Faktencheck Ernährungsdschungel

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Faktencheck Ernährungsdschungel
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Über das Buch

Nüsse sollen vor Darmkrebs schützen, Fertigprodukte machen uns angeblich chronisch müde und mit Wasserstoff angereichertes Quellwasser bekämpft gleichzeitig Falten und Entzündungen. Ernährungstipps wie diese finden wir zuhauf in Zeitschriften und im Internet. Doch welche basieren auf wissenschaftlichen Studien und welche sind frei erfunden? In diesem Buch erfahren Sie, was unseren Darm reizen kann, warum wir auf regionales Superfood wie Karotten und Leinsamen setzen sollten und warum Erdbeeren und Brokkoli wahre Magenfreunde sind. Auch die Tricks der Lebensmittelindustrie werden entlarvt. Und Sie erfahren, wie Sie Lebensmittelmüll vermeiden und klimaschonend einkaufen können.

Inhalt

Willkommen im Ernährungsdschungel

Vorwort oder ein Appetithappen kommt selten allein

Aber halt – wie funktioniert eigentlich Wissenschaft?

Warum wir essen, trinken und verdauen müssen

Unsere Verdauung – einfach erklärt

Auf den Zahn gefühlt

Welche Stoffe schaden unseren Zähnen und warum?

Schlechte Zähne – kürzeres Leben?

Die Speiseröhre – oft benutzt und selten beachtet

Wie kann ich Speiseröhrenkrebs vorbeugen?

Schlechte Gene, heiße Getränke und Mikroben

Schluckbeschwerden im Alter – ein häufiges Problem

Der Magen – ein saurer Geselle

Unerwünschte Mitbewohner

Erdbeeren und Brokkoli sind Magenfreunde

Die Bauchspeicheldrüse – viele Funktionen in einem Organ

Unentdeckt, mittendrin und schwer zu erreichen

Das Böse ist immer und überall

Der Dünndarm – das unbekannte Land

Bitterstoffe – eine Bremse im Dünndarm

Der Reizdarm – viele Betroffene, wenige Lösungen

Die Darm-Gehirn-Achse

Der Dickdarm – das Schlaraffenland der Mikroorganismen

Dickdarmkrebs und die westliche Ernährung

Essen bei Dickdarmkrebs: Was könnte Besserung bringen?

Nahrungsmittel mit Potenzial und weiterer Forschungsbedarf

Zusatzstoffe mit Folgen?

Die Leber – ein Organ mit unglaublichen Nehmerqualitäten

Weniger Zucker oder die fette Leber auf Diät!

Da fliegt einem das Fett weg!

Wieder auf die Maus gekommen

Himmel Schimmel – das Aflatoxin

Gesundheit und Ernährung

Von der Biene zum Wunderhonig

Die Biochemie des Honigs

Honiggrüße aus Beijing

Faktencheck: Honig und Gesundheit

Gelée royale – ein Honiggenuss für Königinnen

CBD-Honig bringt Entspannung aufs Butterbrot

Manukahonig – aber bitte mit UMF 25+ und MGO >1200

Keluluthonig – das Gold der stachellosen Bienen

Histamin – Genuss mit unangenehmen Folgen

Was gilt es bei Histamin-Problemen zu meiden?

Was darf ich ohne Sorge essen?

Fermentierte Lebensmittel

Kimchi – ein Superfood aus Korea

Die Zähmung des widerspenstigen Brokkoli und andere Fragen zur Fermentation

Präbiotika – ein Festmahl für unser Mikrobiom?

Probiotika – Wundertrunk und Kapselzauber?

Synbiotika – eine Symbiose von Pro & Prä?

Gicht und unsere westliche Ernährung

Was darf bei Gicht gegessen werden und was nicht?

Fleisch – Lebenselixier oder Henkersmahlzeit?

Hausverstand und Lebensstil

Nose to tail – nachhaltig, aber schädlich für den Körper?

Wovon radikale Tierschützer träumen

Das Ende ist der Anfang ist das Ende. Ist die mediterrane

Diät die Rettung der Fleischtiger?

Vegane Ernährung – kritisch betrachtet

Rank und schlank durch vegane Kost

Mangelerscheinungen durch vegane Ernährung

Mögliche Nachteile einer veganen Ernährung

Veganismus – der Weg ist das Ziel?

