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Kora

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2

Doch mein Gesuch wurde nicht berücksichtigt, und ich blieb Zeuge von dem Glücke eines andern. Nun entschloß ich mich, krank zu werden, und das rettete mich, wie es in solchen Fällen immer geschieht, vor der Verzweiflung.

Man mag des Lebens noch so überdrüssig sein, wenn das Fatum uns wider unsere Absicht darin zurückhält, kann der Mensch in seiner Schwachheit doch nicht umhin, dem Schicksal im Geheimen Dank dafür zu wissen. Der Tod ist so häßlich, daß keiner von uns ihm ohne Entsetzen ins Antlitz schaut, und starkherzig sind unzweifelhaft alle diejenigen, die das Messer bis in die Pulsader stoßen oder das Gift bis auf den letzten Tropfen im Becher verschlucken. (Ich sage »Becher«, weil es nicht schicklich und beinahe unmöglich ist, aus einem Gefäße, das einen andern Namen führt, Gift zu trinken.)

Ja, das Sprichwort des Aesop ist die Weisheit der Nationen. Wir lieben das Leben wie eine Geliebte, an der wir immer noch aus Sinnlichkeit festhalten, selbst nachdem schon alle Achtung und Neigung zu ihr in uns erloschen ist. An jenem Abend, wo ich einen Arzt und einen Priester mit der ihrem Stande angemessenen Würde an meinem Bette stehen sah, besaß ich nicht die Kraft, mir selbst Rechenschaft darüber zu geben, ob ich Freude oder Schmerz empfände. Als ich aber eines Morgens schwach und entkräftet erwachte und die Wärterin auf dem Stuhle in tiefem Schlafe, die Sonne über die Dächer blitzen und die leeren Arzneiflaschen auf dem Nachttisch sah, als ich mich zu bewegen wagte und meinen Kopf frei, meine Glieder leicht, meinen kraftlosen Körper der eisernen Fesseln des Schmerzes ledig fühlte, da empfand ich ein unüberwindliches Gefühl des Wohlbehagens und der Dankbarkeit gegen Gott.

Dann aber erinnerte ich mich Kora's und ihrer Vermählung und schämte mich der Freude, die ich soeben noch empfunden hatte. Denn nach all den inbrünstigen Bitten, die ich an Gott und den Arzt gerichtet hatte, um des Lebens ledig zu werden, war es doch eine Inconsequenz sonder Gleichen, jetzt die Rückkehr ins Dasein ohne Zorn und Aerger hinzunehmen. Ich begann daher zu weinen. Die Jugend ist so reich an Gemütsbewegungen aller Art, daß sie trotz der Macht und Gewalt der Hoffnung, der Poesie und all der herrlichen Gaben, welche die Vorsehung ihr zugewiesen hat, es fertig bringt, sich selbst zu quälen und zu peinigen. Ich meinerseits machte es der Vorsehung zum Vorwurf, daß sie weiser gewesen sei als ich und nicht zugelassen habe, daß eine tolle, nahezu nur in meiner kranken Einbildungskraft existirenden Liebe mich ins Grab risse. Bald aber ergab ich mich in mein Schicksal und unterwarf mich dem Willen Gottes, der meinen Lebensfaden verlängerte und mich verurtheilte, noch fernerhin den Anblick des Himmels, die Schönheit der Natur und die Zuneigung meiner Mitmenschen zu genießen.

Als ich kräftig genug war, um aufstehen zu können, näherte ich mich mit unbeschreiblicher Herzensangst dem Fenster. Kora war da. Sie las. Sie war noch immer schön, noch immer bleich, noch immer allein. Unbeschreibliche Wonne durchrieselte mich. Meine Fee mit den grünen Augen, meine schöne, einsame Träumerin war mir also wiedergegeben! Ich durfte sie noch immer betrachten und im Geheimen die wonnige Leidenschaft nähren, die ich unter dem Blick eines Rivalen so lange hatte zurückdrängen müssen! Plötzlich erhob sie das braune Haupt und ihr Auge, das zufällig über die Mauer hinirrte, entdeckte mein blasses Gesicht, das sich zu ihr hinabneigte. Ich zitterte, ich glaubte, sie würde wie gewöhnlich entfliehen. Aber o Wonne! sie entfloh nicht. Im Gegentheil, sie sandte mir einen höflichen, sanften Gruß zu, lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Buch und blieb unter meinen Augen sitzen. Zwar war sie gegen meine beharrlichen Blicke ganz und gar gleichgiltig, aber sie blieb doch wenigstens.

