Uncle Sam. Der Wahnsinn hat einen Namen!

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Uncle Sam. Der Wahnsinn hat einen Namen!
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Uncle Sam

Für Christine

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abreise

Einreise

New York, New York

Nationalfeiertag

Auf nach Florida

Die Pferde sind gesattelt

United States of …

Der Wahnsinn hat einen Namen

Applaus für mich und Shamu

Schreibblockade

Der Brückenpfeiler

Das Land der begrenzten Möglichkeiten

Vorwort

Es ist Jänner und wir planen unseren Sommerurlaub. Das machen wie immer im Jänner. Außer es ist Februar. Same procedure as every year. Ich schleppe dann eine Europalette mit Reisekatalogen nach Hause und mache meiner Frau zahlreiche Vorschläge. Afrika, Asien, Grönland, Australien…Und jedes Jahr sagt sie: „Ich kann mich nicht entscheiden, such du etwas Schönes aus“. Ok, also dann in die USA. Stellen wir uns vor, wir wären in der Schule und die Lehrerin fragt: „Wer weiß was über dieses Land, Hand hoch. Bastian?“. „Es ist groß und besteht aus vielen Bundesstaaten“. „Geht das etwas genauer?“ „48?“ „Das lass ich gelten, weiter“. „Man spricht Englisch“. „Richtig“. „Die Amerikaner sind oberflächlich“. „Nein, sie sind freundlich. Was noch?“ „Sie essen alles was dick macht und in Plastik eingepackt ist“. „Aber Bastian, sowas sagt man nicht“. „Präsident ist immer der, der im Fernsehen am besten aussieht und gut lügen kann“. „Richtig, wie bei uns. Noch was?“ „Der Durchschnittsamerikaner ist sehr blöd“. „Das ist politisch nicht korrekt, das nimmst du jetzt sofort zurück“. „Tschuldigung, er ist ungebildet“. „Schon besser, und merkt euch Kinder, er ist mindestens so ungebildet wie der Durchschnittseuropäer“. Und das will was heißen. Jedenfalls ist das bei uns der Grund für den starken Zulauf bei den Rechtsparteien. Und wer das nicht kapiert, ist tatsächlich blöd. Aber die österreichische Regierung unternimmt etwas dagegen. Nein, nicht gegen die rechten Parteien, die könnte man eines Tages als Koalitionspartner brauchen, sondern gegen die Unwissenheit. Deshalb hat Österreich eines der besten Schulsysteme der Welt. Und ja, ich habe heute schon Alkohol getrunken. Heutzutage geht bei uns der Bub nicht in die Hauptschule, sondern gleich ins Gymnasium. Und von dort schnurstracks auf die Uni. Dann ist er Akademiker. Aber ein Abschluss besagt gar nichts. Der Bub kann trotzdem so blöd sein wie ein Sack Hundefutter. Im Kopf die Quadratwurzel aus einer fünfstelligen Zahl ziehen, aber neben das Klo kacken. Doch ich schweife ab, zurück in die Schule. „Was wisst ihr noch, Kinder?“ „Die Amis führen gerne Krieg“. „Und warum, Kevin?