Grüwig das Buch

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Grüwig das Buch
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Dieses Buch ist geschrieben für Jan, Alena und Irina

Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

© 2011 Gabriela Beyeler. Alle Rechte vorbehalten.

Insbesondere das Recht auf Vervielfältigung, Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgend einer Form ohne schriftliche Genehmigung der Autorin, Gabriela Beyeler reproduziert werden oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Alle Namen im Text sind geändert.

Umschlaggestaltung: Gabriela Beyeler, Stephan Hug, Jan Beyeler, Alena Beyeler.

Website, Layout/Design, Video- und Trailer, ePub/Digitale Medien Realisierung

www.creades.ch

www.gruewig.ch

www.grüwig.ch

ISBN Nr. 978-3-8442-0010-2


Vorwort:

Dieses Buch entstand durch Anregung Zweiter. Erstmals ermutigte mich mein jetziger Chef, vor etwa acht Jahren, doch die Zeit war noch nicht reif und so gab ich nach zwei, drei Seiten auf. Den ausschlaggebenden Stoss in diese Richtung verlieh mir mein jetziger und langjähriger Lebenspartner, vor ziemlich genau drei Jahren in den Herbstferien in Italien.

Meine Motivation, meine bewegten ersten 41 Jahre meines Lebens zu erzählen war, die Geschichte für meine Kinder festzuhalten. Was ich alles erlebte und wie ich die vielen traurigen Schicksalsschläge überwand. Ein letzter Teil meiner Verarbeitung der Geschichte, vollzog sich sicherlich auch durch dieses Buch, doch war es für mich auch gleichzeitig eine Qual, immer und immer wieder gewisse Szenen aus meinem Leben zu überarbeiten und x-mal durchzulesen. Gegenwart und Vergangenheit fingen sich zeitweise sogar an zu vermischen, was mir nicht gefiel, so hatte ich doch das Buch geschrieben um endlich vergessen zu können, abzuhaken. Nun kann ich vergessen, loslassen, denn wenn mich die Kinder fragen: „Du wie war das damals….“ Dann steht „fast“ alles hier drinnen. Natürlich kann man nie alles festhalten, würde zu weit führen und doch wollte und möchte ich meinen Kindern gegenüber nichts Entscheidendes verschweigen. Ich finde es wichtig, wenn man über seine Vorfahren erfährt, wer und wie sie waren, bin aber auch der Meinung, dass ein zu identischer Vergleich, hinderlich, ja sogar ungesund für die eigene Entwicklung sein kann. Man kann nicht ohne das Wissen, aber auch nicht mit dem Wissen gut damit leben. Von unseren Vorfahren haben wir ein Rucksack voll gute Eigenschaften, wie auch belastende mitbekommen. Doch wie wir damit Leben, wie wir die Dinge darin verwenden wollen, oder ob wir überhaupt daraus schöpfen, ist allein unsere Entscheidung.

Meine persönliche Lebensgeschichte ist natürlich aus meiner Sicht erzählt, meinem Empfinden und meiner Wahrheit. Doch ich bemühte mich Personen gegenüber möglichst faktisch zu bleiben und niemanden zu verletzten, was wohl ein unmöglich Ding ist.

erster Teil

Gabriela Allenspach

Geboren im Jahre 1967 am ersten Frühlingstag.

Geboren am selben Tag wie ihr Vater, einfach 23 Jahre später. Kurt, so der Name des stolzen Vaters, brüstete sich so ein hübsches Töchterchen zum Feiertag bekommen zu haben.

Die Mutter, damals im zarten Alter von 21 Jahren, gebar mit mir ihr zweites Kind. Mein 4 Jahre älterer Bruder Philip, brachte mir beim ersten Besuch in der Blumenau Klinik in St.Gallen-Neudorf, ein paar „Sugus“ mit. Ich weiss bis heute nicht, wer sie gegessen hat! Ich kam in einer Privatklinik auf die Welt, weil mein Vater unbedingt dabei sein wollte, was derzeit ungewöhnlich war. Er unterstützte meine Mutter mit aufmunternden Worten und massierte ihren schmerzenden Rücken. Meines Wissens hat er ihre Lachgasdosis auf eigenes Ermessen erhöht und natürlich alle Geräte in diesem Raum auf das Genauste untersucht. Nach Aussage meiner Mutter, empfand sie meine Geburt als sehr angenehm, im Vergleich zur ersten, was mich nun selbst als Mutter sehr erfreut. Der Name dieser jungen und nun zweifachen Mutter ist Ester Allenspach, geborene Nobel. Ihr Vater betonte immer, wenn es um die Herkunft des Namens Nobel ging, dass seine Abstammung nicht von dem Fahrenden Zweig herrühre.

