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Teverino

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II
Begegne, was da wolle!

»Herr Pfarrer,« sagte Leonce, »es thut mir zu leid, Sie stören zu müssen. Ich weiß, daß wann der Priester im Lesen seines Breviers unterbrochen wird, er wieder von vorn anfangen muß, und wäre er auf der zweitletzten Seite. Ich sehe indeß mit Vergnügen, daß Sie bloß auf der zweitersten sind, und der Grund, welcher mich zu Ihnen führt, ist so dringend, daß ich mich Ihrer Barmherzigkeit empfehle, um meine Unbescheidenheit zu entschuldigen.«

Der Pfarrer stieß einen Seufzer aus, schloß sein Brevier, nahm die Brille ab und seine großen blauen, keineswegs geistlosen Augen zu Leonce aufschlagend, sagte er:

»Mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?’

»Mit einem jungen, aufrichtigen Manne, der Ihnen einen sehr zarten Fall vortragen muß,« antwortete ernst Leonce. »Diesen Morgen überredete ich in höchster Unschuld eine junge Dame, die Sie in dem offenen Wagen da unten bemerken werden, mit mir eine Spazierfahrt in Ihrem hübschen Gebirge zu machen. Wir Beide sind mit den Sitten des Landes unbekannt; unsere Gefühle für einander sind die einer geschwisterlichen Freundschaft; die Dame verdient alle Achtung und Ehrerbietung; allein unterwegs stiegen ihr Bedenken auf, denen ich mich unterziehen mußte. Sie sagt, die Bewohner der Gegend könnten sich über sie aufhalten, wenn man sie so allein mit einem jungen Manne umherziehen sähe, und die Furcht, Skandal zu erregen, beherrscht nun ihr Gemüth so lebhaft, daß ich den glücklichen Zufall, der Sie uns entgegenführt, als eine Fügung des Himmels betrachte. Ich habe mich daher entschlossen, Sie für eine oder zwei Stunden um die Vergünstigung Ihrer Gesellschaft bei unserer Spazierfahrt zu bitten, oder daß Sie die Dame wenigstens mit mir nach Ihrer Wohnung zurückbegleiten möchten. Sie sind schon so gut, daß Sie eine liebenswürdige Person nicht einer wahrhaft erbaulichen Vergnügungspartie berauben wollen, da es sich für uns hauptsächlich darum handelt, den Ewigen in der Betrachtung seines Werkes, der schönen Natur, zu preisen.«

»Aber, mein Herr,« sagte der Pfarrer, welcher etwas Mißtrauen zeigte und den Wagen aufmerksam betrachtete, »Sie sind nicht allein, Sie haben ja noch zwei andere Personen bei Ihnen.«

»Es ist unsere Bedienung, die mitzunehmen ein instinktartiges Gefühl von Schicklichkeit uns veranlaßt hat.«

»Nun, dann sehe ich auch nicht, was Sie von bösen Zungen fürchten können. Man thut vor seinen Dienern nichts Böses.«

»Die Anwesenheit der Bedienten zählt im Sinne der Weltleute für Nichts.«

»Das zeigt allzu große Verachtung für Leute, die unsere Brüder sind.«

»Sie sprechen würdig, Herr Pfarrer, und ich bin Ihrer Meinung. Sie werden indeß zugeben, daß wie diese den Wagensitz einnehmen, man vermuthen könnte, ich schwatze zärtliche Dinge an die Dame hin und nehme ihr bisweilen die Hand, um sie verstohlen zu küssen.«

Der Pfarrer machte eine Bewegung des Schreckens, es geschah indeß nur der Form wegen, sein Gesicht verieth keine Bewegung. Er war über das Alter hinaus, wo glühende Gedanken den Priester quälen. Oder möglich wäre auch, daß er sich nicht immer dermaßen der Enthaltsamkeit beflissen, um das Leben zu hassen und das Glück zu verdammen. Leonce ergötzte sich, zu sehen, wie seine angeblichen Bedenken diesem Manne kindisch erschienen.