“ „Weil man da Länder überfallen kann“. „Falsch Kevin, weil sie für die Freiheit kämpfen und die westlichen Werte verteidigen. Und gleichzeitig lernen sie dabei Geographie“. Überlegen wir mal, welche Kriege haben die Amis nach 1945 noch gewonnen? Korea? Vietnam? Afghanistan? Irak? Gut, da könnte man jetzt sagen, sie haben Saddam Hussein erledigt. Und seine Massenvernichtungswaffen vernichtet, wobei es da allerdings gar nichts zu vernichten gab. Da waren die Herren Bush und Rumsfeld einfach schlecht informiert. Das kann passieren. Manchmal schlampen die Geheimdienste. Aber was blieb vom Irak, nachdem die GIs wieder abgereist waren? Ein einziges Chaos. Und jetzt macht sich dort der IS breit, der eine weit größere Gefahr darstellt, als der alte Saddam sie jemals hätte darstellen können. Mit der U.S. Army ist es wie mit ungeliebten Verwandten. Sie kommen mit ihren rotzigen Gören auf Besuch und versauen dir die Bude. Und dann steht man dumm da und muss den Müll beiseite räumen. Die Autorin Mascha Bliss sagt: „Mit der Verwandtschaft verhält es sich wie mit Naturkatastrophen: gegen beides ist man machtlos“. Und der deutsche Immunbiologe Gerhard Uhlenbruck setzt noch einen drauf, als Wissenschaftler muss er es schließlich wissen: „Nahe Verwandte sind besser zu ertragen, wenn sie weiter weg sind“. Das Dumme bei den Amis ist allerdings, dass sie sehr oft ungefragt auf Besuch kommen und von der Realität vor Ort keine Ahnung haben. Das läuft dann unter „gut gemeint“, und naiv wie sie nun mal sind, hat ihr Eingreifen meist nicht den Effekt, den sich alle erwünscht hätten. Da agieren sie wie ein Tauchsieder. Hängen sich überall rein. Aber das Gesöff wird dadurch nicht besser. Da halte ich es mit Martin Luther: „Lieber Ratten im Keller als Verwandte im Haus“. „Kommt Kinder, es ist gleich Pause, irgendwas wisst ihr doch sicher noch“. „Sie wissen alles über uns“. „Wie meinst du das, Alfred?“ „Mein Papa sagt, sie spionieren uns aus, und jetzt muss unser Bundeskanzler jeden Tag seine SIM-Karte wechseln“. „Nein Alfred, die Frau Merkel in Deutschland muss das machen. Was unser Bundeskanzler sagt, interessiert niemanden“. Eine Lehrerin darf das sagen, und sie lügt ja auch nicht. Außerdem ist sie in der Gewerkschaft. Und diese Gewerkschaft ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass unser Schulsystem europaweit als worst practice herangezogen wird. Wenn deren Funktionäre den Begriff PISA hören, denken sie nicht an eine Schulleistungsuntersuchung der OECD, sondern an den schiefen Turm, den die meisten von ihnen schon in ihrer knapp bemessenen Freizeit besucht haben. Und weil deren Freizeit so knapp ist, wehren sie sich erfolgreich gegen jede Neuerung. Bessere Aus- und Fortbildung, mehr Stunden, Nachmittagsbetreuung… bisher ist noch jeder Unterrichtsminister mit diesen Forderungen gescheitert. Und der Kanzler sowieso. Wie schon erwähnt, niemand interessiert, was er zu sagen hat. Und das weiß er auch. Deshalb inseriert er seine Meinung im Boulevard. Und damit sind wir wieder bei der mangelnden Bildung. Zurück zum Thema. Ich war schon oft in den Vereinigten Staaten und habe das Land kreuz und quer bereist, noch vor der al-Qaida. Damals brauchte man noch ein Visum und die Einreise war ein Kinderspiel. Wie sich die Zeiten geändert haben! Dieser Reisebericht hat das Zeug zum Blockbuster. Das hat man in Hollywood schon mitbekommen. Und ich verkauf denen den Scheiß auch, wenn die Kohle stimmt. George Clooney und Gwyneth Paltrow sind interessiert. De Niro auch. Die Gagenverhandlungen laufen.

