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Claus Störtebecker

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»Mag er«, pflegte dann der Riese kaltblütig zu entgegnen. »Mag er sich seinen Strick am Lande suchen. Darf meine Hände an dem Eitrigen nicht fürder beschmutzen. Aber du, Heino Wichmann, du«, so schloß der Glühende auch heute seine Werbung, und er streichelte dem Zwerglein brüderlich die langen gelben Haare, »hast einst das verschlossene Hirn des Fischerbuben aufgeriegelt, damit Hochmut und Glanz und dieses rasende Lauschen nach dem gleichen Schlag alles Lebendigen ihren Einzug halten konnten. Und jetzt? – Will mein Bruder, mein Freund, mein Lehrer dies wollüstige Fieber nicht mitfiebern? Will er, ein Hochgelahrter, den Blinden nicht erklären, was das für ein Licht sei, das jetzt auf ihren Schaufeln brennt? Ja, es auch mir ausdeuten, da es mich manchmal schier verwirrt und blendet?«

Wer hätte diesem von Schönheit und Anmut Gesegneten, dem auch die goldenen Bienen der Beredsamkeit ihren Honig auf die Lippen getragen, wer hätte ihm widerstehen können? Wahrlich, selbst dem Zwerg schien es schwerzufallen, als er sich jetzt der Umstrickung des anderen geschmeidig entzog. Allein überlegt und abweisend, schüttelte der dennoch das Haupt. Dann versetzte er kaltblütig:

»Nein, Büblein, kann dir nichts nützen. Bin ein Lump und bleib ein Lump. Bin halt eine von den Büchermotten, so ihr Leben lang um das Wort herumkriechen. Kann's wohl aussinnen, aber von der Zunge bis zur Hand ist's weit. Pfui, und der Schweiß dünkt mich ein gar saurer Saft. Ja, wenn's dir gelingt, Bruderherz, dann will ich einen Panegyricus auf dich dichten, und wenn's dir zerbricht, dann beweise ich dir gleich darauf, wie man's besser hätte machen müssen. Zu was Edlerem tauge ich nicht und gräme mich nicht darüber.«

Es mußte etwas Ergötzliches in dieser schneidenden Selbstbeurteilung liegen, denn um die Lippen des Hörers kräuselte ein beifälliges Lächeln. Ungekränkt erhob sich der Störtebecker, reckte sich und schritt ein paarmal mit seinen weiten, entschlossenen Schritten über den Teppich. Plötzlich blitzte es ihm von der Stirn. Er warf sich den Schafpelz um und forschte rasch:

»Erinnerst du dich, Heino, was der Pharao tat, als er die Hebräer fronen ließ?«

»Er bleute ihnen weidlich Rücken und Hinterteil, mein Liebling.«

»Aber aus Schweiß und Blut wuchsen dennoch die Pyramiden. Wir haben sie gesehen. Weht Ewigkeit um ihre Gipfel! In solcher Luft läßt sich's atmen. Will's ähnlich versuchen.«

Er drückte dem Strohblonden krampfhaft die Hand und sprang rasch die Treppe hinauf. Der Kleine aber warf sich aufs Polster, strampelte mit den Füßen und krähte wie ein Hahn.

***

In der Gegend der Brokeburg wurde gekämpft. Bei vorschreitendem Winter konnten die Freibeuter in ihren leichten, baufälligen Baracken Frost und Hunger nicht länger ertragen, und da ihre alte Gewohnheit sie auf Raub verwies, so rottete sich eine Schar unter dem hitzigen Iren Patrick O'Shallo zusammen, um den umwohnenden Friesen Mehl, Hühner und Feuerung mit Gewalt abzutrotzen. In einer Winternacht loderte Feuerschein am frostblauen Himmel, Waffen klirrten, das Gekreisch aus dem Schlaf gerissener Weiber mischte sich mit dem Brüllen des Viehs und dem Stöhnen Verwundeter, und erst die rasenden Streiche des halbbekleidet von der Burg herbeieilenden Admirals trieben die Verzweifelten auseinander. Dem wutschäumenden Iren aber hieb der Störtebecker selbst, nachdem er ihn gebunden in den Schloßhof geschafft, besinnungslos mit der Peitsche übers Gesicht, einmal, zweimal, und zwang den Blutenden darauf, seinen Raub bis aufs kleinste herauszugeben.

Allein, damit war der Streitfall, wie er gefürchtet, keineswegs aus der Welt geschafft. Denn als der Riese, aufgewühlt und vom Blutdunst umnebelt, an der Seite seines Licinius die dunklen Treppen hinauftastete, da wurde ihm von einem Knecht bedeutet, die Fölke lade ihn ungesäumt vor sich in den großen Saal.