»Wenn’s nur das ist,« entgegnete das gute Männchen, »so können Sie ja die Schwarze zwischen Sie Beide, in den Wagen setzen. Ihre Gegenwart wird den Dämon der Verleumdung in die Flucht jagen.«

»Das ist nicht der Brauch,« sagte der junge Mann, über die gescheidte Ausflucht des alten Priesters verlegen. »Das erschiene als Ziererei.›Die Gefahr ist also sehr groß!‹ würden Boshafte denken,›weil sie genöthigt sind, eine garstige Negerin zwischen sich zu setzen.‹ Die Anwesenheit eines Priesters dagegen heiligt Alles. Ein würdiger Pfarrer, wie Sie, ist der natürliche Freund aller Gläubigen, und Jedermann muß begreifen, daß man dessen Gesellschaft sucht.«

»Sie sind sehr liebenswürdig, mein werther Herr, und mit Freuden wollte ich Ihnen gefällig sein,« antwortete der Pfarrer, nach und nach geschmeichelt und verführt; »allein ich habe meine Messe noch nicht gelesen und eben läutet das erste Zeichen. Geben Sie mir zwanzig Minuten Zeit . . . oder besser noch, hören Sie die Messe an. Es ist während der Woche nicht obligatorisch, doch kann es Nichts schaden; Sie gestatten mir hernach, zu frühstücken, und dann machen wir eine Spazierfahrt miteinander, wenn’s Sie’s wünschen.«

»Wir werden die Messe anhören,« antwortete Leonce, »doch gleich nachher nehmen wir Sie zu einem Frühstück auf dem Lande mit.«’

»Da werden sie sehr schlecht frühstücken,« bemerkte lebhaft der Pfarrer, welchem diese Idee ernstlicher als alles Vorangegangene erschien, »man findet nichts Rechtes in diesem eben so armen als malerischen Lande.«

»Wir haben trefflichen Wein und ziemlich ausgesuchte Lebensmittel im Kutschentroge,« entgegnete Leonce. »Wir hatten mit mehreren Personen ein Mahl im Freien verabredet und Jedes der Gesellschaft sollte Etwas dazu beitragen. Da aber mit Ausnahme meiner Niemand Wort gehalten hat, so bin ich nun für die kleine Zahl von Gästen, die wir sind, ziemlich gut versehen.«

»Das ist was Anderes,« sagte der Pfarrer, nun völlig entschlossen. »Ich sehe, daß Sie eine hübsche Partie im Gange hatten und sie ohne mich durch die Verlegenheit dieses gefährlichen Beisammenseins unter vier Augen gestört würde. Ich will sie Ihnen nicht verderben, ich gehe mit, vorausgesetzt, daß es nicht zu fern sei, denn an Geschäften mangelt es hier nicht. Dem Einen gefällt es, zu werden, dem Andern zu sterben, und das fängt alle Tage wieder von vorn an. Gehen Sie, benachrichtigen Sie Ihre Dame, ich eile in meine Kirche.«

»Wohlan denn,« sagte Sabina, welche Leonce’s Rückkehr erwartend, aus der Kutschentasche ein Buch hervorgelangt hatte und im Wilhelm Meister blätterte. »Ich glaubte, Sie hätten mich vergessen und tröstete mich mit dieser bewunderungswürdigen Erzählung darüber.«

»Ich hatte es für Sie mitgebracht,« sagte Leonce, ich wußte, daß sie dasselbe noch nicht kennen und es die Lectüre ist, deren Sie in diesem Augenblicke bedürfen.«

»Das sind ja allerliebste Aufmerksamkeiten; doch was beginnen wir jetzt?«

»Wir gehen in die Messe.«

»Seltsamer Einfall!«

»Gedenken Sie mich zu ergötzen, indem Sie mich anhalten, mein Seelenheil zu fördern?«

»Es ist Ihnen untersagt, meine Gedanken zu erforschen und meine Absichten errathen zu wollen. Vom Augenblicke an, wo Ihr Unbekanntes nicht mehr in meinem Gehirn allein lebt, werden Sie mich Nichts von Allem, was ich unternommen, zu Ende führen lassen.«

»Das ist wahr. Gehen wir daher in die Messe; aber was wollten Sie nur mit diesen! Pfarrer anfangen?«

»Ei, ei, immer fragen, wenn Sie wissen, daß das Orakel stumm sein muß.«

»Ihre Wunderlichkeiten beginnen mich zu interessiren. Ist es mir nicht erlaubt, zu suchen, daß ich verstehe?«

