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Kora

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Denn sie war – – soll ich es aussprechen? Ich muß wol: Kora war die Tochter eines Dütchenkrämers!

Heilige Dame Poesie, verzeihe mir, daß ich das Wort ausgesprochen habe! Doch was thut's? – Kora würde das Schild einer Schenke geheiligt, wie ein Engel Rembrandts über einer flamändischen Gruppe würde sie sich über das gemeine Leben erhoben haben. Wie eine schöne Blume hätte sie auch in schlammigen Untiefen geglänzt. Im Kramladen ihres Vaters würde sie den Blick des großen Scott auf sich gezogen haben, dem zweifelsohne eine unbeachtete Schönheit wie sie, die reizende Idee zu dem »schönen Mädchen von Perth« eingab.

Und sie hieß Kora, sie hatte eine sanfte Stimme, einen sittigen Gang, eine träumerische Haltung. Ihr braunes Haar war das schönste, das ich in meinem Leben gesehen habe, und sie allein unter allen ihren Gefährtinnen trug es einfach in Locken gekräuselt, ohne jeden Schmuck. Aber in der Fülle dieser dichten Locken lag mehr Erhabenheit und Stolz als im Glanze eines Diadems. Auch trug sie weder ein Collier, noch Blumen am Busen. In stolzer Schönheit hob sich der braune, sammetweiche Nacken vom Spitzenbesatze des Mieders ab, und das blaue Kleid ließ ihren Teint noch gebräunter, ihr Gesicht noch düsterer erscheinen. Sie selbst schien auf den eigentümlichen Charakter ihrer Schönheit stolz zu sein.

Sie schien errathen zu haben, daß sie in anderer Weise schön war als die übrigen Damen: denn ich brauche kaum zu sagen, daß Kora mit den seltsamen Gesichtszügen und dem orientalischen Colorit, Kora, die der Jüdin Rebekka oder Shakespeares Julia ähnelte, die majestätische, leidende, etwas wildscheue Kora, Kora, die weder rosenfarben, noch vollwangig, noch herausfordernd, noch lieblich war, unter der Menge weder bemerkt noch gesucht wurde. Wie eine in der Einöde erblühte Rose, eine im Sand verlorene Perle, stand sie unter den andern Damen, und der erste Beste, dem gegenüber ihr eurer Bewunderung für Kora Ausdruck gegeben hättet, würde euch erwidert haben: »Gewiß, sie wäre so übel nicht, wenn sie nur weißer und weniger mager wäre.«

Ich fühlte mich in ihrer Nähe so verwirrt, so jählings liebebethört, daß ich ganz die Zuversicht verlor, die mein neuer Rock und die rosettenbesäete Weste mir hätten einflößen müssen. Sie schenkte diesen Gegenständen allerdings sehr wenig Beachtung, mit zerstreuter Miene hörte sie auf die faden Schmeicheleien, die ich im Schweiße meines Angesichts zu Tage förderte, ließ bei jeder Aufforderung zum Tanze nur ein leises Wort über ihre Lippen gleiten und legte in meine bebende Hand ihre schlanken Finger, deren Kälte ich trotz des Handschuhs spürte. O, wie unnahbar und stolz sie war, die Tochter des Dütchenkrämers! Wie eigentümlich und geheimnisvoll war sie, die braune Kora! Während der ganzen Nacht konnte ich ihrem Munde nicht mehr als ein halbes Dutzend einsilbiger Wörter entlocken.

Zu meinem Unglück las ich am nächsten Tage zufällig die »Wundergeschichten«,2 und – abermals zu meinem Unglück – schien kein Wesen unter der Sonne ein vollkommnerer Typus phantastischer Schönheit und deutscher Poesie zu sein, als Kora mit den grünen Augen und der schlanken Taille.

Die bewunderungswürdigen Dichtungen Hoffmann's begannen in der Stadt in Umlauf zu kommen und bekannt zu werden. Die Matronen und die Familienväter fanden das Genre abscheulich und den Stil geschmacklos, und die Notare und die Frauen der Advocaten bekämpften vor allem die Unwahrscheinlichkeit der Charaktere und das Romanhafte der Begebenheiten bis aufs Blut. Der Friedensrichter des Cantons pflegte im Lesecabinet um die Tische zu gehen und den jungen Leuten, denen diese seltsame, alles Hergebrachte umstürzende Poesie den Kopf verdrehte, Phrasen vorzutragen, wie: »Nur das Wahre ist schön« u. s. w. Ich erinnere mich, daß bei einer solchen Gelegenheit ein Schlingel von einem Gymnasiasten – es war während der Ferien – ihm kurzweg erwiderte, indem er ihn scharf ansah:

