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Teverino

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Sabina hatte mit Energie gesprochen; ihre Wangen bedeckte Todesblässe, aus welcher die auf den feinen Backenknochen brennende Röthe um so greller abstach. Sie hatte wirklich Fieber und die Morgenluft, welche mit ihren prachtvollen Haaren spielte, versetzte sie in einen ungewöhnlichen Zustand von Unordnung und heftiger Aufregung. Leonce fand sie schöner als je, er ergriff ihre Hand, und da er wirklich fühlte, daß sie in eisigem Schauer bebte, zog er sie an seine Lippen, um sie wieder zu beleben. Ein Thränenstrom brach aus Sabina’s Brust, und indem sie sich auf die Schulter ihres Freundes neigte, ward sie von seinen Armen empfangen, die sie leidenschaftlich umschlossen.

Leonce schwieg; es war ihm unmöglich, ein Wort zu sprechen. Die Vorurtheile seines Stolzes kämpften gegen den Zug seines Herzens an. Hätte es sich wirklich nur um die Verzeihung der Freundschaft gehandelt, so wäre ihm Nichts leichter gewesen, als zärtliche Tröstungen an sie zu verschwenden. Allein Leonce war verliebt, wahnsinnig verliebt vielleicht, und schon allzulange, als daß die Pflichten der Freundschaft seinem Geiste hätten vorschweben können. Er war im Kampfe mit einer weit anspruchsvollern und eifersüchtigern Leidenschaft und litt wahre Marter bei dem Gedanken, daß zwei Schritte von ihm sich ein Mann befinde, dem es in einem Augenblicke gelungen sei, dieses für ihn seit Jahren verschlossene Herz zu überwältigen. Trotz dieses innern Kampfes war Leonce, ohne es sich zu gestehen, besiegt, denn er war von großmüthiger Natur, und zudem empfand er jenes edelste aller Gefühle, wo es uns gelingt, das göttliche Wesen von dem Mackel des Egoismus und der Eitelkeit zu befreien.

»Fragen Sie mich nicht,« sagte er zu Sabina, »denn auch ich leide . . . aber bleiben Sie so an meinem Herzen und suchen wir Beide zu vergessen!«

Er umschlang sie fester mit seinen Armen und sie empfand bald die Wonne jenes magnetischen Fluidums, welches einem Freundesherz entströmen kann und beredter ist, als alle Worte. Beide athmeten freier und als Sabina’s Augen sich schlossen, um diese reine Trunkenheit zu kosten, sagte er, sie näher an sich ziehend:

»Schlafen Sie, theure Kranke, ruhen Sie von Ihren Aufregungen aus.«

Instinktmäßig überließ sie sich dieser Einladung und bald stärkte ein wohlthätiger, von dem langsamen Gang der Kutsche sanft gewiegter und von der zarten Sorge ihres Freundes beschützter Schlaf ihre Kräfte und führte auf ihre Wangen das blasse, einförmige Colorit zurück, welches Brünetten eigen ist.

XII
Halt!

Sabina erwachte erst auf der Zollstätte wieder, allein bevor sie noch daran gedacht hatte, sich der langen und stummen Umspannung Leoncens zu entziehen, hatte Teverinos scharfer Blick das keusche Geheimniß dieser Wiederversöhnung schon errathen. Leonce bemerkte sein freundschaftliches Lächeln, und da er dasselbe nur mit Zurückhaltung zu beantworten suchte, sang der Zigeuner, auf den Himmel deutend und das Recitativ aus Tancred wieder aufnehmend, welches er Abends zuvor an dergleichen Stelle angestimmt hatte, das einzige Wort, wo Rossini in drei Noten so viel Schmerz und Zärtlichkeit zu vereinigen gewußt hat: Aménaide!«

Teverino legte einen so tiefen und so wahren Accent hinein, daß Leonce, als er aus der Kutsche stieg, um mit dem Zollbeamten zu sprechen, zu ihm sagte:

»Man braucht Dich nur diesen Namen auf solche Weise aussprechen und diese drei Noten singen zu hören, um zu erkennen, daß Du ein großer Sänger bist und die Musik meisterhaft verstehst.«

»Ich verstehe die Liebe noch besser, als die Musik,« antwortete Teverino, »und ich sehe mit Vergnügen, daß Du anfängst, dasselbe zu thun. Glaube mir, wenn die Liebe zu Deinem Herzen spricht, so erhebe Dein Herz zu Gott, welcher ganz Sanftmuth und ganz Güte ist. Alsdann wirst Du fühlen, daß dieses unruhige und verwundete Herz ruhig und unschuldig wird, wie das eines Kindes.«

