Buddhas Tausend Gesichter

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Buddhas Tausend Gesichter
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:




Für all meine Lehrer und Lehrerinnen

meine Schülerinnen und Schüler.

Möge der Segen der Übertragungslinien

uns alle befreien.




Inhaltsverzeichnis





Vorwort von Stephen Batchelor







Dank







Schreibweise und Aussprache von Begriffen und Namen in Pali, Sanskrit und Tibetisch







Einführung







♦Buddhas tausend Gesichter – Legenden und Lehren Erleuchteter







Das Leben des Buddha – Dharma heute







♦Siddhartha Gautama, der Erwachte







Weggefährten des Buddha







♦Ananda, Beschützer der Buddha-Lehre – Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft







♦Sariputta und Moggallana – Meister der Weisheit, Meister der übersinnlichen Kräfte







♦Mahakassapa, der große Asket – Abkehr und Hingabe







Die erste Sangha der Frauen







♦Mahapajapati, die Mutter der Nonnen-Sangha – Entschlusskraft und Meisterschaft auf dem Weg zur Befreiung







♦Khema Theri, anmutige Königin, weise Nonne – Befreiung vom Anhaften an Schönheit und Glanz







♦Uppalavanna, die Erniedrigte, die alles Leid überwindet – Wahres Glück ist nur im Innern zu finden







♦Ambapali, die Kurtisane mit dem großen Herzen – Achtsamkeit, Freigebigkeit, Hingabe







Die Meister des Großen Mitgefühls







♦Asanga – Auf der Suche nach bedingungsloser Liebe







♦Shantideva – Alles Glück der Welt entsteht aus dem Wunsch, andere glücklich zu sehen







♦Atisha – Radikale Transformation von Herz und Geist







Die furchtlosen, weisen Frauen vom Himalaya







♦Mandarava – Prinzessin und Mahasiddha







♦Yeshe Tsogyal – Wilde Königin des All-Guten







♦Ma-chig Lab-drön – Das Abtrennen der Dämonen







Die Große Vollendung







♦Patrul Rinpoche – Erleuchteter Vagabund







Die Kammatthana-Waldtradition







♦Ajahn Mun – Spiritueller Kämpfer in Thailands Dschungel







Die Weisen vom Lande des Schnees







♦Je Tsongkhapa – Weiser Erneuerer der Dharma-Lehre







♦Geshe Rabten – Unerschütterlich wie ein Berg







Die Erkenntnis-Meditation wird wiederentdeckt







♦Anagarika Munindra – Unbeschwerte Hingabe auf dem Weg







Anhang







♦Bibliografie







♦Anmerkungen







♦Autor / Kontakte







Vorwort

von Stephen Batchelor



Versuchen Sie sich, eine Zukunft vorzustellen, in der alles, was vom Buddhismus geblieben ist, Texte sind: Alte Schriften und Kommentare in Vers und Prosa, ausgezeichnet erhalten und verwahrt in alten Klöstern, Tempeln und Bibliotheken. Sie vertiefen sich in diese Texte und finden tiefgründige Philosophien, detaillierte Meditationsanleitungen und bedeutungsvolle Erwägungen zu moralischen und ethischen Werten. Wenn aber niemand mehr am Leben wäre, der diese Lehren in die Praxis umsetzte, würden diese Schriften im besten Fall Faszination erwecken oder wehmütige Sehnsucht nach einer längst entschwundenen Vergangenheit entfachen. Im schlechtesten Fall wären sie so leblos und bedeutungslos wie hieroglyphische Anrufungen an den ägyptischen Gott Horus.



Damit der Buddhismus eine lebendige Tradition bleibt, braucht es mehr als nur Texte. Er muss sich in Menschen verkörpern – in Leuten wie Sie und ich –, welche die transformative Kraft des Dharma in ihr Leben einbringen. Ich zweifle sehr daran, dass meine Motivation stark genug gewesen wäre, mein eigenes Leben dieser Praxis zu widmen, wäre ich nicht lebenden, atmenden, menschlichen Beispielen des Dharma begegnet. Denn jene, die mich buddhistische Philosophie, Meditation und Ethik lehrten, taten mehr, als nur Informationen über diese Themen zu vermitteln. Sie offenbarten mir durch ihr lebendiges Beispiel und ohne viele Worte ihre ganz persönliche Art, in dieser Welt zu wirken. Wenn sie redeten, lag die Bedeutung von dem, was sie sagten, nicht nur in den Worten, die sie äußerten, sondern in der Art und Weise, wie sie diese äußerten: den Rhythmen, den Kadenzen, der Sprache, der Gestik und des Lachens, den bedeutungsvollen Pausen zum Nachdenken, der Ernsthaftigkeit, Leidenschaft und Entschlossenheit, mit der sie ihre Lehren verkörperten.