»Pack dich«, knurrte der Störtebecker gereizt, indem er bedrohlich die Faust gegen den Wäppner stieß, »'s ist Schlafenszeit. Warum schnarcht die alte Hexe nicht?«

Da standen sie bereits vor der doppelt verbohlten Tür, und in einem Anfall höllischer Neugier sprengte sie der Störtebecker vollends auf. Lärmvoll, mit dem Striemer knallend, drang der aufgepeitschte Mann in den dunklen Saal. Nur eine einzige Fackel begann dort eben in ihrem Wandring notdürftig zu glimmen, wobei sie ein paar bläuliche Funken herabstreute. Dadurch ballten sich in dem unrastigen Raum ungeheuerliche Schatten zusammen, zuckten auf und warfen sich, wie in einer Gigantenschlacht, übereinander. Sobald aber der Schein die beiden Sessel auf der Estrade erreichte, dann entdeckte man in einem derselben eine weiß gekleidete Frauengestalt, die einen blauen, mit Goldblech besäten Friesenmantel über sich geworfen hatte, um ihre Blöße zu decken.

Es war Occa, die erst seit Stunden bei ihrer Mutter zu Gast weilte und die sich nun mit der von ihr stets gegen den Seefahrer geübten Anmut verneigte.

Da begann dem Aufgeregten das Herz zu klopfen. Die zuckende Nacht, und in ihr das weiße Bild, sie raubten ihm jede Erinnerung an die eben erst verlassene Blutstätte des Aufruhrs.

»Hallo«, preßte er sich heiser ab, »welche Holde ladet mich zu Zwiesprach? Wer bangt sich in dieser Einsamkeit?«

An der Seitenwand erhob sich ein schlurfendes Geräusch.

»Ich bin es«, polterte die rauhe Männerstimme der Fölke, und nun erst tauchte die graue Habichtsgestalt bei ihrer ruhelosen Wanderung im Fackellicht auf. »Was soll das einfältige Gescherze? Weißt du nicht, daß dein Raubgesindel unsere Verträge bricht? Weißt du nicht, daß es in den Gauen der Allena und Beninga genau so steht? He, Störtebecker, du vergißt wohl, daß ihr vogelfrei seid? Überall an den Küsten lassen die Dänen sowie die Hansen es austrommeln. Du hast dir wohl die Ohren verstopft? Ich werde dich wegjagen, verstehst du mich? – He, wer bist du eigentlich?«

Die Fäuste in die Seiten gestützt, die Beine gespreizt, scharf den graurot gefiederten Habicht musternd, so hatte der Riese bis dahin hohnvoll gelauscht. Jetzt aber riß er die Fackel aus ihrem Ring, schwang sie um sein Haupt und zerrte sie dann der Fölke bis dicht vor das blutlose Antlitz. Schmerzend begannen der Quade die rot entzündeten Augen zu träufeln, voll ohnmächtigem Grimm hielt sie dem Schuimer stand.

»Wer ich bin?« lärmte dieser nun, daß der Schall von einer Ecke in die andere flog. »Dein Herr bin ich, Weib. Gib genau acht. Glaubst du, daß du ohne meinen Willen lebend aus deinem Modernest ausflattern könntest? Schau meine Fäuste, sie haben schon andere Vögel gerupft. Ein Wink an den Wichmann, und unsere Lederschlangen würden dir überdies ein Grabmal türmen, wie es die Semiramis zu Babylon kaum gefunden.«

Die Quade sog Atem, sie wollte von neuem zustoßen, der Störtebecker jedoch klopfte ihr bereits mit der freien Hand begütigend die Wange, was ihren kämpfenden Aufruhr nur noch mehr verstärkte.

»Sei ruhig. Huldreiche«, nickte er gelassen, »du weißt, ich schätze dich, und wer kann bestimmen, wie nahe wir uns einst noch treten werden?« Er streifte dabei die weiße Gestalt in dem Stuhl, die sich nicht rührte, und fuhr aufgeräumt fort: »Nun aber, meine Taube, rate ich dir, picke gutwillig die goldenen Körner, die ich deinem Hunger streuen will. Werden doch dreißig Pfund Goldes dein Ungemach wie das deiner Untertanen in eitel Freude kehren.«

Dicht an der Tür lehnte Licinius und seufzte. Er allein wußte, wie bedrohlich bereits der ehemals so stattliche Schatz der Freibeuter zusammenschmolz. Die Fölke aber wurde bei diesem Vorschlag durch Zorn und Habgier nach zwei Seiten gerissen. Feindselig reckte sie, zu neuem Streit entschlossen, ihr spitzes Kinn, zu gleicher Zeit jedoch griffen ihre dürren Finger bereits nach dem in Aussicht Gestellten, während ihre Augen in Rabenlüsternheit funkelten.

