Free

Teverino

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

V

Der Faun

»Reden Sie, Madame,« sagte Leonce, »es soll mich freuen, mich durch Ihre Augen zu sehen.«



»Es wird Ihnen keine Freude machen, dafür stehe ich Ihnen,« fuhr Sabina beleidigt, aber eine große Ruhe heuchelnd, fort; »als Mann und Künstler, als verständig und schön, als reich und vornehm, können Sie ein privilegirier Sterblicher sein. Da Natur und Gesellschaft Ihnen viel gegeben haben, so unterstützten Sie dieselben feurig, beseelt von dem Verlangen, welches schon Ihre Kindheit quälte, ein gemachter Mann zu werden. Sie haben Ihre glänzenden Anlagen so wohl gepflegt und Ihr Vermögen so edel angewendet, daß Sie der freigebigste Reiche und der ausgesuchteste Künstler geworden sind. Arm und in der Dunkelheit geboren, wäre die Palme des Ruhmes für Sie schwerer zu erringen, allein verdienstlicher geworden. Sie hätten mehr Leiden und mehr Feuer, weniger Wissenschaft und mehr Genie gehabt. Statt eines stets korrekten und oft kalten Talentes ersten Ranges, wären Ihnen ungleichmäßige, überglühende Offenbarungen zu Theil geworden.«



»Ach! Madame,« sagte Leonce, sie unterbrechend, »Sie haben wenig Erfindungsgabe und wiederholen hier nur, was ich Ihnen hundertmal selbst von mir gesagt habe. Zugleich aber geben Sie mir in einem andern Punkte Recht, daß nämlich der Mann des Volkes in mancher Hinsicht so viel werth sein kann, als der Weltmann, ja sogar diesen übertreffen kann.«



»Sie glauben, durch solche Reden ein großes Herz und einen großen Geist zu beweisen. Das ist Mode, eine gesuchte Mode, welche mit Geschmack zu tragen wenigen Weltmännern verliehen ist. Sie werden dabei nie in Uebertreibung verfallen, weil Sie im Grund des Herzens nicht weniger aristokratisch sind, als ich; Sie würden sich auch, ungeachtet Ihrer Theorien über die unmittelbare Vaterschaft Gottes in Bezug auf den Sklaven wohl hüten, ernstlich in das Vogelmädchen verliebt zu werden. Doch lassen Sie mich zu meiner Parallele kommen und Sie werden sehen, daß Sie Ihr großsprecherisches Inkognito mir gegenüber nicht bewahren konnten. Nach Bewunderung geizend, haben Sie Ihre Jugend nicht vergeudet und ganz wohl begriffen, daß es für eine verständige Frau, welche einen Mann in allen Stunden seines Lebens besitzt und kennt, ein Ideal gibt. Auch haben Sie nicht geliebt und immer auf eine Weise gehandelt, um das Gemüth dieses leidenschaftlichen Geschlechtes zu erregen, ohne ihm zu gestatten, sich Ihres Willens zu bemächtigen. Sie haben Leidenschaften erweckt, ich weiß es, und haben keine empfunden. Was uns von einander unterscheidet und macht, daß mein Stolz verdienstlicher ist, als der Ihre, das sind die Privilegien Ihres Geschlechtes. Sie haben die gemeinen Genüsse nicht dem Cultus der Würde geopfert. Ihre Modelle waren auserlesene Modelle, ungemein schöne Mädchen und jung genug, daß Sie nicht vor allzuviel Leuten zu erröthen brauchten, sie zu Ihren Maitressen zu machen; Sie haben sich überzeugt, daß Sie diese göttlichen Töchter des Volkes liebten, und um die Eigenliebe der Weltfrauen zu stacheln, gefielen Sie sich, zu behaupten, die physische Schönheit ziehe die moralische Schönheit nach sich, die Einfachheit dieser unausgebildeten Geister sei der Urtempel der ächten Liebe, was weiß ich? Wahrheiten vielleicht, an die Sie aber, auch während Sie dieselben verkündeten, nie glaubten; denn ich weiß nicht, daß irgend eine dieser plebejischen Gottheiten Sie je vollkommen bezaubert oder lange gefesselt habe. Als Bildhauer haben Sie in Ihnen nur Statüen gesehen; und was die Frauen Ihrer Kaste betrifft, so haben Sie die von Geist nie aufrichtig gesucht. Mit diesen da spielen Sie gerade die Rolle, die Sie mir zuschreiben, indem Sie mit einer bewundrungswürdigen Kunst und Poesie die Byron’schen Leidenschaften vor ihnen zur Schau stellen, allein Niemand Ihrem Herzen nahe genug kommen lassen, damit man sich des Wurmes der Eitelkeit, welcher darin nagt, bemächtigen könnte.«