In dieser Sammlung ist es Fred von Allmen gelungen, den Dharma sowohl anhand der Lebensgeschichten buddhistischer Meister und Meisterinnen als auch durch deren Lehren darzulegen. Dadurch werden wir daran erinnert, dass es in der Praxis des Buddhismus nicht nur darum geht, sich theoretisches Wissen anzueignen oder tiefe meditative Zustände zu erlangen, sondern ebenso darum, das, was man gelernt und erfahren hat, in Worte und Taten zu übertragen, die auch das Leben anderer berühren. Buddhas Leben selbst ist genauso sehr eine Dharma-Belehrung, wie es seine im Kanon aufgezeichneten Lehrreden sind. Was er tut, ist genauso bedeutungsvoll wie das, was er sagt. Man mag zum Beispiel darüber erstaunt sein, wie wenig er in den Sutras über Mitgefühl oder »spirituelle Freundschaft« zu sagen hat. Aber diese Grundwerte werden durch sein Leben verkörpert, in dem er sich in selbstloser Weise der Aufgabe widmet, anderen einen spirituellen Pfad zu weisen, Gemeinschaften zu bilden, die für alle Menschen offen sind, ungeachtet ihrer Kaste oder ihres Geschlechts, und eine Reihe von Ideen und Praktiken zu entwickeln, die den Fortbestand des Dharma für zukünftige Generationen sichert.



Die gleichen Qualitäten des Mitgefühls und des Wohlwollens für andere prägen auch die Lebensgeschichten der Meisterinnen und Meister, die auf den folgenden Seiten erzählt werden. Sobald diese Gestalten für uns zum Leben erwachen, bemerken wir, wie sie alle den Dharma auf ihre eigene, sehr persönliche Art gelebt haben. Es gibt kein »buddhistisches Standard-Leben«, dem sie nacheiferten und zu verwirklichen suchten. Ganz im Gegenteil: Die lebendigen Verkörperungen des Dharma entwickeln sich in Formen, die angemessen sind für die an bestimmten Ort, zu gewissen Zeiten vorherrschenden Verhältnisse. Ein besonderes Merkmal des Buddhismus ist seine große Anpassungsfähigkeit, so dass er sich an Orten und in historischen Situationen entfaltet hat, die so verschieden sind wie das antike Magadha, die Tang-Dynastie in China, das mittelalterliche Tibet oder das moderne Burma und Thailand. Diese Kunst der Anpassung wird aber nicht durch den Buddhismus als solchen lebendig, sondern durch jene Männer und Frauen, die ihn praktizieren und seine Lehren mit frischer Stimme in die Worte fassen, die den neuen Situationen entsprechen und von den Menschen verstanden werden.



Heutige Leser und Leserinnen mögen erstaunt sein über die Berichte von übersinnlichen Fähigkeiten, die einigen der Figuren in diesem Buch zugeschrieben werden. Sollen wir diese Wunder für bare Münze nehmen? Sollen wir annehmen, dass sie eine symbolische oder archetypische Wahrheit vermitteln? Oder sollen wir sie ganz einfach ignorieren? Man muss verstehen, dass solche Legenden aus prä-modernen Kulturen stammen, die nicht zwischen dem Wörtlichen und dem Symbolischen unterschieden haben, wie wir es heute tun. So wie es naiv sein kann, Wunder für wahr zu halten, so kann es auch zynisch sein, zu behaupten, sie hätten keinen größeren Wert als Märchen. Überlieferungen von Wundertaten haben überlebt, weil sie in denjenigen, denen diese Geschichten einst erzählt wurden, Vertrauen und Inspiration erweckten. Heute gilt es für uns, einen mittleren Weg zu finden zwischen Leichtgläubigkeit und Misstrauen in Bezug auf übersinnliche Fähigkeiten und Wunder. Aber wie immer dem auch sei: Ob Heilige oder Yoginis Wunder vollbrachten oder nicht, diese Menschen sollten wir nicht nach einzelnen, möglicherweise ungewöhnlichen Taten beurteilen, sondern nach der Qualität ihres gesamten Lebens. Auf diese Weise wirken ihre Geschichten weiter als Inspiration für all jene, die versuchen, die Lehren des Dharma in der heutigen Zeit in ihrem Leben zu verkörpern.