Abreise

Flughafen Frankfurt, die Frisur hält. Aufruf nach New York. „Das ist unserer“, sagte ich zu meiner Frau, „ein Airbus A380, doppelstöckig“. „Wow, super“, kam die Antwort „hoffentlich sitzen wir oben“. Ich dachte mir, wozu soll das gut sein, in 10.000 Meter Höhe kann ein weiteres Stockwerk doch keine bessere Aussicht garantieren. Das spielt doch keine Rolle mehr, oder? Vielleicht mach ich einfach das Fenster auf, damit sie den Kopf rausstrecken kann. Ich dachte es mir, ich sagte es nicht. Denn wenn es einmal draußen ist, ist es zu spät. Und eine falsche Bemerkung zu Beginn einer Reise kann den Urlaub in sehr unschöne Bahnen lenken. Wir marschierten also durch den Rüssel Richtung Flugzeug. Ich habe keine Flugangst, aber jedes Mal wenn ich durch diesen Schlauch gehe denke ich mir, so muss es im Augenblick des Todes sein. Durch den Tunnel auf das Licht zu. Natürlich saßen wir unten. Meine Frau am Fenster, ich in der Mitte und neben mir noch ein Typ, der offensichtlich auch nach New York wollte. Ich hasse es in der Mitte zu sitzen. Wenn ich alleine unterwegs bin, buche ich aus Erfahrung immer einen Gangplatz. Meine favorisierten Airlines wissen da schon Bescheid. Und meine Frau will immer am Fenster sitzen. Gut, bei kleinen Flugzeugen ist das kein Problem, aber bei Langstrecke? Sehr oft sind die Flieger voll und man weiß nie, wer sich neben einem breit machen wird. Meist sitzt einer neben mir, der aussieht, als hätte er eine Hungersnot verursacht. Und wenn ich dann noch zusehen darf wie er sich Thrombosestrümpfe anzieht, brauche ich kein Essen mehr. Dann kriegt er auch noch meines. Auf Langstreckenflügen soll man viel trinken und falls man dann aufs Klo will, muss man höflich fragen ob man vorbei darf, aber sehr oft schlafen die Sitznachbarn. Dann sitzen sie regungslos da und der Sabber läuft ihnen aus den Mundwinkeln. Man weiß nie ob sie schlafen oder einen Schlaganfall haben. Also klettert man vorsichtig darüber und weckt sie ausgerechnet dann, wenn man im Spagat breitbeinig über ihnen steht. Es gibt nicht viele die das sehen möchten, wenn sie wach werden. Man kann in der Mitte auch nicht unfallfrei essen. Immer nur abwechselnd, einmal mit dem Messer, dann wieder mit der Gabel. Und dann auch noch Turbulenzen. Manchmal sieht man dabei aus wie ein Parkinsonkranker im Endstadium. Oder es sitzt ein Passagier arabischer Herkunft neben mir. Früher hat mir das nichts ausgemacht, aber seit 9/11 fange ich unwillkürlich an, das „Vater Unser“ aufzusagen. Aber wirklich bitter wird es, wenn man einen mit Flugangst neben sich hat. Der will reden und nicht einfach nur „Guten Tag“ sagen. Nach der Landung weiß man dann mehr über ihn als über sich selbst. Und wer will das schon. Ich jedenfalls nicht. Stellen sie sich folgende Situation vor: Drei Männer sitzen nebeneinander im Flugzeug. Der mittlere hat Flugangst und schon vor dem Einsteigen entsprechend Alkohol getankt, um eine mögliche Panik zu unterdrücken. Als der Getränkewagen vorbeirollt, bestellt er zwei Wodka, einen auf Vorrat. Alkohol macht gesprächig und er beginnt zu prahlen. Erzählt dem am Fenster er wäre Arzt und auf dem Weg zu einem Kongress. Stimmt natürlich nicht. Plötzlich, hoch über den Wolken, kollabiert der gangseitige und hat Schaum vor dem Mund. Die Passagiere laufen aufgeregt zusammen, Rosenkränze werden gezückt, und einer fragt, ob ein Arzt an Bord ist. Niemand rührt sich. Der am Fenster kann natürlich seine Klappe nicht halten und sagt: „Aber sie sind doch Arzt“. „Tut mir leid“, sagt der mittlere, „aber ich habe heute keine Sprechstunde“. „Was heißt Sprechstunde? Sie müssen dem Mann doch helfen können, so tun sie doch was!