Leonce schwieg noch lange, nachdem Sabina schon ausgeredet hatte. Er schien höchst niedergeschlagen, und diese Traurigkeit, die sich der Geißel der Kritik nicht widersetzte, machte ihn in diesem Augenblick der rachsüchtigen Frau, die ihn geißelte, höchst überlegen. Sabina bemerkte es und begriff das Männlichere, das in des Mannes Gemüth liegt, diese unwiderstehliche Neigung oder Hingebung zur Wahrheit, welche die Erziehung und die Gewohnheiten der Frau allzusiegreich zu bekämpfen sich bemühen. Sie fühlte Reue über ihre Aufwallung, denn sie sah, daß Leonce sich die seinige vorwarf und sein eigen Herz mit Schrecken prüfte. Anfangs hatte sie Lust, ihn für das Leid, das sie ihm angethan, zu trösten, dann fürchtete sie, sein Tiefsinn möchte irgend einen Gedanken glühenden Hasses oder abgefeimter Rache verbergen. Diese Befürchtung schnitt ihr ins Herz, denn so gut, als Leonce war, war auch sie besser, als das von ihr entworfene Bild und noch waren die Quellen der Liebe nicht in ihr ausgetrocknet. Sie versuchte vergeblich, ihre Thränen zurückzuhalten; Leonce hörte, wie sich Schluchzen ihrer Brust entwand.



»Warum weinen Sie?« fragte er, zu ihren Füßen niederknieend und ihre Hand in die seinigen nehmend.



»Ich beweine unsre verlorene Freundschaft,« antwortete sie, sich zu ihm herabbeugend, während sie einige Thränen auf seine schönen Haaren fallen ließ. »Wir haben uns tödtlich verwundet, Leonce; wir lieben uns nicht mehr. Da es aber geschehen ist und wir nicht mehr zu fürchten brauchen, die Liebe trübe uns die Vergangenheit, so lassen Sie mich diese so reine und so schöne Vergangenheit beweinen! lassen Sie mich Ihnen sagen, was sie allem Anscheine nach nicht verstanden, da Sie mit fröhlichem Herzen diesen mörderischen Kampf erheben konnten . . .



»Ich liebte Sie mit einer sanften und ächten Freundschaft; ich verließ mich auf Ihr Herz, wie auf das eines Bruders, ich hoffte, während eines ganzen Lebenslaufes bei Ihnen Schutz und Rath zu finden. Ihre Fehler erschienen mir klein und ihre Eigenschaften groß. Jetzt leben Sie wohl, Leonce. Führen Sie mich zu meinem Gatten zurück. Wohl hatten Sie Recht, mir auf den heutigen Tag unerwartete und so schreckliche Gemüthsbewegungen zu prophezeien, daß die Erinnerung daran mir nie entschwinden wird. Ich sah nicht voraus, daß diese so bitter sein würden, und begreife nicht, warum Sie solche veranlaßt haben. Und dennoch, in dem Augenblick, wo ich fühle, daß Sie zwischen uns Alles gebrochen haben, fühle ich auch, daß der Schmerz den Zorn übersteigt, und ich will nicht, daß unser letztes Lebewohl eine Verwünschung sei.«



Sabina berührte mit ihren Lippen Leonce’s Stirn, und dieser keusche und traurige Kuß, der einzige, welchen sie ihm in ihrem Leben gegeben hatte, knüpfte das Band, das sie gelöst glaubte, auf’s Neue.