 



Stephen Batchelor

Aquitaine, Januar 2012





Dank



Zur Entstehung dieses Buches war ich auf Hilfe, Unterstützung und Information mannigfacher Art angewiesen, wofür ich mich hier herzlich bedanken möchte.



Großer Dank gebührt Horst Christoph, der über Jahre hinweg immer wieder bereit war, meine Texte zu lektorieren, der ausgezeichnete Vorschläge machte und hilfreiche Tipps gab, um die Geschichten lebendiger zu gestalten.



Ursula Richard, meine wunderbare und verlässliche Literaturagentin und Verlegerin, half mir durch ihre umfangreiche Arbeit, den Text flüssiger und lesbarer zu machen, und ermunterte mich, auch die Dharma-Inhalte ausführlicher darzustellen. Auch für ihre Bereitschaft, dieses Buch herauszugeben, wissend, dass es in unserer vermehrt auf »Meditation für den Alltag« und »Buddha als praktischer Lebensratgeber« ausgerichteten Markt nicht mehr selbstverständlich ist, ein Buch dieser Art zu verlegen, möchte ich ihr einmal mehr herzlich danken.



Meine Wertschätzung geht auch an Stephen Batchelor für das Vorwort. Ihm selbst ist ja sehr wichtig geworden, die Figuren aus Buddhas Zeiten zu geschichtlich und menschlich greifbaren Personen zu machen und sie somit aus dem Bereich der Mythen in die »reale Welt« zu holen. Von daher war es für mich spannend zu sehen, was er zu diesem Buch über Heilige und Erleuchtete schreiben würde.



Besonderer Dank gebührt meiner Frau Ursula Flückiger für ihre liebenswürdige und unermüdliche Unterstützung aller Art, durch die meine Schreibarbeit überhaupt erst möglich wurde, sowie für ihre vielen nützlichen Hinweise und durchdachten Ideen und Vorschläge, die in dieses Buch eingeflossen sind und es bereichern.



Große Dankbarkeit fühle ich auch für meine unübertrefflichen Dharma-Lehrer und -Lehrerinnen, die ihre Zuhörerschaft immer wieder mit Lebensgeschichten alter Meister und Meisterinnen zu inspirieren wussten: Geshe Rabten, Geshe Jampa Lodrö, Tsoknyi Rinpoche, S. N. Goenka, Jack Kornfield, Sharon Salzberg, Joseph Goldstein und andere.



Für seine Vorschläge, die mich zum Titel dieses Buches inspiriert haben, geht mein Dank an Urs Haller, der auch maßgebend an meinen früheren Büchern mitgearbeitet hat.



Für die Biografien und Geschichten habe ich mich auf zahllose Bücher und Internet-Hinweise gestützt. Ein Großteil davon wird in den Fußnoten aufgeführt. Viele nützliche Quellen von Detailinformationen können aber nicht speziell erwähnt werden. Doch auch diese weiß ich sehr zu schätzen.



Für das Kapitel über den ehrwürdigen Geshe Rabten und jenes über Sri Anagarika Munindra habe ich mich auf meine eigenen Erfahrungen gestützt, die ich während der langen Perioden, die ich in der Nähe der beiden Meister zubrachte, machen konnte sowie auf die vielen Geschichten und Informationen, die in ihrem jeweiligen Umfeld verbreitet wurden. Zusätzliche Quellen waren für mich Geshe Rabtens Autobiographie The Life and Teachings of Geshe Rabten, übersetzt und herausgegeben von B. Alan Wallace

1

, und Mirka Knasters Buch Living this Life Fully, Stories and Teachings of Munindra

2

. Für diese beiden wertvollen Quellen möchte ich meine besondere Wertschätzung bekunden.



Meinem Lehrer Tsoknyi Rinpoche sowie Jack Kornfield danke ich für ihre empfehlenden Worte.