»Warum nicht! ich lauft nicht Gefahr, errathen zu werden.«

Die Wurst fuhr durch den Weiler und hielt vor der ländlichen Kirche an. Sie war gewöhnlich in den Wochenmessen beinahe leer; allein sobald die beiden edlen Reisenden eingetreten waren, füllte sie sich mit neugierigen Weibern und Kindern. Die Mehrzahl davon kehrte indeß bald wieder unter die Vorhalle zurück, um die Pferde zu bewundern, den Wagen zu berühren und besonders die Negerin zu betrachten, die ihnen ein mit Spott und Schreck vermischtes Staunen verursachte.

Der Sakristan wies Sabina und Leonce die Ehrenbank an. Die Bergluft ist so scharf, daß der Pfarrer schon Hunger hatte und seine Messe nicht in die Länge zog.

Lady G*** hatte aus andern alten Erbauungsscharteken, die zerstreut auf dem Betstuhle umherlagen, mit den Fingerspitzen ein ehrwürdiges Meßbuch hervorgelangt. Sie schien sehr andächtig; allein Leonce bemerkte bald, daß sie immer Wilhelm Meister unter ihrem Shawl hielt, daß sie diesen nach und nach auf das vor ihr geöffnete Meßbuch schob und ihn endlich während des confiteor aufmerksam las.

Er kniete nun auf das Fußbänkchen zu ihr hin und sagte leise:

»Ich wette, daß dieser einfältige Pfarrer und die guten Leute da, welche Sie anschauen, von Ihrer Frömmigkeit erbaut sind, Sabina! Ich aber sage mir, daß Sie nur die Außenseite einer Religion achten, an welche Sie nicht mehr glauben.«

Sie antwortete ihm blos durch Hinweisung auf das Wort Pedant, welches sich in Betreff einer der Personen der umherziehenden Truppe im Wilhelm Meister an mehreren, Stellen vorfindet.

»Sie wissen wohl, daß ich keine Betschwester bin,« sagte sie nach der Messe zu ihm, während sie mit einander durch das mit kleinen Kapellen umgebene Schiff der Kirche schritten, »ich habe die Religion meiner Zeit.«

»Das heißt, Sie haben keine Religion?«

»Ich glaube im Gegentheil, es sei kein Zeitalter religiöser gewesen, in dem Sinne nämlich, daß die großen Geister gegen die Vergangenheit ankämpfen und nach der Zukunft streben. Allein die Gegenwart kann in keinem Tempel Schutz suchen. Warum führten Sie mich in diesen hier?«

»Gehen Sie nicht sonntäglich in die Messe?«

»Es ist dies Sache des Anstandes und um nicht die Rolle des Freigeistes zu spielen. Der Sonntag hat religiöse Verpflichtungen und demzufolge einen Weltbrauch aufgestellt.«

»Ach! Sie sind Heuchlerin.«

»In der Religion? Nicht doch. Ich verberge Niemanden, daß ich einer Gewohnheit gehorche.«

»Sie haben sich aus dieser profanen Welt einen Gott geschaffen, und finden es leicht, diesem zu dienen.«

»Leonce, sollten Sie ein Betbruder sein?« sagte sie, ihn anschauend.

»Ich bin Künstler,« antwortete er; »ich fühle überall die Gegenwart Gottes, selbst vor diesen rohen Bildern des Mittelalters, die den Ort, in welchem wir uns befinden, irgend einem barbarischen Götzentempel ähnlich machen.«

»Sie sind gottloser, als ich; diese schrecklichen Fetische, diese cynischen Votivtafeln machen mir Furcht.«

 

»Ich sehe, die Vergangenheit ist Ihnen ein Schrecken; sie verderbt Ihnen die Gegenwart. Daß Sie doch die Zukunft nicht verstehen können! Sie lebten im Ideal.«

»Da, Künstler, schauen Sie hin!« sagte Sabina, seine Aufmerksamkeit auf eine im schaurigen Hintergrund einer Todtenkapelle auf dem Pflaster knieende Figur lenkend.