Lifestyle und Ernährung

Verschwörungstheorien und die Selleriesaftsekte

Sportsocken, Corona und die Tulabeerenschlange

Das Fräulein Hildegard ist äußerst desperat …

Was teuer ist, muss auch gut sein bzw. gut schmecken

Wasser – mehr als nur H2O?

Superfood – wenig Fakten, viel Trara

Das Wundersalz – einfach entzaubert!

Salzkonsum in wissenschaftlichen Studien

Salz und Lifestyle

Salzverschwörung der Industrie – zurück zum Ursalz

Beauty Food – iss dich einfach schöner

Basische Ernährung oder Säuretod?

Industrie und Ernährung

Ultra-hochprozessierte Lebensmittel – was ist das schon wieder?

 

Empfehlungen aus der Welt der Wissenschaft

Phosphat und Nitrat – ein gefährliches Duo?

Ohne Nitrat wäre die Wurst recht fad

Glutamat – des Teufels liebster Zusatzstoff

Positive Funktionen des Glutamats

Freispruch im Sinne des angeklagten Moleküls

Klimawandel und Ernährung

Lebensmittelmüll als massiver Klimatreiber

Restlessen einmal anders

Haltbarkeitsdatum richtig lesen und verstehen

Das Schnitzel aus der Petrischale

Sind Insekten und Schnecken die Lösung?

Was kann ich im Hinblick auf den Klimawandel tun?

Nachwort oder Hilfe, was darf ich überhaupt noch essen?

Danksagung

Verwendete Literatur

WILLKOMMEN IM ERNÄHRUNGSDSCHUNGEL

Statt Kochsalz wird Kaliumcitrat empfohlen, um den Blutdruck zu senken. Aber schaden an Kalium reiche Gemüse nicht den Nieren? Fleischkonsum soll unbedenklich sein, aber jeder Biss von einer Wurst erhöht das Risiko für Darmkrebs. Heidelbeeren bekämpfen Falten im Gesicht und schützen vor Demenz. Ernährungsratschläge wie diese sind mittlerweile in vielen Magazinen zu finden. Auch im Internet und auf Social-Media-Plattformen wimmelt es nur so davon. Aber was stimmt? Verschiedene Ernährungsweisen gleichen oft schon fundamentalistischen Glaubensgemeinschaften. Regional und saisonal ist erste Bürgerpflicht! Flexitarierinnen versuchen die Umwelt zu schonen, essen aber trotzdem Fleisch von glücklichen Freilandschweinen. Vegan ist Trend bei jungen Menschen, aber der pflanzliche Fleischersatz aus Erbsenprotein leider doch nicht so nachhaltig und gesund wie gedacht. Werden bald auch Ernährungsweisen die Gesellschaft spalten?

In diesem Buch nehme ich Sie mit auf eine Expedition durch den Ernährungsdschungel der Gegenwart. Wir schauen uns die Verdauung des Menschen an und sehen, welche Faktoren unserer Ernährung sich positiv oder negativ auf den Körper auswirken. Danach gilt es zu erkunden, welche Nahrungsmittel wirklich gesund sind – auf Basis wissenschaftlicher Tatsachen. Sogenannte Lifestyle-Produkte, die viel versprechen und wenig halten, werden unter die Lupe genommen, wie das Ursalz aus den Karpaten oder mit Wasserstoff angereichertes Mineralwasser. Wir klopfen bei Fertigprodukten kräftig auf den Busch und schauen, was uns die Industrie so alles vorsetzt. Auch dem Klimawandel ist ein kleiner Abschnitt gewidmet. Wie trägt unser Konsum zur CO2-Bilanz bei und warum ist der Lebensmittelmüll ein gewaltiger Klimatreiber?

Mit diesem informativen Buch möchte ich über die größten Ernährungsirrtümer aufklären sowie nützliche Tipps zu gesunden Nahrungsmitteln geben. Aber bitte nicht vergessen: Am Ende muss es dennoch schmecken – der Genuss darf nie zu kurz kommen!

VORWORT ODER EIN APPETITHAPPEN KOMMT SELTEN ALLEIN

Liebe Leserin, lieber Leser! Das Vorwort eines Buches ist oft eine verzwickte Sache für den Autor. Zu viel soll nicht vorweggenommen werden, damit es sich später nicht wiederholt. Zu kurz soll es nicht sein und zu lange schon gar nicht. Seitenweise Danksagungen an Leute, die Ihnen unbekannt sind, helfen bei der Lektüre ehrlicherweise auch nicht weiter. Und wenn es Ihnen auf den ersten drei Seiten des Buches schon langweilig wird und Ihnen bei dem Gedanken an die Seitenzahl ein leiser Seufzer entwischt, dann habe ich als Autor etwas falsch gemacht.