»Sie wollen uns also wieder fahren?« sagte der Pfarrer, als er Teverino den Kutschersitz besteigen sah. »Werden Sie wenigstens vernünftiger sein, als gestern?«

»Sind Sie denn unzufrieden mit mir, theurer Abbé? Ist Ihnen der geringste Unfall zugestoßen? Wollen Sie sich übrigens nicht neben mich setzen, um mein Feuer zu mäßigen, wenn ich davon hingerissen werden will?«

»Gehn Sie! Sie machen aus mir, was Sie wollen, und wenn Barbel sähe, wie Sie mich an der Nase herumführen, so würde sie eifersüchtig werden und ihr Monopol ansprechen. Thatsache ist es allerdings, daß ich anfange, mich an Ihre Narrheiten zu gewöhnen, und ich kann nicht sagen, daß Sie nicht ein liebenswürdiger Gesellschafter sind. Vorwärts, darauf losgepeitscht, Kutscher! wenn wir heute nur nach St. Apollinaire zurückkommen und nicht über jenen verwünschten Strom gehen, welcher jeden Augenblick die Brücke mit Allem, was darüber geht, wegschwemmen zu wollen scheint!«

»Wenn wir den Strom abschneiden wollen, so machen wir einen großen Umweg, lieber Abbé, was aber mich betrifft, so ist mir’s schon recht!«

»Schlage lieber den allerlängsten Weg ein!« sagte der Pfarrer, welcher seinen großen Hut auf rebellische Weise tief in das Gesicht gedrückt hatte. Chi va piano, va sano12; eine Stunde mehr oder weniger auf der Reise thut Nichts zur Sache: chi va sano, va bene.13«

Man schlug einen andern Weg ein, und Sabina fragte Leonce, ob man auch wirklich nach der Villa zurückkehre.

»Ich hoffe es,« antwortete er, »und doch weiß ich es nicht bestimmt. Ich muß gestehen, daß meine ganze magnetische Kraft mich verlassen hat, seit sie in den Marquis übergegangen ist, und daß er allein von jetzt an unser Wegweiser ist.«

»Dann tret’ ich in offene Empörung; Sie allein sollen mein Führer sein.«

»Ich versteh, Signora,« fiel Teverino ein, »nehmen Sie an, ich sei nur das Steuerruder und gehorche Leonce’s Hand. Der Herr Pfarrer ist unser Wegweiser, unser Kompaß, sein Blick ist immer nach dem Nordpol gerichtet, und der Stern ist Dame Barbel, seine ehrenwerthe Haushälterin.«

»Gut gesagt, gut gesagt!« rief der Pfarrer herzlich lachend.

Es war ein langer, aber schöner Weg. Teverino fuhr vernünftig und bei jeder bemerkenswerthen Stelle hielt er an, um sie von seinen Gefährten bewundern zu lassen. Sein heiteres und gütiges Wesen und sein ehrerbietiges Benehmen gegen Sabina beruhigten diese nach und nach. Es schien, als sei er eifrig beflissen, ihr den Augenblick von Schwäche in Vergessenheit zu bringen. Sie wußte ihm Dank dafür, hatte aber nur für Leonce zärtliche Blicke und liebevolle Worte.

Als jedoch die Hitze fühlbar zu werden begann, schlief sie wieder ein, während Leonce ihr mit beharrlicher Sorgfalt den Sonnenschirm vorhielt. Als sie dann aufwachte, sah sie sich zu ihrem Erstaunen in einem gothisch gebauten Kloster.

Die Kutsche hielt in einem großen Hofe auf üppigem Rasen neben einem sprudelnden Brunnen. Alte Bauwerke von seltsamer Eleganz umschlossen diesen äußern Theil des Klosters. Zwischen den spitzbogigen Säulenhallen hindurch zeigte sich dem Blick auf einer Seite die ausgedehnte Perspektive eines reizenden Thales, auf der andern sah man weit über den zackigen Verzierungen der Architektur die kahlen und drohenden Gebirgskegel sich erheben. Auf der Vorderseite schloß ein großes Gitter den zweiten Eingang des Klosters und ließ ringsum einen blumenbepflanzten Hofraum neuere, besser unterhaltene und mit Verzierungen im. Geschmack des XVI. Jahrhunderts ausgeschmückte Gebäude wahrnehmen. Das Gesicht an dieses Gitter gedrückt, zog der Pfarrer mit kräftiger Hand die helltönende Glocke und im Halbdunkel einer zweiten gewölbten Thüre, welche in einen dritten Einfang führte, erschienen mehrere Mönchsgestalten, die auf den Lärm herbeieilten.

