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Claus Störtebecker

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»Hochwürdiger Vater«, tastete sie vorsichtig, denn das Herz schlug ihr, da sie sich mit jedem Wort vor dem Klugen zu verraten wähnte, »Ihr meintet vorhin, daß man auch auf das Drohen und Wüten von Aufrührern und Empörern lauschen solle. Sagt mir, glaubt Ihr wirklich, solche Ausgestoßenen und Verdammten, die die Welt mit Greueln füllen, sie könnten jemals zum Guten gesendet sein?«

Abt Franziskus setzte seinen Becher nieder, und seine sprechenden Augen schienen tiefer in seine Gefährtin einzudringen, als ihr angenehm war. Dann fragte er bestimmt:

»Sage mir, mein Kind, denkst du an einen Lebenden?«

Da zuckte wieder diese schreckliche Angst in ihr auf, von der sie verzehrt wurde. Erblassend senkte sie das blonde Haupt, und während sie emsig auf dem weißen Linnen herumstrich, da suchte die Gräfin sich der drohenden Beichte durch eine Ausflucht zu entziehen.

»Die Erde ist jetzt voll von Gewalttat und Umsturz«, wich sie unsicher aus, »man weiß oft nicht mehr, welchen Pfad man wählen soll.«

Der Mönch nickte sacht. Er strebte, diese verstörte Seele zu sänftigen.

»Wohl, meine Tochter«, stimmte er mit seiner milden, tröstlichen Stimme zu. »Aber alle Pfade, die der Mensch, schreitet, sind Gottes Wege. Darin besteht eben das Wundersame dieses uns geschenkten Lebens, daß sein Teppich so bunt und voller Farben prangt. Der Ewige verkündet seinen Willen nicht nur aus eines einzigen Menschen Mund, sondern gerade im Widerstreit der vielen feindlichen Stimmen will er sich offenbaren. Wer von uns schwankem Rohrgeschlecht darf behaupten, ich allein habe die Wahrheit? »Wo ist Wahrheit?« fragt Pilatus noch immer.«

Sinnend senkte der Mönch sein Haupt auf die Brust, rückte seinen Armsessel herum, und die ersterbende Glut des Kamins warf Flammenspritzer auf die sich stark verbreitende Tonsur des Alten und erreichte auch seine noch dunkelblonden Haarbüschel.

»Sieh«, verlor er sich in das Springen und Laufen der Funken zu seinen Füßen, »auf meiner Heimatinsel Rügen, da kannte ich vor mehr als einem Jahrzehnt einen Knaben, ein Kind adliger Gewalt, dem groß Unrecht geschehen. Dieser taumelte wie trunken zwischen Hölle und Himmel, als sei er ein Spiegelbild oder der Schatten der ganzen leidenden Menschheit. Und ich weiß, er rang redlich mit seiner düsteren, grimmigen, lechzenden Leidenschaft nach Wahrheit und Segen, nicht für sich, sondern für die vom Leben Vergessenen und Verfluchten. Aber dann – ehe er das gefunden, was nur einem vorausschauenden Gott beschieden sein kann, verschlang den Ungerüsteten, Unvorbereiteten bereits die Woge der tollen Zeit, und nur ein Gerücht meldete noch von ihm, daß er ein Mächtiger unter den Gesetzlosen und Ausgestoßenen geworden sei. Ich habe ihn liebgehabt, und liebend gedenke ich heute noch seiner, weil ich ahne, daß er selbst in seiner jetzigen Gestalt ruhelos, wenn auch auf wirren, verworrenen Pfaden dem Wolkengebild der Wahrheit nachjagt. Wo ist Wahrheit?«

Wehmütig lächelnd schwieg der Abt und streckte seine feinen durchsichtigen Hände näher gegen das Feuer aus. So gewahrte er nicht, daß seine Gefährtin von seiner Erinnerung getroffen war, als habe sie eine Faust vor die Brust geschlagen. Atemlos und völlig unvermögend, den Sturm, der sie rüttelte, noch länger zu bestehen, hing das blasse Weib ihre erschreckten Augen an den Mönch und gab sich keine Mühe mehr, sich zu verstellen.

»War das der Störtebecker?« fügte sie mühsam aneinander.

Der geistliche Herr aber, ohne sich scheinbar über den verdächtigen Ton zu wundern oder an dem Zusammenhang deuteln zu wollen, schüttelte leise das Haupt.