Dieser Gedanke amüsiert mich, weil ich eine so scheint mir doch etwas unruhige Seele besitze, woher auch immer.

Ester und Kurt haben zeitig geheiratet, als sie erkannten, dass da ein Kind heranwächst. Doch vor der Entscheidung zu heiraten, haderte die junge Frau mit ihrer zweiten ungewollten Schwangerschaft, denn man kann sich vorstellen, dass es damals einer Katastrophe gleichkam, wenn man gleich zwei uneheliche Kinder geboren hätte. Darum verwendete sie verschiedenste Mittel um mich loszuwerden. Als die damaligen „Geheimmittelchen“ nichts halfen, jedoch vorgängig ihren Freundinnen schon, war sie der Verzweiflung nahe und griff zum unüblichen Pulver „Weisser Wirbelwind“. Das ist ein Reinigungsmittel, wie du richtig vermutest und wurde über längere Zeit zu meinem Kosenamen. Es hat, wie man sich denken kann, nicht die erhoffte Wirkung gezeigt, dafür musste sie dann körperlich etwas leiden, was ich als ausgleichende Gerechtigkeit empfinde.

Heute lachen wir darüber, über so viel Unwissenheit und Mut. Ich behaupte, dass das der konträrste Punkt zwischen uns ist, wie wir umgehen mit unserem eigenen Körper und unseren Gefühlen.

Geliebt und mit nach Hause genommen, lag ich als Kindlein in meinem süssen weiss-rosa Stubenwagen. Nachts, aus welchen Gründen auch immer, nicht schlafend, sondern brüllend, trieb ich den Erfindergeist meines Vaters an. Er entwickelte ein batteriebetriebenes Motörchen, das den Stubenwagen vor und zurückschob. Doch so genial die Erfindung auch sein mochte, es ruckte dem kleinen Geschöpf zu arg. Wie James Bond zu sagen pflegt: “..gerührt und nicht geschüttelt“.

Meine Mutter wollte mich Gabi taufen, doch das war nicht möglich, weil früher Kosenamen nicht anerkannt wurden. Mit diesem Wissen tauften sie mich Gabriela und nannten mich Gabi. Ich wuchs die ersten 5 Jahre in Goldach auf, wobei wir die ersten Monate noch in St. Gallen wohnten.

Erinnerungen an Goldach

Woran ich mich gut erinnern kann, ist der riesige, in U-Form gebaute Wohnblock gegenüber dem Bahnhof Goldach. Unten eingemietet war die Post und daneben der Coop. Gleich neben dem Block befanden sich die Postautohaltestellen, die Zuggeleise und der Bahnhof. An die Wohnung selbst, kann ich mir nur noch teilweise erinnern, eigentlich nur noch an die Küche und an das Wohnzimmer und den Blick aus jenen Fenstern. Im Treppenhaus, sprich an den oft benutzten Lift, erinnere ich mich sehr wohl. Draussen vor dem Coop-Laden, stand ein elektronisches Pferd und ich ritt darauf regelmässig mit meinem „Schlunggi“, ohne Geldeinwurf versteht sich, denn das brauchte meine Fantasie nicht. Mein „Schlunggi“ war fast so gross wie ich und darum auch mein bester Kumpel. Erst viel später erfuhr ich, dass er ein Seeräuber war. Ich hingegen dachte bis zu jenem Zeitpunkt er wäre ein Clown. Seine Augenklappe schien mir nicht aufgefallen zu sein, nur seine roten Haare. Der Spielplatz hinter dem grossen Wohnblock war ebenfalls ein beliebter Ort von mir. Begehrt war die rot bemalte Holzschaukel, aufgehängt an Eisenketten. Dem Bericht meiner Mutter zufolge, verliess ich diese Schaukel kaum. Nicht einmal als ich „gross“ musste, zum Ärger der Hausabwartin. Im Sandkasten machte ich die erste Bekanntschaft mit einem Mädchen, das mir nicht positiv gesinnt war. Ich bekam von ihr eine Portion Sand an den Kopf geworfen und schmeckte im Mund dessen hässlichen Geschmack und das Kratzen in den Augen tat schrecklich weh. Weinend lief ich zur Mutter. Sie nahm mich bei der Hand und wir gingen zum Tatort. Das Mädchen mit Unschuldsmiene am Sandkuchen backen, wurde von Mutters Hand desgleichen mit Sand beworfen. Ich sah sie weinend über den Zaun steigen und zu ihrem Elternhaus laufen. Was meine Mutter als rechtens und Genugtuung empfand, war für mich selbst nicht sehr hilfreich, wie es sich viel später in meiner Zukunft zeigte.