»Nicht wahr, Mylady,« sagte Teverino, »Sie zürnen mir nicht, Sie zu diesen guten Vätern geführt zu haben? Es ist dieß das Kloster Notre-Dame-du-Refüge, und unser lieber Abbé meint, etwas Ruhe und Erfrischung würden diesen poetischen Halt verschönern. Wir wollen den Prior um die Erlaubniß bitten lassen, Sie in dieses Heiligthum einzuführen, und um das zu erlangen, geben wir Sie für eine alte, ultra-katholische Isländerin aus. Nehmen Sie daher Ihren Schleier vor und hüten Sie sich, daß man Ihre Züge und Ihre Gestalt nicht sieht, bevor das Gitter offen ist.«

»Diese guten Mönche sind feiner, als Du,« entgegnete Leonce, »denn da ist schon der Bruder Pförtner, der sich unsre junge und schöne Reisende in der Nähe besieht.«

Nach einigem Hin- und Herreden willigten die Mönche ein, die Frauen in den Hofraum einzulassen, allein nicht weiter; dann ließen sie mit vieler Artigkeit und Leutseligkeit die Pferde ausspannen und führten die Reisenden in einen angenehmen, malerisch ausgeschmückten Sal, wo ihnen ein leckeres Mahl aufgetragen wurde.

Hier entspann sich dann eine feurige Unterhaltung und die Fragen, welche die naive Neugierde dieser heiligen Müßiggänger stellte, setzte die Klugheit des Pfarrers mehr als einmal in Verlegenheit, Er mußte sich zu Teverinos Lügen hergeben, welcher Leonce kecklich für Lord G***, Sabina’s Gemahl, ausgab und versicherte, daß man geradenweges von St. Apollinaire komme, wo der Herr Pfarrer noch die Frühmesse gelesen, bevor man sich auf den Weg gemacht habe. Der Prior staunte, daß Lord G*** sogar keinen englischen Accent hätte und die Kutsche über die Berghöhen statt durch das Thal gekommen wäre. Teverino wußte auf Alles Antwort und begann, um diesen Fragen ein Ende zu machen, seine Wirthe mit solchen zu bestürmen und sie durch das Lob ihres Klosters, ihres guten Aussehens und ihrer verschwenderischen Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen. Nach dem Essen erbat er sich, für die Männer wenigstens, die Erlaubniß, die Kirche und die innern Klostergebäulichkeiten zu besuchen, und auf diese Weise verschaffte er Leonce ein neues und ungestörtes Beisammensein unter vier Augen mit Sabina, welche dieser Letztere nicht allein lassen wollte.

 

»Es sind Neuvermählte,« sagte er ganz leise zum Prior, »Sie haben hier Mönche, die mir sehr schöne, junge Leute scheinen. Mylord ist eifersüchtig, sogar auf einen unschuldigen und ehrerbietigen Blick, der seiner edeln Gemahlin zugeworfen wird.«

Jeder Mönch liebt kleine Geheimnisse und zarte Beichten. Und mochte diese auch noch so viel Weltliches an sich haben, so lächelte der gute Pater doch und grüßte den vermeintlichen Lord G*** mit schlauer Miene, indem er ihn einlud, Blumen für Mylady zu pflücken.

Nachdem Leonce und seine Gefährtin die Kraft und das üppige Wachsthum der mit so viel Liebe und Kunst gezogenen Pflanzen bewundert hatten, kehrten sie in den ersten Hof zurück, dessen in Verfall gerathene Gebäude und wuchernde Gräser mehr Charakter und Poesie in sich trugen. Dieser Ort war völlig öde und seine alten, gegen die Landschaft hin offenen Gebäulichkeiten dienten nur noch zu Schuppen und Speisekellern. Das vom Alter weißlich gewordene Maulthier des Priors weidete mit melancholischer Miene und das Girren der Tauben auf den moosbedeckten Dächern unterbrach mit dem eintönigen Gemurmel des Brunnens und dem Picken der Thurmuhr, welche genau jedes Theilchen der zerrinnenden Zeit ankündete, allein das Schweigen dieser Wohnung, wo man von der Zeit keinen Gebrauch machte und das Leben stillgestanden zu sein schien.