Ein Mann von mehr Erfahrung, als ich sie besaß, hätte zweifelsohne die frühere Wildheit Kora's der Gleichgiltigkeit vorgezogen, mit der sie jetzt dem Blick des Gegenübers trotzte. Aber konnte ich dem Zauber widerstehen, mit dem ihr liebreicher, anmuthiger Gruß mich umsponnen hatte? Alles, was der sittsame Gruß einer Frau nur an keuscher Theilnahme und verschleiertem Wohlwollen enthalten kann, glaubte ich darin zu entdecken. Es war ja das erste Zeichen der Bekanntschaft, das Kora mir gab. Und mit welch erfinderischem Zartsinn wußte sie den Augenblick zu wählen, um mir dies Zeichen zu geben! Wieviel hochherziges Mitleid lag in diesem schwachen Zeugniß scheuer, sinniger Theilnahme! Sie wagte nicht, mich zu fragen, ob ich mich besser befände. Ueberdies sah sie es, und ihr Gruß wog eine lange Flut von Beglückwünschungen auf.

Die ganze Nacht verbrachte ich damit, diesen reizenden Gruß zu deuten und zu erklären, und als Kora am nächsten Tage am Fenster erschien, erkühnte ich mich sogar, das erste Zeichen unseres keimenden Einverständnisses zu wagen. Ja, ich besaß die Verwegenheit, sie mit einer tiefen Verbeugung zu begrüßen, war aber zugleich so bestürzt über mein Wagniß, daß ich nicht den Muth hatte, meine Blicke auf sie zu heften. Furchtsam und respectvoll schlug ich die Augen nieder und konnte daher nicht beobachten, ob sie meinen Gruß erwiedere, noch mit welcher Miene sie ihn erwiedere.

Verwirrt und zitternd, zugleich voll Furcht und voll Hoffnung verbarg ich, da ich mein Gesicht nicht mehr zu zeigen wagte, den Kopf in den Händen, als plötzlich eine Stimme die Stille der Straße unterbrach und, zu mir heraufschallend, die sanften Worte sprach:

»Wie es scheint, mein Herr, hat Ihr Gesundheitszustand sich gebessert?«

Ich erbebte, zog die Hände vom Gesicht, schaute Kora an und wollte meinen Ohren nicht trauen, noch dazu, da die Stimme etwas rauh und männlich klang und ich mir Kora's Stimme stets sanfter und weicher als das Säuseln des Lenzwindes im sprossenden Laubwerk vorgestellt hatte. Als ich sie aber mit verwirrter Miene anstarrte, wiederholte sie ihre Frage in Wendungen, deren Milde mich den etwas bäurischen Accent und den ein wenig kräftigen Klang ihrer Stimme vergessen ließ.

»Ich sehe mit Vergnügen,« sagte sie, »daß Herr Georges sich besser befindet.«

Ich wollte etwas erwidern, um meiner begeisterten Dankbarkeit Ausdruck zu geben, aber es war mir unmöglich. Ich erröthete und erbleichte abwechselnd, stammelte einige unverständliche Worte und wäre beinahe in Ohnmacht gefallen.

In diesem Augenblick näherte der Dütchenkrämer, der Vater meiner Kora, sein hartknochiges Gesicht dem Fenster und fragte sie mit rauher, aber trotzdem liebreicher Stimme:

»Mit wem sprichst du denn, Herzchen?«

»Mit unserm Nachbar, Herrn Georges, der sich endlich auf dem Wege der Besserung zu befinden scheint, und den ich drüben am Fenster stehen sehe.«

»Ah, das freut mich,« sagte der Krämer und lüftete seine Pelzmütze. »Wie steht's mit der Gesundheit, lieber Nachbar?«

Dem Vater meiner Vielgeliebten dankte ich mit mehr Sicherheit in Stimme und Haltung. Ich war der glücklichste Mensch unter der Sonne. Schenkte doch diese Familie, die noch unlängst so scheu und mißtrauisch gegen mich war, mir endlich ein wenig Theilnahme und Beachtung. Aber o Gott! dachte ich beinahe im selben Momente, was nützt es mir jetzt, daß ich bemitleidet und getröstet werde? Ist Kora nicht auf ewig mit einem andern verbunden?