»Ich weiß es nicht. Mein junger Freund führte wohl einen ähnlichen Namen, aber vieles, was man von dem Freibeuterfahrer im Volke erzählt, widerspricht doch gar zu sehr meinem jugendlichen Bilde. Zum Beispiel seine ausschweifende Trunksucht oder die kalte Gleichgültigkeit gegen Rechte und Leben einzelner. Nein, nein, diese helle Jünglingsgestalt habe ich, so wie sie war, in meinem Gemüt bestattet und einen Segen darüber gesprochen. Gebe Gott, daß aus der Gruft nicht ein anderer Mann auferstehe.«

Damit versank der Mönch in erneutes Grübeln und ließ Linda Zeit, sich notdürftig zu fassen. Unruhig blickte sich die Gräfin in dem kahlen Räume um, sie zählte die Windstöße, die um die Mauern heulten, und als irgendwo auf den Fluren ein Tritt laut wurde, da ertappte sie sich dabei, wie sie alle Verstecke und Schlupfwinkel des alten Meerkastells durchstöberte, um sich womöglich dort zu verbergen. Ihr ererbter nordischer Wikingermut war gänzlich von ihr gewichen. Plötzlich erhob sie sich. Ihre Brust ging schneller als sonst. Auch ihr Gast wurde aufmerksam. »Ich wünschte, ich könnte Euch morgen in die Stadt folgen, hochwürdiger Vater«, überwand das Mädchen einen sie überfliegenden Schauer, und dabei schritt sie in die Ausbuchtung, wo sie die kleine Ampel an sich zog. »In dem finsteren Gemäuer hier ist's schlimm. Überall springen Gestalten aus den Wänden, die mir zurufen, ohne daß ich darauf eine Antwort wüßte. Es sind Ausgeburten der Einsamkeit, und ich habe keine Hilfe gegen sie als Schlaf und Gebet.«

»Und ein heiteres, tätiges Frauenwerk, wie es den Müttern ziemt«, schaltete der Abt sanft ein, der geräuschlos seinen Sitz verlassen hatte und nun teilnehmend vor ihr stand. Sachte hob er die Rechte gegen das müde Licht, so daß das rinnende Blut in seinen Fingern zu schimmern begann. »Alte Hausweisheit«, erinnerte er mahnend. »Sorge für Gatten und Nachkommenschaft erschließt den Jungweibern ihre eigene Seele. Alles davor ist Traum und Umweg. Aber nun – ich will mir nicht mehr von dir anmaßen, als du mir selbst gibst –, nun sei Friede über dir diese Nacht.«

Er wandte sich, und die Gräfin folgte ihm, die Leuchte in der erhobenen Rechten. Vor den Schreitenden glitten schwarze Schatten über die rohen Kiefernwände, aus dem Holz beugten sich undeutliche, verzerrte Gebilde und griffen nach ihnen. Der Mönch öffnete gerade die Pforte, als die beiden wie auf Verabredung innehielten. Jeder las in den Zügen des Gefährten, ob auch der andere diesen hellen Schrei aufgefangen, jenes hemmungslos tierische Kreischen, das aus dem Pfeifen des Windes mit schriller Verzweiflung herausgellte, um gleich darauf wieder in dem langgezogenen Winseln zu verschwinden.

Linda zitterte, und doch lächelte sie matt.

»Eulen«, erklärte sie, »sie horsten oben auf den Türmen und fliegen jetzt aus. Es sind meine Haustiere«, wollte sie noch mit trübem Spott hinzusetzen, ohne sich doch selbst dem Glauben an ihre Worte hingeben zu können.

In diesem Augenblick donnerte durch das Gebäude ein kurzes, scharfes Krachen. Ein Schlag schien die Steine aus den Mauern zu reißen, die Dielen wankten, selbst auf dem Tisch klirrte das Metallgeschirr einen singenden Ton. Ungläubig, verängstet hielt sich der Mönch an dem Pfosten zwischen Saal und dunklem Gang fest, sein verblaßtes Antlitz aber war der Gräfin zugekehrt, als erhoffe er auch für dieses herzumwendende Toben eine tröstliche Deutung. Und Linda, obwohl ihr Herz in der Erwartung nahen Unheils wie zwischen Eisstücken geschichtet lag, sprach in unnatürlicher Ruhe:

»Der Sturm sprengt die Torangeln. Aber da du hier bist, Vater, wird Gott bei uns sein.«