Einen biografischen Einstieg finde ich immer recht nett, so erfährt man etwas über den Verfasser und auch über seine Beweggründe, warum er dieses Werk verfasst hat. Keine Angst, es wird keine Autobiografie werden, dafür bin ich noch zu jung – obwohl, einige lustige Geschichten habe ich auf der Universität und in den Laboren schon erlebt. Erst unlängst schaffte es eine Gruppe meiner Studierenden bei der Laborübung „Experimente in der Ernährung“, im Backrohr Backpapier zum Brennen zu bringen. Als nicht minder geniale Draufgabe wollten sie es durch Ausblasen löschen. Und da muss ich meinem Kollegen Walter Gössler von der analytischen Chemie recht geben: Im Ernährungsstudium braucht es mehr Chemie. Passiert ist niemandem etwas, auch die Feuerwehr musste nicht kommen und der Zusammenhang zwischen Feuer und Sauerstoffzufuhr ist den vier Studierenden jetzt auch geläufig.

Das Interesse für Speis und Trank wurde mir eigentlich schon in die Wiege gelegt. Und diese stand in Falls Church in Virginia. Born in the USA, wie Bruce Springsteen vor zig Jahren trällerte, gilt auch für mich. Meine Eltern waren nämlich Gastarbeiter in den USA. Mit der Green Card geschätzt, erwünscht und auch willkommen. Nach ihrer Lehre in Österreich zogen beide hinaus in die Welt, um Erfahrung zu sammeln – ein Credo in der Gastronomie, damals wie heute. Meine Eltern arbeiteten auch auf Kreuzfahrtschiffen und sahen so die ganze Welt.

Sie hatten Zwischenstopps in Indien, Bali, Japan, Brasilien und noch einigen Ländern mehr, zu einer Zeit, da Massentourismus dort noch unbekannt war. Diese Eindrücke spiegelten sich auch Jahre später in unserer Wohnung wider. Die Offenheit für die verschiedenen Kulturen unserer Welt war bei uns daheim immer gegenwärtig. Wenn Spielkameraden aus der Volksschule zu mir nach Hause kamen, glaubten diese, sich in einem Völkerkundemuseum wiederzufinden. Meine Mutter arbeitete auch mehrere Jahre als Köchin bei einer jüdischen Millionärsfamilie in New York. Gefillte Fisch und Mazza-Brot waren mir daher keine unbekannten Speisen. Mein Vater war u. a. Sommelier im Watergate Hotel. Ja, genau dort, wo sich der Abhörskandal von Richard Nixon zutrug. Auch Henry Kissinger, der Mann mit der tiefen Stimme – sofern ihn noch jemand kennt –, war Gast bei meinem Vater und immer sehr zuvorkommend und höflich. Wer ein Fan von Ivan Rebroff ist – auch dieser dinierte bevorzugt im Watergate Hotel-Restaurant, wenn er in Washington weilte, und bestellte immer einen Château Lafite-Rothschild 1962. Den teuersten Wein im gesamten Weinkeller. Ich war auch schon einmal im Pentagon. Als Passagier im Bauch meiner Mutter, als sie Apfelstrudel dorthin ausgeliefert hat.

Irgendwann im Kleinkindalter, und ohne eigene Erinnerung daran zu haben, ging es dann zurück nach Österreich. Der Anlass war eher traurig: Mein Großvater war an Krebs erkrankt und meine Mutter wechselte sich mit meiner Großmutter bei der Pflege ab. In jungen Jahren war mein Opa Johann Bierbrauer und Nebenerwerbslandwirt. Mein Onkel Hansi war Braumeister und Jahrzehnte später braute ich mit den Burschen vom Braucampus Graz, Gunter und René, mein erstes Bier im Geschmackslabor. Mit 16 Jahren durfte ich mehrere Wochen als Ferialpraktikant im Tagesweinkeller des Drei-Sterne-Restaurants meines Nenn-Onkels Heinz arbeiten. Eine beeindruckende Erfahrung, aber auch ein Grund, warum die Gastronomie nicht meine Berufung wurde. Diese gehört zu den anspruchsvollsten, stressigsten und familienfeindlichsten Berufsfeldern und es wundert mich nicht, dass heute Jugendliche nicht mehr in dieser Branche arbeiten wollen. Von der relativ geringen Bezahlung gar nicht zu sprechen. „Darum, liebe Brüder, tut desto mehr Fleiß, eure Berufung und Erwählung festzumachen; denn wo ihr solches tut, werdet ihr nicht straucheln.“ (2 Petrus 1,10).