Der Dütchenkrämer stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und verwickelte mich dann in ein zutrauliches, wohlwollendes Gespräch über das schöne Wetter, über das Vergnügen, bei solchem Sonnenschein wieder ins Leben zurückzukehren, über die Vorzüge der Flanelljacken für Genesende und über die wohlthätigen Wirkungen, welche das Honigwasser und der Gummisyrup auf kranke Lungen und schwache Magen ausüben.

Ich war natürlich bestrebt, das köstliche Gespräch in Fluß zu erhalten und zu verlängern, und antwortete ihm mit schmeichelhaften Complimenten über die Schönheit des Goldlacks, der am Fenster blühte, über die reizendkokette Anmuth seiner Katze, die vor der Thür im Sonnenscheine schlief und über die gute Lage seines Ladens, der der vollen Wärme der Mittagssonne ausgesetzt war.

»Ja, ja,« entgegnete der Krämer, »im Frühling sind die Sonnenstrahlen nicht zu verachten, später aber werden sie etwas allzu liebenswürdig« . . .

Kora flocht von Zeit zu Zeit eine kurze, einfache, aber verständige und richtige Bemerkung in die vertrauliche, arglose Unterhaltung ein. Ich schloß daraus, daß sie ein richtiges Urtheil und praktischen Verstand besäße.

Als ich nun nachdrücklich den Vortheil hervorhob, den die Lage der Façade des Hauses nach Süden zu mit sich bringe, sagte Kora, vom Himmel und dem eigenen Herzen inspirirt, plötzlich zu ihrem Vater:

»In der That, da das Zimmer des Herrn Georges dem Nordwind ausgesetzt ist, muß es um diese Zeit noch ziemlich frisch sein. Wenn Sie ihm vorschlügen, ein oder zwei Stunden bei uns zuzubringen, würde ihm der Sonnenschein vielleicht sehr wohlthuend und angenehm sein.«

Dann neigte sie sich zu seinem Ohre und flüsterte ihm ganz leise einige Worte zu, die den Krämer lebhaft zu berühren schienen.

»Ganz recht, mein Kind,« rief er in jovialem Tone. »Beliebt es Ihnen, Herr Georges, einen Stuhl neben meiner Kora anzunehmen?«

– »O Gott!« dachte ich, »wenn das ein Traum ist, so laß mich nicht erwachen.« –

Eine Minute später stand der großmüthige Krämer in meinem Zimmer und bot mir seinen Arm, um mir beim Hinabsteigen auf der Treppe behilflich zu sein. Ich war bis zu Thränen gerührt und drückte ihm tief ergriffen die Hand. Das überraschte ihn, denn er hielt ja seine Handlungsweise für ganz natürlich.

An der Schwelle meines Hauses fand ich Kora, die herbeieilte, um ihrem Vater bei meinem Transport über die Straße zu unterstützen. Bis dahin fühlte ich mich kräftig genug, um zu ihr zu gehen, sobald sie aber meinen Arm berührte, sobald ihre lange, weiße Hand meinen Ellbogen streifte, wurde ich ohnmächtig und verlor das Bewußtsein meines Glücks, weil ich es allzu lebhaft empfunden hatte.