So standen sie eine Weile, und da sich nichts weiter rührte, so begannen sie einander ihren Kleinmut fortzulächeln. Aber seltsam, warum verharrten sie noch immer, um auf einen einzelnen Schritt zu lauschen, der sich langsam, schwer und wuchtig in den langen Gängen vor dem Saal verkündete? Es war natürlich einer der Knechte, der das Licht zu löschen kam. Nur hätte er schneller nahen können, dienstfertiger; gleichviel – – – – worauf warteten sie noch? Gemessen drehte sich die große Eingangstür in ihren Angeln, und dann – in dem Saal wurde es still, als ob der Tod eingetreten wäre. Wirklichkeit und Wahnsinn tanzten miteinander. Keiner wagte auch nur durch einen Luftzug zu verraten, daß hier noch Sinn für die gewöhnliche Ordnung der Dinge atmete.

Auf der Schwelle ragte ein übergroßer Mensch, in einen nassen, schwarzen Mantel gehüllt, die Lederkappe zerbeult in die Stirn gedrückt. Gleichgültig schickte der Eindringling einen raschen Blick in dem Raum umher, dann schritt er ohne Eile, wie ein Bewohner des Hauses, auf die Tafel zu, schleuderte Mantel und Mütze mitten auf den Estrich und warf sich selbst in einen der leeren Sessel. Den Tisch, der ihn beengte, stieß er krachend mit dem Fuß beiseite.

»Schafft Wein und Speise«, befahl er den beiden Leblosen, und als sich die Gebannten nicht regten, stieß er ein kurzes Gelächter aus, ein Helles, wohlklingendes Lachen, und winkte lässig. »Ihr da, zeigt fröhliche Gesichter – was steht ihr und haltet Maulaffen feil? – Eilt euch, ihr seid geladen!«

Da rann Leben in die beiden Entsetzensstarren zurück, fieberndes, beißendes Blut, und während die Hausherrin sich gegen den Pfosten lehnte, um die Hand gegen die Erscheinung auszustrecken, als hätte sie dadurch die Macht, diesen wahnwitzigen, wohl nur aus vergifteten Gedanken aufgestiegenen Spuk wieder zu verscheuchen, da wankte der Abt etwas weiter in den Saal hinein, entschlossen, seine geistliche Würde gegen den Niederbruch aller Sitten zu setzen.

»Wer bist du?« rief er, indem er sein Zittern überwand. »Im Namen Gottes und seiner unverbrüchlichen Gebote frage ich dich, was du vorhast und wer du bist?«

Die Stimme verstärkte sich, je kräftiger der Sprecher den Widerhall von den Wänden zurückempfing. Auf den hochgewachsenen, schlanken Eindringling jedoch schien sie jede Wirkung zu verfehlen. Das Bellen eines kleinen Hündchens hätte ihn nicht weniger behelligen können. Der Schein der Unschlittkerzen von dem Rundreifen umflackerte ihn, wie er jetzt den ungeheuren Weinhumpen an sich riß, um ihn ohne Umstände mit beiden Fäusten an seine erhobenen Lippen zu führen. Durstig schluckte er den übriggebliebenen Trank, es war eher ein Stürzen zu nennen, nur daß sich zuweilen in der geleerten Höhlung dumpf und kollernd sein spöttisches Gelächter fortsetzte. Der feierliche Anruf des Conaer Abtes schien ihn höchlich zu ergötzen.

 

»Still, keine Predigt, Braunrock«, atmete er endlich auf, während er das schwere Gerät auf den Tisch krachen ließ, und dabei schob er sich, zu neuen Taten bereit, die Lederjacke zurück, so daß weite rotseidene Ärmel zum Vorschein kamen. »Gib Ruhe. – Wer soll ich sein? Ein Mensch bin ich, also ein armselig Ding, das von Gott kaum eine Spur und vom Teufel eine reiche Erbschaft miterhielt.« Er lehnte sich zurück und trommelte mit beiden Fäusten auf dem Linnen herum. »Möchtest aber lieber nach Stand und Namen herumkramen?! Komm, trink mit mir und denk inzwischen einen Witz aus, warum deiner Kumpanei der gemeine Mensch in seiner Armut und Nacktheit einen solchen Schrecken einjagt, du Nachfolger Christi.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, rückte der Fremde ungeduldig an den leeren Schüsseln, blickte hinein, dann wandte er sich und schrie ein paar Namen gegen den Eingang, als ob er eine eigene Dienerschaft mitgebracht hätte. Draußen wurde es lebhaft, man hörte eilige Tritte in den Gängen, und von unten aus den gewölbten Hallen drang undeutlich Frauenkreischen und das Geräusch von Waffen.