»Nein, meine theure Sabina,« antwortete er ihr, ihre beiden Hände mit leidenschaftlichen Küssen bedeckend; »es ist dies kein Lebewohl und zwischen uns ist Nichts gebrochen. Sie sind mir theurer, als je, und ich werde wieder zu erwerben wissen, was ich heute zu verlieren Gefahr lief. Ich werde alle meine Sorgfalt darauf verwenden und Sie sollen selbst bei allfälligem Widerstande erweicht werden. Beruhigen Sie sich daher, edle Freundin; Ihre Thränen fallen mir auf’s Herz und erfrischen es, wie ein wohlthätiger Thau die hinwelkende Pflanze. Es liegt Wahres in dem, was wir uns gegenseitig gesagt haben, viel Wahres; allein das sind relative und nicht wirkliche Wahrheiten. Verstehen Sie diesen Unterschied wohl. Wir sind beide Künstler und können einen Gegenstand nicht lebhaft behandeln, ohne daß die Logik, die Plastik, wenn Sie wollen, uns von Folgerung zu Folgerung bis zu einer bewunderungswürdigen Synthese hinreißt. Allein diese Synthese ist, ich bin es überzeugt, für Sie und für mich eine Fiktion. Wir besitzen die Fehler, welche wir uns vorgeworfen haben; allein sie sind die zufälligen Eigenschaften unseres Charakters und die Zufälligkeiten unsers Lebens. Indem wir sie eifrig studirten, begeisterten wir uns so sehr, daß wir sie in wesentliche Laster unsrer Natur, in schmähliche Gewohnheiten unsers Betragens verwandelten. Es hat indeß Nichts auf sich, weil wir nur da Herz an Herz beim Gedanken, uns zu verlassen, weinen und fühlen, daß es uns unmöglich ist.«



»Wohlan, Sie haben Recht, Leonce,« sagte Lady G***, indem sie eine Thräne abwischte und, vielleicht aus unschuldiger Zärtlichkeit, vielleicht, um sich zu überzeugen, ob das, was sie glänzen sah, auch wirklich Thränen seien, mit ihren schönen Händen über Leonce’s Augen fuhr. »Wir haben Kunst getrieben, nicht wahr? und es bleibt uns nur noch zu entscheiden, welches von uns Beiden das Geschickteste, das heißt, das war, welches am meisten log.«



»Das bin ich, weil ich angefangen habe, und ich fordere den Preis dafür. In was soll er bestehen?«



»In der Verzeihung.«



»Und einem langen Kusse auf diesen so schönen Arm, den ich immer mit Schreck betrachtet habe.«



»Jetzt werden Sie wieder Künstler, Leonce!«



»Ei, und warum nicht?«



»Keine Küsse, Leonce, Besseres als das. Bringen wir den Rest des Tages miteinander zu und nehmen Sie Ihre Doktorsrolle wieder auf, unter der Bedingung, daß Sie nur weniger starke Dosen verabreichen.«



»Nun denn, so wollen wir Homöopathie treiben,« sagte Leonce den Arm küssend, den sie ihn mechanisch zu überlassen schien und zurückzog, als sie sah, daß die Negerin erwachte. »Legen Sie sich wieder in Ihre Hängematte und schlafen Sie ganz gemüthlich. Ich will Sie sachte wiegen; diese Thränen haben Sie ermüdet, es ist ungemein heiß und wir müssen warten, bis die Sonne etwas niederer steht, bevor wir das Gehölz verlassen.«