Mögen die vorliegenden Legenden und Lehren eine Inspiration sein auf dem Dharma-Weg zur Befreiung.





Schreibweise und Aussprache von Begriffen und Namen in Pali, Sanskrit und Tibetisch



Für Pali und Sanskrit wird die international gebräuchliche Schreibweise verwendet.



Die tibetischen Begriffe sind nach demselben Prinzip phonetisch dargestellt.










          Buchstabe





          Wortbeispiel





          Deutsche Aussprache









          c, cc, ch = tsch





          citta, anicca, chö





          tschitta, anitscha, tschö









          j = dsch





          dorje, jhana





          dordsche, dschana (wie im engl. »joy«)









          ñ = ny





          prajña





          pradschnya (wie in sp. mañana)









          sh = sch





          klesha





          klescha









          v = w





          vedana





          wedana










Schreibweise und Aussprache spezifischer Namen:










          sh





          Shantideva





          Schantideva









          sh





          Atisha





          Atischa









          sh





          Yeshe





          Yesche









          sh





          Geshe





          Gesche









          ch





          Ma-chig





          Ma-tschig









          ch





          Chö oder Chöd





          Tschö oder Tschöd









          j





          Ajahn





          Adschahn








Dort wo Begriffe in Pali und Sanskrit erwähnt werden, gilt folgende Regel: (Pali/Sanskrit).






EINFÜHRUNG:

Buddhas tausend Gesichter – Legenden und Lehren Erleuchteter

Die lebendige Essenz der Übertragungslinien,

immer wieder entdeckt, verwirklicht und weitergegeben,

ist mehr als das Wissen um die Lehre:

Es ist das Feuer der Begeisterung

für die uns innewohnende Weisheit und Verbundenheit.

Geschichten buddhistischer Heiliger – wozu?



Als ich den Teilnehmenden meiner Meditationskurse erzählte, ich würde gern ein Buch über buddhistische Praxis schreiben, veranschaulicht am Beispiel des Lebens von »Heiligen«, waren die Reaktionen zurückhaltend bis skeptisch. Wozu sollten wir heute noch so etwas Anachronistisches wie alte Legenden und Geschichten brauchen? Was sollten wir daraus lernen können? In meinen Meditationskursen und Retreats fühlen sich viele Menschen gerade deshalb zuhause, weil keine Religion gelehrt wird, weil sie an keine Dogmen glauben müssen – weil nur das gelehrt wird, was sie direkt in ihr Leben umsetzen können: Das Kultivieren einer wachen und sanften Achtsamkeit, mit deren Hilfe sie die Gesetzmäßigkeiten des Daseins und der wahren Natur des Geistes ergründen können, wodurch befreiende Weisheit und tiefe Verbundenheit entstehen. Eine anspruchsvolle, aber auch sehr pragmatische Sache. Und nun diese alten Heiligengeschichten!



Doch auch in diesen Legenden und Lehren geht es um den Weg zu Glück und innerer Befreiung – eine Praxis, wie sie der Buddha und die Meisterinnen und Meister der letzten Jahrtausende gelehrt und gelebt haben. Es geht in ihnen um das, was heute noch genauso wesentlich ist: die Erkenntnis der Vergänglichkeit aller Dinge des Daseins, das Verstehen des Leidens, das durch Festhalten an Vergänglichem entsteht und durch Verlangen nach immer Mehr, Höher, Besser und Schneller, nach immer mehr Gütern, mehr Spaß, mehr angenehmen Erfahrungen. Es geht um das Erkennen der inneren Dämonen – Ärger, Hass und Angst, Begehren, Neid und Arroganz – und um die Mittel, sich davon zu befreien. Und es geht darum, wie man heilsame, Glück schaffende Herzens- und Geistesqualitäten wie Großzügigkeit, Mitgefühl und Gelassenheit entwickeln und kultivieren kann.



Wie einige, zugegebenermaßen außergewöhnliche Menschen, diese Erkenntnisse erlangt haben, den Weg der Befreiung gegangen sind und ihn in ihrem Leben umgesetzt haben, davon möchte ich in den folgenden Geschichten erzählen. Dabei sind mir vor allem ihre vorgelebte Praxis und positive Lebensart ganz wichtig.



Ich möchte mit diesen Erzählungen auch einige lebendige Einbl