Auf einer Bank neben dem aus schwarzem Marmor gearbeiteten Brunnen sitzend, glich Sabina der Statue der Schwermuth. Eine völlige Umwandlung hatte sich seit diesem Morgen in dem Benehmen, der Stellung und dem Ausdruck dieser schönen Person bewerkstelligt, und indem Leonce sie betrachtete, fühlte er, daß sich zwischen ihr und ihm Alles geändert habe. Es war nicht mehr die verächtliche, im Punkte der wirklichen Liebe skeptische, von der Idee weiß Gott welcher idealen und unmöglichen Liebe stolz überspannte Schönheit, der kein Sterblicher würdig genug erschien, in ihre Träume eingeweiht zu werden. Diese Charakterstärke, diese peinliche Willensanstrengung, worüber Leonce so erschrocken und so erzürnt war, hatten einem sanften Schmachten, einer rührenden Traurigkeit, einer tiefen Träumerei, kurz, einem zärtlichen und sanften Gesammtgefühle Platz gemacht, dessen Gegenstand er allein war. Es war ein schüchternes, zitterndes und gebrochenes Weib, und zum erstenmal hatte sie einen Zauber für ihn, den Mißtrauen und Furcht nicht mit ihrem eisigen Hauche verscheuchten. Er fühlte sich behaglich neben ihr, er konnte frei sprechen und athmen, ohne jene beißenden und geistreichen Spöttereien zu fürchten, welche, indem sie seinen Geist in Anspruch nahmen, sein Herz gegen sie und ihn selbst aus der Hut hielten. Er brauchte nicht mehr wie Tags zuvor jene Doktors und geheimnißvolle Pädagogenrolle zu heucheln, solch kalten und erzwungenen Scherz zu treiben, der so viel Aufregung und Äerger verborgen hatte. Er war ihr fortan ein wahrer Beschützer, ein Arzt der Seele, beinahe ein Gebieter; und da wo der Mann fühlt, daß er leitet und beherrscht, ist er fähig, Alles zu verzeihen, selbst die Untreue, bei welcher seine Eigenliebe blutete.

Er setzte sich zu Füßen seiner lenksamen Büßenden und nach einem langen Schweigen, wobei er sich vielleicht gefiel, ihre Unruhe und Schüchternheit zu verlängern, fragte er sie, ob ihre Zuneigung durch das peinliche Geständniß, welches sie ihm zu machen gewagt, sich nicht vermindert hätte.

»Vielleicht,« sagte sie, »wenn ich in Ihnen etwas Anderes, als einen mich verlassenden Liebhaber und einen wiedergegebenen Freund sähe. Wenn aber der Freund mich von den Wunden heilt, die ich mir geschlagen habe, so will ich den Liebhaber mit Freuden auf immer verschwinden sehen. Auf diese Weise kann mein Stolz nicht leiden, denn wenn die Liebe hochmüthig und empfindlich, wenn ihr Verzeihen demüthigend und unannehmbar ist, so ist das der Freundschaft die heiligste und süßeste der Wohlthaten. Ach! sehn Sie, mein lieber Leonce, wie viel reiner und köstlicher dieses Gefühl ist, als jenes! Wie statt zu verringern und zu quälen, es veredelt und läutert! Gestern hätte ich weder Hülfe noch Mitleid von Ihnen angenommen. Heute würde ich nicht erröthen, es auf den Knieen von Ihnen zu erbitten.«

»Wohlan, meine Freundin, Sie befinden sich noch nicht auf dem rechten Standpunkt; Sie sind von einer Uebertreibung zur andern übergegangen. Gestern verachteten Sie die Freundschaft allzusehr, heute erheben Sie sie maßlos. Sie können sich des falschen Begriffs, den Sie sich so lange über diese beiden Gefühle gemacht, nicht entschlagen und wollen immer, daß eines das andere ausschließe; die Verbindung der Geschlechter ist erst da wahrhaft idealisch und vollkommen, wo sie sich in zwei edeln Herzen vereinigen. Was ist denn eine wahre Liebe Anderes, als eine gesteigerte Freundschaft? Ja, die Liebe ist die bis zur Begeisterung getriebene Freundschaft. Man sagt, die Liebe allein sei blind! Da, wo die Freundschaft hellsehend ist, ist sie so kalt, daß sie dem Ersterben nahe steht . . .