Die Seltsamkeit und Beweglichkeit der Gemüthsbewegungen Leonce’s verursachten der Lady G*** Unruhe. Sein Blick hatte einen Ausdruck, den sie noch nie an ihm wahrgenommen hatte, und an dem etwas gerüttelten Wiegen der Hängematte fühlte sie leicht, daß er die Schnur mit zitternder und bewegter Hand halte. Sie sah daher mit Vergnügen Magdalena wieder erscheinen, die, nachdem sie die Negerin geweckt, indem sie dieselbe mit einem Gräschen an den Lippen und Augenlidern gekitzelt, zu der Hängematte zurückkam, um diese zu bewundern und Leonce, wider Willen in seinem Wiegeramte abzulösen.

 



»Sie thut zu vertraulich, Sie haben sie schon verdorben,« sagte Leonce auf englisch zu Sabina, »Lassen Sie mich diesen lästigen Vogel verjagen.«



»Nein!« antwortete Lady G*** in augenscheinlicher Angst; »überlassen Sie ihr nur das Wiegen; die Bewegungen des Mädchens sind weicher, als die Ihrigen, und überdieß besitzen Sie zu viel Geist, als daß ich so leicht neben Ihnen einschlafen könnte. Die Vertraulichkeit dieses Kindes ergötzt mich; ich habe es satt, auf den Knieen bedient zu werden.«



Hierauf schlief sie ein oder stellte sich wenigstens schlafend, und Leonce entfernte sich ärgerlicher, als je.



Er verließ das Gehölz und ging eine Zeit lang auf’s Gerathewohl hin. Er erblickte bald den fischenden Pfarrer und den Jockey, welcher dem Letztern Gesellschaft leistete, während die Pferde innerhalb seines Gesichtskreise in voller Freiheit auf einer Bergwiese weideten und die Kutsche etwas weiter weg im Schatten untergebracht war. Ueberzeugt, sie wieder zu finden, so bald er wollte, vertiefte sich Leonce in eine wilde Schlucht und schlug einen schnellen Schritt an, um seine aufgeregten und gestörten Lebensgeister zu beruhigen.



Seine üble Laune verschwand bald beim Anblick der Naturschönheiten. Er hatte um mehrere Felsen gebogen und befand sich am Ufer eines mikroscopischen Sees oder vielmehr einer krystallhellen und gleichsam in einem granitenen Trichter eingezwängten und versteckten Wasserfläche. Dieses tiefe und glänzende Wasser, wie der Himmel, dessen glühenden Azur und goldene Wolken es widerstralte, bot das Bild des Glückes in der Ruhe.



Leonce setzte sich in eine Felsvertiefung am Ufer, die natürliche Stufen bildete, um den Reisenden einzuladen, zum Rande der ruhigen Welle herniederzusteigen. Er schaute lange dem Treiben der Insekten mit türkisen. und rubinrothem Mieder zu, die an den Wasserpflanzen hinstreiften, dann sah er im Seespiegel einen Flug Holztauben durch die Lüfte schweben und mit der Schnelligkeit des Gedankens gleich einer Vision verschwinden. Leonce sagte sich, daß so schnell und so unerreichbar auch die Freuden des Lebens schwänden und sie wie dieser Wiederschein des dahinziehenden Bildes nur Schatten seien. Dann kam er sich lächerlich vor, so germanische Metaphern zu machen, und beneidete die Seelenruhe des Pfarrers, welcher in diesem schönen See nur einen schönen Forellenbehälter gesehen hätte.



Ein leichtes Geräusch, das sich über ihm hören ließ, brachte ihn einen Augenblick auf den Glauben, Sabina sei ihm nachgegangen; allein das stärkere Pochen seines Herzens legte sich schnell, als er der Person ansichtig wurde, welche die Stufen des Felsens, deren letzte er inne hatte, herniederstieg.