Das Zitat aus der Bibel wird mancher Leser bzw. manch aufmerksame Leserin erkannt haben und sich fragen, ist der Autor gar ein fleißiger Beter? Das kann ich gleich verneinen, obwohl meine Tante Minnerl aus der schönen Oststeiermark mich immer überzeugen wollte, doch Pfarrer zu werden, weil ich ihrer Ansicht nach so gut reden kann und der geistliche Beruf doch eine sichere Partie wäre. Leider kamen Wein, Weib und Gesang sowie die Evolutionslehre, alte Geschichte und Philosophie dazwischen. Aber Zitate aus der Bibel finde ich gut, da sie vieles auf den Punkt bringen und leicht zu verstehen sind.

Wie kam es also zu meiner Berufswahl – Molekularbiologe mit Schwerpunkt Ernährung? Klingt doch etwas exotisch. In der AHS-Unterstufe war mein Lieblingsfach Geschichte. Daher auch der frühe Wunsch, Geschichte zu studieren. In der AHS-Oberstufe wurde der Bezug zu Geld und Ausgaben realer, da jeder verfügbare Schilling in Heavy-Metal-Alben investiert wurde. Hier kam ich zur Erkenntnis, dass Geschichte doch ein brotloses Studium sein dürfte. Da ich damals auch technisch sowie elektronisch sehr interessiert war: warum nicht technische Physik studieren? Ein frommer Wunsch, denn da wusste ich noch nicht, dass das Physikstudium zu einem Großteil aus Mathematik besteht. Und wer mit Mathematik auf dem Kriegsfuß stand, so wie ich damals, bei dem wäre eine solche Studienwahl fatal ausgegangen.

Warum mir die Mathematik nicht am Herzen lag, daran war mein Lehrer schuld. Acht Jahre unbedingt in der Mathematikhölle hatte ich ausgefasst. Aus fachdidaktischer Sicht war der Herr Prof. H. H. nicht die Lichtgestalt im Zahlenuniversum, das daher den meisten Kolleginnen und Kollegen aus der Klasse ein ewiges Rätsel blieb. Wie kann man sich den Herrn vorstellen? Von der Tonart wie Gunnary Sergeant Hartman aus dem Film Full Metal Jacket, immer mit Krawatte und Sakko sowie silbergrauem Haupthaar. Für die Mathematik-Matura habe ich einige Monate gelernt, mehr als für die schwersten Prüfungen im Studium der Mikrobiologie. Und dieses Studium zählt zu den anspruchsvollsten unseres Landes. Da ist das Geschichtestudium im Vergleich eine kleine Vorspeise und, ja, ich kann das sagen, weil ich berufsbegleitend auch ein Geschichtestudium begonnen habe. Wenn ich im jetzigen Berufsleben oft stressige Termine vor mir habe, träume ich hin und wieder von der bevorstehenden Mathematik-Matura. Falls Psychotherapeuten und -innen dies hier jetzt lesen, kommt sicher ein Aufschrei. Der Mann braucht Hilfe, um ein Trauma zu verarbeiten! Ich halte es eher so: „Wie man Eisen durch Eisen schleift, so schleift ein Mensch den Charakter eines anderen“ (Sprüche 27,17). Rückblickend bin ich auf meinen Mathe-Lehrer nicht böse. Didaktisch hat er versagt, mich dadurch aber abgehärtet und im Studium hatte ich nie Probleme vor oder mit Prüfungen.