Ich stahl die Flugzeugbildchen meines Bruders, die er von den Kaugummipäckchen gesammelt hatte und tauschte sie ein, gegen mir nützliche Dinge, wie zum Beispiel Murmeln. Ich kommunizierte von Balkon zu Balkon mit dem italienisch sprechenden Nachbarsjungen und tauschte mit ihm Autos von meinem Bruder. Er gab mir alte und ich ihm neue. Zu dieser Zeit musste mein kleiner Bruder Sascha zur Welt gekommen sein. Ich kann mich nicht mehr bewusst daran erinnern. Aber erinnern kann ich mich noch ganz genau an mein erstes Velo, das ich von meinem Opa Paul zu Weihnachten bekommen hatte. Es war weiss mit einer blauen Hupe und Stützrädern. Philip, sein Freund Bruno Knellwolf und ich, kurvten in der Tiefgarage umher, das war abenteuerlich. In der Post spielten wir Verstecken in den Postsäcken. Ich kam da weder allein hinein noch hinaus, gut haben die beiden mich nie vergessen. Ich glaubte damals zu wissen, wie man sich am Besten einen Mann angelt, nämlich lauernd vor dem Coop, weil ein jeder Mensch mal irgendwann einkaufen gehen muss. Meine Mutter erzählte mir, dass ich damals unerlaubt den Laden von innen betrachtete und sie mich nach langem Suchen fand, mit einem mit Süssigkeiten gefüllten Einkaufswagen. Zu meinem heutigen Erstaunen befanden sich auch etliche Panetonekuchen darunter. Peinliches Erleben war, als ich mit Röckchen draussen spielend feststellte, dass ich keine Unterwäsche trug und sich darum der Stein auf dem ich sass so schrecklich kalt anfühlte. Ebenfalls peinlich war, wie mich meine Mutter für die Fasnachtsparty im Kindergarten schminkte. Sie kleidete mich als Frau und schminkte mich, als hätte ich nur knapp eine Schlägerei überlebt. Philip, der auf demselben Weg zur Schule war, hatte so seine Mühe mich zu überzeugen die letzten 20 Meter zu gehen um mich so zu zeigen wie ich aussah.

 

Meine Mutter ist Coiffeuse und damals empfing sie in unserer Wohnung so manche Kundin. Ich habe die Zeit genutzt, der Tochter einer solchen Kundin das Gesicht einzucremen, was sich sehr bald als ungünstig erwies, weil die verwendete Creme leider Zahnpasta war. Eines Tages lag ich krank im Bett. Der Onkel Doktor kam ins Haus und sie wollten mich im Badezimmer mit einer riesigen, schwarzen Tablette umbringen, denn sie bestanden alle darauf, dass ich das riesige Ding zu schlucken hätte. Bis zum heutigen Tag kann ich keine Tabletten schlucken, ausser sie sind winzig. Der Hund meiner Oma Emma schnappte mich während des Streichelns in mein Gesicht. Wütend und traurig zugleich, lag ich im Bett mit einem riesigem Pflaster auf meiner Gesichtsbacke, nur gut das der Biss keine bleibenden optischen Spuren hinterliess.