»Abgemacht«, besiegte endlich der Admiral ihr hartnäckig Schweigen. »Licinius mag noch zehn Pfund Silbers dazu tun. Was liegt daran? Und nun komm. Traute, betrüge den Schlaf nicht fürder um seine Rechte, sondern schmücke ihm das Lager.«

Lachend wandte sich der Freibeuter und reichte seinem Knaben die Fackel, damit er ihnen voranleuchte. Die Fölke freilich ließ nichts von Besänftigung spüren. Fröstelnd zerrte sie ihren grauen Flausch um sich zusammen und rief hart hinter dem Abgehenden her: »Es ist das letztemal.«

Dann entwich sie durch ein Seitenpförtlein.

Die anderen stiegen mehrere Treppen in die Höhe und trennten sich endlich auf einem langen, sich schlängelnden Gang. Als der Störtebecker zum Abschied nach Occas Hand greifen wollte, war die Leichtfüßige bereits in ihre Kammer geschlüpft. Auch Licinius entfernte sich, nachdem er dem Gebieter bis an die Schwelle seines Gemaches geleuchtet. Müde entschwebte hinter der Wendung des Ganges allmählich der Fackelschein.

Da reckte sich der Störtebecker und lauschte noch einmal zurück. Ihm war es, als ob eine warme, fröhliche Stimme seinen Namen gerufen. Einen heißen, kecken, begehrlichen Laut. Sollte ihn das Summen seines eigenen Blutes geäfft haben, oder – –?

Gespannt, blutwitternd wie ein Raubtier, schlich der Riese auf Zehen bis dahin, wo er Occa verlassen. Ein Druck gegen die schwere Bohlentür, sie gab nach. Aber siehe da – durch die Dicke der Mauer von dem Holzwerk getrennt, wurde der Raum noch durch eine Reihe sich kreuzender Eisenstangen verschlossen, die wohl einen Durchblick gestatteten, aber jeden unwillkommenen Besuch zurückhielten. Erstaunt beugte sich der Störtebecker vor. Mitten in der kahlen Schlafkammer, nur spärlich von einem niedrigen Öllämpchen erhellt, fand der unruhige Blick des Seefahrers sofort jene weiße Gestalt, die ihn hierhergelockt. Sie hatte den Mantel abgeworfen, und ihre Arme schimmerten den Strahl der Leuchte in einem unbestimmten seidigen Glänze wieder. Ein seltsames Lächeln, halb bänglich, halb voll Neugier, lief um den Mund der Einsamen, als sie nun verfolgte, wie der Eindringling ohne ein weiteres Wort zu verlieren, Schulter und Fäuste zwischen die Stangen stemmte, nur von dem einen fast selbstverständlichen Trieb beherrscht, die Sperre zu zerbrechen. Wer durfte sich auch anmaßen, Riegel und Schlösser gegen den Beschluß dieses Erderschütterers drängen zu wollen, der in seinen besten Stunden noch immer überzeugt war, daß er das Weltenschicksal auf gestrafften Armen zu den Menschen schleppe? Und jetzt? Occa stieß einen unterdrückten Schrei aus. Wirklich, das Eisen bog sich, das Keuchen des Gewalttätigen ging in ein Stöhnen über, aber im gleichen Augenblick sanken ihm auch die Fäuste wie abgeschnitten herab, und übersiedet von der Scham der Ergebnislosigkeit, preßte er sein Antlitz gegen das Gitter, um wutgeschüttelt hindurch zu flüstern:

 

»Was wolltest du von mir, du, du– – –?«

»Ich?« Da zuckte Occa schon wieder beruhigt die Achseln. »Was hätte ich mit dir zu schaffen?« gab sie aufreizend zurück. »Begib dich sittsam von hinnen, oder ich werde den Burgsassen deine Schwäche zeigen.«

Toll gemacht, führte der Störtebecker noch einen dröhnenden Hieb gegen das Eisen, aber da sich nichts als ein Summen vernehmen ließ, so versuchte es der Frauenfänger noch einmal mit List.

»Reiche mir nur ein wenig deine Hand«, schmeichelte er.

Doch auch diese Bitte fruchtete nichts, denn Occa schüttelte, ohne sich von der Stelle zu rühren, ihr schmales Haupt.