“ Hätte er doch bloß nur gedacht, dass er Arzt wäre und es nicht auch noch gesagt. Aber wenn es einmal draußen ist… Also greift er zu seinem Plastikbesteck und verpasst dem Patienten einen Luftröhrenschnitt, wodurch er ihn endgültig ins Jenseits befördert. Ein Kunstfehler in Reiseflughöhe. Doch was ist zu tun, wenn die Person auf Platz 21C plötzlich verstirbt? Wohin mit der Leiche? „Die Welt“ berichtet dazu über eine Dokumentation, die die britische BBC Two gestaltet hat. Die Doku begleitet unter anderen 18 angehende Flugbegleiter auf ihrem sechswöchigen Training. Eine Trainerin gibt zu, dass der Todesfall eines Passagiers an Bord "eine Grauzone" sei. Und doch hat sie für die Stewardessen in spe einige Ratschläge. "Sie können eine Leiche nicht im Toilettenraum unterbringen", wird die Trainerin zitiert. Das widerspräche einerseits dem nötigen Respekt, und der Leichnam sei auch nicht angeschnallt. Man stelle sich vor, der Körper würde vom Toilettensitz rutschen und auf dem Boden landen. Infolge der einsetzenden Leichenstarre "müsste man das ganze Flugzeug auseinandernehmen, um die Person herauszubekommen". Daher, so der Rat der Trainerin, sei es das Beste, den verstorbenen Passagier auf einem Sitz bis zum Hals mit einer Decke zuzudecken. Sie kenne Kollegen vom Kabinenpersonal, die schon mal bis zum Ende des Fluges neben einem Leichnam sitzen mussten. Sollte in der ersten Klasse Platz vorhanden sein, sollte man den Toten diskret (etwa mittels eines Rollstuhls) dort auf einen Platz setzen und die Passagiere der näheren Umgebung über die Umstände informieren. So geschehen auf einem British-Airways-Flug nach Boston, als ein an Bord Verstorbener für drei Stunden in die "First Class" gesetzt wurde. Doch das Prozedere war nicht immer so. Früher habe man bei British Airways die Toten regelrecht präpariert, damit es aussah, als würden sie nur schlafen: Man habe ihnen einen Wodka-Tonic hingestellt, dazu eine "Daily Mail" und eine Schlafbrille – und es sah so aus, als ob es ihnen gut ginge. Aber heute mache man das so nicht mehr. Eigentlich schade. Kurz hinter Irland servierte mir Flugbegleiterin Frauke, eine hoch aufgeschossene Enddreißigerin, endlich mein wohlverdientes Mittagessen. Bilde ich mir das ein, oder waren die früher wesentlich hübscher? Ich fliege ab und zu auch Business-Class, aber selbst in der gehobenen Kategorie, wo man sowas erwarten könnte, wird auf die Optik kein Wert mehr gelegt. Servieren sollen sie können. Und Fremdsprachen müssen sie beherrschen. Aber ich will doch nicht mit denen reden. Sehr bedauerlich. Hat sich mal wieder die alte Spaßbremse Alice Schwarzer durchgesetzt. Diese Ultra-Feministin der Finsternis mischt sich überall ein. Ungefragt. Wenn die sich in ein Opfer verbeißt, ist selbst Amnesty International machtlos. Vielleicht kann noch die UNO helfen, aber wetten würde ich nicht darauf. Flugbegleiterin Frauke. Wie sehr muss man sein Kind hassen, um es Frauke zu nennen. So benennt man eine Schlechtwetterfront, aber doch nicht die eigene Tochter. Das Sturmtief Frauke zieht Richtung Osten und hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Denken sie daran, falls ihnen in nächster Zeit eine Taufe ins Haus steht. Und wenn dann mal tatsächlich ein Sturmtief namens Frauke über den Mittleren Westen der USA fegt, stehen keine Häuser mehr. Wie kommt das, und vor allem, wie werden diese Häuser gebaut? Der Anfang ist noch ok, da wird immerhin ein Fundament gegossen. Danach fährt Farmer Bill mit seinem Pick-up in den nächsten Baumarkt und kauft sich genormte Spanplatten, die er dann zu einer Hütte zusammennagelt. Dazu noch ein paar Fenster aus hauchdünnem Glas und fertig ist der Palast. Zentralheizung braucht er schon mal keine, denn die Dämmung ist schließlich optimal. Und falls er doch mal heizen will, nimmt er einen Gasbrenner oder ein Warmluftgebläse. Jetzt habe ich die Türen vergessen. Also nochmal in den Baumarkt, da liegen sicher ein paar Bretter im Angebot herum. Darauf montiert Bill dann keine Türklinken, sondern drollige Knöpfe, bei denen man nie weiß, ob man sie nach rechts oder links drehen soll. Und einbruchsicher muss so eine Tür auch nicht sein. Schließlich hat Bill drei Gewehre im Schrank. Ich stocherte also das Essen aus meinem Schälchen, immer abwechselnd mit Messer und Gabel, ganz vorsichtig, das Menü konnte man mittlerweile auf meiner Hose nachlesen, und noch bevor der Kaffee kalt wurde, setzten wir zur Landung in New York an. 12:40 Uhr Ortszeit.