Es war ein großer, junger, mehr als ärmlich gekleideter Bursche, der am einen Ende des auf der Schulter liegenden Stockes ein dünnes, in ein roth und blau gestreiftes Sacktuch eingewickeltes Bündel trug. Seine Lumpen, seine langen, auf ein blasses und stark gezeichnetes Gesicht herabfallenden Haare, sein dichter, pechschwarzer Bart, sein nachläßiger Gang und ich weiß nicht was Höhnisches, das den Blick des Vagabunden charakterisirt, wenn er dem Reichen allein gegenüber steht, Alles gab ihm das Aussehen eines wirklichen Taugenichts.



Leonce dachte, er befinde sich an einem ganz öden Orte und der fragliche Mensch habe den Vortheil der Stellung vor ihm, denn der Fußweg sei für Beide zusammen zu schmal und man dürfe sich nicht lange darum streiten, wenn der See nicht in seine stumme und geheimnißvolle Welle den aufnehmen solle, der nicht die besten Fäuste und den besten Platz zum Kampfe hätte.



Diesen möglichen Fall angenommen, ließ sich Leonce doch nicht in Verwirrung setzen, er nahm eine gleichgültige Miene an und erwartete das Zusammentreffen mit dem Unbekannten in philosophischer Ruhe. Indeß konnte er mit einer leichten Ungeduld die Anzahl der Schritte zählen, welche auf dem Felsen wiederhallten, bis der Vagabund die letzte Stufe erreicht hatte und sich dicht an seiner Seite befand.



»Entschuldigen Sie, mein Herr, wenn ich Sie störe,« sagte dann der Unbekannte mit wohlklingender Stimme und starkem, südlichem Accente; »würden aber Ihr Gnaden nicht die Gefälligkeit haben, ein bischen auszuweichen, um mich trinken zu lassen?«



»Warum das nicht,« antwortete Leonce, indem er ihn an sich vorbeiließ und eine Stufe hinaufstieg, so daß er sich unmittelbar hinter ihm befand.



Der Unbekannte nahm seinen zerrissenen Strohhut ab und auf dem Felsen niederknieend, tauchte er gierig seinen wilden Bart und die Hälfte seines Gesichts in’s Wasser, dann hörte man ihn schlürfen wie ein Pferd. Leonce wandelte die närrische Lust an, im Takte dazu zu pfeifen, wie man gemeiniglich zu thun pflegt, um diese ungeduldigen und scheuen Thiere zu beschäftigen, während sie ihren Durst löschen.



Er enthielt sich indeß dieses Scherzes und beneidete das stolze Vertrauen, mit welchem dieser Elende sich so den Kopf vorgebeugt, den Körper ausgestreckt, in einem Beisammensein unter vier Augen, das im Falle eines Mißverständnisses Einem von Beiden hätte gefährlich werden können, zu seinen Füßen begab.



»Das ist das einzige Glück des Armen,« dachte Leonce wieder, »bei dergleichen Zusammentreffen hat er die Sicherheit voraus. Da sind wir nun unser zwei Männer, vielleicht von gleicher Kraft, und dennoch könnte der Eine unter dem Blick des Andern nicht trinken, ohne ein wenig hinter sich zu schauen, und der, welcher mit solcher Wollust seinen Durst gratis stillen kann, ist nicht der Reiche.«



Als der Vagabund genug getrunken hatte, richtete er sich wieder auf und sagte, indem er sich hinsetzte: »das Wasser ist zu lauwarm zum Trinken, es muß mehr erfrischen, wenn es durch die Poren dringt, als durch die Kehle läuft. Was meinen Euer Gnaden?«



»Hätten Sie wohl gar die Grille, ein Bad zu nehmen?« fragte Leonce, ungewiß, ob des Burschen Rede nicht eine versteckte Drohung sei.