»Du Tor«, sprach sie mitleidslos, »meinst du wirklich, eine Fürstentochter beuge sich vor solchem Bettlerkönig?«

»Was sagst du?« taumelte der Schuimer erblaßt zurück, und jetzt bückte er sich und versuchte, Schaum vor den Lippen, die nahe Vergeltung bereits vor den glühenden Augen, das ganze Gestell aus den Angeln zu heben.

Ein langes rostiges Ächzen wurde hörbar. Allein die Broketochter sprach ohne Zögern weiter:

»Ja, wenn du noch ein Meerfürst wärest wie ehemals – –«

»Was dann?« rang der Einbrecher nach Luft.

Anfeuernd redete die weiße Gestalt zu dem Knienden fort: »Wenn du ferner von deiner sündhaften, widergöttlichen Armeleutetollheit ablassen, dafür aber deine Macht gebrauchen würdest, um all die kleinen Tyrannen hier zu unterjochen –«

»Was dann?« stöhnte der Störtebecker, dem die Brust zersprang.

»Ich weiß es nicht«, hielt das Weib listig inne, »ich kenne die Zukunft nicht wie mein Eheherr«, fügte es lächelnd hinzu.

Ganz nahe war sie an das Gitter gelangt, den Knienden durchschlug die Einbildung, ein paar huschende Finger hätten sein Gelock gestreift. Als er jedoch, zum Fang entschlossen, emporschnellte, da entdeckte er nur, wie Occa, nachdem sie das Lämpchen ergriffen, ohne sich umzuwenden, in ihrer Schlafkammer verschwand. Sorgsam hörte er sie noch den Schlüssel drehen.

Tiefe Nacht waltete um ihn. Sie kochte, sie brodelte, gleich einem Kessel, in den seine Gedanken geworfen waren. Er schrie nicht, er tobte nicht, er tat vielmehr etwas, was er sein Lebtag nicht getan – er erschlaffte. Beide Hände schlug er vor das Gesicht und sprach laut durch den hallenden Gang:

»Soll ich der einzig Sehende unter lauter Blinden sein? Es gelingt mir nichts mehr. Es zerbricht mir alles unter den Händen. Ich laufe nur meine Bahn, weil mich ein Wind treibt.«

Leer, ernüchtert, schweren Schrittes strebte er seiner Ruhestätte entgegen. Und ihm fiel nicht einmal auf, wie hinter der Windung des Ganges noch immer ein dünner Lichtschimmer über die Fliesen rann, und daß sein innerstes Bekenntnis nicht nur an fühllose Mauern verschwendet war. Kaum ein paar Schritte von dem Müden entfernt, dicht hinter der Kehrung, da verweilte Licinius noch immer mitten im Gang. Mit der einen Hand stützte er sich mühsam an der feucht-kalten Wand, während die andere die schwankende Fackel von sich streckte. Etwas Gestaltloses, Schreckenverbreitendes mußte vor ihm aufgestiegen sein, denn der Knabe zitterte am ganzen Leibe, und ein Schwindel ließ ihn am Boden festhaften, als müsse ihn jeder weitere Schritt in einen Abgrund stürzen.

IV

Die Zeit verbrauste wie Wein in einem Becher!

Noch einmal leuchtete sein sprichwörtliches, sein Hexenglück über dem Störtebecker, und die Mannschaften raunten, der Claus habe wieder Rats mit dem grauen Männchen gepflogen. Ein Sommerregen vergüldete die Fluren des Brokmerlandes, dergleichen auch die Eingeborenen selten gekannt, und selbst auf den ohne große Kenntnis und nur oberflächlich bestellten Ackern der Ansiedler sproßte, dünn zwar, aber doch trächtig, die neue Halmfrucht, als hätte ein unterirdisch Feuer ihre Wurzeln erwärmt. Dennoch wurden die Kolonisten der sichtbaren Hoffnung nicht froh. Aus Überfluß und Völlerei waren sie gekommen, freies, wildes Schwärmen auf dem Meer hatte ihnen leichten Erwerb gesichert und dazu noch die grausame Lust der Vergeltung an jenen Seßhaften, im bürgerlichen Recht Wohnenden, von denen sie glaubten, daß ihr angemaßtes Wohlergehen nur aus einer schweren Versündigung gegen die Armen und Unterdrückten herrühre. Und nun? Draußen hatte man Abwechslung genossen, das wilde Behagen an der rächenden Kraft, den täglich lärmenden Triumph, Keller und Truhen jener Genießer zu leeren, die früher das murrende Begehren der Dunklen und Namenlosen mit Hungertürmen und Folter beantwortet hatten. Solch rasendes Glück schenkten die Wogen. Und nun? Was erwartete die aus aller Sitte Gelösten auf den Fluren? Gott verdamme die hirnverbrannte Schwärmerei eines Tobsüchtigen, auf dem Lande ruhte nun einmal der Fluch. Was hatte man eingetauscht?