Ich habe natürlich auch schöne Erinnerungen an diese Zeit. Nie vergessen werde ich, als mein Vater mir einen weiss gepunkteten, roten Ball schenkte, den er mir in der gegenüberliegenden Drogerie kaufte. Zu den bleibenden und intensivsten Momenten gehörten die Blicke aus den Küchen- und Wohnzimmerfenstern, aus denen ich oft die Schwalben fliegen sah. Stolz brachte ich einen Marienkäfer mit nach Hause, mein erstes, eigenes Haustier, das ich selbst gepflückt hatte. Nach einigen Tagen wunderte ich mich, dass er nicht mehr in seinem Konfitürenglas hauste. Erstaunt war ich auch, als ich in einem Stück „Sagex“ zufällig ein Briefchen Streichhölzer fand, das auf unserem Balkon lag. Jahrelang dachte ich, das sei normal und machte ab und zu Kontrollzerstückelungen, in der Hoffnung irgendeine Überraschung zu finden. In der Küche hing ein Teppich an der Wand, auf dem zwei Pferde abgebildet waren, die unter funkelndem Sternenhimmel durch die Wüste galoppierten. Auf dem hinteren Pferd ritten ein Mann mit Säbel und Turban und eine Frau mit Schleier. Für mich sah die Frau aus wie eine Prinzessin. Auf dem vorderen Pferd sass ein Mann, ebenfalls mit Säbel und Turban. Klar war auch, dass die drei sich auf der Flucht befanden.

Ich glaube zu wissen, dass solche Bilder uns ein Leben lang in Erinnerung bleiben.

Umzug nach Schönengrund-Wald

Keinerlei Erinnerungen an den Umzug nach Schönengrund in die „Sonne“. Wir bewohnten in diesem grossen Hotel die Wohnung über einem Saal, der sich gleich neben dem Restaurant befand. Am ersten und auch an den folgenden Silvestern konnten wir kaum schlafen, wegen des Lärms, der Musik und den lauten Gästen. Mein Grossvater Johann, mein Onkel Urs und mein Vater musizierten für die Campinggäste. Zu Anfang teilte ich mein Zimmer mit Philip oder umgekehrt, doch nicht lange, denn meinem Bruder gefiel mein allabendliches Singen nicht. Auf seinen Protest hin bekam ich ein eigenes Zimmer. Dort konnte ich ungestört „Trio Eugster“ hören und fröhlich mitsingen, wofür ich mich heute schäme. An diese Wohnung, nein an das ganze Gebäude, kann ich mich sehr gut erinnern. Irgendwann bekamen wir eine Schäferhündin, die wir Asta tauften, denn Whisky, ihr eigentlicher Name schien doch irgendwie abwertend und wenig passend für eine Hündin. Eines Nachts musste mein Vater noch dringend zur Post und nahm Asta mit. Auf dem Weg dorthin wurde sie unglücklicherweise von einem Auto angefahren, weil sie einer Katze hinterher jagen wollte. Für meinen Bruder Philip und meine Eltern war das ein trauriger Verlust, doch so merkwürdig es klingen mag, ich kann mich kaum daran erinnern und kann diesem Erlebnis keinerlei Gefühle zuordnen.