»Wird hier gemordet?« zitterte Vater Franziskus.

Der andere horchte gespannt und schnürte die Augenbrauen über den schwarzen Sternen fester zusammen.

»Blutvergießen«, tadelte er endlich zurücksinkend, »ist ein töricht und unnützlich Geschäft. Vernichtet und heilt nicht. Aber warum wehrt sich euer Geiz auch so hartnäckig dagegen, wenn wir darangehen, in das Erbgut von Mutter Erde nachträglich ein wenig Ordnung zu bringen?«

»Mensch, entsetzlicher«, rief der Mönch, jetzt all seinen Mut zusammenraffend, da er merkte, wie in dem schmalen, edel gebildeten Antlitz des Fremden sich ein grüblerischer Zug einzeichnete. »Was ersinnst du lügnerische Ausflüchte für Raub und Diebstahl?«

Der in dem Lederwams schüttelte sich leicht, als wenn ihn fröstele, trotzdem warf er plötzlich auch noch die Überjacke auf den Estrich und saß nun da in seiner rotseidenen Schecke, eine goldene Kette über der breiten Brust. Den braunlockigen Kopf stützte er nachdenklich in beide Hände.

»Keife nicht«, brachte er nach einer Weile versonnen hervor, und es war, als ob er mehr mit sich selbst spräche. »Für dieselben Streiche hast du geflennt und Gebete gejammert, wenn sie von euren Trabanten herrührten.« Er strich über die hohe Stirn und schüttelte sich wieder. »Aber darin geb ich dir recht, 's ist kein Sinn und Verstand dabei, die hübschen Goldstücke nur etwas schneller von einer Hand in die andere rollen zu lassen, wenn sie zu nichts anderem verwendet werden als zum Saufen, Huren und Prassen. Zwar auch dies ist ein gut Ding.« Wuchtig schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß die zinnernen Schüsseln in die Höhe sprangen. »Komm, bring die Dirne da mit, sie hat einen ranken Leib, und dann trinken wir uns einen Rausch darauf, daß Gott oder der Teufel eine feinere Lebensweise für ihre zweibeinigen Ebenbilder ersinne. Was gibst du mir, wenn der Gedanke schon unterwegs ist? Vielleicht wälzt er sich bereits im Hirn eines Übeltäters. Denn, halleluja, der Gedanke wenigstens braucht kein edel Haus, er wohnt überall!«

Gerade wollte sich der Rotseidene wieder herumwerfen, um sich zu überzeugen, ob seinen herausgeschrienen Befehlen endlich Folge geleistet würde, da brach die Eingangstür auseinander, und vor den fassungslosen Blicken der Hausherrin und ihres Gastes quoll ein Schwarm derber, wettergebräunter Seeleute herein. Alte und junge Männer, verdächtig anzuschauen mit ihren narbenzerrissenen Gesichtern voll Auflehnung und Zuchtlosigkeit, und alle Arme beladen mit der Ausbeute ihres wilden Handwerks. Die einen schleppten Linnenballen und silbernes Gerät mit sich, die anderen schleuderten jauchzend Schinken oder Schüsseln voll geräucherter Fische auf den Tisch, ja, ein paar junge Burschen rollten sogar ein verschimmeltes Weinfaß herein, schlugen den Spund heraus und begannen unter Flüchen und rohen Scherzen eine Kanne um die andere mit dem roten Saft zu füllen. Klatschend stürzte das köstliche Naß auf die sauberen Dielen. Es sah aus, als wäre die fessellose, an keinen Befehl gebundene Gesellschaft bereit, den Rausch ihres so leicht erworbenen Besitzes sogleich an Ort und Stelle auszukosten. Kaum aber hatten die ersten Tropfen des starken Weines ihre Lippen benetzt, da wurden sie alle von einem Freudentaumel erfaßt, die letzte Zurückhaltung ging unter. Genießen, schlürfen, fressen und saufen schien ihr einziger Zweck. Wo sie gingen und standen, fielen sie auf dem Estrich nieder, hieben die Becher gegeneinander, grölten, lachten und zankten, und mitten aus dem wüsten Braus fingen sie an, ihre Zunftlieder zu heulen. Gierige Blicke und geschwungene Humpen richteten sich gegen das Weib, das matt und müde, geschlossenen Auges an dem fernen Pfosten lehnte.