»Still – still«, zischelte der Ire Patrick O'Shallo einer Rotte von Schnittern zu, mit denen er verdrossen in einer Bodensenkung feierte, denn die Ungeübten hatten ihre Sensen zu tief in Steine und Härten des Ackers geschlagen, so daß das Werkzeug wieder einmal schartig und unbrauchbar geworden war. »Ich rate euch, laßt die herumschnüffelnde Buhldirne, das Manns-Weibsbild nichts merken. Ist ebenso besessen wie der wahnwitzige Claus. Aber sagt einmal, wozu sitzen wir hier und ersaufen im Schweiß? Was haben wir eingetauscht? Ist der Störtebecker nicht unser Zwingherr, wie keiner je vorher war? Fährt er nicht wie eine Geißel im Lande umher, schlägt er uns nicht die Buckel blutig und nötigt uns zur Fron, bis uns die Knochen krachen? Wer hat ihm die Gewalt dazu verliehen? He? Habt ihr ihm etwa die Peitsche zu solchem Dienst geflochten? He?«

»Mag ihn nit leiden«, murrte ein Fränkischer, der dem beginnenden Bauernmorden in seiner Heimat knapp entwischt war, aber das unselige Gepäck des heimlich schwelenden Aufruhrs noch immer auf verkrümmtem Rücken mit sich schleppte. »Wozu sollen wir den Zehnten steuern wie daheim? Sagt, er wolle unseren Kindern dafür neue Güter eintauschen. Wolle sich allmählich über die Erde verbreiten. Ha, ja, Kindermärle.«

»Die Schwarzröhren geben kein Lot Erde mehr hin«, schrien andere.

Als die künftige Nachkommenschaft erwähnt wurde, wallte dem Iren das Blut stoßweise in die Stirn, halb irrsinnig sprang er auf und hieb mit der Sense durch die heiße Luft, wie wenn er einen nahen Bedränger köpfen müsse.

»Schaut hin«, zeterte er, »liegen vor uns die Schiffe. So nah, so nah! Wollen wir warten, bis der Bluthund etwa uns alle eingeschaufelt hat? Weiß einen, der's uns besser schaffen könnt.« Er sah sich geheimnisvoll um. »War der dicke Wichbold erst jüngst verwichene Nacht bei mir. Ist einer von uns. Und der rät –«

»Sieh dich für«, warnte ein unterdrückter Ruf.

Erschreckt hoben die Schnitter ihre Häupter über die Erdsenkung. Dumpfer Hufschlag polterte über die Heide, zwei Reiter, der Störtebecker und sein Knabe, sprengten barhäuptig heran.

»Was faulenzt ihr hier, ihr lästerlich Volk?« rief Claus, sein Roß dicht vor dem Abfall an sich reißend, und seine schwarzen Augen sprühten ein böses Feuer. »Schämt ihr euch nicht vor den Fleißigen? Hört ihr nicht, wie die Äcker mit unzähligen Stimmen nach uns rufen? Braucht ihr stets den Striemer gleich den Stieren? – Will's euch lehren!«

Sausend fuhren die Lederriemen umher, den Franken traf's klatschend auf den vorzeitig gekrümmten Rücken. Verängstigt, gebändigt stoben die Schnitter nach allen Seiten auseinander.

Die beiden Reiter aber flogen weiter, ausgeschickten Gedanken gleich, die sich einer Welt mitteilen wollten.

***

Bind und versonnen ging der Abend über Land. Zu seinen Füßen glitzerte das Abbild der Sterne in den Moorlachen.

Um diese Stunde saß der Hebräer Isaak an seinem Herd und briet sich über dem Rost ein Stück von einer Hammellende. Während seiner ruhvollen Arbeit sang der Graulockige in tiefen Kehllauten eines jener fremdartigen, schmerzensreichen Lieder, in denen sein flüchtiger Stamm seine Sehnsucht nach den Zelten, Herden und Weinbergen längst versunkener Heimat klagt. Ab und zu aber lehnte der Sänger auch an der offenen Tür, und dann schien sein befriedigter Blick die wohlige Ruhe dieses schlummernden Bodens zu segnen.

Das Glück eines Seßhaften hing über ihm.