Es war ein junges Mädchen, beinahe noch ein Kind, ärmlich; obwohl reinlich gekleidet. Sie war nicht hübsch, allein ihr Gesicht hatte einen ergreifenden Ausdruck und ihre Haltung einen seltsamen Adel. Ein in das feuchte Gewölbe, worin sie betete, verirrter Sonnenstral fiel auf ihren rosigen Nacken und eine prächtige Flechte hellblonder, fast weißlicher Haare, die festanliegend um ein kleines, von rothem, mit verblichenem Golde gestickten Sammt und nach Landessitte mit schwarzen Spitzen verziertes Häubchen geschlungen waren. Sie war trotz des matten Tons ihrer Haare von blühender Gesichtsfarbe. Das helle Blau ihrer Augen erschien unter ihren mattgoldenen, in’s Silber spielenden Wimpern noch glänzender. Ihr allzu kurzes Profil hatte Linien von außerordentlicher Feinheit und Energie.

»Ei, ei, Leonce, vergessen Sie sich nicht allzusehr in dieser Beschauung,« sagte Sabina zu ihrem Begleiter, welcher wie versteinert vor dem Landmädchen stand, »nur mit mir allein müssen Sie heute beschäftigt sein; wenn Sie zerstreut werden, so bin ich verloren, so langweile ich mich.«

»Ich denke nur an Sie, während ich diese anschaue. Schauen Sie sie auch an. Sie müssen das verstehen.«

»Das? Das ist der blinde und dumme Glaube, es ist die noch lebende Vergangenheit, es ist das Volk. Das ist merkwürdig für den Künstler, ich aber bin Poet und bedarf mehr, als des Seltsamen, ich bedarf des Schönen . . . Diese Kleine ist häßlich.«

»Sie verstehen eben Nichts davon. Sie ist in Bezug auf den seltenen Typus, welchem sie angehört, schön.«

»Albions Typus.«

»Nein! Es ist Rubens Farbe mit dem strengen Ausdruck der niederländischen Jungfrauen. Und die Haltung?«

»Ist steif wie die Zeichnung der ältern Meister. Sie lieben das?«

»Es liegt Anmuth darin, weil es naiv und überraschend ist. Die Magdalena von Canova ruht, die Jungfrauen der Renaissance wissen, daß sie schön sind; die ältern Modelle sind ganz von einem Wurf, ganz von einem Stücke, man könnte sagen, ganz von einem Ursprung, wie der Gedanke, der sie erblühen ließ.«

»Und der sie versteinerte . . . Sehen Sie, sie hat ihr Gebet beendigt; reden Sie mit ihr, Sie werden sehen, daß sie ungeachtet des Ausdrucks ihrer Züge dumm ist.«

»Mein Kind,« sagte Leonce zu dem jungen Mädchen, »Sie scheinen sehr fromm. Wird dieser Kapelle eine besondere Verehrung geweiht?«

»Nein, mein Herr,« antwortete das junge Mädchen mit einer Verneigung; »wenn ich beten will, so verberge ich mich nur hier, damit mich der Herr Pfarrer nicht sieht.«

»Und warum fürchtet Ihr die Blicke des Herrn Pfarrers?« fragte Lady G ***.

»Ich fürchte, er möchte mich fortjagen,« entgegnete die Bergbewohnerin, »unter dem Vormunde, ich hätte eine Todsünde auf mir, duldet er nicht, daß ich die Kirche mehr betrete.«

Sie gab diese Antwort mit solcher Festigkeit und einem so ungekünstelten und so entschlossenen Wesen zugleich, daß Sabina sich des Lachens nicht enthalten konnte.

»Ist das wahr?« fragte sie das Mädchen.

»Ich glaube, der Herr Pfarrer irre sich,« antwortete das Landkind, »und Gott sehe klarer in mein Herz.«

Hierauf machte sie eine zweite Verneigung und entfernte sich schleunig, denn der Pfarrer, welcher unterdeß sein Priestergewand abgelegt hatte, erschien im Hintergründe des Schiffes.