Heiser brüllten die rauhen Kehlen.

Die Jauchzer überschlugen sich, schrille Pfiffe gellten durch den Raum, die Begeisterten wälzten sich auf den Dielen, rissen und zerrten sich gegenseitig an den Frauengewändern, die viele von ihnen verkehrt über die Schulter geworfen hatten, und üble Reden flogen zu den beiden Menschen aus einer anderen Welt herüber.

Ein grausig Gelächter wurde aufgeschlagen, dann spritzte es wieder aus dem Faß, und der Wein klatschte auf die Erde. In all den Lärm hatte der Hauptmann, zu dessen Füßen sich der Knäuel verschlang, mit einem sonderbaren, erfrorenen Lächeln hineingeschaut. Nun aber schüttelte er sich erwachend, wie jemand, der angespritzten Kot von sich abschleudert, und um seinen herrischen Mund irrte ein Zug von Grausamkeit und Hohn.

»Ja, das sind meine lieben Kinder, an denen ich meine Freude habe«, sagte er mit einer biblischen Anspielung, und dabei bewegte er die Hand, als ob er die Rotte in ihrer Gesamtheit vorstellen wollte. »Sie geben sich nicht anders, als sie sind. Lug und Trug kennen sie nicht.« Und als er das ungemessene Entsetzen, den Ekel und den Abscheu in den Augen seiner beiden Gefangenen las, stieß er trotzig und voll grimmiger Rechthaberei hervor: »Folglich sind sie echt. Wer kann das in dieser falschen Welt von sich behaupten? He?«

Plötzlich riß sich der Sitzende herum, bückte sich und packte den vordersten der Gesellen unsanft an der Brust. Ein Zug, und der Stiernackige war auf die Beine gebracht. Da unterbrachen auch die anderen ihr Schlemmen, und es wurde so still und lautlos, wie es vorher wüst und unbändig gewesen.

»Wulf Wulfram«, herrschte der Anführer scharf, »was habe ich dir befohlen?«

Der herkulische Bootsmann wurde verlegen, er kratzte sich in seiner rotbraunen Schifferkrause und suchte sich, wie ein Schüler vor dem Lehrer, auf seine Aufgabe zu besinnen.

»Du sagtest, Admiral – – du sagtest – –«

»Was, Mensch?«

»Wir sollten Gold und Silber von hier zu Schiff bringen. Mehr nicht.«

»Mehr nicht! Nun wohlan, das ist deutlich. Aber, Wulf Wulflam«, und er zerrte ihn heftiger an der Brust, »lauert hinter deiner Fratze nicht noch ein ander Gelüst? He?«

Ungewiß starrte ihn der Schiffer an, allmählich erstarb sein Grinsen, und seine anfängliche Sicherheit ging in Scheu und Unterwürfigkeit über. Auch seine Genossen hielten kleinlaut mit ihrem Toben inne, scharrend erhoben sich die Seeleute und rotteten sich verstohlen um ihren Bootsmann zusammen. Lauschend streckten sie die Köpfe vor, als gäbe es nichts so Wichtiges, als das winzigste Wort ihres Führers aufzufangen.

»Herr«, suchte sich der Bootsmann in verlegenem Trotz zu verteidigen, »wir dachten – wir meinten –«, und unwirsch polterte er heraus: »Der alte Kasten hier wäre auch längst reif für den Teufel und zum Ausräuchern.«

Weiter kam er nicht. Eine Blutwelle schnellte bis in die Stirn des Admirals, mit einem erbitterten Griff zuckte er nach seinem Dolch, riß ihn vom Gürtel und preßte das haarscharfe Messer dem Erschrockenen gerade auf die Kehle. Ein lauter Schrei entfuhr den anderen, aber auch Linda und ihr Gast klammerten betäubt, schutzsuchend ihre Hände umeinander. »Du räudiger Hund«, keuchte der Rotseidene mit einer jedes Maß überlodernden Wildheit. »Meinst du, du seist der erste, den ich von meinen Kindern stillgemacht? Wir stehlen nicht, wir sammeln einen Schatz. Zu welchem Zweck, weiß ich allein. Und wehe dem – einen Strick am höchsten Mast für den, der meine Pläne stört. Hast du es dir gemerkt?«

»Wohl, Herr«, stotterte der Bootsmann bezwungen.

