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Kora

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Für Kora begeistert, deren Unwissenheit so rein und schön war, kehrte ich in mein Zimmer zurück. Voll Ungeduld erwartete ich am nächsten Tage die Stunde, wo ich abermals zu ihr kommen durfte, wagte aber kaum auf dieses neue Glück zu hoffen. Sie erschien mit ihrer Mutter, die mich einlud, zu ihnen herunterzukommen. Als ich wieder in den großen Lehnstuhl einquartirt war, bemerkte ich eine gewisse Unruhe in der Familie. Der Krämer setzte sich mit erheuchelter Ungezwungenheit mir gegenüber. Ich selbst war tief bewegt; ich fürchtete und wünschte eine Erklärung dieses Benehmens.

»Da Sie sich hier wohl befinden, Herr Georges,« sagte der Krämer endlich, indem er die Hände auf seine feisten Kniee legte, »so hoffe ich, daß Sie ohne Umstände uns hier besuchen werden, um sich zu erholen, so lange Ihre Kräfte Ihnen nicht gestatten, anderswo Zerstreuung zu suchen.«

»Großmüthiger Mann!« rief ich aus.

»O, das ist nicht des Dankes werth,« entgegnete er lächelnd. »Nachbarn sind sich Hilfe schuldig, und Gott sei Dank! wir haben ehrenwerthen Leuten die unsere nie versagt. Ich setze nämlich voraus, daß Sie ein braver junger Mann sind, Herr Georges. Sie haben ganz das Aussehn danach, und ich fühle Vertrauen zu Ihnen.«

»Viel Ehre für mich,« antwortete ich verlegen.

»Deshalb also,« fuhr der würdige Mann heiter fort, indem er aufstand, »bleiben Sie hier bei unserer Kora, so lange es Ihnen beliebt. Sie ist ein Mädchen von Geist, sehen Sie! eine Person, die die Literatur kennt, und deren Mutter sich nie gegen den Geschmack versündigt hat. Jetzt versteht sie auch mehr davon als wir, und Sie werden sich in ihrer Gesellschaft angenehm unterhalten, dafür sage ich gut.«

»Schon seit Langem würde ich mich bei dieser Gunst glücklich geschätzt haben« . . . erwiderte ich erröthend, indem ich Kora einen scheuen Blick zuwarf. »Im Verhältniß zu meiner Ungeduld ist sie mir leider sehr spät zu Theil geworden« . . .

»Ei nun, sehen Sie,« sagte der Krämer scherzend, »vor zwei Monaten war die Sache nicht möglich. Kora war nicht vermählt, und kein Bursche hätte von ihrer Mutter die Erlaubniß zum Betreten dieses Zimmers erhalten, wofern er nicht in der Absicht, Kora zu ehelichen, mit guten, offenen Heirathsanträgen gekommen wäre. Sie wissen, mein Herr, wie man ein junges Mädchen bewachen muß, damit ihr die Lästerzungen keinen Abbruch thun. Jetzt, wo das Kind verheirathet ist, wo wir ihrer Sittsamkeit sicher sind, jetzt lassen wir ihr volle Freiheit; und dann« – hier sprach der Krämer leiser – »wird auch Niemand auf den Gedanken gerathen, daß Sie, blaß und schwach, wie Sie sind, einen jungen, kräftigen Gatten zu ersetzen gedächten« . . .

Er schloß den Satz mit einem plumpen Gelächter. Ich wurde todtenblaß und wagte nicht, die Augen zu Kora aufzuschlagen.

»Nun, nun, seien Sie wegen des Scherzes nicht böse, lieber Herr Nachbar,« fuhr er fort. »Sie werden nicht immer Reconvalescent sein, und bald werden die Väter und Gatten Sie vielleicht besser überwachen . . . Bis dahin bleiben Sie hier. Kora wird Ihnen Gesellschaft leisten. Ich glaube zudem, Sie hat Ihnen etwas zu sagen.«

»Mir?« rief ich und schaute Kora an.

»Ja, ja,« entgegnete der Vater. »Es ist eine delicate Angelegenheit – sehen Sie, auf die eine junge Frau sich besser versteht als ein alter Mann. Genug, auf Wiedersehn, Herr Georges.«

Er ging hinaus. Abermals blieb ich mit Kora allein, und diesmal hatte sie eine delicate Angelegenheit mit mir zu verhandeln. Vielleicht wollte sie mir ein Geheimniß, einen Herzenskummer, ein Mißgeschick anvertrauen! Ja, es lag ohne Zweifel ein großes, tiefes Geheimniß im Leben dieses melancholischen, schönen Mädchens! ihr Dasein konnte nicht dem gewöhnlicher Menschen gleichen! Der Himmel hatte ihr nicht eine so wunderbare Schönheit zu Theil werden lassen, ohne sie zugleich mit einer Fülle von Schmerzen zu beladen. – Jetzt endlich, sagte ich zu mir selbst, wird sie ihr Herz ausschütten, und vielleicht kann ich ihre Schmerzen theilen, um sie zu erleichtern. –

Sie blieb ein wenig verwirrt vor mir stehen. Dann griff sie in die Tasche ihrer schwarzen Taffetschürze und zog ein zusammengefaltetes Papier hervor.