»Glauben Sie mir, wenn Ihr Fehler mir ernst und unverzeihlich schien, wenn ein Moment der Verwirrung und Schwäche Sie in meinen Augen unwürdig machte, die Liebe zu kennen und zu empfinden, so wäre ich nicht Ihr Freund, und statt meine Tröstungen anzunehmen, müßten Sie dieselben zurückstoßen. In der Jugend liebt man das Weib nicht, welches man nicht mehr begehrt und ohne Eifersucht in den Armen eines Andern sieht. Das Wort Freundschaft ist alsdann Lüge und da sei Gott vor, daß ich Sie auf solche Art liebe! O! lassen Sie mich Ihnen gestehen, daß das gestern Vorgefallene mich tödtlich kränkt und daß ich so erzürnt über Sie bin, um noch in diesem Augenblick mehr Haß, als eine Freundschaft, wie Sie sie schildern, gegen Sie zu fühlen. Nicht daß ich Sie als eine Gefallene betrachte und verächtlich finde, nein, ich finde Sie nur ungerecht, grausam und strafbar gegen mich allein, der ich Sie liebe und das Glück verdiente, das Sie einem Andern gegeben haben.«

»Sie machen mich um so erschrockener über meinen Fehler,« sagte Sabina zitternd. »Glauben Sie denn, ich hätte nicht auch hieran gedacht und mache mir nicht zum Vorwurf, Ihnen dieses persönliche Leid zugefügt zu haben? Das weiß Gott, dem ich meine Schuld geklagt.«

»Und warum nicht auch mir, hauptsächlich mir?« rief Leonce, ihre beiden bebenden Hände herzlich drückend. »Sie wissen es wohl, Gott hat Ihnen schon verziehen; aber ich . . . Sie wollen also nicht, daß ich Ihnen als Freund und Liebender verzeihe?«

»Ersparen Sie mir diese Qual,« sagte Sabina, die ihren Stolz mit dem Tode ringen sah. »Lesen Sie in meinem Herzen und erkennen Sie doch, welches der größte Beweggrund meines Schmerzes ist.«

»Nun, so demüthige Dich denn,« entgegnete Leonce feurig, »weil dies der größte Beweis von Liebe ist, den eine Frau wie Du geben kann, insoweit, daß Du mir sagst, Du habest gesündiget gegen mich; erhebe Dein stolzes Haupt gen Himmel und trotze ihm, wenn Du willst, gleichviel! Es ist nicht meine Aufgabe, Dir mit seinem Zorn zu drohen; ich weiß jedoch, daß Du mir das Herz gebrochen hast und Du mir nun dieses Geständniß schuldest. Wenn Du dieses Verbrechen nicht bereust, so willst Du es auch nicht gut machen.«

»Wohlan denn, so verzeih es mir, Leonce, und um es mir zu beweisen, verwische die Spur dieses abscheulichen Kusses auf immer.«

»Er ist nicht mehr da, er war nie da!« rief Leonce, sie an sein Herz drückend, »und jetzt,« sagte er, wieder zu ihren Füßen fallend, »geh über mich hin, tritt mich mit Füßen, wenn Du willst, ich bin Dein Sklave, und möge ein glühendes Eisen mir die Lippen verbrennen, wenn je ein Vorwurf, eine Anspielung auf irgend einen andern Kuß als den meinigen über sie kommt!«

In diesem Augenblick schlug die Thurmuhr des Klosters Zwei, die Thüre nach dem Hofraum öffnete sich und ein junger Bruder in der weißen Novizenkleidung trat heraus.

Er war allein und schritt langsam, den Kopf unter der Kapuze gesenkt, mit über der Brust gekreuzten Armen und gleichsam in demüthige Sammlung versunken, einher.

Leonce und Sabina standen auf, um ihm entgegenzugehen, und er verneigte sich bis zum Boden, um ihnen seine Ehrerbietung und Unterthänigkeit zu bezeugen. Indem er sich aber plötzlich in seiner ganzen Höhe aufrichtete und seine Kapuze zurückwarf, zeigte er ihnen statt eines geschornen Hauptes das schöne schwarze Haar und das lachende Antlitz Teverinos.

»Was ist das für eine neue Verkleidung?« rief Leonce.

Statt aller Antwort hob Teverino die Hand gegen den Glockenthurm des Klosters und wies auf das Zifferblatt der Thurmuhr, deren goldene Zahlen und Zeiger auf azurnem Grunde die Stunde andeuteten.

Dann sagte er mit hohler Stimme, indem er einem Büßenden gleich niederkniete:

»Die Stunde ist vorüber, nun soll meine Beichte angehört werden.«

»Kein Wort!« sagte Leonce, seine beiden Hände ans des Mönches Schulter legend und ihn mit liebevoller Autorität schüttelnd. »Bei Deiner Seele und Deinem Leben, Bruder, schweige! Hältst Du mich für niederträchtig genug, Dich verrathen zu haben? Dein Geheimniß sterbe mit Dir; es gehört nicht Dir an und Dein Herz ist zu edelmüthig, um Geheimnisse Anderer beichten zu wollen.«

»Ich bin kein Kind, um nicht zu wissen, was ich verschweigen oder offenbaren darf,« antwortete der Zigeuner; »es gibt jedoch Dinge, die mein Gewissen beschweren würden, wenn ich mich deren nicht noch anklagte, um so mehr, als in dieser Beziehung unser Drei hier sind, die einander Nichts zu verbergen haben. So hören Sie denn, edle und großmüthige Signora, die Beichte eines armen Sünders, welcher von Ihnen und Herrn Leonce Absolution erbittet.