Ein Murmeln erhob sich unter der Schar, das Verborgene, Geheimnisvolle, das hier angedeutet wurde, oder der unerbittliche Zwang, der von diesem einen ausging, er schloß die Ausgestoßenen wieder zu einem willigen Bund. Das dunkle Gefühl ihrer Sendung packte sie abermals. Der Admiral aber winkte heftig mit der Hand, als hätte er schon zu lange mit dem Haufen geschwatzt.

»Fort – tut, was euch geheißen – und mit dem Morgengrauen sind wir von hinnen.«

Da schob sich die Rotte lärmend, in überstürztem Gedränge zur Tür hinaus, jeder froh, der Gesellschaft dieses einsamen Menschen dort drinnen überhoben zu sein. Hinter ihnen blieb nichts als die leis aufgewirbelten Stäubchen, die blau und durchsichtig zu den Lichtern emporstiegen. Der Verlassene jedoch reckte die Arme, schüttelte nach seiner Gewohnheit das eben Vergangene unbegreiflich schnell ab, und nachdem er die lockigen Haare leichtsinnig in den Nacken geworfen, beugte er sich hungrig über die ihm vorgesetzten Schüsseln. Hastig und doch ganz mit den Gebärden eines großen Herrn begann er zu tafeln. Dabei vergaß er für eine Weile völlig der beiden Zuschauer, die an der fernen Wand, eng aneinandergeschmiegt, unter Grauen und Schrecken beobachten mußten, wie oft der gewaltige Weinhumpen an die Lippen des Fremden stieg. Von Zeit zu Zeit wandte sich der Seefahrer und ließ neuen Trank in die Kanne laufen. Allein bei einer dieser Bewegungen mußten dem Eindringling endlich die zwei Schatten dort drüben an der Kiefernwand auffallen, denn er ließ das Weingefäß sinken und richtete seine schwarzen Augen mehr verwundert als in irgendeiner feindlichen Absicht auf die unfreiwilligen Zeugen seines Schmauses. Die verzerrte Bestürzung in ihren Gesichtern, die quälende Angst, mit der sie ihr Schicksal erwarteten, schienen den Zecher zu stören. Unvermutet sprang er auf, so daß alles auf der Tafel zitterte, und während er rasch auf die ihm Preisgegebenen zuschritt, empfanden diese trotz ihrer wachsenden Not das Wunder, wie geschmeidig und unangefochten der Seefahrer auch nach jenem unerhörten Trunk seinen Gang beherrschte. Kein Rausch hatte ihn unterjocht, nur die dunklen Augen waren unnatürlich erweitert und sprühten und blitzten, als ob sie in Brand geraten wären.

Jetzt stand der Hochgewachsene dicht vor ihnen, setzte die Hände in die Seiten und schlug endlich ein kurzes Gelächter auf.

»Kommt, ihr beiden Lämmer«, lud er sie ein, »nehmt das Ding, wie es ist, und steht nicht wie die armen Schindluder vor dem Henkerkarren. Muß denn Donnerwetter und Gewitter immer nur von oben kommen? Es kracht auch einmal von unten, wie euch der Feuerberg auf Island lehren sollte. Und die Anwohner glauben dann, es gäbe ein fruchtreich Jahr.« Spielend faßte er den Mönch an der Kutte. »Überdies, Hochwürdiger, wie schrieb dein Freund, der Rechtsbeuger Cicero? » Varietas delectat«, und ich setze hinzu: »Der Teufel dachte ebenso, da er Buttermilch mit der Mistgabel aß.««

Dringender zerrte er den Geistlichen an seinem Faltenrock, denn er wollte ihn zwingen, ihm an den Tisch zu folgen; der aber wich schützend vor die Gräfin zurück, und schlug plötzlich beide Hände zusammen. Ein entgeisterter, verzweifelter Blick des Erkennens brach aus den guten Augen des Alten.