Von unsern beiden Reisenden um Aufschluß gebeten, warf der Pfarrer einen Blick auf die entfliehende Sünderin, zuckte die Achseln und sagte in zornigem Tone:

»Kümmern Sie sich nicht um diese Landstreicherin, sie ist eine verlorene Seele.«

»Das ist höchst seltsam,« sagte Sabina, »ihr Gesicht drückt nichts dergleichen aus.«

»Jetzt,« sagte der Pfarrer, »stehe ich Ihrer Gnaden zu Befehl.«

Man bestieg den Wagen wieder und nach einigen Worten allgemeiner Unterhaltung bat der Pfarrer um Erlaubniß, sein Brevier zu lesen, und bald war er so ganz in diese Andacht versunken, daß Leonce und Sabina sich neuerdings wie unter vier Augen befanden. Aus Rücksicht für den guten Mann, der das Englische nicht zu verstehen schien, schwatzten sie in dieser Sprache, um ihm keine Zerstreuung zu verursachen.

»Dieser unduldsame Priester, Sklave seiner Paternoster, verspricht uns nicht großes Vergnügen,« sagte Sabina. »Ich glaube, Sie haben ihn angeworben, um mich zu strafen, daß ich wegen des Zusammentreffens mit der Marquise etwas verdrießlich war.«

»Ich habe vielleicht einen ernstern Beweggrund gehabt,« antwortete Leonce. »Errathen Sie ihn nicht?«

»Durchaus nicht.«

»Ich will Ihnen denselben sagen, allein unter der Bedingung, daß sie ihn ganz ernsthaft anhören.«

»Sie beunruhigen mich!«

»Das ist schon Etwas. Wissen Sie denn, daß ich diesen Dritten zwischen uns gesetzt habe, um mich selbst zu bewahren.«

»Und vor Was, wenn’s gefällig ist?«

»Vor der Gefahr, welche in jeder Unterhaltung junger Leute über die Liebe verborgen liegt.«

»Reden Sie für sich, Leonce; ich habe diese Gefahr nicht bemerkt. Sie hatten mir versprochen, die Langeweile von mir fern zu halten; ich zählte auf Ihr Wort; ich war ruhig.«

»Sie spotten? So leicht dürfen Sie’s nicht aufnehmen. Sie hatten mir mehr Ernst versprochen.«

»Gehn Sie, ich bin sehr ernst, ernst wie dieser Pfaffe. Was wollten Sie sagen?«

»Daß allein mit Ihnen ich mich hätte aufgeregt fühlen und jene Ruhe verlieren können, von welcher heute meine Macht über Sie abhängt. Ich verrichte hier das Amt des Magnetiseurs, um Ihre gewöhnliche Reizbarkeit einzuschläfern. Nun aber wissen Sie, daß die erste Bedingung magnetischer Macht ein absolutes Phlegma, eine Anstrengung des Willens zu der Idee unkörperlicher Herrschaft ist; sie ist die Abwesenheit jeder dem Phänomen des geheimnißvollen Einflusses fremden Regung. Ich konnte mich stören lassen und zuletzt von Ihrem Blicke, von dem Ton Ihrer Stimme, mit Einem Worte, von Ihrem magnetischen Fluidum beherrscht werden, und dann wären die Rollen umgekehrt gewesen.«

»Ist das eine Erklärung, Leonce?« sagte Sabina mit ironischer Hoheit.

»Nein, Madame, es ist ganz das Gegentheil,« antwortete er ruhig.

»Eine Impertinenz vielleicht?«

»Keineswegs. Ich bin seit langem Ihr Freund und ein ernstlicher Freund, Sie wissen es wohl, obgleich Sie ein seltsames und zuweilen ungerechtes Weib sind. Wir haben uns als Kinder gekannt; unsre Zuneigung war stets eine herzliche und sanfte. Sie haben dieselbe mit Freimüthigkeit, ich mit Hingebung gepflegt. Wenige Menschen sind mir so befreundet, wie Sie, und ich suche die Gesellschaft Keines von ihnen mit mehr Lust, als die Ihrige. Dennoch verursachen Sie mir bisweilen eine Art unbeschreiblichen Schmerzes. Es ist nicht der Augenblick dazu, nach der Ursache desselben zu forschen; es ist ein inneres Problem, welches zu lösen ich noch nie gesucht habe. So viel ist jedoch gewiß, daß ich nicht in Sie verliebt bin und es nie war. Ohne in Erklärungen einzutreten, die vielleicht nach dieser Darlegung etwas zu freimüthig wären, denke ich, Sie werden verstehen, warum ich neben einer so schönen Frau, wie Sie, aufgeregt werden darf und warum das friedliche, runde und fette Gesicht da mir nothwendig war, mich zu verhindern, daß, ich Sie nicht allzuviel anschaute.«