 

In einem großen, mit Leder überzogenen Lehnstuhl, der mit vergoldeten Nägeln verziert war und dem patriarchalischen Dütchenkrämer seit fünfzig Jahren als Thron diente, kam ich wieder zu mir. Die würdige Ehehälfte des Krämers rieb mir die Schläfe mit Wundwasser, und Kora, die schöne Kora, hielt mir ihr in Spiritus getauchtes Taschentuch unter die Nase. Beinahe wäre ich von Neuem in Ohnmacht gefallen. Ich wollte meinen Dank aussprechen, fand aber keine Worte, um meine Erkenntlichkeit zu schildern. Als indessen der Krämer, da er sah, daß ich mich erholte, sich auf einen Augenblick zurückzog, und seine Frau in das hintere Zimmer trat, um mir ein Glas Lakritzenwasser zu holen, sagte ich, indem ich schmachtend das Auge zu Kora aufschlug:

»Ach, Madame, warum haben Sie mich nicht sterben lassen? Ich war so glücklich in diesem Augenblick!«

Sie sah mich erstaunt an und entgegnete dann in liebevollem Tone:

»Erholen Sie sich, mein Herr. Ich sehe wohl, Sie haben das Fieber.«

Als ich mich vollständig von meiner Gemüthsbewegung erholt hatte, kehrte die Krämerin in den Laden zurück, und ich blieb mit Kora allein.

Wie schlug mir da das Herz! Sie aber war ruhig, und ihre ungetrübte Heiterkeit flößte mir soviel Respect ein, daß ich es über mich gewann, ebenfalls ruhig zu erscheinen.

Dies Tête-à-Tête ward indessen zu einer grausamen Marter für mich. Kora sprach nicht gern. Auf alle die Bemerkungen, die ich mit unglaublicher Mühe aus meinem Hirn zu Tage förderte, gab sie nur kurze Antworten, und was ich auch anstellte, nie waren diese Antworten derart, daß sich eine Unterhaltung damit weiter spinnen ließ. Was ich auch aufs Tapet brachte, sie war immer meiner Meinung. Allerdings war das kein Grund zur Beschwerde, denn ich sagte ihr nur vernünftige, sinnige Dinge, die man, falls man nicht toll war, unmöglich bestreiten konnte. Ich fragte sie zum Beispiel, ob sie die Lectüre liebe.

»Sehr,« entgegnete sie mir.

»Die Lectüre ist in der That eine angenehme Beschäftigung,« fuhr ich fort.

»In der That, eine sehr angenehme Beschäftigung,« erwiderte sie.

»Vorausgesetzt, daß das Buch, welches man liest, gut und interessant ist,« fügte ich hinzu.

»O, allerdings,« gab sie zurück.

»Denn es gibt auch sehr abgeschmackte Bücher,« fuhr ich fort.

»Dagegen aber auch sehr hübsche,« erwiderte sie.

Hätte ich nur den Muth besessen, sie über die Art ihrer Lectüre zu befragen, so hätte dies Gespräch uns weit führen können. Ich fürchtete aber, indiscret zu erscheinen, und beschränkte mich darauf, einen verstohlenen Blick auf das offene Buch zu werfen, das unter der Goldlackstaude lag. Es war ein Roman von August Lafontaine.3 Ich war so albern und thöricht, mich anfangs darüber zu kränken. Als ich aber eingehender darüber nachdachte, fand ich in der Wahl dieser Lectüre einen Grund, ihr unverdorbenes, reiches Gemüth zu bewundern, das sogar aus solchen Romanen fesselnde Anregungen schöpfen konnte. Ich überschaute flüchtig eine Reihe abgegriffener Bände, die auf einem Bücherbrett in meiner Nähe standen, werde aber die Lieblingsautoren meiner Kora nicht nennen: blasirte Leser würden darüber lachen, und ich möchte dadurch in meinem Dichterstolze verletzt werden. – Indem ich aber die Kraft eines so ungeschulten Geistes und einer so jungfräulichen Seele mit der vorzeitigen Altersschwäche unserer erschöpften Einbildungskraft verglich, kam ich bald auf den wahren Grund dieser Erscheinung. Das geistige Leben enthielt noch Schätze, die Kora nicht kannte, und der Mann, dem es glückte, ihr dieselben zu enthüllen, mußte unter seinem Hauche das schönste Werk der Schöpfung, ein unschuldiges Frauengemüth, sich entfalten und erblühen sehen.

3August Heinrich Julius Lafontaine (1759–1831) huldigte in seinen Romanen dem Geschmack an flach-spießbürgerlich-moralischer Empfindelei, der auf dem Gebiete des Dramas durch seine bekanntern Zeitgenossen Iffland und Kotzebue vertreten wurde. Anm. d. Uebers.