Da löste sich eine Gestalt aus dem Tor der Nacht. Die trat zögernd auf die Schwelle. Erst als der Fremde sich aufrichtete, erkannte der Jude das zuckende Antlitz seines Nachbarn Patrick O'Shallo.

»Ho«, rief Isaak verwundert, »was bringst du, Freund?«

Doch den anderen schien die Antwort zu bedrücken, verwirrt schielte er in die Ecken der vom Herdfeuer sprunghaft überglänzten Hütte.

»Der Geruch des Fleisches lockt mich«, entschloß er sich endlich, »hab' den Knurrhahn von Magen heut wieder nicht füttern können. Der da« – und er zeigte durch die Dunkelheit nach der fernen Brokeburg – »sprengte uns wieder bis in die Nacht in den Feldern herum.«

Der Jude überhörte den Vorwurf.

»Dann sitz nieder«, lud er den Brütenden ein, »und sei mein Gast.«

Der Ire murmelte etwas, was aber kaum einem Dank glich, und nachdem er sich auf einen Schemel hatte fallen lassen, verschlang er gierig das Fleischstück.

»Wie kommst du zu dem Bissen?« fragte er kauend und mit niedergeschlagenen Augen.

»Hab' es eingetauscht«, schmunzelte der Hebräer, am Herd hantierend. »Gegen Eier von meinem Hühnervolk.«

»Und wie kamst du zu den vielen Hühnern?« drängte Patrick weiter, indem er ein Beben überwand.

Der Jude strich befriedigt den grauen Sprenkelbart, sein sichtbares Gedeihen ließ ihn die sonst geübte Zurückhaltung vergessen.

»Hab' sie gleichfalls eingehandelt von der Brokeburg gegen Anis und Leinsamen aus meinem Würzgärtlein. Man kennt hierzuland die Kräuterzucht nur übel. – Aber nun iß, Freund«, setzte er hinzu, als er die Augen seines Genossen grün glimmend auf sich gerichtet fühlte. Unwillkürlich ergriff er einen Holzspan und schürte ihn auf dem Herde, damit es heller würde.

Gequält sah sich der Ire um, er rückte hin und her, als ob er am liebsten von dannen stürzen möchte.

»Was ist dir?« erkundigte sich Isaak, aufmerksam werdend.

In diesem Augenblick drang erst ein Schnaufen und dann ein markiges Brüllen aus dem nahen Stall herüber. Die Wände der Hütte zitterten davon. Da wurde Patrick O'Shallo noch bleicher als bisher.

»Sind das die Stiere?« stammelte er, unfähig seinen Aufruhr noch länger zu beherrschen. »Sind sie von dem Zugvieh, das man auf der Brokeburg für uns gekauft hat, damit wir unser Korn in das Dreschlager schaffen?«

Fast bettelnd hob er seine Hand, denn der Verstörte wollte von sich abhalten, was ihm das zerfressene Gemüt noch ärger vergiften könnte.

Und jetzt begriff auch der Hebräer den Zustand seines Gefährten. Kurz und verschlossen suchte er den bösen Sinn des Iren von sich abzulenken.

»Laß gut sein«, beruhigte er, indem er abgewandt in einem Breikessel herumrührte, »man lieh mir die Tiere vor euch anderen, weil meine Garben lange gebunden liegen und weil meine Ernte wider Erwarten reichlich ausfiel.«

»Und meine armseligen Büschel versengen und verdorren derweil. Hab' denselben Boden wie du, kann aber nichts rauswirtschaften. Sogar, wenn ich wollte.«

In die Augen des Burschen drang wieder jenes merkwürdige Schielen. Angewidert schleuderte er einen Knochen, an dem er noch nagte, in die Ecke.

»Wirst eine wohlgefüllte Scheuer haben, wenn erst die Gazelle des Morgenlandes in dein fruchtbar Bett geschlüpft ist«, holte er wie in einem heiseren Schluchzen aus sich heraus, »wann wird's sein, du maienblütiger Bräutigam?«

»Was ficht's dich an?« schnitt der Jude verdrossen ab und sah nach der Tür. »Dank dem Großen auf der Brokeburg ist jeder Herr in seinen vier Pfählen. Kann tun und lassen, was mir beliebt.«

 

Jetzt sprang Patrick auf und griff sich an die Kehle, um sich wenigstens einen einzigen Atemzug zu schaffen. Ein verstörtes wahnwitziges Gelächter warf er aus:

»Recht – recht, sind Freie. Unter Peitsche und Stockprügel, Freie. Heißa, geht uns wohl im Gelobten Land. Hab' Dank, Isaak, daß du mich daran erinnerst. Man soll's nie vergessen. Nie. Hab' Dank.«

Damit sprang der Gereizte aus der Tür. Sein Wirt wollte ihm die Hand reichen, der Ire aber war schon halsüber in den sich hebenden Nebeln verschwunden.