»Das ist hinlänglich, Leonce,« antwortete Sabina, welche, um den Kopf senken und die auf ihren Wangen brennende Röthe verbergen zu können, that, als ordne sie ihre Manschetten. »Das ist sogar zu viel. Es liegt etwas Verletzendes für mich in Ihren Gedanken.«

»Ich wette, Sie können mir das nicht beweisen.«

»Ich werde es nicht versuchen. Ihr Gewissen muß es Ihnen sagen.«

»Durchaus nicht. Ich kann Ihnen keinen größern Beweis meiner Achtung geben, als indem ich die Liebe aus meinen Gedanken verscheuche.«

»Die Liebe! Die ist Ihrem Herzen fern! Was Sie fürchten zu müssen glauben, schmeichelt mir wenig; ich bin keine alte Kokette, um stolz darauf zu sein.«

»Und dennoch, wenn das die Liebe wäre, die Liebe des Herzens, wie Sie es verstehen, so wären Sie noch erzürnter darüber.«

»Betrübt vielleicht, weil ich sie nicht erwiedern könnte, aber weit weniger erzürnt, als ich es durch Ihr unbeschreibliches Leiden bin.«

»Sein Sie offenherzig, meine Freundin; Sie wären nicht einmal betrübt; Sie würden lachen, und das wäre Alles.«

»Sie beschuldigen mich der Koketterie? Dazu haben Sie das Recht nicht; was wissen Sie davon, weil Sie mich nie geliebt haben und Sie mich nie Jemand lieben sahen?«

»Hören Sie, Sabina, gewiß ist, daß ich nie gesucht habe, Ihnen zu gefallen. So viele Andere sind ja gescheitert! Weiß ich nur, ob es schon irgend Jemand gelungen ist, von Ihnen geliebt zu werden. Und dennoch haben Sie mir einst gesagt, an einem Tage, wo Sie mittheilend und traurig waren; allein ich weiß nicht, ob Sie sich nicht nur in der Aufregung gerühmt haben. Hätte ich Sie sehen lassen, daß ich im Stande bin, glühend zu lieben, so würden Sie vielleicht erkannt haben, daß ich Besseres verdiente, als Ihre Freundschaft. Aber um Sie dieses begreifen zu lassen, hätte ich Sie entweder auf eine Weise lieben sollen, die ich jetzt läugne, oder mich verstellen und in meinen eigenen Behauptungen berauschen müssen. Das wäre meiner edeln Anhänglichkeit für Sie unwürdig gewesen, und zu solcher List bin ich nicht herabgestiegen, oder ich hätte Ihnen wohl gar die Geheimnisse meines Lebens erzählen, Ihnen meinen wahren Charakter schildern, mit Einem Worte mich rühmen müssen. Pfui! und nicht verstanden, verhöhnt werden! . . . Gerechte Strafe der kindischen Eitelkeit! Fern sei solche Schmach von mir!«

»Ueber was rechtfertigen Sie sich denn, Leonce? Beklage ich mich, nur Ihre Freundschaft zu besitzen? Habe ich je etwas Anderes verlangt?«

»Nein; aber weil ich mich so ängstlich beobachte, könnten Sie, wenn Sie mich nicht erriethen, daraus schließen, ich sei ein unvernünftiger Mensch.«

»Wozu sich so sehr beobachten, wo Nichts zu fürchten ist? Die Liebe kommt von selbst. Sie überrascht und überfällt, sie klügelt nicht, sie hat nicht nöthig zu fragen, noch sich mit Vermuthungen, mit Angriffs- und Rückzugsplänen zu umgeben: sie verräth sich und dann imponirt sie.«

»Das ist eine gute Lektion,« dachte Leonce, »und sie selbst gibt sie mir.« Er fühlte das Bedürfniß, seinen Aerger zu unterdrücken und Lady G ***s Hand ergreifend, die er mit liebevollem und ruhigem Wesen drückte, sagte er:

»Sie sehen also wohl, theure Sabina, daß zwischen uns keine Liebe bestehen kann, wir haben Nichts im Herzen, das für das Eine oder das Andere neu und geheimnißvoll wäre; wir kennen uns zu gut, wir sind gleichsam Geschwister.«

