich zu thun hatte, fühlte ich mehr und mehr das Bedürfnis, ein überlegener Geist zu werden.

»Die Lektüre liebte ich nicht. Sich aus Büchern unterrichten, ist eine zu kalte und zu langweilige Arbeit für die Schnelligkeit meiner Fassungskraft. Ich befliß mich daher, mich so viel, als möglich, wahrhaft tüchtigen und geschickten Menschen zu nähern, und indem ich mein Interesse stets diesem Zwecke opferte, unterrichtete ich mich in Allem durch Aufhorchen beim Reden. Als Schiffer oder Jockey beobachtete ich und kannte die Gewohnheiten und Sitten der Weltleute, als Chorknabe und Chorist bei den Opern weihte ich mich in das Verständniß der Musik und der Theaterkunst ein. Ich habe die Geheimnisse des Priesters und des Komödianten belauscht, die einander sehr ähnlich sind. Als Sänger an den Straßenecken, als Marionnettenspielmann oder Kleinigkeitenkrämer studirte ich alle Klassen und kannte die Eindrücke des Publikums und ihre Ursachen. Schlau und scharfblickend, kühn und bescheiden, geschickt, zu überzeugen und den Betrug verschmähend, hatte ich überall Freunde und nirgends Beschützer. Den Schutz eines Einzelnen annehmen, heißt sich von ihm abhängig machen; jede Art Joch ist mir verhaßt. Mit einem beispiellosen Nachahmungstalente begabt, überzeugt, zu ergötzen, zu rühren, in Staunen zu setzen, zu interessiren, wenn ich wollte, gab es keine Stunde in meinem Leben, wo ich nicht auf unendliche Hülfsquellen hätte zählen können.

»Weit entfernt, sich zu vermindern, verzehnfachten sich diese Hülfsquellen, je mehr ich zum Manne heranwuchs. Als das Alter kam, wo man den Frauen gefällt . . . hatte ich viele Erfolge, mein Herr, und mißbrauchte sie nicht. Dieselbe königliche Sorglosigkeit, welche mich verhindert hatte, die Vollkommenheiten meines Wesens in dem Beruf eines Fischverkäufers zu verzetteln, und die im Grunde nur eine instinktmäßige Achtung vor der Erhaltung meiner Macht war, begleitete mich in meine Verhältnisse mit dem schönen Geschlechte. Gescheidt und verschwiegen, ergab ich mich nicht lange dem Laster, ich widmete mich nicht der Selbstsucht, ich wollte durch das Herz leben, um in meinem Stolze vollkommen und unbesieglich zu bleiben. Es kostete mich keine Anstrengung, barmherzig zu sein, ich ward viel verrathen, aber täuschen konnte man mich nicht. Ich stach viele Nebenbuhler aus und erniedrigte sie nicht. Ich knüpfte viele Bande und wußte sie ohne Groll und ohne Bitterkeit zu brechen. Schauen Sie, mein Herr, hier habe ich das Bild einer Prinzessin, die mich mit ihrer Eifersucht so sehr gequält hat, daß ich genöthigt ward, sie zu verlassen; ich behalte aber ihr Bild zum Andenken an die Wonnestunden, welche sie mir geschenkt hat; ich zeige es Niemandem und verkaufe die Diamanten nicht, obwohl ich seit acht Tagen von schwarzem Brod und Ziegenmilch lebe.«

»Was ist aber nur die Ursache Ihres jetzigen Elends?« fragte Leonce.

»Die Liebe zum Reisen einerseits und andrerseits die Liebe, die reine Liebe, signore mio! Kaum hatte ich einiges Geld erworben, als ich in Betracht, daß der Genuß, den ich davon gezogen, für mich erschöpft sei, den Beruf verließ, der mir dasselbe verschafft hatte, und auf und ab Italien durchreiste. Ich durchzog alle seine Provinzen, indem ich mir, wenn ich konnte, die Annehmlichkeiten des Wohllebens verschaffte und mich den philosophischsten Entbehrungen unterwarf, wenn mein Beutel leer war, indem ich so gar oft mit einer Art Wollust in diesem Zustande der Entblößung blieb, die mich den Werth der verschwendeten Güter fühlen ließ, und mit Stolz wartete, bis das Verlangen in mir, meine köstliche Leidenschaftslosigkeit abzuschütteln, wieder lebendig genug wurde. Bald verschmähte ich, mir aus der Klemme zu helfen, weil ich fühlte, daß meine Künstlerbegeisterung nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte und ich lieber fasten, als schlecht deklamiren und schlecht singen wollte. Es ist ein großer Genuß, mein Herr, sein Genie von der Achtung, welche man demselben zollt, gebändigt zu fühlen! Zuweilen auch beherrschte mich die Liebe und ich gefiel mir, mein Gold an mein Idol zu verschwenden, indem ich noch glücklicher und über alle Begriffe trunken war, wenn ich, zu Grunde gerichtet, sah, wie sie mir auch im Elende anhänglich blieb und mich um so mehr liebte, als ich ihr Nichts mehr zu geben hatte. O! gewiß, dann ließ ich viele Tage vorübergehen, bevor ich solche Liebe wieder auf die Probe setzte, indem ich von Neuem das Schicksalsrad bestieg, denn edle Herzen fühlen sich nur von Unglücklichen unwiderstehlich angezogen.«