Kopfschüttelnd legte der Hebräer beide Querbalken vor den geschlossenen Eingang.

***

Bis zum Morgengrauen kletterte die Flamme den blassen Sternen entgegen, dann war die Hütte ein Aschenhaufe, und der Frühwind fegte verkohlten Staub über die verloderten Reste der Garben. Gerippe von Mensch und Tier zerfielen in den mütterlichen Boden.

An der Spitze einer Schar von Ansiedlern, die den Tollwütigen, mit seiner Tat Prahlenden eingefangen, eilte Licinius, stumm, in innerster Seele zerrüttet, vor denjenigen, der die Geschicke so vieler Sterblicher zu ordnen sich unterfangen hatte.

Eine rote Frühsonne hatte sich eben aus den Farbenstrudeln des Meeres gelöst und überglühte nun den Burghof sowie den Wipfel einer mächtigen Linde mit tiefem, mildem Feuer. Auch um die Stirn des Störtebecker legte sie einen blutigen Reif, denn Claus saß auf der den Baumstamm umgürtenden Steinbank, hatte beide Ellenbogen auf die rohe Tischplatte gestützt, und nun prüfte er ungläubig, fremd, verständnislos die schwarzen Bänder sowie das schwarze Siegel einer Briefrolle, die ihn auf unerklärliche Weise auf dieser Platte erwartet hatte. Niemand wollte sie gebracht haben, keiner wußte etwas von der Botschaft. Je öfter jedoch der Riese die wenigen ungeschickt geschriebenen Worte des Sendschreibens überflog, desto heftiger wallte ihm das Herz, und desto stürmischer wurde sein Wille zerrissen.

Da stand mit den großen, wohlbekannten Buchstaben des Gödeke Michael:

»Mein Bruder! Hätte schwerlich vermeint, ich würde Dich jemals brauchen. Steht aber übel um mein Sach. Hamburger und Dänen, bei denen mir alleweil eine gar fette Rechnung angekreidet, halten mich itzt in der Helgoländer Bucht umzingelt, so eng, daß auch nicht ein Mäuslein aus meinen Schiffen entspringen mag. Leiden zudem Hunger, und der Durst plagt uns. Darum Claus, so Dir noch das Herz für die alten Freunde schlägt, zögere nicht und tu, was du kannst. Ist ein gar bös Ding, wenn später die Reu quält. Geht hier eben um Leben und Tod und doch auch um die Sach des gemeinen Mannes. Und ist mir der Sperling in der Hand noch immer lieber als die Taube auf dem Dach. Bedenke dies wohl, mein Bruder, zumeist aber, daß wir Rächer nur ein Kostbares hüten, die Treue wider einander.

Geschrieben auf der fliegenden Burg zu Mariä Himmelfahrt.

Gödeke Michael.«

Einen hallenden Schrei stieß der Admiral aus, nachdem er endlich, seiner merkwürdigen Betäubung entrissen, den ganzen Ernst dieses Schicksalsrufes ermessen hatte. Geschnellt flog er empor und warf ohne Bedenken die Rechte gegen die abgetakelten Schiffe im Hafen, als vermöchte sein herrischer Wink allein jene Herde um sich zu sammeln, die Schar Wildvögel, mit denen er ungesäumt davonstoßen wollte, zu Rettung, zu Hilfe. Allein noch während der Wendung seines Hauptes verstrickte sich sein Blick mit der rot angestrahlten Ebene, auf der sich eben das Menschenwirken, die Arbeit zu regen begann, die er selbst zwischen die ungern empfangenden Schollen gesenkt. Jetzt sproßte sie, unwillig zwar und widerstrebend, nur seinem harten, zugleich mitleidigen und mitleidslosen Willen gehorchend, zum Licht. Schwer sank ihm der eben erhobene Arm herab, denn die Gedanken dieses Mächtigen fielen sich gegenseitig an, ein inneres Streiten und Ringen erhob sich, zu auflösend und vernichtend, um in der Brust auch eines eisernen Mannes ausgefochten zu werden. Unter einem schmerzlichen Stöhnen griff er sich an das Lederwams und schob es hin und her.

Einen Ausweg – einen Ausweg!