»Mein Herr, die große Warze, die Sie auf der Nase haben, ist demnach ohne Zweifel unecht?«

Trotz aller väterlichen Ermahnungen und trotz des Anathems der Principale und der Professoren der Sexta griff das Uebel in größter Schnelle um sich, und ein großer Theil der Jugend wurde von dem tödtlichen Gifte angesteckt. Man sah junge Tabaksverkäufer sich nach dem Typus Kreßler modeln und Supernumerare während des Protocollirens beim fernen Klange eines Dudelsacks oder eines Volksliedes in Ohnmacht fallen.

Ich meinerseits bekenne und erkläre an dieser Stelle, daß ich ganz und gar den Kopf verlor. Kora verwirklichte alle die wonnigen Träume, die der Dichter mir eingab, und ich vergnügte mich damit, ihr eine geistige, feenhafte Beschaffenheit anzudichten, die eigens für sie erfunden zu sein schien. Ich fühlte mich auf diese Weise glücklich. Allerdings sprach ich nicht mit ihr, denn ich hatte keinen Vorwand und kein Recht, auf Grund deren ich mich ihr hätte nähern können. Meine Liebe fand keine Ermuthigung, ich suchte eine solche nicht einmal. Ich verließ nur das Haus des Notars und miethete eine elende Kammer, die dem Hause des Krämers gerade gegenüber lag. Das Fenster meines Zimmers verhüllte ich mit einem dichten Vorhang, in welchem ich geschickt versteckte Oeffnungen anbrachte, und dort verbrachte ich wonnetrunken all die Stunden, die ich meiner Arbeit abstehlen konnte.

Die Straße war öde und still. Kora saß im Erdgeschoß am Fenster. Sie las. Was sie las? Gewiß ist, daß sie vom Morgen bis zum Abend las. Und dann legte sie das Buch auf eine Vase blühenden Goldlacks, der das Fenster schmückte, und das Haupt auf die Hand stützend, die Locken des schönen Haares ungekünstelt und nachlässig mit den gold- und purpurglänzenden Blüten vermengend, schien sie mit starrem, glänzendem Auge das Pflaster zu durchdringen und durch die dicke Kruste der Erde die Geheimnisse des Todes und des Entstehens der Lebensquellen zu beobachten, die Geburt der Rosenfee zu belauschen und dem Lebenskeime einer schönen Elfe mit goldenen Schwingen im Kelche einer Tulpe Muth einzusprechen.

Und ich – ich betrachtete sie und war glücklich. Ich hütete mich wol, mich zu zeigen, denn bei der geringsten Bewegung des Vorhangs, beim leisesten Klirren meines Fensters verschwand sie wie ein Traum. Wie ein silberner Nebel verflüchtigte sie sich im Halbdunkel der Hinterstube. Ich blieb daher unbeweglich, mit angehaltenem Athem, den Schlägen meines Herzens Schweigen gebietend und zuweilen im Stillen meine Fee auf den Knieen anbetend hinter dem Vorhange versteckt und widmete ihr die glühende Inbrunst eines Herzens, das ihre zauberkundige Seele ergründen und verstehen sollte. Zuweilen bildete ich mir auch ein, unsere beiden Seelen eng vereint in einem jener goldig glänzenden Staubstrahlen schweben zu sehen, die die Mittagssonne in die enge, winklige Straße sandte. Ich glaubte in ihrem Auge, das so krystallklar schien wie die Quelle, die über Moos und Gräser rinnt, das Aufflammen eines tiefern Gefühls zu entdecken, das mich mit ganzer Seele zu ihr hinzog.

So stand ich dort den ganzen Tag, sinnbethört und albern und belachenswerth, aber begeistert und verliebt und jung, aber umbraust von den Wogen der Poesie! Ich weihte Niemand in meine geheimen Gedanken ein und fühlte meine Begeisterung nie durch die Furcht behindert, ich könne ins Abgeschmackte verfallen, da ich nur Gott zum Richter und zum Vertrauten meiner Wonnetrunkenheit und meiner Träume hatte.

Und wenn dann der Tag sich neigte, wenn die blasse Kora das Fenster schloß und den Vorhang zuzog, dann öffnete ich meine Lieblingsbücher und fand sie mit Manfred auf den Alpen, mit Nathanael beim Professor Spallanzani, mit Oberon im Reich der Lüfte wieder.