»Teverino, Ihre Sprache ergreift mich,« sagte Leonce. »Wenn Sie nicht gepralt haben, so sind Sie eines der größten Herzen, verbunden mit einem der originellsten Charaktere, die ich je angetroffen habe. Als Sie Ihre Geschichte begannen, dachte ich an jenen Titel eines Kapitels im Rabelais, den Sie ohne Zweifel kennen, weil Sie Alles kennen . . .«

»Wie Pantagruel mit Panurg zusammentraf?« sagte der Italiener lachend.

»Eben das ist’s,« entgegnete Leonce, »und jetzt glaube ich den Satz beendigen zu kennen: »den er sein Lebenlang liebte.«

»Man hat mir dieses Kapitel oft angeführt, denn alle Personen, die mich geliebt, haben mich unter ihren Füßen angetroffen. Ich habe mich aber bald auf die gleiche Höhe mit ihren Herzen erhoben und sogar über den Kopf einiger, und hierin bin ich ein Panurg von besserer Race, als der des Rabelais ;ich besitze weder seine Feigheit, noch seinen Cynismus, weder seine Gefräßigkeit, noch seine Großsprecherei und seinen Egoismus, aber die Feinheit des Geistes und die Schicksalsfälle habe ich mit ihm gemein. Wenn Sie mich für einige Tage mitnehmen, werden Sie sehen, daß wenn ich auch Ihr Wohlleben mit Ihnen theile, ich keinen Augenblick Mißbrauch davon machen werde! Wenn ich es dann satt habe, (und wahrscheinlich werde ich Ihrer Gesellschaft überdrüssig, bevor Sie es noch der meinigen sind), so werden Sie sehen, daß Sie mich schmerzlich missen und Sie mir noch Dank schuldig sind.«

»Wohl möglich,« sagte Leonce lachend, »obwohl ich zwischen Ihnen und Panurg eine Aehnlichkeit finde, die Sie läugnen, die Großsprecherei nämlich.«

»Nicht doch, mein Herr, jener ist ein Praler, der verspricht und Nichts hält. Sie dürfen sich über meine Aeußerung, daß ich unsre Vertraulichkeit vor Ihnen satt haben werde, nicht verletzt fühlen. Nicht Sie werden daran Schuld sein, denn ich erblicke in Ihnen Genie und Seelengröße; allein äußere, von unser Beider Willen unabhängige Umstände, die Welt, welche mich einen Augenblick ergötzt und mir bald darauf mißfällt, der Zwang irgend eines Brauches, welchem ich mich vielleicht nur für eine gewisse Zahl Stunden zu unterwerfen im Stande bin, irgend eine Person, die Sie entzücken, mir aber zuwider sein wird, eine Laune meines beweglichen Geistes endlich, die auch auf irgend einem Punkte zu einer neuen Ansicht der Dinge leiten kann, dies oder jenes wird mich zwingen, Sie, zu verlassen. Sie sollen sich indeß meiner Bekanntschaft nicht schämen und der Name Teverino wird Ihnen nie verhaßt sein, das schwöre ich Ihnen.«

 

»Ich fühle, daß Sie mich nicht täuschen,« antwortete Leonce, »obwohl Ihre Unbeständigkeit mich schreckt. Wie! können Sie sich verpflichten, vierundzwanzig Stunden lang ein Leben, wie das meinige, zu führen und sich vom Kopf bis zu den Füßen umzuwandeln, als Weltmann, wie sie es materiell schon sind, fein und gebildet zu reden?«