»Allerdings, mein Herr, habe ich diese Grille,« antwortete der Andere, und er begann ganz ruhig, sich auszukleiden, was nicht viel Zeit erforderte, denn er war mit Toilette nicht überladen und hatte kaum ein Knopfloch an sich, das nicht zerrissen war.



»Können Sie wenigstens schwimmen?« fragte ihn Leonce. »Das ist ein breiter Teich, und auf der Seite, auf welcher wir uns befinden, steigt der Felsen senkrecht in eine wahrscheinlich bedeutende Tiefe.«



»O! mein Herr, verlassen Sie sich auf einen Exprofessor in der Schwimmkunst im Golfe Bajä,« antwortete der Fremde. Und behende den Fetzen, welcher ihm als Hemd diente, abstreifend, stürzte er sich mit dem Behagen eines zum Amphibiengeschlechte gehörigen Vogels in den See.



Leonce sah ihn mit Vergnügen untertauchen und auf einige Augenblicke verschwinden, dann an einem ferneren Punkte wieder auf die Oberfläche kommen, die schmale, weiße Fläche des kleinen Sees in einem Nu durcheilen, sich von den Wellen auf dem Rücken einhertragen lassen, dann wieder aufrecht stehen, als hätte er festen Fuß gefaßt und jubelnd Schaumwellen um sich heraufpeitschen. Alles mit einer natürlichen Anmuth und bewunderungswürdiger Kraft.



Er kam indeß bald wieder zum Fuße des Felsens zurück, und da der Uferrand hier wirklich sehr steil war, so bat er Leonce, ihm die Hand zu reichen, um ihm beim Emporklimmen behülflich zu sein. Der junge Mann gab sich bereitwillig dazu her, obwohl er dabei auf seiner Hut war, nicht hinterlistig hinabgezogen zu werden, und als er ihn dann auf dem sonnenerwärmten Steine sitzen sah, konnte er nicht umhin, die Kraft und Schönheit seines Körpers zu bewundern, dessen Weiße gegen das sonnverbrannte Gesicht und die Hände auffallend abstach.



»Dieß Wasser ist kälter, als ich dachte,« sagte der Schwimmer; »es ist nur auf der Oberfläche erwärmt, und erst, wenn ich mich zum zweiten Mal hineintauche, werde ich Vergnügen haben. Ueberdieß zeigt sich hier Gelegenheit, etwas Toilette zu machen.«



Und er zog aus seinem magern Bündel eine große Schale, die ihm als Tasse diente, aus welcher er jedoch verschmäht hatte zu trinken. Er füllte sie zu verschiedenen Malen mit Wasser und begoß sich Kopf und Bart damit, indem er mit außerordentlicher Sorgfalt und einer ungemeinen Wollust diesen reichen, schwarzen Pelz wusch und rieb, der, ganz träufelnd, ihn einem wilden Flußgotte ähnlich machte. Als dann die Sonne, senkrecht auf seinen Nacken und die Stirn fallend, ihm lästig zu werden begann, riß er Schilf- und Irisbüschel aus, die er zusammenrollte und woraus er sich einen Hut oder vielmehr einen Blumen- und Blätterkranz machte. Der Zufall oder ein gewisser natürlicher Geschmack wollte, daß dieser Kopfputz so kunstvoll angebracht ward, daß er die Idee, welche man sich, wenn man ihn betrachtete, von einem Neptun des Alterthums machen konnte, vervollkommete.



Er sprang ein zweites Mal in den See, erreichte das gegenüberliegende Ufer und den Abhang, welcher auf dieser Seite weniger steil und mit Vegetation bedeckt war, hinanlaufend, pflückte er die prachtvollen Blumen der weißen

nymphaea

, womit er seinen Kranz schmückte. Und als hätte er die wirkliche Bewunderung, die er Leonce verursachte, errathen, machte er sich endlich eine Kleidung von Schilf und den Blättern der Wasserpflanzen um den Gürtel, und frei, stolz und schön, wie der erste Mensch, streckte er