Das Hotel in dem wir wohnten gehörte meinen Grosseltern Emma und Johann. Meine Grossmutter Emma sah ich nicht sehr oft, ich frage mich heute noch, wo sie sich herumtrieb. Wenn ich sie antraf, dann im Restaurant oder in dem kleinen länglichen Bügelzimmer, in dem es so seltsam nach feuchter Wäsche roch. Sie benutzte kein herkömmliches Bügeleisen, sondern ein Glättding aus zwei Rollen, das die grossen Leintücher regelrecht hineinsog. Diese Arbeit schien mir nicht ganz ungefährlich zu sein. Ein kleines Abenteuer bescherte uns Emma, als sie Sascha und mir beibrachte, wie man hinter der „Sonne“, im Zelt übernachtet. Ich habe es jeweils gehasst, wenn sie sagte, dass ich und sie dieselbe Nase hätten. Ich habe heute noch Angst davor, sie könnte Recht behalten und meine Nase mutiert noch im Alter. Meinen Grossvater Johann traf ich vorwiegend im Freien an, denn er fand draussen immer eine Beschäftigung und das hat sich bis heute nicht geändert. Er hatte viel auf dem Campingplatz zu tun und baute dort etwas aus und da etwas an. Er war oft und zu unserem „Gaudi“, mit dem „Aebi“ unterwegs, auf dem wir mitfahren durften. Im Winter stellte er den Pony-Lift auf und wir durften, wenn wir Zeit und Lust hatten ihn täglich benutzen. Wir liessen uns mit den Skis, dem Schlitten oder mit dem Bob hochziehen. Einmal setzte mich Opa auf seine Schultern und wir fuhren so den kleinen Hügel hinab. Im Sommer baute er zu meiner grössten Begeisterung Treppen und kleine Brücken für die Wanderwege. Johann hatte seine eigene Werkstatt, in die ich ab und zu schlich, um mich einfach einwenig umzusehen, was es da so alles gab. Nicht zu vergessen den Spielplatz für die Campingkinder, den auch mein Opa baute. Da gab es natürlich eine rote Schaukel, einen Rundlauf, einen Sandkasten, eine riesige Wippe, gemacht aus einer Telefonstange. Unter der Woche hatte ich diesen Spielplatz ganz für mich allein. Meinen Onkel Urs traf ich hauptsächlich in der Küche an, was kein Zufall war, denn er war und ist der Koch. Wir führten so manche Gespräche, doch glaubte ich ihm nicht, dass mein Opa seine Brusthaare im Bad mit „Wickerl“ frisierte. Gefreut habe ich mich immer, wenn ich ein Pommeschips-Säckchen bekam. Mmh, so fein und bei diesem Gedanken erinnere ich mich wieder an die feinen Kaffeerahmkübelchen aus Schokolade. Immer wenn jemand einen Kaffee bestellte, gesellte ich mich in die Nähe und setzte meinen ganzen Charme ein, um vielleicht die Schokolade abzuluchsen.

An meinen kleinen Bruder habe ich nun meine ersten Erinnerungen. Ich durfte ihn kaum anfassen, geschweige denn herumtragen. Mein Vater ermahnte mich, er habe selber Beine. Schade, ich hätte ja so gerne mit ihm gespielt. In meinem Fotoalbum klebt ein Foto, worauf Sascha auf dem „Aebi“ sitzt, Mutter steht daneben und hält den Kleinen. Mich sieht man im Hintergrund am Laufgitter stehen und es quälte mich die Eifersucht. Ebenfalls Eifersucht oder Neid quälte mich, als ich bei Philip`s Geburtstagsparty einfach ausgeschlossen und somit unmissverständlich unerwünscht war. Ich versuchte durch das Schlüsselloch zu spähen, doch es war sinnlos. Meine Rache und Genugtuung lag darin, am Ende der Party von einem sicheren Versteck aus zu beobachten, wie die Mädels und Jungs fluchend ihre Schuhe suchten und die Schuhbändel entknoteten, die ich willkürlich und bösartig zusammenknüpfte. Unter unserer Wohnung, neben dem Saal, war früher die Post eingemietet. Auch Pferdestallungen gab es, zum Auswechseln der Pferde für die Postkutsche, die sich hinter dem Haus befanden. Jahrzehnte später überwinterten einige Wohnwagen in der Halle. Und noch später gab es eine Bäckerei, die bis heute noch besteht.