»Nichts wird mir leichter sein; ich werde mich so fein und so gebildet zu benehmen wissen, wie Sie selbst, denn seit ich eine Stunde lang Ihren Umgang genieße, habe ich mir schon Ihr ganzes Wesen angeeignet. Und habe ich überdieß nicht mit dem Adel in Kameradschaft gelebt, als ich meiner Talente wegen gesucht war? Glauben Sie, daß wenn ich hätte eine Art annehmen wollen, einseitig zu sein, mich lebhafter Empfindungen zu berauben, wie der Enthaltung zeitweisen Ruins und des Aufgebens einer Marquise, Im einer Zigeunerin nachzulaufen; kurz wenn ich geordnet hätte sein wollen, wie man sagt, wenn ich mich hätte Forderungen unterwerfen, mich durch den Ehrgeiz martern lassen, meiner Eitelkeit alle Qualen der eifersüchtigen Eitelkeit auflegen, die Launen der Großen ertragen und meinen Mitbewerbern schaden wollen, um mein Glück und meinen Ruf aufzubauen, ich nicht gethan haben würde, wie so viele Andere, die durch die kleine Pforte der Künstler in die Welt eingetreten sind, und dann Herren geworden, vor sich die beiden Flügelthüren der großen Welt aufgehen sahen? Nichts wäre mir leichter gewesen, und eben diese Leichtigkeit hat mich davon abgeschreckt. Zählen Sie dah:r auf mein Schicklichkeitsgefühl, so lange Ihre Schicklichkeitsregeln mir anstehen, das heißt, während vierundzwanzig Stunden, einer Zeitfrist, die ich annehmen kann.«

»In diesem Fall gelten Sie für einen meiner Freunde, den ich botanisirend oder philosophirend im Gebirge traf, und als solcher werden Sie einer schönen Dame vorgestellt werden, zu der wir uns soeben verfügen und die Sie in diesem Irrthume erhalten müssen, bis ich Sie bitte, dem Spaß ein Ende zu machen.«

»Unter solchen Bedingungen kann ich keine bestimmte Verpflichtung über mich nehmen, ich stünde immer unter dem Einfluß Ihrer Laune und das würde meinem Genie hemmend entgegenwirken. Wir haben vierundzwanzig Stunden, nicht mehr nicht weniger, verabredet und das Gelübde muß ein gegenseitiges sein. Weiter gehe ich nicht, wenn Sie mir nicht Ihr Ehrenwort geben, mir die Maske nicht vor morgen Nachmittag um zwei Uhr abzunehmen, denn dem Stande der Sonne nach sehe ich, daß es ungefähr diese Zeit ist; ebenso ermächtige ich Sie meinerseits, mich nackt wieder in den See zu jagen, in welchem Sie mich gefunden haben, wenn ich mich vor Ablauf des Contraktes verrathe.«

»Es ist also abgemacht auf Ehrenwort,« sagte Leonce.

Indem sie das Gebüsch, in welchem die Kutsche untergebracht war, von hinten umgingen, gelang es Leonce und Teverino, das Felleisen wieder unter den Vordersitz zu bringen, ohne bemerkt zu werden.

»Lassen Sie mich auf’s Rekognosciren ausgehen, und erwarten Sie mich,« sagte Leonce; als er dann weiter schritt, sah er Magdalena ganz keuchend mit der Hängematte auf ihn zukommen.

»Ihre Hoheit erwartet Sie ganz ungeduldig,« sagte sie; »sie hat mich beauftragt, Sie zu suchen und Ihro Gnaden zu sagen, daß sie sich beträchtlich langweile. Sehn Sie! da kommt sie schon über’s Wasser! Ich will das Ding da schnell in die Kutsche zurückbringen.«

Leonce eilte, Sabinen die Hand zu bieten, unbekümmert über das Zusammentreffen Magdalenas mit Teverino und ohne sich zu fragen, ob sie diesen Vagabunden nicht schon ganz gut habe im Lande umherstreifen sehen können. Der Zufall schien seinen Zwecken zu dienen, denn kaum hatte er Sabina benachrichtigt, daß er ihr einen seiner Freunde vorzustellen habe, so trat Teverino schon aus dem Gebüsch, von dem Vogelmädchen, das ihn neugierig betrachtete und ihn zum erstenmal zu sehen schien, in einiger Entfernung gefolgt.

2Den Kühnen ist das Glück hold.
3Was wollen Sie, mein Herr?