Es gibt aber auch positive Beispiele aus dieser Oberstufenzeit, wie meine Biologielehrerin Prof. Waltraud Stracke. Diese hat die Zellbiologie und Genetik so interessant vermittelt, dass ich für die Matura fast nichts lehren musste, da ich schon im Unterricht alles aufgesaugt hatte wie ein Schwamm. Was war dann der ausschlaggebende Grund für meine Wahl, Mikrobiologie zu studieren? Eine Fernsehserie, nämlich Akte X. Die ungelösten Fälle des FBI. Dort wurde ein Alien-Embryo in einem mikrobiologischen Labor untersucht. Eine Epiphanie sondergleichen. Daher meine Wahl, Mikrobiologie in Graz zu studieren, und diese Entscheidung war die richtige, auch wenn nicht an Alien-Embryonen geforscht wurde.

Während des Studiums lernte ich von meiner Mutter die Grundlagen der Kochkunst. Irgendwie fiel mir das Kochen sehr leicht, da ich auch im mikrobiologischen Labor immer genau Substanzen abmessen, erhitzen oder abkühlen musste. Für Freunde habe ich dann einmal im Jahr die „Schlemmerstunden“ veranstaltet: ein achtgängiges Menü, das sich über Stunden zog. Alle Gänge wurden von mir allein zubereitet. Hier habe ich für mich viel über Speisenabfolgen, Zutatenmanagement und Servier- bzw. Küchenlogistik gelernt.

2007 habe ich im Rahmen meiner „Schlemmerstunden“ erstmals molekularen Kaviar serviert. Die Freude war groß bei den Anwesenden und ich hatte auf einmal drei Küchenhelferinnen, die eifrig Kaviar aus Campari produzierten. Das chemische Prinzip dahinter war recht einfach und daher habe ich meinem damaligen Kollegen Helmut Jungwirth einen Floh ins Ohr gesetzt bzw. eine Kaviarvariation auf seinem Schreibtisch deponiert. Er war ebenso begeistert wie meine Gäste und daher haben wir den Kaviar bei der langen Nacht der Forschung an der Uni Graz präsentiert. Unsere Station mit Molekularer Küche verzeichnete über 3000 Besucherinnen in knappen acht Stunden. Die „Speisung der 3000“, wie ich sie nun rückblickend nenne, führte dazu, dass wir begannen, uns wissenschaftlich mit der Molekularen Küche auseinanderzusetzen.

 

Bald darauf veranstalteten wir eine wissenschaftliche Tagung dazu, mit den führenden Köpfen zu dieser Thematik im deutschsprachigen Raum wie Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut in Mainz sowie dem Schweizer Kreativkoch Rolf Caviezel. Seit 2010 gaben wir dann Grundkurse zur Molekularen Küche, 2012 wurde das Geschmackslabor gegründet. 2017 haben wir die jahrelange Erfahrung und unsere gesammelten Rezepte in einem Kochbuch namens Science Schmankerln verewigen können. Seit 2016 bin ich in regelmäßigen Abständen als Ernährungsexperte auf ORF 2 zu Gast, zuerst war ich bei der Sendung heute leben und jetzt bei der Nachfolgesendung Studio 2 zu sehen, in der ich Tipps zur Ernährung und Warenkunde auf Basis wissenschaftlicher Fakten gebe. Zudem bin ich derzeit Koordinator für das Studium Ernährung, Gesundheit und Konsum an der Karl-Franzens-Universität Graz. Hier halte ich für meine Studierenden Seminare in Bezug auf die Geschichte der Ess- und Tischkultur bzw. koche wissenschaftlich mit diesen im Geschmackslabor. Privat beschäftige ich mich derzeit sehr intensiv mit der japanischen Küche. Die wissenschaftlichen Kooperationen mit der Uni Hiroshima und der Uni Nagasaki sind dabei überaus hilfreich.

So, nun hoffe ich, Sie haben dieses Vorwort gut verdaut und sind bereit für mehr aus dem spannenden Bereich der Molekularbiologie und den Ernährungswissenschaften.

Aber halt – wie funktioniert eigentlich Wissenschaft?

Keine Sorge, dies wird kein knochentrockener Ausflug in die Wissenschaftstheorie, wo ein Satz oft über zehn Buchzeilen geht und man fast fünf Minuten grübeln muss, was der Autor oder die Autorin dieses Satzes eigentlich mitteilen will. In diesem Buch muss ich immer wieder auf wissenschaftliche Studien verweisen, was diese bedeuten und wie sie in weiterer Folge zu interpretieren sind. Dazu gleich ein Beispiel aus der Realität unter dem Titel „Wenn am Berggipfel der Grüne Veltliner ruft“.