Oma und Opa in St.Gallen

Die Autofahrt zu meinen Grosseltern nach St.Gallen – Bruggen war sehr abenteuerlich. Mit einem schwarzen VW Käfer traten wir die Reise an. Die meist abendliche Autofahrt kam mir jeweils vor wie eine kleine Weltreise, die ich jedes Mal sehr genoss. Wir besuchten Maria und Paul, so hiessen meine Grosseltern mütterlicherseits. Wenn ich bei Oma und Opa schlafen durfte, quälte mich das Heimweh. Ich kann mich noch an die Bemühungen meines grossen Bruders erinnern, mich aufzumuntern und mich abzulenken von meiner Übelkeit. Einmal hatte ich solch schlimmes Heimweh, dass sie mich noch spätabends nach Hause fahren mussten. Meine Mutter hat mir viel später erzählt, das Opa und Oma mich mit Pyjama, Mantel und Finken nach Hause fuhren. Kaum im Auto, ging es Klein-Gabi auch schon wieder viel, viel besser. Ab und zu durfte ich in Grosseltern`s Bett schlafen, ganz an Oma gekuschelt. Damals gab es in den Doppelbetten den „Gran Canyon“, wenn du weisst, was ich damit meine. Im Arbeitszimmer von Oma hing eine Kuckucksuhr an der Wand. Es war reinste Zauberei, wie Oma an der Unterseite des Vogelhäuschens, an einem Stahlfarben Kügelchen zog und dann das Vögelchen aus seinem Türchen kam und sang. Ich war davon überzeugt, dass der niedliche Vogel da drinnen, hinter dem Türchen, ein Bettchen besass und jedes Mal aufstand um zu rufen: „Kuckkuck“. In diesem Arbeitszimmer sah ich oft zu wie Maria auf einer professionellen schönen „Singer“ Nähmaschine, weisse Stoffteile, verschiedener Arbeitskleidungen zusammennähte und diese in Kisten aufbewahrte. Ich spielte unterdessen mit den leeren, gelben und riesigen Nähfadenspulen aus Plastik. Erstaunlich an was für Details man sich erinnern kann. Ich spielte mit all möglichen Dingen, auch mit meinen Händen und Füssen, stundenlang, in der Badewanne, im Bett, einfach überall. Meine Finger und Zehen wurden im Spiel zu Personen. Oma sang mir ab und zu ein Schlaflied vor. Ich kann mich noch an den Refrain erinnern: „..zehntausend Mann, die zogen ins Manöver..“ na, ich weiss nicht, ob das ein angebrachtes Schlummerlied für ein kleines Mädchen ist? Ich fand es immer aufregend, wenn ich mit Oma in die Stadt durfte. Stundenlang, so kam es mir vor, frisierte sie sich vor dem Spiegel im Gang, bis wir dann endlich zum Bahnhof gingen und mit dem Zug nach St.Gallen fuhren. Ich bekam, wenn ich mich recht entsinne, jedes Mal ein Geschenk. Am liebsten hatte ich die Kettchen, die wir in Warenhäusern kauften. Apropos Kettchen, auf Omas WC musste man an einer Kette ziehen um das WC zu spülen. Einmal kaufte sie mir einen Marienkäfer Anhänger und ein anders mal eine Kette mit einer goldfarbenen eckigen Pfeife. Kaugummis einzeln verpackt an einer langen Schlange, das war toll! Abends, wenn dann Opa jeweils nach Hause kam, war mir nicht mehr so wohl. Als Kind ist es einem nicht bewusst, was nicht stimmt, man fühlt es nur. Heute weiss ich, dass es Opas Nervosität war, was mir Unbehagen bereitete. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, für mich grosse Herausforderung und Angstüberwindung war, zum Bäcker zu gehen, um dort einzukaufen. Die Bäckerei war zwar nur ein Haus nebenan, doch der Weg für so kleine Beine ungemein weit. Mein Bruder Philip fühlte sich bei Oma und Opa wie zu Hause. Kein Wunder, denn bevor ich geboren wurde, wohnte er mit Mutter über 3 Jahre lang dort. Tante Irene, Mutters kleine Schwester, nahm ihn oftmals mit zu ihren Ausflügen, statt schön brav zu Hause auf ihn aufzupassen. So hat er nach späteren Erzählungen viele Abenteuer erlebt und auch überlebt. Unser Onkel Paul, der mittlere der drei Kinder, war mein Götti. Ich habe ihn leider nur sehr selten gesehen, eigentlich kann ich mich nur an ein einziges Treffen erinnern und das war, als Sascha und ich bei Oma gemeinsam in den Ferien waren und mein Götti Paul auf Besuch kam. Er spielte nur mit Sascha, dabei war er doch mein Götti und es überkam mich eine ungeheure „Eifersucht“. Heute weiss ich den Grund, warum ich ihn so selten sah und warum Oma das Kettchen mit dem Herzchen aus Silber in seinem Namen besorgen und mir überreichen musste.