»Der Elende, welcher durch die geheiligten Bande der Zuneigung und Erkenntlichkeit an Ihren Freund gekettet ist, hatte das Unglück, einst in eines Waldes Mitte eine Dame von erlauchter Herkunft und entzückender Schönheit anzutreffen. Er konnte sie nicht sehen und hören, ohne durch die Reize ihrer Person und ihres Geistes geblendet zu werden. Während er sich dem unendlichen Glück überließ, sie anzuschauen und anzuhören, war er nahe daran, zu vergessen, daß Leonce leidenschaftlich in sie verliebt sei und er selbst einer andern Neigung Treue schulde. Er hatte die dumme Eitelkeit, zu singen, um sie zu zerstreuen, denn die bewundrungswürdige Dame war traurig. Irgend ein Gewölk hatte sich zwischen ihr und Leonce aufgethürmt und beim Gedanken an ihn fühlte sie gleichsam ein Bedürfniß, zu weinen. Der unwürdige Sünder war von seiner Kunst durchglüht und konnte nicht singen, ohne selbst so bewegt zu werden, daß er den Verstand darüber verlor. So geschah es denn, daß nach Beendigung seiner Romanze er die Dame gerührt sah und es wandelte ihn gleichsam ein Anfall lächerlicher Geckenhaftigkeit, gleichsam eine Verblendung, gleichsam ein Wahnsinn an. Seine persönlichen Pflichten, seine heilige Freundschaft für Leonce und die hohe Achtung, die er Signora schuldete, vergessend, hatte er die Kühnheit, ihre schmerzliche Zerstreuung zu benützen, sich neben sie hinzusetzen und zu versuchen, ob ihm nicht gelänge, eine jener reinen Liebkosungen, die ihm nicht bestimmt waren, zu erhaschen. Hätte die edle Dame nicht erzürnt und schaudernd den Kopf abgewandt, so würde er einen Kuß geraubt haben, den sein Leben nicht aufgewogen hätte. Glücklicherweise erschien Leonce und beschützte seine Freundin gegen die Verwegenheit eines Bösewichts. Von diesem Augenblick an hat ihn die Dame nur noch mit Verachtung angeblickt und er, der die Gewissensbisse seiner strafbaren Seele fühlte, der einsah, daß ein großes Verbrechen auch einer großen Buße bedürfe, er hat den Bund mit Satan gebrochen, er hat, der Welt entsagt, und indem er sich dem klösterlichen Frieden in die Arme wirft, hat er dieses Bußkleid angezogen, welches die Reue an seine Gebeine kleistert und das er nur gegen ein Sargtuch umtauschen wird.«

»Das ist ja eine höchst rührende Erzählung,« sagte Leonce, »und unmöglich kann man da widerstehen. Sabina, Sie können Ihre Verzeihung einer so vollkommenen Zerknirschung nicht versagen. Reichen Sie dem Strafbaren die Hand, ich bitte Sie darum, und Entbinden Sie ihn seiner schrecklichen Gelübde.«

Befriedigt durch diese etwas heuchlerische, aber unendlich ehrerbietige Erklärung des Marquis, gestattete ihm Sabina, ihre Hand zu küssen und munterte ihn auf, indem sie zu lächeln sich bemühte, sich selbst einen Fehler zu verzeihen, den sie, schon völlig vergessen habe. Sie legte einen besondern Nachdruck auf diese letzten Worte, um ihn doch ja fühlen zu lassen, daß sie dem lächerlichen Umstand mit dem Kusse nicht die geringste Wichtigkeit beilege und Teverino bewunderte mit schalkhafter Gutmüthigkeit den Aplomb einer Weltfrau in solch einer zarten Stellung.