»Freund, Bruder, Wohltäter«, hörte er, von sich losgelöst, seine Stimme über das trennende Meer rufen. »Bist ja ein Teil von mir selbst, kann dich nicht missen, darf nicht dulden, daß die Ungraden und Schelme deiner Mannheit die Waage aus der Hand schlagen. Bei allem, was uns heilig dünkt, kannst auf mich zählen, Gödeke, denn ich will dreinfahren, wuchtig, fröhlich, wie du's mich gelehrt hast.« All dies beteuerte der Claus von ehemals, der noch nicht gebunden war an eine verpflichtende Aufgabe, sondern durch die Welt geweht wurde, wohin ihn Wind oder Zufall gerade schlugen. Aber in jenes heiße Gelübde jauchzte auch die erlöste Begeisterung der dort unten auf dem rauhen Boden Fronenden hinein, die er erwählt hatte, um das bejahrte Erdenleid für sich und künftige Geschlechter einzuschaufeln, erwählt, obwohl sie in ihrer Dumpfheit, wie er wohl wußte, nichts Köstlicheres ersehnten, als Pflug und Hacke fortschleudern zu dürfen, um ihr altes Streiferdasein neu zu beginnen.

Wie, wenn er sie selbst auf die gefährlichen Planken führte? Eins blieb gewiß, niemals mehr würde er dann die Unbändigen auf jene verlassenen Äcker der Mühe und Plage lenken können, halbvollendet blieb das Bild, das er mit Blut und Erde gemalt, zermürben würde es und vergilben und den Beschauern allmählich ein Abscheu sein. Und der Befehlshaber, dessen Entschlußkraft sprichwörtlich war, umklammerte den Stamm der Linde und versuchte ihn mit seiner mächtigen Kraft zu schütteln, als vermöchte die Krone guten Rat herabzustreuen.

Einen Ausweg – einen Ausweg!

Da zog die Schar der Ansiedler gerade in den Burghof, und der Hinstarrende erkannte, wie ein wüster, beschmutzter Bursch in ihrer Mitte geführt wurde, die Hände gebunden und die spitzen Augen frech, unbotmäßig und voller Auflehnung gegen den Einsamen unter dem Baum gerichtet.

Schwer, wie gezogen, ließ sich der Admiral bei dem Anblick auf die Steinbank nieder. Die anderen traten vor ihn. Allen voran Licinius, der sich matt, verstört, flügellahm vor dem Gebieter niederwarf. Ratlosigkeit sprach sich in der befremdlichen Gebärde aus, doch auch das unerschütterlich Gemeinsame ihres glücksuchenden Fluges.

Jetzt waren sie beide zur Erde gestürzt. Den Störtebecker zwar erquickte die Berührung, denn nur von dieser Welt erpreßte er alle seine Freuden. Besonnen stopfte er das Pergament in sein Wams, und es war ein eigenes, unheilverkündendes Lächeln, das sein Gesicht veränderte, als Licinius endlich seinen Bericht mit der Klage vollendete:

»Herr, so hat denn der alte Fluch auch dein Reich der Brüder getroffen. Kain hat Abel erschlagen.«

»Warum tatest du das?« fragte Claus, nachdem man den Iren bis dicht an den Sitz des Admirals geschleppt hatte, und seine heisere, fast flüsternde Stimme erregte den Hörern ein viel nachhaltigeres Grauen, als wenn der Gefürchtete getobt und gewütet hätte. »Sage mir, warum tatest du das, Patrick? Eignete dir nicht ebensoviel Land wie jedem deiner Gefährten? Erhieltest du nicht dasselbe Werkzeug, die gleiche Nahrung? Gab ich dir nicht alles, was du brauchtest?«

»Du?« gellte der Ire und schlug sich mit den gefesselten Händen vor die Stirn. Jetzt schon erkannte man, daß die Flammen, die er entzündet, in seinem eigenen Hirn weiterknisterten, und daß es grünliche Funken des Wahnwitzes seien, die er von sich sprühte. »Du hier in deinem Schloß? Du in Samt und Seide? Bei Buhldirnen und Völlerei? Du? Du? Möchtest du nicht ein Fürst sein? Hast du dir die Tollheit nicht allein zu dem Zwecke ausgeklügelt, damit aus unserer Haut ein Purpurmantel für dich geschneidert würde? Du Vaterlos – du Fischerbastard, du geißelst uns die Rücken blutig, damit unser Schweiß für dich Wein werde!? Sag, wann hast du jemals selbst die Hacke zur Hand genommen, gesenst oder den Pflug geführt? Weißt du, was Hunger und Frost ist? Und vor allen Dingen laß doch vernehmen, warum du nicht tagaus, tagein in unseren Reihen stehst, um all die Freuden deiner Gaukelei am eigenen Leib zu spüren?«