 

Einreise

Der neue Airbus hat durchaus seine Vorteile, vor allem für die Airlines. 500 Passagiere auf einen Schlag sind gut für den Umsatz. Aber wenn dann alle auf einmal aussteigen wollen, ist das wahrlich kein Spaziergang. Wenn ich alleine unterwegs bin, dränge ich mich gerne vor. Aber meine Frau ist geduldig und besteht darauf, dass wir alles gemeinsam machen. Also wartete ich schicksalsergeben, bis wir endlich an der Reihe waren. Und wieder durch den Tunnel in Richtung Licht. Aber für mich wurde es nicht heller sondern dunkler, fast so als ob ich im Schatten stünde, und als ich aufblickte, sah ich in das ausdrucklose, ziemlich missmutige Gesicht eines Mitarbeiters der Homeland Security. Diese Behörde wurde nach dem Anschlag auf das World Trade Center gegründet und hat mittlerweile über 200.000 Mitarbeiter. An jeder Ecke steht einer. Und täglich werden es mehr. Aufgenommen wird aber nur, wer grundsätzlich schlecht gelaunt ist oder alle Nichtamerikaner hasst. Am besten beides.

Mein schlecht gelauntes Prachtexemplar war ungefähr zwei Meter groß und bewaffnet wie Billy the Kid. Und er roch auch ziemlich stark nach vorletztem Jahrhundert. Damals wusch man sich, wenn überhaupt, nur sonntags. Und das Wechseln der Unterhose fiel immer auf ein Schaltjahr. Ein Cowboy war oft 10 Stunden am Tag im Sattel, mit wenigen Unterbrechungen. Es wurde im Freien gegessen, geschlafen und Bedürfnisse verrichtet. Oft kam man wochenlang nicht aus den Kleidern heraus, womit auch hygienische Herausforderungen verbunden waren. Er verlangte also meinen Pass und ich sah keinen Grund, ihm diese Bitte abzuschlagen. Er sah meinen Pass sehr genau an, Blatt für Blatt. Ein eiskalter Typ, ohne Skrupel, jederzeit bereit einen unerwünschten Einreisenden über den Haufen zu schießen. Leider habe ich berufsbedingt sehr viele Stempel drin, was mich primär verdächtig macht. Dann sah er mich an, von oben nach unten, taxierte, nahm Maß und erkannt messerscharf, dass ich nahkampfmäßig keine Gefahr für ihn darstellte. Ich dachte schon, er würde jeden Moment den Gummihandschuh überziehen. Doch dann sagte er etwas zu mir und ich hörte es nur ganz leise, fast wie ein Flüstern, weil seine gewaltigen Kiefer ziemlich weit von meinen Ohren entfernt waren. Dazu muss man wissen, dass ich nicht sehr groß bin. Auch nicht sehr klein. Mittelgroß. Aber eher im unteren Bereich angesiedelt. Ich selbst bezeichne mich gerne als kompakt. Aber die Figur noch immer rechteckig, nicht quadratisch. Ich bin ungefähr so groß wie Silvio Berlusconi ohne Toupet. Und wer würde so einen großen Staatsmann als klein bezeichnen. Billy the Kid sagte also: „Alle Amerikaner und Green-Card-Besitzer nach links, Touristen (es hörte sich an wie Terroristen) nach rechts“. Da standen wir nun wie angewurzelt, während sich die Schlange der Amerikaner zügig nach vorne bewegte, bis ich vom letzten Ami nur mehr die Rücklichter sah. Und je länger die Schlange wurde, desto höher stieg auch mein Blutdruck. Meine Frau kommentiert meinen Unmut in der Regel so (die Reihenfolge variiert): Reg dich nicht auf, wir sind im Urlaub! Stell dich nicht so an! Die machen alle nur ihre Arbeit! Du machst mich total nervös! Du Depp! Nach einer Stunde bogen wir um die Ecke und sahen eine unendlich lange Schlage, die sich s-förmig, wie die Schafe zur Kastration, Richtung Immigration Officer schob. Endlich, nach weiteren zwei Stunden, stand ich dem Officer Auge in Auge gegenüber. Er saß, ich stand. Seit unserer Landung waren bereits drei Stunden vergangen. Meine Frau: „Die machen alle nur ihre Arbeit“. Ich wollte höflich sein und ihn in ein Gespräch verwickeln, aber er reagierte nicht. Entweder war der gute Mann taubstumm oder sein Kollege hatte ihm schon die Sache mit meinen Stempeln durchgefunkt. Mein T-Shirt klebte mittlerweile wie eine zweite Haut an mir. Ich schwitze überhaupt sehr leicht. Wenn ich in der Sauna bin, brauchen sie keinen Aufguss. Es genügt, wenn sie mich in die Nähe des Ofens setzen. Und schon dampft es. Endlich