 

»Ich bin um so stolzer auf meine Lossprechung,« sagte er, »als ich wohl sehe, daß mein Verbrechen nur zu meiner Beschämung und zum Triumph der wahren Liebe ausgefallen ist.«

»Jetzt, aber,« entgegnete Leonce, »wirst Du uns erklären, wie Du dieses Kleid der Unschuld, das Du mit so vielem Stolze trägst, der Wachsamkeit der guten Mönche entfremdet hast?«

»Dieses Kleid gehört mir selbst an,« antwortete Teverino, »es ist ganz neu, es paßt mir, es ist bequem und ich gedenke, es hier, auszunützen.«

»Was da! weg mit den Scherzen! Der Teufel wird Dich doch hoffentlich nicht in Versuchung führen, die Kutte zu nehmen?«

»Doch; indem mir der Teufel dieses Gelüste eingab, hat er mir ins Ohr geraunt, daß es hier nicht an Brennesseln fehle, um mich ihrer zu entledigen. Errathen Sie nun, was mit mir vorgeht! Mein Vermögen ist nicht glänzend und entspricht meinem Marquistitel kaum; Sie durften, ohne unbescheiden zu sein, diesen Umstand Mylady anvertrauen. Ueberdies bin ich launisch wie ein Künstler, träge wie ein Mönch, ein Träumer wie ein Poet. Ich habe die Klöster immer geliebt und mir solch ein weichliches und glückseliges Leben geträumt, vorausgesetzt daß es nicht über den von meiner Laune angewiesenen Zeitpunkt hinausdaure. Als ich soeben die Novizen bei ihrem Gesangunterricht hörte, machte ich dem Prior einige sachkundige Bemerkungen über die schlechte Methode, die sie befolgten. Er hat mir gestanden, daß sein Sängermeister in einem Auftrag beim heiligen Vater sei und erst in zwei Monaten wieder von Rom zurückkehren werde. Während dieser Abwesenheit geht die Schule zu Grunde und dir Methode verloren. Ich habe dann eine Motette nach meiner Manier gesungen, und der gute Prior, der ein rasender Musiknarr sein muß, wußte nicht mehr, welche Ehre er mir anthun wollte.

»Ach, mein Herr,« sagte er, »wie Schade, daß Sie ein reicher und vornehmer Mann sind! welch einen Gesanglehrer hätten Sie gegeben.«

»Wenn’s nur an dem fehlt, hab’ ich geantwortet, so will ich Ihren Novizen sogleich eine Lektion unter Ihren Augen ertheilen.

»In weniger als fünf Minuten hab’ ich ihnen dann begreiflich gemacht, daß sie die Stimme weder auszugeben noch zu setzen wüßten, und indem ich mit viel Sanftmuth und Bescheidenheit meine Vorschrift mit einem Exempel begleitete, habe ich sie so entzückt und begeistert, daß sie mit dem Prior um die Wette wiederholten:

»Wie Schade, uns nicht an einen solchen Meister halten zu können!«

»Kurz ich ward von ihren Beifallsbezeugungen so gerührt und das Leben des musicirenden Mönches ist mir unter so angenehmen Farben erschienen, daß ich einwilligte, die zwei Monate, während welcher der Sängermeister noch abwesend sein wird, hier zuzubringen. Ich habe mich zur Orgel führen lassen, welcher ich dann Töne entlockte, die meine Zuhörer in Entzücken versetzten; und so bin ich denn den Rest des Sommers über Mönch, das heißt, wohl genährt und gepflegt, gekleidet wie Sie mich da sehen, zu meinem besondern Ergötzen in einem Kloster, bei einer sechsstündigen Beschäftigung täglich, die ich liebe, und mit der Freiheit, den übrigen Theil der Zeit das Gebirg zu durchstreifen, zu jagen, zu fischen, zu lesen, zu componiren oder zu schlafen, schätzte ich mich der glücklichste der Menschen und mir ist, als sei ich mein Patron Johannes Kreisler, der sich in seinem klösterlichen Asyl so gut gefiel, daß er darin bei der guten Musik und dem guten Wein all sein Unglück, seine Liebe und alle Dinge dieser vergänglichen Welt vergaß!

»Bravo!« sagte Leonce, »ich billige Deinen Entschluß und gedenke, Dich oft zu besuchen; doch zweifle ich, daß Du zwei volle Monate hier bleibst. Ich weiß, daß Alles, was neu ist, Dir lächelt, und Alles, was dauert, Dich ermüdet.«

»Das ist wahr; wenn ich aber eine Verpflichtung übernehme, so verharre ich gewissenhaft dabei. Du wirst mir zugeben müssen, daß ich mich nicht ohne Bedingungen in Verpflichtungen einlasse und daß meine Bedingungen auf einer gewissen Voraussicht beruhen. Ich weiß zum Voraus, daß ich hier zwei Monate lang Vergnügen haben werde. Die Zöglinge sind gelehrig und sanft; es hat schöne Stimmen unter ihnen, und die Entwicklung derselben wird mir Freude machen. Dann liegen im Kapitelssale auch alte musikalische Werke, von welchen ich den ehrwürdigen Staub, der sie bedeckt, abzuschütteln mir vornehme. In solchen Archiven finden sich oft Schätze der Kunst und das Glück der Künstler.«