»Das ist Lüge und Lästerung,« antwortete die stolze Lady G***, ihm ihre Hand entziehend. »Geschwister kennen sich nie, weil die lebendigsten und tiefsten Punkte ihrer Seelen nie in Berührung kommen. Sagen Sie nicht, daß wir uns zu gut kennen, Sie und ich; ich behaupte im Gegentheil, durchaus nicht von Ihnen gekannt zu sein und es nie zu werden. Darum habe ich, statt böse zu werden, bei all dem Harten, was Sie mir seit diesem Morgen sagten, gelächelt. Sehn Sie, lieber will ich Sie auch nicht weiter kennen. Wenn Sie Ihr magnetisches Fluidum behalten wollen, so lassen Sie mich glauben, daß Ihr Herz Schätze von Leidenschaft und Zärtlichkeit birgt, wovon unsre friedliche Freundschaft nur der Schatten ist.«

»Und wenn Sie das glaubten, würden Sie mich lieben, Sabina! Es ist somit gewiß, daß Sie es nicht glauben.«

»Ich kann Ihnen das Nämliche sagen. Folgt wohl daraus, daß wenn wir nur Freunde sind, es daher kommt, weil wir keine große Meinung von einander hegen?«

»Sie wird empfindlich,« dachte Leonce, »und nun stehn wir auf dem Punkte, uns entweder zu hassen oder zu lieben.«

»Ich meine,« sagte der Pfarrer, sein Brevier zumachend, »wir wären nun weit genug und könnten, wenns den hohen Herrschaften beliebt, Etwas unter die Zähne legen.«

»Um so mehr,« sagte Leonce, »als nur zwei Schritte von hier sich über uns eine schattige Felsplatte zeigt, von wo aus man eine bewunderungswürdige Aussicht haben muß.«

»Was, da oben?« rief der Pfarrer, welcher ziemlich wohlbeleibt war; »Sie wollen, den grünen Felsen erklimmen? Wir wären in diesem Tannenwäldchen da am Wege weit behaglicher.«

»Aber wir hätten keine Aussicht!« sagte Lady G***, mit schäckerndem Wesen ihren Arm in den des allen Priesters legend; »und kann man den Anblick der Berge entbehren?«

»Ganz wohl, wenn man ißt,« antwortete der Pfarrer, der sich indeß mitschleppen ließ.

 

Der Jockey führte seinen Wagen in den Schatten des Wäldchens, und bald boten sich zahlreiche Diener, um ihm bei Verscheuchung der Mücken und dem Füttern der Pferde behülflich zu sein. Es waren die kleinen, auf allen Punkten des Berges zerstreuten Hirten, welche sich wie ein Schwarm neugieriger und heißhungriger Vögel im Nu um unsere Spaziergänger versammelten. Der Eine nahm die Kissen des Charabancs, um den Gästen einen bequemen Sitz auf dem Felsen zu bereiten, der Andere übernahm die Hinaufschaffung der Wildpretpasteten, ein Dritter die der Weine, Jeder wollte Etwas tragen oder zerbrechen.

Das ländliche Frühstück war bald auf dem grünen Felsen aufgetragen, und als der Pfarrer sah, daß es glänzend und schmackhaft ausfiel, wischte er sich den Schweiß von der Stirn und ließ seiner keuchenden Brust einen jubelnden Seufzer entfliehen. Man gab den zerlumpten Pagen so wie den Dienern ihren Antheil, denn es war genug vorhanden, um Alle befriedigen zu können, Leonce hatte seine Sache nicht nur halb gemacht; es war, als ob er vorausgesehen hätte, mit welch einem priesterlichen Magen er zu schaffen haben würde.

Sabina ward wieder sehr heiter und gestand, daß sie seit langer Zeit zum erstenmal tüchtigen Appetit habe. Nachdem Leonce Jedermann bedient hatte, fing auch er an zu essen, als plötzlich die in einiger Entfernung beisammensitzenden Kinder rührig wurden, umherhüpften und mit starken Armbewegungen, als wollten sie Jemand aus dem Hohlweg heraufrufen, schrieen:

»Das Vogelmädchen! Das Vogelmädchen!«