gab mir der Officer mit einer unwirschen Handbewegung zu verstehen, dass ich meine Fingerabdrücke abzugeben hätte. Zuerst die vier Finger auf eine verschmierte Glasplatte halten, danach den Daumen. Anschließend die andere Hand. Jetzt noch ein Foto, aber nicht lächeln. Als ob mir zum Lächeln zumute gewesen wäre. Dann waren wir endlich durch und wir machten uns auf die Suche nach unseren Koffern. Ich ging zur Anzeigentafel und las: Frankfurt Belt 4. Dort angekommen, liefen allerdings Koffer aus Ankara an uns vorbei. Eigentlich logisch, unser Gepäck musste ja vor Stunden entladen worden sein. Bloß, wo befand es sich? Und plötzlich stand ich wieder im Schatten. Direkt vor mir türmte sich ein riesiger Kofferberg auf. Quadratisch, nicht praktisch, gar nicht gut. Ich sagte zu meiner Frau: „Geh du rechts herum, ich links, vielleicht finden wir unsere Koffer“. Wir umkreisten den Berg, keine Spur. Ein cold case, wie der Amerikaner sagt. Meine Frau hatte wie immer eine Lösung parat: „Wahrscheinlich sind unsere Koffer mitten drin.“ „Toll, und wie stellst du dir das jetzt vor?“. „Zieh einfach einen heraus und zwäng dich hinein, dann wirst du schon was finden“. Wenn eine Frau so etwas sagt ist Vorsicht geboten, aber ich sagte nichts, denn wenn es einmal draußen ist…Ich zog ganz vorsichtig, wie ein Bombenentschärfer, einen roten Samsonite heraus und quetschte mich in die Lücke. Es war stockdunkel. Doch zum Glück hatte ich ein Feuerzeug dabei und konnte den Stollen ansatzweise sondieren. Mein Urlaub fing also unter Tage an. Vor mir sah ich eine große Reisetasche. Ganz vorsichtig bugsierte ich diese über mich hinweg und beförderte sie mit einem Fußtritt nach draußen. Geschafft. Ich schwitzte wieder stark und der Schweiß brannte in meinen Augen. Doch da, schemenhaft, wie durch einen Schleier, sah ich meinen Koffer. Ich robbte vorwärts, packte zu und zog ihn in meine Richtung. Doch je näher er kam, desto deutlicher erkannte ich das Namensschild. Das Gepäckstück gehörte einem Abdul Al-Rachmani aus Beirut. Scheiße, wieso hat der Typ den gleichen Koffer wie ich? Jetzt sind auch noch meine Fingerabdrücke drauf, auf einem arabischen Koffer. Wenn der Typ nicht sauber ist, hat mich die Homeland Security am Arsch und mein Urlaub wird in Guantánamo verlängert. Ich musste auf jeden Fall die Fingerabdrücke abwischen, aber wie. Mit der bloßen Hand getraute ich mich nicht, wer weiß, was man da sonst noch alles an Abdrücken hinterlässt. Mit dem Ärmel? Geht auch nicht, ich hatte ein T-Shirt an. Mit langen Ärmeln ist das kein Problem. Den Ärmel vorziehen, Finger einziehen, Pfötchenstellung und wischen. Beim Thema Pfötchen ist allerdings eine gewisse Vorsicht angesagt. Wenn sie freiwillig eines machen, ist alles ok. Wenn jedoch ihr Arzt sagt „geben sie mir ihr Pfötchen“, dann sind sie entweder ein Hund oder leiden sehr wahrscheinlich an tonischen Krämpfen der Unterarm- und Handmuskulatur. Das hat man sehr gerne bei Hyperventilationstetanie. Also was tun? Wenn ich schwitze habe ich die besten Ideen. Ich dachte, was soll‘s, ich leck den Griff einfach ab. Ich habe das Flugzeugessen überlebt, was kann schon passieren. Aber während ich leckte wusste ich bereits, dass ich zwei weitere Fehler begangen hatte. Als Ungläubiger speichelt man keinen muslimischen Koffer ein, das kann böse Folgen haben, und außerdem hatten die Amis jetzt auch noch meine DNA. Ich war in jedem Fall der Loser. Währenddessen hatte meine Frau ihren Koffer gefunden. Sonst verlegt sie alles, diesmal nicht. Jenga ist ein Geschicklichkeitsspiel, bestehend aus 60 hölzernen Bauteilen, aus denen zu Beginn des Spiels ein Turm gestapelt wird. Danach lösen die Mitspieler abwechselnd einen Stein aus dem Turm und legen ihn auf die Spitze. Verlierer ist der, der den Turm zum Einsturz bringt. Der Koffer meiner Frau war der Eckstein rechts unten. Offensichtlich kannte sie das Spiel nicht, denn sie zog ihn heraus. Dann wurde es wieder schwarz um mich.

 
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