»Barmherzigkeit«, flüsterte er schwach. »Claus – Claus Beckera. Du bist's, verbirg dich nicht. Auferstanden aus dem Grabe als blutige Geißel. Als ein vergiftet Saatkorn, von dem die Menschen sterben. Mann – Knabe – deine Eltern, deine Mutter – deine Jugend –«

Im Saale wurde es still. So still, daß man den feinen Streusand auf dem Estrich unter den Füßen der drei Menschen knirschen hörte. Schwelgend, unbeweglich stand der Störtebecker dem Mönche zugekehrt, und man hätte glauben können, daß er gelähmt, erschüttert sei durch das Auftauchen jener längst entschwundenen Gestalt. Allein kein Anzeichen kündete dies. Weder reichte er dem so unvermutet gefundenen Freunde die Hand, noch hieß er ihn sonst durch ein freundlich Wort willkommen. Nein, er starrte nur unverwandt in die greisen Züge, bis endlich ein tiefer Atemzug verriet, daß er aus Erinnerung und Abwesenheit zurückgekehrt sei.

 

»Es ist gut, Alter«, sagte er halb im Ton des Befehls. »Ich will dich nicht kränken, aber ich kenne dich nicht. Dich nicht, dein Vaterland nicht und vor allem nicht eure Gesetze.«

»Claus.«

»Still, nur in einem trafst du das Rechte. Auferstanden aus dem Grabe, zu einer neuen Sonne, deren Wärme du nicht mehr fühlen kannst.« Ohne eine Antwort abzuwarten, tat er einen starken Schritt auf die Gräfin zu und hob ihr Haupt gewaltsam am Kinn in die Höhe. Die Zusammengesunkenheit des Mädchens schien seinen Hohn zu reizen. »Warum zitterst du, Weib?« fragte er scharf. Spürbarer faßte er sie an, um sie heftig ins Bewußtsein zu rütteln. »Du siehst aus wie eine Heilige«, rief er wild, sich über sie beugend, »und deine Hand krampft sich um ein Kreuz. Flennst du vielleicht darüber, weil dein Hab und Gut sich zu Speise und Trank wandeln sollen für die, so nicht rein und wohlbekleidet sind wie du Gottselige?«

Da geschah etwas Seltsames.

Weit öffneten sich die blauen Augen des von einem schweren Traum befangenen Mädchens. Abwehrend streckte sie die Hände aus, als wollte sie das Grauen von sich fernhalten, allein, während sich ihr Körper in Erdenqual sträubte, da faltete eine bezwingende, eine ihr ganzes Dasein heiligende Macht ihre Finger zusammen, und über ihre Lippen drängten sich Worte der Demut und des beseligten Gehorsams, wie sie ähnliche niemals vor Altar noch Betstuhl gefunden.

»Nimm, was mein ist«, hauchte sie mit bangem entgeistertem Lächeln. »Da du gekommen bist, die Erde zu reinigen, so geschehe dein Wille.«

»Meine Tochter«, rief der Mönch, über diese fromme Anbetung entsetzt, dazwischen und griff sich verzweifelt an das betäubte Haupt, »du lästerst, du gute Seele. Erwache! In deine Augen spritzt die goldglitzernde Schlange ihr Gift. Die Verführung, die selbst getäuschte, schaut dir ins Antlitz.«

Der Störtebecker preßte plötzlich die Hand des Alten, daß der Abt laut aufschrie.

»Schwatze nicht, grauer Lügner!« fuhr er ihn an. »Meinst du, mein Wein würde schlechter, weil er in einem Mistkübel gereicht wird?«

Allein das Weib, um das der Streit ging, vernahm nichts weiter. In roten Blitzen hatte sich ihr die Vision offenbart, nach der ihre Verlassenheit Tag und Nacht gebangt. Er war da, der Ersehnte war erschienen. Ein herrlicher Mann, blutig und gebieterisch zugleich, beugte sich zu ihr herab, eine rote Wolke umschwebte ihn, und tief unter ihm hoben sich aus dem Morgengrauen tausend und aber tausend Hände, die lobpreisend nach ihm verlangten. Damit sank ihr Bewußtsein in die Knie. Nur verlöschend empfand sie noch, daß sie aufgefangen wurde und geborgen war.

Claus Störtebecker hielt den Leib der Hingestreckten in seinen Armen. Ein Blatt, das auf ihn herabgeweht war, konnte ihn nicht lastender beschweren. Aber gespannt, fieberig, hingenommen starrte er jetzt auf diese erste Seele, die er von den Zinnen der Menschheit gebrochen und die sich doch zu ihm bekannt.

In halbem Verständnis nur streichelte er ihr das blonde Haar aus den Schläfen und wandte sich erst unwillig ab, als er sich unvermutet am Arm gehindert fühlte.