Doch leider war mein Glück von kurzer Dauer. Bis dahin hatte Niemand Kora's Schönheit bemerkt, nur ich allein genoß dieselbe, nur ich hatte Verständniß und Bewunderung dafür. Doch als die Pest der Phantastik sich unter den jungen Leuten des Städtchens verbreitete, fiel ein Lichtblitz auf die romantische Spießbürgerin.

Eines Morgens gerieth ein naseweiser, impertinenter Student, als er unter ihrem Fenster vorüberging, auf den Einfall, sie mit Anna von Gierstern, der Tochter des Nebels zu vergleichen. Das Wort machte Glück: man wiederholte es auf dem nächsten Balle. Die Schöngeister des Ortes bewunderten Kora's leichten, ätherischen Tanz. Ein anderes Genie in der Gesellschaft verglich sie mit der Feenkönigin Mab. Nun wollte jeder seine Gelehrsamkeit glänzen lassen und schleppte ein Epitheton oder eine Metapher herbei, so daß das arme Mädchen wider ihr Wissen damit überschüttet wurde. Und als sie dann mein Idol genugsam mit ihren Bildern und Vergleichen in den Staub gezogen hatten, umringten sie es, überhäuften sie es mit Zuvorkommenheiten und galanten Schmeicheleien, tanzten sie mit ihm, bis die letzte Lampe erlosch, und gaben es mir endlich, ermüdet von ihrem Witze, von ihrem Geschwätz gelangweilt und von ihrer Bewunderung entweiht, am nächsten Tage zurück. Was mir aber vollends das Herz brach, war, daß ich das runde, joviale Gesicht eines Studenten der Pharmacie neben dem zarten, griechischen Profil meiner Sylphide am Fenster auftauchen sah.

Lange Zeit versuchte ich morgens und abends hinter meinem schützenden Vorhange den Zauber zu bekämpfen, mit dem mein schändlicher Nebenbuhler die Familie des Dütchenkrämers umsponnen hatte. Doch vergebens rief ich Amor, den Teufel und alle Heiligen an, ich konnte seinen bösen Einfluß nicht verdrängen. Unermüdlich kehrte er Tag für Tag zurück und setzte sich neben Kora in die Fensternische, um mit ihr zu reden. Worüber wagte er mit ihr zu reden, der Unglücksmensch! Kora's undurchdringliches Gesicht verrieth nichts davon. Sie schien seine Worte zu hören, ohne sie zu verstehen, und aus der unmerklichen Bewegung ihrer Lippen schloß ich zuweilen, daß sie ihm eine kurze, kalte Antwort gab, wie es ihre Gewohnheit war. Und dann schien die Unterhaltung zu stocken.

 

Das gelangweilte Pärchen beengte sich gegenseitig und unterdrückte ein leises Gähnen. Kora schaute traurig das zugeschlagene Buch auf dem Fensterbrette an und schien zu bedauern, daß die Anwesenheit ihres Verehrers sie am Weiterlesen hindere. Dann stützte sie den Ellbogen auf den Goldlacktopf und das Kinn auf die Hand und schien, indem sie den Pharmaceuten mit festem, eisigem Blick anstarrte, durch die Lupe des Meister Floh die derben Fibern seines moralischen Wesens zu studiren.

Dessenungeachtet aber ertrug sie seine Galanterien und beständigen Besuche wie ein notwendiges Uebel, und nach sechs Wochen führte der Apothekergehilfe die schöne Kora zum Altar, wo sie den ehelichen Segen empfingen. Kora war wunderbar züchtig und ernst in ihrem Brautanzuge. Sie hatte eine ruhige, gleichgiltige, gelangweilte Miene wie immer. Gemessenen Schritts wie gewöhnlich ging sie durch die schaulustige Menge und musterte die erstaunten Zuschauer mit trocknem, forschenden Auge. Als ihr Blick auf mein fahles, entstelltes Gesicht traf, machte er einen Moment lang Halt und schien zu sagen: Sieh da! ein Mensch, den Schnupfen oder Zahnweh plagt.

Ich meinerseits befand mich in solcher Verzweiflung, daß ich meine Versetzung nachsuchte. – –

2Contes fantastiques, Gesammttitel der von Xaver Marmier und Loeve-Veimars i. J. 1828 übersetzten dämonisch-phantastischen Erzählungen E. T. A. Hoffmann's, die vom französischen Publikum mit ungeheurem Beifall aufgenommen wurden. Anm. d. Uebers.