»Es sei!« sagte Leonce, »ich habe aber noch mehrere Fragen an Dich zu richten, und da eben der Prior und der Pfarrer kommen, um Mylady ihre Aufwartung zu machen, so will ich diese um Erlaubniß bitten, ein paar Worte allein mit Dir zu sprechen.«

Sie traten unter die Säulenhalle des Klosters, von wo aus man die Landschaft überblickte, und hier ergriff Leonce des Abenteurers Arm und sagte zu ihm:

»Laß sehen! Du scheinst mir etwas Ordnung und Arbeit in Dein Leben bringen zu wollen. Du hast außerordentliche natürliche Anlagen und ich zweifle nicht, daß Du mit dem, was Du eher errathen als erlernt hast, in kurzer Zeit Dir ein glänzendes Loos schaffen und einen Ruf erwerben kannst.«

»Ich weiß es wohl,« antwortete Teverino, »allein das reizt mich nicht.«’

»Du besitzest also keine Eitelkeit? Du würdest verdienen, Mönch zu sein.«

»Ich besitze Eitelkeit und bin nicht für die Ordensregel geschaffen. Ich werde daher nicht Mönch werden und ein Pilgrim auf Erden bleiben, indem ich meine Eitelkeit befriedige, wann es mir beliebt, und mich ihrer entledige, wann sie mich unterjochen will. Denn die Eitelkeit ist der despotischste und ungerechteste der Gebieter und nie werde ich die Verpflichtung eingehen, Sklave meines armen Lasters zu sein.«

»Kannst Du nicht ein rechter Künstler sein, ohne dabei der Sklave des Publikums zu werden? Geh, geh, und höre mich an. Für einen so wilden Stolz, wie den Deinigen, ist allerdings der Anfang abschreckend. Deine bisherigen Beschützer mußten ungerecht oder knauserig sein, weil Du einen solchen Abscheu vor der Gönnerschaft Anderer hast. Kann aber eine einsichtsvolle, zartfühlende, ja ich wage zu sagen, Deiner würdige Freundschaft Dir nicht die Mittel bieten, den Grund zu Deinem Glück zu legen und dieses festzustellen? Geld und Unterstützung von Meistern sind nothwendige Mittel. Nimm mein Anerbieten an, suche mich nach zwei Monaten in Paris auf, wo ich alsdann sein werde, und ich stehe Dir dafür, daß der Winter nicht vorübergehen soll, ohne daß Du Dich an dem Dir in der Welt zukommenden Platze befindest.«

»Danke, lieber Leonce, danke,« sagte Teverino, seinem Freunde die Hand drückend. »Ich weiß, Du sprichst aus aufrichtigem Herzen, allein ich kann um so weniger den geringsten Dienst von Dir annehmen, als wir einander in zarten Stellungen und auf einem brennenden Boden gegenüberstanden. Ich konnte vierundzwanzig Stunden lang ein Muster von Ritterlichkeit, ein Spiegel von Rechtlichkeit sein. Aber wenn ich auch nicht in Mylady verliebt bin, so war die Probe doch gefährlich und schwierig genug, um mich ein nochmaliges Beginnen derselben nicht wünschen zu lassen. Deute mirs nicht als Hohnsprecherei, aber ich bin überzeugt, daß sie Dich liebt, ich war dessen gewiß, bevor Du es warst. Es freut mich herzlich und ich wünsche mir Glück, den Weg zu einem Siege gebahnt zu haben, den ich für Dich allein begehrte; wir könnten uns jedoch am Rande eines andern Abgrunds treffen und der Gedanke, daß ich Dir zu Dank verpflichtet, das heißt Dein Geschöpf und Dein Eigenthum bin, würde mich zwingen, mich bei jeder Begegnung zu verläugnen und zurückzuziehen. Ich müßte mich entweder der Undankbarkeit schuldig machen oder das Opfer meiner Tugend sein . . .

»Und dann würdest Du bald darauf verzichten, Deinen armen Vagabunden ein anständiges Dasein schaffen zu wollen. Ich würde alles dessen, was man mir aufbürdete, bald überdrüssig werden. Bei mancher Gelegenheit würde ich bereuen, der Ueberredung nachgegeben zu haben; wider Willen würde ich Dich durch den auf meine Lebensbahn gesäten Ueberdruß langweilen und Du müßtest am Ende müde werden, mich von meinen Abschweifungen zurückzuführen . . .

12Eile mit Weile.
13Wer langsam geht, geht sicher.