»Was willst du?« wies er den Mönch zurück, der sich noch einmal an ihn gedrängt hatte, um jetzt eine schwache Bewegung zu vollführen, als wolle er die Willenlose von ihm empfangen. »Was willst du?«

»Claus«, bat Pater Franziskus, am ganzen Leibe bebend, »ich will dir vergeben. Ich will annehmen, daß meine Zeit und die deine einander nicht verstehen können. Aber hier, gegen diese Unmächtige laß mich meine Pflicht erfüllen, wie ich sie gelernt habe. Hier weiche vor meinem Amt, und ich will dich trotz allem, wie vorzeiten, segnen.«

Es war eine Stimme, die vor Seelenangst und Güte brach, aber der, den sie erweichen sollte, schüttelte hastig und finster das dunkle Haupt.

»Die ist mein«, widerstrebte er auflodernd. »Um Seelen wird nicht geschachert.«

»Claus, im Namen – – –« Der Abt taumelte und vermochte kaum noch die Rechte zu erheben. »Unglücklicher Mensch, denke daran, was deiner Mutter geschah.«

Da wirbelte ein schneidendes Gelächter aus der Brust des Seefahrers, mit einem rücksichtslosen Stoß befreite er sich von dem Alten, und während er seine Last fester an sich raffte, schritt er rasch und sicher bis zu dem dunklen Gang, wo er die Tür dröhnend hinter sich ins Schloß warf. Dann drehte er auch noch den ungefügen Schlüssel herum.

Gleich darauf hallten schwere Tritte auf dem gewundenen. endlos laufenden Flur. Nur ab und zu brach durch ein Bogenfenster wolkiges Mondlicht über die Steinfliesen, und dann konnte der Träger diese und jene Wendeltreppe unterscheiden, die mit rohem Geländergebälk in ein oberes Stockwerk leitete.

Wiederholt hatte der Gewalttätige Vorhänge zurückgeschlagen oder eine schwere Tür geöffnet, doch immer mußte er in der Dunkelheit einen der kahlen Wohnräume erkennen, wie sie solch alten Kastellen eigen.

Allmählich aber begann er sich mit den Herzschlägen des stillen Wesens, das er an sich preßte, eins zu fühlen. Eng und warm ruhte es an seiner Brust, nicht mehr als unnahbare, frostige Heilige, sondern weich und biegsam, ähnlich den unzähligen anderen, die der Unbändige nur geschaffen wähnte, um seinen Körperdurst zu stillen. Aber hier war doch etwas anderes. Mit seinen untrüglichen Nerven spürte er, daß dieses hochgeborene, verschlossene, vor allem Unsauberen schaudernde Geschöpf im Innern des Menschen, der ihr gewiß ein Räuber, ein frecher Wegelagerer sein mußte, die goldene Flamme blitzen sah, wie sie einst auf den Altären gelodert. Und dieses Feuer wollte doch aus Kot und Unrat hinauf zur Gottheit, als ein Notschrei, als eine Anklage, als ein Signal! War sie nicht vor jenem Brand verstehend, beseligt dahingesunken? So etwas hatte der Verwöhnte, der doch befehlen durfte, der Gesetze umstieß und verborgene Wünsche losband, noch nie in seinen Armen gehalten. Ein Eigentum, unlöslicher als jedes andere. Erworben, geknechtet ohne Blut noch Schwert!

Unsicherer wurde sein Schritt, schwerer seine Bürde, summend hörte er das vom Wein und Siegerbewußtsein aufgepeitschte Blut in allen Adern rauschen, und nicht gewöhnt, seinem Willen ein Hemmnis entgegenzusetzen, riß seine Rechte den dünnen Schleier vom Hals seiner Last, und sein Haupt bettete sich suchend auf die kühle Brust seines Opfers. »Mein bist du«, murmelte er, während er verworren auf den regelmäßigen Herzschlag lauschte. »Mein. Deine Welt ist mein. Was kannst du Besseres verlangen, als einzugehen in das, was du erkannt hast?«

Da stand er auch schon vor einer starken Bohlentür, er stieß sie auf, und vom hohen Kamin beleuchtete eine einsame Kerze das starke sechsfüßige Bett, einen Himmel darüber und einen schmalen, mannshohen Stuhl daneben. Und bedenkenlos, freudegeschwellt brach der Störtebecker in den Frieden dieses nie entweihten Raumes.