»Wahrhaftig, mein Herr,« sagte sie, »es handelt sich um eine Kleinigkeit. Ich weiß nicht, warum mein Vater mich beauftragt, es Ihnen mitzutheilen . . . Man weiß doch, daß ein Mann von Geist, wie Sie, an einer ganz natürlichen Bitte keinen Anstoß nimmt . . . Ich würde auch ohne das Gesagte nicht verlegen sein, aber« – – –

»Im Namen des Himmels, vollenden Sie!« rief ich feurig. »O Kora, wenn Sie mein Herz kennten, würden Sie keinen Augenblick zögern, mir das Ihre zu erschließen!«

»Nun denn, mein Herr,« sagte Kora bewegt, »sehen Sie hier, um was es sich handelt.«

Sie entfaltete das Papier und reichte es mir hin. Ich heftete die Augen darauf, aber mein Blick war umflort, meine Hand zitterte, und ich mußte erst einen Augenblick Athem schöpfen, ehe ich lesen konnte. Endlich las ich:

Rechnung

für Herrn Georges von M***, Materialwaarenhändler, über während der Krankheit gelieferte Waaren.

12 Pfd. Farinzucker zu Getränken und Suppen macht . . .

Seife für die Krankenwärterin macht . . .

Talglichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Fieberblumenthee: etc. etc. . . . . . . . . . . . .

Summa: 30 Fr. 50 Cent.
Betrag erhalten
Kora***.

Ich schaute sie verwirrt an.

»Mein Herr,« sagte sie, »vielleicht finden Sie diese Forderung rücksichtslos; vielleicht sind Sie auch noch nicht kräftig und gesund genug, als daß es Ihnen angenehm wäre, mit Geschäftssachen behelligt zu werden. Wir befinden uns jedoch in großer Verlegenheit. Das Geschäft geht schlecht, die Ladenmiethe ist theuer« – –

Kora sprach noch lange fort, ohne daß ich sie verstand. Ich stammelte einige abgebrochene Worte und lief, so schnell meine Kräfte es gestatteten, nach Hause, um die Summe zu holen, die ich dem Krämer schuldete. Dann kehrte ich vernichtet und niedergeschmettert in mein Zimmer zurück und legte mich fiebernd ins Bett.

Am andern Tage jedoch kamen mir vernünftigere Gedanken. Ich fragte mich: wozu diese unsinnige, hochmüthige Geringschätzung des bürgerlichen Lebens? wozu diese abgeschmackte Empfindlichkeit poetischer Seelen, die sich durch die Berührung mit der prosaischen Wirklichkeit zu beschmutzen glauben? wozu endlich dieser ungereimte Haß gegen die Erfordernisse des Lebens?

– Undankbarer! dachte ich, du bist empört, weil Kora dir eine Rechnung über Seife und Talglichter geschrieben und überreicht hat, während du dankbar die schöne Hand küssen solltest, die dir ohne dein Wissen während der Krankheit Hilfe spendete. Was wäre aus dir geworden, jämmerlicher Narr, wenn nicht ein vertrauensvoller, redlicher Mann dir alle Wohlthaten seines Geschäftszweiges hätte zu Theil werden lassen, ohne ein anderes Pfand für die Erstattung seiner Auslagen zu haben, als deine dürftige Garderobe und dein elendes Bett? Und wenn du gestorben wärest, ohne seine Rechnung lesen und bezahlen zu können – würde einer deiner Erben 30 Francs und 50 Centimes in deinem Nachlasse vorgefunden haben, um sie ihm zuzustellen? –

Und dann bedachte ich, daß jene Arzneitränke, die mich vom Tode retteten, von Kora zubereitet worden waren. Wer weiß, dachte ich, ob sie nicht einen Zauber hineingelegt oder ein Gebet darüber gesprochen hat, das ihnen die Kraft gab, mich zu heilen? ob nicht eine mitleidige Thräne aus ihren Augen in den Trank gerollt ist an jenem Tage, wo ich am Rande des Grabes stand? Göttliche Thräne! himmlischer Trank!

Ich war gerade mit diesen Gedanken beschäftigt, als der Krämer an meine Thür klopfte.

»Sehen Sie, Herr Georges,« sagte er, »meine Frau und ich fürchten, Sie beleidigt zu haben. Kora sagte uns, Sie wären erstaunt und überrascht gewesen und hätten die Rechnung bezahlt, ohne ein Wort zu sagen. Ich mag aber nicht, daß Sie uns des Mißtrauens gegen Sie für fähig halten. Zwar sind wir in einiger Verlegenheit, das Geschäft geht nicht recht flott, wenn Sie aber Geld brauchen, werden wir schon Mittel finden, Ihnen den Betrag zurückzugeben und sogar noch ein wenig zu leihen.«

Ich warf mich tief ergriffen in seine Arme und rief:

»Würdiger Greis! Alles was ich besitze, gehört Ihnen! . . . Rechnen Sie auf mich im Leben und im Tode!«

Ich redete noch lange mit fieberhafter Ueberschwänglichkeit auf ihn ein. Er beobachtete mich mit seinen großen, grauen Augen, die rund waren wie die einer Katze, und als ich geendet hatte, sagte er im Tone eines Menschen, der auf die Lösung eines Räthsels verzichtet:

»Schon gut! schon gut! Ich bitte Sie nur, uns von Zeit zu Zeit zu besuchen und uns Ihre Kundschaft nicht zu entziehen.«