Bei der letzten Bergtour habe ich unmittelbar nach dem Gipfelsieg ein Glas Grünen Veltliner getrunken. Ein Stifterl Wein und ein Glas habe ich immer im Rucksack dabei. Dieser schmeckte so anders als sonst – aber warum? Eine Beobachtung von mir wirft eine Frage auf. Diese will ich wissenschaftlich aufklären. Wie gehe ich nun weiter vor?

Ich formuliere eine Hypothese. Das ist eine in Form einer logischen Aussage formulierte Annahme, deren Gültigkeit noch nicht bewiesen ist, die aber geeignet ist, Erscheinungen oder Beobachtungen zu erklären. Am leichtesten ist sie mit der „Immer, wenn ..., dann …“-Verknüpfung zu erklären. Ein Beispiel dazu: Immer wenn ich am Gipfel eines Berges ein Glas Grünen Veltliner genieße, dann schmeckt dieser deutlich anders als zu Hause in der Gartenlaube meiner Großmutter Adele. Immer wenn Wein einem niedrigen Luftdruck ausgesetzt wird, verändert sich die Flüchtigkeit der Aromastoffe. Immer wenn ich mich in großer Höhe befinde, nehme ich Geschmacksstoffe schlechter wahr als sonst. Die Hypothese ist die Vorstufe zur Theorie.

Nun gilt es, das Experiment zur Aufklärung der Fragestellung zu entwerfen. Die eigentliche Frage lautet: Warum schmeckt der Wein am Berg anders als im Tal? Dabei tun sich neue Fragen auf. War der Wein verdorben? Ist der Wein im Rucksack durchgeschüttelt worden und hat so seinen Geschmack verändert? Ist die Freude über den Gipfelsieg für eine Veränderung der Geschmackswahrnehmung verantwortlich, spielt die Psyche dem Geschmackssinn einen Streich? Schmeckt der Wein nur für mich anders oder nehmen dies auch andere Menschen so wahr? Eine Arbeitshypothese entsteht. Bei der Planung meiner Experimente muss ich unbedingt darauf achten, dass sich die Hypothese im Laufe des Experiments nicht verändert. Etwa: Im Geschmackslabor haben wir keinen Grünen Veltliner mehr, dann muss eben ein Weißburgunder herhalten. Dies wäre dann eine Fehlerquelle!

Habe ich meine Experimente erfolgreich und für andere Wissenschaftler nachvollziehbar abgeschlossen, stehe ich nun vor dem nächsten Problem: Ich habe nur eine Person (mich) und eine Flasche Wein untersucht. Die Fehlerquellen sind hier noch zu groß, um eine solide Theorie aufstellen zu können. Ich wiederhole die Experimente mit 1000 Studierenden und zehn verschiedenen Weißweinsorten. Die Daten werden analysiert, Fehlerquellen beseitigt. Was wären in so einem Experiment realistische Fehlerquellen? Zum Beispiel ein Student, dem Wein überhaupt nicht schmeckt, macht bei der Untersuchung mit, oder eine Studentin, die zur Zeit des Experimentes an Geruchsverlust leidet, verkostet den Wein.

Nach Bereinigung der Ergebnisse formuliere ich meine Theorie. Aufgrund des verminderten Luftdrucks verlassen mehr Geruchsmoleküle den Wein und dieser bekommt ein anderes Bouquet als im Tal.

Ich möchte meine Studie in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlichen. Aber bevor sie gedruckt wird, geht meine Arbeit an drei anonyme Kolleginnen oder Kollegen, die auf demselben Fachgebiet forschen. Diese begutachten meine Arbeit, schauen, ob Fehlerquellen zu finden sind, und geben erst dann ihr Ok, wenn sauber gearbeitet wurde. Diesen Vorgang nennt man in der Fachsprache peer reviewed (durch Fachkollegen begutachtet). Erst dann wird die Arbeit gedruckt und steht online auch anderen Fachkollegen zur Verfügung. Jetzt wiederholen Forscher in Peru, Japan und Russland mein Experiment. Kommen sie auf das gleiche Ergebnis, ist meine Theorie richtig.

Sie sehen also, es ist ein weiter Weg, bis eine Idee bzw. Beobachtung Eingang in eine wissenschaftliche Zeitschrift und später in ein Lehrbuch findet. Dabei können viele Fehler passieren, absichtlich oder unbewusst, denn Wissenschaftler sind auch nur Menschen.